Eine Reise durch die Physiologie - Wie der Körper des Menschen funktioniert
 

     
Respirationssystem und Atemgastransport

Regulation der Atmung
© H. Hinghofer-Szalkay

Bötzinger-Komplex: Neuronengruppe im Hirnstamm (Atemzentrum), die von Jack Feldman (UCLA) während eines Meetings nach einer auf dem Tisch stehenden Flasche Weißwein (Bötzinger) benannt wurde
glomera carotica:
glomus = Knäuel, καρώδης = betäubt, von καρόω "in tiefen Schlaf versetzen" (wie beim Druck auf Halsarterie, vor allem bei überempfindlichen Menschen)
Hering-Breuer-Reflex: Josef Breuer, Ewald Hering (1868: erster experimentell erforschter biologischer Regelungsmechanismus)
Hyper-, Hypoventilation: ὑπέρ = über (hinaus) / ὑπό = unter, ventus = Wind
Kussmaul-Atmung: Adolf Kußmaul
liquor cerebrospinalis: liquor = Flüssigkeit, cerebrum = Gehirn, spina = Dorn, Rückgrat
Undine's Fluch: unda = Welle: Undine = Wassergeist, Nymphe




Die Atmung folgt einem autonomen Rhythmus (Spontanatmung), andererseits wird sie durch zahlreiche periphere (Rückkopplung) und zentrale Impulse (Steuerung) modifiziert. Nervenzellgruppen im Hirnstamm generieren durch wechselseitige Anregung und Hemmung spontane Entladungssalven. Sie reagieren auf zentrale Steuerimpulse sowie Signale von peripheren Rezeptoren und werden als Atemzentrum zusammengefasst.

Physische Belastung steigert die Ventilation bis etwa 20-fach, angeregt durch zentrale (vor allem aus motorischen Zentren, "Mitinnervation") und periphere Impulse (aus dem Bewegungssystem und der Lunge).

Steigender pCO2 (auch sinkender pH oder pO2) - erfasst durch Chemorezeptoren in Hirnstamm und arteriellen Glomuskörperchen - ist ein weiterer wichtiger Atemantrieb, erhöhter CO2-Partialdruck (Hyperkapnie) kann die Ventilation bis ~10fach steigern. Die Empfindlichkeit der Atemantriebe kann durch Begleitfaktoren beeinflust werden, z.B. verändert der pO2 die CO2-Kennkurve (Reaktion der Atmung auf veränderte CO2-Werte).

Aus der Lunge melden Dehnungs- und Irritationsrezeptoren, sie begrenzen die Atemtiefe (Hering-Breuer-Reflex) und beeinflussen Atemform und Bronchien (Weite, Sekretion). Die Bronchien sind parasympathisch (Bronchialmuskulatur) und sympathisch versorgt (Gefäße, Drüsen).

Die Atmung ist in den Säure-Basen-Haushalt integriert: Sie ist das System, das die größte Menge an sauren Valenzen aus dem Körper entfernt (Kohlensäure). Nichtrespiratorische pH-Abweichungen werden durch vermehrtes oder verringertes Abatmen von CO2 korrigiert (respiratorische Kompensation). Eine Atemform, die in Relation zum Säure-Basen-Status zu viel CO2 abatmet, nennt man Hyperventilation (senkt den pCO2: Hypokapnie); atmet man zuwenig CO2 ab, spricht man von Hypoventilation (bewirkt Hyperkapnie).



Innervation der Atemwege Atmung, Rezeptoren und Afferenzen Weitere pulmonale Rezeptoren  Periphere Chemorezeptoren Zentrale Chemorezeptoren Atemzentrum Respiratorische Sinusarrhythmie CO2, Hypo- und Hyperkapnie, Hypo- und Hyperventilation


Rezeptoren (RARs, SARs)
    J-Rezeptoren    Hyper / Hypokapnie    Eu-, Tachy-, Brady-, Apnoe
 
Praktische Aspekte       Core messages
  
Die zerebrale Steuerung des Respirationssystems erzeugt einerseits einen automatischen Atemrhythmus für die Kontraktion der Atemmuskulatur, andererseits sorgt sie für adäquate Anpassung an metabolische (Atemgase, pH-Wert), mechanische (z.B. Körperposition) und Verhaltensanforderungen (Nahrungsaufnahme, Sprechen etc), und sorgt für Reinigungs- und Schutzvorgänge (Husten, Niesen, Räuspern). Dazu bedarf es entsprechender Rezeptoren und Afferenzen, welche im Gehirn entsprechende Maßnahmen triggern.

  Nervenversorgung der Atemwege
  
Die Atemwege sind mit afferenten und efferenten (sympathischen und parasympathischen) Nervenfasdern versorgt:

     In der Bronchialmuskulatur überwiegt der Einfluss des Parasympathikus. Die Wände von Bronchien und Bronchiolen beinhalten parasympathische Ganglien, und die postganlionären Nervenfasern innervieren glatte Muskulatur und Drüsen in den Bronchien sowie Blutgefäße. Man findet alle fünf Typen muskarinischer Rezeptoren in der Lunge:
 
     M3-Rezeptoren dominieren in der Lunge, sie mediieren Bronchokonstiktion und Schleimbildung.
 
     M1-Rezeptoren regen die nikotinische Neurotransmission an,
 
     M2-Rezeptoren sind Autorezeptoren, sie vermitteln negative Rückkopplung an postganglionären Zellen (Inhibition der Acetylcholinfreisetzung).

Reizung von auf die Lunge projizierenden Fasern des N. vagus verengt die Bronchien (vorwiegend in den oberen Luftwegen) und erhöht den Atemwegwiderstand. Der Vagustonus ist typischerweise in "trophotropen" Situationen hoch, also dann, wenn Herzminutenvolumen und Sauerstoffbedarf des Körpers vergleichsweise niedrig sind und in der Lunge Schutz- und Reinigungsfunktionen im Vordergrund stehen können, ohne den Gasaustausch zu behindern.

 
   Sympathische Fasern innervieren Gefäße und Drüsen, nicht die Bronchialmuskulatur, die jedoch über ß2-Rezeptoren verfügt und über Agonistenwirkung relaxiert. ß2-Adrenozeptoren erhöhen [cAMP], das durch eine Phosphodiesterase gespalten wird. Phosphodiesterasehemmer können den Atemwegwiderstand reduzieren.


Abbildung: Innervation der Atemwege
Nach einer Vorlage in Koeppen and Stanton: Berne and Levy's Physiology, 6th ed. 2008

Parasympathisch-präganglionäre Vagusfasern ziehen zu lokalen Ganglien, auf die auch lokale Neuronen einwirken.
 
Cholinerg-exzitatorische und noradrenerg-inhibitorische Neuronen sowie NANC-Fasern ziehen zur glatten Muskulatur der Atemwege, cholinerge zu mukösen Drüsen



Adrenalin erniedrigt den Atemwegwiderstand über relaxierende Wirkung von ß2-Adrenozeptoren an der Bronchialmuskulatur
 
Auch Mastzellen haben ß-Rezeptoren, so dass Katecholamine deren Mediatorfreisetzung hemmen und die mukoziliäre Clearance steigern können.

 
  Schließlich wirken auch NANC-Nerven (weder adrenerg noch cholinerg) auf die Atemwege, sie setzen u.a. die Cotransmitter VIP und NO frei und wirken so bronchodilatierend.

    Afferenzen werden über den IX. und X. Hirnneven zum ZNS geleitet: Langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren beeinflussen das Atemzentrum. Reizung von Irritationsrezeptoren (C-Fasern) können Hustreflex, Schleimsekretion und Bronchokonstriktion auslösen (Zweck: Reinigung der Atemwege vom Verursacher der Reizung).

Rezeptoren geben Aufschluss über Atemgaswerte und den Zustand des Respirationssystems
  
Zahlreiche innere und äußere Bedingungen beeinflussen die Art und Weise, wann, wie oft und wie tief wir Luft holen. Die Atmung wird in einer Weise gesteuert, dass

 
  einerseits möglichst alle relevanten Zustandsvariablen im Körper Berücksichtigung finden (wie momentane Atemtiefe, Atemgaswerte, pH-Wert im Blut, Signale aus Oberflächen- und Tiefensensibilität, Schmerzeinflüsse),

 
  andererseits aktuelle Präferenzen die regulative Oberhand zugewiesen bekommen (bei der Durchführung bestimmter motorischer Aufgaben, z.B. beim Sprechen, Schlucken, usw).

Dabei wechseln die Bedingungen ständig und oft in Sekundenbruchteilen; rasche Neuregulierungen und laufende Anpassung der Feineinstellung sind erforderlich.

Periphere (in
Paraganglien, Atemapparat, Bewegungssystem, Haut, Sinnesorganen) und zentrale Rezeptoren (im Gehirn) ermöglichen eine Steuerung der Atmung, die nicht auf bewusste Kontrolle angewiesen ist.
 

Abbildung: Gefahrenmeldungen aus der Umwelt treffen u.a. in lufthältigen Räumen der Lunge ein
Nach Chiu IM, von Hehn CA, Woolf CJ. Neurogenic inflammation and the peripheral nervous system in host defense and immunopathology. Nat Neurosci 2012; 15: 1063-7

Mikrobielle, Schmerz- oder Entzündungssignale detektieren über sensorische Fasern die Anwesenheit von Schadstoffen und Mikroorganismen, und sind zytokinempfindlich.
 
Links: Zytokinrezeptoren wie der Interleukinrezeptor
IL-1βR und der TNF-Rezeptor TNF-αR reagieren auf von Immunzellen gebildete Faktoren. Das erhöht die Erregbarkeit der Membran über Signalwege wie z.B. MAP-Kinasen.
 
Mitte: Gefahrenrezeptoren wie TRP- und P2X-Kanäle oder DAMP-Rezeptoren (DAMP, danger-associated molecular pattern) reagieren auf exogene (Säure, Hitze, Chemikalien) oder endogene Gefahrenreize (wie ATP oder Harnsäure).
 
Rechts: PRRs (pattern recognition receptors) wie TLRs (toll-like receptors) und TLRs (toll-like receptors) detektieren von Bakterien oder Viren produzierte PAMPs (pathogen-associated molecular patterns).
 
Die Reizung afferenter Nervenfasern aktiviert weiters lokal - über Axonreflexe - Immunzellen (Adhäsion, Chemotaxis, Reifung) und führt zu Vasodilatation und Permeabilitätssteigerung.
 
  Neuronale Gefahrenrezeptoren: TRP-Kanäle s. dort
  P2X-Rezeptoren s. dort
  Zytokinrezeptoren: Interleukin s. dort
  TNF s. dort


Afferenzen: Etwa 20% der Vagusfasern versorgen das Respirationssystem - dieses ist sensorisch fast ausschließlich vagal versorgt, viele Afferenzen stammen von Nozizeptoren, die Impulse laufen vorwiegend über C- (und einige Aδ-) Fasern.

In der Wand der Luftwege befinden sich verschiedenartige Rezeptoren - an Epithelzellen, Fibroblasten, Mastzellen, Eosinophilen u.a. - und afferente Nervenfasern, welche den Zustand von Schleimhäuten und umliegendem Gewebe überprüfen: Temperatur, Gaszusammensetzung, mechanische und chemische Reizung. Mechanosensibilität (Aβ-, Aδ-Fasern) - z.B. im Bereich des Kehlkopfs und der Luftröhre - wird über Pacini- und Ruffini-artige Körperchen, Muskelspindeln u.a. vermittelt und z.T. nicht-vagal geleitet.

Reizung durch Viren, Bakterien, Pollen, Staub, Reizgase etc. aktiviert afferente Nerven. Dies erfolgt u.a. über Zytokine, Wachstumsfaktoren, biogene Amine, Prostaglandine, ATP, H+. Solche Stoffe aktivieren Rezeptoren in der neuronalen Zellmembran, dies öffnet Ionenkanäle (Na
+, Ca++), depolarisiert die Nervenzelle und führt zur Freisetzung von Neuropeptiden. Die Signale werden teils orthodrom zum nucl. tractus solitarii gesendet, teils antidrom in die Nachbarschaft der gereizten Stelle.

Die Reaktionen auf diese Reizmuster werden vorwiegend unbewusst verarbeitet.
Die Reizeffekte sind komplex - teils lokal, teils über das Gehirn mediiert: Atmung (Tiefe, Frequenz), Bronchienweite, Sekretion, Durchblutung, zentrale Projektionen (Hustenreflex, Dynpnoe).
 
 
Rezeptoren in Lunge und Luftwegen
 
Nach Schwartzstein / Parker, Respiratory Physiology - A Clinical Approach (2006)

Lage
Fasern
myelinisiert?
Rezeptortyp
Reiz
Effekt auf Atmung
Obere Luftwege
Nase
ja
mechanisch
Strömung
Abnahme
Rachen
ja
mechanisch
Schlucken
Stillstand
Lunge
Langsam adaptierende Rezeptoren
ja
mechanisch
Erweiterung der Lunge
Erhöhte Exspirationszeit
Deflation der Lunge
Erhöhte Atemfrequenz
Rasch adaptierende Rezeptoren
ja
mechanisch und chemisch
Deflation der Lunge Erhöhte Atemfrequenz, Seufzen
C-Fasern
nein
mechanisch
erhöhter Kapillardruck
erhöhte Atemfrequenz
(?)
chemisch
Capsaicin
Bradykinin
Serotonin
Prostaglandin
 
Diese verschiedenen Afferenzen - bezüglich Luftströmung, Dehnung, Druck, Irritantien - vermitteln für die Atemsteuerung essentielle Information.

Dehnungsrezeptoren
werden nach ihrem Differentialverhalten kategorisiert, also der
Geschwindigkeit, mit der sie nach Änderungen des betreffenden Lungenvolumens adaptieren (Tabelle). Langsam adaptierende (slowly adapting stretch receptors, SARs) behalten die dehnungsabhängige Aktionspotentialfrequenz ziemlich bei, während rasch adaptierende (rapidly adapting stretch receptors, RARs) das nicht tun - ihre Erregung geht schnell auf einen Mittelwert zurück.

      RARs sind rasch adaptierende, SARs langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren in der Lunge. Letztere stellen ihren Messbereich und ihr Aktivitätsverhalten gegebenenfalls auf veränderte Bedingungen ein. Beide haben myelinisierte Afferenzen.

SARs liegen vermutlich im Bereich der glatten Muskulatur der Atemwege und spielen eine Rolle bei der Begrenzung der Inspirationsbewegung; RARs
liegen im Bereich der epithelialen Auskleidungen, lösen aus zentralen Bereichen Husten und Schleimproduktion aus; zum Teil entsprechen sie den Irritationsrezeptoren. Die Bedeutung der C-Fasern ist nicht ganz geklärt; einige wurzeln im Bereich von Bronchien, andere dienen als Afferenzen von J-Rezeptoren (s. unten), die in der Nähe pulmonaler Kapillaren liegen ("juxtapositioniert", daher das J) - vielleicht angeregt durch erhöhten Kapillardruck oder Flüssigkeitsansammlung im Interstitium.

Brustwandrezeptoren sind Muskelspindeln (Länge) und Golgi-Rezeptoren (Kraft) in Muskeln und Sehnen - insbesondere der Interkostalmuskulatur, aber auch im Zwerchfell. Sie ermöglichen ein direktes Feedback von der Mechanik des Atemapparats (Inpirationstiefe, auftretende mechanische Belastungen) zur Atemsteuerung. Beispielsweise wird die Inspirationsmuskulatur stärker angeregt, wenn die Einatmung durch Auftreten eines erhöhten Widerstandes behindert wird, oder gestoppt, wenn an den Sehnen hohe Kräfte auftreten.

Außer den genannten Eingängen zum Atemzentrum spielen auch Afferenzen aus Muskeln, Sehnen und Gelenken (Bewegungssystem), Sinnesorganen (z.B. stechender Geruch, Schmerz) und Haut (Kältereize) einen der bewussten Verarbeitung weitgehend entzogenen Einfluss auf die Steuerung der Atmung.

Die zentrale Verarbeitung der Signale aus dem Respirationssystem erfolgt u.a. über Hirnstamm (nucl. tractus solitarii) → ThalamusInsel, motorischen und somatosensorischen Kortex, posterioren Parietalkortex, orbitofrontalen Kortex.

Über chemorezeptive Einfüsse auf die Kreislaufregulation s. dort
 
Weitere pulmonale Rezeptoren
  
Im Lungengewebe liegen Dehnungsrezeptoren, die nur langsam adaptieren (slowly adapting receptors, SARs), mit zunehmender Atmungstiefe erregt werden und die Inspiration begrenzen (Lungendehnungs- oder Hering-Breuer-Reflex).   Die Afferenzen des Lungendehnungsreflexes ziehen mit dem N. vagus zum Hirnstamm.

Der Reflex ist physiologischerweise vor allem bei Kindern wirksam und begrenzt die Inspirationstiefe bzw. das Atemzugvolumen. Mediiert wird der Reflex über Hinterhornafferenzen, deren Neurone über mechanosensible Ionenkanäle des Typs Piezo2 verfügen. Die Reflexzentrale wurde im apneustischen Zentrum vermutet. Ein Ausfall des
Lungendehnungsreflexes führt (nach dem klassischen Konzept) zu vertiefter Atmung, in der Folge nimmt die Atemfrequenz ab, um keine Hypokapnie und respiratorische Alkalose entstehen zu lassen (Chemorezeptoren: Stabilisierung der Blutgaswerte).
 

Dehnung der Lunge aktiviert Afferenzen über den N. vagus
 
Aktivität dieser Afferenzen verringert die Tiefe der Inspiration (Lungendehnungsreflex, Hering-Breuer-Reflex) - zumindest bei Neugeborenen

Die am Lungendehnungsreflex beteiligten Nervenfasern verlaufen im N. vagus (X)
 
Entgegen der klassischen Sicht einer physiologischen Bedeutung von Mechanorezeptoren für die Kontrolle der Atemtiefe scheint der Hering-Breuer-Reflex nur bei Neugeborenen und im Rahmen künstlicher Beatmung eine Rolle zu spielen. Da transplantierte Lungen normale Reaktionen im Rahmen der Atemsteuerung zeigen, steht das Konzept der physiologischen Beschränkung der Inspirationstiefe durch den Mechanoreflex in Zweifel.

1868 entdeckte und beschrieb Karl Ewald Hering zusammen mit Josef Breuer die "Selbststeuerung der Atmung" durch dehnungsabhängige Rezeptorreizung in den Luftwegen und - über sensible Fasern des pulmonalen N. vagus vermittelte - Hemmung der Inspiration und Freigabe der Exspiration ("Hering-Breuer-Reflex"). Diese experimentelle Untersuchung und Analyse eines biologischen Regelmechanismus gilt als früher Schritt zur Entwicklung der Biokybernetik. Den molekularbiologischen Mechanismus der involvierten Mechanorezeptoren beschrieb die Arbeitsgruppe um Ardem Patapoutian.



     Rasch adaptierende Dehnungsrezeptoren im Bronchialbaum (rapidly adapting receptors, RARs) vermitteln Irritationsreize, wie sie durch plötzliche und anhaltende Weitung des Alveolarraums auftreten. Diese Rezeptoren sind sehr empfindlich auf Mediatoren wie Histamin, Serotonin, Prostaglandine, Bradykinin, aber auch auf inhalierte Reizstoffe wie Zigarettenrauch, Ammoniak oder Äther. Ihre Aufgabe ist es, potentiell pathologische Prozesse in der Lunge zu detektieren.

  
  J-Reflex: In der Wand von Alveolen und Atemwegen befinden sich weiters "J-Rezeptoren", die auf Irritationen reagieren und reflektorisch Bronchokonstriktion, Schleimsekretion, sowie flache und rasche Atmung auslösen. Dieses Reaktionsmuster schützt die Lunge, indem es die pulmonalen Abwehrvorgänge begünstigt. Man nimmt an, dass der J-Reflex durch Emboli oder Ödeme in der Lunge ausgelöst wird.

      J-Rezeptoren sind juxtakapilläre Rezeptoren mit C-Faser-Afferenzen in der Tiefe des Lungengewebes. Sie werden möglicherweise durch Erhöhung des Kapillardrucks angeregt, oder durch Ansammlung pulmonaler interstitieller Flüssigkeit (wie sie bei Herzschwäche auftritt).
 


     Aktivierung von Schmerzfasern in der Lunge regt die Ventilation an.

  
  Rezeptoren im gesamten Bewegungsapparat (Muskeln, Sehnen, Gelenke) stimulieren bei physischer Belastung die Atmung von Anfang an - z.T. als "Vorwärtskopplung", d.h. im Zuge einer motorischen "Efferenzkopie" (efference copy) an Atem- und Kreislaufzentrum im Hirnstamm. Die Atemgaswerte bleiben auf diese Weise im Wesentlichen stabil, es tritt weder Hypoxie noch Azidose auf (das erfolgt erst nach Übersteigen der aeroben Kapazität).
 
Periphere Chemorezeptoren
  
Für die Steuerung der Atmung zuständige Chemorezeptoren registrieren Blutgaswerte - zentrale Chemorezeptoren (in der medulla oblongata) vor allem pCO2 und pH-Wert im liquor cerebrospinalis (was den Werten im arteriellen Blut entspricht), periphere vor allem den pO2. Periphere Chemorezeptoren (glomera im Bereich der Halsschlagader und des Aortenbogens) werden angeregt durch systemische Hypoxämie (niedrigen pO2 - sie tragen zu 100% zur hypoxämischen Antwort bei), Hyperkapnie (erhöhten pCO2 - etwa 20% der respiratorischen Antwort, die aber rasch erfolgt - innerhalb von 1-3 Sekunden) sowie Azidose (Carotiskörperchen).

Die peripheren Chemorezeptoren liegen in jeweils etwa 2 mg wiegenden glomera carotica ( Abbildung unten - nicht zu verwechseln mit dem drucksensiblen Sinus caroticus) sowie den dem Aortenbogen außen anliegenden glomera aortica (Paraganglien; nicht zu verwechseln mit den Barorezeptoren in der Wand des Aortenbogens).

Die spezifische Durchblutung
der Glomera (ca. 40-mal höher als im Gehirn) ist die höchste aller Gewebe im Körper. Trotz der hohen Stoffwechselrate der Glomera (2-3 mal höher als im Gehirn) bleibt das Blut auf diese Weise weitgehend arterialisiert, Partialdrucke (insbesondere pO2) und pH behalten im gesamten Glomusorgan arterielle Werte, die so von den Typ-I-Zellen verlässlich ermittelt werden können.
 

Abbildung: Chemosensitivität eines glomus caroticum
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Oben: Auswirkung einer Anoxieperiode (Doppelpfeil) auf den Membranpotentialverlauf einer einzelnen chemosensitiven (Typ I-) Glomuszelle. Solange die Senkung des pO2 anhält, bleibt die Zelle depolarisiert und bildet Aktionspotentiale.

Mitte:
Normale Sauerstoffsensitivität (blaue Kurve): Sinkt der arterielle pO2 unter 100 mmHg, nimmt die Entladungsfrequenz immer mehr zu. Auswirkung von Azidose / Hyperkapnie (orange: Erhöhte Empfindlichkeit) und Alkalose / Hypokapnie (rot: Reduzierte Empfindlichkeit).

Unten: Die glomera carotica reagieren auch auf Hyperkapnie an sich. Dabei wirken sich Änderungen des Blut-pH auf die Kennkurve der CO2-Sensitivität aus.
Experimentelle Situation mit Fixierung des pO2 auf 80 mmHg sowie des pH auf 7,25 (grün) oder 7,45 (rote Kurve): Metabolische Azidose stimuliert die Chemosensoren


Wird ein Carotiskörperchen mit hypoxischem Blut (pO2 deutlich unter 100 mmHg) durchblutet, depolarisieren seine chemosensitiven (Typ I-) Zellen und generieren Aktionspotentiale - mit einer Frequenz, die mit der Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks ansteigt ( Abbildung). Ein Anstieg des pO2 über 100 mmHg wirkt sich hingegen so gut wie nicht aus.

Das Entladungsverhalten (Aktionspotentialfrequenz als Funktion des
Sauerstoffpartialdrucks) hängt vom Säure-Basen-Status ab: Je höher die Konzentration an Wasserstoffionen (Azidose) oder der CO2-Partialdruck (Hyperkapnie), desto empfindlicher reagiert die chemosensitive Glomuszelle (höhere Entladungsfrequenzen); umgekehrt nimmt die Sensitivität bei steigendem pH (Alkalose) bzw. sinkendem pCO2 (Hypokapnie) ab.

Auch das Ansprechverhalten auf Änderungen des pCO2 ist beeinflussbar, und zwar durch die Wasserstoffionenkonzentration: Ist diese hoch (niedriger pH, Azidose), senden die Glomuszellen mehr Aktionspotentiale als bei hohem pH (Alkalose).

Das bedeutet, dass die Atmung mit zunehmend azidotischer Stiffwechsellage stärker angeregt (und der Sauerstoffnachschub intensiver stimuliert) wird (Unterstützung der oxidativen Energiegewinnung und damit Entlastung der Puffersysteme).

Da die sauerstoffempfindlichen Rezeptoren den Partialdruck (pO2), nicht aber die transportierte Sauerstoffmenge messen, hat eine Anämie an sich - z.B. bedingt durch Eisenmangel - keinen atemanregenden Effekt.

Das hätte auch keinen Zweck, denn das Problem ist nicht die Sauerstoffsättigung - bei normaler Atmung nahe 100% -, sondern die geringe Menge an Hämoglobin - also die den O2-Transportkapazität -, und die physikalisch gelöste Menge an Sauerstoff würde bei vermehrter Atmung mit dem pO2 zwar zunehmen, ist aber im Vergleich zu der am Hämoglobin befindlichen Menge vernachlässigbar. Darüber hinaus würde Mehratmung eine Hypokapnie verursachen.
 
    
Abbildung: Lage peripherer Chemorezeptoren (links) und Aufbau / Funktion eines Carotiskörperchens (rechts)
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep, Medical Physiology, 1st ed. Saunders 2003

Afferenz von glomera carotica über Sinusnerven zum IX., und von glomera aortica über Aortennerven zum X. Hirnnerven.
 
    Typ I-Glomuszellen (Hauptzellen, etwa 10 µm Durchmesser) sind chemosensitiv und mittels gap junctions miteinander verbunden. Der von ihnen (infolge Hypoxie, Hyperkapnie, Azidose) freigesetzte Neurotransmitter (Dopamin?) induziert an afferenten Nervenfasern Aktionspotentiale.
 
    Typ II-Zellen (sustentacular cells) sind gliaähnlich.
 
Die Kapillaren (Sinusoide) sind vom fenestrierten Typ, also gut permeabel


Die peripheren Chemorezeptoren in der Aufgabelung der Halsschlagader und an der Wand des Aortenbogens ( Abbildung) haben die höchste Durchblutungsrate aller Gewebe im Körper, sodass im gesamten Organ die für die Steuerung der Atmung relevanten Werte herrschen.

 
  Die spezifischen Zellen der Glomera heißen Glomuszellen. Diese stammen vom Neuroektoderm ab und ähneln Nervenzellen. Ihre wichtigste Funktion ist die Reaktion auf Hypoxie: Ihre Membran verfügt über zahlreiche spannungsgesteuerte Ionenkanäle, sie können Aktionspotentiale generieren, und ihre intrazellulären Vesikel enthalten Transmitterstoffe (Acetylcholin, Dopamin, ATP, Noradrenalin, Substanz P, Metenkephalin), die sie bei Stimulation freisetzen. Diese Transmitter kontrollieren die Aktionspotentialfrequenz der afferenten Fasern des Sinus- (glomera carotica) bzw. Aortennerven (glomera aortica); diese enthalten ebenfalls Vesikel, sodass die Synapsen zwischen Glomuszelle und sensibler Nervenfaser möglicherweise bidirektional wirken.

Glomuszellen scheinen polymodal zu funktionieren und können ausser auf Hypoxie auch auf andere Reize reagieren (Druck, Hyperkapnie, Azidose, Hyperkaliämie, osmotische Hypotonie, Hyperthermie, Hormone, Pharmaka).

Die chemosensitiven Zellen heissen Typ I-Zellen (Hauptzellen, Type I (glomus) cells). Ihr
Durchmesser beträgt ~10 µm, sie sind in Gruppen angeordnet ( Abbildung) und kommunizieren über gap junctions (funktionelles Synzytium).

Wie führt nun die Abnahme des Sauerstoffpartialdrucks (oder des pH, oder ein pCO2-Anstieg) im Bereich chemosensitiver Glomuszellen zur Erhöhung der Aktionspotentialfrequenz afferenter Nervenfasern?
 

Abbildung: Reaktion einer Glomuszelle auf Abnahme des pO2 bzw. pH oder Anstieg des pCO2
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Hypoxie reduziert die Öffnungswahrscheinlichkeit von Kaliumkanälen in der Zellmembran der chemosensitiven Glomuszelle (Mitte). Das führt zu Depolarisation, diese öffnet spannungssensitive Calciumkanäle.
 
Folge ist die Exozytose des Neurotransmitters (wahrscheinlich Dopamin) und die Generierung von Aktionspotentialen an der postsynaptischen afferenten Faser (rechts)

Vm, Membranpotential



Niedriger pO2 (Hypoxie: Ungenügendes Sauerstoffangebot, z.B. durch erniedrigten Sauerstoffpartialdruck im arteriellen Blut), weiters hoher pCO2 (>45 mmHg - Hyperkapnie) und niedriger pH-Wert (<7,35 - Azidose) verringern in Glomuszellen die Wahrscheinlichkeit des Offenseins hypoxieempfindlicher Kaliumkanäle, insbesondere unter 60 mmHg pO2.


Drei verschiedene molekulare Wirkmechanismen sind wahrscheinlich, die eine Abnahme des pO2 in eine Transmitterfreisetzung übersetzen:

  
  Proteine, die Häm enthalten (O2 binden können), schließen bei Sauerstoffmangel benachbarte Kaliumkanäle;

     Mitochondrien lassen den Quotienten reduziertes / oxidiertes Glutathion ansteigen;

     die cAMP-Konzentration reagiert als Glied in der second-messenger-Kette ( Abbildung).

Die gemeinsame Endstrecke ist der Einfluss auf Kaliumkanäle, deren Öffnungswahrscheinlichkeit abnimmt. Die Folge des sinkenden Hinausdiffundierens von Kaliumionen sind abnehmendes Membranpotential (Depolarisation), Öffnung spannungsgesteuerter
Calciumkanäle, erhöhtes intrazelluläres [Ca++], Freisetzung von Dopamin (und weiterer Trtansmittersubstanzen) und dadurch erhöhte Aktionspotentialfrequenz sensibler (afferenter) Fasern im N. glossopharyngeus (Carotis) bzw. vagus (Aorta). Dies regt schließlich im Atemzentrum die Ventilation an.
 


Abbildung: Afferenzen zum Atemzentrum
Nach einer Vorlage in networkindesign.com

Afferenzen zum Atemzentrum im Hirnstamm stammen aus
 
  zentralen (Großhirn: willkürliche Beeinflussung, feed-forward-Koppelung bei Aufnahme körperlicher Aktivität; limbisches System: emotionale Reaktionen, z.B. Aufschreien; zentrale Chemorezeptoren: pH, pCO2) und
 
  peripheren Quellen (Chemorezeptoren: pO2; Dehnung der Lunge: Hering-Breuer-Reflex; Propriozeption im Muskel: Feedback-Koppelung; Berührung, Schmerz, Temperatur: schreckhafte Inspiration u.a.)


Glomuszellen werden von präganglionären sympathischen Fasern versorgt - sie haben wahrscheinlich modifizierende Funktion. Sympathische Ganglienzellen und postganglionäre sympathische Fasern wirken auf Gefäßmuskelzellen im Glomus ein: Ihre Aktivität kann die Durchblutung im glomus reduzieren und so einen lokalen Abfall des pO2 verursachen, was eine allgemeine Hypoxie "vortäuscht" und atemanregend wirkt.

Weiters sind Glomuszellen von Typ II-Zellen (sustentacular cells) umgeben, die Glia-ähnliche Funktion haben. Die umgebenden Kapillaren sind vom fenestrierten Typ, ideal für die Funktion der Glomuszellen als Chemorezeptoren.

Die Zuleitung glomerulärer Aktionspotentiale zum Atemzentrum erfolgt vom glomus caroticum über den Sinusnerv und den N. glossopharyngeus (IX), und von den glomera aortica über den Aortennerv und den N. vagus (X).
 
Zentrale Chemorezeptoren
 
Diese Messfühler liegen an der ventralen Oberfläche der medulla oblongata, nahe der ventralen Neuronengruppe (VRG, ventral respiratory group, s. unten), mit einem rostralen, intermediären und einem kaudalen Abschnitt. Bei annähernd normalen Atemgaswerten im Blut sind sie die primäre Informationsquelle zur Steuerung der Atmung, die sie tonisch antreiben. Anstieg des arteriellen pCO2 sowie ein Absinken des pH in Blut und Liquor erregt die zentralen Chemorezeptoren. Unter normoxischen Bedingungen tragen sie zu 65-80% zur Reaktion auf respiratorische Azidose bei: Die Hyperkapnie wird durch Vertiefung und Beschleunigung der Atmung beseitigt.

Die Aktivität der Neuronen wird über die Wasserstoffionenkonzentration im sie umgebenden Interstitium gesteuert,
z.B. in den Raphekernen (in denen einige Neuronen besonders pH-sensitiv sind) und im nucleus tractus solitarii. Es kann mehrere Minuten dauern, bis der volle Effekt (z.B. Ventilationssteigerung bei Atmung von 5% CO2) eintritt.
 

Abbildung: Atmung in Abhängigkeit vom pH-Wert im liquor cerebrospinalis
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Der pH (Abszisse) ist ein Logarithmus (eine Hochzahl), bei nichtlinearer Darstellung der Ordinate ergibt sich eine gerade Linie für die Beziehung alveoläre Ventilation vs. pH-Wert im Liquor.
 
Der normale Liquor-pH liegt bei 7,3 oder leicht darüber - entsprechend einer alveolären Ventilation von 4-5 l/min (Blut hat wegen seiner höheren Pufferbasenkonzentration einen pH-Wert von 7,4)

Die Neurone der zentralen Chemorezeptoren sind in die extrazelluläre Flüssigkeit des Gehirns (BECF, brain extracellular fluid) eingebettet und von der Blutbahn durch die Blut-Hirn-Schranke separiert. CO2 kann diese im Gegensatz zu Protonen frei passieren; steigt der pCO2 im Blut, nimmt er rasch auch im Hirngewebe um denselben Betrag zu. Der pH-Wert des Liquor ist direkt mit dem arteriellen pCO2 korreliert. Mit sinkendem pH im liquor cerebrospinalis nimmt die Atmung zu ( Abbildung).



Die Abfolge der Ereignisse stellt man sich folgendermaßen vor:
 
     CO2 diffundiert frei aus dem Blut in den Liquor (der kaum Proteine enthält und daher schlechter gepuffert ist als Blut) und von dort in das Interstitium, das u.a. die für die Atemsteuerung zuständigen Neuronen umgibt
 
      Durch Reaktion mit Wasser entsteht Kohlensäure, die in H+ und Bicarbonat dissoziiert
 
      Wasserstoffionen diffundieren in Chemorezeptoren, welche dann das Atemzentrum anregen (proportional zum arteriellen pCO2-Wert), die Ventilation steigt an, CO2 wird vermehrt abgeatmet

Dabei steigert hyperkapniebedingte Vasodilatation im Gehirn die Durchblutung der medulla oblongata und damit auch den chemorezeptiven Effekt.

CO2
bewirkt besonders intensiven Atemantrieb. Azidose / Hyperkapnie erzeugt einen intensiven Atemantrieb, Hypoxie wirkt vergleichsweise schwächer; Hyperkapnie / respiratorische Azidose verstärkt die Akutantwort auf Hypoxie. Zuerst nimmt die Atemntiefe zu, später die Atemfrequenz.
 
Sensitivitätsverlust bei langanhaltender Hyperkapnie: Bei chronischer Hyperkapnie (z.B. bei fortdauernder Verengung der Atemwege: Chronic obstructive pulmonary disease, COPD) werden Bicarbonationen zum Zweck der Pufferung aktiv in den Liquor sezerniert. Die Normalisierung des Liquor-pH schaltet die zusätzliche Anregung auf das Atemzentrum aus. Dazu kommt der kompensatorische Effekt der Nieren, die vermehrt Bicarbonat resorbieren. Die atemgasabhängige Steuerung erfolgt dann nur noch über den
pO2-Wert durch periphere Chemorezeptoren.

     Seufzen, Gähnen, Husten, Niesen
 
Die ersten Atemzüge nach der Geburt sind durch Erregung der Chemorezeptoren beim Abnabeln - Anstieg des p
CO2 im Blut des Neugeborenen - bedingt.

Bei zahlreichen Opfern eines plötzlichen Kindstodes (SIDS: Sudden infant death syndrome) wurde ein Defizit serotoninerger Hirnstammneurone festgestellt, was im Einklang mit der Theorie gestörter zentraler Chemozeption solcher Kinder steht.
  
Im Atemzentrum laufen die Fäden zusammen: Periphere und zentrale Impulse
  
Die Atemtätigkeit läuft zum Großteil unbewusst ab - es wäre Ressourcenverschwendung, über jeden Atemzug nachdenken zu müssen (vom Schlaf ganz zu schweigen). Die Ventilation erfolgt sozusagen auf "Autopilot", und es ist das Atemzentrum im Hirnstamm, das die Kontrolle übernimmt.

Man kann das Atemzentrum - dessen Teile komplex interagieren - unterschiedlich organisiert betrachten. Seine Komponenten können z.B.
folgendermaßen eingeteilt werden:

     Eine dorsale Neuronengruppe (DRG, dorsal respiratory group) steuert vor allem das Zwerchfell (normale Einatmung)

     Eine ventrale Neuronengruppe (VRG, ventral respiratory group) steuert die Interkostalmuskeln (forcierte Ausatmung, Verstäkung der Einatmung) und enthält den Prä-Bötzinger-Komplex (respiratorischer Schrittmacher, s. unten)

     Ein apneustisches Zentrum verhindert Überdehnung der Lunge

     Ein pneumotaktisches Zentrum bremst die Aktivität der dorsalen Neuronengruppe (Begrenzung der Inspiration) und kann die Atemfrequenz steigern.

Neurone in medulla oblongata, Brücke und anderen Regionen des Hirnstamms., die sich mit der Steuerung der Atmung befassen (RRNs, respiratory-related neurons), generieren Aktionspotentialsalven zu bestimmten Phasen des Atemzyklus (hauptsächlich zur Aktivierung von Inspirations-, gelegentlich auch Exspirationsmuskeln). Einige dieser RRNs sind Motoneurone (sie steuern motorische Einheiten an), andere wirken prämotorisch (sie steuern Motoneurone), wiederum andere wirken als Interneurone (sie stellen lokale Verbindungen her).
Die Gesamtheit der Neurone, die eine (automatische) rhythmische Atmung bewirken, wird als "Mustergenerator(central pattern generator) bezeichnet.

Das Atemzentrum berücksichtigt dabei nicht nur Signale aus dem Respirationssystem selbst (Atemtiefe, Luftwege..), sondern auch Blutgaswerte (pCO2, pO2, Blut-pH) und die Eingänge von verschiedenen Reflexbögen (z.B. unwillkürliche Inspiration bei plötzlicher Kälteeinwirkung - kalte Dusche!).
 
Das Atemzentrum in der medulla oblongata des Hirnstamms steuert die Atmung
 
Das Großhirn als übergeordnete Instanz kann allerdings jederzeit modulierend eingreifen, z.B. bei Sprechen, Singen, Essen, Trinken, Schreckreaktionen, Atemanhalten usw. Insoferne steht die Atmung (anders als der Kreislauf oder das Verdauungssystem) unter bewusster Kontrolle.


Abbildung: Kontrolle der Atmung
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Afferenzen über N. glossopharyngeus (N. IX) und vagus (N. X) informieren über Blutgase und Zustand des Respirationssystems.
 
Vegetative Efferenzen gelangen über Vagus und Sympathikusnerven zur Lunge.
 
Motorische Efferenzen laufen vor allem über N. phrenicus (Zwerchfell) und Nn. intercostales (Zwischenrippenmuskeln). Beteiligt an atemrelevanten Steuerungen sind auch zusätzliche Hirnnerven: Trigeminus (V), Facialis (VII), Accessorius (XI), Hypoglossus (XII).
 
Höhere Zenteren haben direkten Zugriff auf respiratorische Motoneurone im Rückenmark, z.B. beim Sprechen, Trinken oder Essen. Dadurch kommt es kurzzeitig zu einem "Override" der rhythmischen Atemtätigkeit


Der motorische Kortex hat über die Pyramidenbahn direkten Zugriff auf die Motorik des Respirationssystems. Allerdings kann das Großhirn nur einen kurzzeitigen "Override" über das Atemzentrum ausüben; hält man z.B. die Atmung bewusst an, steigt der pCO2 und sinkt der pO2, und nach kurzer Zeit wird die bewusste Kontrolle durchbrochen, man atmet zwangsweise weiter.

Insbesondere bei körperlicher Belastung muss der Austausch der Atemgase ansteigen (bei Spitzenbelastungen um das Zigfache). Auch in dieser Situation sind es mehrere Komponenten, die bei der Steuerung der Atmung kooperieren - etwa im Sinne einer Vorausregelung, wenn die Atmung schon vor einer Änderung von Blutgaswerten zunimmt, sodass es nicht zu Hypoxie, Hyperkapnie und Azidose kommt, wenn der Bedarf der aktiven Muskelzellen gestiegen ist und sie Laktat in das Blut abgeben.

  
    Rhythmusgenerierende Neuronen erzeugen spontane Impulsfolgen, wobei sich wahrscheinlich "inspiratorische" und "exspiratorische" Zellen wechselseitig hemmen und sich daraus Aktivitätsoszillationen ergeben.

Einige Neuronen entladen während Ein-, andere während Ausatembewegungen; einige entladen früh, andere spät inspiratorisch. Solche Neuronen finden sich vor allem in zwei Gruppen
der medulla oblongata ( Abbildung):

    Die dorsale Neuronengruppe (dorsal respiratory group, DRG)  in der Nähe des nucl. tractus solitarii empfängt Afferenzen aus dem Respirationstrakt (Dehnungsrezeptoren, periphere Chemorezeptoren u.a.), beteiligt sich u.a. am Hering-Breuer-Reflex und Reaktionen auf Hypoxie.

    Die ventrale / ventrolaterale (ventr(olater)al respiratory group, VRG) in der Nachbarschaft des nucl. ambiguus koordiniert die Atemmotorik. beinhaltet sowohl exspiratorisch als auch inspiratorisch aktive Neuronen. Sie besteht aus drei Zonen:
 
    Der Bötzinger-Komplex (rostrale Gruppe, Bötzinger complex BötC) enthält Interneurone, welche die Aktivität kaudaler Neurone antreiben.

    Die intermediäre Gruppe enthält
 
     den Prä-Bötzinger-Komplex (preBötC, pre-Bötzinger complex): Dieser liegt ventral vom nucleus ambiguus und ist der eigentliche Schrittmacher der Atemrhythmik;
 
     Motoneurone für Schlund und Kehlkopf, welche über Fasern des IX. und X. Hirnnerven die oberen Luftwege und die Stimmritze während der Inspiration weiten, um den Luftstrom zu erleichtern;
 
      andere Neuronen können auch Gesichtsmuskeln innervieren, z.B. solche, welche die Nasenflügel aufstellen. Akzessorisch wirkt auch der N. hypoglossus, dessen Fasern synchron mit denen des Prä-Bötzinger-Komplexes entladen.

    Die kaudale Gruppe enthält prämotorische exspiratorische Neurone zur Steuerung von Motoneuronen akzessorischer Ausatemmuskulatur (Bauchdecken, Interkostalmuskeln).
 

Abbildung: Dorsale und ventrale respiratorische Neuronengruppen
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Links: Inspiratorisch wirkende Neuronengruppen und ihr motorischer Output (rot).

Rechts: Exspiratorisch wirkende Neuronengruppen und ihr motorischer Output (grün).

Die dorsale Gruppe enthält weitgehend inspiratorische, die ventrale sowohl inspiratorisch als auch exspiratorisch wirkende Neuronen. Die ventrale Gruppe besteht aus dem Bötzinger-Komplex (rostrale Gruppe), der intermediären Gruppe (diese enthält u.a. den prä-Bötzinger-Komplex) und der kaudalen Gruppe


       Die Funktion von Neuronen in der Brücke (potines Zentrum, pontine respiratory group) ist weniger klar. Vielleicht glätten sie die Übergänge zwischen Ein- und Ausatmung und "vermitteln" zwischen Großhirn und Atemzentrum.

Beschädigung des pontinen Zentrums (Schlaganfall) kann zu
apneustischer Atmung führen - lange Einatmung gefolgt von rascher Ausatmung und Atempause.
 
  
    Zu Neuronen, die den Atemantrieb steuern, werden außer von den oben genannten Einflüssen (Chemo-, Lungen- und Muskelrezeptoren) auch von Thermorezeptoren, arteriellen Barorezeptoren, Schmerzrezeptoren u.a. gesteuert. Man unterscheidet
 
      unspezifische (nicht-rückgekoppelte - fast jeder intensive Reiz, sowie Impulse aus Kortex, limbischem System, Hypothalamus - thermoregulatorisch, affektiv -, endokrine, propriozeptive und nozizeptive Einflüsse) und

      spezifische (rückgekoppelte) Atemantriebe (Quelle: Rezeptoren in Atemmuskulatur, Schleimhaut der Atemwege - Atmungs-, Schutz-, J-, Hering-Breuer-Reflex).
 
Machen sich übergeordnete (nicht-rückgekoppelte) Impulse aus dem Gehirn bemerkbar, werden bei der Atemsteuerung verschiedene Umstände berücksichtigt, wie

     Körperliche Belastung (Sauerstoffbedarf, Säure-Basen-Gleichgewicht)
   
Vom Gehirn ausgehende Mitinnervation des Atemzentrums verstärkt die Atmung zu Beginn einer Muskelaktivität noch vor Änderung der Blutgaswerte
 
     Atemanhalten bei Muskeltätigkeit, Pressen, Niesen, Husten etc.
 
     Aktivitätsphasen im Rahmen der Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme (Schlucken)
 
     Phonation (Stimmbildung) und Artikulation (Laut- und Wortbildung).

Phonation und Artikulation stehen unter der Kontrolle des motorischen Sprachzentrums im Frontalhirn.
 
Bei der Phonation wird die Stimmritze im Kehlkopf verengt (Mm. arytenoidei, cricoarytenoidei laterales und thyreoarytenoidei laterales) und der Druck unter der Glottis (exspiratorisch) um ungefähr 1 kPa erhöht; der Phonationsapparat gerät in Schwingungen (Öffnung und Verschluss der Stimmritze wechseln einander ab → Oszillation), die Spannung der Stimmlippen bestimmt Elastizität und damit Schallfrequenz.
 
Mund-, Nasen- und Rachenhöhle bedingen stehende Wellen mit Obertönen, Zunge und Wangen verändern die Resonanz; Vokale und Konsonanten werden erzeugt (Artikulation).
 
Die Großhirnrinde steuert das Atemsystem über Projektionen auf Neuronen im Atemzentrum, und auch direkt auf motorische Vorderhornzellen respiratorischer Muskeln (prämotorische Neurone).
 
Bei Störung dieser Kortexregionen kann es vorkommen, dass willkürliches Atemanhalten nicht möglich ist (respiratorische Apraxie).


Die wichtigsten Efferenzen aus dem Atemzentrum sind
 
     Fasern zu motorischen Vorderhornzellen der Atemmuskulatur (somatomotorische Atmungssteuerung)
 
     Bronchomotorische Neurone (Anpassung der Bronchienweite an die Situation: Dilatation bei verstärkter (niedriger Strömungswiderstand), Konstriktion bei ruhiger Atmung (Reinigung)
 
     Neurone zu autonom-nervösen Zentren (z.B. Kreislaufzentrum: Respiratorische Arrhythmie)
  
Respiratorische Sinusarrhythmie
 
Bei Kindern und jungen erwachsenen Personen führt Einatmung über sinkenden intrathorakalen Druck, vorübergehend steigendem venösen Rückstrom zum Herzen und Aktivierung von Mechanorezeptoren zu inspiratorischer Tachykardie (und exspiratorischer Bradykardie). Resultat ist ein atemsynchrones Oszillieren der Herzfrequenz: Respiratorische Arrhythmie.

Respiratorische Arrhythmie und Blutdruckschwankungen (II. Ordnung): Infolge Verknüpfungen von atmungs- und kreislaufwirksamen Neuronengruppen im Hirnstamm sind Blutdruck und Herzfrequenz mit der Atemphase verknüpft. Dies ist im Ruhezustand besonders bei Kindern und Jugendlichen sowie körperlich gut trainierten Personen ausgeprägt: Bei Inspiration erhöht sich die Schlagfrequenz des Herzens (Abnahme der Parasympathikusaktivität), bei Exspiration sinkt sie ab (Aktivität der auf das Herz projizierenden Vagusfasern nimmt zu).
  
Die Herzfrequenz steigt bei Einatmung (RR-Intervall verkürzt) und sinkt bei Ausatmung (respiratorische Arrhythmie, durch schwankende parasympathische Aktivität vermittelt)
 
Der Blutdruck schwankt analog,
die Periodendauer liegt bei 3-5 Sekunden (Ruheatmung)

   
Respiratorische Sinusarrhythmie beruht auf Oszillationen parasympathischer (vagaler) Efferenzen zum Herzen (cholinerge Einflüsse auf den Sinusknoten erfolgen sofort: Abflachung des Schrittmacherpotentials, Hyperpolarisierung). Änderungen des Sympathikustonus machen sich erst im Laufe mehrerer Herzschläge bemerkbar, ihr Effekt wäre für die Einstellung einer Sinusarrhythmie zu langsam.
  
CO2, Hypo- und Hyperkapnie, Hypo- und Hyperventilation
 
Das Atemzentrum im Hirnstamm steuert sowohl Atemtiefe (und damit Atemzugvolumen) als auch Atemfrequenz nach Maßgabe verschiedener Messwerte im Körper, vor allem der Atemgaspartialdrucke, insbesondere des CO2.

     Der arterielle pCO2 beträgt etwa 40 (35-45) mmHg. Hyperkapnie ist eine Erhöhung (>45 mmHg),  Hypokapnie eine Erniedrigung des arteriellen pCO2 (<35 mmHg).

Für die Atemfrequenz gelten folgende Begriffe:

     Als Eupnoe bezeichnet man normale Ruheatmung. Tachypnoe ist eine erhöhte (≥20/min), Bradypnoe eine erniedrigte (<10/min) Atemfrequenz. Apnoe ist ein Atemstillstand.


 
Atemfrequenz
 
Säuglinge 40-50 / min  ...  Schulkinder 20-30 / min  ...  Erwachsene 10-20/ min
-PNOE vs. -VENTILATION: Oft werden die Begriffe "Hyperventilation" und "Hyperpnoe" einerseits, "Hypoventilation" und "Hypopnoe" andererseits einfach im Sinne gesteigerter bzw. verminderter Atemtätigkeit verwendet. Dabei ist der Bezugswert die normale Ruheatmung. Man sollte aber unterscheiden: Die Endigung "-pnoe" bezieht sich lediglich auf das geatmete Volumen, ohne Rücksicht auf die Stoffwechselsituation bzw. -Notwendigkeit; die Endigung "-ventilation" hingegen bezieht sich auf Letzteres.

Beispiel: Eine Person steigert zu Beginn einer körperlichen Leistung ihre Atmung (Hyperpnoe), aber nicht genug, um eine sich aufbauende respiratorische Azidose vollständig zu kompensieren (Hypoventilation).
  
Hyperpnoe bedeutet gesteigertes, Hypopnoe herabgesetztes Atemzeitvolumen (in Bezug auf die Ruheatmung)
 
Unter physiologischen Umständen haben Änderungen des Kohlendioxid-Partialdrucks (pCO2) im Blut den stärksten Effekt auf die automatische Steuerung der Atmung aus dem Hirnstamm (
Abbildung):
 

Abbildung: Chemorezeptiver Reflexeffekt der Atemgase (körperliche Ruhe) im Vergleich
Nach einer Vorlage in H. Hinghofer-Szalkay: Praktische Physiologie, 3. Aufl. Blackwell Berlin 1994

Hypokapnie kann zu vorübergehendem Atemstillstand, Hyperkapnie auf ~70 mmHg zu ~10facher Ventilationssteigerung führen. Die respiratorische Antwort auf Azidose oder Hypoxie ist vergleichsweise geringer.
 
Die hier gezeigten Kurven stellen durchschnittliche Reaktionen der Atmung auf akute Änderungen der auf der Abszisse angegebenen Blutwerte dar. Sie können durch adaptive Veränderungen stark verlagert sein, z.B. bei Höhenanpassung.
 
Die primäre Änderung der neuronalen Afferenzen von Chemorezeptoren kann wesentlich ausgeprägter sein, z.B. ist die Aktivität der Glomus-caroticum- Zellen schon bei einer Reduktion des Sauerstoffpartialdrucks auf 50 mmHg um ein Mehrfaches höher als bei 100 mm Hg. Der Atemantrieb bei Hypoxie wird aber gleichzeitig durch die Hypokapnie, die sich durch vermehrte Atmung ergibt, gedämpft.
 
Der Gesamteffekt  ist das Resultat mehrerer Regelungskomponenten, die sich gegenseitig beeinflussen


Während eine Halbierung des arteriellen pO2 von ~90 auf ~45 mmHg die Atmung von ~5 auf ~10 l/min verdoppelt, steigert ein Anstieg des
arteriellen pCO2 von 40 auf 50 mmHg die Atmung von ~5 auf ~40 l/min, was einer Verachtfachung entspricht.
 
Schon geringgradige Zunahmen des arteriellen pCO2 steigern die Atmung deutlich (bis zu ~70 mmHg - bei noch höheren Werten nimmt die Atmung wieder ab)
 
Die
Empfindlichkeit des Atemzentrums auf Hypoxie hängt u.a. vom arteriellen
CO2-Partialdruck (paCO2) ab: Mit steigendem paCO2 nimmt die Atmung als Funktion eines sinkenden paO2 immer mehr zu. Das bedeutet, dass die Atmung bei Hyperkapnie (respiratorischer Azidose) zunehmend empfindlich auf einen Sauerstoffmangel mit gesteigertem Atemantrieb reagiert ( Abbildung unten).

D
ie Empfindlichkeit des Atemzentrums auf Hyperkapnie hängt wesentlich von mehreren Begleitfaktoren ab, wie pH-Wert im arteriellen Blut, Muskelaktivität, Schlaf, Sauerstoffpartialdruck oder Medikamenten ( Abbildung):
 

Abbildung: Einfluss von Begleitfaktoren auf die Atmungskurve (=Ventilation in Abhängigkeit vom pACO2)
Modifiziert nach einer Vorlage bei Koeppen / Stanton: Berne and Levy's Physiology, 6th ef. 2008, Mosby / Elsevier

Die Abbildung zeigt, wie die Kennkurven des Atemantriebs von den jeweiligen Randbedingungen beeinflusst sind.
  
Die Empfindlichkeit auf Erhöhung des Kohlendioxidpartialdrucks im Blut steigt bei Hypoxie, Azidose und körperlicher Belastung; sie nimmt im Schlaf leicht, bei Einfluss von Narkotika oder Anästhetika stark ab



Hypoxie und Azidose haben eine "Linksverschiebung" der Atmungskurve zur Folge, d.h. der Atemantrieb steigt schon bei niedrigerem pCO2 an. Umgekehrt regt ein Hypoxiereiz (Glomusrezeptoren) bei niedrigem pCO2 erst später die Atmung an.

Das hat z.B. zur Folge, dass nach wiederholtem tiefem Durchatmen vor einem Tauchgang die während des Tauchens auftretende Hypoxie wegen der zuvor induzierten
Hypokapnie erst spät zu Gefühl des Sauerstoffmangels und Atemnot führt und die Person unter Umständen bewusstlos wird, bevor sie wieder auftauchen und Luft schöpfen konnte.

Starke metabolische Azidose (z.B. diabetische Ketoazidose) führt zu
respiratorischer Kompensation in Form vertiefter Atmung bei normaler Atemfrequenz (Kußmaul-Atmung, Azidoseatmung). Dadurch werden die CO2-Werte im Blut erniedrigt. Die akute Reaktion auf die metabolische Azidose wird von peripheren Chemorezeptoren ausgelöst, mit Verzögerung schalten sich die zentralen Chemorezeptoren dazu (nach Einsetzen einer metabolischen Azidose sinkt der pH-Wert im liquor cerebrospinalis mit Verzögerung und weniger stark als im Kreislauf).
 
Wie sieht der kombinierte Effekt verschiedener Atemgaswerte auf die Ventilation aus? Die folgende
Abbildung zeigt, wie sich einerseits unterschiedliche Grade von Sauerstoffmangel auf die Kennkurve des CO2-bedingten, andererseits Variationen des alveolären pCO2 auf die Kennkurve des sauerstoffbedingten Atemantriebs auswirken:
 

Abbildung: Gesamtreaktion der Atmung auf Atemgasänderungen
Nach einer Vorlage in Boron / Boulpaep: Concise Medical Physiology, Elsevier 2021

Links: Ventilation als Funktion des pCO2 bei unterschiedlichem alveolärem pO2. Bei erniedrigtem Sauerstoffpartialdruck reagiert das System zunehmend empfindlich auf steigenden pCO2 in den Alveolen: Sowohl die Intensität der Atmung (Kurven rücken nach oben) als auch die Steilheit der Kennkurve (Dreiecke) nimmt mit dem Grad der Hypoxie zu.

Rechts:
Ventilation als Funktion des pO2 bei unterschiedlichem alveolärem pCO2. Hyperkapnie intensiviert den hypoxiebedingten Atemantrieb (blaue Kurve: alveolärer pCO2 44 mmHg, grüne Kurve 49 mmHg). Strichlierte rote Kurve: Sauerstoffpartialdrucke >60 mmHg (leicht hypoxischer und normoxischer Bereich) haben bei normalem / niedrigem alveolärem CO2-Partialdruck (hier 36 mmHg) keinen atemantreibenden Effekt. Der Atemantrieb nimmt dann erst bei starker Hypoxie (alveolärer pO2 <50 mmHg) zu, wie bei Aufenthalt in großer Höhe


Diese Kurven gelten für Bedingungen körperlicher Ruhe und in Abwesenheit allfälliger weiterer Einflussgrößen auf den ventilatorischen Antrieb. Muskelbelastung stellt eine eigene Quelle der Atemanregung dar:

      Muskelaktivität hat unter allen Atemantrieben die stärkste Wirkung. Einen intensiven Effekt auf die Abhängigkeit der alveolären Ventilation vom pCO2 im Blut hat körperliche Belastung. Bei Muskelarbeit muss die Ventilation ausreichend (bis ~20fach) steigen, ohne dass der arterielle pCO2 wesentlich vom Normbereich abweicht ( Abbildung).

    Das bedeutet, dass die Kennkurve der pCO2-abhängigen Ventilation nach oben verschoben ist; z.B. auf eine alveoläre Ventilation von 120 l/m bei starker Belastung statt 5 l/min in Ruhe, beides bei einem arteriellen Kohlendioxidpartialdruck von ~40 mmHg.
 
     Die
pCO2 -abhängige Atemregulation funktioniert bei physischer Belastung nach wie vor (Hyperkapnie steigert, Hypokapnie bremst die Atmung), aber auf sehr verschiedenen Ventilationsniveaus.

Der Anstieg der Ventilation bei körperlicher Belastung erfolgt in drei Phasen:

  
  Die erste ("neurologische") Phase tritt sofort mit Beginn der Muskelarbeit auf, bevor sich das Atemgasmuster im Blut noch verändern konnte. Es kommt sogar vorübergehend zu Hyperventilation, Hypokapnie und respiratorischer Alkalose (die Atmung steigt rascher an als der metabolische Bedarf der aktiven Muskulatur). Vielleicht stellt dies einen antizipatorischen Mechanismus dar ("Mitinnervation" des Atemzentrums durch motorische Efferenzen), auch könnten Afferenzen von Mechanorezeptoren aus dem Bewegungsapparat eine anregende Rolle spielen.
 
Mitinnervation des Atemzentrums kann schon vor Beginn einer körperlichen Belastung die Atmung anregen (Hyperpnoe)
 
     Die zweite ("metabolische") Phase zeigt eine dem erhöhten Sauerstoffverbrauch bzw. der Kohlendioxidproduktion linear proportionale Atemsteigerung. Die Partialdruckwerte der Atemgase im arteriellen Blut bleiben stabil im Normbereich (exercise hyperpnea). Wie die Rückkopplung funktioniert, ist unklar ("Metaborezeptoren" in den Muskeln?), da ja die Partialdruckwerte nicht vom Normbereich abweichen.

  
  Die dritte ("kompensatorische") Phase tritt auf, wenn der Nachschub an Sauerstoff den Bedarf der Muskeln nicht mehr vollständig abdecken kann. Der Stoffwechsel weicht auf anaerobe Energiegewinnung aus, es entsteht vermehrt Laktat, und es tritt Azidose auf. Die Atmung nimmt dadurch stark zu - bezogen auf den Sauerstoffverbrauch steiler als in der metabolischen Phase - mit dem Ziel, diese nicht-respiratorische Azidose zu kompensieren (daher der Name).
 
     Hyperventilation ist eine Atemform, bei der mehr Kohlendioxid abgeatmet wird als der Körper produziert, wodurch der arterielle pCO2 absinkt (auf unter 35 mmHg: Hypokapnie) und folglich eine respiratorische Alkalose auftritt (da der Körper mehr saure Valenzen verliert als produziert).

Hyperventilation → Hypokapnie → respiratorische Alkalose

     Umgekehrt ist Hypoventilation eine Atemform, bei der weniger Kohlendioxid abgeatmet wird als der Körper produziert, wodurch der arterielle pCO2 ansteigt (auf über 45 mmHg: Hyperkapnie) und eine respiratorische Azidose auftritt (da der Körper mehr saure Valenzen bildet als abgibt).

Hypoventilation  →  Hyperkapnie  →  respiratorische Azidose

s. auch dort

     Zur hypoxiebedingten pulmonalen Vasokonstriktion (Euler-Liljestrand-Mechanismus) s. dort
 
     Zu Druckwerten in a. pulmonalis / vv. pulmonales s. dort



Bei Ausfall von Koordination und Reflexen, bei Bewusstlosen und in Narkose, besteht die Gefahr der Aspiration (z.B. von Erbrochenem) in die Luftwege und nachfolgender Lungenentzündung (Aspirationspneumonie). Dies kann durch tracheale Intubation verhindert werden.

Herabgesetzte Empfindlichkeit auf die
CO2-Spannung führt zu “Aufschwingen” der Atemregulation mit periodisch abwechselnder Apnoe und Hyperventilation. Schwere Schädigung des Hirnstamms (Sauerstoffmangel, Einklemmung) führt zu veränderter Atemform, z.B. Maschinenatmung (starre Atmung mit gleich bleibender Frequenz und Tiefe) oder, noch ernster, Schnappatmung (Verharren in Ausatemlage, gelegentlich sehr tiefe Inspiration).

  
  Bewusstlose, aber spontan atmende Patienten, die einen chronisch erhöhten pCO2 aufweisen, bedürfen des Atemantriebs über den pO2-Mechanismus. Zufuhr von Sauerstoff nimmt ihnen diesen (hypoxischen) Stimulus und kann zu Atemstillstand führen. In solchen Fällen ist eine künstliche Beatmung lebensnotwendig.
 
Bestimmte zentralnervöse Erkrankungen können die spontan-rhythmische Aktivität im Atemzentrum unterbinden; die willkürliche Kontrolle kann dabei erhalten bleiben ("Undine's Fluch" : Schlafapnoe - Ausfall der willkürlichen Atemsteuerung kann zum Ersticken führen).

     Besteht eine Hyperkapnie über längere Zeiträume, adaptiert das Gehirn und es ist nicht mehr CO2 sondern Hypoxie der primäre Atemantrieb. Zusätzliche Sauerstoffzufuhr kann dann den Atemantrieb stark reduzieren, der damit einhergehende weitere Anstieg des pCO2 vergiftet respiratorische Neurone und kann Apnoe bewirken. Bei betroffenen (schwer lungenkranken) Patienten kann Erhöhung der Sauerstoffzufuhr auf diese Weise tödliche Folgen haben.
 

 
     Die Atmung wird durch zentrale Impulse und Reflexe gesteuert. Etwa 20% der Vagusfasern sind respiratorische Afferenzen von respiratorischem Epithel, Muskel- und Sehnenspindeln, Fibroblasten, Immunzellen. Erfasst werden Gaszusammensetzung, mechanische (langsam adaptierende: SARs, rasch adaptierende Rezeptoren: RARs) und chemische Information (Irritantien), Temperatur, Sinnesreize, sowie Viren, Bakterien, Pollen, Staub. Zytokine, Wachstumsfaktoren, biogene Amine, Prostaglandine, ATP, H+ aktivieren afferente Neuronen. Impulse laufen zum nucl. tractus solitarii und zur Nachbarschaft gereizter Zonen. Die zentrale Verarbeitung der Signale aus dem Respirationssystem erfolgt über Hirnstamm (nucl. tractus solitarii) → Thalamus → Insel, motorischen und somatosensorischen Kortex, posterioren Parietalkortex, orbitofrontalen Kortex. Beeinflusst werden Atmung, Bronchienweite, Sekretion, Durchblutung, zentrale Projektionen (Hustenreflex, Dynpnoe)
 
      Zentrale Chemorezeptoren in der medulla oblongata messen pCO2 und pH-Wert im liquor cerebrospinalis, periphere arteriellen pO2, pCO2 und pH. In den glomera (carotica, aortica) sind die Hauptzellen (Typ I) chemosensitiv (Typ II-Zellen Glia-ähnlich). Glomera haben die höchste spezifische Durchblutung aller Gewebe im Körper (~40mal höher als im Gehirn), im gesamten Organ herrschen arterielle Partialdruck- und pH-Werte. Glomuszellen enthalten Transmitterstoffe (Acetylcholin, Dopamin, ATP, Noradrenalin, Substanz P, Metenkephalin), die sie bei Stimulation freisetzen; diese kontrollieren die Aktionspotentialfrequenz der afferenten Fasern des Sinus- bzw. Aortennerven. Niedriger pO2 (Hypoxie), hoher pCO2 (Hyperkapnie) und niedriger pH-Wert (Azidose) schließen Kaliumkanäle, die Depolarisation öffnet spannungsgesteuerte Calciumkanäle, erhöhtes intrazelluläres [Ca++] setzt Dopamin frei, erhöhte Aktionspotentialfrequenz afferenter Fasern im N. glossopharyngeus (von Carotis) bzw. vagus (von Aorta) regen die Ventilation an
 
      Langsam adaptierende Dehnungsrezeptoren im Lungengewebe begrenzen über vagale Afferenzen die Inspiration (Hering-Breuer- Reflex). Rasch adaptierende Dehnungsrezeptoren im Bronchialbaum vermitteln Irritationsreize (z.B. plötzliche Weitung der Alveolen); diese Rezeptoren sind sehr empfindlich auf Mediatoren und Reizstoffe. In der Wand der Alveolen und Atemwege befinden sich juxtakapilläre ("J-") Rezeptoren, die auf Irritationen reagieren und Bronchokonstriktion, Schleimsekretion, flache und rasche Atmung auslösen. Rezeptoren in Muskeln, Sehnen, Gelenken stimulieren bei Belastung die Atmung (Vorwärtskopplung)
 
      Rhythmusgenerierende Neuronen in der medulla oblongata erzeugen spontane Impulsfolgen, inspiratorische (dorsal) und exspiratorische Neuronen (ventrolateral) hemmen einander wechselseitig. Ergebnis ist die rhythmische Aktivierung der Inspirationsmuskeln. Ein Teil der ventralen Neuronengruppe (Prä-Bötzinger-Komplex) ist vermutlich der eigentliche Schrittmacher der Atemrhythmik. Auf diese Neuronengruppen wirken zahlreiche rückgekoppelte (aus Atemmuskulatur, Atemwegen) und nicht-rückgekoppelte Impulse (aus Kortex, limbischem System, Hypothalamus). Vom Gehirn ausgehende Mitinnervation verstärkt die Atmung schon mit beginnender Muskelaktivität. Weitere Einflüsse sind Pressen, Niesen, Husten, Schlucken, Sprechen. Die wichtigsten Efferenzen aus dem Atemzentrum sind somatomotorische (Atmungssteuerung), bronchomotorische, kardiovaskuläre (z.B. respiratorische Sinusarrhythmie durch Oszillation parasympathischer Efferenzen zum Herzen)
 
      Eupnoe ist normale Ruheatmung, Tachypnoe erhöhte (>16/min), Bradypnoe erniedrigte (<12/min) Atemfrequenz, Apnoe Atemstillstand; Hyperpnoe bedeutet gesteigertes, Hypopnoe herabgesetztes Atemzeitvolumen. Hyperventilation → Hypokapnie → respiratorische Alkalose, Hypoventilation  →  Hyperkapnie  →  respiratorische Azidose. Hypokapnie kann zu vorübergehendem Atemstillstand, Hyperkapnie auf ~70 mmHg zu ~10facher Ventilationssteigerung führen. Die respiratorische Antwort auf Azidose oder Hypoxie ist vergleichsweise geringer. Die Empfindlichkeit des Atemzentrums auf Hypoxie hängt vom arteriellen pCO2 (steigt bei Hyperkapnie), die auf Hyperkapnie vom arteriellen pO2 ab (steigt bei Hypoxie). Muskelaktivität hat unter allen Atemantrieben die stärkste Wirkung (Ventilationssteigerung bis ~20fach) und erfolgt in drei Phasen: Eine neurologische (Mitinnervation), metabolische (Muskelbelastung) und kompensatorische (Azidose)
 
      Die Atemwege sind vegetativ innerviert: Die Bronchien vorwiegend parasympathisch (Bronchokonstiktion, Schleimbildung); sympathische Fasern innervieren Gefäße und Drüsen. Adrenalin erniedrigt den Atemwegwiderstand über relaxierende Wirkung von ß2-Adrenozeptoren an der Bronchialmuskulatur. Auch Mastzellen haben ß-Rezeptoren, Katecholamine hemmen deren Mediatorfreisetzung und steigern die mukoziliäre Clearance. NANC-Nerven setzen VIP und NO frei und wirken bronchodilatierend
 

 




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