Bildbetrachtung der Akt der Decodierung: Brussels is NDR GRND in der Galerie Böhner in der Schwetzinger Vorstadt

Den Stammgästen der Galerie werden die Werke der Künstler, die Sie hier sehen, vertraut vorkommen, handelt es sich doch um die Gruppe, die bereits im Februar dieses Jahres mit ihren Werken hier vertreten war. Brüssel NDR GRND hat nichts mit dem Norddeutschen Rundfunk zu tun, sondern steht für die Ausstellergemeinschaft Brüssel Underground. 

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Jeder dieser 11 Kunstschaffenden, deren Werke Sie heute hier sehen, ist auf seine Weise individuell, aber auch mit den Ideen der Gruppe verbunden, deren Hauptmerkmal zu sein scheint, die

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Ikonographie der Kunstgeschichte mit der Zeichensprache der Gegenwart, wie sie uns in europäischen Metropolen wie Brüssel begegnet, zu verbinden.

Bildbetrachtung ist hier ein Akt der Decodierung und Decodierung erfolgt via Rekonstruktion mit den Mitteln der Kunst. Dies fängt schon bei der kryptischen FlickrSprache des Ausstellungstitels an – Brüssels is

NDR GRND, vervollständigt zu „Brüssel is Underground“. Um Underground geht es hier, um das Wesen hinter dem ephemer flickrnden Sichtbaren, das es künstlerisch nicht nur zu entschlüsseln, sondern auch zur Erscheinung zu bringen gilt.

Nimmt man diese Beschreibung als verbindlichen Rahmen bei Brüssel Underground, so fallen zwei Künstler deutlich daraus heraus: Zum einen ist dies Marie Laure Damas, denn sie arbeitet mit dem sehr archaischen Material Ton, das sie nach der alten japanischen Raku-Technik bearbeitet. Daraus schafft sie exotische Kriegerköpfe, was natürlich auf die koloniale Vergangenheit hinweisen könnte. Diese Absicht erscheint allerdings als reine Spekulation. Somit sind diese Köpfe als Ausformungen ästhetischer Ideen zu betrachten, die letztendlich in der kriegerischen Bemalung deutlich wird – auch eine Art Graffiti, wenn man so will, wie es in den Arbeiten der Brüssler Künstler hier oft vorkommt.

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Die zweite Ausnahmererscheinung ist Yves Eric Deboey, der seine Namen mit dem Pseudonym2Boys signiert, was die Aussprache leichter macht. Hier in der Ausstellung sehen sie eine Arbeit, die sich mit dem wirkungsvollen Wechselspiel zwischen Grautönen und Pink beschäftigt, die im Wechselspiel einen schillernden, flimmernden Effekt ergeben. Im Gegensatz zu den emblematischen Arbeiten, die wir bei der letzten Ausstellung hier gesehen haben, beschränkt er sich hier formal auf monolithische Blöcke, die einen besonderen optischen Effekt ergeben, der aus jedem Blickwickel heraus verschieden wirken kann.

Am deutlichsten ist dies in den Fotografien von Fernand Quino zu spüren, bei denen Ãœberblendungen sichtbar werden. Dadurch entstehen

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in einem fotografischen Werk Verbindungen unterschiedlicher Bedeutungsschichte, die sich isoliert betrachtet, ambivalent zueinander verhalten.

Mindestens eine dieser Schichten besteht dabei aus Aufnahmen von Graffitis, die eine Art Muster bilden, welches sich über das Bild legt. Innerhalb dieses Rasters sehen wir nachgestellte Szenen aus der christlichen Überlieferung: Hier der Sündenfall, der in der Interpretation von Fernand Quino wie eine Parodie auf den Sündenfall der biblischen Überlieferung erscheint, dort der Tanz der Salomé, bei dem sich ein echtes Model aalt, vor sich der Kopf des Täufers, den sie als Lohn für ihren erotischen Tanz von Herodes forderte.

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Der ziemlich veränderte Bezug auf die literarische Grundlage ist hier keinesfalls Selbstzweck, es geht offenbar um etwas anderes, denn ganz offensichtlich löst Quino die tradierten Formen durch die farbliche Verfremdung auf und fokussiert die Pose, die so eine überzeitliche und überindividuelle Bedeutung erhält.

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Vincent Peal dagegen wendet sich in seinen Arbeiten den gesellschaftlichen Randgruppen zu, die im Dschungel der Großstädte ihre eigenen Lebensformen entwickelt haben. Im Stil von Diane Arbus, allerdings mit dem technischen Equipment des Fotografen wie es heute zur Verfügung

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steht, fokussiert er die skurrile Faszination solcher Typen, die am Rande der Zivilisation hausen. Es steckt natürlich auch viel Zeitkritik dahinter.

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Unschwer zu erkennen ist dies bei der Abbildung einer Süchtigen, die mit anderen Bildern überblendet wurde, Graffitis, die durch ihren lesbaren Inhalt die Darstellung mit Bedeutung aufladen und den Verfall beklagen.

Eine ebenfalls kritische Betrachtungsweise der Alltagserscheinungen ihrer Gegenwart gewahrt man bei der Fotografin Raphaelle Schotsmans, die vor allem Teenies im Blick hat, die sich wie erwachsene junge Frauen kleiden und dabei sehr viel Wert auf ihr Sexapeal legen, wie durch deren Posen unschwer zu erkennen ist.

Dieses Rollenspiel wird jedoch durchbrochen, denn die genauerer Betrachtung macht deutlich, wie unsicher sich die Mädchen in ihrer Rolle verhalten, wie krass der Widerspruch ist, der hier zwischen Selbstbild und vermeintlichem Rollenbild besteht.

Der Fotografin geht es nach eigenem Bekunden vor allem darum, den offensichtlichen Gegensatz zwischen jener Art der Kostümierung und dem altersmäßigen Verhalten dieser Mädels darzustellen. Die

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Ikonographie der vermeintlichen Freiheit mutiert hier zum offensichtlichen Anpassungszwang, dessen Taktung von den rasch wechselnden Ikonen der Medienwelt vorgegeben wird. Als Symbole einer Gegenwelt erscheinen demgegenüber die Reproduktionen Werken Boteros, der einer ganz anderen Art Weiblichkeit huldigte als die, die bei den abgebildeten Teenies als cool gilt.

Dass Kleider Leute machen ist auch ein Thema, mit dem sich der Maler Jeff Damas beschäftigt. Er scheut sich nicht davor, junge Menschen mit Down Syndrom zu Modellen zu machen.

Bei seinen Frauenbildern wirkt dadurch die erotische Pose leicht verändert, animalisch und befremdlich, irgendwie zwiespältig auf den Betrachter, offenbar weil man diesen Menschen Sexualität nicht zubilligen möchte, da dies den Vorstellungen vom gesellschaftlichen Rollenbild widerspreche.

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Komisch hingegen wirkt es dann, wenn eine Person mit skurriler Mimik und merkwürdigem Aussehen in einem Bischofshabit erscheint. Doch nimmt der feierliche Rahmen, der durch die virtuos gehandhabte Peinture noch unterstrichen wird, der ganzen Szene ihre Peinlichkeit. Vielleicht steckt hierin auch der Sinn, warum mancher Bischof so viel Geld für Prunk ausgibt. Bezüge zu aktuellen Ereignissen lassen grüßen.

Zum Thema der besonderen Gestik, respektive Bewegung, hat auch Philibert Delecluse einiges zu sagen. Er inszeniert seine Sujets, indem er Modelle aufbaut und spielerische Welten kreiert. Dabei benutzt er die berühmten Kunststofffiguren, wie sie immer noch bei den Kindern in Mode sind und bei Modelleisenbahnlandschaften oft vorkommen. Sie zeichnen sich durch die .

Steifheit ihrer Posen aus, durch die sie sich deutlich von realen Lebewesen unterscheiden. Es ist natürlich beim Malen raffiniert, diesen eingefrorenen Bewegungen eine besondere Betonung zu verleihen. Philibert Delecluse versucht, diesem Eindruck so nahe wie möglich zu kommen. Deshalb fotografiert er die Figuren und malt sie nach der Fotografie um sie so genau wie möglich zu erfassen

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Standen bei den bisher genannten Künstlern Menschwesen im Vordergrund, so geht es bei den beiden folgenden um Orte, Landschaften oder Räume: 

Jean-Marc Aloy sucht besondere Räume auf, Hallen oder skurril anmutende Innenräume. Dabei macht er durch das Licht, das in den Raum eindringt, bewusst, dass, dass dieser Raum, in den wir visuell eindringen, in eine Welt eingebunden ist, in die er sich jederzeit wieder auflösen kann. Dieser temporäre Charakter des Raumes ist noch zusätzlich unterstrichen durch die sichtbaren Spuren des Zerfalls. Aber zu diesem Zerfall tritt die Figur eines Mädchens, das prinzessinnenhaft ausstaffiert verloren in diesem Raum sitzt. Dadurch erhält dieser Raum eine zusätzliche Bedeutung und fordert die erzählerische Phantasie des Betrachters geradezu heraus. Wie passt ein solcher Engel in so einen Raum? Handelt es sich hier um ein Verbrechen, zu dessen Zeugen der Fotograf den Betrachter zwangsläufig macht oder geht es hier um eine geisterhafte Erscheinung. Die Szene schwebt in einer Ambivalenz, was wohl auch in der Absicht des Fotografen, der sie inszeniert hat, lag.

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Roger van Vooren, ebenfalls Fotograf, hat Räume im Fokus, die in seinen Bildern als vergängliche Phänomene erscheinen. Spuren, die von ihrer vormaligen Relevanz zeugen, aber langsam verblassen. Gebäude, die einst feste Bestandteile einer Lebensstruktur waren und sich jetzt, im Vorübergehen kaum wahrnehmbar, in ihrer Substanz auflösen oder in anderer Funktion einen neuen Sinn erhalten.

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André Fromont erzeugt durch Ãœberbelichtung Votivbilder, deren Elemente auf eine Religion Bezug nehmen, deren Inhalte wir nicht kennen. Er fotografiert Malerei im Stil der Nazarener und verbindet diese Bildeindrücke mit überbelichteten Szenen, von denen wir nicht wissen, wie sie in den Bildkanon, der uns hier als eine Art Installation offeriert wird, einzuordnen sind. Diese Zuordnung ist dem Betrachter überlassen, der dabei nur seiner Phantasie zu folgen braucht, um sich hier einen Reim darauf zu machen.

Eine ganz gewichtige Rolle in der Ausstellung spielt hier, wie schon das letzte Mal das Rosbud Project von Jeep Novak.

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Es geht hier um die Verbindung zwischen Sprache und Vorstellung im digitalen Zeitalter, die universell präsent ist, um die bildhafte „Claude“, in der wir leben, um die permanente Präsenz von Bildern und digitaler Worte, die analoge Sprache und nicht digitalisierte Vorstellungen zu einem Randphänomen werden lassen. Diese Gefährdung des Lebensraums durch die Geschwindigkeit, bei der die Worte „Bildhaft“ werden und unser Bewusstsein überfordern, bringt Jeep Novak in seinem Rosebud-Projekt zum

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Ausdruck, das mir wie ein Verweis auf den Orson Wells Jahrhundertfilm „Citicen Kane“ erscheint, bei dem ein Kinderschlitten der Marke „Rosebud“ Anfang und Ende des „american dream“ markiert. Alle Entscheidungen dazwischen, die den Erfolg und den Niedergang des Protagonisten prägten, erscheinen unbedeutend, periphär.

„The only thing standing between you and me ist the reality“, dieser Satz taucht kurz eingeblendet zwischen den rasch weiterspringenden Bilden auf und problematisiert Realität als beliebiges Konstrukt im digitalen Zeitalter, das hervorgerufen und zum Verschwinden gebracht werden kann. Der Demiurg ist hier die Maschine, die sich selbst füttert und über die das Subjekt immer mehr Macht verliert.

Text: Dr. Helmut Orpel
Fotos: Gerold Maier

Die Ausstellung dauert bis zum 7. Februar 2015
Öffnungszeiten: Di-Fr 15-19 Uhr, Sa 11-15 Uhr 
sowie nach Vereinbarung
Ausstellungsraum:
Galerie Böhner
Schwetzinger Strasse 91
D-68165 Mannheim
fon 0049 (0) 177 400 6 222

Kontakt:
Galerie Böhner
Gerold Maier Marketing
G 7, 7, D-68159 Mannheim
fon/fax 0049 (0) 621 - 1566570
www.galerie-boehner.de,

www.kunst-spektrum.de

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