Wer sich auf den Wochenmarkt stellt, um dort hausgemachtes Pflaumenmus oder Himbeergelee zu verkaufen, der muss seinen Kunden nichts weiter erläutern. Jeder weiß, wie so etwas schmeckt. Carolina Dittrich-Schulz und ihr Mann Sven haben es da schwerer. Die beiden nennen sich „Wildobstspezialisten“ und bieten Konfitüre und Likör aus Früchten an, die viele Marktbesucher gar nicht erst für genießbar halten.
„Wir hören schon öfters mal -
Holunder, das ist doch giftig!“,
erzählt die gelernte Gartenbauingenieurin Carolina Dittrich-Schulz. Auch bei der Vogelbeere zuckt mancher zurück. Womöglich, weil er schon als Kind von seinen Eltern davor gewarnt wurde, die korallenroten Früchte auch nur anzurühren. Das Wissen darüber, was man gefahrlos essen kann, endet für die meisten am Zaun ihres Kleingartens. Für viele ist sogar die Tatsache überraschend, dass Rosenblüten und Hagebutten von ein und derselben Pflanze stammen.
Familie Dittrich-Schulz wohnt in
Dreiskau-Muckern, einem Dorf bei Leipzig, das um ein Haar den Braunkohlebaggern zum Opfer gefallen wäre. Der Rand des Tagebaurestlochs, das sich gerade zum Störmthaler See füllt, ist heute ein ergiebiges
Sammelgebiet für die Konfitürenmacher. Hier wuchern wilde Brombeeren, hier stehen Holunder, Sanddorn,
Vogelbeere, Schlehdorn. An den Rosensträuchern leuchten dunkelrote Hagebutten. Mittendrin liegt eine Streuobstwiese mit einigen knorrigen Apfel- und Birnbäumen, zwei Quittenstämmchen und einer Schafherde. „Wir holen unser Wildobst zum Teil aus dem eigenen Garten, bekommen es von Freunden und Bekannten, und wir sammeln natürlich in freier Natur“, sagt Carolina Dittrich-Schulz. Auf der Bank vor dem Hofladen der Familie steht eine flache Pappkiste, die mit sattroten Steinfrüchten gefüllt ist. „Das sind
Kornelkirschen“, erklärt Sven Schulz. Die Früchte kommen
von einem befreundeten sächsischen Gärtner, der sich für seltene Obstsorten begeistert. Für mehr als zehn Gläser Konfitüre reicht der Inhalt der Kiste allerdings nicht. Wildobstveredlung ist ein mühsames Geschäft.
„Einfach genial“ hat sich das gestern vor Ort zeigen lassen. Für unsere Sendung zum „Garten im Herbst“ drehten wir die Moderationshandlung am Hof in Dreiskau-Muckern. Moderatorin Ulrike Nitzschke war wieder auf dem Damm, an der Kamera stand Frank Menzel. Wir wollten den Zuschauern den Weg des Wildobstes vom Strauch
bis ins Schraubglas zeigen und dabei vielleicht auch ein wenig für das Renommee von Vogelbeere und Quitte tun.
Wenn man bei Wildobstspezialisten zu Gast ist, bietet das den schönen Vorzug, von berufener Seite die fachgerechte Herstellung einer Holunderkonfitüre vorgeführt zu bekommen. Noch besser ist, dass das gleiche Verfahren auf andere Wildobstsorten übertragbar ist. Ob nun Holunder oder Hagebutten - am Anfang steht die mühsame Aufgabe des Putzens und Auslesens. Carolina Dittrich-Schulze demonstrierte uns das. Beim Holunder werden die Früchte mit einer Gabel von den Dolden - Entschuldigung, den Schirmrispen - gezupft, allerdings dürfen unreife Früchte und Stängelreste
keinesfalls mit in der Schüssel landen. Bei der Hagebutte ist das Putzen noch weit mühsamer - nachdem der Blütenansatz abgetrennt wurde, wird die Frucht geteilt, um die Samen herauszuschieben. Für die Konfitüre nutzbar ist nur die rote Außenhülle. Von einem ganzen Korb zeitaufwändig gesammelter Früchte bleibt da frustrierend wenig.
Die nächste Zwischenstufe ist die Bereitung von Fruchtmark. Dazu werden die Holunderbeeren, die in Wirklichkeit natürlich keine Beeren sind, aber bei deren Beispiel ich jetzt einfach mal bleibe, sanft erhitzt, bis sie aufplatzen und ihren Saft freigeben. Anschließend werden sie durch ein Sieb gedrückt. Man erhält einen dickflüssigen Extrakt, den man ebenso gut zu Eis oder Sorbet weiterverarbeiten könnte, der aber sicher auch als Bestandteil einer Soße zu Wildfleisch geeignet wäre. Wir beschließen, für den Moment die zahlreichen anderen Möglichkeiten zu ignorieren und verfolgen weiter den Kurs zur Konfitüre.
Das Fruchtmark wird nun mit Pektin und Zucker - oder gleich mit Gelierzucker - aufgekocht. Der Rest ist hinreichend bekannt - Gelierprobe, Abfüllen in sterilisierte Gläser, Gläser auf den Deckel stellen. Carolina Dittrich-Schulz rät aber, sie so nur einige Minuten stehen zu lassen und nicht bis zu vollständigen Erkalten. Grund: Die gelierte Konfitüre bliebe sonst am Deckel hängen, und zwischen Glasboden
und Fruchtmasse würde sich eine Luftschicht bilden. Das sieht ein wenig seltsam aus und führt beim möglichen Konfitüren-Kunden zu Irritationen, die man als Obstveredler eigentlich vermeiden möchte.
Ach ja, Holunder ist übrigens tatsächlich giftig. Wenigstens ein bisschen. Also, ein ganz kleines bisschen. Und überwiegend eher in Zweigen und Blättern als in den Früchten selbst. Die machen auch nur dann Ärger, wenn sie roh gegessen werden. Der Inhaltsstoff Sambunigrin (von
Sambucus nigra, dem lateinischen Namen für den Schwarzen Holunder) verursacht bei manchen Menschen Erbrechen und Magenbeschwerden. Damit wäre Holunder weit weniger gefährlich als roh verzehrte
Bohnen.
Vogelbeeren sind, frisch vom Baum, noch um einiges harmloser. Sie wirken aufgrund der enthaltenen
Parasorbinsäure höchstens
abführend. Allerdings schmecken sie in diesem Zustand auch überhaupt nicht, und kein halbwegs vernunftbegabter Mensch würde daher kritische Mengen davon vertilgen. Das Kochen zerstört das Sambunigrin im Holunder und schließt auch die Vogelbeere so auf, dass sie genießbar wird.
Zum Abschluss des Drehtages in Dreiskau-Muckern wurde dann noch eine Flasche Sanddorn-Likör entkorkt. Ein feines Finale. Und der Mann vom Balkon brach heiter mit einem ehernen Prinzip. Jahrelang habe ich keine Konfitüre zugekauft. Diesmal ließ ich mir ein paar Gläser Wildfrucht-Aufstrich eintüten. Ist ja schließlich haus- und handgemacht.