Die Patek Philippe Calibre 89 – komplizierter geht es nicht


Es gibt Uhren, da fällt einem nicht mehr viel ein. Im besten Fall, weil man derart Respekt für die Leistung der Konstrukteure und Uhrmacher verspürt, dass einem die Worte fehlen.

Und auch wenn ich mich schon viele Jahre mit komplizierten Uhren beschäftige so passiert es mir doch ab und an, dass ich diese Sprachlosigkeit als Ausdruck meiner absoluten Begeisterung verspüre.

Bei Patek Philippe ist das häufiger der Fall und die Taschenuhr Calibre 89, die als Highlight zum 150. Jubiläum der Marke im Jahr 1989 präsentiert worden ist, fesselt mich schon seit  Jahren. Doch manche Mechanik braucht Zeit und für manche Mechanik brauche auch ich Zeit. Zeit der Beschäftigung mit der Uhr, den Funktionen, der Entwicklung und, am Ende dann, mit dem wunderbaren Gesamtergebnis.

Patek-Philippe-Calibre-89

Dieses Jubiläumsmodell mit seinen sagenhaften dreiunddreißig Komplikationen stellt die komplizierteste, je erdachte Uhr dar, die es gibt. Und selbst die Graves Supercomplication, der ich einen anderen Artikel gewidmet habe, sieht mit ihren 24 Komplikationen neben der Calibre 89 zurückhaltend aus. Wenngleich die Graves seinerzeit 1927 bis 1932 gänzlich ohne Computerunterstützung konstruiert und gefertigt worden ist.

Von der Calibre 89 gibt es vier Exemplare: je eines in Gelb-, Weiß- und Roségold und eines in Platin.

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In nackten Zahlen ausgedrückt vereint die ca. 1100 Gramm schwere Uhr in ihrem 89 mm großen und 41 mm hohen Gehäuse nicht weniger als 1728 Einzelteile und Anzeigen, die über 24 Zeiger die 33 Komplikationen dargestellt werden. Zum Vergleich: die Graves vereint 24 Komplikationen in 1580 Einzelteilen und die Patek Philippe Star Caliber 2000 ihre 21 Komplikationen in 1118 Einzelteilen. Selbst im Vergleich mit den anderen Superlativen des Uhrenbaus ragt die Calibre 89 weit heraus. Die Entwicklung der Uhr dauerte fünf Jahre, die Anfertigung weitere vier Jahre, insgesamt also 9 Jahre von der Idee bis zur Uhr.

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Die Taschenuhr Calibre 89 zeigt nahezu alles an, was man mittels mechanischer Anzeigen darstellen kann. Die folgenden Abbildungen sollen die Anzeigen und Komplikationen, aufgeteilt auf die zwei Zifferblätter, verdeutlichen

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Die vielfältigen Anzeigen im Detail:

  • Zeitanzeige der Stunden (2), der Minuten (13) wie auch der Sekunden (8)
  • Datumsanzeige (1)
  • Wochentagsanzeige (5)
  • die Mondphase (9)
  • Anzeige der Stellung der Aufzugskrone (10) bei Aufzug des Federhauses des Uhrwerks (B) und des Schlagwerks (R) und des Alarms (A)
  • vierstellige Jahresanzeige (11)
  • Schaltjahresanzeige (12)
  • Gangreserveanzeige des Uhrwerks (15)
  • Gangreserve des Schlagwerks (4)
  • Monatsanzeige (16)
  • Thermometer (18)
  • Stundenanzeige der zweiten Zeitzone (6)
  • Chronograph inkl. Anzeige der gemessenen Stunden (3), der gemessenen Minuten (14) und der gemessenen Sekunden (7) und dem Schleppzeiger für die Sekunden (17)
  • nicht nummeriert ist das kleine blaue Dreieck (zu erkennen zwischen 7 und 8 Uhr im obigen Bild), über welches die Alarmzeit des Weckers eingestellt wird, wenn die Aufzugskrone in der Stellung „A“ steht

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  • die Stundenanzeige (19), die Minutenanzeige (21) wie auch der Sekunden (24) der siderischen Zeitanzeige (Sternenzeit)
  • das Datum an Ostern (20)
  • Zeit des Sonnenaufgangs (22)
  • die Equation (23)
  • die Sternenkarte über Genf (25)
  • Sonnenzeiger (26)
  • Zeit des Sonnenuntergangs (27)

Einige Details der Zifferblätter:

Das erste Zifferblatt,

die vierstellige Jahresanzeige, die Schaltjahresanzeige, die Stellung der Aufzugskrone und die Datumsanzeige (teilweise zu erkennen)

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Der Stundenzähler des Chronographen und die Gangreserveanzeige des Schlagwerks (links) und der Minutenzähler des Chronographen und die Gangreserveanzeige des Uhrwerks (rechts)

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Das zweite Zifferblatt:

die Sternenkarte für Genf, die Anzeige des Datums von Ostern (links schräg oben), der Sonnenzeiger (golden, rechts) und der Minutenzeiger der siderischen Zeit (links unten); der Stundenzeiger der siderischen Zeit zeigt in Richtung „11 Uhr“

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die Anzeige von Sonnenauf- (links) und Sonnenuntergang (rechts), der Equation (unten, teilweise sichtbar) und der Sternenkarte (oben, teilweise sichtbar)

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Die Equationsanzeige und die Sekundenanzeige der siderischen Zeit

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Die Funktionen im Detail

Die Calibre 89 verfügt, wie bereits mehrfach erwähnt, über 33 Komplikationen, die in der Folge aufzählen möchte und einige davon auch näher erklären möchte.

Die Komplikationen im Einzelnen: (die normale Zeitanzeige gilt nicht als Komplikation im eigentlichen Sinne)

-die siderische Zeit (Sternenzeit) in Stunden, Minuten und Sekunden

-> der siderische Tag dauert exakt so lange, wie die Erde für eine 360 Grad-Umdrehung mit Bezug auf einen Fixstern benötigt; der siderische Tag ist gut vier Minuten kürzer als der Sonnentag

 

CFEDC245-EED6-404D-AC74-81BE1102D84C-die zweite Zeitzone

Sonnenaufgangszeit und Sonnenuntergangszeit für Genf

Equation

-> auch Zeitgleichung genannt; bezeichnet den Zeitunterschied zwischen der wahren Sonnenzeit und der mittleren Sonnenzeit, durch die elliptische Bahn der Erde um die Sonne und durch die Neigung der Erdachse ist die Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Bahn unterschiedlich, daraus resultiert eine Abweichung von etwa plus/minus 15 Minuten zwischen der wahren und der mittleren Sonnenzeit

Zeitgleichung

Tourbillon

-der Ewige Kalender mit der Anzeige von Wochentag, Monat, vierstelliger Jahresanzeige und Schaltjahresanzeige und Mondphasenanzeige, zusätzlich noch die exakte Anzeige des Osterdatums des aktuellen Jahres

-> das exakte Osterdatum schwankt; Ostern ist festgelegt auf den Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond; daher kann das Osterdatum zwischen dem 22. März und dem 25. April eines Jahres schwanken

Sonnenzeiger mit der Anzeige der Tierkreiszeichen, Tag- und Nachtgleiche, Sonnenwende, und Jahreszeiten

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-Anzeige des aktuellen Sternenhimmels über Genf (46° 11´ 59´´ N)

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Chronograph mit 12 Stunden-Zähler, 30 Minuten-Zähler, Sekundenzähler und Schleppzeiger-Sekunde

akustische Zeitanzeige über Grande Sonnerie, Petite Sonnerie, Minutenrepetition auf vier Tonfedern, welche die Noten C, E, A und B klingen lassen

-> Grande Sonnerie: automatischer Schlag der vollen Stunden und der Viertelstunden zu jeder Viertelstunde; die Funktion kann auch stumm geschaltet werden

> Petite Sonnerie: automatischer Schlag der vollen Stunden nur zu den vollen Stunden; zu den Viertelstunden werden nur diese geschlagen, ohne das die vollen Stunden zusätzlich ertönen (im Ggs. zur Grande Sonnerie)

die Umschaltung zwischen Grande und Petite Sonnerie geschieht über einen kleinen Schieber an der Gehäuseflanke

-> Minutenrepetition: Schlag der vollen Stunden, Viertelstunden und Minuten nach der letzten Viertelstunde auf Abruf durch Betätigung eines Schiebers an der Gehäuseflanke

Die Stunden werden durch Schläge auf die Tonfeder der Note E dargestellt; vier Uhr entspräche also dem Schlag E-E-E-E

Die Viertelstunden werden durch Schlagsequenzen auf alle vier Tonfedern dargestellt:

erste Viertelstunde: E-B-C-A

zweite Vietelstunde (oder halbe Stunde): E-C-A-B

dritte Viertelstunde (oder dreiviertel Stunde): E-A-B-C

Die Minuten werden durch Schläge auf die C-Tonfeder dargestellt

5 Uhr 51 Minuten entspräche also bei der Minutenrepetition der Schlagfolge:

E-E-E-E-E   E-B-C-A   E-C-A-B   E-A-B-C  C-C-C-C-C-C

Wecker 

-> die Einstellung erfolgt über die Aufzugskrone, Stellung „A“, und das kleine blaue Dreieck am Rand des ersten Zifferblattes; der Weckton wird über eine eigene Tonfeder angeschlagen

Gangreserveanzeige des Uhrwerks

Gangreserveanzeige des Schlagwerks

zwei getrennte Federhäuser für Geh- und Schlagwerk

Funktionsanzeige der Stellung der Aufzugskrone

Thermometer

-> Anzeige der aktuellen Temperatur zwischen minus zehn und plus 50 Grad Celsius

Das Uhrwerk Calibre 89

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Alle oben beschriebenen Funktionen und Komplikationen werden von dem aus 1728 Einzelteilen bestehenden Uhrwerk realisiert. Es verfügt über 126 Lagersteine und ist im Durchmesser 71,5 mm groß und 28,05 mm hoch. Sein Gewicht liegt bei 600 Gramm. Seine drei Platinen sind aus Neusilber gefertigt. Das Uhrwerk besitzt ein Tourbillon mit Gyromax- Unruh. 332 Schrauben, 184 Räder, 61 Brücken, 68 Federn und 24 Zeiger wurden ebenso verbaut wie weitere 429 mechanische Teile, die nicht näher benannt sind. Absolut beeindruckende Daten!

Ebene 1 mit Schlagwerkmechanismus, Mechanismus des Weckers, dem 12 Stunden-Zähler des Chronographen und den beiden Gangreserveanzeigen

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Und im Original

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Die zweite Ebene des Uhrwerks zeigt den Mechanismus der normalen Zeitanzeige, des Chronographen einschl. 30 Minuten-Zählers und das Tourbillon (erkennbar bei 8 Uhr). Diese Seite ist die Unterseite der oben gezeigten ersten Ebene, beide stellen die erste Platine dar.

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Das Tourbillon besteht aus 54 Einzelteilen und wiegt 0,73 Gramm. Es dreht sich einmal in zwei Minuten.

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Die dritte Ebene zeigt die zweite Platine. Hier sind die Mechanismen der siderischen Zeitanzeige ebenso zu sehen wie auch die der Sonnenauf- und -untergangsanzeige, die des Sonnenzeigers (s.o.), und der Datumsanzeige des Osterfestes

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und im Original

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Die vierte Ebene wird repräsentiert durch die dritte Platine, welche die Mechanismen für die zweite Zeitzone, die Mondphasenanzeige, den Ewigen Kalender und das Thermometer trägt.

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Folgend noch einige Impressionen der wunderbaren Uhr

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Alle vier Exemplare sollen in 1989 an ein namentlich nicht bekanntes Königshaus verkauft worden sein. Die gelbgoldene Calibre 89 wurde 1989 dann auch gleich in einer Versteigerung angeboten und erzielte 3,2 Millionen US$. Die Version in Weißgold wurde 2004 in einer Auktion bei Antiquorum in Genf für 5 Millionen US$ verkauft. Sicher kein Vergleich zu den über 20 Millionen US$, die die Graves Supercomplication jüngst erzielt hat, aber immer noch höchst beeindruckende Werte, die da gehandelt werden. Vom kulturellen Wert ganz zu schweigen.

Als Lektüre zu dieser tollen Uhr sei noch der Auktionskatalog von Habsburg Feldmann zu empfehlen, in dem die Version in Gelbgold gezeigt, erklärt und verkauft worden ist:

Der Katalog mit Schutzumschlag

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und ohne Schutzumschlag

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Mit etwas Glück findet man so einen Katalog in einem guten Antiquariat. Interessant und lesenswert ist er allemal.

Die existenten Uhren des Calibers 89 sollen heute wie folgt verteilt sein: die Gelbgoldene soll sich in der Sammlung eines japanischen Uhren- und Automobilsammlers befinden, die Roségoldene befindet sich in der Sammlung eines italienischen Uhrensammlers, die Platinversion im Privatmuseum einer Königsfamilie im Mittleren Osten. Wo sich die weißgoldene Calibre 89 befindet, die 2004 bei Antiquorum versteigert worden ist, ist nicht bekannt.

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