„Der Preis gehört nicht mir, er gehört uns”

ADZ-Gespräch mit der Schauspielerin Enikö Blenessy vom Deutschen Staatstheater Temeswar

Enikö Blenessy: „Ich hatte eine Mordsangst vor der ersten Aufführung in deutscher Sprache.” Foto: privat

Enikö Blenessy und Georg Peetz in „Geschlaechter“ Foto: DSTT

Seit über einem Jahr arbeitet Enikö Blenessy am Deutschen Staatstheater Temeswar (DSTT). In ihrer ersten Spielzeit am DSTT spielte sie in Radu Nicas Inszenierung „Geschlaechter – Die Furien und der Große Krieg”. Im November wurde sie für ihre Rolle in dem Stück ausgezeichnet. Darin spielt sie meisterhaft an der Seite von Georg Peetz eine Frau, die in einer unglücklichen Ehe festsitzt und die Scheidung verhandelt. ADZ-Redakteur Robert Tari sprach mit der Schauspielerin über ihren Werdegang, den beruflichen Erfolg und die Hürden, in mehreren Sprachen zu spielen.

Ihre erste Rolle am DSTT hat Ihnen gleich einen Preis gebracht. Mochten Sie die Rolle aus „Geschlaechter“?

Ja, ich habe  mir auch während des Castings diese Rolle wirklich gewünscht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wieso mir die Rolle so gefallen hat. Man kann sich einfach nicht erklären, weshalb einem eine Rolle so schnell ans Herz wächst. Ich mochte den Konflikt und die Tatsache, dass ich mit einem Schauspielpartner auf der Bühne stehen werde.

Zehn Jahre lang vertrat ich die Ansicht, dass ein guter Schauspieler nur dann wirklich gut ist, wenn er mindestens drei Karrieresprünge macht und nur zehn Rückschläge einstecken muss. Da spricht die Jugend aus einem. Aber dann merkst du, dass es eigentlich viel härter ist, wenn man nichts auf der Bühne bringen kann. Besonders wenn die Spielfläche klein ist. Es ist schwer, jeden Abend das Gleiche wiederzuspielen. Gleichzeitig ist es auch sehr interessant, weil es jedes Mal anders ist. Es hängt vom Publikum ab und von der Energie des Bühnenpartners.

Gab es Schwierigkeiten bei der Vorbereitung für die Rolle?

Es gab durchaus Schwierigkeiten. Ihre Welt ist sehr düster, sehr trostlos und das hat mich persönlich nicht ungerührt gelassen. Das hat sich dann wirklich auf meinen Alltag ausgewirkt, auf meine Gemütslage. Ich konnte mich einfach nicht ausklinken. Zuerst habe ich es abgestritten. Dann habe ich gemerkt, dass ich mich für die Rolle bestimmter Erinnerungen bedienen musste, die ich lieber hätte begraben wollen.

Und das musste ich dann jedes Mal tun und jeden Tag. Und das belastet und zehrt an einem. Und wenn du es nicht machst, dann machst du nichts auf der Bühne. Gleichzeitig hat man aber auch die Genugtuung, wenn es einem gelingt, sich mit diesen Dingen für die Rolle auseinanderzusetzen und sie auf der Bühne in Energie umzuwandeln.

Wie finden Sie die Texte von Neil LaBute, dem Autor des Stückes?

Er ist ein Magier und seine Dialoge haben mich fasziniert. Als ich das erste Mal das Stück las, rätselte ich, wohin die Geschichte führen würde. Und das Ende an sich – obwohl es im Original wesentlich amerikanischer ist – fand ich okay, weil die Tatsache, dass der Mann und die Frau halt so sind, wie sie sind, völlig ausreichte. Die Geschichte hätte eine andere Wendung nehmen können, aber so ist es wesentlich interessanter, weil man dieses Ende nicht erwartet. Ich mag die Stücke von Neal LaBute, weil sie angereichert sind mit Subtexten darüber, was zwischen Menschen passiert. Dieses Unterschwellige zu finden, ist besonders  spannend.  

Im Januar 2013 dürfen wir Sie in „Titus Andronicus“ von William Shakespeare erleben. Darin spielen Sie die Gotenkönigin Tamora. Was können Sie mir über die Rolle sagen?

Die Begegnung mit Shakespeare ist für mich jedes Mal spannend. Besser geht es einfach nicht. Da kommt so viel zusammen, meist in komprimierter Form. Auch „Titus Andronicus“ hat eine reiche Handlung. Die Rolle der Gotenkönigin Tamora scheint auf den ersten Blick einfach zu sein. Man kriegt schnell mit, worum es eigentlich bei ihr geht. In Wahrheit ist es wirklich hart.

Ich habe gestern mit den Proben an ihrer ersten Szene begonnen und die Herangehensweise war sehr menschlich und gleichzeitig sehr intensiv. Die Welt in „Titus Andronicus“ ist erbarmungslos. Es bleibt, das Stück auch mit den anderen zu entdecken. Aber es ist eine faszinierende Welt. Auch wie sie ausschaut. Im ersten Akt passiert eine Unmenge.

Wie ist die Arbeit mit dem Spielleiter Brian Michaels?

Ich habe selten so einen sanften Spielleiter getroffen. Die Arbeit mit ihm gefällt mir sehr gut. Wenn jemand in seine Werkstätten hineinstolperte, fand er uns stehend oder sitzend vor. Bei ihm fängt alles aus dem Innern an und er verlangt, dass man sich Zeit lässt, dass jeder in seinem natürlichen Rhythmus den Zugang zur Rolle, zum Stück findet. Es soll nicht forciert sein. Als Schauspielerin interessiert mich momentan gerade das.

Ich möchte diese Freiheit und diese Lockerheit haben, nicht übertreiben zu müssen, mich nicht einem Übereifer hinzugeben, wodurch man unnatürlich wird. Ich neige als Schauspielerin dazu, mir Sachen aufzuerlegen. Das, was gestern in der Probe erarbeitet wurde, muss heute genauso sitzen. Das ist unmöglich, weil es sich ständig weiterentwickelt oder verändert. Wenn man sich das nicht eingestehen kann, dass man jeden Tag nur so viel sein kann und ist, dann verliert man viel. Du bist dann nicht dort bei der Sache. Es ist ein ständiges Ringen. Aber mit viel Übung kann man Leistung erbringen.

Viele Schauspieler sind der Auffassung, dass Schauspiel ein Handwerk ist und in erster Linie als solches betrachtet werden müsste. Der Schauspieler als Handwerker also, wie stehen Sie dazu?

Ich habe lange Zeit nicht daran geglaubt. Aber ja, es ist besser, ein guter Handwerker zu sein. Ich spiele inzwischen seit 16 Jahren Theater und hatte Gelegenheit, verschiedene Sachen auszuprobieren sowie Menschen zu begegnen, die mich in meinem Beruf weitergebracht haben, ob Schauspielkollegen oder Spielleiter.

Man muss nach einigen Jahren sein Handwerk beherrschen und es ist besser, als bloß Kunst der Kunst wegen zu machen. Natürlich kann und sollte man experimentieren, aber dann muss man auch bereit sein, Fehler hinzunehmen und zu scheitern. Oft kommt wenig dabei heraus. Zuerst sollte man seinen Beruf gut ausüben und dann etwas dazu bringen, diese persönliche Note, etwas, das dich als Menschen ausmacht. Das kann ein Geschenk sein, wenn man dazu Gelegenheit hat. Ein Geschenk für dich und das Publikum.

Sie haben jetzt erwähnt, dass Sie seit 16 Jahren auf der Bühne stehen. Können Sie mir etwas über Ihre bisherigen Stationen sagen? Sie waren vor dem Deutschen Staatstheater am Radu-Stanca-Theater in Hermannstadt tätig.

Ich war vier Jahre lang in Hermannstadt, davor kurzweilig am Ungarischen Staatstheater Temeswar und vor dieser Zeit habe ich in Gheorgheni, meiner Heimatstadt, gearbeitet. Nachdem Lászlo Bocsárdi aus Gheorgheni wegging, hat sich seine Truppe aufgelöst. Ein Teil ist geblieben, manche sind später zurückgekommen und diese haben dann Nachwuchs im Lyzeum gesucht und mit diesem gearbeitet. So bin ich zum Theater gekommen. Die Zeit dort kann man jedem Menschen wünschen, weil wir es nicht des Geldes wegen taten. Wir waren eine junge Truppe und machten alles. Ich wollte ursprünglich Architektur studieren,bin aber im Theater geblieben.

Sie haben an ungarischen Theatern angefangen und spielten dann an der deutschen Abteilung in Hermannstadt und jetzt hier am DSTT. Ist es eine Herausforderung, auf Deutsch zu spielen, nachdem man davor nur Ungarisch auf der Bühne gesprochen hat? 

Ich hatte eine Mordsangst vor der ersten Aufführung in deutscher Sprache. Aber man gewöhnt sich daran und inzwi-schen gefällt es mir sehr gut. Es war sehr merkwürdig, weil zu der Zeit, als ich in Hermannstadt anfing, das Buch des Schauspielers George Banu „Jenseits der Rolle” erschienen war. Und als ich es das erste Mal blind aufmachte, landete ich gerade auf der Seite, auf der er davon spricht, wie ein Schauspieler nur in seiner eigenen Muttersprache brillieren kann.

Ich würde widersprechen wollen, weil mir die Mehrsprachigkeit in meiner Karriere viel gegeben hat. Ich konnte eine Menge über Körpersprache, Gestiken und Subtext erfahren. Es ist schwieriger für mich, wenn ich bei einem Casting zum ersten Mal mit einem deutschen Text arbeiten muss. Auf Ungarisch ginge es leichter.  

Welche Deutschkenntnisse hatten Sie, bevor Sie in Hermannstadt anfingen?

Meine Großmutter war Sächsin. Deutsch hat mir immer gefallen, ich habe viel auf Deutsch gelesen und habe die deutsche Schule in Schäßburg besucht. Auf Ungarisch habe ich einfach mehr Sicherheit. Nach zwei Jahren in Hermannstadt habe ich zusammen mit einer Schauspielkollegin, die ebenfalls Ungarin ist, für die Minderheit ein Stück gestellt. Ich war verblüfft, wie einfach es war, auf Ungarisch zu spielen. Ich hoffe, dass ich noch Gelegenheiten dazu haben werde. Es ist für mich ein Vergnügen, in anderen Sprachen zu spielen. Als wärst du ein anderer Mensch.  

Der Preis, den Sie in Großwardein erhalten haben, dürfte als Beweis dafür stehen, dass es auch in einer Fremdsprache geht. Was bedeutet die Auszeichnung für Sie persönlich?

Er hat mir Kraft gegeben. In manchen Momenten im Leben stößt man auf Schwierigkeiten und man verliert den Glauben in die eigenen Fähigkeiten und den Beruf. Dieser Preis ist für mich Antrieb und dafür möchte ich mich bedanken. Gleichzeitig glaube ich, dass es nicht ausschließlich mein Verdienst ist.

Es ist eine Ehre für mich, diesen Preis in Empfang nehmen zu können, aber er gehört der Gruppe, die an der Produktion mitgewirkt hat und besonders meinem Bühnenpartner, ohne den ich nicht durchgehalten hätte. Ohne ihn, ohne den Spielleiter und ohne die anderen Schauspieler, auch wenn sie in dem Teil nicht auftreten. Hinter einem Schauspieler verbirgt sich eine gesamte Gruppe. Das bin nicht nur ich. Der Preis gehört nicht mir, er gehört uns.

Wie verlief die Arbeit mit Georg Peetz?

Wir dachten gleich, was das Stück angeht. Radu Nica hat uns unsere Arbeit machen lassen und gelegentlich korrigiert, mich mehr als ihn, wahrscheinlich, weil er mehr Erfahrung besitzt. Wir haben uns einfach gegenseitig entdeckt. Die Arbeit war eine Freude. Vor der Aufführung auf dem Festival in Großwardein war ich stark erkältet und ich lief Gefahr, meine Stimme zu verlieren. Georg war besonders vorsichtig und hat auf der Bühne auf mich aufgepasst.

Was sind für Sie die wichtigsten Rollen oder Stücke Ihrer bisherigen Karriere?

Es scheint „Geschlaechter – Die Furien und der Große Krieg” zu sein. Davor war es ebenfalls ein Stück, das Radu Nica in Hermannstadt inszeniert hat, namens „Some Girls”. Ich habe mich jeden Morgen wie ein Kind in den Ferien gefühlt, dass sich auf den anstehenden Tag und die Spiele, die es spielen wird, freut. So erging es mir während der gesamten Probezeit. In Gheorgheni spielte ich in einem Stück des russischen Gegenwartsdramatikers Wassilij Sigarew.

Ich hatte in Ungarn zusammen mit einem Kollegen das Stück „Schwarze Milch” gesehen. Dieses wurde von ihm in Gheorgheni inszeniert. Eigentlich ist jede Rolle wichtig, es gibt natürlich auch viele Fehltritte. Ich mag Kinderstücke sehr, weil man sich da wirklich einbringen muss und weil ich Kinder liebe.