Kinderfragen

Kinderfrage zum Nesteln bei Alzheimer: Warum spielt die Oma immer mit ihren Händen?

Mittlerweile hat der Bewegungsdrang meiner Mama deutlich abgenommen. Mittlerweile setzt sie sich häufig hin und schlummert auch tagsüber immer mal wieder ein. Ihre Hände allerdings sind oft in Bewegung. Wie viele andere Menschen mit Demenz nestelt sie mit ihren Fingern. Ganz typisch ist, dass sie eine Ecke ihres Pullis oder Jäckchens in den Händen hält, sie reibt, knubbelt und dreht. Meine Töchter haben das beobachtet und wollten wissen: Warum spielt die Oma immer mit ihren Händen? Und ich habe ihnen erklärt, was sich hinter dem Nesteln bei Menschen mit Alzheimer verbirgt und warum die Oma auch ein besonderes Kissen hat.

Nesteln_Hände
Das sind meine Hände, aber Mamas Hände sind genau so in Bewegung
und spielen mit der Kleidung

Meine Mama ist heutzutage viel ruhiger als noch vor einem oder zwei Jahren. Damals hatte sie einen großen Bewegungsdrang und ist viel im Flur auf- und abgewandert. Sie war immerzu in Bewegung. Das ist nun nicht mehr so. Sie steht manchmal nur an einem Ort, in sich versunken. Sie setzt sich auch häufig hin und macht dann immer wieder Nickerchen. Ich merke, dass sie Ruhe braucht und sich die auch auf ihre Art und Weise nimmt.

Was aber auffällig ist, ist das Nesteln. Mamas Hände sind immer in Bewegung. Sie spielt besonders häufig mit ihrer Kleidung. Sie reibt mit ihren Fingern immer wieder über den Saum ihres Pullovers oder hält und spielt mit den Bändchen oder Bommeln ihrer Strickjacke. Das haben meine Töchter natürlich längst bemerkt – und wollten wissen, warum die Oma das macht und ich versuche es in dieser Kinderfrage zu beantworten.

Kinderfrage zu Alzheimer: Was ist Nesteln?

Spielt die Oma mit dem Pulli, weil sie nervös ist? Oder macht sie das, weil ihr langweilig ist? Möglicherweise jucken oder schmerzen ihre Finger oder Handflächen? Oder will sie uns damit etwas sagen und zeigen will? Erklärungsversuche hatten meine Töchter etliche – und ich muss gestehen, dass ich ihre Frage auch nicht sofort beantworten konnte. Ich wusste, dass Nesteln ein typisches Verhalten bei Menschen mit Demenz ist, aber warum, das konnte ich nicht sagen.

Anfangs dachte ich, dass das Nesteln ein schlechtes Zeichen ist. So wie mit dem Bewegungsdrang. Der machte mir anfangs auch vor allem Sorgen, weil ich dachte, dass es Mama schlecht geht, wenn sie Runde für Runde allein um den Esszimmertisch geht, während wir im Wohnzimmer sitzen und uns unterhalten.

Ich sorgte mich, dass sie sich ausgeschlossen fühlt. Oder dass sie auf die Toilette muss, es uns aber nicht mehr mitteilen kann. Oder dass sie etwas bedrückt. Wir holten sie sanft und liebevoll, damit sie sich neben uns setzen konnte. Doch sie stand bald wieder auf und ging umher – und wirkte dabei deutlich zufriedener als wenn sie neben uns saß.

Bei Alzheimer: Nesteln als Zeichen von Schmerzen?

Ist das Nesteln nun etwas Negatives? „Die Oma ist unruhig“, erklärte ich meinen Kindern. Die Frage war aber: Warum? Dieses Nesteln ist ein sehr häufiges Phänomen bei Menschen mit Demenz, manche kratzen sich auch oder reißen und ziehen so stark an ihrer Kleidung, dass die kaputtgeht.

Wichtig zu wissen: Hinter dem Nesteln können Schmerzen stecken. Wähend Menschen mit leichten bis mittleren Einschränkungen noch sagen und/oder deuten können, wenn ihnen etwas wehtut, können das an Demenz Erkrankte mit schweren kognitiven Einschränkungen nicht mehr. Das Nesteln ist eine Möglichkeit für sie mit ihrem Körper Unwohlsein und Schmerzen auszudrücken. Kommen zu dem Nesteln andere Zeichen hinzu wie lautstarkes Rufen, stönhnen, weinen, grimassieren, sind das deutliche Hinweise auf Schmerzen und man sollte sich an Experten wie den Arzt oder Pflegepersonal wenden.

Bei meiner Mama ist das Gesicht und ihre Mimik immer ein guter Indikator dafür, wie es ihr geht. Seitdem sie nicht mehr viel spricht, spielt die Körpersprache in unserer Kommunikation eine große Rolle. Und ich habe meinen Kindern erklärt: „Wenn die Oma entspannt schaut, ihre Augenbrauen und ihr Mund nicht verkniffen sind, das Nesteln ruhig und nicht wild ist, dann hat sie wohl keine Schmerzen“.

Mit den Händen tasten für mehr Wohlgefühl und Ruhe

Häufig steckt hinter dem Nesteln ein unbefriedigtes Bedürfnis nach Reizen, Beschäftigung und Zuwendung. Gut nachvollziehbar, wenn man bedenkt, welch große Rolle die Hände für uns Menschen spielen und wie wichtig das Fühlen und Tasten ist. Prof. Dr. Martin Grunwald, Leiter des Haptik-Forschungslabors der Universität Leipzig bezeichnet den Tastsinn als „Lebensprinzip“. Scheinbar flüchtige Berührungen des eigenen Körpers – etwa wenn man sich über den Arm oder das Gesicht streicht – helfen dabei, die emotionale Balance herzustellen und aktivieren das Gedächtnis.

„Menschen mit Demenz sind unruhig. Für sie ist es besonders wichtig, dass sie mit den Händen Dinge anfassen, greifen, tasten und streicheln können. Wenn die Oma mit der Kleidung spielt, dann möchte sie eigentlich fühlen und tasten und so ihren Körper spüren – und das hilft ihr, ruhiger zu werden „, habe ich meinen Kindern erklärt.

Nestel-Decken und -Kissen für Menschen mit Alzheimer

Besonders gut gefallen hat meinen Töchtern ein Kissen, das meine Schwägerin meiner Mama genäht hat. Sie hat es speziell zum Nesteln bei Alzheimer gefertigt. Und seitdem ich den Kindern erklärt habe, warum die Oma immer mit dem Pulli oder dem Jäckchen spielt, geben sie ihr gerne etwas in die Hände. „Guck mal, hier ist dein Kissen“, sagte meine Mittlere neulich und legte der Oma das Nestelkissen in die Hände. „Oma, hier ist dein Affe“, meinte die Große und gab der Oma den Plüschaffen, den man auch gut knautschen und drücken kann.

Nestelkissen_Demenz.jpg
Ein Nestelkissen – selbst gemacht von meiner Schwägerin für Mama

„Mit Nesteldecken und -kissen setzt man taktile Reize. Die Decken und Kissen dienen der Beschäftigung, können aber auch die Feinmotorik fördern“, erklärte mir Jessica Prumbaum. Sie näht solche Decken und Kissen und hat sehr viel Erfahrung damit, auch durch ihre ehrenamtliche Arbeit in Seniorenheimen. Sie verwendet verschiedenste Materialien und Elemente. „Angehörige und Pflegende erzählen mir immer wieder, dass die Menschen mit Demenz durch das Nesteln ruhiger werden und sich entspannen „, berichtet Jessica. Für meinen Blog hat sie mir verraten, welche Elemente besonders gut ankommen bei Menschen mit Alzheimer: Es sind Bommeln, Holzringe und Taschen.

Nesteldecke
Eine Nesteldecke von Jessica mit vielen Elementen: Holzscheiben, Bommeln, Laschen

Als ich meinen Töchtern davon erzählt habe, fanden sie das toll. Und sie haben sofort überlegt, welche Elemente an so einer Nesteldecke der Oma gefallen könnte. Bändchen und Bommeln – da waren sie sich sofort einig, denn das haben sie ja beobachtet, wie gerne meine Mama damit spielt.

Besonders gefreut hat mich, dass meine Töchter sich nun auch Gedanken für ein Weihnachtsgeschenk für meine Mama machen. „Die Oma hat doch immer gerne was in den Händen, da könnten wir ihr eine Box machen mit verschiedenen Gegenständen, einem Holzring oder Bändchen mit Bommeln“, haben die beiden Großen gesagt. „Ja, das gefällt ihr bestimmt“, habe ich gesagt und gedacht, wie wertvoll und wichtig es doch immer wieder ist, dass man Kinder nicht außen vor lässt, wenn in der Familie ein Angehöriger Demenz hat. Ich bin sehr gespannt, wie das Geschenk ankommt und werde berichten.


Anleitung: Fühlschnur zum Nesteln

Eine Nesteldecke kann toll sein, aber es geht auch einfacher, zum Beipiel mit einer Fühlschnur. Diese ist für Menschen mit Alzheimer zum Nesteln geeignet und lässt sich ganz leicht herstellen.

Alles, was ihr braucht, ist Wolle und verschiedene Materialien. Besonders schön ist es, wenn das bekannte Gegenstände sind. Bei meiner Fühlschnur habe ich unter anderem Knöpfe, Holzperlen, eine Nähmaschinengarnrolle verwendet, weil meine Mama immer viel und gerne genäht und gestrickt hat. Wer aber beispielsweise einen Hund hatte, der erfreut sich vielleicht an entsprechenden Hunde-Utensilien.

Hier findet ihr die komplette Anleitung: 7 Schritte, um eine Fühlschnur zum Nesteln, zu basteln.

Eine Fühlschnur zum Nesteln lässt sich ganz einfach selbst basteln

4 Gedanken zu „Kinderfrage zum Nesteln bei Alzheimer: Warum spielt die Oma immer mit ihren Händen?“

  1. Ich habe mal in einem Artikel der Gesellschaft für Gehirntraining gelesen, dass Fingerbewegungen (etwas anderes ist Nesteln ja nicht) das Gehirn stimulieren.
    Wenn ich da an den kleinen Viertklässler denke, der ein Gedicht aufsagen muss und an seinem Pulloversaum rumzipfelt, dann scheint es ja auch zu funktionieren.
    Warum also nicht auch bei Oma!
    Und viel Spaß beim Herstellen der Weihnachtsgeschenke!

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