Tigerteckel

Eine im August 2021 veröffentlichte Studie (The PMEL gene and merle (dapple) in the dachshund: cryptic, hidden, and mosaic variants demonstrate the need for genetic testing prior to breeding) beschreibt verschiedene Merle-Ausprägungen beim Dachshund. Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die Notwendigkeit von genetischen Merle-Tests vor dem Zuchteinsatz, denn es wurden Hunde ohne erkennbare Merle-Ausprägung identifiziert; unter anderem ein Merle-Mosaik mit Beteiligung von Mh (Harlekin Merle), der bei der Verpaarung mit einem Merle Zuchtpartner Welpen mit schweren Augenmissbildungen hervorbrachte.
Die Studie erschien in der Publikation Human Genetics und ist unter folgendem Link erhältlich: https://link.springer.com/article/10.1007/s00439-021-02330-y

Merle gehört beim Dachshund zu den traditionell vorkommenden Farbschlägen und ist bereits früh dokumentiert. Das älteste Bildzeugnis, das mir vorliegt, stammt aus dem Jahr 1897 und zeigt einen „Weißtiger“, also einen Hund, der reinerbig für Merle-Allele mit höheren Basenlängen der Merle-Insertion ist:

Dieses Foto gehört zu einem ausführlichen Beitrag über “weiße Teckel”, in dem bereits damals unterschieden wurde zwischen “Weißtigern” und “weißen Teckeln”. Der Autor berichtete ausführlich über seine Beobachtung, dass “Weißtiger” sehr häufig mit Defiziten wie Taubheit und “Glasaugen” (so nannte man hellblaue Augen) und deformierten Augäpfeln einhergingen, wogegen die “weißen Teckel” (also die Extremschecken) dunkle Augen hatten und keine Probleme der Augen auftraten.
Er verglich die beiden Typen weißer Teckel übrigens mit der Tigerdogge und dem Dalmatiner, wobei er schon damals ganz richtig erkannte, dass die Zeichnungen der Tigerdogge und des Dalmatiners auf unterschiedliche Veranlagungen zurückgehen müssen.

Aus dem Jahr 1902 stammt diese Illustration eines deutschen Hundebuches, sie zeigt einen Tigerteckel:

Dieser Brauntiger Teckelrüde wurde im Jahr 1907 in einer Schweizer Publikation als Deckrüde angeboten:

Diese Tigerteckel wurden in deutschen Hundebüchern aus 1922 und 1935 abgebildet:

Auch in englischsprachigen Ländern wurden Tigerteckel bereits vor über 60 Jahren gezüchtet, wie diese beiden Fotos aus britischen Hundebüchern von 1952 und 1956 zeigen:

Ein deutsches Hundebuch, das um 1965 erschien (Der deutsche Teckel, Dr. Kurt Schneider, Albrecht Philler Verlag) zeigt wiederum einen Tigerteckel mit Weißanteil und mit so genannten Glasaugen (blauen Augen) und betont in der Bildunterschrift, dass es sich heute (also zum damaligen Zeitpunkt) um eine Seltenheit handele. Aus heutiger Sicht ist nicht eindeutig zu sagen, ob es sich bei diesem Hund um einen „Weißtiger“ (also reinerbigen Merle mit Allelen der hohen Basenlängen) handelt, oder evtl. um einen mischerbigen Merle (z.B. M/m) mit zusätzlicher Weißscheckung. Es könnte theoretisch auch ein mischerbiger Harlekin Merle (Mh/m) sein, da bei diesem Genotyp auch Pigment zu Weiß aufgehellt sein kann, typisch kann außerdem eine breite weiße Halskrause sein.

1906 wurden “Weißtiger” noch auf Ausstellungen gezeigt und auch prämiert, wie dieses Beispiel zeigt (der Rüde hieß “Schorsch von der Höh” und gewann auf einer Ausstellung in Frankfurt den ersten Preis in der offenen Klasse):




Auf jeden Fall ist in einem Buch über Dachshunde aus dem Jahr 1974 (Dackel, Dr. E. Schneider-Leyer, Humboldt-Taschenbuchverlag) folgendes zu lesen:
„(Gefleckte (getigerte (…)) Teckel: Heller, bräunlicher, grauer bis sogar weißer Grund mit dunklen unregelmäßigen Flecken (große Platten nicht erwünscht) von dunkelgrauer, brauner, rotgelber oder schwarzer Farbe. Erwünscht ist, dass weder die helle noch die dunkle Farbe vorherrscht.“
An anderer Stelle wird in diesem Buch darauf hingewiesen, dass für den „Tiger“-Erbfaktor erbreine Tiere taub, blind und degeneriert sind.

Da ein Gentest für den Merle-Faktor erst nach der molekulargenetischen Identifizierung der Merle-Insertion im Jahr 2006 (und die genauere Bestimmung der Basenlängen noch einige Jahre später) erfolgen konnte, war bis dahin gar nicht möglich, einen Hidden Merle, Mosaik Merle oder Minimal Merle, denen man keine Merle-Zeichnung ansah, überhaupt als Merle zu identifizieren (als Hidden Merle bezeichnet man einen Hund, bei dem die Merle-Zeichnung nicht zu erkennen ist, da er kein Eumelanin, sondern nur der überwiegend rötliches Phäomelanin ins Haar einlagert, also z.B. einen roten Dachshund; als Merle Mosaik bezeichnet man einen Hund, der unterschiedliche Merle-Genotypen in seinen Zellen hat und als Minimal Merle bezeichnet man einen Hund, der eine Merle-Zeichnung nur in einem sehr kleinen Körperbereich ausprägt  dies kann z.B. beim Genotyp Mh/m oder auch bei manchen Merle Mosaiken der Fall sein).

Interessant an der aktuellen Studie ist auch, dass dort atypische Merles untersucht wurden, bei denen das schwarze Pigment einheitlich zu einem grauen Farbton aufgehellt ist. Dies kann zu einer Verwechslung mit Dilute führen. Hellgraue Dachshunde wurden bereits auf einer Illustration in einem Hundebuch aus 1905 dargestellt (der mittlere Hund in der unteren Zeile):

Ob es sich bei der Färbung dieses Hundes um Dilution handelt oder vielleicht doch um atypisches Merle, kann natürlich rückblickend nicht beurteilt werden.

Auf jeden Fall sollten in der modernen Dachshund-Zucht die Zuchthunde auf Merle getestet werden, um versehentliche Verpaarungen von Merle-Hunden der höheren Basenbereiche zu vermeiden.
Klassisches Merle (M/m), das zur typischen Tigerzeichnung führt, ist nach derzeitigem Wissensstand nicht mit der Gefahr von Missbildungen der Sinnesorgane verbunden. Vermieden werden sollte die Zucht mit Harlekin Merle (also dem Allel Mh) sowie die Verpaarungen bestimmter Basenbereiche untereinander.

Am besten ist eine Tiger-Zeichnung bei Grundfarben mit möglichst einheitlicher Eumelaninfärbung, schwarzem Eumelanin und Kurzhaar zu identifizieren. Grundfarbe wie Saufarben, braunem Eumelanin und die Haartypen Rauhaar und Langhaar können eine Tigerung optisch abschwächen:

Verwendete Literatur sowie Bildzitate:
Ballif, B.C., Emerson, L.J., Ramirez, C.J. et al. The PMEL gene and merle (dapple) in the dachshund: cryptic, hidden, and mosaic variants demonstrate the need for genetic testing prior to breeding. Hum Genet (2021). https://doi.org/10.1007/s00439-021-02330-y
Schneider-Leyer, E. Dackel Humboldt-Taschenbuchverlag (1974)
Schneider, K. Der deutsche Teckel, Albrecht Philler Verlag (ohne Jahresangabe)
Fitch Daglish, E. Dachshunds, W. & G. Foyle (1956)
Lister-Kaye, C. Dachshunds, W. & R. Chambers Ltd (1952)
Vom Hagen, A. Die Hunderassen, Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion (1935)
Bergmiller, F. Unsere Hunde, E. H. Moritz Verlag (1922)
Strebel, R. Die deutschen Hunde, Eduard Koch Verlag (1905)
Ströse, A. Unsere Hunde, Neudamm Verlag (1902)
Brandt, K. Die Barnewitz´schen weissen Teckel in: Zwinger und Feld (1897)

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