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Meinung

von Rainer Haendle

Bundeswehr

Die deutsche Gesellschaft hat ihr Verhältnis zur Truppe notgedrungen neu definiert

Nach Jahrzehnten des gesellschaftlich anerkannten Pazifismus ist eine grundsätzliche Kurskorrektur im Verhältnis zwischen Bevölkerung und Armee spürbar

Um die Panzerhaubitze 2000 hat sich eine Traube gebildet.
Kriegsgerät als Anziehungspunkt: Beim Tag des Bundeswehr in Bruchsal hat sich um die Panzerhaubitze 2000 hat eine Traube gebildet. Foto: Thomas Rebel

So sieht Imagewandel aus: Kanzler Olaf Scholz klettert bei der Nato-Luftwaffenübung als ehemaliger Zivildienstleistender medienwirksam ins Cockpit eines Eurofighters, sein Verteidigungsminister Boris Pistorius, der seit dem Frühjahr das Ranking der beliebtesten Politiker anführt, denkt über Schnupper-Praktika in Uniform nach, die Wehrbeauftragte Eva Högl wünscht sich Kooperationen zwischen Schulen und der Armee. Und die Bevölkerung? Strömt in Scharen beim Tag der Bundeswehr in die Kasernen - in Bruchsal machen Väter mit ihren Söhnen Selfies vor dem Kampfpanzer Leopard II, auf dem Heeresflugplatz Bückeburg zwischen Hannover und Bielefeld bestaunen mehr als 100.000 Zaungäste Fallschirmspringer, Hubschrauber und Flugzeuge. 

All diese Bilder und Aussagen zeigen, dass die deutsche Gesellschaft ihr eigenes Verhältnis zu den Streitkräften in Windeseile neu definiert. Putins Überfall auf die Ukraine hat dafür gesorgt, dass sich viele Deutsche von ihren pazifistischen Grundüberzeugungen gedanklich verabschiedet haben. Von der über Jahrzehnte existierenden Distanz zur Truppe ist nicht mehr viel zu spüren. Stattdessen gehen Politik und Bevölkerung mit wenigen Ausnahmen auf Tuchfühlung zur Parlamentsarmee, die mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro auf Vordermann gebracht werden soll. 

Tiefe Abscheu gegenüber allem Militärischen

Wie grundlegend diese Kurskorrektur ist, können nur die älteren Jahrgänge nachvollziehen. Geprägt von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs hatte sich eine tiefe Abscheu gegenüber allem Militärischen in das Bewusstsein der deutschen Nachkriegsgesellschaft eingegraben. „Frieden schaffen ohne Waffen“ lautete der pazifistische Slogan ganzer Jugendgenerationen. In den geburtenstarken Jahrgängen gab es Abiturklassen, die nahezu kollektiv den Kriegsdienst verweigerten. 

Abschied vom Appeasement-Gedanken

Doch inzwischen hat sich Deutschland Schritt für Schritt vom Appeasement-Gedanken der Friedensbewegung verabschiedet. Die erste große Zäsur war kurz vor der Jahrtausendwende die Beteiligung am Nato-Einsatz im Jugoslawien-Krieg. Es folgten zahlreiche Auslandseinsätze der Bundeswehr bei internationalen Konflikten. All diese Missionen änderten lange Zeit nichts am ambivalenten Verhältnis der Deutschen zur Bundeswehr. Die Truppe wurde als Stiefkind behandelt, Finanzierung und Ausrüstung standen und stehen bis heute in keinem Verhältnis zu den Aufgaben. Die wirkliche Zeitenwende mit einer Revision lange gehegter Überzeugungen hat erst Putin herbeigeführt, weil er unser Sicherheitsgefühl massiv verändert hat. 

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