Anpacken statt abwarten – die drei Säulen der Digitalisierung

Anpacken statt abwarten – die drei Säulen der Digitalisierung

Die Wörter “Digitalisierung” und “Digitale Transformation” werden in unserer heutigen Welt mittlerweile inflationär verwendet und von vielen Menschen unterschiedlich interpretiert. Für den Einen bedeutet Digitalisierung, dass er seine Außendienstmitarbeiter mit Tablets ausstattet. Für den Anderen, dass er ein Startup kauft, um das eigene mittelständische Unternehmen mit neuer Expertise zu versorgen. Fakt ist: Wer sein Unternehmen nicht auf die Veränderungen des digitalen Wandels hin ausrichtet, den wird es zukünftig nicht mehr geben. Wie der Prozess nachhaltig gelingt, möchte ich in diesem Beitrag näher erläutern.

Die drei Säulen der Digitalisierung

Durch die jahrelange Beratung von mittelständischen Unternehmen, deutschen Weltmarktführern und DAX-Konzernen haben wir bei Etribes folgendes Modell kreiert, das jedem Unternehmen zeigt, welche Möglichkeiten die Digitalisierung bietet:

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Diese drei Säulen sind für mich die Basis jeder digitalen Transformation, unabhängig davon, ob sich ein Unternehmen erst noch digitalisieren muss oder schon “mitten im Prozess” ist.

Zum besseren Verständnis dient hier je ein Beispiel:

Säule 1Optimierung Kerngeschäft: Bestehende Vertriebskanäle (z. B. Außendienst) werden durch digitale Tools verbessert.

Säule 2Digitale Geschäftsexpansion: Ich betreibe ein Handelsgeschäft und erweitere dieses durch E-Commerce und expandiere in weitere Länder. Oder: Ich bin Hersteller und erschließe neue digitale Kanäle mit direktem Kundenzugang und nutze die Möglichkeit zur internationalen Expansion.

Säule 3Digitales Neugeschäft: Ich baue ein komplett neues Geschäftsmodell in meiner Industrie, welches das Potenzial hat, mein existierendes Modell zu disruptieren. Beispiel: About You (Otto Group).

Wie wir bei unserer Arbeit die Digitalisierung im Detail angehen, möchte ich mit den folgenden fünf Punkten erläutern:

1. Themen sortieren

Zunächst machen wir bei dem jeweiligen Unternehmen eine Bestandsaufnahme und sortieren Ideen und bereits existierende Digital-Initiativen oder -Projekte den jeweiligen drei Säulen zu, um einen Überblick zu erhalten bzw. mangelhafte Ausgewogenheit festzustellen.

2. Roadmap

Als Nächstes entwickeln wir gemeinsam mit dem Unternehmen eine Roadmap und ziehen ein erstes, erfolgversprechendes Projekt vor, denn Erfolg schafft Vertrauen. Das Projekt selbst soll entweder das Kerngeschäft optimieren (Säule 1) oder die digitale Geschäftsexpansion vorantreiben (Säule 2). Ein neues, digitales Geschäftsmodell zu bauen (Säule 3), eignet sich in diesem Fall nicht, da das Risiko für einen schnellen Erfolg nicht kalkulierbar ist.

3. Team/Unit gründen

Im nächsten Schritt ist die Gründung einer eigenen Digital-Unit sinnvoll, die aus externen Partnern und internen Mitarbeitern bestehen kann. Wichtig für den Erfolg sind klare Verantwortlichkeiten und eine starke Rückendeckung für die handelnden Personen vom Vorstand und/oder Geschäftsführung. Das wird besonders bei unpopulären Entscheidungen, wie etwa im Rahmen eines Personalumbaus, wichtig. Cross-funktionale, interdisziplinäre Teams bestehend aus externen und internen Mitarbeitern bilden meiner Meinung nach die besten “Winning Teams”. Der Grund: die Kombination aus branchenfremdem und brancheninternem Know-how sorgt dafür, dass sich bereits gebildete Denkblasen auflösen.

4. Fokus

Wichtig ist eine klare Zielsetzung und ein spitzer Fokus der Unit: Dieser sollte voll und ganz auf dem ersten Projekt liegen. Denn: Quick-Wins führen intern zu einer schnelleren Akzeptanz für Digital-Initiativen.

5. Erfolg sorgt für Akzeptanz und weiteres Scaling

Im nächsten Schritt kann das Produkt nun flächendeckend ausgerollt und skaliert werden. Skalierung im großen Stile ist ein ganz entscheidender Faktor, der in der Planung von vornherein bedacht werden sollte. Außerdem können bei frühen Erfolgen direkt weitere Projekte angegangen und die Digital-Unit somit ausgebaut werden.

Beispiel: Digitale Container-Buchung von Hapag-Lloyd

Während meiner Zeit als Interims Managing Director der Digital-Unit bei Hapag-Lloyd gingen wir exakt so vor. Gemeinsam mit Etribes haben wir damals die Digital-Unit gegründet und erste Stellen interimsweise besetzt, um einen schnellen Start zu ermöglichen und über verschiedene Experten Digital-Know-how in das Unternehmen zu transportieren.

Unser erster Quick-Win auf der gemeinsam entwickelten Roadmap war die verbesserte Angebotserstellung für Container-Buchungen, die damals noch sehr manuell und kompliziert vonstatten ging. So bekam ein Interessent erst nach langer Wartezeit – teilweise vergingen mehrere Tage – ein Angebot. Innerhalb von 90 Tagen bauten wir ein Tool und veränderten den kompletten Prozess, der zwar immer noch manuellen Aufwand benötigte, aber dem Anfragesteller direkt einen Preis präsentierte.

Durch diese “Quick Quotes” wurde der Prozess auf wenige Sekunden verkürzt und der Kundennutzen signifikant erhöht. Wir testeten das Tool zuerst in einem speziellen Segment in Brasilien, sammelten positive Erfahrungen und rollten es im Nachgang in allen anderen Ländern aus. Dieses Tool erwirtschaftete im vergangenen Jahr knapp 700 Millionen US-Dollar Umsatz und soll dieses Jahr die Milliardengrenze knacken. Produkterweiterungen sowie weitere, neue digitale Services sind geplant und finden nun im Unternehmen – vom Mitarbeiter bis zum Vorstand – eine viel höhere Akzeptanz.

Fazit: Ohne Rückendeckung geht nichts!

Die Digitalisierung ist bereits in vollem Gange und definitiv nicht aufzuhalten. Für jedes Unternehmen – ganz egal welcher Größe – bedeutet das: Ärmel hochkrempeln und mit der Arbeit anfangen. Dabei kann der Erfolg eines ersten kleinen Projektes sehr schnell für die Akzeptanz im Unternehmen sorgen und die Tür für High-Scale-Initiativen öffnen. Wichtig ist dabei die Rückendeckung durch den Vorstand und eine eigene Digital-Unit mit Personen, die sich im digitalen Ökosystem auskennen. Ist die Rückendeckung nicht vorhanden, muss entsprechende Aufklärungsarbeit im Vorfeld geleistet werden. Nur ein überzeugter Vorstand ist auch tatsächlich offen für Veränderung.

Ich hoffe, dass euch die drei Säulen als Referenz helfen, Ideen einzuordnen und diese anhand des beschriebenen Vorgehens auf die Straße zu bringen. Die Digitalisierung ist eine große Chance – wenn man sich nicht zurücklehnt.

Über den Autor

Fabian J. Fischer ist ein Hamburger Unternehmer, Investor und Mentor. Als Founding Partner von Etribes berät er Mittelständler und DAX-Konzerne bei der Digitalisierung und verantwortet als CEO die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens. Als Co-Founder von Picea Capital investiert er in Tech-Unternehmen. Sein Wissen und seine Erfahrungen gibt er als Mentor und Advisor beim Next Logistics Accelerator und Founder Institute weiter.

Sehr geehrter Herr Fischer, vielen Dank für diesen sehr guten Artikel! Ergänzend würde ich die Wichtigkeit einer "digitalen Unternehmenskultur" hervorheben wollen. Natürlich muss es, wie Sie schreiben, ein "Digital Team" und auch Rückendeckung für die Projekte aus dem Management geben. Zusätzlich hilft es aber, wenn schon "im Kleinen" damit begonnen wird, sinnvolle Digitalisierungen zu fördern. So sollten Laptops, Tablets und anständige Headsets keine Statussymbole sein, sondern das, was sie sind: Sinnvolle Werkzeuge, mit denen jede*r Mitarbeiter*in selbstverständlich ausgestattet sein sollte. Protokolle sollten nicht mehr ausgedruckt in dem Umlauf gegeben werden, sondern digital zentral verwaltet werden usw. Das sind nur kleine Maßnahmen, die sicher noch keine Digitalisierungsstrategie darstellen, sie führen aber dazu, dass Digitalisierung nicht als Projekt einer Abteilung angesehen wird, sondern als eine sinnvolle Arbeitserleichterung.

Yves Schleich

Delivering integrations for E-Commerce and SaaS companies since 2017 - Never say 'no' to your customer again | Building Data Square, CEO & Founder @ Lyska

4 Jahre

"Ich betreibe ein Handelsgeschäft und erweitere dieses durch E-Commerce ..." sehe ich sogar in der 1. Säule, als Grundlage. Wir sehen immer wieder, dass in Unternehmen zunächst "Digitale Hygiene" betrieben werden muss und gefordert wird, also das aufräumen und strukturieren der derzeitigen digitalen Infrastruktur.  Auch wenn die "Zukunftsthemen", Artifical Intelligence, Machine Learning etc. sehr attraktiv scheinen, muss dafür zunächst die Grundstruktur stimmen, daher können die Säulen meiner Meinung nach auch als Phasen betrachtet werden. Verpasstes zunächst aufholen, also strukturieren und aufräumen und anschließend Zukunftsthemen angehen. Das muss heute jedoch eher früher als später passieren, denn aufholen kostet ebenfalls Kraft und Zeit und beides nimmt exponentiell zu, umso später man damit anfängt.

Elisabeth Luise Bauer

Transition Coach and Knowledge Provider for a Good Life after Work Life; Logistics Manager Operations for Last Mile Logistics, Business Coach, Consultant, Senior Project Manager, QM in Projects, SHE Manager in Projects

4 Jahre

Kurz nur zur Säule 1: nur einlinig gedacht, Organisationen ( jene die die Digitalisierung dringend brauchen)sind viel komplexer. 

Arne Rajchowski

Geschäftsstelle Kompetenzzentrum Digitalisierung bei GdW Bundesverband Wohnungswirtschaft

5 Jahre

Hmmm... Ich bin skeptisch. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die drei Säulen einen absoluten Sales Fokus haben aber keine interne Transformation ermöglichen. Warum? Einige Gedanken dazu: mir fehlen die kleinen Säulen IT, interne Unterstützung durch Mitarbeiter, Kultur und Arbeitsweisen. Ich weiß, die Digital - Unit ohne Regeln mit Sneakers und MacBooks wird es schon richten. Aber wie kann ich ohne moderne IT Digital - Vorhaben umsetzen? Wie kann ich ohne neue Regeln und Prozesse überhaupt neue Tools für den Vertrieb einführen (siehe Säule 1), nutzen jetzt alle Slack? Hmmm... Ne, das überzeugt mich nicht.

Lothar Tüttelmann

Freier Mitarbeiter bei Vertrieb Marketing

5 Jahre

Super Gefällt mir sehr, Klare deutliche Ausführung und Sprache.

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