Schon mal etwas bewusst verlernt? Dann sollten Sie heute damit starten!

Schon mal etwas bewusst verlernt? Dann sollten Sie heute damit starten!


Lernen ist überbewertet – wenn eine wichtige Komponente fehlt: das Verlernen. Beides gehört für mich untrennbar zusammen. Alte Muster zu verlernen, Gewohnheiten oder Fähigkeiten, die einen nicht mehr weiterbringen, abzulegen, schafft Raum für Neues. 

Über Jahre hinweg eignen wir uns umfangreiches Wissen an, in der Schule, an der Universität oder während der Ausbildung und dann später im Beruf. Wir trainieren die Fähigkeit, zu lernen, ein Leben lang, weil wir sie brauchen. Was wir dabei jedoch vergessen: das Verlernen. Wir erleben alle, dass Gelerntes zunehmend in Frage gestellt wird und wir neue Wege einschlagen müssen. Es gilt, etwas bewusst zu verlernen, damit sich eine neue Gewohnheit oder ein neuer Skill den Platz nehmen kann, den es braucht, ihn zu kultivieren.

Warum das Verlernen eine Superpower von Kopfarbeitern ist

Ein erlernter Beruf oder ein abgeschlossenes Studium reicht für ein ganzes Berufsleben schon lange nicht mehr aus. Im Prinzip endet eine Ausbildung nicht mehr, für keinen von uns. Laut einer Studie von Bitkom im Auftrag des TÜV-Verbands sind 95 Prozent der befragten Unternehmen der Auffassung, dass das gesamte Berufsleben durch Phasen der Weiterbildung im Arbeitsalltag ergänzt werden muss. Somit ist die Fähigkeit, Gelerntes wieder zu verlernen und Neues zu erlernen, essenziell. In einer Publikation zur Halbwertszeit von Wissen des Bundesinstituts für Berufsbildung heißt es: „Beim Wissensmanagement ist nicht so sehr das fehlende Wissen problematisch, sondern eher das „Ent-Lernen“ alter Gewissheiten und Gewohnheiten.“

Manche der begehrtesten Fachkräfte arbeiten in Berufen, die vor zehn Jahren in der Form nicht existierten, wie etwa Data Scientists, Big Data Engineers oder Cloud Architects. Viele Jobs, die es heute noch gibt, wird es in zehn Jahren nicht mehr geben. Somit ist lebenslanges Lernen ein absolutes Muss, wenn man den Anschluss nicht verlieren will. Laut einer Studie des McKinsey Global Institute besteht das Risiko, dass jeder Fünfte durch Automatisierung seinen Job verlieren könnte. Aber die gute Nachricht ist: Allein in Deutschland könnten bis zu 4 Millionen vollkommen neue Jobs durch technologischen Fortschritt entstehen. Das würde bedeuten, dass sich jede vierte Frau und jeder dritte Mann bis 2030 in neue Berufsfelder einarbeiten müsste.

Zum Fortschritt in Technologie und Digitalisierung gesellen sich in Industrienationen demographische Entwicklungen und weltweit die „Globalisierung“ der Talentsuche. Hinzu kommt der erdrutschartige Wandel, den wir im Zuge der Pandemie erleben. Wie man es auch nennt: Ortsunabhängiges Arbeiten, Homeoffice oder Remote Work werden zum Standard. Wenn jeder egal wo arbeiten kann, dann ändert das die Arbeitsbedingungen – und zwar überall. Das erfordert von uns allen Anpassung, an veränderte Rahmenbedingungen und neue Erfordernisse. In diesem Fall an die Bedingungen einer „hypermobilen“ Arbeitswelt, in der ich vom heimischen Schreibtisch aus per Klick an Meetings überall auf der Welt teilnehmen kann. Die einzige, wirkliche Herausforderung von Remote Work, die dann verbleibt, ist die Zeitumstellung. Aber die lösen wir bestimmt auch noch.

Was es braucht, um immer wieder zu verlernen

Lebenslanges Lernen – und Verlernen – wird einerseits von externen Faktoren z. B. gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen getriggert, denen wir uns ständig stellen müssen. Andererseits erfordern sie ein großes Maß an innerer Wandlungsfähigkeit: das Ändern unseres Mindsets und ja, auch das Ablegen alter Gewohnheiten und Sicherheiten. Insbesondere Führungskräfte haben die Tendenz zu glauben, dass die Fähigkeiten und Eigenschaften, die sie in ihre Position gehoben haben, sich auch dort halten werden. Doch wenn die Umstände sich ändern, muss ich mich ebenso verändern, damit ich nicht zur Bremse werde, sondern nach wie vor der Motor bin. Das wirkt zunächst anstrengend, kann aber genauso gut beflügeln. Es kommt darauf an, dass man für sich die Voraussetzungen schafft, dieses Erneuern von innen immer wieder möglich zu machen. Für mich sind es diese Faktoren, die dafür sorgen, dass ich das Verlernen nicht verlerne:

Neugier:

Neugier wird definiert als Bereitschaft, sich neuen, ungewohnten und komplexen Situationen auszusetzen oder sie aktiv zu suchen. Neugierig sein ist die Grundlage für Veränderung. Diese Offenheit für Neues gibt mir die Energie, an mir zu arbeiten. Wir leben in unglaublich spannenden Zeiten, vieles ändert sich rasant. Sich dem nicht zu verschließen, und zur Abwechslung auch mit dem Guten zu rechnen, ist für mich ein starker Antrieb, aus dem vieles entstehen kann.

Motivation:

Um motiviert zu sein und zu bleiben, schaue ich mir genau an, ob eine Fähigkeit oder ein Skill an einen inneren Ankerpunkt anknüpfen kann. Ich frage mich, ob das wirklich wichtig für mich ist. Ein bestimmter Skill kann zwar im Trend liegen. Wenn er mich persönlich nicht weiterbringt und ich keinen inneren Beweggrund habe, mir diesen anzueignen, dann lasse ich es halt. Kann ich aber diese Frage aus Überzeugung mit ja beantworten, fällt die Motivation viel leichter.

Frustrationstoleranz:

Veränderung ist nicht nur ein positives Erlebnis, vor allem dann nicht, wenn der erhoffte Erfolg nicht so schnell eintritt. Daher habe ich gelernt, mir und meinen Erwartungen gegenüber toleranter zu sein. Und die richtigen Ziele zu setzen, damit die Frustration erst gar nicht groß werden kann. Das Ziel sollte realistisch und erreichbar sein. Gerade bei der Arbeit an sich selbst erlebt man Rückschläge und im Alltag kann es schwierig sein, am Ball zu bleiben. Was zusätzlich hilft, ist, selbst die kleinen Erfolge zu feiern.

Es gibt zwar keinen allgemeingültigen Weg, der für alle gleichermaßen funktioniert. Aber das ist mein Rüstzeug für lebenslanges Lernen und Verlernen. Übrigens habe ich zuletzt den Zugangscode zu unserem Firmengebäude verlernt, zugegebenermaßen eher unbewusst. Nach meinem Urlaub vor drei Wochen stand ich vor dem Terminal und musste zunächst einen Moment überlegen… Das scheint auf den ersten Blick unwesentlich zu sein. Für mich war es das nicht. Denn es hat mir gezeigt, dass ich meinen Akku im Urlaub so richtig aufladen konnte. Genau das hatte ich mir vor einiger Zeit vorgenommen: Ich wollte es verlernen, ständig „on“ und verfügbar zu sein, insbesondere im Urlaub. Dafür wollte ich erlernen, die Zeit mit meiner Familie bewusst nur ihr zu widmen. Wie sich gezeigt hat, hat das ganz gut geklappt. An den Zugangscode habe ich mich dann doch noch erinnert.

Was haben Sie zuletzt bewusst verlernt? Haben Sie Beispiele, von denen wir etwas lernen können?


Michael Kiesswetter

Organisations- und Führungskräfteentwicklung, Interimmanagement

3y

Schöner Impuls! Auch wenn ich glaube, das „verlernen“ nur beim lernen von Neuem funktioniert. Neue Reize müsse die alten Leiterbahnen überschreiben. Und meistens stellt man fest, dass das Alte doch noch da ist und (manchmal ‚leider‘) in bestimmten Situationen plötzlich wieder da ist... wie der Zugangscode 😀

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