Politik

Neues Gesetz soll Bürokratieabbau vorantreiben - Wirtschaft verlangt mehr

Lesezeit: 3 min
13.03.2024 15:00
Die Bundesregierung startet ihr größtes Bürokratieentlastungspaket, doch Kritik bleibt bestehen. Die Wirtschaftsakteure fordern effektivere Maßnahmen.
Neues Gesetz soll Bürokratieabbau vorantreiben - Wirtschaft verlangt mehr
Bundesjustizminister Marco Buschmann: „Das ist schon mal das größte Bürokratieentlastungspaket, das es je in der Geschichte dieses Landes gab.“ (Foto: dpa)
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Bundesjustizminister Marco Buschmann zeigt Verständnis für Wirtschaftsvertreter, die das geplante Gesetz zum Bürokratieabbau als unzureichend kritisieren. Trotz der geplanten Entlastungen hätten „die Menschen in der Wirtschaft recht, weil wir haben es natürlich in Deutschland bei der Bürokratie zu einer Weltmeisterschaft gebracht“, sagte der FDP-Politiker am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin.

Buschmann verglich den bestehenden bürokratischen Aufwand mit „Bauchspeck“, der nicht über Nacht verschwindet. „Das ist so ein bisschen, wie wenn man sich über Jahre so einen Bauch an Bauchspeck anfrisst, den kriegt man nicht über Nacht mit einem Knopfdruck weg. Aber wir müssen ja mal anfangen. Und der erste Schritt, den wir jetzt gemacht haben, ist schon ganz beachtlich“, erklärte der Justizminister.

Das Bürokratieentlastungsgesetz (BEG) IV als Teil eines dreigliedrigen Entlastungspakets soll vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Bürger von unnötigem Papierkram entlasten. So entfällt etwa für deutsche Staatsbürger die Meldepflicht in Hotels.

Größter Teil des Pakets mit etwa zwei Drittel der Entlastung ist, dass Buchungsbelege - Rechnungskopien, Kontoauszüge sowie Gehaltslisten - künftig nur acht statt zehn Jahre aufbewahrt werden müssen. Auch sollen Betriebskostenabrechnungen digitalisiert werden. Reisende sollen die Option bekommen, bei der Flugabfertigung Reisepässe digital vorzuzeigen. Öffentliche Versteigerungen sollen auch online möglich werden. Das federführende Justizministerium rechnet mit einem Steuerausfall von 200 Millionen Euro, 89 Millionen entfallen dabei auf den Bund. Zusammen liegt das versprochene Entlastungsvolumen für Unternehmen bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr.

„Das ist schon mal das größte Bürokratieentlastungspaket, das es je in der Geschichte dieses Landes gab“, betonte Buschmann.

Wirtschaft fordert effektivere Maßnahmen

Während die Regierung ihren ersten Schritt feiert, mehren sich Stimmen aus Wirtschaft und Startup-Szene, die weitreichendere Maßnahmen fordern. Verena Pausder, Vorsitzende des Startup-Verbands, sieht in dem Gesetz zwar einen positiven Ansatz, fordert aber mehr. „Ich hoffe, dass da noch viele weitere Bürokratieentlastungsgesetze kommen. Ich glaube, wir müssen sozusagen mal kollektiv ausmisten“, betonte Pausder im Interview mit Deutschlandfunk. Ihre Kritik richtet sich insbesondere gegen die langwierigen Gründungs- und Verwaltungsprozesse in Deutschland, die innovative Unternehmungen und Fachkräfteeinwanderung behindern. Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und der Deutsche Hotelverband (IHA) fordern Nachbesserungen.

DIHK-Präsident Peter Adrian wies auf die Notwendigkeit einer deutlichen Verbesserung des Gesetzesentwurfs im parlamentarischen Verfahren hin. „Angesichts der hohen Belastung mit unnötiger Bürokratie und der noch immer in Deutschland schwerfälligen Verwaltung ist das allerdings nur ein weiterer wichtiger Schritt“, sagte Adrian der „Augsburger Allgemeinen“.

IHA-Hauptgeschäftsführer Markus Luthe forderte, dass die Meldebescheinigung auch für ausländische Hotelgäste entfallen müsse. Zudem müssten auch die wegen der Kurtaxen erhobenen Meldepflichten für Heilbäder und Kurorte gestrichen werden.

Unterdessen hat der Bauernverband am Mittwoch von den Agrarministern von Bund und Ländern Entscheidungen zum Bürokratieabbau in der Landwirtschaft verlangt. „Unsere Betriebe werden von der Bürokratie erdrückt. Dieser Aufwand kostet immens viel Zeit und damit Geld“, mahnt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied.

Besonders scharfe Kritik kam vom Chemieverband VCI. Dies sei nicht einmal im Ansatz die notwendige Entlastung. „Wir müssen entrümpeln. Mit ein bisschen Frühjahrsputz ist es nicht getan“, so VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. „Die Bundesregierung verpasst den bürokratischen Befreiungsschlag“, kritisierte auch der Industrieverband BDI. Das jetzige Paket bleibe weit hinter den Erwartungen zurück. Es brauche mehr Praxischecks in den Ministerien. Außerdem müsse die Kultur des Misstrauens gegenüber der Wirtschaft weichen.

Der Großhandelsverband BGA forderte, das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen für Missstände in ihren Lieferketten in die Pflicht nimmt, abzuschaffen oder zumindest deutlich abzuspecken. Aus Sicht der Wirtschaft brummt es Firmen viele und kaum erfüllbare Informationspflichten auf.

Auch die Forschungsszene wird durch einen hohen Verwaltungsaufwand belastet. Jüngst hatte das Jahresgutachten der Expertenkommission „Forschung und Innovation“ (EFI) Bürokratie als zentrales Hemmnis für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Deutschland angeprangert.

Sonderbericht und neues Gesetz zum Bürokratieabbau

Die Bundesregierung hat bereits Maßnahmen zum Bürokratieabbau eingeleitet. Dazu gehören der Sonderbericht „Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau“ und das vierte Bürokratieentlastungsgesetz. Die Maßnahmen zielen darauf ab, Bürger, Unternehmen und Verwaltung zu entlasten. Dabei stehen Digitalisierungsprojekte und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Fokus. Bundesjustizminister Marco Buschmann betont die Notwendigkeit, Unternehmen von bürokratischen Lasten zu befreien und betrachtet die Initiative als Querschnittsaufgabe der gesamten Regierung.

Das aktuelle Gesetzespaket markiert nur den Beginn eines längeren Weges, den Deutschland gehen muss, um seine Bürokratie nachhaltig zu reduzieren und die Wirtschaft zu entlasten. Während der erste Schritt allgemein als positiv bewertet wird, stellt sich zunächst heraus, dass der Bürokratieabbau eine fortwährende Herausforderung bleibt, die konsequentes Handeln und weitere Reformen erfordert. (mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters)


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