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Sander, Jochen; Holbein, Hans
Hans Holbein d. J.: Tafelmaler in Basel ; 1515 - 1532 — München, 2005

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https://doi.org/10.11588/diglit.19342#0063

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Madonna mit zwei Heiligen (Brera, Mailand), der Typus der Maria, die
Bewegung der Finger, das sichere Anfassen des fröhlich-würdigen Kindes
und das Kolorit an Boltraffio. Dem Streben nach Vereinfachung der for-
malen Schönheit und der Steigerung des Kolorits entspricht eine klare,
übersichtliche Komposition, die mit Hilfe geometrischer Konstruktio-
nen aufgebaut wird. Die Erfindung geht auf Lionardo zurück und wurde
auch von Raphael als Grundlage für die Gruppierung verwendet.«31

Die Annahme der unmittelbaren Abhängigkeit der »Solothurner
Madonna« von italienischen Vorbildern sollte die Forschung bis heute
grundlegend bestimmen - die jüngste dem Gemälde gewidmete Publi-
kation von Oskar Bätschmann und Pascal Griener trägt denn auch den
programmatischen Untertitel »Eine Sacra Conversazione im Norden«.32

Die Selbstverständlichkeit, mit der die Holbein-Forschung des
20. Jahrhunderts von der Abhängigkeit dieses Gemäldes von italieni-
schen Vorbildern ausgegangen ist, steht jedoch in bemerkenswertem
Gegensatz zu den höchst vagen Angaben, welche konkreten italienischen
Kunstwerke denn als tatsächliche Vorbilder für Holbein in Frage gekom-
men sein könnten.33 So ist es das besondere Verdienst von Bätschmann
und Griener, über den Hinweis auf allgemein gefaßte »Ähnlichkeiten«
hinauszugehen und ein bestimmtes italienisches Kunstwerk zu benen-
nen, das Holbein als unmittelbarer Ausgangspunkt seiner eigenen Bild-
formulierung gedient haben soll - die »Pala dei Mercanti« (Abb. 24) des
Ferraresen Francesco del Cossa (um 1435-76/77), heute in der Pinaco-
teca Nazionale in Bologna.34 Del Cossa hatte diese »Sacra Conversa-
zione« mit der thronenden Madonna und den Heiligen Petronius und
Johannes Ev. im Jahre 1474 für das Forum der Händler in Bologna
gemalt.35 Den beiden Autoren galt dieses Gemälde
»... unter den zahllosen italienischen Darstellungen der Sacra Conversa-
zione mit dem Tor... [als das] einzige Werk, das qualifizierte Ähnlich-
keiten mit der Solothurner Madonna aufweist... Die Anordnung von
Figuren und Architektur, die Tiefe des Tores, die Plazierung der
Madonna vor dem Portal und der Ausblick in den Himmel sind bei
beiden Bildern signifikant ähnlich. Zudem ist bei Holbein der Bettler an
der gleichen ungewöhnlichen Stelle plaziert wie der Stifter in del Cossas
Bild«36.

Doch wie Bätschmann und Griener selbst ausführen,3' war zumindest
die zentrale Plazierung der Madonna mit Kind und Heiligen vor einem
antikischen Triumphbogen in der Augsburger Kunst spätestens seit den
Sandsteinreliefs Hans Dauchers von 1518 und 1520 wohlbekannt.38 Vor
allem aber finden sich unter den Gemälden Hans Holbeins d. Ä. zwei Bei-
spiele für die Verwendung des Tormotivs mit Himmelsdurchblick, die als
deutlich wahrscheinlichere Kandidaten für eine Anregung der Solothur-
ner Bildlösung gelten können: Mutmaßlich im Jahre 1517 entstand das
Bildnis eines Mannes, vermutlich aus der Augsburger Patrizierfamilie
Haugg, heute im Chrysler Museum in Norfolk, Virginia (Abb. 31),39 wäh-
rend der auf 1519 datierte »Lebensbrunnen« im Lissaboner Museu
Nacional de Arte Antiga (Abb. 34)40 mit seiner Triumphbogenarchitektur
unmittelbar auf Dauchers Relief von 1518, das sich heute im Kunst-
historischen Museum in Wien befindet, rekurriert.

Doch ganz abgesehen von der Tatsache, daß ein Teil der von Bätsch-
mann und Griener als Gemeinsamkeiten von del Cossas »Sacra Conver-
sazione« und Holbeins »Solothurner Madonna« herausgestrichenen
Bildelemente bereits der Augsburger Kunst des frühen 16. Jahrhunderts
wohl vertraut war, bezieht sich ihr Vergleich durchwegs auf Motive, die
unschwer durch Zeichnungen - und d. h. ohne Kenntnis des Originals
selbst - zu vermitteln waren. Außerdem unterscheiden sich del Cossas

und Holbeins Gemälde (wie Bätschmann und Griener selbst konzedie-
ren) unübersehbar »... in bezug auf das Format, den Thron, die Stellung
der Heiligen und das Kolorit«,41 was die Annahme einer unmittelbaren
Abhängigkeit der »Solothurner Madonna« von dem älteren italienischen
Gemälde nicht gerade plausibler macht.

Sucht man nun nach einer Alternative, die - abgesehen von dem in Augs-
burg gut bekannten Tor-Motiv - ähnliche oder gar größere »qualifizierte
Ähnlichkeiten« mit der »Solothurner Madonna« aufweist, als dies del
Cossas Bologneser Pala tut, wird man nicht etwa in Italien, sondern in
den Niederlanden fündig: So weist Jan van Eycks um die Mitte der 1430er
Jahre entstandene »Madonna des Kanonikus Joris van der Paele«, ehe-
mals in der Brügger Kirche St. Donatian, heute im dortigen Groeninge-
museum (Abb. 25),42 bemerkenswerte Analogien zur »Solothurner
Madonna« auf. Jan van Eycks Gottesmutter thront mit dem Kind im
Zentrum des Chores einer romanischen Kirche, symmetrisch flankiert zu
ihrer Rechten vom Heiligen Donatian in prachtvollem blaugoldenem
Brokatchormantel, zu ihrer Linken vom Heiligen Georg in schimmern-
der Rüstung. Ist dem Ritterheiligen bei Jan van Eyck der Stifter des
Gemäldes zugeordnet, so ist bei Holbein die Figur des Bettlers dem Hei-
ligen Martin attributiv beigegeben.

Handelt es sich bei diesen Übereinstimmungen der Holbein-Madonna
mit Jan van Eycks Gemälde - wie bei ihren Analogien mit Francesco del
Cossas »Sacra Conversazione« - um rein motivische Entsprechungen, die
auch in diesem Falle unschwer durch die Kenntnis von Nachzeichnungen
vermittelt worden sein könnten,43 so gibt es darüber hinausgehend »qua-
lifizierte Ähnlichkeiten«, die nur durch die unmittelbare Kenntnis eines
altniederländischen Gemäldes, sei es von Jan van Eyck selbst oder von
einem anderen Niederländer, der dessen spezifische Maltechnik pflegte,
zu erklären sind.

So hat John Rowlands mit Blick auf die »Solothurner Madonna« zu
Recht betont, der Künstler zeige hier zum ersten Mal in seiner Karriere
»... his great gift for representing the varied and intricate texture of clo-
thes«.44 Dies gilt um so mehr, bedenkt man, welch starke Einbußen die

24 Francesco del Cossa, Maria mit Kind und den Heiligen Petronius und Johannes Ev. («Pala
dei Mercanti«), Bologna, Pinacoteca Nazionale

»Hy is in Italien niet gheweest«. Der junge Holbein und Italien 59
 
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