Fehl- und Mangelernährung ist im Alter mit einer Häufigkeit von ca. 27 % eine grosse Belastung für die Betroffenen und das Gesundheitssystem.

Die Symptome einer zunehmenden Mangelernährungssituation waren für mich nicht nur als Ernährungsberaterin sondern auch als Nichte kaum übersehbar: Ausbleibender Appetit, Kraft- und Gewichtsverlust. Die Wunde am Bein heilte keinen Millimeter.

Wie alles begann

Im Frühjahr starb mein Onkel mit 92 Jahren. Meine Tante, 88 Jahre traf diesen Schicksalsschlag unendlich hart. Sie lebte bis dahin glücklich zusammen mit meinem Onkel in einer gut eingerichteten Alterswohnung am Zürichsee. Kinder hatten sie keine.

In der Nähe lädt ein wunderschön gestalteter Park mit Teiche, Wiesen, Blumenbeete und vielen Sitzbänken zum Spazieren und Verweilen ein. Die nahegelegenen Einkaufsmöglichkeiten schätzt meine Tante, die sie gut mit dem Rollator erreichen kann. Sie kocht fürs Leben gern.
Nun aber bestimmten plötzlich Telefonate mit Gemeinden und Behörden, Versand von Todesanzeigen, Vorbereitungen für Beerdigung den Alltag meiner Tante. Wegen der Coronapandemie entschied meine Tante, die Abdankungsfeier erst im Sommer durchzuführen.
In dieser Zeit telefonierte ich mit meiner Tante regelmässig. Sie versicherte mir jedes Mal, dass es ihr gut gehe und Dank Unterstützung eines früheren Nachbars den organisatorischen und administrativen Aufwand im Griff hätte. Nur Zeit zum Trauern hätte sie kaum.

Der Besuch

Als der Bundesrat während der Coronapandemie den Alters- und Wohnheimen wiederum erlaubte, Angehörige zu empfangen, machte ich mich sofort auf, meine Tante mit einem selbstgebackenen Kuchen zu überraschen. Ich hatte sie seit einiger Zeit nicht mehr gesehen. Voller Freude öffnete mir meine Tante die Türe. Ich erschrak. Meine Tante hatte viele Kilos an Gewicht verloren. Die Kleider hingen am Körper runter , als ob sie 2-3 Kleidernummern zu gross gewählt hätte. Sie erzählte mir, dass sie kaum mehr mit dem Rollator unterwegs sei, weil sie die Beine nicht mehr tragen. Vor einiger Zeit hätte sie sich dummerweise am Bettrand das Schienbein derart gestossen, dass die Haut platzte. Seither käme die Spitex für die Wundversorgung vorbei, doch die Wunde wolle einfach nicht richtig zuwachsen. Als ich sie über das Essen ausfragte, antwortete sie nur, dass sie oftmals die Zeit vergesse, zu essen.

Es war nicht leicht, Nichte und Ernährungsberaterin unter einen Hut zu bringen

Ich versuchte ihr mit ein paar einfachen und praktischen Ernährungstipps zu helfen (z.B.Vollrahm ins Birchermüsli oder ins Jogurt geben).
Natürlich stiess ich zuerst auf Abwehr. „Warum soll ich mich um mehr Kalorien bemühen, ich bin doch alt und sterben müssen alle“, war ihre Antwort.
Es war für mich eine echte Herausforderung als Nichte und als Ernährungsberaterin meine Tante von den vielen Vorteilen einer kalorien- und eiweissreichen Ernährung zu überzeugen. Schlussendlich erstellte ich ihr eine Liste mit allen Arten von Anreicherungsmöglichkeiten und vereinbarte mit meiner Tante, täglich drei Empfehlungen davon in ihren Essalltag einzubauen. Meiner Tante gefiel diese Idee.

Mangelernährung beinahe besiegt

Zwar hat meine Tante bis heute das Normalgewicht noch nicht ganz erreicht, doch die Wunde ist deutlich zugewachsen. Sie fühle deutlich mehr Kraft in den Beinen und sei weniger müde. Wenn wir heute telefonieren, erzählt sie mir, was sie gekocht habe und was sie noch plane zu kochen. Im Nachhinein bin ich heilfroh, dass meine Tante und ich einen Weg zusammen gefunden haben, der drohenden Mangelernährung zu entkommen. Bestimmte Nährstoffsupplemente nimmt meine Tante täglich heute noch zu sich . Beim letzten Telefongespräch verriet sie mir, dass das Sommerkleid einfach schöner aussehe, wenn die Oberarme wieder etwas fülliger seien.

Mein Fazit

Als Angehörige und auch als Ernährungsberaterin habe ich erfahren, wie schwierig es oftmals ist, Betroffene für eine Ernährungsoptimierung zu überzeugen, um gesundheitliche Risiken bei einer Mangelernährungssituation frühzeitig abwenden zu können. Klar hatte ich als Ernährungsberaterin Vorteile, passende Ergänzungsnahrung meiner Tante vorzuschlagen und mit der Ernährungstherapie sofort zu beginnen. Ich glaube es hat aber zudem geholfen, dass ich die Bedürfnisse meiner Tante ernst genommen und dass wir gemeinsam einen Ernährungplan erstellt haben. So fühlte sich meine Tante nicht überrumpelt, sondern mit all ihren Vorlieben und Abneigungen ganz und gar respektiert.

Franziska Staub BSc BFH
Nichte und Ernährungsberaterin SVDE

SRF Puls Video zum Thema Mangelernährung im Alter