Gemischte Sätze aller Art  – von herausgefallenen und umgestellten Buchstaben in der Stadt

Foto: B. Höpler

Überall in der Stadt begegnet uns Geschriebenes: Hinweis- und Verbotsschilder, Denkmalinschriften, Straßennamen, Werbung, Logos, Geschäftsinschriften. Es gibt kein Entkommen, die Stadt ist ein kollektives, gewachsenes Text- und Handlungsgewebe, ein Schauplatz der Verwandlung des Lebens in Schrift.


Nonsence Tamtam machen

Die Künstlerin Natalie Deewan betreibt angewandte Literatur und arbeitet sozusagen als Schrift-hin-und-her-Stellerin in Wien. Sie sucht und findet sprachliche Lösungen, praktiziert unter anderem angewandte und kollektive Literatur im öffentlichen Raum. Seit 2005 betreibt sie, gemeinsam mit Afzaal Deewan, den Wiener Deewan, ein pakistanisches Curry-Lokal mit pay-as-you-wish-Prinzip.

Eines ihrer vielfältigen Projekte sind die Leerstandsanagramme, 2017 begonnen. Mit diesen spielerischen Sprachumstellungen möchte sie Leerstand und seine Möglichkeiten aufzeigen. Neue Gewerbe, Ideen und Handlungen können Raum finden. Leerstand als Freiraum. Nach Geschäftsschluss hat die Reklameaufschrift ausgedient – und macht sich selbständig.

Aus den vorhandenen Buchstaben entsteht durch anagrammatische Umstellung (die Buchstaben oder Silben innerhalb eines Wortes werden in ein neues, sinnvolles Wort überführt) eine neue, diesmal nicht-kommerzielle Botschaft. Sie geht der Frage nach, ob es in der Stadt neben Werbung auch Platz für andere Texte gibt, beziehungsweise versorgt die Stadt mit ganz eigener Poesie und Handlungsanweisungen. Anstelle der verschwundenen Milch- und Lebensmittelgeschäfte eine Art Poesienahversorgung.

Aus einer Tischlerei wird „Strichelei“, aus dem Sofortdienst „I do not stress“, der Firmenname Mecano-Techna Stemann wird in „Nonsence Tamtam machen“ umgewandelt. Einer meiner liebsten Schriftzüge – er leuchtet auch in der Dunkelheit – ist die in „Pure Zeit“ verwandelte Putzerei im 8. Bezirk in der Lange Gasse. Solche poetischen Handlungsanweisungen haben schon Potential, das Leben in der Stadt zu verwandeln. Sich nicht stressen, pure Zeit haben und tamtam machen!

Foto: B.Höpler

Wienweit werden geeignete Leerstandskandidaten aufgespürt und auf ihre versteckten Aussagen abgeklopft. Nach Rücksprache werden die Lettern auf der Fassade rearangiert. Die neuen Texte bleiben auf Gebäudelebenszeit – oder bis zur nächsten Neueröffnung – bestehen.

Einer von Natalies letzten Streichen ist die Installation „Perfmafurie“ über dem feministischen, experimentellen Raum für Aktivismus und provokatives Denken mz balthazars lab. Die markanten, schwarzen Buchstaben einer ehemaligen Parfümerie in der Favoritenstraße wurden in die Jägerstraße übersiedelt und zur Permafurie.

Foto: B.Höpler

Mit Sprache jonglieren

Immer wieder veranstaltet Natalie Deewan so genannte „Anagrammatische Stammtische“ und lädt ein, die Wortumwandlungen selbst auszuprobieren. Es ist ein sinnlicher Umgang mit Sprache, die Buchstaben einzeln in die Hand zu nehmen und zu neuen Worten hin und her zu schieben. Die Sprache sozusagen in die Hand nehmen. Und den Blick weiten. Einmal in das städtische Textfeld eingetaucht, gibt es kaum entkommen.

Foto: B. Höpler

Überall lassen sich versteckte, die Fantasie anregende Textbotschaften entdecken. Ein verschwundenes B macht aus dem Bahnmeister einen „Ahnmeister“. Vielleicht ist mittlerweile schon das ganze Gebäude mit dem Schriftzug verschwunden und der Ahnmeister trinkt mit der Permafurie einen Wiener Gemischten Satz.

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