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POLICY BRIEF



Onlinehandel im S
                ­ pannungsfeld
von Verbraucherschutz und
Nachhaltigkeit
HANS W. MICKLITZ NIKOLA SCHIEFKE
CHRISTA LIEDTKE PETER KENNING
LOUISA SPECHT-RIEMENSCHNEIDER NINA BAUR
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Zitierhinweis für diese Publikation:
  Micklitz, H. W., Schiefke, N., Liedtke, C., Kenning, P., Specht-Riemenschneider, L., Baur, N. [2020].
  Onlinehandel im Spannungsfeld von Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit. ­Veröffentlichungen des
  Sachverständigen­rats für Verbraucherfragen. Berlin: Sachverständigenrat für ­Verbraucherfragen.




Berlin, Dezember 2020
Veröffentlichungen des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen
ISSN: 2365-919X


Herausgeber
Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
Mohrenstraße 37
10117 Berlin
Telefon: +49 (0) 30 18 580-0
Fax: +49 (0) 30 18 580-9525


E-Mail: info@svr-verbraucherfragen.de
Internet: www.svr-verbraucherfragen.de


Gestaltung: Atelier Hauer + Dörfler GmbH


© SVRV 2020
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POLICY BRIEF



Onlinehandel im S
                ­ pannungsfeld
von Verbraucherschutz und
Nachhaltigkeit
HANS W. MICKLITZ NIKOLA SCHIEFKE CHRISTA LIEDTKE PETER KENNING
LOUISA SPECHT-RIEMENSCHNEIDER NINA BAUR




Hans W. Micklitz                                       Peter Kenning
Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV),      Sachverständigenrat für Verbraucherfragen
Europäisches Hochschulinstitut in Florenz und          (SVRV), Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der
Finland Distinguished Professor, University Helsinki   Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf


Nikola Schiefke                                        Louisa Specht-Riemenschneider
Geschäftsstelle des Sachverständigenrats für           Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV),
Verbraucherfragen (SVRV), Bundesministerium der        Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), Berlin
                                                       Nina Baur
Christa Liedtke                                        Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV),
Sachverständigenrat für Verbraucherfragen (SVRV),      Institut für Soziologie der Technischen Universität
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie,         Berlin
Folkwang Universität der Künste in Essen




Anmerkungen


Die Sprache in diesem Text ist grundsätzlich geschlechterneutral gemeint. Auf eine durchgehende Nennung der
Geschlechter wurde zugunsten der besseren Lesbarkeit verzichtet.
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    Dank

    Der Sachverständigenrat möchte sich bei Frau Dr.
    J utta Kemper (Unterabteilungsleiterin im BMJV),
    ­
    Herrn Dr. Thomas Weber (Leiter des für Nachhaltig-
    keit zuständigen Referats im BMJV) und der Leiterin
    der Geschäftsstelle des SVRV, Frau Barbara Leier,
    LL.M. (Duke University) für die wertvollen Anregungen
    und Diskussio­nen bedanken, sowie bei Herrn Dr. Björn
    ­Asdecker (Otto-Friedrich-Universität Bamberg) für die
    Überlassung relevanter Forschungsergebnisse der For-
    schungsgruppe Retourenmanagement.
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Mitglieder und Mitarbeitende
des SVRV

Mitglieder des SVRV
Prof. Dr. Peter Kenning (Vorsitzender)                  Prof. Dr. Christa Liedtke
Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre,    Leiterin der Abteilung „Nachhaltiges Produzieren
insbesondere Marketing, an der Wirtschaftswissen-       und Konsumieren“ am Wuppertal Institut für Klima,
schaftlichen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität    Umwelt, Energie und Professorin für Nachhaltigkeit
Düsseldorf                                              im Design, Fachbereich Industrial Design an der
                                                        Folkwang Universität der Künste in Essen
Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider
(Stellvertretende Vorsitzende)                          Prof. Dr. Dr. h. c. Hans W. Micklitz
Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht,        Professor für Wirtschaftsrecht am Robert Schuman
Informations- und Datenrecht an der Rechts- und         Centre für Advanced Studies des Europäischen Hoch­
Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen       schulinstituts in Florenz und Finland Distinguished
Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn                     Professor, University Helsinki


Prof. Dr. Nina Baur                                     Sven Scharioth
Leiterin des Fachgebiets Methoden der empirischen       Bereichsleitung Marktbeobachtung und Mitglied
Sozialforschung am Institut für Soziologie der          der Geschäftsleitung im Verbraucherzentrale
Technischen Universität Berlin                          Bundesverband e. V.


Susanne Dehmel                                          Prof. Dr. Dr. h. c. Gert G. Wagner
Rechtsanwältin und Mitglied der Geschäftsleitung        Max Planck Fellow am MPI für Bildungsforschung
von Bitkom e. V.                                        in Berlin, Research Associate beim Alexander von
                                                        Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in
Prof. Dr. Veronika Grimm                                Berlin und Senior Research Fellow bei der Längs­
Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre,     schnittstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP)
insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Rechts- und     am DIW Berlin
Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-
Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg




Mitarbeitende des SVRV
Leiterin der Geschäftsstelle:                           Wissenschaftlicher Stab der Geschäftsstelle:


Barbara Leier, LL.M. (Duke University)                  Dr. Christian Groß
                                                        Sarah Sommer, M.A.
                                                        Dr. Patrick Weber
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    Executive Summary

    Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher inte-          Der Umsatzanteil des Onlinehandels betrug 2019 be-
    ressieren sich für die Bedingungen, unter denen Kon-       reits 10 Prozent des gesamten Einzelhandelsumsat-
    sumgüter und Dienstleistungen entstehen. Sie möchten       zes in Deutschland. Absolut liegt er derzeit bei 72,6
    möglichst nachhaltig konsumieren. Gleichzeitig wün-        Mrd. Euro. Mehr als 80 Prozent der Deutschen im Al-
    schen sie sich aber auch einen ungestörten, möglichst      ter zwischen 14 und 69 Jahren kaufen online ein. Alle
    sorglosen Konsum. Daraus entstehen Konflikte, die          Prognosen unterstellen ein weiteres Wachstum dieser
    nicht nur gesellschaftlich diskutiert werden, sondern      Vertriebsform. Mit der steigenden Bedeutung des On-
    sich auch in rechtlichen Problemen widerspiegeln.          linehandels steigt aber auch die Anzahl der Retouren.
    Denn während Nachhaltigkeit bislang im Umweltrecht         Circa 12 Prozent aller bestellten Artikel und sogar ca.
    verankert ist, finden sich im Verbraucherrecht hin­gegen   45 Prozent der online bestellten Textilien und Schuhe
    nur wenige, erste Ansätze. Die daraus resultierende        wurden im Jahr 2018 von den Verbrauchern retourniert.
    Problematik eines auf den Vertragsschluss konzen­          Die Gesamtkosten der Branche für die Retouren liegen
    trierten Verbraucherrechts in Zeiten einer zunehmenden     bei geschätzten 5,46 Mrd. Euro. Dies entspricht in etwa
    Bedeutung des nachhaltigen Konsums soll im vorlie-         dem jährlichen Bruttogehalt von 138.000 Arbeitneh-
    genden Papier an einem Beispiel veranschaulicht wer-       mern. Ein zentraler Grund für diese hohe Summe ist,
    den: der Retourenproblematik im Onlinehandel.              dass Verbraucher binnen 14 Tagen ab Erhalt, also physi-
                                                               scher Entgegennahme der Ware, den Vertrag grundlos
                                                               widerrufen können und im Anschluss den Verkaufspreis
                                                               und in der Regel die Versandkosten von den Unterneh-
                                                               men zurückerhalten. Meistens übernehmen die Unter-
                                                               nehmen sogar die Rücksendekosten.
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Eine holistische Betrachtung aller Regelungen entlang    Bei der Suche nach dem Weg in eine, so widersprüch-
der Produktzyklen von der Produktion bis zur erhofften   lich es klingen mag, nachhaltige Konsumgesellschaft
Wiederverwertung zeigt, dass die nicht im Mittelpunkt    sind die Verantwortlichkeiten der Unternehmen, des
stehenden Phasen weit vor und nach Vertragsschluss       Gesetzgebers und des Verbrauchers neu auszutarie-
national und international unterschiedlichen recht-      ren. Gefordert ist eine Verantwortungsübernahme al-
lichen Anforderungen unterliegen. Für den Verbrau-       ler Beteiligten. Der SVRV diskutiert das Für und Wider
cher ist es derzeit nahezu ausgeschlossen, sich über     möglicher Wege zur Förderung des nachhaltigen Kon-
die Regeln einen Überblick zu verschaffen und vor al-    sums: Anreizsysteme, Befähigung zu einem verantwor-
lem herauszufinden, unter welchen Bedingungen die        tungsbewussten Handeln (sogenanntes Boosting oder
im Onlinehandel gekauften Produkte hergestellt und       Nudging), Besteuerung von Ressourcen, Selbstver-
transportiert werden sowie ob und in welcher Form sie    pflichtungen, Einführung einer Kostentragungspflicht
in den Produktkreislauf zurückgeführt werden.            für Retouren von mangelfreien Produkten, technologi-
                                                         sche Lösungen zur Reduzierung von Retouren und die
Ein Ausbau des bisherigen Verbraucherrechtssys-          Einführung eines Lieferkettengesetzes. Wofür auch im-
tems hin auf einen nachhaltigen Konsum lässt sich        mer man sich entscheiden wird, die Transformation der
allerdings nicht allein mit weiteren Informations- und   Wirtschaft im Hinblick auf Nachhaltigkeit bedarf einer
Aufklärungspflichten bewältigen. Notwendig ist eine      umfassenden politischen und gesellschaftlichen Dis-
Verzahnung der umweltrechtlichen mit den verbrau-        kussion, um die Voraussetzungen für die notwendigen
cherrechtlichen Regeln. Diese Herkulesaufgabe möch-      gesetzlichen Änderungen zu schaffen. Diese Transfor-
te der SVRV mit diesem Policy Brief anstoßen.            mation sollte dabei nicht nur auf einer supranationalen
                                                         Ebene stattfinden, sondern auch auf nationaler Ebene
                                                         vorangetrieben werden.




Keywords
SUSTAINABLE DEVELOPMENT GOALS / VERBRAUCHERRECHT / NACHHALTIGKEIT /
VERBRAUCHERVERANTWORTUNG / ONLINEHANDEL / RETOUREN / PRODUKTZYKLUS /
INFORMATIONSPFLICHTEN / UMWELTRECHT / LIEFERKETTEN / MENSCHENRECHTE
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6   ONLINEHANDEL IM S
                    ­ PANNUNGSFELD VON VERBRAUCHERSCHUTZ UND NACHHALTIGKEIT




    Inhalt

    I.            Problemaufriss.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

    II. Empirische Grundlagen des ­Onlinehandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
    1.            Umsatz, Produktgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
    2.            Retouren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12


    III. Onlinehandel im Spiegel der rechtlichen Regelungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
    1.            Verbrauchervertragsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
    a)            Vertragsschluss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
    b)            Widerruf des Vertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
    c)            Zwischenfazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
    2.            Rechtsgrundlagen von der Produktion zur Verwertung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
    a)            Rohstoffanbau/-gewinnung und Anforderungen an die Produktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
    b)            Vorvertragliche Phase, Werbung und vorvertragliche Informationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
    c)            Transport, insbesondere von der Produktion zum (Groß-)Händler und vom (Groß-)Händler zum Kunden. . . . . . . . . . . . . . . 23
    d)            Nachvertragliche Phase, insbesondere After-Sales-Promotion und Nutzung des Produkts.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
    e)            Ende der Nutzung durch den Kunden, insbesondere Entsorgung und Wiederaufbereitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
    f)            Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28


    IV. Lösungsansätze für eine ­nachhaltige Entwicklung des O
                                                             ­ nlinehandels. . . . . . . . . . . . . . . . 30
    1.            Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
    a)            Verteilung von Verantwortlichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
    b)            Regelungsebenen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
    2.            Ansätze für eine nachhaltige Entwicklung des Onlinehandels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
    a)            Für und Wider einer Kostentragungspflicht.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
    b)            Für und Wider technologischer Lösungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
    c)            Für und Wider einer Selbstverpflichtung zum Zwecke der Reduktion des „Free Shipping Effect“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
    d)            Technologische Ansätze für eine nachhaltigere Produktauswahl in Onlineshops.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
    3.            Ansätze für eine n
                                   ­ achhaltige Entwicklung des ­Verbrauchervertragsrechts.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
    4.            Ansätze außerhalb des V
                                        ­ erbrauchervertragsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
    a)            Lieferkettengesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
    b)            Beteiligung der Hersteller an den Kosten des Recyclings. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
    c)            Reduzierung des Primärrohstoffverbrauchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36


    V. Schlussbemerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

    Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
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I. Problemaufriss                                                                                                                                     7




I. Problemaufriss

Verbraucherpolitik und Umweltpolitik, Verbraucher-                          ten des Verbrauchervertragsrechts in den §§ 312 ff.,
recht und Umweltrecht, so wie sie heute die politische                      355 ff. und 310 Abs. 3 BGB sowie die bei den einzel-
Diskussion bestimmen, sind nahezu zeitgleich in den                         nen Vertragstypen angefügten Sonderregeln wie zum
60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts entstanden.                         Beispiel §§ 474 ff., 491 ff. und 651a ff. BGB. Darüber
VerbraucherRECHT geht zurück auf die Verbraucher-                           hinaus finden sich eine Vielzahl hoheitlich-präven-
botschaft von Präsident Kennedy im Jahre 1962.1 Die                         tiver Verbraucherschutzvorschriften im öffentlichen
Politik und die Ideologie finden ihren Ausdruck in der                      Recht,2 so zum Beispiel Regelungen zu verbraucher-
Consumer-Rights-Rhetorik, der Idee, dass Verbrau-                           schützenden Standards und deren Durchsetzung im
cher mit Rechten ausgestattet werden müssen, um sich                        Verwaltungsrecht, wie unter anderem im Arznei- und
in der Konsumgesellschaft behaupten zu können. Die                          Lebensmittelrecht. Das nicht eben konfliktfreie Ver-
letzten sechs Jahrzehnte haben einen erheblichen Aus-                       hältnis zwischen Verbraucherrecht und Umweltrecht
bau der Verbraucherrechte mit sich gebracht und das                         ist spätestens seit den 90er Jahren hinlänglich be-
Verbraucherrecht zu einem eigenständigen Rechts-                            kannt.3 Verbraucherrecht und Verbraucherpolitik ba-
gebiet ausgeformt. Eine allgemeingültige Definition                         sieren ursprünglich auf der Idee eines ungestörten
für den Begriff des Verbraucherrechts ist bisher nicht                      Konsums. Verbraucherrechte sollen garantieren,
entwickelt worden und es ist nicht trennscharf ab-                          dass defekte Produkte repariert oder ausgetauscht
grenzbar von anderen Rechtsgebieten. Dies insbeson-                         werden können. Widerrufsrechte im Direktvertrieb,
dere deshalb, weil es in Deutschland kein eigenstän-                        im Fernabsatz, im Timesharing und im Verbraucher-
diges Gesetzbuch für Verbraucherrecht gibt, sondern                         kredit bieten dem Verbraucher die Möglichkeit, un-
die jeweiligen Vorschriften verteilt sind auf viele unter-                  erwünschte Verträge aus der Welt zu schaffen, und
schiedliche Gesetze. Selbst in den EU-Mitgliedstaaten,                      sei es aus dem Grund, dass der Verbraucher nach
in denen es ein eigenes Verbrauchergesetzbuch gibt,                         Abschluss des Vertrages ein besseres, weil billigeres
wie etwa Frankreich und Italien, fehlt es an einer kon-                     Angebot gefunden hat.
zeptionellen Durchdringung eines eigenständigen und
für sich selbst stehenden Verbraucherrechts. Über-                          Umweltpolitik und Umweltschutz sowie Umweltrecht
wiegend handelt es sich um eine Gesetzessammlung,                           stehen für ein anderes Weltbild und verfolgen eine an-
die in ihren Grundfesten auf den Regeln der nationalen                      dere Intention. Hier geht es um den Schutz der Na-
Zivilgesetzbücher aufruht und ohne dieses Referenz-                         tur vor möglichen Risiken der Produktions- und Kon-
system nicht auskommt.                                                      sumgesellschaft.4 Sowohl das Umwelt- als auch das
                                                                            Verbraucherrecht sind Querschnittsmaterien, deren
Eine gewisse Orientierung bietet die Definition von                         Regelungen bisher weitestgehend ohne Bezug zuein-
Verbraucherschutzgesetzen in § 2 Abs. 1 UKlaG als                           ander erlassen wurden. Der Aufstieg der Nachhaltig-
„Vorschriften […], die dem Schutz der Verbraucher                           keit als Politikkonzept – seit dem Brundtland-Bericht
dienen“. Nach allgemeinem Verständnis zählen zum                            1987 bis zur Formulierung und Verabschiedung der
Verbraucherrecht insbesondere die Sondervorschrif-                          internatio­nalen Nachhaltigkeitsziele 2015 (der Agenda




1   Schrader/Liedtke/Lamla/Arens-Azevêdo/Hagen/Jaquemoth/Kenning/Schmidt-Kessel/Strünck, Verbraucherpolitik für nachhaltigen Kon-
    sum – ­Verbraucherpolitische Perspektiven für eine nachhaltige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, 2013; Hippel, Verbraucherschutz,
    1. ­Auflage 1974 mit dem Abdruck der für die Entstehungsgeschichte einschlägigen Dokumente.
2   Schmidt-Kessel, Lehrbuch Verbraucherrecht, 2018, S. 6.
3   Krämer/Micklitz/Tonner, Law and diffuse Interests in the European Legal Order, Liber amicorum Norbert Reich, 1997.
4   Vgl. hierzu auch Liedtke/Baur/Dehmel/Grimm/Kenning/Micklitz/Specht-Riemenschneider/Scharioth, Nachhaltigen Konsum und Nachhaltige Pro-
    duktion ermöglichen – Empfehlungen für die Verbraucherpolitik, 2020; Europäische Kommission, Aktionsplan für Nachhaltigkeit in Produktion und
    Verbrauch und für eine nachhaltige Industriepolitik, 2008.
9

8   ONLINEHANDEL IM S
                    ­ PANNUNGSFELD VON VERBRAUCHERSCHUTZ UND NACHHALTIGKEIT




    2030) – hat an der fehlenden gedanklichen und sys-                             müssen beide Rechtsmaterien zusammengedacht,
    tematischen Verbindung beziehungsweise fehlenden                               aufeinander abgestimmt und miteinander verknüpft
    gegenseitigen Durchdringung beider Rechtsmaterien                              werden. Das verlangt, sich mit den Grenzen der
    nichts Grundlegendes geändert. Damit soll nicht ge-                            Rechte­rhetorik auseinanderzusetzen. Diejenigen Ver-
    sagt werden, dass es nicht Ansätze im Verbraucher-                             treter der Rechtswissenschaft, die die Ansätze der
    recht gibt, die Umwelt und die Nachhaltigkeit in den                           Verknüpfung im geltenden Recht suchen beziehungs-
    Bestand der bisherigen Regeln einzubauen.5 Je nach-                            weise in einer Weiterentwicklung und Überformung
    dem, welchen Stellenwert man den Nachhaltigkeits-                              des Verbraucherrechts mit umweltpolitischen Ziel-
    zielen beimisst, ist jedoch weit mehr erforderlich als                         setzungen, plädieren für einen Ausbau der Verbrau-
    die Fortschreibung der bisherigen „Ansätze“ hin auf                            cherrechte hin auf die Sicherstellung eines nachhalti-
    nachhaltige Konsumentenrechte. Das gesamte über                                gen Konsums.9 In einer solchen Perspektive hängt die
    Jahrzehnte hinweg immer weiter ausgebaute Ver-                                 Realisierung von Nachhaltigkeit an der Wahrnehmung
    braucherrecht ist neu zu durchdenken.6                                         und Ausübung der Verbraucherrechte. Die Rechte­
                                                                                   rhetorik wird sozusagen in die Nachhaltigkeit hinein
    Nachhaltigkeit wird als Transformationsziel im Sinne                           verlängert. Für eine wirkliche Veränderung ist mehr
    der Agenda 2030 verstanden. Eine nachhaltige Ent-                              erforderlich. Der Verbraucher muss aktiv Verantwor-
    wicklung ist demnach eine Entwicklung, die den Be-                             tung für seinen Konsum übernehmen, ebenso wie
    dürfnissen der jetzigen Generation dient, ohne die                             der Hersteller für die nachhaltige Produktion und der
    Möglichkeit künftiger Generationen zu gefährden, ihre                          Gesetzgeber für die Bereitstellung eines rechtlichen
    Bedürfnisse zu befriedigen. Sie hat drei Dimensio-
                                           7
                                                                                   Rahmens.10 Im Verbraucherrecht hat weder die Ver-
    nen – eine wirtschaftliche, eine soziale und eine ökolo-                       antwortung des Verbrauchers noch die des Herstellers
    gische. Obwohl seit 2015 mit den internationalen Nach-                         für einen nachhaltigen Konsum bislang Niederschlag
    haltigkeitszielen konkrete politikbereichsübergreifende                        gefunden. Eine der Kernfragen der Verbraucherpoli-
    weltweit anerkannte Ziele vorliegen (die sogenannten                           tik ist, wie verantwortliches und verantwortungsbe-
    SDGs: Sustainable Development Goals), sind diese bis-                          wusstes Verbraucherhandeln im Sinne der Nachhal-
    her allenfalls rudimentär in die verbraucherrechtlichen                        tigkeit gefördert werden kann. Hier rücken weithin
    Grundlagen eingeflossen. Die SDGs 8 „Nachhaltiges                              diskutierte Anreizsysteme (Boosting11 und Nudging12)
    Wirtschaftswachstum“ und 12 „Nachhaltige Produk-                               in den Vordergrund, die oftmals mit der Verbraucher-
    tions- und Konsummuster sicherstellen“ nehmen die                              bildung und Bildung für Nachhaltige Entwicklung ver-
    nachhaltige Entwicklung der Produktions- und Kon-                              knüpft werden.13
    sumgesellschaft in den Blick.              8


                                                                                   Die SDGs adressieren das Verbraucherrecht an keiner
    Das Schlagwort vom nachhaltigen Konsum ist auf                                 Stelle direkt. Als Querschnittsmaterie liefern sie je-
    den ersten Blick ein Oxymoron, das nach tradiertem                             doch Ansatzpunkte für eine Neuausrichtung des Ver-
    Verständnis einander entgegengesetzte Ziele zu ver-                            braucherrechts.14 Das Bundesministerium der Justiz
    einen sucht. Will man diesen Widerspruch auflösen,                             und für Verbraucherschutz (BMJV) als in erster Linie




    5     Überblick bei Halfmeier, Nachhaltiges Privatrecht, AcP 215, 2016, S. 717.
    6    Micklitz, Squaring the Circle? Reconciling Consumer Law and the Circular Economy, in: Keirsbilck/Terryn (Hrsg.), Consumer Protection in a Circular
         Economy, 2019, S. 321.
    7     Diese Definition geht insbesondere zurück auf den Brundtland-Bericht der UN World Commission on Environment and Development.
    8    Liedtke et al., Nachhaltigen Konsum und Nachhaltige Produktion ermöglichen, 2020.
    9    Tonner/Gawel/Schlacke/Alt/Bretschneider, Gewährleistung und Garantie als Instrumente zur Durchsetzung eines nachhaltigen Produktumgangs,
         VuR 2017, S. 3; sowie im Europäischen Kontext: Keirsbilck/Terryn (Hrsg.), Circular Economy and Consumer Protection, 2019.
    10   Schrader et al., Verbraucherpolitik für nachhaltigen Konsum, 2013, S. 6 und 17.
    11   Max-Planck-Institut (MPI) für Bildungsforschung, Stärkung von Entscheidungskompetenzen („Boosting“).
    12   Sunstein/Reisch, Trusting Nudges: Toward a bill of right for nudging, 2019; Umweltbundesamt (UBA), Nudge-Ansätze beim nachhaltigen Konsum:
         ­Ermittlung und Entwicklung von Maßnahmen zum „Anstoßen“ nachhaltiger Konsummuster, 2017.
    13    Schrader et al., Verbraucherpolitik für nachhaltigen Konsum, 2013, S. 17.
    14   Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), Ressortbericht Nachhaltigkeit, Bericht zum Stand der Integration der Rechts- und
          Verbraucherpolitik in die Agenda 2030, 2020.
10

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