"Deads" von LLNN.
Die abwesenden Gesichter der Passanten beim Anblick eines frierenden Obdachlosen. Die 100 Toten in Syri–Swipe. Der von Polizisten erschossene Afroamerikan–Swipe. Der ermordete Enthüllungsjournalist in der Slow–Swipe. Ein springender Pinguin – Like. Die sich ständig in ihrer Grausamkeit überholenden Nachrichten von Amokläufen in den USA. Die Fotos von im Öl ertrinkenden Vögeln, Fischen, Seelöwen. Die verhungernden Eisbären, die für ein bisschen Fleisch zu Tausenden geschlachteten Delfine. Das bittere Schweigen und entseelte Tippen in Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen und Werbeagenturen nach der sechzehnten voll gearbeiteten Stunde. Das stumme Wimmern des verheimlichten Zusammenbruchs, weil die Präsentation noch immer nicht nach den Wünschen des Vorgesetzten ist. Das jahrelange Ertragen von hämischen, sexistischen Kommentaren des Chefs als Frau, weil "der eben so ist". Der tägliche Terror des Wunsches nach einem Aufschrei, der in der strukturellen Systematik zwischen Pflichterfüllung, Selbstzweifel und Angst um die eigene Zukunft hinuntergeschluckt wird.
Und dann die Flucht in die Bierflasche, in das Weinglas, in das Paradies, das in der Spritze wohnt. Das Brennen auf der Haut, wenn man, um etwas, zumindest ein bisschen etwas, verdammt noch mal irgendetwas zu spüren, das Wasser in der Dusche brennheiß aufdreht. Das stellvertretende Schreien in Hass-Foren, rassistischen Facebook-Kommentaren oder über YouTube-Verschwörungstheoretiker. Das sinnentleerte, doch aufputschende Aufwerten des eigenen Körpers mit Chia-Samen, Detox, Sit-Ups und Calisthenics – das die eigene Leere in der vollwertigen Ernährung aufgehen lassen soll. Die völlige Aufgabe des Selbst und das Leben im nie endenden Entertainment-Flow der Streaming-Plattformen. Nachdenken? "Nächste Folge." Aktives, politisches Vorgehen gegen die Ungerechtigkeiten? "Intro überspringen". Und statt dem Happy End wartet nur das Ende der Menschlichkeit.
Christian Bonnesen, Rasmus G Sejersen, Ketil Sejersen und Rasmus Furbo haben all diese Gefühle, all diese unkommentierten Gräueltaten erlebt, studiert und verkehren sie auf ihrem zweiten Longplayer "Deads" in ihr Gegenteil: Sie machen die Stummheit laut, wütend, rasend. Sie spucken die runtergeschluckten Schreie mit erschütternder Ehrlichkeit aus. Sie lenken den Blick mit zermalmenden Takten weg von der trügerischen Feel-Good-Harmonie der retouchierten Instagram-Plastikmenschen hin zu all dem, vor dem wir unsere Augen verschließen. Sie vertonen das Gefühl der Maschin-Werdung des Menschen im Alltag der ständigen Erreichbarkeit, nie endenden Verbindung und völligen Auflösung der Trennung zwischen Arbeitstag und Freizeit.
Als LLNN nehmen die Vier all diese tristen, stillen, doch in ihrer Abnormität schier erdrückenden Ereignisse und zerkochen sie mit mechanischen Rhythmen auf reduzierte Schroffheit. Kratzen ihnen jegliches beschönende Moment mit einer durchdringenden, heiseren Schreistimme vom Korpus. Befreien die Perversität mit atonal schleifenden Gitarren von allem, was sie verschleiert. Und halten uns die abartige Fratze des Alltags, unterlegt mit hypnotisierenden Klangflächen in all ihrer Unbarmherzigkeit ins Gesicht. "Deads" ist die Vertonung der Conditio Humana einer Gesellschaft, die es als erste Spezies in der Geschichte des Planeten Erde schafft, ihren eigenen Lebensraum systematisch zu zerstören. Die das, was sie zu dem macht, was sie ist – das Mitgefühl, die Sprache, die Kultur – im nackten Übertrumpfen des Nächsten mit beiden Händen über Bord wirft. Die ihr Seelenheil eher beim Stieren in bleiche Bildschirme zu finden glaubt, als im Gespräch, im Austausch, im Miteinander.
Dabei schaffen es die vier Dänen, 80s-Sci-Fi Synthies, atmosphärische, wie im Black Metal verwurzelte Gitarren mit rüden Hardcore-Riffs organisch miteinander zu verweben. Was zunächst chaotisch erscheint, entfaltet sich sodann als pervers-penibelste Orchestrierung des Untergangs. Jedes Riff, jede Klangfläche, jedes Drum-Break verfolgt ein Ziel und führt den Hörer durch den Kanossagang der Grausamkeiten. Der bei mehrmaligem Durchschreiten immer wieder neue prekäre Details entdecken lässt. Somit ist "Deads" der erst ungläubige, dann wütende und schließlich verzweifelnde Blick auf das Absterben der Menschlichkeit im Zeitalter der künstlichen Intelligenz in allen Momenten des Alltags. Ein Metal-Album, das längst "post" aller Vorstellungen, Ideen und Genregrenzen des Begriffs "Metal" ist – und dadurch zeitgemäßer und dringlicher nicht sein könnte. "Deads" wird so nicht nur eines der spannendsten extremen Releases des Jahres 2018, sondern ein kleines Meisterwerk.
"Deads" von LLNN erscheint bei einem der wenigen Labels dieser Nation, das konstant nicht nur den besten Riecher, sondern auch Gespür für interessante, ungehörte und visuell ansprechende Projekte beweist – Pelagic Records. Wir empfehlen den legalen Erwerb. Produziert wurde der Langspieler von Jacob Bredahl (Ex-Hatesphere), die Mastering-Knöpfchen bediente niemand Geringeres denn Tue Madsen. LLNN plant zur Veröffentlichung von "Deads" eine Support-Tour der Band Bison, die sie quer durch Europa führt. Die Daten finden Sie weiter unten. Darunter unter anderem – wer hätte es gedacht – ein Stopp beim Pelagic Fest. Wir empfehlen das Beiwohnen. Bei sowohl als auch. Im Übrigen sind wir der Meinung, Sie sollten mehr Sun Worship hören.
22.04.18 NL ROADBURN
23.04.18 DK Copenhagen
25.04.18 NO Oslo
26.04.18 SWE Stockholm
28.04.18 DE Hamburg
29.04.18 NL Utrecht
30.04.18 DE Karlsruhe
01.05.18 DE Wiesbaden
02.05.18 BE Brussels
03.05.18 CH Bulle
04.05.18 CH Porrentruy
05.05.18 F Paris
06.05.18 UK DESERTFEST (London)
08.05.18 CZ Prague
09.05.18 AT Vienna
10.05.18 CR Zagreb
11.05.18 RO Cluj
12.05.18 RO Craiova
13.05.18 RO Bucharest
14.05.18 HU Budapest
15.05.18 PL Krakow
16.05.18 PL Warsaw
18.05.18 DE Kiel
19.05.18 DE Berlin (PELAGIC FEST)