Überutere muss nicht cringe sein

Überutere muss nicht cringe sein

Boxfish steht für die Kinder- und Jugendfachstelle (kjfa) aus neun Gemeinden der Region Gantrisch. Das Präventionsangebot «Boxfish on tour» widmete sich im abgeschlossenen Schuljahr dem Wandel der Sprache. In Schulen, auf Pausenplätzen und unter Einbezug des Altersnetzwerkes der Region.

Der Ausdruck «überutere» ist schon länger bekannt, wenigstens unter älteren Menschen. Das Wort umschreibt, wenn jemand übertreibt oder übereifrig ist. «Cringe» hingegen ist neu in unserer Sprache, wenigstens unter jungen Menschen. Der Ausdruck bezeichnet den Zustand von Fremdscham, wenn sich jemand der eigenen Peinlichkeit nicht bewusst ist; beispielsweise dann, wenn Erwachsene cool sein wollen. Ist es denn wirklich peinlich und zum Fremdschämen, wenn ältere Menschen plötzlich Jugendwörter googeln? «Nein», lautet die Antwort von Pablo Gigandet, Sozialarbeiter bei Boxfish in Riggisberg, «ganz im Gegenteil. Das Projekt thematisierte die Jugendsprache, ihre Einflüsse auf unsere Sprache und wie sich diese mit der Zeit verändert. Dabei waren die Jugendlichen in der Rolle der Experten, was sie ja auch sind.» Er weist auf die Zeiten der Pandemie hin, als junge Menschen in ihrer Autonomie eingeschränkt waren und sich gleich verhalten mussten wie ihre Eltern. «Die Sprache ist das wichtigste Identifikationsmerkmal des Menschen. Sie bestimmt, wie ich mich mitteile, wie ich gehört, verstanden und wahrgenommen werde.» Dass sich die verbale Ausdrucksform des Menschen im Lauf der Zeit verändert, ist nicht neu; der Wandel der Sprache hat bei allen Generationen vor uns auch schon stattgefunden. Dazu tragen verschiedene Faktoren bei; ein möglichst ökonomischer Umgang aus Zeitmangel beispielsweise oder der Wunsch nach mehr Variation und Phantasie. Hinzu kommt die äussere Beeinflussung, wie diejenige durch die sozialen Medien. 

Gegenseitige Neugierde

So gesehen, kann die Sprache als Macht bezeichnet werden, mindestens jedoch als Quelle der Beeinflussung, oder wie Pablo Gigandet es ausdrückt: «Die Sprache schafft Realität, sie ist der primäre Zugang zur Welt.» Für die Umsetzung des Projektes von Boxfish und dem Altersnetzwerk wurde die Sprache bewusst als Brückenbauerin zwischen den Generationen verwendet. Mit dem Ziel, den Wandel der Sprache und die Wichtigkeit der Sensibilisierung für das gegenseitige Verständnis zu erkennen. Aber auch um aufzuzeigen, dass eine sprachliche Abgrenzung zu anderen Altersgruppen ebenfalls sein darf. «Das eine soll das andere nicht ausschliessen», so der Sozialarbeiter, «wir sind innerhalb der gleichen Region zusammen unterwegs.» Gemeinsamkeit prägte denn auch den Ablauf des Projektes, Mitarbeitende von Boxfish besuchten – teils mit Seniorinnen und Senioren – die Schulen der neun Gemeinden. Die Konfrontation der positiven Art zwischen Jung und Alt auf den Pausenplätzen habe spassige Begegnungen erzeugt, vor allem durch den Austausch von Wörtern bei gegenseitiger Neugierde. Die grosse Pause verlängerte sich jeweils auf 30 Minuten, die Schulpflichtigen waren in drei Altersstufen unterteilt und das Thema wurde dem jeweiligen Alter entsprechend behandelt. Und es hat geklappt, weiss Gigandet. «Es ist sehr gut gelungen, Anreize zu schaffen für den Austausch und das gegenseitige Verständnis der Sprache.»

Die Wichtigkeit der Sprache

Im Jugendtreff sei der Ausdruck vom «überutere» nun durchaus angebracht und werde nicht als «sus» abgetan, also als suspekt und zweifelhaft. «Mit einem vergnüglichen Austausch schafft man neue Bezüge zur Sprache. Es werden Barrieren abgebaut und Verbindungen unter Menschen aufgebaut.» Der Blick zurück auf die Sprachgewohnheiten lohnt sich, ist Pablo Gigandet überzeugt, auch weil das zur Wertschätzung unter den Generationen beiträgt, zum Verständnis dafür, mit welcher Sprache die jeweilige Altersgruppe den Bezug zu ihrer eigenen Welt beschreibt. Umso wertvoller für das Projekt war das Engagement der Teilnehmenden aus dem regionalen Altersnetzwerk. «Allein die Tatsache, dass sie sich dafür interessierten, ist erfreulich. Sie haben sicher einen anderen, neuen Bezug zur Jugendsprache entwickelt.» Der Sozialarbeiter kommt immer wieder auf die wichtigste Voraussetzung zurück: Verständnis und Interesse am Gegenüber. Was sich vor allem durch unsere Sprache äussere. «Die Jugendsprache ist kein sauberes Berndeutsch, dafür eine Sprache, die allen Jugendlichen zugänglich ist und dadurch Verbindungen schafft.» Für Pablo Gigandet kann der Stellenwert unserer Ausdrucksweise kaum hoch genug angesiedelt sein, vor allem aus der Sicht der Jugendarbeit: «Kommunikation ist die beste Form der Prävention. Wenn wir wissen, wie wir uns ausdrücken, wie wir unseren Standpunkt äussern und wie wir unsere Gefühle benennen, ersticken wir die meisten Konflikte im Keim.»

INFO

www.boxfish-ja.ch

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Überutere muss nicht cringe sein

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