10/07/2011
10/07/2011

Blick auf ein Dachdorf von einem gegenüberliegenden Gebäude

Blick in die Wohnung der Dachältesten

Außen/Innenraum

Blick auf ein Dachdorf

labyrinthartige Verzweigungen führen tiefer in das Dachdorf

Blick auf Tai Kok Tsui

Erschließungsstraße des Dorfes

Eingangszone einer Wohnung

der Antagonismus Hongkongs

Eingang zu einer Wohneinheit

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Enkelin, Fische und Großmutter

Innenhof des Nachbargebäudes. Alle Fotos: Daniela Mitterberger

Es ist der zweite Mai 2011 und ich habe endlich eine unverschlossene Stiege nach oben gefunden. Ich kämpfe mich die acht Stockwerke des chinesischen Mietshauses hinauf und stehe schließlich mitten in einem anderen Hongkong.

Topfpflanzen markieren die Hauptachse einer kleinen Ansammlung von Häusern. Gummistiefel halten den Wäscheständer gerade. Mitten im Stadtteil Mongkok bin ich plötzlich in einem von Hochhäusern umrandeten Dorf gelandet.

Alle Eigenschaften eines Dorfes sind hier zugegen: ein kleinteiliges, fast labyrinthisches Gefüge von Kleinwohnungen, Nachbarn die unsere Ankunft neugierig beäugen und Katzen die auf den Wellblechdächern die Nachmittagssonne genießen. Doch anstatt auf chinesischen Boden, haben sich die Bewohner als Basis des Dorfes ein Dach eines alten chinesischen Mietshauses aus den 1970er-Jahren gesucht.

Diese halblegalen 'Dachdörfer' wurden aufgrund der akuten Platznot in der von über 7,1 Millionen Menschen bewohnten Stadt gegründet. Hongkong erstreckt sich über 1104 km² aber nur 25 % können wegen topographischer und gesetzlicher Gründe bebaut und bewohnt werden. Hongkong hat zwar weltweit eine der höchsten Zahlen für soziale Wohnbauten, dennoch ist das Regelwerk, eine Wohnung zu bekommen, starr und vor allem für neu angekommene Immigranten so gut wie unmöglich. Um für eine soziale Wohnung in Frage zu kommen, muss man seit mindestens sieben Jahren legal in Hongkong wohnen und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorweisen können.

Ich passiere eine bunt bemalte Blechhütte, auf der mit blauer Farbe "Pakistan" geschrieben steht, direkt daneben steht die Hausnummer 26.

Dieser umgebaute Stadtraum ist ein Teil von Hongkong geworden, nicht nur auf infrastruktureller Eben - durch Einbindung ins städtische Strom und Wassernetz, sondern auch auf magistraler Ebene.

Die Dachfläche wurde damals von den jetzigen Besitzern rechtmäßig als Grundstück sehr günstig erworben und später weiter vermietet. Jede dieser Minimalwohnungen besitzt eine Hausnummer und eine reguläre Postadresse.

Durch ein verzweigtes Netz aus Leitern und schmalen Stiegen kommt man in immer weiter verzweigte Nebenstraßen. In der kleinen Hütte neben mir sieht die Großmutter mit ihrer Enkelin kantonesische Fernsehserien, während der Großvater in einem offenen Zwischenteil der Wohnung kocht. Die Grenzen zwischen außen und innen, privat und öffentlich verschwimmen hier also und tragen viel zum Sicherheitsgefüge der Wohngemeinschaft bei. Man darf unter der Bedingung einen Einblick erhaschen, selbst in den Mittelpunkt der Beobachtungen zu geraten.

Doch dieser Selbstschutzmechanismus und die Unsichtbarkeit von Hongkongs Straßenniveau aus helfen den Bewohnern nicht mehr beim Überleben. Die Stadt Hongkong benötigt die Grundstücke für neue anonyme Wohnbauten und verglaste Büroriesen. Aussiedlungen und nächtliche Überfälle und Zerstörung der Häuser prägen die Zukunft der Bewohner. Die Aussiedlung in die weit entfernten Satellitenstädte bringt für viele Familien und Migranten die soziale und berufstechnische Isolation. Ohne das soziale Netzwerk und die Identität, die diese Dörfer bringen, verlieren sich die Migranten in der Anonymität der Großstadt.

Die Dörfer auf den Dächern von Tai Kok Tsui sind ein Zeichen für den Bedarf an mehr Wohnbauten für Migranten, für die Enge Hongkongs und gleichzeitig die räumlichen Möglichkeiten dieser Stadt.

Über die Autorin

DANIELA MITTERBERGER (* 1988 in Graz) absolvierte 2011 ihren Bachelor of Architecture an der Akademie der bildenden Künste Wien. Im Sommersemster 2011 studierte sie an der Hongkong University und brach dann zu einer mehrmonatigen Reise durch Asien auf, die noch bis Oktober 2011 andauern wird. Darüber werden weitere Reiseberichte auf www.gat.st erscheinen.

Verfasser/in:
Daniela Mitterberger, Reisebericht
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