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Kanton
31.07.2022

Jahrhunderte gegen- und miteinander

Blick aus der Gegend von Samstagern auf das Gefecht um die Bellenschanze (Vordergrund) in markantem Gelände, 1712. Bild: Zentralbibliothek Zürich
Im 17. und 18. Jahrhundert mussten die Schwyzer Pfäffikon und Wollerau erneut vor den Zürichern beschützen. Schlussendlich mussten sie sich mit Hurden begnügen.

«In erhöhter und steiler Lage, umgeben von Sümpfen und Flüssen, bietet die Natur (den Festungen) Schutz; Menschenwerk befestigt sie mit Graben und Mauer»: Dieser rund 1'600 Jahre alte Leitsatz des römischen Kriegstheoretikers Vegetius erklärt auch die über Jahrhunderte dauernde militärische Bedeutung von Festungsanlagen und des markanten Geländes im schwyzerischzürcherischen Grenzgebiet.

So liegen in der voralpinen Landschaft zwischen Zürichsee und Höhronen zwölf Moränenwälle, zudem sumpfige Mulden, der Hüttnersee und tief eingeschnittene, von Wald begleitete Bachrinnen.

Adlige Clans hüben wie drüben

An einer solchen Rinne und auf einem Felssporn wurde um 1200 die zweitürmige Burg Wädenswil errichtet. Sie war Herrschaftszentrum der Freiherren von Wädenswil, die verwandtschaftliche Verbindungen hatten zu den hochadligen «Rapperswilern» mit deren Herrschaftszentrum Burg Alt-Rapperswil auf einer Kuppe über dem Obersee bei Altendorf.

Auf eine damit wohl in Verbindung stehende Grenzbefestigung verweist der seit Mitte des 15. Jahrhunderts nachweisbare Flurname Letzi zwischen Landstrasse und See. Die Herren und Grafen von Rapperswil waren Inhaber der weltlichen Schirmvogtei über das Kloster Einsiedeln und dessen Grundherrschaften unter anderen in den Höfen.

Verwandt mit den «Rapperswilern» war auch der Einsiedler Abt Anselm von Schwanden (im Amt 1233–1266), der einen klösterlichen Speicher am Zürichsee in Pfäffikon zu einem Turm ausbauen liess.

Der Löwe verweist auf die ritteradlige Familie von Wollerau, die Amtsleute des Klosters Einsiedeln und Bürger der Stadt Zürich waren, und das Johanniterkreuz steht für die Zugehörigkeit Wolleraus zum Zehntenkreis der Herrschaft Wädenswil, nach 1287 unter dem Johanniterorden stehend. Bild: Historischer Verein / zvg

Beispiel Gemeindewappen Wollerau

Damit eröffnen sich Konfliktfelder um Besitzansprüche von adligen Clans, aber auch Beziehungen über heutige Kantonsgrenzen hinweg. Anschaulich drückt dies das gegenwärtige Gemeindewappen von Wollerau aus: Der Löwe verweist auf die ritteradlige Familie von Wollerau, die Amtsleute des Klosters Einsiedeln und Bürger der Stadt Zürich waren, und das Johanniterkreuz steht für die Zugehörigkeit Wolleraus zum Zehntenkreis der Herrschaft Wädenswil, nach 1287 unter dem Johanniterorden stehend.

Löchriger «Puffer» Wädenswil

Die Vogteirechte mit hohem Gericht, Steuereinzug und Militäraufgebot über die beiden Höfe gelangten durch Kauf 1342 und militärische Besetzung 1386 an die Stadt Zürich. Und nach 1424 hatte Schwyz die begehrte Einsiedler Klostervogtei inne. Damit stand die strategisch wichtige Region von Zürichund Obersee bis ins 16. Jahrhundert im Zentrum der auch auf territoriale Gewinne zielenden Rivalität zwischen dem Stadt- und dem Land-Ort.

«Höhepunkt» der Auseinandersetzungen bildete der alte Zürichkrieg (1436–1450) – insbesondere mit der von Schwyz gewonnenen Schlacht bei Wollerau und Pfäffikon 1445 sowie Zürichs Verlust der Höfe.

Bis 1549 wirkte die Herrschaft Wädenswil als durchlässiger «Puffer». Dann verkauften die Johanniter diese an die Limmatstadt für 20'000 Gulden, wogegen Schwyz umgehend bei den eidgenössischen Orten protestierte. Zwar konnten die Schwyzer den Kauf nicht verhindern, den Zürchern wurde aber immerhin auferlegt, die mittelalterliche Burg zu schleifen und die Untertanen von Wädenswil und Richterswil nur zum Kriegsdienst gegen die Innerschweizer einzuziehen, wenn diese alle Vermittlungsangebote ablehnen.

Die Burg Wädenswil war Herrschaftszentrum der Freiherren von Wädenswil, die verwandtschaftliche Verbindungen hatten zu den hochadligen «Rapperswilern». Bild: Ayana Morger

Verfestigung von «Grenzen»

Der Streifen zwischen Höhronen und See festigte sich nun zur «staatlichen Grenze», wo es jedoch weiterhin teils noch jahrhundertelang eine Gemengelage von Rechten geben sollte. Der Fall war dies etwa bei der Allmeind von Wollerau und Richterswil und bei den Hoheits- und Fischereirechten am Schwyzer Ufer des Zürichsees bis nach Hurden, namentlich im Frauenwinkel des Klosters Einsiedeln.

Ver- und Befestigungen von «Grenzen» gab es aber auch bei Konfessionen, Pfarreien, Zehnten, Jahreskalendern, Heiraten und militärischen Schanzen.

Villmergerkriege 1656 und 1712: Verteidigungslinien von Zürich

Im Ersten Villmergerkrieg 1656 und insbesondere im Zweiten 1712 zwischen reformierten und katholischen Orten wurden die natürlichen Hindernisse in Verbindung mit Verteidigungsanlagen auch zwischen Hütten und Richterswil für militärische Verteidigungslinien von Zürich und Schwyz genutzt. Der Historiker Kaspar Michel erläutert diese Kampfführung aus dem 17. Jahrhundert: Truppen-Einheiten bildeten «– ähnlich der Sandkastenaufstellung eines Kindes mit Soldatenfigürchen – im Gelände eine nahezu undurchlässige Linie».

Die vorderste Zürcher Frontlinie sollte 1656 ab der Grenze formiert werden. Als Stützpunkte für je rund 50 Mann errichtet wurden die Sternenschanze auf der Richterswiler Allmeind und die Bellenschanze, auf einem Hügel östlich des Hüttnersees und an einer Kreuzung eines Wegs von Schindellegi her gelegen. Weil diese Erdwerke – zusammen mit dem neuen Schloss Wädenswil im «Hinterland» – aber dem Ansturm der Katholiken nicht standgehalten hatten, verstärkte Zürich ab etwa 1700 diese Festungen massiv und erbaute drei neue kleinere – das Eichschänzli bei Samstagern, die Hüttnerschanze zwischen Hütten und Sihl sowie ein Schanzwerk, das die Finsterseebrücke über dem rechten Sihlufer deckte.

Eine zweite Verteidigungslinie führte in der Tiefe des Raums vom Schloss Wädenswil über den zur militärischen Stellung ausgebauten Kirchhof (!) von Schönenberg bis hinauf an die Sihl. Mit diesem Schanzensystem, unterstützt von Artillerie sowie mit modernen Steinschlossgewehren ausgerüsteten Fusstruppen und Reiterei, sollten Angreifer auf breiter Front am Eindringen in Zürcher Gebiete gehindert werden.

Schlachtverlauf bei Hütten 1712: Der zeitgenössische Zürcher Plan zeigt den langen Bogen von Festungen respektive Schanzen von der Finsterseebrücke (oben rechts) bis über Samstagern hinaus (unten links) in Grenznähe (gestrichelte Linie von links oben nach unten). Die Schwyzer Umgehungsaktion vom Dickhölzli aus zeigen die gelben Linien (von Mitte links bis D), den schwyzerischen Zug zurück zur Bellenschanze die roten Linien (von D bis G). Zürichs Gegenangriff stellen die grünen Linien dar (von G bis E und F). Die Kompaniestärken symbolisieren die roten (Schwyz) und gelben (Zürich) Rechtecke. Bild: Zentralbibliothek Zürich

Itlimoos-Weiher als Hauptmachtort

In Grenznähe lagerten 1712 auch Schwyzer Abteilungen, verstärkt bei Schindellegi – aufgrund seiner Lage ein Schauplatz von Kämpfen von Mitte 15. bis 19. Jahrhundert –, auf dem Becki ob Wollerau und im Mittelpunkt der Aufstellung im Itlimoos. Hier wurde eine Schanze in Keilform erbaut, die mit fünf Geschützen bestückt und inwendig mit Holzläden verkleidet war.

Von dort aus konnte die Artillerie auf das gegenüberliegende Eichschänzli wie auch auf die Sternen- und Bellenschanze schiessen. Das Gelände hinter dem Weiler Itlimoos war auch Ausgangsstellung für die Schwyzer Hauptmacht – am Punkt, wo man am nächsten an der Grenze, aber auch durch die umliegenden Hügel vor gegnerischem Einblick und seiner Artillerie geschützt war.

Der Itlimoosweiher war Ausgangsort für die Hauptmacht. Bild: Mia Jule Hähni

Pfäffikon als Hauptquartier

Der Einsiedler Waldstattschreiber und Ingenieur Mathias Leontius Kauflin leitete zudem die Errichtung von Werken in Schindellegi, Pfäffikon und Hurden an. An diesem Ort und in Pfäffikon – dem wichtigsten militärischen Stützpunkt und Hauptquartier der Schwyzer – wurden 1712 Gräben aufgeworfen und Palisaden gesetzt sowie im Hurdnerfeld Schanzen gebaut.

Von Massaker bis guter Nachbarschaft

Die Zürcher Taktik mit dem Kampf aus vorbereiteten Stellungen und der Reiterei als schnelles und flexibles Einsatzelement obsiegte 1712 gegen eine Umgehungsaktion der Schwyzer bei der Hüttnerschanze. Die Verluste waren zwar relativ gering: 30 bis 40 gefallene Schwyzer und zirka 10 Zürcher. Vor allem von Schwyzer Seite blieben jedoch wie bereits 1656 Massaker an unbeteiligten Zivilpersonen nicht aus – leider ein Charakterzug von Kriegen – damals wie heute.

Bei aller Kriegstreiberei und -leid bestanden aber auch traditionelle nachbarschaftliche Beziehungen weiter: So berichtete ein Schwyzer Landschreiber im Sommer 1712, dass die «Richtenschwiler und Wädenschwiler von guter Nachbarschaft wegen dem Schwyzer Volke, so auf den Posten standen, Heu und alles, was sie haben, anerboten».

Als territoriale Folge der Schwyzer Niederlage 1712 fiel Hurden an Zürich und Bern. Zur Grenzfestlegung gegenüber Schwyz wurden auf dem Hurdnerfeld Marchsteine gesetzt. Bild: claudio pfister

Abgrenzungen von Gebieten und Erinnerungen

Als territoriale Folge der Schwyzer Niederlage 1712 fiel Hurden an Zürich und Bern. Zur Grenzfestlegung gegenüber Schwyz wurden auf dem Hurdnerfeld Marchsteine gesetzt – unter anderen ein «Fahnenstock» mit den Wappen dieser drei Orte, der bis ins 20. Jahrhundert existieren sollte – und im See gegen Lachen auch Stangen und Pfähle («Schwirren») gesteckt.

Man kam jedoch überein, die neuen Schanzen in Hurden abzutragen und fortan beidseits keine solchen zu errichten. Freilich blieben nachbarliche Reibereien und Erkundungen insbesondere wegen den Grenzverläufen und -markierungen im Frauenwinkel auf der politischen Agenda.

Ralf Jacober, Archivar Staatsarchiv Schwyz/Goldküste24