Heute möchte ich mich mit meiner eigenen Schulbiografie beschäftigen und mich mit Euch an die Eigenschaften meines „schlechtesten Lehrers“ erinnern. Ich möchte versuchen, diese anschließend in Bezug auf meinen Lernzuwachs und meine Vorstellungen von mir selbst, als zukünftige Lehrperson, zu diskutieren. Zudem werde ich reflektieren, ob reformpädagogische Ansätze etwas an dem Verhalten dieser schlechten Lehrkraft hätte ändert können.
Wenn ich mich an meine eigene Schulzeit zurück erinnere fallen mir viele schlechte Lehrkräfte ein, oder auch vereinzelte Situationen, in denen sich einzelne Lehrkräfte falsch verhalten haben. Die schlechten Erinnerungen sind genauso Zahlreich wie die guten. Als ganz besonders schlecht habe ich meinen Mathematiklehrer aus den Oberstufenklassen (10. bis 12. Klasse) empfunden. Ich muss dazu sagen, dass Mathe nie mein Lieblingsfach gewesen ist, aber ebenso auch zu meinem Vorteil einräumen, dass ich durchaus gewillt war mich anzustrengen und zu bemühen. Dieser Ehrgeiz, der auch für die Mathematik in mir steckte, wurde jedoch vom diesem besagten Lehrer bereits im Keim erstickt. Herr H. schien selbst sehr für sein Unterrichtsfach zu brennen, was im Grunde genommen gut ist und normaler Weise eine wichtige Voraussetzung für guten Unterricht schafft. Herr H. allerdings, schien jedes Gefühl für die Schwirigkeit der Mathematik und die Herausforderungen, die das Fach an Schüler und Schülerinnen stellen kann, verlohren zu haben. Er konnte sich ausschließlich für Schüler und Schülerinnen erwärmen, die gut in seinem Unterricht mithalten konnten. Allen Anderen vermittelt er das Gefühl nicht mehr Teil des Unterrichtes zu sein. Er machte sich keinerleih Umstände auch den Schwächeren die Inhalte des Faches näher zu bringen, Hilfestellungen bereit zu stellen oder die Möglichkeit auf der eigenen Niveaustufe weiterarbeiten zu können. Zudem schien er die Jungen der Klasse eindeutig zu bevorteilen, da er oft genug betonte, dass Mathematik vermeindlich „keine Mädchen Sache“ sei. Fachlich konnte Herr H. jede Frage beantworten, eine Beziehungsebene fand er insbesondere zu keiner Schülerin der Klasse. Schüler hatten es etwas leichter bei ihm: so nahm er sich bei leistungsstarken Jungen zumindest teilweise die Zeit, Themen mit verschiedenen didaktischen und methodischen Mitteln in Ruhe zu erklären . Ansonsten galt das Motto: wer nicht mitkommt muss zu Hause nacharbeiten. Auch der Notendurchschnitt von Klassenarbeiten zeigten einen deutlich schlechteren Schnitt zu den Vorjahren auf, doch trotz Beschwerden von Seiten der Schülerinnen wurde kaum etwas unternommen. Als ich fünf Jahre später mein Abitur nachholte hatte ich eine Mathelehrerin, die sich auch Zeit für schwächere Schüler unbd Schülerinnen nahm und selbst berichtete in der Oberstufe sehr schlecht in Mathe gewesen zu sein. Ich konnte mich mit dieser Aussage indentifizieren und entwickelte einen Ehrgeiz, die Themen verstehen zu wollen, sodass mein Notendurchschnitt im Abiturjahr in Mathe zu den besseren gehörte. Einige Themen bereiteten mir sogar Spaß, ein Gefühl, dass ich ein paar Jahre zuvor als unvorstellbar empfunden habe.
Die Montessoripädagogik geht auf Maria Montessori zurück und wurde 1907 von dieser entwickelt. Dieses Bildungskonzept richtet sich an Individuen zwischen dem Kleinkindalter und dem jungen erwachsenen Alter. Der grundlegend geltende Leitsatz dieser Pädagogik lautet: „Hilf mir, es selbst zu tun“. Der Unterricht in Montessori-Schulen ist von einem offenen, oftmals jahrgangsübergreifendem, sowie durch Freiarbeit geprägten Konzept gekennzeichnet. Unter „Freiarbeit“ kann unter anderem die, in Absprachen mit den Lehrerinnen und Lehrern getroffene, freie Arbeitsplatzwahl gesehen werden, sowie das selbstständige wählen der Unterrichtsinhalte bzw. der Fächer. So haben die Schüler und Schülerinnen z.B. die Möglichkeit auch auf den Fluren der Schulen zu arbeiten (vgl. Breidenstein 2013, S. 101f.). Dadurch zählt die Montessoripädagogik zu einer sehr Individualisierten Form der Bildungsarbeit.
Diese individualisierte Herangehensweise unterstützt auch das folgende Zitat von Jürgen Zinnecker (2001, S. 154, nach Bredenstein 2013, S. 19):
„Eine pädagogische Ethnographie kindlicher Lebenswelten zu fordern bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als die eingeübten Handlungs- und Kommunikationsstrategien und die darauf aufbauenden Weltsichten und geglaubten Selbstverständlichkeiten methodisch und auf Zeit auszusetzen und das, was in der alltäglichen Unterrichtspraxis niedrig gewichtet, ja bekämpft werden muss, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu rücken.“.
Das Zitat verdeutlicht die hohe Bedeutung, der kindlichen Perspektive mit seiner Eigenständigkeit und seinem Eigensinn, die ohne eine Individualisierung des Unterrichtes kaum gegeben sein kann. Auch die Neue Schule Hamburg arbeitet nach dem Grundprinzipien der Individualisierung. An der demokratischen Schule kann jedes Kind frei über seine Zeit verfügen. Jeder Schüler und jede Schülerin entscheidet selbst, was, wann, wie und mit wem er lernt. Die vollkommene Freiheit für die Ausbildung seiner Fähigkeiten zu haben, verlangt von den Kindern die Möglichkeiten selbstständig zu nutzen und damit die Verantwortung für den eigenen Bildungsweg zu übernehmen. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Nächsten oder der Gemeinschaft eingeschränkt wird. Die Folgen ihres Handelns erleben die Schüler und Schülerinnen oft unmittelbar im sozialen Miteinander während des Tagesablaufs. Freiheit und Verantwortung, eingebunden in die strukturierenden Elemente der Schule, führen so zu einer respekt- und vertrauensvollen Atmosphäre.
Die Waldorfpädagogik, gegründet von Rudolf Steiner (1920) steht dem individualisiereten und schülerzentrierten Unterricht dieser beidem reformpädagogischen Konzepte gegenüber. Waldorfschulen legen großen Wert auf die Ausgewogenheit der verschiedenen Kompetenzentwicklungen: Kognitiv-intellektuelle Fähigkeiten werden neben handwerklich-manuellen Erfahrungen und künstlerisch-ästhetischen Fähigkeiten sowie sozialen Kompetenzen ausgebildet und es wird auf ein Gleichgewicht zwischen ihnen geachtet. Zumindest ist dies in den Grundlagen der Waldorfpädagogik angelegt und wird in dem Motto: “Kopf, Hand und Herz“ zusammengefasst. Das künstlerische-musische Arbeiten nimmt aus Sicht der Waldorfpädagogik in jeder Klassenstufe, von der 1. bis zur 12. Klasse, eine hohe Bedeutung ein. Die Waldorfpädagogik hat sich zum Ziel gesetzt das künstlerische, musische und handwerkliche Interesse der Schüler und Schülerinnen, im Sinne einer ganzheitlichen Pädagogik anzuregen und zu fördern (vgl. Martin 1991, S. 323 f.).
Auch dem künstlerischen Denken wird eine große Bedeutung beigemessen und wird als eine Voraussetzung für anderweitige theoretische Fächer, wie Mathematik oder Biologie betrachtet. Beispielsweise setzen Themen des Biologieunterrichtes, wie die Metamorphose einer Pflanze, einen bildnerischen und künstlerischen Sinn des Kindes als Handwerkszeug voraus. Um organische Prozesse zu erfassen benötigt es also ein Denken, dass ein hohes Maß an Beweglichkeit aufweist. Der künstlerische Prozess steht demnach für die Waldorfpädagogik, dem zerlegenden, analysierenden und Grenzen ziehendem Denken gegenüber, spielen aber für einen umfassenden Denkprozess eine ebenso ausschlaggebende Rolle (vgl. Bußmann & Bußmann 1990, S. 117). Künstlerisch soll nach Rudolf Steiner demnach nicht nur der musische-ästhetische Unterricht sein, vielmehr sollte jeder Unterricht künstlerisch gestaltet werden, so versteht sich die Waldorfpädagogik als Abgrenzung zur universitären Erziehungswissenschaft als “Erziehungskunst“ (vgl. Prange 2012, S. 229).
Laut Michael Martin habe Rudolf Steiner den folgenden Satz wie einen Leitsatz für den Unterricht dargelegt:
„Der richtige Weg ist, soviel als möglich durch den Willen den Intellekt zu wecken. Das können wir nur, wenn wir vom Künstlerischen übergehen in die individuelle Bildung.“ (Steiner 1991, nach Martin 1991, S. 310.)
Die Waldorfpädagogik versucht durch den künstlerischen Aspekt, Lernen innerlich erlebbar zu machen und spricht sich damit gegen das bloße Vermitteln von theoretischen Kenntnissen aus (vgl. Prange 2012, S. 198). Die künstlerische Vermittlung der Unterrichtsinhalte zielt darauf ab die Themen nicht zu isolieren, sondern diese aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten (vgl. Lindenberg 1993, S. 138 f.).
Trotz der Kritik an dem allzu rationalen und intellektuellen Denken von Steiner, kann der Unterricht an Waldorfschulen nicht mit dem individualisiereten klassischen Verständnis der Reformpädagogik gleichgesetzt werden. Im Gegenteil, der pädagogische Ansatz der Waldorfpädagogik steht in einem ambivalenten Verhältnis zwischen Erfahrungs- und Subjektbezug sowie einem zwar schülerorientierten, aber deutlich lehrerzentrierten Unterricht. Der eigenproduktive und selbstentdeckende Unterricht, der sich an den subjektiven Erfahrungen und Handlungswegen des einzelnen Kindes orientiert, finden in den ersten Jahren der Waldorfschule kaum Berücksichtigung. So könnte es unwissende überraschen, wenn sie zum Beispiel in den Kunstunterricht der ersten acht Klassen blicken und feststellt, welch teilweise erschreckende Uniformität sich durch die zarten Aquarellmalereien und den Tonplastiken der Schülerarbeiten hindurchzieht. Und auch der Unterricht in den Epochenfächern (Geschichte, Biologie, Deutsch, usw.) findet nahe zu ausschließlich frontal statt. Insbesondere in den ersten acht Schuljahren verfolgt die Waldorfpädagogik ein normatives pädagogisches Konzept in der der Rolle des Klassenlehrers eine führende und prägende Rolle zugewiesen wird. Das Malen ohne Vorlage, Grenzen überschreiten, Experimentieren und Entdecken kommen erst in den späteren Klassenstufen der Waldorfpädagogik zum Tragen, indem immer mehr Freiheiten der Schüler und Schülerinnen gewährleistet werden (Schieren 2012, S. 229 f).
Zusammenfassend halte ich jeden der beschriebenen reformpädagogischen Ansätze auf seine Art und Weise für pädagogisch wertvoll, da alle eines gemein haben: Sie nehmen die Kinder und Jugendliche ernst und fordern sie zum selbstbewussten, kreativen sowie selbsttätigen Handeln auf. Aus meinen eigenen Erfahrunge von zwölf Jahren Waldorfschule kann ich resümieren, dass ich insbesondere die künstlerischen und handwerklichen Anteile dieser Pädagogik als wichtig und wertvoll für die schulische Erziehung erachte. Ebenso die Montessorri Pädagogik mit ihrem besonderen Augenmerk auf Individualisierung bietet meiner Ansicht nach viele Vorteile. Und auch die demokratische Erziehung der Neuen Schule Hamburg inkludiert Anteile in ihre Pädagogik, die ich für wünschenswert und von Mehrwert für eine reflektiertere Gesellschaft erachte. Wenn ich all diese unterschiedlichen reformpädagogischen Ansätze betrachte, kommt mir in den Sinn, dass ein Mix aus all den positiven Überlegungen für mich vielleicht ein perfektes Schulkonzept ausmachen würden. Blicke ich jedoch in meine eigene schulische Vergangenheit und komme zurück auf meinen eingangs beschriebenen Leher Herrn H., dann wird mir ebenfalls klar, dass es nicht allein das pädagogische Konzept ist, was eine perfekte Schule auszeichnet. Der neuseeländische Bildungsforscher John Hatti hat in einem Punkt vollkommen Recht: Es sind insbesondere die persönlichen Merkmale der Lehrer und Lehrerinnen und eine positive Beziehungsarbeit, die sich ausschlaggebend auf den Lernprozess auswirken (vgl. Hatti 2013, S. 211 f.). Schlussendlich war nämlich auch Herr H. ein Pädagoge der Waldorfschule, der jennoch weit entfernt von einer guten Pädagogik, Schüler und Schülerinen unterichtet hat. Ein Vorsatz, den ich mir als zukünftige Lehrkraft fest vornehmen möchte ist: Eine positive Beziehungsarbeit zu den Schülern und Schülerinnen nicht aus den Augen zu verlieren, denn eine positive Beziehung ist neben methodischen und didaktischen Lernzugängen unumgäglich für die Lernmotivation und den positiven Lernprozess eines jeden Kindes.
Literatur
Breidenstein, Georg (2013). Schulkinder zwischen Peer-Kultur und Unterrichtsanforderungen oder: Wortsymbole kleben in der Morgensonne. In: Wannack, Evelyne; Bosshart, Susanne; Eichenberger, Astrid; Fuchs, Michael; Hardegger, Elisabeth; Marti, Simone Maria (2013). 4- bis 12-Jährige. Ihre schulischen und außerschulischen Lern- und Lebenswelten. Münster: Waxmann Verlag.
Bußmann, Hildegart & Jochen Bußmann (Hrsg.) (1990). Unser Kind geht auf die Waldorfschule. Erfahrungen und Ansichten. Hamburg: Rowohlt Taschenbuchverlag.
Hatti, John (2013): Lernen sichtbar machen. Schneider Verlag.
Martin, Michael (1991). Der künstlerisch-handwerkliche Unterricht an Waldorfschulen. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben.
Schieren, Jost (2012). Das Kunstverständnis der Waldorfpädagogik. In: Frielingsdorf, Volker (Hrsg.). Waldorfpädagogik kontrovers. Ein Reader. [S.228-238]. Weinheim und Basel: Juventa Verlag.
Prange, Klaus (2012). Lernen im Atmen des Kosmos. In: Frielingsdorf, Volker (Hrsg.). Waldorfpädagogik kontrovers. Ein Reader. [S. 163-172]. Weinheim und Basel: Juventa Verlag.
Lindenberg, Christoph (1993). Die künstlerische Behandlung des Unterrichtsstoffes. In: Leber, Stefan. Waldorfschulen heute. Einführung in die Lebensformen einer Pädagogik [S. 138-139]. Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben.
Literatur:
Breidenstein, Georg (2013). Schulkinder zwischen Peer-Kultur und Unterrichtsanforderungen oder: Wortsymbole kleben in der Morgensonne. In: Wannack, Evelyne; Bosshart, Susanne; Eichenberger, Astrid; Fuchs, Michael; Hardegger, Elisabeth; Marti, Simone Maria (2013). 4- bis 12-Jährige. Ihre schulischen und außerschulischen Lern- und Lebenswelten. Münster: Waxmann Verlag.