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Nachschub-Express rollt auf der Schiene

Logistik: Wachsender Wettbewerb im Eisenbahngüterverkehr
Nachschub-Express rollt auf der Schiene

Um Rohstoffe und Waren zuverlässig und kostengünstig zu den Abnehmern zu bringen, setzen immer mehr Zulieferer auf den umweltfreundlichen Bahntransport. Die Liberalisierung im europäischen Eisenbahngüterverkehr hat den Wettbewerb forciert und bietet auch mittelständischen Unternehmen neue Möglichkeiten für ihre Logistik.

Die Kunden von Kurt Kuonen sitzen in ganz Europa. Der Verantwortliche für die Speditionslogistik der Novelis Switzerland AG im schweizerischen Sierre beliefert täglich Automobilhersteller in Schweden, Frankreich, Italien, Großbritannien und Deutschland mit Aluminiumhalbfabrikaten wie Seiten- und Hecktüren, Außenbauteile für Motorhauben, aber auch Innenbauteile und komplette Karosserien. „Vier Fünftel der Produktion gehen nach Deutschland – etwa zu BMW nach Dingolfing, Audi in Neckarsulm und Ingolstadt oder Mercedes in Sindelfingen und Bremen“, berichtet Kuonen. Befördert werden die Teile heute immer noch zu fast zwei Dritteln per Lastwagen über die Straße, weil das in der Regel schneller als mit der Bahn geht. „Die knappen Zeitfenster lassen uns keine andere Wahl“, bedauert der Logistiker.

Anders ist es bei der Rohstoffversorgung des Unternehmens. Die so genannten Aluminium-Ingots, die auf dem Seeweg aus Russland, Brasilien und Island nach Rotterdam geliefert werden, gelangen von dort zu 80 % per Bahn in die Novelis-Gießerei nach Steg, werden dort geschmolzen und zu Barren vergossen. Die transportiert dann ebenfalls ein Güterzug ins 20 Kilometer entfernte Werk nach Sierre. „Wir wollen künftig noch mehr Verkehr auf die Schiene verlagern“, sagt Kurt Kuonen. Nicht nur beim Transport der Ingots, sondern auch bei der Belieferung der Kunden in der Automobilindustrie mit den Halbfabrikaten.
Das mittelständische Unternehmen mit seinen 330 Beschäftigten nutzt dabei die neuen Möglichkeiten des liberalisierten Eisenbahngüterverkehrs in Europa. Denn mit dem „Open Access“ im Jahre 2002 dürfen Eisenbahnverkehrsunternehmen ihre Züge auch auf den Schienennetzen anderer Bahnen rollen lassen. Und so kann zum Beispiel die Schweizer Güterbahn SBB Cargo, die für Novelis sämtliche Transporte abwickelt, in eigener Verantwortung grenzüberschreitend bis in den Hafen von Rotterdam oder zu den Automobilwerken in Bayern, Baden-Württemberg oder Bremen fahren. „Das kommt vor allem der Qualität und Pünktlichkeit zu Gute“, weiß Annette Jordan, Geschäftsführerin von SBB Cargo Deutschland mit Sitz in Duisburg. Denn Lok- und Fahrerwechsel an den Grenzen, die früher viel Zeit gekostet haben, entfallen nun.
„Der Bahntransport ist zuverlässig, pünktlich und preislich auf Marktniveau“, lobt denn auch Kurt Kuonen die Zusammenarbeit mit dem „strategischen Partner SBB Cargo“. Zudem schlage die Bahn den Truck in zwei wichtigen Aspekten: Sie könne große Volumina aufnehmen und im Nachtsprung operieren. Vor allem auf der Nord-Süd-Strecke zwischen den deutschen und niederländischen Nordseehäfen und Norditalien kann die Güterbahn diesen Vorteil voll ausnutzen. Je nach Verkehrslage sind die Waggons hier bis zu 10 Stunden schneller am Ziel als ein Lastwagen, der mit Staus und Nachtfahrverbot zu kämpfen hat.
Mittlerweile gehört der Wettbewerb auf der Nord-Süd-Magistrale zu den intensivsten in Europa. So operieren dort heute neben der Deutsche-Bahn-Logistiktochter Railion und SBB Cargo ein halbes Dutzend weiterer Anbieter wie TX Logistik, Rail4Chem, Crossrail oder RTS. „Der Alpentransit verspricht große Wachstumschancen, weil die Straßenkapazitäten weitgehend erschöpft sind und eine Zunahme des Lkw-Verkehrs in der Schweiz und Österreich nicht gewollt ist“, sagt Raimund Stüer, Vorstandsmitglied der TX Logistik AG in Bad Honnef. Auch das 1999 gegründete Unternehmen, an dem die italienische Staatseisenbahn Trenitalia zu 51 % beteiligt ist, will seine Chance auf dem deutschen Markt nutzen und dem Ex-Monopolisten Railion kräftig Konkurrenz machen. Für BMW transportiert es beispielsweise in Kooperation mit dem Automobillogistiker ARS Altmann 300 000 Neufahrzeuge pro Jahr aus den bayrischen Produktionswerken nach Bremerhaven zur Verschiffung nach Übersee.
Von Nord nach Süd sind dagegen die SBB Cargo-Züge unterwegs, die mehrmals in der Woche aus dem Ruhrgebiet die Kunden der Duisburger ThyssenKrupp Steel AG in der norditalienischen Automobil-, Verpackungs- und Baustoffindustrie ansteuern. „Modal Split“ heißt auch für Dr. Dieter Lindenblatt, Direktor Verkehrswirtschaft bei dem weltweit produktions- und umsatzstärksten Hersteller von Qualitätsflachstahl, das Zauberwort. 40 % des gesamten Transportweges legt der begehrte Rohstoff auf der Schiene zurück, 40 % mit dem Binnenschiff auf dem Rhein und 20 % auf der Straße im Lkw-Kombiverkehr bis in die Werkhallen der Abnehmer. Die nässeempfindlichen Blechrollen, so genannte Coils, bringen dabei jeweils zwischen 15 und 20 Tonnen, manchmal sogar bis zu 36 Tonnen auf die Waage.
Um sie auf dem Schienenweg transportieren zu können, sind Shimmns erforderlich – Spezialwaggons mit Lademulden und Schiebedach, damit die Coils nicht bei Regen und Schnee zu rosten anfangen. In den ThyssenKrupp-Walzwerken Duisburg, Dortmund, Bochum und Finnentrop werden die Wagen beladen und im Rangierareal Duisburg-Rheinhausen zu Zügen zusammengestellt, die sich dann auf den Weg über die Alpen machen. Italien ist für ThyssenKrupp Steel in Europa – hinter Spanien und Frankreich – der drittgrößte Exportmarkt.
„Pro Woche setzen wir seit 2005 drei Ganzzüge auf die Gleise, die innerhalb von 24 Stunden ihr Ziel erreichen“, sagt Annette Jordan. Im April musste sie auf Grund der steigenden Nachfrage die Anzahl der Züge zwischen Duisburg und Basel auf 10 Zugpaare pro Woche mehr als verdoppeln. „Im ersten Halbjahr 2007 stieg unsere Verkehrsleistung in Deutschland erneut um 43 Prozent auf nun zwei Milliarden Nettotonnenkilometer an“, freut sich die für den Bereich Produktion verantwortliche Geschäftsführerin über den florierenden Wettbewerb und rasante Zuwachsraten.
Wolfgang Müller Fachjournalist in Düsseldorf
Mehr auf der Ladefläche, schneller am Ziel

Liberalisierung wirkt
Die Schweiz ist seit 1999 der Vorreiter bei der Liberalisierung des Güterbahnverkehrs. Der Wettbewerb auf dem Nord-Süd-Korridor durch das Alpenland zeigt schon nach kurzer Zeit positive Ergebnisse. Nirgendwo in Europa wächst der Schienengüterverkehr schneller – und der kombinierte Verkehr gewinnt mit zweistelligen Zuwachsraten erstmals in den vergangenen 50 Jahren Marktanteile von der Straße zurück. Grenzüberschreitende Angebote aus einer Hand haben zu spürbaren Qualitätsverbesserungen für die Kunden geführt, die sich vor allem in einer erhöhten Pünktlichkeit der Güterzüge bemerkbar macht. Durch den Ausbau des internationalen Wagenladungsverkehrs – neben den Ganzzügen – wird auch für mittelständische Unternehmen die Nutzung des umweltfreundlichen und kosteneffizienten Transportmittels für ihre Produkte interessant.
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