Behörden Spiegel Oktober 2017

Page 1

Fakten, Hintergründe und Analysen für den Öffentlichen Dienst

ISSN 1437-8337

Nr. X / 33. Jg / 41. Woche

Berlin und Bonn / Oktober 2017

G 1805

www.behoerdenspiegel.de

Stärker in die 3. Dimension gehen

Neue Wege gehen

Ernten im Nutzgarten der Achtsamkeit

Wuppertaler OB Andreas Mucke

Natalia Jaeckel fordert Mut

Dr. Lutz Kosack zur “Essbaren Stadt”

zum Diesel-Problem .............................. Seite 24

zur Digitalisierung ................................. Seite 34

Andernach ............................................. Seite 60

Noch nicht voll einsatzfähig (BS/mfe) Der Stab des neu eingerichteten Ständigen Bevollmächtigten des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestages wird voraussichtlich erst Mitte kommenden Jahres komplett arbeitsbereit sein. Das gestand kürzlich der Vorsitzende des Gremiums zur Überwachung der Arbeit der Nachrichtendienste des Bundes, Clemens Binninger (CDU), ein. Dem Amtsinhaber Arne Schlatmann stehen neben einem leitenden Beamten eigentlich die Mitarbeiter von vier Referaten zur Durchführung von Kontrollbesuchen bei den Diensten zur Verfügung. Das wären 20 Stellen. Davon sind bisher jedoch nur zwölf besetzt, gab Schlatmann zu. Und Binninger rechnet auch erst Anfang kommenden Jahres mit der Neuwahl der PKGr-Mitglieder.

Verhandlung zum Zensus (BS/jf) Am 24. Oktober findet in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Zensus 2011 statt. Geklagt hatten die Länder Hamburg und Berlin, die sich durch die Methode der registergestützten Volkszählung und anschließender Hochrechnung der Daten durch den Bund benachteiligt. Durch dieses Vorgehen wurden für Berlin 180.000 Einwohner und für Hamburg rund 82.900 Personen weniger ermittelt, was sich u.a. auf die Länderfinanzbeziehungen untereinander sowie auf die Verteilung von Geldern nach dem Königsteiner Schlüssel auswirkt. Bereits im Vorfeld hatte der Zweite Senat des BVerfG auf einen Eilantrag des Landes Berlin reagiert und den Vollzug der Löschungsvorschriften im Zensusgesetz ausgesetzt und diesen Beschluss bereits vier Mal verlängert.

Land unter – Migration in die Zentren Gleichwertige Lebensverhältnisse wiederherstellen (BS/R. Uwe Proll) Die “Verspargelung” der Landschaft durch Windräder, die Massentierhaltung und selbst das umstrittene Glyphosat, alles nur, damit die Bevölkerung in Deutschlands Großstädten versorgt werden kann. So die aktuelle Stimmung auf dem Lande, dort, wo alle Parteien inzwischen die “Heimat” verorten. Nicht nur im Wahlland Niedersachsen oder in den ostdeutschen ländlichen Regionen, sondern auch im Sauerland, in der Eifel und in Oberbayern. Land gegen Stadt. Benachteiligung gegen Bevorteilung. Ländliche Regionen fühlen sich im Stich gelassen von der großen Politik. Die Korrektur: eine Herkulesaufgabe für die nächste Legislaturperiode. Sozial, demografisch und infrastrukturell entwickeln sich Stadt und Land in der Bundesrepublik aktuell rasant auseinander. Landflucht hier – Wohnungsengpass da. Das Grundgesetz sieht die Bundeskompetenz zur “Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse” in ganz Deutschland vor. Doch es gibt keinen Anspruch, dies einzuklagen. Zumal die Bundesländer 1994 den sogenannten “Unitarisierungsdruck” unisono ablehnten und sich damit vom sogenannten Leitbild einer allumfassenden Einheitlichkeit der Lebensumstände verabschiedeten. Die Bundesländer übernahmen mehr Kompetenzen, der Bund war für die Frage der Entwicklung der ländlichen Räume nicht mehr verantwortlich. Ein fataler Fehler? Nicht nur die neuen Bundesländer verlieren Einwohner (z. B. Sachsen-Anhalt13,6 Prozent), längst gilt dies auch für westliche Länder (z. B. Saarland 7,9 Prozent). Wohlstandsländer im Westen, vor allem in den Städten, legen zu (z. B. Bayern 3,5 Prozent oder Baden-Württemberg 2,1 Prozent und Hessen 1,8 Prozent) Der Wegzug trifft nicht nur Dörfer und Samtgemeinden, sondern auch Kleinstädte. Der Zuzug in die Großstädte ist ungebremst. Wirksame Instru-

Kennzeichnen der Landflucht: zurückgebliebene Immobilien, die immer mehr verwahrlosen. Um den Trend umzukehren, braucht es dringend einen Masterplan Daseinsvorsorge und Digitalisierung in ländlichen Regionen, der im Koalitionsvertrag ganz vorn verankert werden muss. Foto: BS/© catcha, Fotolia.com

mente staatlicher Regulierung, Zu- und Abwanderung direkt zu steuern, gibt es nicht. Doch spätestens nach der letzten Bundestagswahl ist klar, die Vernachlässigung von Kleinstädten und ländlichen Regionen führt

dort zu einer Neigung zum politischen Rand. Im druckfrischen Raumordnungsbericht 2017 des Bundesverkehrsministeriums ist festgehalten, dass der Schrumpfungsprozess von

Landgemeinden sowie von Mittel- und Kleinstädten nicht nur Ostdeutschland, sondern zunehmend auch Westdeutschland erfasst. In 37 Prozent der Mittelstädte und 52 Prozent der Kleinstädte schrumpft die Be-

Kommentar

Leihrad-Schwemme in Bahnen lenken!

Zum ersten Mal bundesweit

(BS) Sie sind gelb, rot oder grün, heißen ofo oder mobike (aus China), gobee (Hongkong) oder oBike (Singapur) und verstopfen in Fernost längst Plätze und Wege. München hat es nun auch erwischt: Seit August soll allein (BS/mfe) Im Zusammenhang oBike rund 7.000 Freefloating-Räder an der Isar aufgestellt haben. Die anderen Anbieter wollen nachziehen. mit der von einem Supermarkterpresser vergifteten Babynahrung wurden zum ersten Mal alle Nutzer der Notfall-Informationsund Nachrichten-App des Bundes (NINA) informiert. Die Anwendung, die vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) entwickelt wurde, nutzen über eine Million Personen. Die Bevölkerungsschutzwarnung vor den vergifteten Lebensmitteln wurde von der baden-württembergischen Polizei verfasst und dann über die einzelnen Bundesländer in NINA eingespeist. Es handelte sich folglich nicht um eine Warnung des Bundes. Technisch gab es bei der ersten bundesweiten Versendung einer Warnmeldung per NINA keine größeren Probleme.

Viele Kommunen haben stationsbasierte Mietrad-Systeme ausgeschrieben oder Gestattungsverträge aufgelegt. In Hamburg erhielt 2009 etwa die Deutsche Bahn den Zuschlag für Rad-Stationen. Aber: Konkurrent Nextbike stellte seine Räder trotzdem ins Straßenland. Im folgenden Rechtsstreit unterlag die Hansestadt. Letztes Jahr wurde dann Nextbike offizieller Anbieter in Berlin, hier bietet nun die Bahn eine weitere freie Miet-Flotte an. Während es sich im Gerangel der heimischen Platzhirsche zumeist um wenige Tausend qualitativ hochwertige Drahtesel dreht, setzen die neuen Anbieter auf günstige Masse. Mit Rädern unter 40 Euro lässt sich schnell “nach oben skalieren”. Im Ham-

burger Hafen sollen zig Tausende auf ihre Verteilung warten. Das Problem: Es gibt hierzulande kaum eine rechtliche Handhabe dagegen. Deshalb ist es gut, dass sich Verantwortliche aus mehreren Großstädten nun erstmals in Mannheim dazu getroffen haben. Die Kommunen müssen ihre Hausaufgaben machen, zumindest ein Verleih-Konzept vorlegen, früh mit den asiatischen Anbietern ins Gespräch kommen und die eigenen Interessen klar formulieren. Es gilt, die Aktivitäten der neuen Anbieter in möglichst konstruktive Bahnen zu lenken, sich aber auch für etwaige Rechtsstreitigkeiten zu wappnen. Die sind nicht auszuschließen, steht hinter den

Bikesharing-Start-ups ein weit größeres Interesse, als nur billige Stahlrösser unters Volk zu jubeln. Daten! Jedes Rad besitzt GPS und liefert gemeinsam mit einer App Bewegungsprofile. Da verwundert es nicht, dass die Materialschlacht von Internet-Giganten getrieben ist: Tencent (WeChat) und Foxconn (IT-Zulieferer) finanzieren die Expansion mit Hunderten Mio. Dollar. Wo aber geschickte Kommunikation aus den Rathäusern und interkommunaler Austausch an Grenzen stoßen, ist die künftige Bundesregierung gefordert – nicht, um Märkte zu protegieren, sondern um eine sinnvolle Mobilitätsraumentwicklung zu unterstützen! Julian Einhaus

Begehrlichkeiten

völkerung. In ländlichen Gebieten sieht es noch dramatischer aus, dort ist die Abwanderung vor allem Junger und Hochqualifizierter signifikant. Nicht nur, dass infrastrukturelle Angebote wie Einkaufsmöglichkeiten, medizinische Versorgung und Freizeitangebote fehlen, das Leben wird zunehmend teurer. Z. B. wird die Wasserversorgung bei weniger Bevölkerung “kostenneutral” auf den Rest umgelegt. Die sogenannten “abgehängten” Regionen sind, so zeigen es die Wahlergebnisse, Hochburgen von Populisten, so auch in Großbritannien oder den USA. Daher ist der Ausbau der digitalen Infrastruktur in hohem Tempo notwendig, um die wirtschaftlichen Strukturen – also Arbeitsplätze – beizubehalten, wenn nicht sogar zu verbessern. Ein Masterplan Daseinsvorsorge und Digitalisierung in ländlichen Räumen ist daher eine zwingende Aufgabe der nächsten Bundesregierung und sollte ganz vorne im Koalitionsvertrag stehen. Es ist ja nicht verwunderlich, dass der Raumordnungsbericht 2017 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVi) vor der Bundestagswahl bereits vorlag, aber erst danach veröffentlicht wurde.


Inhalt

Seite 2

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Je enger die Maschen, desto besser die Fangquote. Dieses Grundprinzip gilt nicht nur in der Fischerei, sondern auch in der Inneren Sicherheit. In beiden Branchen kann auch mal ein ungewollter Fang ins Netz gehen. Sich zu vernetzen ist aber auch Ausdruck der Zusammenarbeit und der Nutzung von Synergien. Hier gilt das genannte Grundprinzip gleichermaßen. Foto: BS/Petra Bork, pixelio.com

Netze Eine bürgerlich-politische Kooperation

E-Government ausbauen

Zu viel Nebeneinander

Dr. Hassemer: Das “Sprech” über die Politik hat sich deutlich verschlechtert ....................................... Seite 16

Baden-Württemberg und Sachsen erweitern Kooperation .............................................. Seite 37

Gemeinschaftsaufgabe Cyber-Sicherheitsarchitektur ..................................... Seite 42

Wer selbst buddelt, spart Geld

Neuer Baustein

Ohne Reformen geht es nicht

Glasfaserausbau in Baden: neun kommunale Partner, ein Betreiber, sechs Vertragsseiten .......................... Seite 26

ZITiS stärkt Deutschlands Sicherheitsarchitektur ............................................... Seite 39

Verfassungsschutz-Präsident will einige Aufgaben zentralisieren ................................. Seite 50

Warum der Staat digitales Engagement fördern sollte

Zahlreiche Akteure im Cyber-Raum gefordert

Es mangelt an Kompatibilität

Staat und Gesellschaft profitieren stark von bürgerlichem Engagement, das zunehmend digitaler wird ............ Seite 32

Abwehr digitaler Gefahren ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe .............................. Seite 41

Einsatzführungssysteme oftmals nicht leicht miteinander vereinbar .................................................................. Seite 55 Impressum Der Behörden Spiegel wird verlegt von der ProPress Verlagsgesellschaft mbH. www.behoerdenspiegel.de

Innenspiegel

Digitaler Staat 2018 Neuer Ort – frische Impulse – noch mehr Vernetzung (BS/har) Die Kulisse des Großraumkinos “KOSMOS” in Berlin wird am 20./21. März 2018 die Plattform für intensive und breit angelegte Diskussionen und vielfältige Vernetzungsmöglichkeiten rund um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bilden. E-Government, digitaler Datenschutz sowie Arbeit und Personal 4.0 werden als zentrale Säulen der Veranstaltung hochkarätige Experten aus Verwaltung, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zusammenführen. Darüber hinaus wird der Kongress erstmals auch Startups die Gelegenheit geben, ihre Lösungen für den öffentlichen Sektor vor Ort zu präsentieren. Ein wesentlicher Bestandteil des Kongresses ist traditionell der Blick über den nationalen Tellerrand. So wird die nächstjährige Veranstaltung maßgeblich durch das Partnerland Norwegen sowie den Themenpartner Dänemark geprägt sein, die Einblicke in ihre landesspezifischen Digitalisierungsmaßnahmen gewähren werden. Doch auch Experten aus Österreich und der Schweiz werden die Diskussionen des Kongresses bereichern. Die Prognos AG wird als Kooperationspartner wie in den Vorjahren einen exklusiven “Trendreport” vorstellen. Weitere Kooperationspartner sind unter anderem der Deutsche Landkreistag und Fraunhofer FOKUS. Digitaler Staat verlangt digitale Berichterstattung Social-Media-begleitend können sich Follower auf Twitter, Facebook und der Website informieren. Unter #digitalerstaat via @digitaler_

staat darf mitdiskutiert werden. Die Homepage www.digitalerstaat.org ist ein Newsportal, auf dem sich Kongressteilnehmer breit gefächert informieren können.

Herausgeber und Chefredakteur R. Uwe Proll Leiter der Berliner Redaktion Jörn Fieseler Leiter der Bonner Redaktion Guido Gehrt Redaktion Adrian Bednarski, Julian Einhaus (Kommunal- und Energiewirtschaft, ÖPP), Marco Feldmann (Innere Sicherheit, Katastrophenschutz), Jörn Fieseler (Personal, Beschaffung, Vergabe), Guido Gehrt (IT, ITK-Politik, Haushalt), Michael Harbeke (Online-Redaktion), Katarina Heidrich, Lora Köstler-Messaoudi (Haushalt, Finanzen), Wim Orth (Digitale Gesellschaft), Dr. Gerd Portugall (Verteidigung, Wehrtechnik), R. Uwe Proll (Politik, Parlament), Benjamin Stiebel (IT, IT-Sicherheit), Gerd Lehmann (Sonderkorrespondent BOS) Büro Brüssel Hartmut Bühl Parlamentsredaktion Berlin Tel. 030/ 726262212, Fax 030/72626-2210 Layout Beate Dach, Cornelia Liesegang Verlag Bonn Anzeigen / Redaktion / Vertrieb, Tel. 0228/97097-0, Fax 0228/ 97097-75 Verlag Berlin Redaktion / Vertrieb, 10317 Berlin, Kaskelstr. 41, Tel. 030/557412-0, Fax 030/557412-57 Anzeigenleitung Helga Woll, gültige Anzeigenpreisliste Nr. 28/2017, Jahresabonnement (12 Ausgaben) 9,80 Euro (inkl. Porto und MwSt.) Bankverbindungen Sparkasse KölnBonn, IBAN: DE06370501980007503063, BIC: COLSDE33; Berliner Bank AG, IBAN: DE03100708480482263100 BIC: DEUTDEDB110; Postbank, IBAN: DE24370100500022690509 BIC: PBNKDEFF Geschäftsführung Helga Woll Vorsitz Herausgeber- und Programmbeirat Dr. August Hanning, Staatssekretär a. D. Reimar Scherz, Brigadegeneral a. D. Im Falle höherer Gewalt und Störungen des Arbeitsfriedens besteht kein Anspruch auf Belieferung. Für unverlangt eingesandte Manuskripte keine Gewähr. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Die Zeitung und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen (auch Werbeeinschaltungen) sind urheberrechtlich geschützt. Mit Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle ist eine Verwertung ohne Einwilligung des Verlages strafbar. Auflagenkontrolle durch

Auch 2018 wird es zum Digitalen Staat wieder einen “Trendreport” geben. Grafik: BS/Beate Dach

Fotoquellen Seite 1 Foto 1: BS/Stadt Wuppertal Foto 2: BS/Innenministerium BaWü Foto 3: BS/Michael Harbeke

Satz Spree Service und Beratungsgesellschaft mbH, Berlin Druck Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach Erfüllungsort und Gerichtsstand Bonn Zentrale Anschrift Verlag / Redaktion / Anzeigenleitung 53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 57 Zentrale Sammelnummern Telefon: 0228/970 970 Telefax: 0228/970 97-75 Altpapieranteil 100%


Aktuelles Öffentlicher Dienst Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2017

Zurückschneiden für Neues

KNAPP Vier von 109

Frauenförderung im Öffentlichen Dienst in NRW und anderswo (BS/ Jörn Fieseler) Im September hat die neue Landesregierung in NRW bei der Beförderung von Frauen im Öffentlichen Dienst die vor dem 1. Juli 2016 geltende Rechtslage wiederhergestellt. Zum Leidwesen von SPD und Grünen, die mit Argusaugen das weitere Vorgehen beobachten. Denn für eine neue Regelung sollen erst die Beurteilungsrichtlinien evaluiert werden. Die Düsseldorfer Landesregierung ist mit diesem Vorhaben jedoch nicht allein. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es aktuell Bestrebungen, nicht nur Frauen bei der Beförderung bevorzugt zu berücksichtigen, sondern eine geschlechterneutrale Formulierung zu finden. So, wie es u. a. in Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern geregelt ist. In Rede stand § 19 Abs. 6 Landesbeamtengesetz NRW, wonach Frauen bei “im Wesentlichen” gleicher Leistung zu bevorzugen seien. Jetzt gilt die frühere Rechtsnorm (siehe Hinweiskasten). Überhaupt finden sich in allen Bundesländern entsprechende Regelungen zur Förderung von Frauen. Wenn nicht im Landesbeamtengesetz, dann in einem Frauenförderungs-, Gleichstellungs- oder Chancengesetz, wie eine Abfrage des Behörden Spiegel in den Bundesländern ergab. Die Palette ist dabei breit gefächert: So gibt es einerseits Soll-Regelungen (z. B. in Baden-Württemberg) und KannBestimmungen (bspw. im Saarland) zur Bevorzugung von Frauen. In Baden-Württemberg sind laut Chancengesetz bei der Beurteilung der Eignung zudem die in Familien- und Pflegeaufgaben und in ehrenamtlicher Tätigkeit erworbenen überfachlichen Kompetenzen einzubeziehen, soweit sie für die vorgesehene Tätigkeit von Bedeutung sind. Das Gesetz soll 2019 auf den Prüfstein gestellt und evaluiert werden. Andererseits wird der Begriff der Unterrepräsentanz verschiedentlich stark aus-

Der Rückschnitt von Bäumen dient dem Wachstum dickerer, stabiler Äste und neuer Knospen. Ähnlich sieht es die schwarz-gelbe Landesregierung. Bei der Frauenförderung kehrt sie zur alten Rechtslage zurück, um darauf aufbauend neue Konzepte zu erarbeiten. Foto: BS/Uschi Dreiucker, pixelio.de

formuliert. So heißt es etwa in Brandenburg und Berlin, dass Frauen bei gleichwertiger Qualifikation bevorzugt einzustellen sind, bis der Anteil von Frauen mindestens 50 Prozent beträgt. Andere Länder, wie Bayern oder Hessen, haben hingegen den einzelnen Ministerien und Behörden den Auftrag erteilt, selbst

Die neue Rechtslage (BS/jf) Der neue § 19 Abs. 6 Landesbeamtengesetz lautet wie folgt: “Beförderungen sind nach den Grundsätzen des § 9 des Beamtenstatusgesetzes vorzunehmen. Soweit im Bereich der für die Beförderung z 11ständigen Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Ämtergruppe eines Einstiegsamtes in einer Laufbahn weniger Frauen als Männer sind, sind Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen; ist die Landesregierung die für die Beförderung zuständige Behörde, so ist maßgebend der Geschäftsbereich der obersten Landesbehörde, die den Beförderungsvorschlag macht.”

Zielvorgaben bzw. Zielquoten zu definieren, die einzuhalten sind. Gegenüber diesen Formulierungen, die allesamt die Förderungen von Frauen in den Vordergrund stellen, sehen die Gleichstellungsgesetze von Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg eine weiter gefasste Formulierung vor. “Hamburg hat die reine Frauenförderung zugunsten einer Förderung des jeweils unterrepräsentierten Geschlechts aufgegeben”, berichtet die Leiterin der Personalbehörde, Bettina Lentz. Letzteres ist übrigens nicht bei fehlender Parität zwischen den Geschlechtern gegeben. Einen kleinen Spielraum von zehn Prozent lässt das Gesetz in Hamburg zu. Die Unterrepräsentanz eines Geschlechts in einer Dienststelle ist mit weniger als 40 Prozent des Frauen- oder Männeranteils an den Beschäftigten einer Be-

soldungs- oder Entgeltgruppe innerhalb einer Laufbahn bzw. Fachrichtung bzw. innerhalb der Gruppe der Führungskräfte definiert. Diese Formulierung strebt auch Sachsen-Anhalt an. Noch in dieser Legislaturperiode soll das Frauenförderungsgesetz zu einem modernen Gleichstellungsgesetz weiterentwickelt werden. In diesem Zuge sollen die Regelungen, die bislang nur für Frauen galten, auch auf Männer ausgedehnt werden, sofern diese in Bereichen strukturell benachteiligt sind. Aber: Bewerberinnen oder Bewerber müssen nicht nur “im Wesentlichen” geeignet, befähigt sein und die gleiche Leistung vorweisen, sondern sie müssen vielmehr “gleich qualifiziert” sein, betont eine Sprecherin aus dem Justizministerium in Magdeburg. “Dieser Beschluss

ist ein Zwischenschritt”, betont NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Und Parteikollege Dr. Marcus Optendrenk ergänzt: “Wie werden sehr zeitnah mit Verbänden und Gewerkschaften, mit Ministerien und Betroffenen über eine grundlegende Neuregelung im Bereich der Frauen- und Familienförderung sprechen.” Dazu sollen die Beurteilungsrichtlinien evaluiert werden, um auf dieser Basis ein rechtssicheres, umfassendes und ausgereiftes Konzept für eine sachgerechte Frauen- und Familienförderung zu entwickeln, wie es in der Gesetzesbegründung für die Änderung des Landesbeamtengesetzes und auch im Koalitionsvertrag heißt. “Aus meiner Sicht ist das eine wolkige Ankündigung, aber kein Beitrag zur Frauenförderung”, kritisiert die Grünen-Abgeordnete Josefine Paul. Zugleich bezweifelt sie, dass die Regierung sich die Mühe mache, neue Konzepte “schon mal weiterzudenken”. Unterstützt wird sie von Regina Kopp-Herr von der SPD. Mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Gleichberechtigung der Geschlechter sagt sie zu Reul und Optendrenk: “Wir werden seitens der SPDFraktion sehr genau hinschauen, ob Sie Ihr Versprechen, eine andere Art der Frauenförderung im Öffentlichen Dienst zu implementieren, auch gewissenhaft und zeitnah einlösen.” Für Paul ist hingegen klar, dass die schwarz-gelbe Landesregierung abwarten werde, bis “irgendwer irgendwann irgendwie schon irgendwelche Konzepte auf den Tisch legt”. Zumindest ein Diskussionspapier liegt bereits auf dem Tisch (siehe Seite 4). Das Gesetz wurde mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD beschlossen.

(BS/jf) Gerade mal 3,6 Prozent der Abteilungsleiter in den Bundesministerien der letzten schwarz-roten Regierung kamen im vergangenen Jahr aus den neuen Bundesländern. Und das in nur drei Ministerien. In den übrigen elf von insgesamt 14 obersten Bundesbehörden waren die Abteilungsleiterposten durchgängig mit Männern und Frauen aus den alten Bundesländern besetzt. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion zurück. Damit sind die Ostdeutschen, die 17 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, auf der Ebene der Abteilungsleitungen in den Bundesressorts deutlich unterrepräsentiert. Die Linke fordert deshalb die Einführung einer “Ossi-Quote”.

84 EU-Verfahren (BS/jf) Am Ende der Legislatur der Bundesregierung registriert die EU-Kommission 84 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. 21 mehr als zu Beginn der 18. Wahlperiode 2013, wie das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) mitteilte. Ein Viertel der Verfahren (21) entfallen auf das Bundesverkehrsministerium, das EURichtlinien und Verordnungen nicht fristgerecht umsetzt. Dicht dahinter: das Umweltressort mit 18 Verfahren (21 Prozent). Platz drei teilen sich das Innenministerium und das Finanzressort (beide jeweils zwölf Vorgänge, je 14 Prozent). Die übrigen verteilen sich auf das BMWi (sieben), das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft (fünf), das Justiz- (vier) und das Arbeitsministerium (drei) sowie das Gesundheitsressort (zwei). Oft seien technische Umsetzungen aus Brüsseler Sicht fehlerhaft, aber auch die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) ist Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens.

Zukunft Dienstrecht

Arbeits-, tarif- und beamtenrechtliche Entwicklungen 21. – 22. November 2017, Maritim Hotel, Bonn

§

Mit Beiträgen u. a. von:

Ansgar Hollah, Leiter der Abteilung D „Öffentlicher Dienst“ im Bundesministerium des Innern: Der Öffentliche Dienst zu Beginn der 19. Wahlperiode

Karin Spelge, Richterin am Bundesarbeitsgericht (6. Senat): Aktuelle Rechtsprechung des 6. Senats zum TVöD und TV-L

Weitere Informationen zur Tagung „Zukunft Dienstrecht“ sowie zu den einzelnen Referenten unter: www.zukunft-dienstrecht.de

Dr. Rüdiger Linck, Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts: Aktuelle Rechtsfragen der Arbeitsvergütung

Eine Veranstaltung des


Aktuelles Öffentlicher Dienst

Seite 4

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Kurskorrekturkonzept

Ein Tag frei oder keiner – oder zwei

Beamtenbund NRW will mit neuer Broschüre Wende unterstützen

Arbeitszeitverkürzungs-Tag in den 16 Bundesländern

(BS/Jörn Fieseler) In Nordrhein-Westfalen sollen die Personalbeurteilungsrichtlinien kurzfristig evaluiert (BS/jf) Eigentlich sollte der sogenannte Arbeitszeitverkürzungs-Tag für Beamte in Thüringen gestrichen werwerden. Der Vorstoß stößt beim DBB NRW Beamtenbund und Tarifunion auf Zustimmung. Gleichwohl nutzt den. Eine Änderung der Arbeitszeitverordnung wird derzeit vorbereitet. Nun bleibt er doch bestehen. Für den die Interessenvertretung die Gelegenheit, um zehn Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Landesbeamtenbund ein Grund zur Freude, schließlich ist die Regelung mehr als der Hälfte der Länder in der Vergangenheit abgeschafft worden. Andererseits sticht ein Land besonders heraus. “Die Benachteiligung der Frauen beginnt schon bei der Beurteilung, entsprechend muss eine wirkliche Frauenförderung auch dort ansetzen” – und nicht erst bei der Beförderung, erläutert Roland Staude, 1. Vorsitzender des DBB NRW. Entsprechend begrüßenswert sei die Ankündigung von CDU und FDP, auf der Basis einer Evaluation ein rechtssicheres, umfassendes und ausgereiftes Konzept für eine sachgerechte Frauen- und Familienförderung zu entwickeln (siehe auch Seite 3). Um selbst bei der Debatte Impulse zu geben, präsentiert Staude die neue Broschüre “Geschlechtergerechtigkeit im Öffentlichen Dienst in NRW”, die in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung NRW entstanden sei. Basierend auf den Zahlen des vierten Landesgleichstellungsberichts sowie einer exemplarischen Auswertung von Beurteilungsnoten werden konkrete Zahlen aufgeführt: Während in den Eingangsämtern der Frauenanteil höher sei als der der Männer, sinke der Frauenanteil, je höher das Beförderungsamt sei. Deutlicher wird die Situation, wenn Lebensphasen in den Blick genommen werden: “Bis zu einem Alter von etwa 31 Jahren steigen die Beförderungsquoten unabhängig vom Geschlecht von Jahr zu Jahr an. Betrugen sie mit 26 Jahren noch durchschnittlich 3,1 Prozent, stiegen sie bis zum 31. Lebensjahr auf rund fünf Prozent an.” Wobei schon in dieser Phase, wenn auch geringfügig, mehr Männer als Frauen befördert würden.

Schwierige Phase zwischen 31 und 47 Jahren Die Schere beginnt ab dem 31. Lebensjahr auseinanderzugehen. So ergab die Analyse einerseits, dass in der Spitze 15,1 Prozent der Männer eines Jahrgangs befördert würden, Frauen aber nur einen Maximalwert von 10,6 Prozent erreichten. Andererseits erreiche die Beförderungsquote bei Beamten im Alter von 39 Jahren den Höchststand, bei Frauen erst im Alter von 47 Jahren. Ab 47 Jahren nehmen die allgemeine Berücksichtigung bei Beförderungen stetig ab. Mit geringen Schwankungen hielten sich

Wie bei der Förderung von Frauen im Öffentlichen Dienst in NRW einen neuen Kurs einschlagen? Ein neues Konzept bietet Antworten. Foto: BS/© DDRockstar, Fotolia.com

die Frauen- und Männeranteile in der Zeit bis zur Pensionierung die Waage, so die weiteren Ergebnisse. Allerdings: Der vierte Landesgleichstellungsbericht basiert auf den Zahlen vom 31. Dezember 2012. Ähnlich das Bild bei den Beurteilungsnoten. Fast durchgängig wurde die Bestnote “hervorragend” überdurchschnittlich häufig an Männer vergeben, zum Teil sogar doppelt so häufig. Auch die zweitbeste Note “sehr gut” wurde häufiger an Männer vergeben, wenn auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht mehr ganz so gravierend waren. Frauen erhielten dagegen durchgängig häufiger die Noten “gut” und “vollbefriedigend”. Und auch die schlechtesten Noten von “befriedigend” bis “nicht bewährt” wurden tendenziell häufiger an Frauen vergeben. Auch die Teilzeitbeschäftigung wirkt sich auf die Benotung aus. In keiner einzigen Besoldungsgruppe war der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an der Bestnote auch nur annähernd so hoch wie der Gesamtanteil. Die Autoren kommen deshalb zu dem Ergebnis, dass die “geringen Beförderungschancen von Frauen im Beurteilungssystem selbst begründet sein müssen”.

Von Vereinheitlichung bis Geschlechtercontrolling Aus diesem Grund sprechen sich der DBB NRW und die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW für insgesamt zehn konkrete Verbesserungen aus. So sollten erstens landesweit einheitliche Beurteilungs-

richtlinien geschaffen werden, um die Vergleichbarkeit unter den Ressorts zu verbessern. Außerdem sollten, zweitens, die Beurteilungszeiträume verkürzt werden, um eine realitätsgerechte Einschätzung der Leistung zu fördern. Im Zuge dessen könnte dann auch die Zahl der zu Beurteilenden überschaubar gehalten werden (drittens). Die Autoren sprechen sich zudem für geschlechtsneutrale Beschreibung und Operationalisierung der Kriterien aus. Auch wäre eine zusammenfassende Würdigung am Ende der Beurteilung im Sinne eines tatsachengestützten Erlebnisberichts denkbar (fünftens). Und sechstens müsse die Geschlechtergerechtigkeit auf allen Führungsebenen mitgetragen und ernst genommen werden. Dazu gehöre auch, dass Führungskräfte sich daran messen lassen müssten, wie sie mit dem Thema umgehen (siebtens). Der achte Vorschlag umfasst die Personalentwicklungsgespräche. Diese sollten ergänzend zu den Beurteilungen geführt werden. Aussagen über Fort- oder Rückschritte seien nur möglich, wenn regelmäßig Daten erhoben würden (neuntens). Diese müssten aber nicht nur die Zahl der Beschäftigten und deren Geschlecht pro Besoldungsstufe umfassen, sondern auch die Beförderungschancen und Beurteilungsnoten aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Beschäftigungsumfang beinhalten. Und letztlich sei ein kontinuierliches Controlling wichtig. Denn nur durch eine regelmäßige Datenanalyse könnten Verbesserungen erfolgen.

Der Arbeitszeitverkürzungstag (AzV-Tag) wird Beamtinnen und Beamten auf Antrag gewährt. Er sieht die Freistellung vom Dienst an einem Tag im Kalenderjahr unter Fortzahlung der Bezüge vom Dienst vor. In Erfurt sollte dieser Tag in der Arbeitszeitverordnung gestrichen werden. Begründung: 2003 wurde eine entsprechende Regelung für die Tarifbeschäftigten gestrichen, deshalb sei eine negative Angleichung im Beamtenrecht notwendig. Dagegen wehrte sich der TBB Beamtenbund und Tarifunion Thüringen. “Diese Begründung ist in keiner Weise stichhaltig. Dann müsste auch eine Angleichung von Weihnachts- und Urlaubsgeld erfolgen, da dies eine Ungleichbehandlung in die andere Richtung ist”, erläutert der Landesvorsitzende Helmut Liebermann. Zudem dürfe nicht verkannt werden, dass der AzV-Tag mehrere Jahre als Begründung für die nicht zeitund inhaltsgleiche Übertragung des Tarifergebnisses auf Beamte verwendet worden sei. “Die Streichung des AzV-Tages hätte faktisch eine Bezügekürzung

um 0,45 Prozent bedeutet. Eine solche Kürzung wäre ohne Kompensation nicht hinnehmbar gewesen”, so Liebermann weiter. Doch dazu kommt es nicht. Wie in Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt bleibt diese Norm in den jeweiligen Arbeitszeitverordnungen bestehen. Anders in Bayern, Brandenburg, Bremen, Hessen, MecklenburgVorpommern, Saarland und Sachsen. Hier sind die Regelungen gestrichen worden. Im Gegenzug wurde der Wegfall teilweise kompensiert, indem

die zuvor halbtägige Dienstbefreiung unter Fortzahlung der Bezüge vor Weihnachten und Neujahr auf eine ganztägige Dienstbefreiung ersetzt wurde. Teilweise gibt es noch Sonderfälle, wie bspw. in Niedersachsen und in NRW. Dort haben die Beamten allgemein keinen Anspruch auf einen solchen Ausgleich, einzige Ausnahme: Beamte im Schicht- und Wechseldienst. Besonders günstig ist die Lage hingegen in SchleswigHolstein. Den Beamten zwischen Nord- und Ostsee stehen zwei freie Tage zu.

Einen freien Tag pro Kalenderjahr bei Fortzahlung der Dienstbezüge zur Verkürzung der Arbeit gibt es nicht mehr überall. Foto: BS/©JiSign, Fotolia.de

In nicht allzu ferner Zukunft Generation Y und altersorientiertes Personalmanagement in einer Stadtverwaltung (BS/Prof. Dr. Gottfried Richenhagen) Emily ist 24 Jahre alt und hat in der Stadtverwaltung ihre Probezeit erfolgreich beendet. Nach einem Public Management-Studium ist es ihre erste Stelle. Ihr erstes Geld hat sie ohne schuldhaftes Zögern schon rasch wieder ausgegeben: Freizeit, Kleidung, Reisen, Wohnungseinrichtungen und viele andere Dinge sind wichtig für Emily. Natürlich hat sie auch das neue iPhone, das sie locker und lässig in ihrer Jeans mit sich herumführt. Ihre Vorgesetzten Sandra und Horst begnügen sich dagegen mit den abgelegten Smartphones ihrer Kinder. Trotz Klimawandel, Wirtschaftsund Flüchtlingskrisen und anderer globaler Bedrohungen blickt Emily mit ihren 24 Jahren nicht pessimistisch in die Zukunft. Vielleicht wäre “realistisch” das bessere Wort: Emily weiß, wo sie steht, sie kennt ihre Grenzen und hat ein gutes Gefühl dafür, was alles für sie erreichbar ist.

Job als Mittel zum Zweck Whatsapp von Emily an Horst, ihren Chef: “Es könnte sein, dass ich es nicht ganz schaffe, heute pünktlich zu sein. Ich musste schon mal lange mein Auto in die Werkstatt bringen und dann

gibt es ja diesen Berufsverkehr. Bis gleich.” Ihr Job ist ihr Mittel zum Zweck: Emily macht ihn gerne, begrenzt ihn aber kategorisch auf den Zeitraum zwischen neun und 17 Uhr. Außerhalb dieser Zeit versucht sie, überhaupt nicht an Job und Verwaltung zu denken. Sandra, Emilys Kollegin, und Horst finden das manchmal etwas egoistisch. Emily dagegen besteht auf einer klaren Trennung zwischen “Work” und “Life” und findet das Gerede von der Work-LifeBalance merkwürdig. Trotzdem möchte sich Emily während ihrer Zeit in der Verwaltung wohlfühlen. Auch wenn sie ein kühl-distanziertes Verhältnis zu “ihrer Verwaltung” hat, arbeitet Emily gerne und versucht, den ihr gestellten Aufgaben im Rahmen der Möglichkeiten gerecht zu werden. Sandra und Horst denken da anders. Emily hat eine Relax-Zone in der Verwaltung vorgeschlagen. Auch Sandra und Horst finden die Idee gut. Emily möchte am liebsten ein kleines, nett eingerichtetes Zimmer, mit bequemen Stühlen, einer Espressomaschine – die mindestens so gut sein muss, wie die im Zimmer des Chefs – und vielleicht noch einen Kühlschrank.

Das Ende vom Lied Freitagnachmittag: So hat sich Emily ihren Job nicht vorgestellt. Sie soll für ein wirklich wichtiges Projekt verantwortlich sein. Selber nachdenken, was zu tun ist und selber die Arbeit so einteilen, dass das Projekt am Ende auch fertig wird. Sie fühlt sich genervt: Seit einem Jahr der ewige Hinweis von ihrem

Prof. Dr. Gottfried Richenhagen ist wissenschaftlicher Direktor des ifpm – Institut für Public Management der FOM Hochschule Essen und Inhaber von richenhagen|consult – Personalmanagement und Politikberatung für mehr Arbeitsqualität. Foto: BS/r_c_wesel

Chef Horst auf die Wichtigkeit des Projektes. Emily hat sowieso schon genug zu tun. Allein das tägliche Lesen ihrer E-Mails und das Überwachen von Facebook. Das Projekt mag wichtig sein, vielleicht auch für den Chef – aber was hat sie damit zu tun? Nur noch zwei Monate. Warum hat Horst nicht gemerkt, dass sie nichts für das Projekt gemacht hat und überhaupt keine Ahnung hat, was da letztlich zu tun ist? Schließlich muss sich Emily erst einarbeiten und dazu hat das eine Jahr nicht gereicht. Doch Emily hat schon seit Monaten einen Notfallplan. Mit strahlendem Gesicht erklärt sie ihrem Chef ihre Kündigung. Was ist mit dem Projekt passiert? Soll sich doch Horst selber darum kümmern. Emily, die zum ersten Mal in Christian Scholz´ Generation Z (Wiley 2014) aufgetreten und in Anlehnung diesem Werk entnommen ist, sowie Horst und Sandra entstammen einem Szenario, das künftig häufiger Realität wird. Wie als Führungskraft, als Kollegin oder Kollege damit umgehen? Diese Frage beantworten die Seminare “Generation Y” und “altersorientiertes Personalmanagement” des Behörden Spiegel am 16. sowie 17. November 2017 in Berlin. Mehr unter: www.fuehrungskraefte-forum.de .


Bund

Behörden Spiegel / Oktober 2017

B

estechlichkeit zeigt sich aber nicht nur bei Baubehörden jenseits des Atlantiks. Der seit 1995 jährlich von der unabhängigen Organisation Transparency International veröffentlichte Korruptionswahrnehmungsindex bestätigt Korrumpierbarkeit auch bei europäischen Amtsträgern und Politikern. Betrachtet man staatliche Rahmenbedingungen eines Landes und den Rang, den dieses innerhalb des Indexes einnimmt, wird ein prinzipieller Zusammenhang deutlich. Weniger korrupte Staaten haben tendenziell eine unabhängige Judikative, strikte Vorgaben bezüglich der Integrität von Beamten und Politikern und einen hohen Grad an Presse- und Informationsfreiheit. Oder vice versa: Die Integrität von Personen und Daten sowie der freie Zugang zu letzteren führen zu weniger Korruption.

Über 200 Jahre gültiges Prinzip Dass das generelle Recht auf Einsichtnahme in Informationen über staatliche Entscheidungen nicht nur einen existenziellen Bestandteil der Demokratie ausmacht, sondern auch einen langfristigen Nutzen hat, erkannte Schweden schon lange vor der digitalen Revolution. 1766 verankerte das Land das sogenannte Öffentlichkeitsprinzip in seiner Verfassung, wie Xiaowei Chen von der Open Knowledge Foundation Deutschland im Rahmen des Internationalen Symposiums “Datenschutz und Informationsfreiheit – Widerspruch oder Ergänzung?” in Potsdam erklärt. Chen forscht zu Informationsfreiheit in Deutschland und war zu diesem Zweck auch längere Zeit in Schweden. Dieser Grundsatz räumt jedem Bürger das Recht ein, bei Behörden und Ämtern in alle vorhandenen Akten und Dokumente Einsicht zu nehmen. Die Verweigerung der Herausgabe von Informationen muss einer gesetzlichen Begründung unterliegen. Mit Entstehung und Weiterentwicklung der Digitaltechnik erweiterte sich dieses Prinzip der Transparenz auf alle Bürger. Heute ist es möglich, über Websites wie hitta.se nicht nur Namen und Kontaktdaten aller Schweden abzufragen, sondern

Freiheit oder Sicherheit? – altes Dilemma Widersacher des Korruptionsschutzes im digitalen Zeitalter: Datenschutz

ping zu werden. Zwar konnten die Statistiken seit der Einführung der elektronischen Vermögensdeklaration im letzten Jahr die Argumente bisher nicht bestätigen, dennoch werfen diese essenzielle Fragen auf.

(BS/Katarina Heidrich) Korruption im Öffentlichen Dienst dient der Sicherung eines alleinigen Vorteils. Welche lebensgefährlichen Folgen sich daraus ergeben können, zeigt das jüngste Erdbeben in Mexiko-Stadt. Nach und nach kommen immer mehr Fälle von massiven Verletzungen der Bauvorschriften ans Licht, die durch Korruption ermöglicht wurden und den Tod von 330 Menschen mitverantworteten. Wie unterschiedlich Kor- Grenzen in Deutschland ruption bekämpft wird, zeigen Beispiele aus Schweden und der Ukraine. Allerdings lassen sich diese nicht so einfach auf Deutschland übertragen. In Deutschland stieße eine auch ihre Sozialversicherungsnummern zu erhalten, so Chen. Damit kann man die Steuerbescheide einer beliebigen Person nachverfolgen und erhält so Auskunft über Einkommensund Vermögensverhältnisse. Das Transparenzprinzip impliziert nicht nur die Möglichkeit, eine Auskunft auf Anfrage zu erhalten, sondern ebenso die proaktive Veröffentlichung von Informationen seitens der Behörden. So gibt das nationale Mediationsamt jährliche Statistiken zu Beamtengehältern heraus. In Schweden werden diese Standards der Offenlegung als Fundament für Vertrauen verstanden und man nimmt an, dass eine transparente Gesellschaft Sicherheit bietet. Trotz der mehrheitlichen Zustimmung im Land gibt es allerdings auch bisher ungeklärte Probleme, die mit der Offenheit einhergehen. Beispielsweise ist es möglich, eine Nicht-Veröffentlichung seiner Daten zu veranlassen; gegen Geld. Das bedeutet wiederum einen Nachteil für Kleinverdiener und hält der Korruption das berühmte Hintertürchen offen. Eine andere wichtige Frage sei, ob ein solch altes Gesetz bereit ist für das digitale Zeitalter. Riesige, online verfügbare und sensible Datenmengen bergen das Risiko des Missbrauchs, betont Chen.

Gefahr der Transparenz Ein Abwägen zwischen Datenschutz, dem möglichem Missbrauch von frei zugänglichen Informationen und möglichem Missbrauch eines Amtes findet derzeit auch in der Ukraine statt. Um dem Phänomen der Korruption beizukommen, wurde ein neues elektronisches Onlinesystem der Vermögensdeklaration (E-Deklarationssystem) eingeführt, berichtet Oleksandr Kalitenko von Transparency International Ukraine. Alle Staatsbeamten sind verpflichtet, detaillierte Informationen zu Gehältern und Privatvermö-

Handlungsbedarf Personalsituation beim BAMF (BS/jf) Auslaufende Verträge, gedrückte Stimmung und anstehende Strukturveränderungen: Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) steht eine tiefgreifende Reform ins Haus. Dagegen regt sich Widerstand. Und auch die Länder stellen Forderungen. “Uns ist wichtig, dass das BAMF nicht zu einem viel zu frühen Zeitpunkt sein Personal verringert und Verträge von gut eingearbeitetem Personal auslaufen lässt”, betonte die rheinlandpfälzische Arbeitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Ihr Land hatte einen Beschlussvorschlag in der Runde der Arbeitsund Sozialminister vorgelegt, der mehrheitlich angenommen wurde. Darin wird der Bund aufgefordert, die Leistungsfähigkeit in der oberen Bundesbehörde sicherzustellen und für eine den aktuellen Herausforderungen angemessene Personalausstattung zu sorgen. Derzeit gibt es im BAMF zu wenig Dauerstellen. 3.700 befristeten Mitarbeitern, deren Verträge demnächst auslaufen, stehen nur 2.100 Dauerstellen gegenüber. Parallel soll die Struktur der Behörde verändert werden. 77 Außenstellen existieren inzwischen. Viel zu viele, um die Behörde zu steuern. Deshalb soll ein Außenstellenkonzept

Seite 5

erarbeitet werden, woran sich auch die Stellenverteilung bemessen soll. Fakt ist und bleibt: Nach derzeitiger Lage können nicht alle betroffenen Mitarbeiter entfristet werden. Folglich müssen gut eingearbeitete Kräfte die Behörde verlassen. Dagegen regt sich Widerstand. Nicht nur bei den Beschäftigten, sondern auch bei deren Vertretung, im Personalrat. Der fordert offen eine Entfristung sämtlicher Mitarbeiter und kritisiert öffentlich die Hausleitung, BAMF-Chefin Jutta Cord. Keine guten Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Hausleitung und Personalvertretung. Erschwert wird dieser Umstand, dass im Personalrat nicht nur Vertreter der Gewerkschaften, allen voran vom Verband der Beschäftigten der oberen Bundesbeörden (VBOB), vertreten sind, sondern auch Vertreter sogenannter freier Listen. Die haben zwar Tradition, sind aber auch unabhängiger.

Oligarchische Strukturen seien in der Ukraine noch stark ausgeprägt, wodurch der politische Wille fehle, Korruption langfristig zu bekämpfen. Das zeige sich auch an den Einwänden gegen die Vermögensdeklaration.

Widerstand aus der Beamtenschaft

Xiaowei Chen von der Open Knowledge Foundation Deutschland berichtet vom schwedischen Öffentlichkeitsprinzip. Fotos BS/Heidrich

Oleksandr Kalitenko von Transparency International Ukraine rät zu einem System der Vermögensdeklaration nach ukrainischem Vorbild.

gen offenzulegen. “Ein solches Bloßlegen der materiellen Verhältnisse führte schon zu einigen Überraschungen im Ergebnis und ist das wirkungsvollste

Mittel der Korruptionsbekämpfung”, betont Kalitenko. Der Antikorruptionsaktivist sieht allerdings zugleich Probleme in der bisherigen Umsetzung.

Vor allem seitens der betroffenen Beamten und Abgeordneten gab es Widerstand, so Kalitenko. Diese prangerten den fehlenden Datenschutz an und warnten vor einer Zunahme der Kriminalität. So stelle die Offenlegung des Vermögens und eine Bekanntgabe eventueller Geschenke oder Lotteriegewinne gewissermaßen eine Einladung an Verbrecher dar und erhöhe die Gefahr, Opfer von Erpressung, Diebstahl oder Kidnap-

solche Deklaration schnell an die Grenzen datenschutzrechtlicher Bestimmungen und somit des Schutzes der Privatsphäre. Das hierzulande existente Informationsfreiheitsgesetz wird eingeschränkt durch verschiedene Klauseln wie das Amtsgeheimnis, das Berufsgeheimnis, dem Schutz von besonderen öffentlichen Belangen oder den Schutz behördlicher Entscheidungsprozesse. Der Zugang zu personenbezogenen Daten wird nur im Ausnahmefall gewährt. Deshalb der Rat von Kalitenko: Deutschland sollte selbst nachziehen und ein System der Vermögensdeklaration einführen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die EU die Ukraine als möglichen Beitrittskanditaten zu eben einem solchen verpflichtet hat, um gegen die Korruption im Land vorzugehen.


Zahlen, Daten, Fakten

Seite 6

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Finanzen des öffentlichen Haushalts (BS/lkm) Wieviel gibt die öffentliche Hand pro Jahr aus? Was sind die Haupteinnahmequellen des Staates? Und wo steht Deutschland mit seiner Verschuldung im internationalen Vergleich? Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes sowie die Projektion des Finanzministeriums für die zukünftigen Jahre geben einen Einblick in die Haushaltssituation der öffentlichen Hand in den kommenden Jahren.

Einnahmen und Ausgaben im Zeitverlauf in Milliarden Euro 1500

1.163

1200

1.201

1.245

1.302

1.352

Prognose (Mittelfristige Finanzplanung des BMF) 897,5

867

900

Ausgaben 2016

in Milliarden Euro

in Milliarden Euro

Steuern und Abgaben

Wirtschaftl. Tätigkeiten

972

948,5

924

Einnahmen 2016

Zinsen

600 300

1.196

25

597 12

Sozialversicherung

0 -300

1.352*

27

-600

28 EU-Anteile

-898,5

-1200

-1.175

-1500

-1.208 -1.237

2012 2013

2014

-903

-935

-966,5

-999

2016

Länder

8

-1.273 -1.326

2015

371

1.326

Vermögensübertragungen

-900

2017

2018

2019

2020

Darlehensrückflüsse

2021

10 Veräußerungen von Vermögen

Gemeinde / Gemeindeverbände

Sonstige

Ergiebigste Steuern 2016

363

242

701

Bund

* minus Zahlungen von gleicher Ebene (627 Milliarden Euro)

in Millionen Euro Lohnsteuer 184.826

Umsatzsteuer

53.833

Veranlagte Einkommensteuer

51.157

Einfuhrumsatzsteuer

in Millionen Euro

50.097

Gewerbesteuer

40.091

Energiesteuer

}

19.452 Nicht veranlagte Steuern vom Ertrag 16.855 Solidaritätszuschlag 14.186 Tabaksteuer 13.260 Grundsteuer B (für Grundstücke) 12.763 Versicherungsteuer 53.833 Kraftfahrzeugsteuer

0

10.000

20.000

Geschätzte Steuereinnahmen von 2016 bis 2020 des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“

165.932

30.000

40.000

50.000

Verteilung auf

41 % Länder 41 % Kommunen* 14 % EU 4% Bund

705,8

732,4

2016

2017

2018

2019

2020

2021

Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 2015 nach Schuldenarten

Sozialversicherung

Kassenkredite

Kredite

0,02

3 19 Bund

2.023 Milliarden Euro

2.023 Milliarden Euro

63

Länderr

789,5

60.000

7

30

757,4

* inklusive Stadtstaaten

Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 2015 in Prozent nach Ebenen Gemeinden/ Gemeindeverbände

852,2 820,2

78

Wertpapierschulden Wertpapiersch

Schulden des öffentlichen Gesamthaushaltes 2015 im Detail

Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsproduktes 250

in Prozent

Rang 1

239 200

Zuwachs je Sekunde

58 Euro

Zuwachs je Kopf

24.041 Euro

150

0

Quellen: Statistisches Bundesamt, Bund der Steuerzahler, Internationaler Währungsfonds, Bundesfinanzministerium (BMF) Illustrationen: BS/Liesegang; © Orion, Fotolia.com; © grgroup, Fotolia.com; © lovemask, Fotolia.com; © Idey, Fotolia.com; © fotomek, Fotolia.com Alle Grafiken und bildlichen Darstellungen unterliegen dem Copyright. Nachdruck oder andere Vervielfältigungen nur mit Genehmigung des Behörden Spiegel.

Oberschwelle für das öffentliche Defizit (Maastricht-Vertrag)

Rang 3 Rang 26 Rang 21

100

50

Rang 2

Rang 52 89 Rang 182 Rang 181 Rang 180

0

0,06

3

68

97

Rang 14 143

107

181


Finanzen

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 7

Haushalt ohne neue Schulden

Debüt in Baden-Württemberg

Hessen stellt Haushaltsentwurf und Geschäftsbericht vor

Land baut erstmals seine Schulden ab

(BS) “Erstmals seit fast 50 Jahren können wir bereits bei der Aufstellung des Haushalts mit einer schwarzen Null planen: 2018 werden wir keine Schulden machen. Und erstmals seit 1969 können wir bereits im Entwurf den Abbau von Schulden einplanen: 2019 tilgen wir 100 Millionen Euro”, freute sich Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer in Wiesbaden bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs der Landesregierung. Hessen macht damit vier Jahre früher als in der Verfassung verlangt keine Schulden mehr.

(BS/lkm) Mit dem neuen Haushaltsentwurf für die Jahre 2018 und 2019 baut Baden-Württemberg erstmals seine Schulden ab. Das Land will mit 500 Millionen Euro in die Tilgung einsteigen, will jedoch noch auf die Ergebnisse der November-Steuerschätzung warten, bis das weitere Verfahren festgezurrt wird. BadenWürttemberg hat rund 47 Milliarden Euro Kreditmarktschulden.

Für 2018 plant man in Hessen mit Einnahmen von rund 28,44 Milliarden Euro und Ausgaben in Höhe von 28,46 Milliarden Euro. Der Finanzierungssaldo ist damit leicht negativ. 2019 rechnet man mit einem Plus von 17,8 Millionen Euro, das sich aus Ausgaben in Höhe von 29,36 Milliarden Euro und geplanten Einnahmen in Höhe von 29,38 Milliarden Euro ergibt. Für die kommenden zwei Jahre sieht der Haushaltsentwurf zudem unter anderem 600 zusätzliche Polizisten, 700 sozialpädagogische Fachkräfte für die Schulen und 100 zusätzliche Betriebsprüfer vor. Zudem müssen Eltern für die Betreuung im Kindergarten für sechs Stunden täglich keine Beiträge mehr zahlen. Auch die Versorgungsrücklage für zukünftige Pensionslasten soll erhöht werden. “Wir gehen nicht mit der Gießkanne durchs Land, sondern investieren gezielt. Die Landesregierung setzt sich Schwerpunkte und fördert diese konsequent und zielgerichtet, um Hessen noch lebenswerter und vor allem noch zukunftsfester zu machen”, sagte Finanzminister Schäfer.

Eine Milliarde Euro Sicherheitsabschlag Auch auf Unvorhersehbares sei man vorbereitet: “Unsere langfristigen Planungen über die Legislaturperiode hinaus bleiben im besten Wortsinn konservativ. Wir haben deshalb für die Jahre 2020 und 2021 bereits einen Sicherheitsabschlag von über einer Milliarde Euro auf die zu erwartenden Einnahmen vorgenommen. So wird eine mögliche Steuerreform nach der Bundestagswahl auch Hessen Geld kosten. Darauf sind wir vorbereitet”, so Schäfer. In seinem Geschäftsbericht 2016, den Schäfer wenige

Vor allem das Personal und die Pensionsrückstellungen belasten den Hessischen Haushalt. Dr. Thomas Schäfer zeigt sich aber optimistisch. “Ausgeglichene Haushalte, Schuldenabbau und Investitionen gehen zusammen”, betonte der Finanzminister. Foto: BS/mac steve, cc by nc sa 2.0, flickr.com

Tage nach dem Haushaltsentwurf vorstellte, stellt das Finanzministerium Fortschritte bei den Verlusten, aber auch einen hohen Schuldenstand fest. Vor allem für die Pensionsrückstellungen waren hohe Aufwendungen notwendig. Insgesamt weist der Geschäftsbericht des Landes für das Jahr 2016 einen Fehlbetrag von knapp 1,2 Milliarden Euro aus. die Schulden im abgelaufenen Geschäftsjahr betrugen rund 145,7 Milliarden Euro. Die Pensionsrückstellungen machten davon etwas mehr als 78 Milliarden Euro aus. Auch die Personalkosten waren mit mehr als elf Milliarden Euro ein großer Posten im Landeshaushalt. Da sich die Aufwendungen für Pensionsrückstellungen in Zukunft weiter erhöhen werden, will Schäfer die Versorgungsrücklage von 2,5 Milliarden Euro 2016

auf voraussichtlich 4,7 Milliarden im Jahr 2021 ausbauen.

Schuldenabbau in 70 Jahren Abschließend sagte Finanzminister Dr. Thomas Schäfer: “Bei allem Grund zur Freude möchte ich aber auf eines hinweisen: Unseren Schuldenberg abzubauen, ist eine Aufgabe, die noch viele Finanzminister nach mir beschäftigen wird. Dass wir dazu nach fast einem halben Jahrhundert den Anfang gemacht haben, ist historisch – aber auch nur ein Anfang.” Die Schulden und Belastungen, die Hessen in 70 Jahren angehäuft habe, werden vielleicht erst in 70 weiteren Jahren verschwunden sein, so Schäfer. Mittelfristig strebt der Finanzminister einen Haushaltsausgleich nach der kaufmännischen Buchführung (Doppik) im Jahr 2020 an.

Ökonomen kritisieren Finanzausgleich Studie: Was der neue Finanzausgleich für Bund und Länder bedeutet (BS/lkm) Die Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern wurde nach langwierigen Verhandlungen im Juni 2017 von Bundestag und Bundesrat beschlossen. Das beschlossene Reformpaket vergrößere jedoch voraussichtlich die Finanzkraftunterschiede zwischen den Bundesländern und dränge den Bund noch stärker in die Rolle als weißer Ritter, kritisiert eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln). Ab dem Jahr 2020 wird jedes Bundesland zulasten des Bundes mehr Geld erhalten. Dies war eine zentrale Forderung der Ministerpräsidenten. Von 2020 bis 2030 wird der Betrag von anfänglich 9,7 Milliarden Euro auf mehr als 13 Milliarden Euro steigen. Denn 60 Prozent der zusätzlichen Bundesmittel unterliegen einer Dynamik, das heißt sie verändern sich Jahr für Jahr je nach Einnahmenentwicklung. Kumuliert verzichtet der Bund nach der Neuordnung von 2020 bis 2030 auf rund 140 Milliarden Euro zugunsten der Länder. Mit der Neuordnung der BundLänder-Finanzbeziehungen wird das bislang vierstufige Ausgleichssystem abgewandelt, indem der Umsatzsteuervorwegausgleich und der horizontale Finanzausgleich abgeschafft werden und stattdessen die Verteilung der Umsatzsteuereinnahmen stärker für einen Ausgleich sorgen soll. Der Mechanismus wird so verändert, dass es künftig nicht mehr zu Zahlungen zwischen den Bundesländern kommt. Vielmehr wird die Verteilung der Umsatzsteuer genutzt, um Finanzkraftunterschiede auf eine weiterhin komplexe Art und Weise aus-

zugleichen. “Dabei stellen sich bessere Anreizeffekte im Sinne einer soliden Finanzpolitik nur für die Geberländer ein”, urteilt Tobias Hentze, Wissenschaftler am IW Köln und Autor der Studie. Für finanzschwache Nehmerländer hingegen würde sich die Verbleibquote zusätzlicher Steuereinnahmen dagegen leicht verschlechtern. In einer Modellrechnung muss beispielweise das Land Brandenburg zukünftig 84 Prozent von seinem Anteil an der Lohnsteuer abführen. Im Jahr 2016 waren es nach dem bisherigen System 82 Prozent.

Mehr Anreize für reiche Länder Wenn reichere Länder größere Anreize haben als ärmere Länder, ihre Einnahmenseite zu verbessern, könnten Geberund Nehmerländer fiskalisch noch weiter auseinanderdriften, warnt das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut. Als Konsequenz müsste der Bund immer stärker eingreifen, um die Unterschiede zu begrenzen. “Mit der reinen Fokussierung auf die Verteilung der zusätzlichen Bundesmittel ist die Chance vertan, den Föderalismus zu stärken. Zielführend wäre es

gewesen, bessere Anreize für eine nachhaltige Finanzpolitik zu setzen und mehr Eigenverantwortlichkeit in Form von Steuerautonomie für die Bundesländer einzuführen. Dies hätte den Bundesländern auch die Möglichkeit gegeben, eigenständig dafür Sorge zu tragen, dass sie die ab 2020 geltende Schuldenbremse einhalten können. Denn trotz der zusätzlichen Einnahmen durch den neuen Finanzausgleich wachsen die Risiken auf der Ausgabenseite in den kommenden Jahren kräftig an”, so Hentze. Doch anstatt auf mehr Autonomie und Kompetenzabgrenzung zu drängen, hätten die Bundesländer den Weg in die entgegengesetzte Richtung, in die finanzielle Abhängigkeit vom Bund, gewählt. Aus Sicht der Ministerpräsidenten sei es angesichts der nahenden Schuldenbremse für die Bundesländer nachvollziehbar, dass sie in erster Linie um zusätzliche Einnahmen bemüht seien. Der Föderalismus werde allerdings in der Folge geschwächt, da sich jedes Bundesland unabhängig von der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung auf Ausgleichszahlungen verlassen könne.

Der Regierungsentwurf des Haushalts hat 2018 voraussichtlich ein Volumen von rund 49 Milliarden Euro und 2019 von über 50 Milliarden Euro. 2017 lag das Volumen bei 47,9 Milliarden Euro. “Wir haben den Spagat zwischen der Finanzierung wichtiger Politikbereiche und der notwendigen Haushaltskonsolidierung gut hinbekommen”, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Das Land schicke mehr Lehrer in den Unterricht, stärke die Polizei und investiere noch mehr in den Erhalt der Umwelt. Finanzministerin Edith Sitzmann unterstrich: “Wir machen weiter verlässliche Finanzpolitik und werden die Schuldenbremse 2020 souverän und verlässlich einhalten.” Mit dem Entwurf für den Doppelhaushalt reagiere die Landesregierung auf die Herausforderungen der Zeit. Eine starke Polizei gewährleiste mehr Sicherheit. Rund 320 Lehrer mehr stünden an den Schulen für Inklusion zur Verfügung. Mit weiteren 250 Deputaten schaffe die Landesregierung zusätzliche Zeit für individuelle Förderung von Kindern an Realschulen. Für den Ausbau des Ganztagsangebots seien darüber hinaus 100 Deputate vorgesehen. 60 Lehrer zusätzlich würden an Gymnasien Informatik unterrichten. Außerdem würden die Kontingentstundentafel für die Grundschulen erweitert und das Fach Informatik ausgeweitet. Damit seien rund 1.300 Lehrer zusätzlich im Unterricht. Die Sprachförderung für Flüchtlinge unterstütze das

Land mit 4,4 Millionen Euro. Die Umwelt- und Naturschutzverwaltung werde mit zusätzlichen 225 Stellen für den Erhalt der Lebensgrundlagen arbeiten. Auch die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge werde verbessert und es würden 2.000 Ladesäulen gebaut. Die Breitbandförderung erhöht die Landesregierung um 140 Millionen Euro. Mit dem Ausbau des Breitbands und Forschungsleuchttürmen (rund 29 Millionen Euro) will das Land die technischen Grundlagen weiter ausbauen und die Ideen fördern, die durch die Datenleitungen fließen. Der Großteil der einmaligen Investitionen von rund 616 Millionen Euro in den zwei Jahren fließt in die Digitalisierung: 265 Millionen Euro stehen in den kommenden zwei Jahren für Projekte im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Landes digital@bw zur Verfügung.

1,25 Milliarden Euro für den Sanierungsstau Neben den geplanten 500 Millionen Euro expliziter Schuldentilgung liege der Schwerpunkt der Landesregierung weiterhin beim Abbau des Sanierungsstaus. “Mit 1,25 Milliarden Euro investieren wir die Hälfte in Sanierung und Erhalt”, sagte Sitzmann. Vorgesehen sind zum Beispiel 200 Millionen Euro für Landesstraßen und knapp 950 Millionen Euro insbesondere für Sanierungen bei Landesgebäuden. Eine Summe von 50 Millionen Euro pro Jahr für den Sanierungsstau bei Kulturgebäuden fließt in eine Rücklage.

Die Kommunen bekommen 244 Millionen Euro für den Abbau ihres Sanierungsstaus. 120 Millionen Euro fließen zusätzlich in den Versorgungsfonds des Landes. “Damit erhalten wir nachfolgenden Generationen Spielräume, wenn viele Landesbeschäftigte in Pension gehen”, so Sitzmann. Zudem werde das Land ab 2020 für neu eingestellte Beamte 250 Euro zusätzlich zu den bisherigen 500 Euro pro Monat zurücklegen. Für Neustellen erhöhe sich die Summe um 500 Euro auf 1.000 Euro pro Monat. Die Sondervermögen des Landes für Versorgung haben derzeit ein Volumen von rund 6,2 Milliarden Euro.

Förderprogramme auf dem Prüfstand “Das alles geht nicht, ohne Ausgaben kritisch zu überprüfen”, betonte Kretschmann. Mit strukturellen Einsparungen von 600 Millionen Euro in den Einzelplänen könnten die zusätzlichen politischen Schwerpunkte mit strukturellen Kosten von rund 386 Millionen Euro gut gegenfinanziert werden. Zu den Konsolidierungen gehöre beispielsweise, dass das Kultusministerium abgeordnete Lehrer zurück in den Unterricht hole oder Ministerien Förderprogramme kritisch überprüft hätten. Auch unzählige kleine Einsparungen als Teamleistung der Ressorts wirkten sich aus: “Das ist wie beim Einsparen im Privaten auch: Wer viele kleine Ausgaben gründlich anschaut, ist oft überrascht, wie sehr sich das lohnt”, so Sitzmann.

Deutsche Bundestag wird teurer Reform des Wahlrechts gefordert (BS/lkm) Noch nie saßen so viele Frauen und Männer im Deutschen Bundestag wie in der neuen Legislaturperiode. Der neue Bundestag wird 709 Abgeordnete umfassen, 79 mehr als bisher und 111 Sitze über der gesetzlich festgelegten Soll-Größe von 598 Parlamentssitzen. Für das Jahr 2018 fallen für die Ausgaben für Entschädigungen, steuerfreie Kostenpauschalen, Fraktionszuschüsse, Vergütung der AbgeordnetenMitarbeiter (u. ä. mandatsbedingte Kosten) Kosten in Höhe von 517 Millionen Euro an, rechnet der Bund der Steuerzahler vor. Ein Parlament mit der gesetzlichen Soll-Stärke von 598 Sitzen würde 75 Millionen Euro weniger kosten, ein Bundestag mit der bisherigen

Größe von 630 Sitzen rund 54 Millionen Euro weniger. In Anbetracht der Kosten appellierte der Bund der Steuerzahler an die Fraktionen des neu gewählten Bundestages, ein neues Wahlrecht und eine absolute Mandats-Obergrenze für den Deutschen Bundestag zu verabschieden. “Die Ausgaben für ein Parlament gehören zwar zu den Betriebskosten einer demokratischen Grundordnung, aber

hier reißt der Bundestag das Fenster auf und dreht sprichwörtlich die Heizung hoch”, kritisierte der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. Die “vermeidbare Kostenlawine für die Steuerzahler” stehe in keinem Verhältnis zu einem parlamentarischen Mehrwert, so Holznagel. Die neu gewählten Abgeordneten müssten daher Verantwortung übernehmen und das Wahlrecht reformieren.

“Ziel erreicht” Bayern und Hessen ziehen Klage gegen Finanzausgleich zurück (BS/jse) Im Frühjahr 2013 reichten Bayern und Hessen gemeinsam eine Klage gegen den bisherigen BundLänder-Finanzausgleich ein. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) zufolge, sei dies ein “Akt politischer Notwehr” gewesen. Das System sei nicht nur unfair, sondern gefährde auch die Leistungsfähigkeit der beiden Länder, so die Ministerpräsidenten. Mit der Klage habe man erreicht, dass die Verhandlungen wieder aufgenommen und beschleunigt wurden. Durch sie sei Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen um einen gerechten und solidarischen Länderfinanzausgleich gekommen Durch die Neuordnung, welche im Juni dieses Jahr vom Bundesrat beschlossen wurde, wird Hessen ab 2020 um 600 Millionen und Bayern um 1,4 Milliarden Euro entlastet. “Alleine im letzten Jahr mussten wir rund 5,8 Mrd. Euro in den Länderfinanzausgleich geben. Künftig bleibt mehr Geld bei uns im Freistaat. Das gibt uns noch mehr

Kraft, die Zukunft zu gestalten”, betonte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer. Der finanzielle Ausgleich zwischen den Ländern ist im Grundgesetz festgehalten. Der Mechanismus sorgt für eine finanzielle Umverteilung der Mittel zwischen Bund und Ländern, sowie zwischen den Ländern selbst. Ab dem Jahr 2020 soll er abgeschafft werden und durch eine neue Regelung ersetzt werden. Die vier Bundesländer Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Hessen erhalten keine Bundesergänzungsmittel, sondern zahlen jährlich insgesamt rund 20

Milliarden Euro an die übrigen Länder. Um zumindest teilweise von diesen Zahlungen entlastet zu werden, reichten Hessen und Bayern Klage ein, um eine Überprüfung des Systems durch das Bundesverfassungsgericht zu erreichen. Die Opposition hielt die Klage in 2013 für taktischen Wahlkampf, da die geltende Regelung ohnehin ab 2020 neu geordnet werden sollte. Seehofer hingegen betont, die Klage 2013 sei genau das Richtige gewesen und dank ihr habe man das Ziel erreicht, das bundesstaatliche Finanzgefüge stehe nun auf einem neuen, solidarischen und tragfähigen Fundament.


Länder

Seite 8

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Bürokratie Ade?

Mal so, mal so

Bürokratieabbau mittels Länder-NKR, Normenprüfstelle und Clearingstelle

Besoldung: Rheinland-Pfalz im Glück, Berlin im Pech

(BS/Adrian Bednarski) Die baden-württembergische Landesregierung hat angekündigt, einen Normenkon- (BS/jf) Einen Beschluss und ein Urteil fasste bzw. fällte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) zur Betrollrat (NKR) einzuführen, welcher die Landesregierung unterstützen soll, den Bürokratieaufwand abzubauen soldung in zwei Bundesländern. Die Unterscheidung richtet sich danach, ob eine mündliche Verhandlung und zukünftig gering zu halten. Das Vorhaben stößt auf Zustimmung, ist aber kein Einzelfall. stattfindet oder nicht. Letzteres mündet in einen Beschluss. Demnach ist die Besoldung in Berlin nicht amtsangemessen, unterschreitet sogar das Mindestabstandsgebot zur Grundsicherung (Hartz IV). In Rheinland-Pfalz Baden-Württemberg zeichnet fahren ist das Mittelstandsför- Informationen, die sie in einer kamen die Richter zu dem Ergebnis, das die Reform der Professorenbesoldung verfassungsmäßig ist. Hessen mit dem Vorhaben eine Ent- derungsgesetz NRW. Sie arbeitet Stellungnahme mit Votum zum wiederum setzt nun ein Urteil vom April 2017 um.

Praxisnah und mittelstandskonzentriert Auch die neue Landessregierung Nordrhein-Westfalens hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, einen solchen “Bürokratie-TÜV” einführen zu wollen. “Dieser wird bei Gesetzgebungsverfahren den Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Verwaltungen berechnen und öffentlich machen”, heißt es zur Erläuterung im Vertragswerk. Bislang existiert an Rhein und Ruhr eine Clearingstelle Mittelstand. Die untersucht im Auftrag der Landesregierung in sogenannten Clearingverfahren mittelstandsrelevante Gesetze. Diese können durch das Bundesland, den Bund oder die EU verordnet werden. Gesetzliche Grundlage für die Clearingver-

unabhängig und ist in keinem Ministerium angesiedelt. “Wir prüfen die Auswirkungen eines Vorhabens, bezüglich der Kosten, Verwaltungsaufwand und für die Beschäftigten”, erläutert Sabine Jahn, Geschäfts-

Vorhaben, an die zuständigen Ressorts weiterleite. Die Nachfrage nach solchen Organisationen scheint zu steigen. Mit der Entfristung des Mittelstandsförderungsgesetzes Ende 2016 wurde die Arbeit der Clearingstelle Mittelstand auf Dauer sichergestellt. Auch das Saarland beabsichtigt, eine mittelständig angesiedelte Prüfstelle einzuführen.

Ein anderer Weg

Gesetze bedeuten Bürokratie. Altlasten zu reduzieren und neue Gesetze unbürokratischer zu gestalten, damit Kosten eingespart werden, sind die Ziele vieler Gremien. Doch welche Organisationsmodelle existieren in Deutschland? Foto: BS/©fotomek,Fotolia.de

führerin der Clearingstelle Mittelstand des Landes NRW. Außerdem verfolge sie bei Untersuchungen einen qualitativen Ansatz, fuhr sie fort: “Die praktischen Aspekte und Handhabung der Regelungen stehen bei dem Prüfverfahren im Fokus”. Über die Dachorganisationen der mittelständischen Wirtschaft werde das Vorhaben an die Unterverbände sowie Unternehmen weitergeleitet. Zu den Organisationen zählten unter anderem die IHK, DGB sowie die Kammern des nordrheinwestfälischen Handwerks. Dann prüfe der Mittelstand, wie sich die Regelungen des Vorhabens in der täglichen Praxis auswirken können. Danach geben diese Empfehlungen für eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung ab. Anschließend erhalte die Clearingstelle

Auch die Normprüfstelle (NPS) im Justizministerium in Mecklenburg-Vorpommern baut Bürokratie ab. Ihre Schwerpunkte liegen auf der rechtssystematischen Überprüfung sowie formal korrekten Gestaltung des Gesetzentwurfes. In objektiven Prüfverfahren könne eine Norm, durch eine intensive Zusammenarbeit von Volljuristen und Sachbearbeitern, vom ersten Entwurf bis zur amtlichen Verkündung begleitet werden. Hierbei sei der frühe Kontakt zu den Verfassern der Entwürfe wichtig, um den Zeitverlust gering zu halten. Denn die grundsätzliche Prüffrist betrage vier Wochen. Sollte ein Sachgegenstand komplexer sein, werde innerhalb von regemäßig stattfindenden Dienstberatungen darüber diskutiert. “Besonders die Perspektive der Normadressaten spielt eine große Rolle”, erläutert ein Pressesprecher des Ministeriums. Hierbei würden Bürger, Wirtschaftsunternehmen sowie Verwaltungen gleichermaßen dazuzählen. “Die Rechtsnormen müssen verständlich sein und im Fall der Fälle muss nachgebessert werden”, schließt er ab. Konstruktive Konsensfindung und Unparteilichkeit seien markante Merkmale der NPS. Damit anhand transparenter objektiver Kriterien die moderne Gesetzgebung gewährleistet werde. Dadurch könnten Kostenfolgen- und Gesetzesfolgenabschätzungen sowie Bürokratieabbau gelingen.

Generelle Mindestgröße nicht beanstandet Sachsen-Anhalt darf zu kleine Interessenten weiterhin ablehnen (BS/mfe) Das Magdeburger Innenministerium darf Bewerbern, die kleiner als 1,60 Meter sind, auch weiterhin die Einstellung in den Polizeivollzugsdienst verwehren. Eine entsprechende Regelung in der Polizeilaufbahnverordnung wurde kürzlich vom Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalts als rechtmäßig eingestuft. Damit bestätigten die Richter der zweiten Instanz eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Halle an der Saale. Geklagt hatte eine Frau, deren Antrag auf Einstellung in das Beamtenverhältnis aufgrund einer zu geringen Körpergröße vom Land abgelehnt worden war. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg steht dem Dienstherrn bei der Bestimmung der körperlichen Anforderungen für die jeweilige Laufbahn ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Bei dessen Wahrnehmung muss er sich am typischen Aufgabenbereich der Ämter der Laufbahn orientieren. Die Grenzen dieses Beurteilungsspielraumes habe der Verordnungsgeber bei der Bestimmung der für den Polizeivollzugsdienst des Landes Sachsen-Anhalt geforderten Mindestkörpergröße nicht überschritten. Schließlich sei die Vorgabe einer bestimmten Körpergröße zur Gewährleistung der Durchsetzungsfähigkeit von Polizeibeamten in körperlichen Auseinandersetzungen berechtigt (mehr zum Thema Mindest-

In Trier klagte ein Professor mit W2-Besoldung gegen die Anrechnung einer pauschalen Besoldungserhöhung auf seine individuell vereinbarten Leistungsbezüge. Diese beliefen sich seit seiner Berufung 2009 auf rund 300 Euro. 2013 reformierte das Land die Besoldung, nachdem das vergleichbare System in Hessen für verfassungswidrig erklärt worden war. In diesem Zusammenhang wurde das Grundgehalt um 240 Euro angehoben. Diese Anhebung wurde zugleich mit maximal 90 Euro auf die Leistungsbezüge angerechnet. Zu Recht, entschieden die Leipziger Richter. “Die teilweise Anrechnung der pauschalen Besoldungserhöhung ist verfassungsgemäß.” Leistungsbezüge seien Teil der Besoldung und die fielen somit unter den Schutzbereich von Art. 33 Abs. 5 GG. Einschränkungen seien aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, die sich aus dem System der Beamtenbesoldung ergeben. Das war hier der Fall. Nach dem Urteil vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur W-Besoldung im Nachbarland bestand so ein sachlicher Grund. “Dass in diesem Rahmen neben einer generellen Erhöhung der Besoldung eine teilweise Abschmelzung bestehender Leistungszulagen erfolgte, ist nicht sachwidrig”,so das BVerwG.

Gravierender der Beschluss zur Besoldung in Berlin. Acht Verfahren aus der Hauptstadt lagen den Leipziger Richtern vor, die entschieden, dass die Besoldung in den Gruppen A 9 bis A 12 zwischen 2008 und 2015 in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen war. “Es ergibt sich ein einheitliches Bild, welches keine vernünftigen Zweifel am Vorliegen einer verfassungswidrigen Unteralimentation zulässt”, so das BVerwG, das damit dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg in der Vorinstanz widerspricht. Zuvor hatten der zuständige zweite Senat die Prüfung der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten fünf Parameter nachvollzogen. Zwei dieser fünf Parameter seien erfüllt. Zu diesem Ergebnis kam zwar auch das OVG Berlin-Brandenburg, sah aber keinen Anlass für eine weitere Überprüfung. Anders der Senat unter Vorsitz von Ulf Domgörgen. “Denn beim Vergleich der Besoldungsentwicklung zu den Tarifergebnissen und zum Verbraucherpreisindex sind die Schwellenwerte in besonders deutlicher Weise überschritten. Damit liegen ausreichende Indizien vor, die eine umfassende Betrachtung der Gesamtabwägung der Verfassungsmäßigkeit des Alimentationsniveaus erforderlich machen.”

Zugleich bescheinigt Leipzig dem Berliner Gesetzgeber, dass er auch die absolute Untergrenze einer verfassungsmäßigen Alimentation unterschritten habe. Gemeint ist der Abstand zur sozialrechtlichen Grundsicherung, der mindestens 15 Prozent betragen muss. Deshalb hat das Bundesverwaltungsgericht alle acht Verfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. “Eine Schlappe für den Landesgesetzgeber”, meint der Chef vom DBB Beamtenbund und tarifunion Berlin, Frank Becker, der bereits haushaltspolitische Konsequenzen forderte.

40 Mio. Euro Nachzahlung In Hessen war die Besoldung in der Vergangenheit verfassungswidrig, genauer gesagt altersdiskriminierend. Nach dem Urteil im April dieses Jahres sind die Vorbereitungen in der Bezügestelle des Landes inzwischen abgeschlossen. Es kann mit der Auszahlung der Entschädigungszahlungen begonnen werden. Solange diese Regelung bestand, habe jeder, der per Antrag Widerspruch eingelegt habe, Anspruch auf eine pauschale Entschädigung von 100 Euro pro Monat. Bei den rund 23.000 Beamten im Land rechnet das hessische Ministerium des Innern und für Sport mit rund 40 Mio. Euro.

Thüringen will Verwaltung modernisieren Landesverwaltungsamt wird zum zentralen Behörden-Dienstleister (BS/mfe) Das Erfurter Kabinett hat eine umfassende Modernisierung der Landesverwaltung beschlossen. Kerngedanke der Reform ist es, Verwaltungsaufgaben zusammenzulegen, Fachbehörden zu bündeln und Querschnittsbereiche zu zentralisieren. Dementsprechend soll das Landesverwaltungsamt auch zu einem verwaltungsinternen Dienstleister weiterentwickelt werden. Dort sollen künftig zum Beispiel die Vergabe- und Beschaffungsbereiche aller Behörden zusammengefasst werden. Zudem erhält das Amt eine neue Abteilung, die als Kompetenzzentrum “Verwaltung 4.0” Ansprechpartner für die Modernisierung und Digitalisierung in den Kommunen fungieren soll. Parallel dazu bleibt das Landesverwaltungsamt nachgeordnete Fachbehörde des Innenministeriums. Ungeachtet dessen ist vorgesehen, dort nach Abschluss der

Gebietsreform, die sich jedoch um Jahre verzögern wird, die Kommunalaufsicht zu konzentrieren. Dadurch wird sich die Zahl der Behörden und Einrichtung im Freistaat erheblich verringern. Insgesamt versprechen sich die Verantwortlichen von den Reformen einen erleichterten fachlichen Austausch zwischen den Mitarbeitern, flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten für den Personaleinsatz sowie eine schnellere und qualitativ hö-

herwertigere Dienstleistung der Verwaltung. Dazu beitragen sollen auch Vereinfachungen von Verwaltungsverfahren, etwa durch die Reduzierung der Anzahl von Genehmigungsverfahren oder deren Umwandlung in Anzeigeverfahren. Außerdem sind Genehmigungsfiktionen nach Ablauf gewisser Fristen vorgesehen. Der entsprechende Gesetzentwurf soll im kommenden Jahr in den Erfurter Landtag eingebracht werden.

NRW: Ausbildungskampagne, Teil zwei

In Sachsen-Anhalt müssen auch weiterhin keine Personen in den Polizeivollzugsdienst eingestellt werden, die kleiner als 160 Zentimeter sind. Das entschied das Magdeburger Oberverwaltungsgericht und bestätigte damit ein erstinstanzliches Urteil. Foto: BS/Oliver Hallmann, CC BY 2.0, flickr.com

größen im Polizeidienst lesen Sie auch auf Seite 51). Gerade bei körperlichen Einsätzen gegen Personen und für die Anwendung unmittelbaren Zwanges müssten gewisse körperliche Mindestvoraussetzungen erfüllt sein, um diese erfolgreich durchführen zu können, so die Magdeburger Richter. Zudem rechtfertige sich das Erfordernis der Mindestkörpergröße aufgrund der Befürchtung, dass Polizeibeamte unterhalb einer

Körpergröße von 160 Zentimetern bei der Bewältigung von Konfliktsituationen und der Konfrontation mit aggressiven Personen nicht mehr ein Erscheinungsbild böten, das ihre körperliche Kraft und Durchsetzungsfähigkeit widerspiegele. Es liege nahe, dass diese Beamten eher und bevorzugt Ziel von Aggressionen würden und hieraus zusätzliche Gefahren für sie und andere erwachsen könnten.

Fotos: BS/FM NRW

wicklung nach, die 2006 mit der Einrichtung des Nationalen NKR im Bund begann. Folglich findet der NKR-Vorsitzende im Bund, Dr. Johannes Ludewig, lobende Worte: “Der Nationale Normenkontrollrat begrüßt die Initiative einiger Bundesländer, sich systematisch mit den Folgekosten aus Landesgesetzen zu befassen. Wir bieten jegliche Unterstützung an, die zum Gelingen beiträgt, damit Bürger und Unternehmen vor Ort von unnötiger Bürokratie entlastet werden.” Als erstes Bundesland implementierte Sachsen 2016 einen eigenen NKR. Dieser wurde nach einer zweijährigen Frist bis zum Juni 2020 verlängert. Danach werde er neu evaluiert, teilte die Leiterin der Geschäftsstelle des NKR, Silke Schlosser, auf Nachfrage des Behörden Spiegel mit. Wann Baden-Württemberg und NRW jeweils den konkreten Startschuss für den NKR geben, ist jedoch noch offen.

(BS/jf) Eine Ausbildungskampagne der besondern Art führt derzeit das nordrhein-westfälische Finanzministerium durch. Mit überdimensonalen Plakaten (s. o.) wirbt das Ministerium unter dem neuen Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) auf charmante bis witzige Art und Weise

für neue Finanzbeamte und räumt zugleich mit alten Vorurteilen auf. Zu sehen ist diese Werbung u. a. in der Dusiburger Innenstadt, in der das bislang größte Plakat mit einer Fläche von sieben mal fünf Metern aufgehangen wurde. Es ist der zweite Teil der Facebook-basierten Kampagne

“Daumen hoch”, die bereits im Mai dieses Jahres begann und sich großer Beleibtheit erfreut. Über 1.200 Nutzern gefällt inzwischen die Kampagne, bei der insgesamt zwölf Finanzbeamte für ihren Dienstherren Werbung und auf die vielseitigen Tätigkeiten aufmerksam machen.


Beschaffung / Vergaberecht

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 9

Von der Eignungsprüfung bis zur Beschaffungsorganisation Umgang mit Fehlern nur ein Aspekt beim sechsten Kölner Vergabetag (BS/Jörn Fieseler) Ob die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) nun “UffgO” oder “UVaugeO” ausgesprochen wird, ist Geschmackssache. Und wie es zwei Lager bei der Aussprache der Abkürzung gibt, so gibt es auch zwei Meinungen zur Bilanz der Vergaberechtsmodernisierung. Letztlich scheint eines hingegen klar: Die Zahl der 30.000 Vergabestellen in der Bundesrepublik wird kleiner werden, weil mehr zentrale Vergabestellen benötigt werden. “Wir haben uns bei der Einführung der UVgO etwas gedacht”, sagte Hans-Peter Müller vom Vergaberechtsreferat des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), der vor über 40 Jahren seine erste freihändige Vergabe ohne Teilnahmewettbewerb durchführte und sich für seine Ehefrau entschied. So sollte mehr Gleichklang und Harmonie zwischen Ober- und Unterschwellenbereich (Wettbewerbs- und Haushaltsrecht) erreicht werden. Dieser Prozess ist für den Bund inzwischen abgeschlossen. Seit dem 2. September 2017 sei die UVgO anzuwenden, sagte Müller vor der Bundestagswahl auf dem sechsten Kölner Vergabetag der subreport Schawe Verlag GmbH. Die UVgO ist dem Haushaltsrecht zugeordnet, unterstrich der langjährige Referatsmitarbeiter. Komme sie nicht zur Anwendung, gelte § 55 Bundeshaushaltsordnung (BHO). Deshalb sei stets individuell zu prüfen, ob aufgrund der Natur des Geschäfts eine Ausnahme gerechtfertigt sei, riet Müller den Anwendern. Wer darüber hinaus die UVgO anzuwenden hat, bleibt den Ländern vorbehalten. Nicht angewendet werden muss sie auf Konzessionen und von Sektorenauftraggebern. Allerdings hätten die Länder hier eigene Gestaltungsmöglichkeiten.

Sinnvoll, aber… “Die EU-Vergabereform und die neue UVgO stellen im Hinblick auf eine Reiher inhaltlicher Regelungen sinnvolle Reformschritte und Erleichterungen dar”, bewertet Ulf Christiani, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Heuking Kühn, Lüer Wojtek, den gesamten Änderungsprozess gegenüber den mehr als 200 Teilnehmern.

Diskutierten über die im Bund abgeschlossene Unterschwellenvergabereform: Prof. Dr. Ralf Leinemann, Ulf Christiani, Kerstin Hannapel, Hans-Peter Müller und Moderator Jörn Fieseler. Foto: BS/Subreport

Aber: “Insbesondere das Unterschwellenvergaberecht ist in seiner Gesamtheit nach wie vor zu unübersichtlich für den Anwender.” So habe einerseits das neue Regelwerk 34 Paragrafen mehr als die frühere VOL/A und beinhalte 30 Verweise auf das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Vergabeverordnung (VgV). Andererseits gebe es noch die Parallelität zwischen UVgO und VOL/A sowie weiterhin die VOB/A als eigenständiges Regelwerk für den Baubereich.

“Das meiste wieder abschaffen” Eine weitere Vereinheitlichung und Vereinfachung wäre daher wünschenswert, so der Rechtsanwalt. Stattdessen sieht Christiani anhand des nicht eindeutig definierten Anwendungsbereichs die Gefahr einer weiteren Zersplitterung. Prof. Dr. Ralf Leinemann, Seniorpartner der gleichnamigen Berliner Kanzlei, wurde noch deutlicher: “Die meisten Änderungen und Erneuerungen sollten schnellstmöglich wieder abgeschafft werden.” Er thematisierte die Eignungsprüfung. Nach wie vor müsse strikt zwischen Eignungs- und Zuschlags-

kriterien getrennt werden. Einzig die Teamqualität könne etwa bei Beratungsleistungen nochmal als Zuschlagskriterium in Betracht kommen. Außerdem müssten die Kriterien auftragsbezogen sein. “Tariftreueerklärungen und die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns sind keine Eignungskriterien”, unterstrich Leinemann mit Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf. Außerdem würden viel zu viele Nachweise oder Eigenerklärungen abgefordert. Entscheidend seien die Referenzen, um darauf aufbauend eine Prognose abzugeben, ob der Bieter den Auftrag zufriedenstellend ausführen könne. Ob durch die komplexen Regularien die Fehleranfälligkeit ansteigt, ist noch offen. Sie gänzlich zu vermeiden, dagegen wendet sich Dr. Henning Beck. “Fehler machen ist nützlich”, so der Neurobiologe von der Universität Frankfurt am Main. Schließlich würde hinter solchen Schwächen, wie Flüchtigkeitsfehlern, Irrtümern oder klassischen Fehlern (bspw. ein verschossener Elfmeter), die wahre Denkpower des menschlichen Gehirns sitzen. Der Mensch lerne nicht nur, er verstehe, so Beck. Nur so

könne er kreativ sein. Aber bei der öffentlichen Auftragsvergabe stehe die Fehlervermeidung im Fokus. Heute werde kein Angebot mehr abgegeben, ohne dass ein Rechtsanwalt dieses vorher geprüft habe, sagte ein Teilnehmer. Um mehr Routine und eine bessere Qualität bei Ausschreibungen zu erhalten, sprach sich Kerstin Hannapel von der Vergabeberatungsstelle Klaeser GmbH für die Einrichtung zentraler Vergabestellen aus. Nicht nur wegen der unausweichlichen Anwendung der E-Vergabe. Durch eine zentrale Beschaffungsorganisation würden die Rechtssicherheit des Verfahrens gewährseistet, ein Baustein zur Korruptionsprävention gelegt, der Wettbewerb gestärkt, die Qualität gesteigert und gesichert, erklärt die frühere langjährige Leiterin der zentralen Vergabestelle der Stadt Montabaur. Schließlich sei das Vergaberecht mehr als eine lästige Fessel bei der Beschaffung. Allerdings arbeite eine Vergabestelle erst ab drei bis vier Stellen effizient. Diese würden sich bei einer guten Organisation aber von selbst finanzieren, da die Einspareffekte entsprechend hoch seien. Hannapel ist sich sicher, dass diese Entwicklung in den nächsten Jahren voranschreiten und sich dadurch die Zahl der Vergabestellen reduzieren wird. Dagegen gab es keine Widerrede.

qanuun-aktuell Ehrenamt in der “Grauzone” von Rechtsanwältin Dr. Stefanie Lejeune Bereits 2002 hatte der BRH eindringlich auf die Risiken des Verwaltungssponsorings hingewiesen und die Bundesverwaltung infolgedessen eine Verwaltungsvorschrift zu diesem Thema verfasst. Auch wenn Einigkeit besteht, dass Sponsoring (und Spenden) die Ausnahme und für die Eingriffsverwaltung Tabu sein sollen, gibt es zunehmend Bereiche, in denen das Engagement Privater sehr gerne gesehen wird. An staatlichen Schulen und Kindertagesstätten etwa sind es vor allem Eltern und Fördervereine, die dem zunehmenden Verfall der Immobilien durch aktives Tun entgegentreten. Seien es die selbst organisierten Renovierungen in der Freizeit oder das Einsammeln von Sponsorenund Spendengeldern: Ohne privates Engagement sähe es in vielen staatlichen Schulen und Kindertagesstätten noch trostloser aus. Natürlich ist ein solcher Einsatz sehr löblich und die Kinder partizipieren davon. Aber kann es wirklich sein, dass in einem Land wie Deutschland die öffentliche Hand bei ihren Kernaufgaben ohne privates Engagement und Zuwendungen nur noch den Mangel verwaltet und sich finanziell zuneh-

Dr. Stefanie Lejeune ist Präsidentin des Vereins qanuun – Institut für interdisziplinäre Korruptionsprävention in der Verwaltung e. V. In jeder Ausgabe des Behörden Spiegel kommentiert sie aktuelle Entwicklungen rund um die Themen Compliance und Korruptionsprävention. Foto: BS/www.qanuun.org

mend zurückzieht? Der BRH hat auch 2011 nicht nur vor der Einflussnahme Privater im Zusammenhang mit Sponsoring (und Spenden) gewarnt, sondern klargestellt, dass die öffentliche Hand ausreichende Mittel für ihre Kernaufgaben haben muss. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass der, der bezahlt, auch bestimmt, sondern vor allem auch mit aktivem Gestalten und Wertschätzen. Wo der Rückzug des Staates im Bildungssystem endet, kann man gerade in den USA beobachten, wo die Bildungssenatorin Betsy DeVos die staatlichen Schulen zugunsten privater zurückdrängt, damit das gesellschaftliche Oben und Unten noch deutlicher wird.

Erfolgreiche Plattform “Wir freuen uns, dass wir mit dem Kölner Vergabetag auch in diesem Jahr eine erfolgreiche Plattform für Austausch und Kommunikation zwischen Experten und Praktikern aus Vergabestellen und Unternehmen bieten konnten”, zieht subreport-Geschäftsführerin Christiane Schäffer ihr Fazit.

Ändern, zurücksetzen oder neu ausschreiben?

Beratung für Bewerter und Bieter Ausschreibungen · Submissionen

Möglichkeiten und Grenzen im Vergaberecht (BS/jf) Prinzipiell darf eine Vergabestelle während des gesamten Verfahrens dieses zurückversetzen. Zum Beispiel um Fehler zu korrigieren. Denkbar sind auch Änderungen des Auftragsgegenstandes. Doch gerade hier sind dem Auftraggeber bzw. der Vergabestelle enge Grenzen gesetzt. “Korrekturen können jederzeit erfolgen”, so Rechtsanwalt Dr. Alexander Herrmann von der Kanzlei Angerbauer Lindauer Hauf Rath auf dem diesjährigen Speyerer Vergaberechtstag. Denn es sei grundsätzlich allein Sache des Auftraggebers, zu bestimmen, ob, wann und mit welchem Inhalt er einen Auftrag vergibt. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit. Selbst ein abgeschlossenes Verhandlungsverfahren könne wiedereröffnet werden. Allerdings müsse ein sachlicher Grund und dürfe keine Diskriminierungsabsicht gegenüber einem Mitbieter vorliegen. An der bisherigen Rechtsprechung habe sich auch durch das neue Vergaberecht nichts geändert. “Die Vertragsfreiheit der Vergabestelle ist durch die Reform nicht eingeschränkt worden”, betont Herrmann. Allerdings könne eine Zurückversetzung auch Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens werden. Erfolge die Änderung nach der Bekanntmachung, etwa um darin enthaltene Fehler zu korrigieren, komme dies der Sache nach einer Aufhebung der Ausschreibung gleich. Problematisch werde es, wenn der Auftragsgegenstand geändert werden solle. Zwar sei es denkbar, den Vertragsinhalt zu

erweitern oder zu verkleinern und mit geänderten Vergabeunterlagen erneut zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern. Allerdings sei dies maßgeblich davon abhängig, inwieweit der Auftrag verändert werden dürfe, so Herrmann. Entscheidend sei der Gesamtcharakter des Auftrags, dessen geringfügige Änderung erlaubt sei, erklärt Janko Geßner von der Kanzlei Dombert Rechtsanwälte. Das sei der Fall, wenn der Wert der Änderung die Schwellenwerte nicht übersteige und andererseits ein maximaler Wert der Änderungen gewisse prozentuale Grenzen einhalte. Bei Liefer- und Dienstleistungen seien es zehn Prozent, bei Bauleistungen 15 Prozent des vorherigen Auftragsvolumens und bei sozialen und besonderen Dienstleistungen 20 Prozent. Strittig sei die Berechnung bei mehreren Losen, sagte Geßner. Es bleibe die Frage, ob diese einzeln betrachtet werden könnten oder ob der Gesamtauftragswert berücksichtigt werden müsse. Anders verhalte es sich hingegen bei mehreren aufeinanderfolgenden Änderungen. Neben dem Gesamtcharakter und der Geringfügigkeit der Änderung könnten aber auch besondere Außnahmetatbestände

eine Rolle spielen, wie Optionen oder Überprüfungsklauseln im Ursprungsvertrag, führte der Rechtsanwalt weiter aus. Auch zusätzliche Leistungen könnten relevant sein. “Diese Möglichkeit wird am häufigsten genutzt”, berichtet Geßner aus der Praxis. Wobei darauf abgestellt werde, dass die Erbringung allein durch den bisherigen Auftragnehmer sinnvoll sei, etwa bei Wartungsverträgen oder der Programmierung von Ergänzungen bei einer eigens entwickelten Software. Ein anderes, häufig genutztes Argument sei der Ausnahmetatbestand einer

nicht vorhersehbaren Änderung. Von diesem Argument riet Geßner hingegen ab, weil schon in der Gesetzesbegründung ein sehr enger Rahmen für dieses Argument abgesteckt worden sei. Andernfalls müsse neuausgeschrieben werden. Insgesamt habe der Auftraggeber nach der Vergaberechtsreform größere Handlungsspielräume zur Änderung des Auftragsgegenstandes und mehr rechtssicherheit erhalten. Auch im Unterschwellenbereich. So sei in der UVgO die Grenze für Änderungen auf 20 Prozent des Auftragswertes festgelegt worden.

→ Save the Date

Hamburger Vergabetag 2018 25.–26. Januar, Handelskammer Hamburg Der Hamburger Vergabetag ist der Treffpunkt für öffentliche Einkäufer, Vergaberechtler und -berater sowie Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verbänden. → Online-Anmeldung unter www.hamburger-vergabetag.de


Beschaffung / Vergaberecht

Seite 10

Rechtswidrig, aber anerkennenswert

► Entscheidungen zum Vergaberecht ► REFERENZEN

Vorauftrag zählt Aber: Er muss benannt werden Der Betrieb eines General Aviation Terminals (GAT) auf einer brandenburgischen Luftverkehrsanlage war Gegenstand der Ausschreibung. Bei dieser Dienstleistung handelt es sich sowohl auf Bieterwie auch auf Auftraggeberseite um einen sehr kleinen Markt. So hatte sich unter anderem auch der bisherige Auftragnehmer um den Folgeauftrag beworben, der bislang nur genau dort GAT-Leistungen erbringt. Er wollte vom Auftraggeber ein Referenzschreiben, um es seiner Folgebewerbung beilegen zu können. Dies lehnte der Auftraggeber ab, weil er sich in einem solchen Falle für befangen hielt. In seiner Not legte der Bieter daraufhin andere Referenzen vor, die nicht genau auf die GAT-Leistung passten. Das führte zum Ausschluss, der auch von der Vergabekammer bestätigt wurde. Denn nach den Vergabeunterlagen war die Vorlage von Referenzschreiben gar nicht gefordert. Vielmehr sollten nur Referenzaufträge benannt werden. Deswegen war es völlig unerheblich, dass der einzige Referenzauftraggeber ein solches Schreiben verweigert hatte. Es hätte genügt, wenn der Bieter stattdessen seinen Vorauftrag einfach in der Referenztabelle eingetragen hätte. Damit wäre die Referenz wirksam benannt gewesen. Ohne diese Eintragung aber ist es dem Auftraggeber trotz umfangreicher Kenntnis der Leistungsfähigkeit verwehrt, den Vorauftrag als Referenz zu werten. VK Brandenburg (Beschl. v. 12.12.2016, Az: VK 21/16)

► PRÄQUALIFIKATION

Eignungsprüfung erweitert Erfahrung schlägt PQ-Register Wie weit darf eine Eignungsprüfung gehen? In einem sehr instruktiven Beschluss hat die Vergabekammer Sachsen dazu eine Reihe von Erwägungsgründen zusammengetragen. Ein Malerbetrieb war beim Auftraggeber aufgefallen, weil bei einem kleinen Anteil von Voraufträgen die Ausführung problembehaftet war. Man stritt sich um die Höhe der Nachträge, um Ausführungsfristen und Behinderungsanzeigen. Der Auftraggeber ahnte, dass das mit der zu engen Kalkulation dieses Unternehmens zusammenhängen könnte. Bei der streitgegenständlichen Ausschreibung war das Angebot dieses Bieters nur halb so teuer wie die Kostenschätzung des Auftraggebers und lag circa 14 Prozent unter dem nächstgünstigen. Deswegen nahm der Auftraggeber eine vertiefte Preisprüfung vor, in deren Zusammenhang er zweimal einen vereidigten Gutachter um eine Beurteilung der Auskömmlichkeit bat, zumal ähnliche Kalkulationsmuster den früheren Problemaufträgen zugrunde lagen. Nach der Preisprüfung schloss er nicht allein das Angebot wegen unangemessenen Preises aus, sondern auch den Bieter wegen mangelnder Eignung. Die Vergabekammer bestätigt dies. Die Präqualifikation rettet den Bieter nicht,

wenn der Auftraggeber eigene Erfahrungen hat, welche die Eignung infrage stellen. Der Zusammenhang zwischen unauskömmlicher Kalkulation und früherer, daraus folgender, Schlechtleistung einschließlich Vertragskündigung könne die negative Eignungsprognose rechtfertigen. VK Sachsen (Beschl. v. 01.03.2017, Az: 1/SVK/037-16)

► FORMVORSCHRIFT

Zweifache Einreichung Ausschluss wegen fehlender Kopie Über die Punktewertung eines Betriebskonzeptes für das technische Gebäudemanagement streiten Antragsteller und Auftraggeber. Im Nachprüfungsverfahren bemerkt die Vergabekammer, dass in der Vergabeakte das Betriebskonzept des für den Zuschlag vorgesehenen Bieters gar nicht vorhanden war. Sie fordert den Auftraggeber auf, die fehlenden Bestandteile der Akte nachzureichen. Daraufhin erhält sie eine CD-ROM mit dem Konzept, nicht aber die in der Angebotsaufforderung ebenfalls verlangte Papierform. Eine nachgereichte Papierversion war dann nicht identisch mit der Fassung auf CD-ROM. Mit seiner Forderung nach Einreichung der Angebote sowohl auf Papier als auch CD-ROM habe er eine zwingend einzuhaltende Form vorgegeben, meint die Vergabekammer. Das Fehlen einer der beiden Fassungen verletzt diese Vorgabe und führt unweigerlich zum Ausschluss. Eine Nachreichung komme schon nicht in Betracht, weil das Betriebskonzept essenzieller Angebotsbestandteil war. Dass schließlich CD-ROM und Papier nicht den gleichen Inhalt hatten, hat endgültig die Nichtwertbarkeit des Angebotes zur Folge. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass ein Auftraggeber, der solcherlei Doppelabgabe fordert, also auch in der Pflicht ist, die Identität beider Fassungen zu überprüfen. Da dürfte es einfacher sein, selbst den CD-ROMInhalt auszudrucken. VK Hessen (Beschl. v. 17.11.2016, Az: 69d-VK-50/2016)

► KONZESSION

Glücklos Spielhallengestattung nicht nach GWB Mit Inkrafttreten des neuen Glücksspielstaatsvertrages werden die Standorte von Spielhallen verknappt. Innerhalb einer Fläche von fast 40 Hektar, so rechnet ein Gutachter vor, dürfe künftig in einer Kommunen nur noch eine einzige Spielhalle existieren. Dadurch werde die ordnungsrechtliche Gestattung faktisch zu einer Art “Konzession mit Ausschließlichkeitsrecht”. Und die müsste dann nach den Regeln des GWB vergeben werden. So jedenfalls beantragte es ein Betreiber als Hilfsantrag vor dem OVG NRW. Doch er blieb damit erfolglos. Das OVG sieht trotz des neuen Mindestabstandsgebotes nicht die Gefahr aufziehen, dass die Standorte in NRW knapp würden. Es bliebe noch genug Platz, um an anderen

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Stellen im Landes dieses Gewerbe weiterhin auszuüben. Es sei zudem ausweislich der Gesetzesbegründung nicht beabsichtigt, das stationäre Glücksspielangebot quasi zu verstaatlichen und dann Konzessionen an Private zu dem Zwecke der Erfüllung dieser staatlichen Aufgabe zu vergeben. Es sei im Gegenteil ausdrücklich beabsichtigt, dieses Gewerbe weiterhin in privater Hand zu belassen. Die Verknappung sei ausschließlich dem Ordnungsrecht zugewiesen, mit dem Ziel, die Gefahr der Glücksspielsucht zu mindern. Auch entstünden aus den Gestattungen keine wechselseitigen Verpflichtungen, wie sie für Konzessionen typisch sind. Die Vergabe der Gestattung unterliegt daher nicht dem GWB, auch wenn sie umgangssprachlich gern als “Konzession” bezeichnet wird. OVG NRW (Beschl. v. 08.06.2017, Az: 4 B 307/17)

► PREISPRÜFUNG

Keine Zweifel Gutachten statt Aufklärung Wie billig können Schlaftherapiegeräte sein? Das fragte sich nicht nur ein unterlegener Bieter, sondern auch der Auftraggeber, der mit einem aggressiven Preiskampf unter den Bietern gerechnet hatte. Daher hat er schon vorab festgelegt, dass er nicht nur bei Erreichen der typischen Aufgreifschwelle von 20% Prozent zum nächstteuren Angebot eine Preisprüfung vornehmen wolle, sondern auch bei Unterschreiten seines Schätzwertes um mehr als 15 Prozent. So wurden in jedem Los gleich mehrere Bieter zur Preisaufklärung bestellt. Auch dafür hatte der Auftraggeber Vorsorge getroffen. Denn schon in den Vergabeunterlagen hatte er den Bietern die Möglichkeit eröffnet, anstelle der Urkalkulation ein Gutachten eines vereidigten Wirtschaftsprüfers einzureichen, mit dem die Auskömmlichkeit des Angebotes bestätigt wird. Genau ein solches Gutachten zweifelt nun ein Konkurrent als untauglich an. Der Gutachter könne nicht richtig gearbeitet haben, wenn er einen solch niedrigen Preis für auskömmlich erachtet. Der Auftraggeber hätte das Gutachten hinterfragen und selbst die Preisaufklärung betreiben müssen. Mit diesem Ansinnen bleibt er vor der Vergabekammer erfolglos. Die Kammer weist auf die besonderen berufsständischen Anforderungen an einen Wirtschaftsprüfer hin und sieht keinen Anhaltspunkt für einen methodischen Fehler des Gutachtens. Einem korrekt zustande gekommenen Wirtschaftsprüfer-Gutachten aber dürfe der Auftraggeber ohne weitere Nachprüfung Glauben schenken. VK Bund

Vorzeitige Aufhebung des Vergabeverfahrens bei Überschreitung der Budgetgrenze (BS/Dr. Lars Hettich) Darf der öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren vorzeitig beenden, wenn die marktüblichen Angebotspreise das zur Verfügung stehende Budget deutlich überschreiten? Diese Frage beantwortet die Vergabekammer (VK) Lüneburg in ihrem Beschluss vom 13. März 2017 (Az.: VgK-02/2017) mit “Ja, aber”, indem sie einerseits der Privatautonomie des öffentlichen Auftraggebers Vorrang einräumt, andererseits jedoch eine solche – rechtlich mögliche – Aufhebung als vergaberechtswidrig einstuft. Eine Kommune hatte im Rahmen der Sanierung ihres Hallenbades den Neubau einer Energiezentrale zur Wärmeund Stromerzeugung europaweit in einem offenen Verfahren losweise ausgeschrieben. Die voraussichtlichen Kosten wurden durch ein beauftragtes Planungsbüro geschätzt und entsprechende Haushaltsmittel bereitgestellt. Die eingehenden Angebote lagen allerdings 21 bis 92 Prozent über der Kostenschätzung. Die Kommune hob daraufhin die Ausschreibung unter Verweis auf § 17 EU Abs. 1 VOB/A auf. Sie beabsichtigte nach Aufhebung, die Beschaffung in einem neuen offenen Verfahren mit geändertem Loszuschnitt weiter zu verfolgen. Gegen die Aufhebung wehrte sich ein Bestbieter für eines der Lose. Nach erfolgloser Rüge beantragte er bei der VK Lüneburg die Aufhebung des Vergabeverfahrens, und die Kommune zu verpflichten, ihm den Zuschlag für das von ihm beworbene Los zu erteilen. Im Ergebnis ohne Erfolg!

Vergaberechtswidrig … Die Vergabekammer teilte die Ansicht des Bieters, dass die erfolgte Aufhebung des Verfahrens nicht auf die gesetzlichen Aufhebungsgründe des § 17 EU Abs. 1 VOB/A gestützt werden kann. Insbesondere lägen die Voraussetzungen für eine berechtigte Aufhebung mangels Vorliegen eines ausschreibungskonformen, weil preislich unangemessen hohen Angebotes (§ 17 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A) oder wegen anderer schwerwiegender Gründe (§ 17 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) nicht vor. Nach der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 20. November 2012, Az.: X ZR 108/10) setze eine begründete Aufhebung in jedem Fall eine deutliche Überschreitung des durch den Auftraggeber “objektiv vertretbar” geschätzten Auftragswertes voraus. Eine objektiv vertretbare Auftragswertschätzung liege jedoch nur dann vor, wenn diese aktuell und wirklichkeitsnah sei. Das verneinte die Vergabekammer. Im vorliegenden Fall basiere die Auftragswertschätzung auf Marktdaten, die nicht zeitnahe im Vorfeld der Vergabebekanntmachung ermittelt worden seien. Zudem weise die Wertermittlung methodische Mängel auf und sei nicht nachvollziehbar. Schließlich genüge

auch die Dokumentation der Auftragswertschätzung in der Vergabeakte nicht den vergaberechtlichen Anforderungen. Nach alledem sei die Aufhebung der Ausschreibung durch den öffentlichen Auftraggeber vergaberechtswidrig erfolgt.

höht erachtet, obwohl er den gegebenen Marktverhältnissen entspricht. Spiegelt das Angebot eines Bieters die tatsächlichen Marktpreise wider, so sind anderweitige Vorstellungen des öffentlichen Auftraggebers unbeachtlich. Eine Aufhebung ist dann vergaberechtlich nicht le… aber keine Pflicht zur gitimiert. Fortführung des Verfahrens Die Entscheidung ist aber auch Dennoch hob die Vergabekam- ein Lichtblick. Bestätigt sie doch mer die rechtswidrig erfolgte die bisherige Rechtsprechung, Aufhebung des Vergabeverfah- dass der öffentliche Auftragrens nicht auf. Denn die Kom- geber ein Vergabeverfahren mune habe im Nachprüfungs- vorzeitig auch dann beenden verfahren darlegen können, kann, wenn infolge einer ihm dass der von ihr eingeplante zuzurechnenden fehlerhaften Kostenbedarfsermittlung die für die Beschaffungsmaßnahme eingeplanten Haushaltsmittel Dr. iur. Lars Hettich ist Fachnicht ausreichen anwalt für Vergaberecht (vgl. VK Bund, bei der Beiten Burkhardt Beschl. v. 11. JuRechtsanwaltsgesellschaft ni 2008, Az.: VK 1 mbH. Foto: BS/privat 63/08). Denn der öffentliche Auftraggeber ist in Haushaltsansatz selbst bei Be- Ausübung der ihm zukommenzuschlagung des günstigsten den Privatautonomie grundAngebotes erheblich überschrit- sätzlich frei, eine Ausschreiten würde. Nach der Rechtspre- bung vor Zuschlagserteilung chung genüge der Umstand, aufzuheben. Einen allgemeinen kennt dass keine ausreichenden Kontrahierungszwang Haushaltsmittel (mehr) zur das Vergaberecht nicht. Das gilt Verfügung stünden, zwar nicht in der Regel auch dann, wenn den Anforderungen des § 17 EU der öffentliche Auftraggeber die VOB/A, jedoch seien fehlende Ursachen für die Aufhebung des Haushaltsmittel gleichwohl ein Verfahrens selbst gesetzt hat. Die mit einer vergaberechts“anerkennenswerter sachlicher Grund” für eine Aufhebung. widrigen Aufhebung einhergeDies folge auch dem Zweck des hende Gefahr von SchadensVergaberechts, Beschaffungen ersatzansprüchen betroffener unter Beachtung des Gebots Bieter trübt den “Lichtblick” alsparsamer Wirtschaftsführung lerdings beträchtlich (vgl. hierzu zu angemessenen Preisen zu er- BGH, Beschl. v. 20. März 2014, möglichen (vgl. auch BGH, Urt. Az.: XZB 18/13; OLG Celle, Bev. 5. November 2002, Az.: X ZR schl. v. 10. März 2016, Az.: 13 Verg 5/15). 232/00).

Mahnung und Lichtblick Die Rechtsprechung der Vergabekammer Lüneburg ist für öffentliche Auftraggeber Mahnung und Lichtblick zugleich. Die VK Lüneburg hebt den Zeigefinger und ermahnt öffentliche Auftraggeber, ihren Beschaffungsmaßnahmen stets eine belastbare, an den aktuellen Marktpreisen orientierte Kostenschätzung voranzustellen und dies auch entsprechend zu dokumentieren. Sind die eingehenden Angebote deutlich zu hoch, kann dies zwar eine Aufhebung des Vergabeverfahrens rechtfertigen. Das ist aber eben nicht bereits dann der Fall, wenn nur der öffentliche Auftraggeber den Preis subjektiv für über-

Mehr zum Thema Welche objektiven Bewertungsmaßstäbe es für die Frage gibt, ob ein Mindestangebot zu hoch ist, und wie diese Bewertungen vorzunehmen sind, erläutert der Autor in dem Seminar des Behörden Spiegel “die Top 10 des neuen Vergaberechts”. Darin präsentiert er Lösungen zu den zehn praxisrelevantesten Problemkreisen. Das nächste Seminar findet statt am 1./2. Februar 2018 in Düsseldorf. Anmeldung und Programm unter www.fuehrungskraefteforum.de, Suchwort “Top”.

Leuchtturmprojekt in Hessen Über 600.000 Euro Einsparungen erwartet (BS/jf) Der Landkreis Groß-Gerau und zehn kreisangehörige Kommunen haben ein interkommunales Vergabezentrum eingerichtet. Das Land fördert den Zusammenschluss mit 100.000 Euro. Das Projekt soll auch der Umsetzung der jüngsten Vergaberechtsmodernisierung dienen.

(Beschl. v. 10.08.2016, Az: VK 1-56/16)

Zusammenfassung der Entscheidungen: RA und FA für Vergaberecht Dr. Rainer Noch, München und Unkel/Rh. (Oppler Büchner PartGmbB)

jeden Monat im Behörden Spiegel ◄

“Das neue gemeinsame Vergabezentrum hat gigantisches Potenzial. Die Kommunen können mit erheblichen Einsparungen rechnen“, sagte Hessens Innenminister Peter Beuth anlässlich einer Scheckübergabe von 100.000 Euro. Hessen hat eigens ein Förderprogramm für Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) geschaffen. Das neue Vergabezentrum wird sich mit gemeinsamen Einkäufen von Papier, Büromaterial, Gebrauchsartikeln für Bauhöfe oder Grünpflege bis hin zu individuellen Leistungsaus-

schreibungen befassen. Durch Mengenbündelung im Rahmen gemeinsamer Einkäufe können zudem mehr als 100.000 Euro eingespart werden. Durch Prozessoptimierungen werden in den beteiligten Gebietskörperschaften Einsparungen von rund 573.000 Euro bei Personal- und Sachaufwand erwartet. Angesiedelt ist es in der Kreisverwaltung des Landkreises GroßGerau. Neben der Stadt Raunheim, in der die Geschäftsstelle für den kreisweiten IKZ-Prozess sitzt und die diesen Prozess organi-

siert hat, beteiligen sich neun weitere der insgesamt 14 Städte des Landkreises. Auch Landrat Thomas Will zieht ein positives Fazit. Seitdem die neue Stelle ihre Arbeit aufgenommen habe, seien bereits diverse Unterstützungsleistungen für Vergabeverfahren erbracht worden. Zudem sei die zentrale Stelle von hohem Nutzen bei der Umsetzung der Vergaberechtsreform und eines daraus resultierenden kreisweiten Ziels: die Einbeziehung sozialer und ökologischer Standards in die kommunalen Auftragsvergaben.


Referat A/1 Geschäftsstelle CIO, Geschäftsstelle Digitalisierung

Referat A/5 Rechtspolitik, Verfassungs- und Verwaltungsrecht RiOLG Dr. Karsten Schmidt -1190

Referat A/4 Organisation, Informationstechnik, Innovationsprojekte, Geschäftsstelle Verwaltungsmodernisierung, Amtsblattstelle, Zentrale Dienste, Liegenschaften RR Thomas Büttner m.d.W.d.G.b. -1251

Referat A/3 Personalangelegenheiten der Staatskanzlei und des nachgeordneten Bereichs, Grundsatzfragen des öffentlichen Dienstrechts, Organisation MR‘in Melanie Folz -1145 MR‘in Susanne Degenhardt -1146

Referat A/2 Haushaltsangelegenheiten der Staatskanzlei und des nachgeordneten Bereichs, Revissionsstelle Vergabe RR’in Simone Herrmann -1155

Referat A/1 Verwaltungsmanagement, Personalentwicklungsund Koordinationsstelle (PEKS), Geschäftsstelle CIO, Geschäftsstelle Digitalisierung MR Elmar Schmidt -1148

-1190

-1125

-1311

Persönliche Referentin des Chefs der Staatskanzlei, Referentin für Social Media RR’inJulia Mootz

Referat C/2 Landtag, Bundesrat, Bundesangelegenheiten, Ständige Vertragsangelegenheiten, Rechtsangelegenheiten der Abteilung RR‘in Dr. Barbara Schmal -1260

Referat C/1 Ministerrat, Ministerpräsidenten- und CdS-Konferenzen MR Dr. Andreas Feld -1264

Verehrte Leserinnen und Leser! Sollten Sie Interesse an Organigrammen haben, die in früheren Ausgaben veröffentlicht wurden, besteht die Möglichkeit, diese über ein Abonnement der Behörden Spiegel-App zu erhalten. Dort finden Sie rückwirkend bis Januar 2014 alle Ausgaben. Die App ist erhältlich im Apple App Store, Google Play Store und Amazon Appstore.

Referat B/6 Konzeption, Neue Medien, Social Media, Internet RB Wolfgang Tauchert -1277

Referat B/4 Bürgerengagement, Ehrenamtsförderung, kulturund bildungspolitische Angelegenheiten MR Horst Peter Eisenbeins -1153

Referat B/3 Grundsatzfragen der Sozialpolitik, Vorbereitung von Reden und Auftritten, Prozessmoderation RB Roman Glauben -1391

Referat B/5 Großveranstaltungen und Organisation ROR Elmar Josef Schmidt

-1258

Referat B/2 Wirtschafts- und finanzpolitische Grundsatzfragen, politische Evaluation, Gesellschaftspolitik, Landesarchiv RB Dr. Michael Jung -1267

Referat B/1 Zentrale Öffentlichkeitsarbeit, Saarland-Marketing, Bürgerdienste Saar, RB Dr. Jochen W. Wagner -1250

Ministerrat, Landtag, Bundesangelegenheiten

Referat Redaktion, Koordination, Medienanalyse RBe Gabriele Kümmel

Regierungssprecher RB Thorsten Klein

Bevollmächtigter des Saarlandes Staatssekretär Jürgen Lennartz 030/72629-0100

Referat C/7 Wirtschaft, Arbeit, Energie und Verkehr RR Dr. Georg Nienaber -2354

Referat C/6 Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, Bildung und Kultur MR Dr. Michael Franz -1174

Referat C/5 Umwelt- und Verbraucherschutz, Landesentwicklung, Demografie, Sonderaufgabe: Nachhaltigkeit RB Martin von Hohnhorst -1236

Referat C/4 Finanzen und Europa, Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, Beteiligungen des Landes WD Dr. Jens Rosenbaum -1196

Referat C/3 Inneres und Sport, Parlamentarische Anfragen RR Christian Wilhelm -1306

Ressortkoordination

Referat C/9 Medienpolitik, Medienrecht, Medienstandort Saarland, Justiz MR Dr. Christopher Wolf -1198

Referat C/8 Koordination Landespolitik, Themenbezogene Arbeitsgruppen und interministerielle Arbeitskreise RB Henrik Eitel -1304

Koordination Landespolitik, MP- und CdS-Konferenzen, Medien, Nachhaltigkeit

-1304

Vertretung des Saarlandes beim Bund

Abteilung C Koordination und Medien RB Henrik Eitel m.d.W.d.G.b.

Chef der Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Saarlandes beim Bund Staatssekretär Jürgen Lennartz -1119

Foto: BS/Staatskanzlei Saarland

Annegret Kramp-Karrenbauer

Ministerpräsidentin des Saarlandes

Grundsatz

Abteilung B Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung RB Dr. Jochen Wagner -1250

Protokoll und Auswärtige Angelegenheiten RBe Bianca Kappler -1110

-1264

Büroleiter des Chefs der Staatskanzlei MR Dr. Andreas Feld

Kommunikation Bundespolitik, Hochschulen, Wissenschaft und Technologie RBe Marlene Mühe-Martin -1124

Büroleiter der Ministerpräsidentin ROR Mark Beck m.d.W.d.G.b.

Öffentlichkeitsarbeit

IT-Innovationszentrum Grundsatzenscheidungen und Unterstützung CIO

Gesamtkoordination Digitalisierung Dr. Ulli Meyer m.d.W.d.G.b.

Chief Information Officer (CIO) Staatssekretär des Ministeriums für Finanzen und Europa Dr. Ulli Meyer -1625

0681/501-00 0681/501-1159 post@staatskanzlei.saarland.de

Abteilung A Organisation, Personal und Haushalt RiOLG Dr. Karsten Schmidt m.d.W.d.G.b.

Telefon: Fax: E-Mail:

Staatskanzlei Saarland Am Ludwigsplatz 14 66117 Saarbrücken Postanschrift: 66024 Saarbrücken Postfach 102431

Staatskanzlei Saarland

-1210

-1127

-1258

-1210

-1113

Schwerbehindertenvertretung ROR Elmar Josef Schmidt Frauenbeauftragte der Staatskanzlei RBe Gabriele Kümmel

Bürgerbeauftragte RBe Stephanie Schon

Referat WT/7 Justiziariat Technologie, Wissenschaft, Hochschulen RD’in Andrea Maus -7497

Referat WT/5 Außeruniversitäre Forschung und Technologietransfer WD’in Dr. Stephanie Thomas -1895

Referat WT/3 Technologieförderung für Unternehmen, Breitband ROR Stefan Köhler -1548

Referat WT/1 Internationale Angelegenheiten, überregionale Koordinierung im Wissenschaftsbereich MR’in Heike Mark -7559

-7240

-1148

-2885

Vorsitzende des Gesamtpersonalrates RD’in Kerstin Kowol 030/72629-0180

Vorsitzender des örtlichen Personalrates der Staatskanzlei MR Elmar Schmidt

Vorsitzender des Hauptpersonalrates RR Dr. Alain Knorr

Referat WT/6 Hochschulgesetzgebung, Hochschulrecht MR’in Claudia Palocsay-Reitz -7480

Referat WT/4 UdS, UKS, htw saar, private Hochschulen, Berufsakademien, Hochschulzulassung MR Günther Kiefer -7206

Referat WT/2 Hochschulentwicklung, Hochschulstatistik, Hochschulsonderprogramme, Landesforschungsförderung, Studentische Angelegenheiten, Studienfinanzierung, Bibliotheken, Projekte, GWK WR’in Sabrina Kriewald -7327

Abteilung WT Wissenschaft, Hochschulen, Technologie LMR‘in Dr. Annette Groh

Die Beauftragte der Ministerpräsidentin für Hochschulen, Wissenschaft und Technologie MDgt’in Dr. Susanne Reichrath -7503

Grafik: Behörden Spiegel-Gruppe Quelle: Staatskanzlei Saarland, Stand: Oktober 2017

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Personelles Seite 11


Diplomaten Spiegel

Seite 12

Jährlich bilaterale Treffen

I

hr Dienstsitz und die Residenz sind nun nicht mehr, wie in der alten Bundeshauptstadt, auf die ganze Stadt verteilt, sondern ein mächtiger, neoklassizistischer Eckbau im Berliner Tiergarten. Errichtet zwischen 1938 bis ’43, wird er 2002, nach teilweisen Zerstörungen im 2. Weltkrieg, im Originalzustand wieder hergestellt. Alter Glanz und neue Gloria? Was die deutsch-spanischen Beziehungen betrifft, schon seit ihrer (Wieder-)Aufnahme Anfang der 50er-Jahre.

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Ein Gespräch mit der spanischen Botschafterin Victoria Morera (BS/ps) Victoria Morera, 61, ist über die Hälfte ihres bisherigen Lebens in diplomatischen Diensten Spaniens. Nach Jurastudium und Diplom für internationale Politik und Verteidigungspoltische Studien leitet sie Anfang der 80er-Jahre das Sekretariat des spanischen Außenministers, wird von 1985 bis ’87 als Botschaftsrätin nach Bonn geschickt und, nach leitenden Positionen in Madrid, Botschafterin in Belgien und Anfang dieses Jahres Chefdiplomatin in Berlin.

Ein deutliches Zeichen für Dynamik “Und zur Zeit sind sie”, so Botschafterin Morera, “in einem außergewöhnlich guten Zustand, vor allem im Kontext der Europäischen Union sowie auf internationaler Ebene. Jährlich finden bilaterale Gipfel der Regierungschefs statt und alle zwei Jahre organisieren wir ein UnternehmerForum, das von unseren beiden Staatschefs geleitet wird. Die Kontakte zwischen den verschiedenen Ministerien sind ebenso regelmäßig wie die Begegnungen unserer Zivilgesellschaften. Zusammen mit anderen europäischen Staaten müssen sich Spanien und Deutschland den globalen Widrigkeiten gegenüber geeint zeigen. Darin stimmen unsere beiden Länder überein. Ein gutes Beispiel dafür ist die jüngste Einladung der Kanzlerin an unseren Ministerpräsidenten für den G20-Gipfel (der wichtigsten Industrie und Schwellenländer, d.Red.), der am 7. und 8. Juli in Hamburg stattfand.” Die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen, die Spanien nach der Finanzkrise (2007 infolge der Insolvenz der US-Bank Lehman-Brothers, d. Red.) ergriff, waren notwendig, um die Erholung zu garantieren. Die Entwicklung unserer Wirtschaft, die Ende 2017 das vierte Jahr in Folge Wachstum registrieren wird, belegt dies. Auch der Arbeitsmarkt hat sich erholt und ist ein deutliches Zeichen für die Dynamik in unserem Land.”

Die EU den Bürgern näherbringen Ein Hauptaugenmerk von Moreras Agenda liegt auf dem Erhalt und der möglichen Intensivierung der bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Madrid, “die tiefgründig und vielfältig sind. Darüber hinaus stehen die Botschaft und ich im Dienste der Bürger. Dies geschieht über unsere fünf Generalkonsulate (Hamburg, München, Düsseldorf, Frankfurt und Stuttgart), die Konsular-Abteilung und die verschiedenen Abteilungen hier im Hause. Alle arbeiten daran, den Austausch zwischen Spanien und Deutschland auf allen Ebenen voranzutreiben sowie den Spaniern zu helfen, die in Deutschland arbeiten und sich

Botschafterin María Victoria Morera will die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Madrid noch intensivieren.

die Sparpolitik, aber die Akzeptanz der Union ist weiterhin eine der größten innerhalb der Mitgliedsstaaten der EU.”

Rezept der Botschafterin Gefülltes Gemüse Zutaten: 1 kg gemischtes Hackfleisch, Zucchini, Auberginen, Tomaten, Artischocken, Paprika, Zwiebeln, Kartoffeln, Olivenöl, Mehl, Milch, Salz Füllung: Öl in der Pfanne erhitzen, Knoblauchzehe schälen, vierteln und in dem Öl anbraten. Hackfleisch hinzufügen und leicht anbraten. Etwas Mehl, Milch und Salz beimengen, sodass eine kompakte Masse entsteht. Vom Herd nehmen und beiseite stellen. Gemüse: Gemüse aushöhlen und mit Hackfleisch füllen. Mit Mehl bestäuben, damit das Hackfleisch nicht he-

niederlassen möchten.” Dank der Niederlassungsfreiheit, die seit EWG-Zeiten ab 1957 für EU-Bürger gilt, gelebte Normalität. Dennoch ist das Image Brüssels in der Gemeinschaft derzeit nicht das beste. “Auf internationaler Ebene erleben wir gerade einen sehr speziellen historischen Moment. Die große Wirtschafts- und Finanzkrise hat Folgen, die über die reine Wirtschafts- und Finanzebene hinausgehen, und die Politik und die demokratischen Insti-

rausfällt. In der Pfanne ca. 8 Minuten braten, dabei mehrmals wenden. Anschließend in eine ofenfeste Form legen. Sauce: Das Innere des Gemüses, 2 gewürfelte Tomaten, 1 geschälte Zucchini, 1 Aubergine und 1 Zwiebel in einem Topf mit etwas Knoblauch in Öl ca. 10 Minuten braten. Ca. 90 ml Wasser hinzufügen, nach Geschmack salzen und bei schwacher Hitze ca.15 Minuten köcheln lassen und pürieren. Mit der Sauce das Gemüse bedecken und auf dem Herd nochmals 45 Minuten köcheln lassen. Dazu passt ein mittelkräftiger Weißwein, aber auch Bier.

tutionen betreffen. Einige glauben, dass der Rückzug aus der Europäischen Union die Dinge verbessern würde, aber das Gegenteil wäre der Fall. Die längste Friedens- und Wohlstandsperiode der europäischen Geschichte haben wir der Unterschrift der von Ihnen zitierten Verträge zu verdanken. Die Lösung der Probleme liegt nicht in der Individualisierung, sondern in einem größeren Multilateralismus. Ich meine damit das gemeinsame Vorantreiben des europäischen Projektes, sodass es Antworten und Lösungen für die Probleme der Bürger bieten kann. Kurz gesagt: die Europäische Union den Bürgern näher bringen, damit diese sich zugehörig fühlen.

Spanien: Antieuropäische Bewegungen gibt es nicht

Skulptur “Frühling” des Bildhauers Paul Bronisch im Garten der Botschaft, die dort ursprünglich Teil eines Brunnens war.

Fotos: BS/Dombrowski

“Im Übrigen ist die politische Radikalisierung nie eine gute Antwort auf ein Problem, weder von links noch von rechts. Lösungen leiten sich von Konsens und gegenseitigem Verständnis ab. Davon müssen wir die Menschen überzeugen.” “Die EU garantiert uns Demokratie, rechtsstaatliche Institutionen, eine funktionierende Marktwirtschaft und die Menschenrechte. Zur EU gehören bedeutet, diese Werte zu teilen, unabhängig von der Regierung. Deutschland ist sich dessen sehr bewusst: Auf der Medaille des Karlspreises zu Aachen steht geschrieben: “Europa braucht Freiheit, Mut und Toleranz”.”

Der Ehrenpreis wird seit 1950 alljährlich dort für Verdienste um Europa und die europäische Einigung verliehen. Dieses Jahr erhielt ihn der britische Historiker und Publizist Timothy Garton Ash. “Wir Spanier sind immer sehr europafreundlich gewesen. Für uns war der Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft und später zur Wirtschafts- und Währungsunion, eine enorme Triebkraft und in gewisser Weise “die Rückkehr nach Europa” sowie die endgültige Konsolidierung unserer Demokratie. Später hat das Wirtschaftswachstum uns zu einer der wichtigsten Volkswirtschaften Europas werden lassen. Die Spanier sind sich dessen sehr bewusst. Antieuropäische Bewegungen gibt es nicht. Die eine oder andere Partei ist vielleicht gegen den Euro oder

Katalonien: spanischer “Brexit Light”? Trotz dieser proeuropäischen Überzeugung droht der Gemeinschaft Ungemach in diesem Herbst. Der katalanische Unabhängigkeitskonflikt mit dem spanischen Königreich könnte das EU-Mitglied erstmals in zwei Nationen aufspalten. Ein unabhängiges, international nicht anerkanntes Katalonien käme dann wohl einem “Brexit Light” für die Union gleich und für die Regierung in Madrid und ihre Botschafterin in Berlin nicht infrage. “Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat. Das Verfassungsgericht (Madrid) hat den Aufruf zum (Unabhängigkeits-) Referendum für nichtig erklärt, weil dieses unserer Verfassung widerspricht, die von allen Spaniern, einschließlich der Katalanen angenommen wurde. Das ist nichts Außergewöhnliches: Auch das Verfassungsgericht in Karlsruhe hat diesen Beschluss in Bezug auf Bayern getroffen (die verfassungsgebende Gewalt liegt im ganzen deutschen Volke und nicht im bayerischen), wie auch das italienische Verfassungsgericht bezüglich Venetien. Alle Verfassungen beinhalten Formeln für ihre Veränderung und jede Position kann verteidigt werden, solange die gesetzlichen Verfahren eingehalten werden. Niemand steht über dem

Gesetz. Wir müssen die Rechte aller Bürgerinnen und Bürger sicherstellen; einschließlich der katalanischen Bürger, die sich als Katalanen, Spanier und Europäer sehen.” Die EU-Kommission in Brüssel kommentiert die Sezessionsabsicht Kataloniens zurückhaltend: “Wir respektieren die spanische Verfassungsordnung”. Doch die Unabhängigkeit des Gebietes, etwa so groß wie Belgien, im Nordosten der iberischen Halbinsel zwischen Mittelmeerküste und den Pyrenäen, würde zu erheblichen wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen im Euroland Spanien führen. Gemäß der Prodi-Doktrin von 2004 (nach dem damaligen, italienischen EU-Kommissionspräsident Romano Prodi), kann nämlich eine Region, die sich von einem Mitgliedsland abspaltet, nicht mehr Mitglied der EU bleiben, sondern muss gegebenenfalls einen neuen EU-Aufnahmeantrag stellen. Hierfür ist dann ein einstimmiger Beschluss aller EU-Staaten notwendig, was nach Lage der Dinge, zweifelhaft sein dürfte. Ein knappes Jahr ist Victoria Morera Botschafterin in Berlin und es fällt ihr “auf Anhieb niemand ein, mit dem sie auch nur einen Tag tauschen wollte”. Mehr als 500.000 deutsche Staatsangehörige schon. Sie wohnen dauerhaft, das heißt länger als drei Monate im Jahr, in Spanien. Wer das nicht kann, macht wenigstens dort Urlaub – 2016 waren es über elf Millionen deutsche Touristen. Man ist zufrieden, hier wie dort. Da stört den Iberer nicht mal das “typisch Deutsche”.

Dieses Land hat eine ganz spezielle Magie für Kinder “Ich kenne Deutschland und seine Bräuche schon aus meiner Bonner Zeit gut; ich bin auch damit “aufgewachsen”. Ich finde dieses Land hat eine ganz spezielle Magie für Kinder: Sankt Martin, Sankt Nikolaus, Weihnachten oder auch den Osterhasen. Ich erinnere mich noch gut an die Kinderlieder. Seit damals hat sich natürlich einiges verändert, aber die Bräuche sind gleich geblieben. Der “Überraschungseffekt” war für mich also nicht sehr groß. Der wahre Unterschied liegt darin, in ein vereinigtes Deutschland zurückzukehren. Das macht mich sehr froh. Und so ähnlich fühlen sich auch die Spanier.”

Gedenken an die Anschlagsopfer von Barcelona

Krings zuständig für Aussiedlerfragen Koschyk scheidet Ende Oktober aus (BS/ein) Das Bundeskabinett hat Dr. Günter Krings zum Nachfolger des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk, berufen. Koschyk hatte nicht mehr für den neuen Bundestag kandidiert und die Bundesregierung darum gebeten, ihn von seinen Aufgaben zu entbinden. Der 48-jährige Krings ist CDU-Politiker, Jurist und war bislang Parl. Staatssekretär beim Bundesinnenminister

und übernimmt die Funktion ab 1. November 2017 mindestens bis zur Konstituierung der neuen Bundesregierung. Mit diesem “nahtlosen” Vorgehen unterstreiche die Bundesregierung die Bedeutung, die sie dem Amt beimesse, sagte Bundesinnenminister Dr. Thomas de

Maizière. Der Vorsitzende des Bundes der Vertrieben, MdB Dr. Bernd Fabritius, geht davon aus, dass eine neue Bundesregierung unter Unions-Führung dem Amt sowie Aussiedlerfragen auch künftig einen wichtigen Stellenwert einräumen werde.


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Gesundheit / Gesundes Büro

Seite 13

Ein attraktives Unternehmen und die menschliche Psyche

Neue Handlungshilfe

Was der Gesetzgeber mit dem Arbeitsschutzgesetz auslösen kann

Büromöbel und Beratungsleistungen im Büro im Fokus

(BS/Regine Jäckel) Wie kann es gelingen, ein Landesamt attraktiver zu machen? Wie können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Veränderungspo- (BS/Volker Weßels*) Die Vergaberechtsmodernisierungsverordnung tenzial erkennen und umsetzen? Welche Position nehmen dabei die Führungskräfte ein? Und was hat das alles mit dem Arbeitsschutzgesetz zu tun? (VergRModVO) vom 12. April 2016 hat in der Welt der Büro- und Objekteinrichter erneut einen Anstoß gegeben, die Voraussetzungen für kräfte verstehen die Teilnahme an Ausschreibungen zu prüfen. Zwei neue Leitlinien sind Das Arbeitsschutzgesetz wurde Vorgehen ist gefragt: Situatiomehr von dem, das Ergebnis. geändert: Seit 2013 bedeutet nen analysieren, Belastungs“Gesundheit” nun auch “psychische Gesundheit”. Diesem Auftrag stellten sich aktuell das Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein (LLUR) und die AMISSA® Unternehmensberatung aus Schleswig-Holstein. Psyche und Arbeitsschutz gemeinsam betrachten, psychische Belastungen erkennen – der neue Auftrag löst manches Kopfschütteln aus. Verbreitete Befürchtungen: Unproduktive Aktionen werden verlangt! Mehrkosten entstehen ohne Gegenwert! Führungskräfte könnten bloßgestellt werden! Die professionelle Umsetzung des gesetzgeberischen Auftrages zeigt: Die zu beurteilenden Einflüsse liegen meist in äußeren Bedingungen, die verändert werden können.

Ziele festzurren Im Vorfeld hat das LLUR über anonymisierte Fragebogen auf das Thema “Gefährdungsbeurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen” eingestimmt. Im nächsten Schritt ergreift das LLUR die Chance, seinen Beschäftigten zu beweisen, dass sie mit ihren persönlichen Anliegen ernst genommen werden. Als vertrauliche Plattform werden Workshops eingesetzt. Einladungen gehen jeweils an eine Organisationseinheit von acht bis 35 Personen. Die Workshops starten mit dem festen Ziel, konkrete Vorschläge für hilfreiche Maßnahmen zu entwickeln. Ein klassisches lösungsorientiertes

schwerpunkte ermitteln, Symptome und Ursachen voneinander unterscheiden. Und vor allem: Praxistaugliche und terminierte Verbesserungsvorschläge formulieren. Manche Dezernatsleitung bekommt auch eine ExtraPortion protokolliertes Lob. Den Abschluss eines WorkshopsbildetdieDialogkonferenz. Gemeinsam mit der Dezernatsleitung werden die Vorschläge diskutiert. Einige werden auf Konferenzen der Führungsebene entschieden, die meisten terminiert umgesetzt.

Bedrückend oder befreiend? Wenn in den Workshops belastende Situationen konkretisiert werden, gibt es keine Verallgemeinerungen und Gleichsetzungen mit scheinbar ähnlichen Themen. Kommunikation, Zuhören und gemeinsames Nachdenken von Leitung und Mitarbeitenden finden in oft ungewohnter und wertschätzender Qualität statt. Der Begriff “ Psyche” wird enttabuisiert. Prioritäten werden gesetzt, unterschiedliche Sichtweisen entdeckt. Immer in respektvoller Haltung gegenüber der Arbeit der anderen. Unbekannte Sichtweisen und Verständnis für andere, indirekt Beteiligte werden integriert – der klassische Effekt systemischer Beratung.

Mitarbeiter sind ausschlaggebend Die praxistauglichen Verbesserungsvorschläge sind konkrete und messbare Maßnahmen. Zum Beispiel das eigene Verhalten ändern. Oder Arbeit anders

was den Beschäftigten wichtig ist. Führungskräf te gehen in den Dialog, lassen Regine Jäckel ist Inhaberin Partizipation zu, von AMISSA® Unternehsind für Veränmensberatung. derungen bereit Foto: BS/Regine Jäckel und zeigen damit ihre Kompetenzen. Sozialkomverteilen. Oder Besprechungen petenz, methodische Kompetenz besser organisieren. Natürlich und die Fähigkeit, sich selbst als sind auch die großen bekann- Mensch einzubringen. Diese guten Themen vertreten: Stell- te Führung wirkt dem Fachkräfvertreterregelungen, Gesund- temangel entgegen. Die schnelle heitsmaßnahmen, Feedback, Bereitschaft der Y-Generation, Zuständigkeiten, Umgang mit den Arbeitgeber zu wechseln, Informationstechnologie, Ar- kann sich dann verändern. Junbeitsmenge, Informationsfluss, ge Leute werden sich für dieFortbildung, Abwechslung. Er- ses Unternehmen interessieren. kenntnis der Mitarbeiterinnen Junge Leute werden in diesem und Mitarbeiter: Sie haben ver- Unternehmen bleiben. Für sie ist standen, dass sie selbst aus- gute Führung ein Muss. Die Gefährdungsbeurteilung schlaggebend sind für mögliche Veränderungsprozesse, und psychischer Belastung, ermittelt zwar gleichermaßen durch ihr in Analyse-Workshops mit proEngagement im Workshop wie fessioneller Moderation und anauch am Arbeitsplatz. In den schließender Weiterverfolgung, folgenden Monaten und Jahren kann ein gigantisches Werkzeug werden sie ihre Erfolge prüfen, sein, von dessen Einsatz der BeZiele erneuern und das Bewusst- trieb mächtig profitiert. sein für Verbesserungsmaßnahmen wachhalten.

Enorme Effekte auf den Betrieb Die Beschäftigten sind aktiviert, sie haben Selbstwirksamkeit, Zugehörigkeit und Partizipation erfahren. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gemäß Arbeitsschutzgesetz ist eine betriebliche Maßnahme, die – richtig eingesetzt – hervorragend ist für Mensch und Betrieb. Führungs-

Das Fachwissen über angebotsrelevante Kriterien für die (Neu-) Ausstattung von Büroflächen ist auf Käuferseite oft auf mehrere Personen verteilt. Damit ist es schwierig, eine zusammenfassende Auflistung der gewünschten Leistungen in der Ausschreibung zu formulieren. Die Vielfalt der Anforderungen führte 2006 zu einer gemeinsamen Initiative für die Sicherung der Qualität bei der Einrichtung guter Bürowelten: Sechs Institutionen der Arbeits- und Bürowelt haben sich zu “Quality Office” zusammengeschlossen, um eine hohe Qualität bei Produkten und Dienstleistungen für das Büro zu unterstützen. Es wird u. a. getragen vom Deutschen Institut für Normung (DIN), der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) und dem Industrieverband Büro- und Arbeitswelt (IBA). Die Anforderungen an Produkte, Berater und Beratungsunternehmen wurden in zwei Leitlinien zusammengefasst. Das Regelwerk beruht auf der Pro-

MELDUNG

Motivationskiller Arbeitsplatz (BS/jf) Nur jeder fünfte Büroangestellte in Deutschland findet seinen Arbeitsplatz motivierend, so das Ergebnis einer Studie von Sharp Business Systems. Auf der anderen Seite ist die Hälfte der Befragten mit der technischen Ausstattung unzufrieden.

42 Prozent arbeiten lieber mit eigenen Geräten wie Laptop und Smartphone als mit dem vom Arbeitgeber bereitgestellten. Genauso viele sind der Meinung, eine moderne und einfach zu bedienende Technologie am Arbeitsplatz wirke sich positiv auf die Motivation aus.

duktseite auf dem GS-Zeichen sowie Anforderungen aus den europäischen Normen und Regeln und der täglichen Praxis. Bei den Dienstleistungen wurden die staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Regelwerke und das Branchen-Fachwissen berücksichtigt. Somit ergibt sich ein Leistungsprofil, das regelwerkskonforme und attraktive Büroarbeitswelten gestalten kann. Die Erfüllung der Kriterien wird durch das Qualitätsforum Büroeinrichtungen geprüft und durch das Quality- Office Siegel bestätigt. Um dieses Fachwissen auch bei Ausschreibungen verfügbar zu machen, wurden die Leitlinien in Kriterienkataloge umgeschrieben, die bei Ausschreibungen als “Teil zwei Technische Anforderungen” bzw. DienstleistungsAnforderungen verwendet werden können. Bei den Produkten können acht Produktarten aus dem Bereich Stühle, Tische, Container, Schränke und Trennwände beschrieben werden. Bei den Anforderungen an das Dienstleistungs-Unternehmen ist vor allem der gewünschte Leistungsbereich entscheidend. Die Dokumente sind auf der Quality-Office-Website www. quality-office.org zum Download verfügbar. Die Erfüllung aller aufgeführten Kriterien kann durch Vorlage des jeweiligen Quality-Office-Zertifikats vom Bieter dokumentiert werden. *Volker Weßels ist Referent beim Industrieverband Büro und Arbeitswelt e.V. (IBA).


Gesundheit / Gesundes Büro

Seite 14

Behörden Spiegel / Oktober 2017

“Und plötzlich brennt Frau Müller”

Arbeitsschutz in Wissens- und Büroarbeit

Erste Schritte zur Vermeidung von Burn-Out

Initiative “Mitdenken 4.0” mit ersten Forschungsergebnissen

(BS/ab) Das typische Risikoprofil eines Burnout-Kandidaten: zwischen 40 und 50 und Führungskraft. Aber (BS/jf) Wie müssen Arbeitsschutz und Gesundheitsschutz in der digitalen Bürowelt aussehen? Wie können eigentlich kann es jeden treffen, auch den einfachen Angestellten. Denn Burnout hat verschiedene vielfältige Büro- und Wissensarbeit neu gedacht werden? Und welche guten und nützlichen Strukturen gibt es jetzt Ursachen. Dabei existieren Präventionsmaßnahmen, die relativ schnell ergriffen werden können. Aber eine schon? Antworten liefert die gesetzliche Unfallversicherung VBG. Person ist dafür das Zünglein an der Waage. “Führungskräfte neigen zur Selbstüberschätzung der eignen Leistungsfähigkeit”, erläutert Dr. med. Volker Reinken. Zu wenig Schlaf sowie Ruhephasen und ein kaum vorhandener Ausgleich im privaten sozialen Bereich würden aufreiben, fährt der ärztliche Direktor der Akutklinik Urbachtal fort. Dabei seien sie wiederum Teil der Lösung und wichtig für die Präventivmaßnahmen: “Wenn ich als Chef gut mit mir umgehe, wird sich ein Teil meines Personals daran orientieren und sich selbst auch Freiräume schaffen.”

Der Burnout verhindernde Führungsstil Der Führungsstil solle sich durch Sinnhaftigkeit auszeichnen. Die Angestellten könnten bei der Projektplanung stärker eingebunden werden. Hierbei müsse ein Chef zuhören und auf Feedback eingehen. Genauso wie eine Vertrauensbasis und ein konstruktives Gesprächsklima, in dem Fehler sowie Probleme angesprochen werden könnten. Auch brauche es seitens der Führung Wertschätzung für die Mitarbeiter, die sich in Kleinigkeiten im Alltag ausdrücke. Daneben sei die Handhabbarkeit wichtig: Ressourcen sollten offengelegt werden und die Fähigkeiten der Mitarbeiter beachtet werden, damit deren individuelle Stärken genutzt würden. Schließlich spiele noch die Vorhersehbarkeit eine gewichtige Rolle. Realistische Deadlines seien für einen entspannten und gesunden Arbeitsalltag unabdingbar. Neben dem Führungsstil gebe

Burnout ist eine Krankheit mit schwierigem Verlauf. Auch wenn es besondere Risikogruppen gibt, so kann sie Frauen und Männer gleichermaßen treffen. Foto: BS/Gerd Altmann, pixelio.de

es noch weitere entscheidende Maßnahmen: • ausreichend Schlaf, • Soziale Kontakte außerhalb des Kollegenkreises pflegen, denn diese helfen bei der Distanzierung, • Konflikte schnell und kons­ truktiv lösen, • kleine Rituale: zu Hause Wohlfühlkleidung anziehen, • Arbeitsmaterialien nicht im Schlafzimmer lagern. Außerdem seien wiederkehrende Freiräume wichtig. Dazu würden Pausen zählen. Werde die Raucherpause vielfach toleriert, so brauche es ein Umdenken. Auch der Spaziergang innerhalb der Arbeitszeit, Trinken, Essen und Ausruhen seien hilfreich und hielten länger leistungsfähig sowie gesund. “Auch beginnen die meisten Menschen nach zwei Wochen Urlaub, sich gut zu erholen”, sagt Reinken. Doch komme es zu einem BurnOut-Fall innerhalb der Behör-

de, könne trotzdem gehandelt werden. So gelänge die Wiedereingliederung nach längerer Krankheit in größeren Betrieben mit einem organisierten Wiedereingliederungsmanagement. Bei kleineren Betrieben empfiehlt Reinken, sich in offenen Gesprächen mit dem betroffenen Angestellten abzustimmen. Zeitund Aufgabenbereiche könnten vorübergehend reduziert werden. Die Krankenkassen könnten gegebenenfalls finanziell unterstützen. Wenn es bei der Wiedereingliederung Konflikte mit Vorgesetzten oder Kollegen gebe, stehe ihre Lösung im Vordergrund. Notfalls könne dies mithilfe von höheren Vorgesetzten oder durch den Betriebsrat, Coaches oder Maßnahmen zur Teamentwicklung geschehen. “Ist bereits zu viel Porzellan zerbrochen, dann sollte man auch über die Versetzung in eine andere Abteilung nachdenken”, empfiehlt der Arzt.

In Bürojobs und Wissensberufen geht der digitale Wandel der Arbeitswelt nicht erst mit der Einführung des Begriffs “Arbeit 4.0” vonstatten. “Wissens- und Büroarbeit 4.0 ist schon da, jetzt müssen “nur” noch die passenden Schutzmaßnahmen in den Unternehmen Einzug halten”, heißt es seitens der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft VBG, die als gesetzliche Unfallversicherung fungiert. Deshalb will der Unfallversicherer mit der neugestarteten Initiative “Mitdenken 4.0 – Neue Präventionsansätze für Arbeitsprozesse in der Büro- und Wissensarbeit” über das Thema informieren.

Handlungshilfen für die betriebliche Praxis Das Ziel: Leistungsfähige und motivierte Mitarbeiter sowie gute und gesunde Büro- und Wissensarbeit im schnellen Wandel der Arbeit. Auf Basis aktueller Forschungsergebnisse sollen dazu Handlungshilfen für die betriebliche Praxis bereitgestellt werden. Und zwar für alle Branchen mit hohen Wissens- und Büroberufen und damit auch für Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen. Dazu wurden zunächst drei Schwerpunktthemen identifiziert, zu denen die Präventionsexperten der VBG ab Anfang 2018 schritt-

weise Beratungs-, Informationsund Qualifizierungsangebote unterbreiten wird: • indirekte Steuerung/Führen über Ziele, • erweiterte Erreichbarkeit, • Prävention in permanenten Change-Prozessen (in Planung). Erste Forschungsergebnisse zur “indirekten Steuerung/ Führen über Ziele” liegen bereits vor. “Gute indirekte Steuerung mit Führung über Ziele bietet viele Chancen und erhöht die Zufriedenheit der Beschäftigten durch eine hohe Autonomie in der eigenen Arbeit”, sagt Dr. Susanne Roscher, Projektleiterin von “Mitdenken 4.0” und leitende Arbeitspsychologin der VBG. Aber: Führung über Ziele könne auch unerwünschte Nebenwirkungen haben. Wenn diese zu starr gesetzt würden und Kennzahlensysteme zu wenige Handlungsspielräume böten, würden Produktivität, Arbeitsqualität und Motivation sinken. Das Bemühen, die vereinbarten Ziele zu erreichen, gehe oftmals auch mit einer Gefährdung der eigenen Gesundheit der Beschäftigten einher. Typisch Anzeichen seien etwa, die Arbeit zu intensivieren, die Arbeitszeit auszudehnen oder auch die Anwesenheit im Krankheitsfall. Umdieszuverhindern,müssten

bereits bestehende Frühwarnsysteme systematisch genutzt werden, etwa Gefährdungsbeurteilungen oder Überlastungsanzeigen. “Ein sehr vielversprechender Ansatzpunkt – neben mehreren anderen – ist die Gestaltung der Ziele”, so Roscher weiter. Denn diese würden das Verhalten der Führungskräfte und Beschäftigten maßgeblich beeinflussen und seien somit eine wichtige Stellschraube, um indirekte Steuerung gesundheitsförderlich zu gestalten.

Fünf Partner Partner der Initiative “Mitdenken 4.0” sind die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGV Banken) und der Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland (AGV Versicherungen). Sie wollen Politik und Fachöffentlichkeit für das Thema “Arbeit 4.0” sensibilisieren und Interessierte dabei unterstützen, ihren betrieblichen Alltag unter den veränderten Rahmenbedingungen zum Wohle aller Beteiligten zu gestalten. Mehr unter: www.vbg.de, Suchwort “Mitdenken 4.0”

MELDUNG

Masterplan in Rheinland-Pfalz (BS/jf) Die Landesregierung Rheinland-Pfalz entwickelt gemeinsam mit Sozialpartnern, den Kammern und der Bundesagentur für Arbeit einen Masterplan “Zukunft der Arbeit in Rheinland-Pfalz”. “In vielen Berufen und Branchen findet die Digitalisierung längst statt”, sagte Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Ministerin

für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie. Deshalb gelte es, Antworten auf die Frage zu finden, wie, wo und wann die Menschen in zehn oder fünfzehn Jahren arbeiten werden. Dabei gehe es nicht nur darum, welche Arbeitsplätze wegfallen oder neu entstehen. Sondern auch darum, was das für berufliche Qualifikationen, den Arbeitsschutz oder die betriebliche Mitbestimmung bedeutet. “Es ist die gemeinsame Aufgabe von Politik, Sozialpartnern und Wissenschaft, auf diese Fragen möglichst konkrete Antworten zu geben”, so die Ministerin weiter. Deshalb führt das Land aktuell mehrere Workshops durch, deren Ergebnisse in den Masterplan eingehen sollen. Im Dialog mit dem Publikum werden die Auswirkungen für unterschiedliche Branchen diskutiert. Zuletzt am Beispiel des Gesundheitswesens und der Industrie. Dazu steht eine spezielle “Arbeit-

4.0.”-Veranstaltungsapp zur Verfügung, außerdem kommen Kleingruppen und “Thementische” zum Einsatz, um mit Fachleuten intensiv zu diskutieren. Angesichts der Digitalisierung und der raschen Veränderungen sei ein Blick in die etwas fernere Zukunft schwierig, gab Bätzing-Lichtenthäler zu. Es sei aber dennoch wichtig, möglichst frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen, um die Arbeitswelt der Zukunft im Interesse aller zu gestalten. “Wir sind der technischen Entwicklung nicht ausgeliefert und nicht gezwungen, sie passiv zu “erdulden”. Auch in Zukunft werden wir es sein, die entscheiden, wie wir beispielsweise eine gute Pflege alter oder kranker Menschen gestalten möchten”, betonte sie. Die Entscheidung darüber müsse politisch getroffen werden. “Die Technik kann nicht für uns entscheiden und das ist auch gut so”, so Bätzing-Lichtenthäler abschließend.


Kommune Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2017

Vom Pflasterstein bis aufs Dach

KNAPP Tübingen verdient an Bahnstrom

Stickoxide, CO2, Feinstaub: grün-graue Infrastrukturen mit klimatischem Mehrwert

((BS/Julian Einhaus) 100 Hektar Dachfläche sollen bis 2020 in Hamburg grün werden. Die Stadt investiert dafür drei Mio. Euro und will mindestens 70 Prozent der Neubauten sowie (BS/ein) Die Stromsparte der geeignete Sanierungsobjekte bepflanzen. Gemeinsam mit der HafenCity Universität will die Hamburger Umweltbehörde Blaupausen zur Förderung von Gründächern entwickeln, die Stadtwerke Tübingen hat ihren später bundesweit zum Einsatz kommen könnten. Auch einige Infrastruktur-Innovationen aus dem klassischen Bereich könnten künftig die Luftreinhaltung unterstützen. Erlös im vergangenen Jahr um Welche Arten sich besonders für Dachbegrünung eignen, können Kommunen schon jetzt durch eine Gehölzliste erfahren, die der Bund Deutscher Baumschulen (BdB) dafür bereitstellt. Ähnlich wie der Mobilitätsfonds für den ÖPNV, plädiert der Verband dafür, grüne Infrastruktur durch einen Umweltfonds mit Mitteln der Auto-Industrie zu finanzieren. Neben monetären Anreizen für Bauherren und Gebäudeeigentümer setzt man in Hamburg auch auf rechtliche Instrumente des Baugesetzbuchs, des Naturschutzgesetzes, des Abwassergesetzes oder über die Hamburger Bauordnung. Woher sollen klamme Kommunen aber Investitionsmittel nehmen, wenn gerade kein Fonds oder Programm verfügbar ist? Es gibt Alternativen. Eine günstige Variante verspricht der “CityTree”. Mit dieser freistehenden und beweglichen Mooswand will ein deutsches Start-up Feinstaub, Stickoxide und CO2 kostengünstig aus der

Grün oder grau, Baum oder Dachpappe, Moose oder Pflastersteine? Die Auswahl ist da, aber Einsatz und Wirkung luftklärender Infrastrukturen sind noch wenig erprobt. Fotos: BS/BdB/Steag

Luft filtern. Der vertikale Pflanzenfilter verfügt laut Hersteller über eine Leistung “von bis zu 275 herkömmlich gepflanzten urbanen Bäumen”. Er soll jedoch nur mit fünf Prozent der Kosten für Bäume zu Buche schlagen und 99 Prozent weniger Platz benötigen. In einem Umkreis von bis zu 50 Metern könnten die Moose die Luftverschmutzung um bis zu 30 Prozent reduzieren. Das könnte sich

für viel befahrene Kreuzungen mit kritischen Messwerten eignen. Bisheriges Einsatzgebiet ist z. B. der Vorplatz des Berliner Bahnhofs Südkreuz. Es geht aber noch pflegeleichter. Der Betonzusatzstoff “Photoment” arbeitet photokatalytisch – der Stoff baut ebenfalls Stickoxide ab. Und kann jedem herkömmlichen Pflasterstein bei der Herstellung zugesetzt werden. Die so “aktivierten” Steine,

die eine Tochtergesellschaft der kommunalen Steag entwickelte, kommen seit mehreren Jahren in Bottrop, Stuttgart und auch in der Kleinstadt Laupach (Landkreis Biberach) zum Einsatz. “Wenn man sich vorstellt, dass man zum Beispiel ein Feld in der Größe eines FIFA-Fußballfeldes mit Photoment-Steinen auslegen würde, könnte man pro Stunde 17 Gramm Stickoxide aus der Stadtluft entfernen er-

klärte Prof. Dr. Michael Bruse von der Universität Mainz. Und dann wären da noch funktionale Dachbeschichtungen. Wenn Sonnenlicht darauf trifft, ziehen auch diese Stickoxide aus der Luft. Die “NOx-off-Technologie” des Berliner Unternehmens soll bald auf dem Dach des Hangars des ehemaligen Flughafens Berlin-Tempelhof mit rund 2.500 Quadratmetern präpariert werden. Pro 100 Quadratmeter verlegter Beschichtung könne die Stickoxid-Belastung eines Autos pro Jahr gebunden werden. Der Hersteller hofft nun auf öffentliche Vergaben. Alles in allem stehen zumindest die neuen umwelttechnischen Abhilfen noch am Anfang ihrer Entwicklung. Kommunen haben aber die Möglichkeit, sich an der einen oder anderen Stelle erste Projekte anzuschauen. Im Einzelfall muss vor Ort entschieden werden, inwieweit ein effektiver Einsatz für akute Notsituationen oder aufgrund langfristiger Überlegungen platzmäßig und bautechnisch möglich und nötig ist.

Unabhängig von Haltestellen und Fahrplänen Duisburg: neuer städtischer Demand-Bus – per App und ab 2,50 Euro (BS/ein) Das ist neue Mobilität: Die Duisburger Verkehrsgesellschaft setzt ab sofort fünf On-Demand-Busse ein. Vorerst probeweise sollen diese Kleinbusse keinem statischen Fahrplan mehr folgen, sondern durch Echtzeit-Nachfrage der Fahrgäste durch das Stadtgebiet steuern. Fahrtwünsche werden per App übermittel, Fahrgäste teilen sich die Fahrten. “Mit “myBUS” können wir unseren Fahrgästen erstmals eine flexible und individuelle Lösung anbieten, ganz unabhängig von Haltestellen und Fahrplänen”, erklärte Marcus Wittig, Vorstandsvorsitzender der Duisburger Verkehrsgesellschaft. “Wir holen die Fahrgäste dort ab, wo sie sich befinden und bringen sie komfortabel ans Ziel.” Es geht auch darum, neue Kunden

für den ÖPNV zu gewinnen. In der dreijährigen Pilotphase will die Stadt die Verkehrsleistung in Randgebieten und außerhalb des starken Verkehrs flexibler gestalten und einer individuelleren Nachfrage anpassen. An den ersten vier Wochenenden können Interessierte das System kostenfrei testen. Danach richtet sich der Fahrpreis nach den Tarifbestimmungen, regu-

lär 3,20, im Abo 2,50 Euro. Die Routen für die Busse werden dann von einem Algorithmus in Echtzeit entsprechend der jeweiligen Nachfrage berechnet. Auch die Anfahrt des Busses lässt sich in Echtzeit verfolgen. Buchung und Bezahlung der Tickets sind allerdings ausschließlich per App möglich. Um das erste Projekt dieser Art in einer deutschen Großstadt um-

setzen zu können, stellt ein Berliner Start-up eine MobilitätsPlattform zur Verfügung. Das Unternehmen legt aktuell auch die technische Grundlage für ein kleines Demand-Bus-System im 8.000 Einwohner zählenden Freyung. “Wie an vielen Orten Im ländlichen Raum kann der ÖPNV in Freyung die Bedürfnisse der Bürger aktuell nicht optimal bedienen“, sagte Bürgermeis-

ter Dr. Olaf Heinrich. Mit dem neuen System will der Ort im äußersten Osten Niederbayerns die Qualität der Mobilität nun verbessern und Kosten senken. Der private Plattform-Betreiber erklärte, dass viele kommunale Anfragen für weitere Projekte auch aus Europa vorlägen. Auch in Deutschland könnte dennoch noch in diesem Jahr ein zusätzliches Bus-System starten.

rund fünf Prozent auf 155,3 Mio. Euro erhöht – das kommunale Unternehmen lieferte damit so viel Bahnstrom an private Bahngesellschaften wie die gesamte Universitätsstadt im Jahr verbraucht.

Sonderprogramm kleine Gewässer (BS/ein) Mit einem Sonderförderprogramm unterstützt das bayerische Umweltministerium künftig Kommunen im Freistaat bei der lokalen Vorsorge gegen Sturzfluten. Drei Millionen Euro sind für das Risikomanagement vor Ort vorgesehen, damit vor allem kleine Kommunen, für die Sturzfluten sonst eine existenzielle Bedrohung darstellen können, bei individuellen Konzepten unterstützt werden. Das Programm beziehe auch Hochwasservorsorge bei Flächennutzung oder Bauleitplanung ein, teilte das Ministerium mit. Der Fördersatz je Konzept beträgt 75 Prozent. Die max. Zuwendung soll bei 150.000 Euro liegen.

Städtetag: “Ausbau digitaler Bildung” (BS/ein) Die ostdeutschen Städte haben Bund und Länder aufgefordert, mit den Städten gemeinsam einen Masterplan “Ausbau digitaler Bildung“ zu entwickeln. Die Digitalisierung in den Schulen sei eine dringende Aufgabe mit Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Zudem müsse die neue Bundesregierung u. a. die Schulhausvernetzung und die Ausstattung mit digitalen Endgeräten sicherstellen, die der Bund im Herbst 2016 mit dem DigitalPakt#D angekündigt hatte. Die Verantwortlichkeiten müssten hier festgelegt und die Finanzierung geklärt werden.

www.oeffentliche-infrastruktur.de

Themen auf dem Kongress u.a.

12. Bundeskongress

» Zukunftsfeste Verwaltungs- und Bildungsinfrastruktur

Öffentliche Infrastruktur

» Modelle für ein flächendeckendes Glasfasernetz bis 2025

Infrastruktur-Agenda 2020 30. November 2017 30 2017, Vienna House Andel’s Berlin

HAUPTREDNER u.a.

Ashok Sridharan ist Oberbürgermeister der Bundesstadt Bonn

» Warenkontor Innenstadt – mit Hubs, Pedelecs und Drohnen? » Wie dem Investitionsstau wirklich zu begegnen ist! » Flexiblere und emissionsarme Mobilität » Großprojekte – was nach der Bundestagswahl anders wird

Kathrin Schneider ist Ministerin für Infrastruktur und Landesplanung in Brandenburg.

Thomas Webel ist Minister für Verkehr und Landesentwicklung in Sachsen-Anhalt

Eine Veranstaltung des


Kommunalpolitik

Seite 16

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Eine bürgerlich-politische Kooperation

B

ehörden Spiegel: Herr Dr. Hassemer, Sie sind seit Jahrzehnten am politisch-gesellschaftlichem Diskurs beteiligt. Aktuell hat es den Anschein, als wollten die Bürger immer stärker mitreden und selbst entscheiden. Ein positiver Trend?

Dr. Hassemer: Das “Sprech” über die Politik hat sich deutlich verschlechtert

(BS) 25 Jahre nach dem Fall der Mauer müssen sich Berliner Politik und Gesellschaft über die angestrebte Zukunft der Stadt verständigen. Dafür braucht es nach Dr. Volker Hassemer eine Stadtstrategie, in der beide Seiten gemeinsam, ernsthaft und auf Augenhöhe miteinander beraten können. Der Vorsitzende des Vorstands der “Stiftung Zukunft Berlin” und Senator a. D. plädiert gegenüber dem Behörden Spiegel dafür, Bürger nicht nur Hassemer: Im Grunde schon. bei der Sammlung von Aspekten und Fakten einzubeziehen. Nötig sei stattdessen eine gemeinsame argumentative Abwägung von Argumenten, Wir brauchen dafür aber eine bevor konkrete Entscheidungen durch die Politik zu treffen sind. Die Fragen stellte Julian Einhaus. neue Herangehensweise und eine neue Kultur zwischen Politik und Verwaltung auf der einen und Bürgern auf der anderen Seite. Wir müssen weg von Misstrauen, schlechter Rede über andere und Konkurrenzgedanken, hin zu mehr Kooperation: Beide Seiten müssen sich stärker aufeinander einstellen und sich auf Augenhöhe begeben. Gleichzeitig sollte unsere im Vergleich zu vielen anderen Staaten gut funktionierende repräsentative Demokratie nicht infrage gestellt. Behörden Spiegel: Begegnen sich Bürger, Politik und Verwaltung aktuell nicht auf Augenhöhe?

ist es aber! Deshalb verheißen auch Begriffe wie “informieren”, “aufklären” oder “mitnehmen” – die bei vielen erst einmal wie modernes bürgernahes Verwaltungs- und Politikhandeln klingen – nichts Positives. Bürger haben ihre eigene Meinung, die müssen nicht irgendwo “mit hingenommen” werden. Das ist kein Verhalten auf Augenhöhe, sondern “Kidnapping”! Stattdessen sollten Politik und Verwaltung ihre Aufgabe als verantwortliche Dienstleister für die Bürger wahrnehmen.

Behörden Spiegel: Nun gibt es Mitarbeiter in der Verwaltung, die sich in ihrer täglichen Arbeit darum bemühen, LeistunHassemer: Es gibt bundesweit gen so bürgernah wie möglich durchaus positive Beispiele. zu erbringen und Bürger auch Insgesamt kommt der zielset- im Rahmen von Crowdsourcing zende Gemeinwohl-Gedanke als Informations- und Innovationsquelle einzubringen. Liegen die “Wir brauchen dafür aber eine so falsch?

neue Herangehensweise und eine neue Kultur zwischen Politik und Verwaltung auf der einen und Bürgern auf der anderen Seite.” bei den Beteiligungsprozessen aber kaum zum Tragen. Allein der Begriff “Bürgerbeteiligung” bedeutet ja schon, dass es bei der Vorbereitung politischer Entscheidungen grundsätzlich gar nicht um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe geht. Das

Hassemer: Nein, diese Leute haben mit ihrer Herangehensweise schon einen Schritt in Richtung tatsächlicher Teilhabe gemacht. Sie sind aber viel weiter als jene, die von äußerer Einmischung in “innere” Angelegenheiten von Politik und Verwaltung sprechen. Diese Denke reicht jedoch weder heute und noch viel weniger in Zukunft,

Dr. Volker Hassemer ist Vorsitzender des Vorstands der “Stiftung Zukunft Berlin” und war u. a. im Umweltbundesamt beschäftigt, langjähriges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und zweimal Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz. Foto: BS/Stiftung Zukunft Berlin

um unser gesellschaftspolitisches Wohlergehen bestmöglich zu gestalten. Behörden Spiegel: Und die Bürger, sind die tatsächlich so weit? Hassemer: In der Stadtgesellschaft sind es ja ihre Lebensverhältnisse, über die nachgedacht und für die Verbesserungen angestrebt werden. Es handelt sich um Erfahrungen, Ziele, Vergleichsfälle und Hoffnungen, die die Bürger in sich tra-

Hassemer: Ich vergleiche das gern mit dem aufkommenden Umweltschutz vor rund 40 Jahren: Bislang existieren wie damals für den Umweltschutz, weder genug Wissen noch Gelder oder Personal. Und von allein wird es das auch nicht geben – wir müssen diesen Prozess zügig beginnen, vorantreiben und dann geduldig und zäh am Ball bleiben, um einen Bewusstseinswandel zu erzeugen. Und eine neue Kultur zu erreichen. Behörden Spiegel: Was ist das wichtigste Moment, wenn es denn in einem solchen Rahmen zur Vorbereitung politischer Entscheidungen kommt? Hassemer: Neben der richtigen Verfahrensstruktur und qualifizierten Teilnehmern halte ich es für überaus bedeutend, dass sich die Vertreter zuerst darauf verständigen, wo es gemeinsame Positionen und dadurch Zusammenhalt gibt. Selbst bei scheinbar gegensätzlichsten Gruppen wie etwa Rad- und Autofahrern ist das möglich. Und für die Gesprächsatmosphäre sehr dienlich!

Inklusion vor der eigenen Haustür

Livestream auch in Bayreuth sprechenden Politiker aus. Eine Umfrage des Behörden Spiegel unter den 20 deutschen Großstädten zwischen 200.000 und 300.000 Einwohnern hatte im März dieses Jahres ergeben, dass mehr als die Hälfte von ihnen ihre Ratssitzungen übertragen. Während Ratssäle oft nur ein paar Dutzend Zuschauer fassen, bieten verschiedene mediale Kanäle nahezu unbegrenzte Teilnehmerzahlen. Aber auch viele Dinge zu beachten: Räte sind keine Parlamente, sondern Teil der Exekutive. Es gilt ein besonderer Persönlichkeitsschutz. In Bayreuth ist darüber hinaus sogar die maximale Teilnehmerzahl der Live-Stream-Zuschauer auf 500 begrenzt. Eine solche Restriktion hatte die Befragung vom März in keiner Stadt ergeben.

Städtetrio ausgezeichnet (BS/ein) Die Zusammenarbeit zwischen Iserlohn, Chorzów (Polen) und Nyiregyháza (Ungarn) ist von der Stiftung Lebendige Stadt als “lebendigste Städtepartnerschaft” prämiert worden. “Nicht nur die Stadtverwaltung engagiert sich stark bei ihren Partnerschaften, auch ehrenamtliche Komitees übernehmen Verantwortung”, sagte Bundesumweltstaatssekretär Gunther Adler bei der Preisverleihung Ende September. Der Grundstein für die erfolgreiche Partnerschaft der drei Städte aus Deutschland, Ungarn und Polen wurde 1989 mit der Partnerschaft zwischen der Stadt Iserlohn und der ungarischen Stadt Nyiregyháza gelegt. Zu Beginn stand der kulturel-

Behörden Spiegel: Gibt es denn Haushaltsmittel für Ihr Vorhaben?

Das Projekt “Kommune Inklusiv” der Aktion Mensch

MELDUNGEN

(BS/ein) Ende September wurde erstmals eine Sitzung des Bayreuther Stadtrates aus dem Großen Sitzungssaal live ins Internet übertragen. Interessierte konnte die Debatten auf Rechnern oder mobilen Endgeräten verfolgen. Nach einem Ausschreibungsverfahren ist ein Unternehmen aus der Festspiele-Stadt nun dafür zuständig, für die nächsten 18 Monate die technischen Voraussetzungen zu schaffen und für eine reibungslose Übertragung per Livestream zu sorgen. Ein nachträgliches Anschauen etwa über eine Mediathek sei aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich, teilte die Stadtverwaltung. Auch haben nicht alle Stadträte zugestimmt, gefilmt zu werden. Ein Filmteam arrangiert deshalb die genauen Aufnahmen und blendet die ent-

gen. Wenn es um das GemeinBehörden Spiegel: Braucht die wohl gehen soll, müssen diese Politik das Wissen der Bürger? Menschen eng daran teilhaben, dies zum Ausdruck zu bringen Hassemer: Gerade mit Blick und die bestmögliche Entschei- auf Berlin wird deutlich, dass dungsgrundlage zu bereiten. alle Last auf der Politik liegt. Entscheiden Die Landesmuss in unseregierung ist “Es zählt nicht die Zahl ü b e r f o r d e r t rem parlamender Köpfe, sondern ihr und überfortarisch-demokratischen dert sich auch Inhalt.” System dann selbst, wenn die Politik. sie die Bürger Gleichwohl sind sich vielerorts weiterhin außen vor lässt und nicht nur Politik, sondern auch ihnen zugleich alles verspricht. die Bürger im Unklaren über Nicht nur in Berlin hat sich das ihre Rolle. Beide Seiten stehen “Sprech” über die Politik in den in der Verantwortung. letzten Jahrzehnten deutlich verschlechtert. Viele Bürger haBehörden Spiegel: Welche Un- ben gar keine Leistungserwarterschiede sehen Sie zwischen tung mehr und sind resigniert. Ihrem Ideal und den bekannten Einige regen sich deshalb mittBürger- und Volksentscheidun- lerweile weniger auf – das verbessert die politische Situation gen? aber nicht! Hassemer: Es zählt nicht die Behörden Spiegel: Als “StifZahl der Köpfe, sondern ihr Inhalt. Es geht um qualitative tung Zukunft Berlin” versuchen Mitwirkung und den Einbezug Sie derzeit, die Fraktionen dafür der Kompetenz der Bürger. Das zu gewinnen, nach der nächsten Beispiel des jüngsten Votums Wahl gemeinsam mit den Bürüber den Flughafen Berlin-Tegel gern über die Zukunft der Stadt zeigt, dass solche direkt-demo- zu beraten. Wie läuft das? kratischen Abstimmungen, die Hassemer: Der Vorschlag nicht durch Bürger und Politik vorbereitet und durchdacht sieht erstmalig vor, dass beide worden sind, uns auch nicht wirklich partnerschaftlich mitweiterbringen. Im Gegenteil! einander umgehen und keine Nun steht die Politik vor einer Seite Inhalte oder Prozesse alkaum lösbaren Aufgabe und lein bestimmen darf. Dazu hasieht sich erneut allein verant- ben wir uns eine Verfahrensstruktur überlegt sowie einen wortlich. Ein Dilemma.

Vorschlag für eine Gruppe aus 30 Menschen gemacht, die die Stadtgesellschaft in dem Verfahren repräsentieren soll. Bislang gab es daran keine Kritik. Alle Parteien in Berlin haben uns zugesagt, sich daran beteiligen zu wollen. Trotzdem wird das noch ein sehr schwieriger Weg: Es geht hier nicht um einfache Treffen, die in zwei, drei Stunden abgehandelt sind, sondern um eine wirkliche Entwicklung von Ideen – langfristig, transparent und respektvoll.

le Austausch im Vordergrund. Es wurden Künstlersommercamps, Kultursymposien und Kunstausstellungen organisiert. Um die Städtepartnerschaft weiterzuentwickeln, wurde im Jahr 2007 eine von Iserlohn organisierte Städtepartnerschaftskonferenz mit dem Ziel veranstaltet, die Kooperation zu einer vertiefenden Projektarbeit weiterzuentwickeln. Seither wurden zahlreiche Projekte erfolgreich durchgeführt, wie Sportevents, Schüleraustausche oder Kunstprojekte. Die drei Städte könnten so zum Vorbild für das Zusammenleben der Städte und Gemeinden in Europa werden, erklärte Staatssekretär Adler.

(BS/Marion Theisen*) Inklusion in der Schule ist jedem ein Begriff. Aber was ist mit dem Turnverein, dem Café um die Ecke? Was ist mit Arbeitsplätzen und Konzerthäusern? Fünf Modellkommunen beschreiten fünf Jahre lang gemeinsam den Weg zur inklusiven Kommune. Sie nehmen am Projekt “Kommune Inklusiv” der Aktion Mensch teil. Das ist ein dickes Brett, das es da zu bohren gilt. Denn in fünf Modellkommunen geht es seit diesem Jahr nicht nur darum, allen mal die Hand zu reichen und sich der gegenseitigen Hochachtung zu versichern. Vielmehr geht es darum, Inklusionsnetzwerke mit Partnern aus Verwaltung, Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfe und Unternehmen aufzubauen. Und zwar langfristig und nachhaltig. Dabei sollen Strukturen und Denkweisen grundlegend verändert sowie Teilhabe und Partizipation gefördert werden. Und das sind die fünf Modellkommunen:  Erlangen,  die Verbandsgemeinde Nieder-Olm,  Rostock,  Schneverdingen,

 Schwäbisch Gmünd. So verschieden sie sind, so unterschiedlich gestaltet sich in den kommenden Jahren auch ihr Weg zu einer inklusiven Kommune.

Fünf Kommunen, fünf Jahre Erlangen in Mittelfranken hat schon in den achtziger Jahren viel für Rollstuhl-Fahrer bewegt. Rampen und Niederflurbusse sind dort selbstverständlicher Teil des Stadtbildes. Nun möchten die Erlanger mehr Freizeitangebote für gehörlose und auch für ältere Menschen schaffen. Nieder-Olm in der Nähe von Mainz hat Geflüchtete im Fokus und will sie besser in den Arbeitsmarkt integrieren. Außerdem soll es mehr Freizeitund Bildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung geben. Rostock konzentriert sich bei neuen Inklusionsprojekten

vor allem auf Kinder und Jugendliche mit körperlichen Behinderungen. In Schwäbisch Gmünd bei Stuttgart geht es hauptsächlich um Bildung. Und im niedersächsischen Schneverdingen soll unter anderem das Inklusionsbewusstsein der Bevölkerung erhöht werden. Bei diesen Plänen begleitet und berät die Aktion Mensch die Modellkommunen über einen Zeitraum von fünf Jahren. Sie bietet ihnen Schulungen zu Themen wie Netzwerkbildung, Projektmanagement oder Pressearbeit an. Darüber hinaus gehört zur Förderung eine finanzielle Unterstützung. Insgesamt sollen die fünf sehr verschiedenen Modellkommunen zu Blaupausen für alle Städte und Gemeinden in Deutschland werden. Die Goethe-Universität Frankfurt erfasst, was sie im Laufe des Pro-

jekts erreichen. Auf diese Weise können später Gemeinden in ganz Deutschland vom Projekt Kommune Inklusiv profitieren.

Plattform und Forum Auf der Online-Plattform www. kommune-inklusiv.de stellt die Aktion Mensch weitere Informationen bereit. Hier können sich auch Kommunen informieren, die nicht am Projekt mitwirken. Die Plattform soll bald um ein Forum erweitert werden, damit Beteiligte und Interessierte sich zu ihrer Inklusionsarbeit austauschen können. Übrigens findet Ende Februar 2018 in Köln eine groß angelegte Tagung statt. Sie widmet sich der Frage: Wie lässt sich Inklusion vor Ort am besten umsetzen? *Marion Theisen ist freie Journalistin.

In fünf Modellkommunen geht es u. a. darum, Inklusionsnetzwerke mit Partnern aus Verwaltung, Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfe und Unternehmen aufzubauen. Fotos: BS/Aktion Mensch, Jennifer Rumbach


Kommunalpolitik

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 17

Schule für Flüchtlinge öffnet in Hagen

“Sind bereit, die Kosten zu tragen”

Lehrerverband kritisiert “falsches Signal”

Fuchtel: kommunale Mitarbeit in der Entwicklungshilfe festschreiben

(BS/ein) In Hagen hat Ende September eine Schule nur für Flüchtlingskinder eröffnet. In einem vorherigen Asylbewerberheim und gleichermaßen einem ehemaligen Schulgebäude werden bis zu 100 Kinder unterrichtet. Der Verband Bildung und Erziehung NRW (VBE) kritisiert diese Notlösung – die Schülerzahlen in den städtischen Schulen sind in der Vergangenheit enorm gestiegen.

(BS/ein) “Nirgends in Europa wurden die Probleme so gut bewältigt wie in Deutschland”, erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ), Hans-Joachim Fuchtel, mit Blick auf den Flüchtlingszustrom. Die kommunale Ebene habe dabei Großes geleistet, nicht nur Erfahrungen und Mittel eingebracht, sondern “Gesichter und Herz” gezeigt.

Die Hagener Schulen haben durch Zuwanderung mittlerweile 3.000 Schüler mehr als noch vor fünf Jahren zu erwarten war. Ziel sei es nun, den jungen Zuwanderern die Eingliederung in eine Regelschule zu erleichtern, erklärte Jochen Becker, Leiter des Fachbereichs Bildung der Stadt Hagen. “Wenn die Schule das, was wir uns von ihr erhoffen, leistet, dann wird es gelingen, die Kinder genau an die Schule zu bringen, wo sie dann hinterher auch einen guten Abschluss machen werden.”

Verband fordert Integration in Regelklassen Für die Schüler der neuen Realschule hat der Regierungsbezirk Arnsberg sieben zusätzliche Stellen geschaffen. Sechs Lehrer und eine Schulsozialarbeiterin werden die Kinder betreuen. Geplant ist eine individuelle Förderung in kleinen Klassen für ein Jahr. Unterstützung gibt es vom Jugendforum und den Kirchengemeinden in der Umgebung. Kritik dagegen vom Leh-

rerverband. Die Lösung ist aus Sicht des Verbands Bildung und Erziehung NRW “in keiner Weise vertretbar”. “Daran ändert auch nichts, dass das Schulministerium und die Bezirksregierung mantrahaft wiederholen, dass dies eine Ausnahmesituation sei“, erklärte der Vorsitzende und plädiert dafür, die Schule schnellstmöglichst wieder aufzulösen. Kernproblem sei, dass die Flüchtlingskinder unter sich blieben, was den Erwerb der deutschen Sprache massiv erschwere und eine frühzeitige schulische Integration verhindere. “Zudem könnte dies angesichts der aktuellen politischen Lage nach der Landtags- und der Bundestagswahl ein falsches Signal senden.” Deshalb sei sofort zu prüfen, inwieweit einzelne Schüler schon jetzt in Regelklassen anderer Schulen integriert werden könnten, selbst wenn es an bestehenden Schulen in Containern passiere, so Beckmann. Aufgrund fehlender anderer Kapazitäten besteht auch in in

Mülheim an der Ruhr seit einem Jahr eine Schule mit ähnlichem Konzept. Viele der Schüler dort hätten noch nie eine Schule besucht und müssten deshalb erst einmal lesen und schreiben lernen, heißt es. Außerdem würden grundsätzliche Fertigkeiten wie der Umgang mit Lineal oder Schere trainiert sowie Umgangsformen geübt. Hier sollen sollen die Kinder nach zwei bis drei Jahren auf eine Regelschule wechseln.

Mülheim und Duisburg als Referenz In Duisburg startete das Projekt “Internationales Qualifizierungscenter”, das an eine Gesamtschule angedockt ist. Ein Jahr soll getestet werden, wie auf diesem Wege 60 Zuwanderer-Kinder ab zehn Jahren in sechs Monaten auf weitere Schulformen vorbereitet werden können. Sollte das Projekte erfolgreich sein, könnten zwei weitere solcher Zentren in Duisburg entstehen.

Zu Besuch bei alten Freunden Senioren-WG neben der Kindertagesstätte (BS/Birk Grüling*) Im Altenburger “Haus der Generationen” lebt eine Senioren-WG direkt neben der Kindertagesstätte. Die Deutsche Fernsehlotterie unterstützt dieses besondere Beispiel für das Miteinander von Jung und Alt. Ingrid Lichtenstein lässt sich auf ihr Sofa sinken. Die Hände der grauhaarigen Frau sind bunt von Lebensmittelfarbe, auf der Wange hat sie etwas Mehl. “Wir machen jetzt mal eine kurze Pause. Die Kekse müssen vor dem Verzieren noch in den Backofen”, sagt die Seniorin zu ihren kleinen Mitbäckern. Der Vorschlag bleibt unbeachtet, Bruno und Emilia ist nicht nach Sofa. Lieber toben die beiden Kinder mit Bulldogge Werner durch die Wohngemeinschaft. Lächelnd blickt Lichtenstein ihnen nach. Lebhaften Besuch haben sie und ihre beiden Mitbewohnerinnen oft, wenn die Kinder aus der Kita kommen – mal zum Backen, mal zum Vorlesen. Die ambulant betreute Seniorinnen-WG im “Haus der Generationen” in Altenburg liegt Tür an Tür mit der Kindertagesstätte “Zwergenland”. Außerdem gibt es im Haus drei barrierefreie Wohnungen und eine Begegnungsstätte der Arbeiterwohlfahrt. Die Deutsche Fernsehlotterie unterstützte die AWO Altenburg mit 300.000 Euro bei der Umsetzung des generationenübergreifenden Wohnprojektes. Für Christian Kipper, Geschäftsführer der Deutschen Fernsehlotterie und der Stiftung Deutsches Hilfswerk, sind Projekte, die Jung und Alt zusammenbringen, eine Herzens-

Traditionsreichste Soziallotterie Deutschlands Die Deutsche Fernsehlotterie ist die traditionsreichste Soziallotterie Deutschlands. Zusammen mit ihren Mitspielern unterstützt sie das Gemeinwesen in Deutschland. Von 1956 bis heute erzielte sie einen karitativen Zweckertrag von über 1,8 Milliarden Euro und konnte so durch ihre Stiftung, das Deutsche Hilfswerk, mehr als 8.000 Projekte fördern. Mindestens 30 Prozent der Einnahmen fließen direkt in soziale Projekte, weitere 30 Prozent fließen in Form von Gewinnen zurück an die Mitspieler der Fernsehlotterie.

angelegenheit. “Die Deutsche Fernsehlotterie gestaltet seit über 60 Jahren das solidarische Miteinander in Deutschland”, sagt er. Mit Blick auf den demografischen Wandel spielen Mehrgenerationen-Projekte wie das Haus in Altenburg eine immer wichtigere Rolle. Sie bringen nicht nur Jung und Alt zusammen, sondern vernetzen auch die Menschen im Quartier. Denn für die jüngere Generation ist die Betreuung von älteren Angehörigen oft schwierig. “Eine lebendige Nachbarschaft kann das System Großfamilie ersetzen. Als Soziallotterie übernehmen wir deshalb Verantwortung bei der Organisation dieses Miteinanders”, so Kipper. In Altenburg können Senioren auch mit einer beginnenden Demenzerkrankung ein selbstbestimmtes Leben führen. Pflegekräfte unterstützen, wenn sie gebraucht werden. Die Möglichkeit, das eigene Leben so lange wie möglich selbst zu gestalten, ist keine Selbstverständlichkeit

– und wird von den Bewohnerinnen und Bewohnern geschätzt. “Ich lebe gerne hier. Die Menschen sind sehr nett, das Essen ist gesund und lecker und die Kinder bringen Abwechslung in den Alltag. Das bereitet mir Freude”, erklärt Lichtenberg.

Partner der Demografiewerkstatt Kommune Die Fernsehlotterie fördert über ihre Stiftung Deutsches Hilfswerk nicht nur Projekte zur sozialen Quartiersentwicklung, sondern ist auch Partner der “Demografiewerkstatt Kommunen” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Projekt unterstützt ausgewählte Kommunen und Landkreise bei der Entwicklung neuer Ansätze für ein altersfreundliches, aktives und selbstbestimmtes Leben und ein generationenübergreifendes Miteinander. *Birk Grüling ist freier Journalist in Hamburg

MELDUNG

Kommunen im Nordosten fordern einen Sozialarbeiter je 300 Schüler (BS/ein) Der Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern (StGt MV) hat Mitte September ein Positionspapier zur Schulsozialarbeit beschlossen. “Wir wollen erreichen, dass Schulsozialarbeit integraler Bestandteil an jeder Schule in unserem Land wird”, erklärte Thomas Beyer, Bürgermeister der Hansestadt Wismar, der zum stellvertretenden Vorsitzenden des Verbands gewählt wurde.

Schulsozialarbeit sei Bestandteil der inneren Schulverwaltung und vom Bildungsministerium zu tragen. Das Land müsse deshalb künftig auch die Kosten dafür tragen, so der StGt. Die Kassenlage der Gemeinden dürfe nicht weiterhin darüber entscheiden, ob es an einer Schule Schulsozialarbeit gebe oder nicht. Je nach Schülerzahl braucht es laut Papier auch mehrere Schulsozialarbei-

ter je Schule. Pro 300 Schüler müsse aber zumindest ein Schulsozialarbeiter tätig sein. Eine Beschäftigung der Schulsozialarbeiter als Landesangestellte gewährleiste zudem eine höhere Kontinuität der Aufgabe. Das sei gerade für die angestrebte inklusive Beschulung möglichst vieler Schüler notwendig – die Gemeinden rechnen hier mit einem Anstieg von Problemlagen.

Fuchtel plädierte dafür, Migrationsströmen viel stärker an der Wurzel und damit präventiv zu begegnen: “Wer sieht, was in Afrika los ist, weiß, dass in einer ganz anderen Dimension gehandelt werden muss!” Die Zeit sei gekommen, das Knowhow und die Erfahrungen deutscher Städte, Gemeinden und Landkreise stärker für die Entwicklungsarbeit zu berücksichtigen. Die kommunalpolitische Mithilfe soll demnach künftig als konkreter Teil in die Zusammenarbeit mit anderen Ländern aufgenommen werden.

1.000 Kommunen für Kooperationen gewinnen Die Vorteile liegen laut des CDU-Politikers auf der Hand: Viele Bürgermeister bringen konkrete Ideen mit, wie sich was vor Ort umsetzen lässt. Hinzu kommen vielfältige Kontakte zu lokalen und regionalen mittelständischen Unternehmen. Der Staatssekretär sieht etwa die Möglichkeit, die unzähligen Erfahrungen, die Kommunen bundesweit im Bereich ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten und im Infrastrukturausbau gesammelt haben, einzubringen. Die Welt müsse nicht noch Dekaden warten, um das Wissen etwa bei guten Lösungen zur Müllentsorgung und -verwertung doppelt

Gesichter, Engagement und Herz zeigen, im eigenen Land wie in der Zusammenarbeit mit anderen Staaten: PSts Hans-Joachim Fuchtel (Mitte) will sich für mehr kommunale Mittel einsetzen. Foto: BS/Einhaus

aufzubauen. Vielerorts sei es bereits vorhanden.

“Ein Wandel im Denken muss stattfinden” “Wir wollen uns nicht aufdrängen, sondern suchen die Augenhöhe”, betonte Fuchtel. Nicht nur in den vielen bilateralen Projekten zwischen deutschen und griechischen Kommunen habe sich gezeigt, dass die deutsche Verwaltung weltweit als ein Markenartikel gelte. Rund 650 Kommunen engagierten sich bereits. “Wir wollen diesen Ansatz nun verdoppeln und mindestens 1.000 Kommunen dafür gewinnen, mitzumachen”, kündigte der Staatssekretär bei einem

Kommunalkongress der KGSt in Kassel an. Bisher sei es für Kommunalpolitiker aber sehr schwer, wenn sie sich an Hilfs- und Aufbauprojekten im weltweiten Ausland engagieren wollten. Allein für Fahrten in die jeweilige Landeshauptstadt oder nach Berlin müssten sich Bürgermeister und Landräte bisweilen rechtfertigen. “Hier muss ein Wandel im Denken stattfinden.” Um weitere Aktivitäten kommunaler Akteure zu unterstützen, sei man auch bereit, zu bezahlen, versprach Fuchtel und richtete den Blick auf die bevorstehenden Koalitionsverhandlungen im Bund.

MELDUNG

Kommunalwahlen – starke Amtsinhaber (BS/ein) Parallel zu den Bundestagswahlen fanden bundesweit mehr als 120 Kommunalwahlen statt. Dabei haben sich gerade in den Landkreisen und größeren Städten vielerorts die Amtsinhaber durchgesetzt. So konnten etwa die drei bayerischen Landräte ihre Ämter verteidigen. Herbert Eckstein (LK Roth) sowie die CSU-Politiker Christian Meißner (LK Lichtenfels) und Gerhard Wägemann (LK Weißenburg-Gunzenhausen) wurden wiedergewählt. SPD-Mann Eckstein ist gleichzeitig 2. Vizepräsident beim Bayerischen Landkreistag. Auch im hessischen Landkreis Vogelsberg setzte sich Amtsinhaber Manfred Görig durch. Im nordrhein-westfälischen Kreis

Neuwied gewann der bisherige Landrat und CDU-Politiker Achim Hallerbach die Wahl. Mit rund 57 Prozent der Stimmen setzte sich der bisherige Oberbürgermeister Duisburgs, Sören Link, durch. Der 41-Jährige ist nun für eine Amtszeit von acht Jahren bis 2025 gewählt. Im niedersächsischen Helmstedt wurde Wittich Schobert (CDU) erneut zum Stadtoberhaupt gewählt. Neuer Oberbürger in Offenbach am Main ist Felix Schwenke (siehe auch S. 24 unten). Der SPD-Politiker setzte sich in der Stichwahl gegen den CDU-Politiker Peter Freier durch. Der bisherige OB Horst Schneider (SPD) war nicht wieder angetreten. Keine absoluten Sieger brach-

ten die OB-Wahlen in Koblenz und Ludwigshafen hervor. Hier finden Mitte Oktober Stichwahlen statt. In Koblenz war der amtierende Oberbürgermeister Joachim Hofmann-Göttig (SPD) nicht wieder angetreten, sodass nun David Langner mit vorläufig 42,8 Prozent und Bert Flöck (beide Einzelbewerber) mit 25,6 Prozent in die Stichwahl gehen. In Ludwigshafen stehen sich am 15. Oktober die SPD-Politikerin Jutta Steinruck (48,3 Prozent im ersten Wahlgang) und der CDU-Politiker Peter Uebel (40,1 Prozent) gegenüber. Die langjährige Oberbürgermeisterin und frühere Präsidentin des Deutschen Städtetags, Eva Lohse (CDU), war nicht mehr zur Wiederwahl angetreten.


Seite 18

Personelles

Behรถrden Spiegel / Oktober 2017


Behรถrden Spiegel / Oktober 2017

Personelles

Seite 19


Kommunaler Haushalt

Seite 20

I

nnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) erklärte, dass jede Kommune das Recht haben sollte, selbst zu entscheiden, ob die Bürger Straßenbaubeiträge zahlen müssen oder nicht. Er betonte: “Es wird nichts verboten, niemandem werden Grenzen gesetzt, sondern es gibt neue Gestaltungsmöglichkeiten und Eigenverantwortung.” Stephan Holowaty (FDP) versprach den Kommunen, dass es echte Wahlmöglichkeiten geben werde. Ein Verzicht auf die Erhebung der Beiträge werde nicht zu Nachteilen bei der Genehmigung des Kommunalhaushaltes oder der Mittelzuweisung des Landes führen. Konsolidierungsgemeinden würden nicht schlechter gestellt oder gar bestraft werden. Die von der Koalition angestrebte Änderung der Gemeindeordnung wird unter anderem damit begründet, dass der Verwaltungsaufwand für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen in keinem angemessenen Verhältnis zu den Einzahlungen beziehungsweise Einnahmen stehe.

Kritik an fehlenden Ausgleichszahlungen Die Grünen hatten in der alten Küstenkoalition mit SPD und SSW noch betont, dass es keinen Wettbewerb der Kommunen geben dürfe. Daher sei der jetzt vorliegende Gesetzentwurf für ihre Fraktion kein leichter Weg gewesen, gestand Ines Strehlau (Grüne) ein. Viele Gemeinden aber seien mit dem Status quo nicht zufrieden und Bürger

Handlungsfreiheit in Schleswig-Holstein Straßenausbaubeiträge: Rückkehr zur “Kann“-Regelung (BS/lkm) Kommunen in Schleswig-Holstein sollen schon bald wieder selbst entscheiden können, ob sie von Anwohnern Beiträge für den Straßenbau vor ihrer Haustür erheben oder darauf verzichten wollen. Das sieht ein Gesetzentwurf der Jamaika-Koalition vor, mit dem sie die 2012 von der rot-grün-blauen Vorgängerregierung eingeführte Pflicht-Erhebung wieder rückgängig machen möchte. Auf kommunaler Seite zeigt man sich skeptisch über die neue Kann-Regelung. monierten immer wieder nicht nachvollziehbare Entscheidungen der Verwaltung. Beate Raudies (SPD) hielt der Koalition dagegen vor, die Verantwortung in die kommunalen Vertretungen zu verschieben. “Sie kippen diese Probleme den Kommunalpolitikern vor Ort vor die Füße, die sich neben der nebulösen Finanzierung auch noch mit den absehbaren Protesten der Zukurzgekommenen herumschlagen dürfen.” Viel schlimmer sei aber, so Raudies, dass der versprochene finanzielle Ausgleich für Kommunen, die auf Ausbaubeiträge verzichten wollen, “auf den Sankt Nimmerleinstag” verschoben werde. Innenminister Grote betonte in seiner Rede, dass man die Kommunen hier aber bewusst in die Pflicht nehmen wolle: “Natürlich wollen einige Kommunen die Straßenausbaubeiträge weiterhin pflichtig erhoben haben, weil sie mit den Bürgern keine kommunalpolitische Debatte suchen wollen”. Oft höre er hier die Ausrede, man wolle ja, aber die in Kiel hätten anders entschieden. Kommunen dürften sich, so Grote, hier nicht nur

Es gibt Kommunen, die sich einen Verzicht auf die Straßenausbaubeiträge leisten können. Andere hingegen können das nicht so einfach. Straßenausbaubeiträge sind daher ein emotionales Thema in der Kommunalpolitik. Die Meinungen dazu gehen hier bisweilen weit auseinander. Foto: BS/Florentine, pixelio.de

die Rosinen rauspicken. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung gehöre es auch dazu, solche kritischen Themen in den Kommunen zu besprechen. Mit dem neuen Gesetz werde den Kommunen mehr Gestaltungsmöglichkeiten und damit mehr Eigenverantwortung gegeben, so er Innenminister.

Bedenken bei Kommunen Bereits vor knapp einem Jahr hatte die CDU zusammen mit den Piraten erfolglos die Rückkehr zur freiwilligen Erhebung der Beiträge gefordert. Der Gemeindetag Schleswig-Holstein gab damals zu bedenken, dass

“Abwasserverbände”

Zentrale Abwasserverbände sind ökonomischer und ökologischer von Dr. Ulrich Keilmann

Zentral strukturierte Abwasserverbände • erfüllen ihre Aufgaben wirtschaftlicher und • ihre Reinigungsleistung ist deutlich besser. Dies war das Ergebnis der überörtlichen vergleichenden Prüfung, in der wir die Wirtschaftlichkeit der Abwasserbeseitigung bei 17 hessischen Abwasserverbänden (AV) auf den Prüfstand stellten. Den Zusammenhang zwischen Verbandsstruktur und Umlage (Wirtschaftlichkeit) konnten wir deutlich anhand der untenstehenden Regression nachweisen (Ansicht 1). Ein Abwasserverband A unterhielt zum Prüfungszeitpunkt fünf Kläranlagen mit je einem genehmigten Reinigungsvolumen von knapp über 4.700 Einwohnern. Die durchschnittliche kostendeckende Umlage lag dort bei 146 Euro pro Einwohner und damit weit über dem Medianwert. Eine gänzlich andere Struk-

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Dr. Ulrich Keilmann leitet die Abteilung Überörtliche Prüfung kommunaler Körperschaften beim Hessischen Rechnungshof in Darmstadt. Foto: BS/Hessischer Rechnungshof

tur wies der Abwasserverband B auf. Hier gab es nur eine Kläranlage, allerdings mit einer genehmigten Ausbaugröße für 70.000 Einwohner. Mit nur 32 Euro je Einwohner belastete der Verband seine Mitglieder am geringsten und bestätigte die Korrelation zwischen Verbandsstruktur und Höhe der Verbandsumlage. Daneben untersuchten wir, ob größere Kläranlagen bessere Reinigungsleistungen erreichten. Auch das weist die untenstehende Regressionsanalyse (Ansicht 2) aus. Der o. a. Abwasserverband A

Abwasserverband A (5 KA, 4760 EW gen.)

Abwasserverband B (1 KA, 70.000 EW gen.)

Werte je angeschlossenem Einwohnerwert

schöpfte lediglich ein Drittel der Reinigungsleistung aus. Abwasserverband B zeigte hingegen die höchste Reinigungsleistung im Vergleich von 80 Prozent. Insofern wirkt sich die zentrale Verbandsstruktur auch positiv auf die Reinigungsqualität aus. Soweit sachgerecht und wirtschaftlich möglich, sollten die Abwasserverbände, gerade vor anstehenden größeren Investitionen den Anschluss von kleineren an größere Kläranlagen mit freien Kapazitäten erwägen. Verbandszusammenschlüsse oder -erweiterungen sind ebenfalls Möglichkeiten, größere und damit effizienter arbeitende Einheiten zu schaffen. Lesen Sie mehr zum Thema “Abwasserverbände” im Kommunalbericht 2016, Hessischer Landtag, Drucksache 19/3908 vom 2. Dezember 2016, S. 214 ff.

Abwasserverband A

Abwasserverband B

Quelle: eigene Erhebungen; Stand: Januar 2016

mit einer Abschaffung der Pflicht zur Erhebung der Beiträge in all den Gemeinden, in denen das Straßenausbaubeitragsrecht bisher erfolgreich umgesetzt wurde, sofort kommunalpolitische Initiativen zur Abschaffung von Straßenausbaubeitragssatzungen hervorgerufen werden könnten. Insbesondere wegen der Signalwirkung hätte die

Änderung der Finanzierungsgrundsätze Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen kommunaler Infrastruktur insgesamt. “Es dürfen insbesondere nicht diejenigen Kommunalpolitiker “im Regen stehen gelassen” werden, die in den vergangenen Jahren für die Durchsetzung von Straßenausbaubeiträgen “den Kopf hingehalten haben”,

schreibt der Kommunalverband in einer Stellungnahme zur Aufhebung der Rechtspflicht. Auch in den Kommunen ist man noch skeptisch angesichts der neuen Gestaltungsspielräume, die das Land ihnen geben will. Sie sehen das Land in der Pflicht, dann an anderer Stelle für finanzielle Kompensation zu sorgen. “Wenn die künftige Landesregierung die Grundvoraussetzungen erfüllt und uns finanziell so stellt, dass wir auf die Beiträge verzichten können, dann machen wir das”, sagte etwa Andreas Gurth, CDUFraktionschef in der Gemeinde Stockelsdorf, gegenüber den Lübecker Nachrichten. Ähnlich sieht man es auch in Malente. Die Gemeinde könne es sich nicht leisten, auf die Beiträge zu verzichten, selbst wenn dadurch keine Nachteile bei der Genehmigung ihres Haushalts oder bei der Mittelzuweisung vom Land entstünden. Bürgermeisterin Tanja Rönck (parteilos) sieht die neue Regelung daher nicht als realistisch an, denn ein Verzicht auf die Beiträge bedeute dennoch einen höheren Fehlbetrag im Haushalt. Auf die Frage, wie die Gemeinde diesen stattdessen ausgleichen könne, hat sie noch keine Antwort.

Streit um Gebühr für Wahlplakate Brandenburger Kommune betritt Neuland (BS/lkm) In Brandenburg hat erstmals eine kommune Gebühren für das Aufhängen von Wahlplakaten von Parteien verlangt. Kritik kam von der CDU und den Grünen, da das Funktionieren der Demokratie durch die Gebühr eingeschränkt werde, doch das Land bestätigte, dass die Gebühr rechtens ist. In Letschin kann man die Aufregung nicht verstehen. Als finanziell klamme Kommune sei man auf jede mögliche Einnahme angewiesen. Die 4.000-Seelen-Gemeinde hat ihre Straßensondernutzungsgebühren geändert und verlangt von Parteien Gebühren für Wahlwerbung. Nachdem man in Letschin dann auch den entsprechenden Gebührenbescheid an eine Partei übersandt hatte, wurde der Antrag für die Wahlwerbung in der Gemeinde zurückgezogen. Da man in Letschin somit gar keine Einnahmen gehabt hätte, änderte man in Juni dieses Jahres nach Rücksprache mit dem Innenministerium kurzfristig die Satzung und reduzierte die Gebühr noch einmal um zwei Drittel. Fast alle Parteien hätten sich entschieden, Plakate aufzuhängen, aber eben nicht so viele. Für ein A-1-Plakat zahlen Parteien in Letschin drei Cent pro Tag. Für kommerzielle Werbung beträgt die gleiche Gebühr 25 Cent pro Tag.

Verzicht auf Wahlwerbung aus Protest Die CDU-Landtagsabgeordnete, Kristy Augustin, kritisiert das Vorgehen scharf: “Während das Land Berlin hier längst in der Lage war, eine klare Regelung zu Gebührenfreiheit zu treffen, lässt das Land Brandenburg Gemeinden und demokratische Parteien gleichermaßen im Regen stehen. Wenn das Beispiel Letschin Schule macht, wird es vielen Parteien nicht mehr möglich sein, mit Plakaten oder Großflächen auf sich aufmerksam zu machen. Das wäre ein Bärendienst für die Demokratie. Es lässt auch tief blicken, wie sehr die finanzschwachen Kommunen durch das Land ig-

In Letschin wurden zwar Wahlplakate aufgehängt, aber nicht so viele wie in anderen Städten wie hier auf dem Bild. Die CDU und die Grünen verzichteten aus Protest komplett auf Wahlplakate in der Gemeinde. Foto: BS/Karl-Ludwig Poggemann, cc by 2.0, flickr.com

noriert werden und damit solche Handlungen regelrecht erzwungen werden.” Auf rund 670 Euro belief sich die Rechnung, die die Brandenburger CDU aus Letschin für das Anbringen von rund 250 Wahlplakaten bekam. “Wir haben dieses Geld nicht”, so Augustin. Wahlkampf sei ohnehin teuer. Die CDU hat daher ihren Antrag für das Aufhängen der Plakate zurückgenommen. Auch die Grünen verzichteten aus Protest auf Wahlwerbung in Letschin. “Alles Gerede von Millionen, die die Parteien haben und dann “runterreichen” müssten, ist totaler Quatsch”, kritisiert die Landtagsabgeordnete. Auch hier gestalte sich die Finanzierung von unten nach oben. Es sei zu einem Großteil der Mitgliedsbeitrag, der die Finanzierung ausmache. Augustin betont, dass es aber vor allem um das Funktionieren der Demokratie, um die Meinungs- und Willensbildung im Vorfeld eines Urnengangs gehe, die durch eine solche Gebühr eingeschränkt werde. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg zeigt hingegen Verständnis für das Vorgehen. Formal sei es korrekt. Zudem sei es verständlich, wenn klamme Kommunen, die nur ihre Pflichtaufgaben erfüllen könnten, nach anderen Einnahmen suchten, erklärte Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Kommunalverbandes. Man könne sich daher gut vorstellen, dass auch andere Kommunen diesen Weg einschlagen.

Wenn alle Gemeinden in Märkisch-Oderland wie Letschin verfahren würden, würden für die CDU Kosten von 10.000 bis 15.000 Euro anfallen, erklärt Augustin. Sie wolle sich daher im Landtag darum bemühen, solche Gebühren für unzulässig zu erklären. Auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten bestätigte das Brandenburger Infrastrukturministerium jedoch, dass das Erheben von Gebühren für Wahlplakate durch Kommunen rechtens sei. Es handele sich um eine erlaubnispflichtige Sondernutzung, für die eine Gebühr verlangt werden könne.

Bundesweites Interesse Michael Böttcher, Bürgermeister von Letschin, zieht indes eine positive Bilanz der Gebühr. Zwar hätte man mit doppelt so hohen Einnahmen geplant, aber auch mit 367,47 Euro sei man zufrieden. Zudem hätten sich bereits Kommunen aus dem ganzen Land nach dem Gebührenmodell erkundigt. Auch in Heckelberg-Brunow, 40 Kilometer von Letschin entfernt, wollte man Gebühren für Wahlplakate erheben, hatte für die Bundestagswahl aber die Fristen verpasst. “Aber ab der nächsten Landtagswahl verlangen wir Gebühren”, so Heiko Liebig, Bürgermeister von Heckelberg-Brunow. Böttcher merkt indes noch an: “Würde das Land sein Dorf finanziell angemessen ausstatten, hätte man die Diskussion gar nicht.”


Kommunaler Haushalt

Behörden Spiegel / Oktober 2017

F

ür 21 ausgewählte Kommunen rund um den Frankfurter Flughafen stellt das Land Hessen bis zum Jahr 2021 22,5 Millionen Euro bereit, wie es aus dem hessische Wirtschafts- und Verkehrsministerium hieß. Das sind 4,5 Millionen Euro jährlich. “Wir greifen damit erneut den Kommunen mit einem hohen Millionenbetrag unter die Arme, um die negativen Folgen des Fluglärms abzumildern”, sagte der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir in Wiesbaden. Man lasse den Kommunen dabei viel Beinfreiheit, wie genau sie das Geld einsetzen möchten. “Denn die Kommunen wissen in der Regel selbst am besten, mit welchen Maßnahmen sie ihre Stadt oder ihren Ort attraktiver und lebenswerter machen können”, so der Minister. Voraussetzung sei aber, dass das Geld zur Abmilderung von Fluglärmfolgen oder zur Verbesserung der Lebensqualität in der Kommune eingesetzt werde. Al-Wazir: “Im Klartext heißt das: Haushaltslöcher stopfen ist tabu, mehr Kinder- und Jugendbetreuung, mehr Natur- und Umweltschutz oder bessere Schalldämmung für Gemeindeeinrichtungen gehen, um nur einige Beispiele zu nennen.” Finanziert werden soll der Ausgleich aus den Dividendeneinnahmen, die das Land vom Flughafenbetreiber Fraport bekommt. Im Geschäftsjahr 2016

Geld für fluglärmbelastete Kommunen Hessen plant neuen Lastenausgleich (BS/lkm) Mit dem Wachstum des Frankfurter Flughafens verdient das Land Hessen als Anteilseigner mit. Anrainerkommunen leiden wegen dieses Wachstums hingegen verstärkt unter Fluglärm. Besonders stark belastete Kommunen sollen deshalb einen finanziellen Ausgleich erhalten, mit dem sie Maßnahmen zur Abmilderung der Fluglärmfolgen umsetzten können. Kritiker bemängeln, dass die zur Verfügung gestellten Mittel weit am Bedarf der Kommunen vorbeigingen. waren das zuletzt knapp 36,6 Millionen Euro. Dass die Kommunen davon nur 4,5 Millionen Euro bekommen, findet Marius Weiss, flughafenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag, zu wenig: “Für das laufende Jahr wird mit diesem Gesetz allerdings nur etwa zehn Prozent der Einnahmen der Fraport-Dividende vom Land an die genannten Kommunen weitergegeben. Wir haben großes Verständnis für Kommunen, die dies als zu wenig erachten und werden den betroffenen Städten und Gemeinden im Rahmen einer Anhörung im Landtag die Möglichkeit geben, ihren tatsächlichen Bedarf darzulegen”, so Weiss. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass Städte und Gemeinden, die unter Fluglärm leiden müssten, auch in den Genuss des wirtschaftlichen Erfolgs des Flughafens kämen. Da das Land als Hauptanteilseigner des Flughafens mitverdiene, wenn dort Wachstum stattfinde, müsse an diesem Verdienst auch die betroffene Region partizipieren.

dend für die Leistung ist insbesondere, wie stark eine Kommune von Fluglärm belastet ist und wie viele Menschen vor Ort betroffen sind”, so Al-Wazir. “Wir orientieren uns dabei eins zu eins an den Empfehlungen des Forums Flughafen und Region und damit der betroffenen Kommunen selbst.”

Keine Ausgleichszahlungen an Frankfurt

Der Flughafen Frankfurt am Main ist der größte deutsche Verkehrsflughafen. Er ist auch eines der weltweit bedeutendsten Luftfahrtdrehkreuze. Im vergangenen Jahr gingen hier 5.593.806 Beschwerden wegen Fluglärms ein. Foto: BS/O. Fischer, pixelio.de

Leistungshöhe nach Stärke der Belastung “Viele Kommunen im direkten Umfeld des Flughafens profitieren zweifelsohne von ihrer Lage und der Nähe zu diesem internationalen Drehkreuz. Aber wir wissen auch: Mit dem Verkehr gehen für die Kommunen unterhalb der An- und Abflugbereiche erhebliche Belastungen einher”,

so der Minister. In Mainz, das jährlich 45.000 Euro erhalten wird, zeigte man sich über die Unterstützung erfreut. Das Geld sei im Kampf gegen den Fluglärm aber trotzdem nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Andere Städte wie Raunheim (469.000 Euro) und Nauheim (416.000 Euro) erhalten deutlich mehr Geld. “Entschei-

Kommunale Geldverschwendung

Landkreistag kritisiert Entschuldungsprogramm

(BS/lkm) Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat sein 45. Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung vorgestellt. Darin fasst er 118 Fälle von Steuergeldverschwendung zusammen, die seiner Ansicht nach vermeidbar gewesen wären. So zum Beispiel ein High-Tech-Mülleimer für 10.500 Euro in Köln und Grünflächenpflege für jährlich 250.000 Euro in Schleswig. Aber auch teure Fehlplanungen von Bauprojekten sind ein großes Thema im Schwarzbuch. höher liegen werden. Ein neues Gutachten soll Klarheit bringen. Einnahmeverluste im zweistelligen Millionenbereich habe Frankfurt zu verantworten. Die Mainmetropole wollte Ende 2008 die Verträge über die Werbung auf öffentlichen Flächen zum 31.12.2009 kündigen, um durch eine Neuausschreibung höhere Erlöse zu erzielen. Zwischen der Stadt und dem Werbepartner war jedoch umstritten, ob die ausgesprochene Kündigung rechtswirksam erfolgte. Da vonseiten der Stadt keine rechtswirksamen Schritte unternommen wurden und der Magistrat Ende 2016 eine weitere Kündigung der bestehenden Verträge zum 31.12.2017 vornahm, war von einer Vertragsverlängerung bis zu diesem Zeitpunkt auszugehen. Ein neuer Vertragsabschluss zu besseren Konditionen kam dadurch erst 2017 zustande. Mit dem neuen Vertrag können die jährlichen Einnahmen ab 2018 auf 4,8 Millionen Euro

annähernd verdoppelt werden. Zusätzlich wurden Umsatzbeteiligungen vereinbart. Berechnet auf die neue Vertragslaufzeit von acht Jahren sollen so insgesamt mindestens 20 Millionen Euro mehr erlöst werden. In Werdohl, in Nordrhein-Westfalen, stehen bunte Plexiglasscheiben herum – sie sollen “ein besonderes Licht auf Werdohl werfen”, so die Stadt. “Tatsächlich aber werfen diese “Sonnenfänger” vor allem ein schlechtes Licht auf den Umgang mit öffentlichem Geld”, kritisiert der BdSt. Der Rat der Stadt Werdohl hat einstimmig für das Projekt votiert. Die Begründung: Für die Stadt entstünden keine Kosten. Tatsächlich hat die Vereinigte Sparkasse im Märkischen Kreis den städtischen Eigenanteil getragen. Den größten Teil hat das Land NRW mit rund 33.700 Euro gefördert. Der Stadt fallen dem BdSt zufolge jedoch Kosten für die Verwaltungsmitarbeiter an, die die Skulpturen reinigen oder sich um Vandalis-

musschäden kümmern müssen. Und auch die Versicherungspolice für die Skulpturen kostet Geld. “Es mutet merkwürdig an, dass eine klamme Kommune, die vom Land finanziell unterstützt wird, einerseits Investitionen ohne erkennbaren Nutzen tätigt, während sie andererseits gezwungen ist, öffentliche Einrichtungen zu schließen”, gibt der Bund der Steuerzahler zu Bedenken. Mit seinen Veröffentlichungen konnte der Bund der Steuerzahler eigenen Angaben zufolge schon in zahlreichen Erfolgsfällen Steuergeld “dank konsequenter Kritik retten”. Kritiker werfen dem Verein jedoch vor, dass von ihm “angeprangerte Skandale sich allzu oft eher als Skandälchen herausstellten, die zudem aus Rechnungshofberichten abgeschrieben worden waren”. Auch der Bundesrechnungshof sieht allgemein die im Schwarzbuch verwendeten hochgerechneten Zahlen und mangelhaften Belege kritisch.

Kommunen mit Finanzierungsüberschuss Investitionen aber leicht rückläufig (BS/lkm) Die Kern- und Extrahaushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände in Deutschland wiesen im ersten Halbjahr 2017 einen Finanzierungsüberschuss von insgesamt rund 0,6 Milliarden Euro auf. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, hatte sich im ersten Halbjahr 2016 noch ein Defizit von drei Milliarden Euro ergeben. Die Einnahmen der Kommunen einschließlich ihrer Extrahaushalte beliefen sich im ersten Halbjahr 2017 auf rund 117,8 Milliarden Euro und waren damit um sieben Prozent höher als im ersten Halbjahr 2016. Für die positive Entwicklung sei vor allem der deutliche Zuwachs der Steuereinnahmen um 8,3 Prozent auf 40,9 Milliarden Euro ausschlaggebend gewesen. Die kommunalen Ausgaben erhöhten sich im gleichen Zeitraum um 3,7 Prozent auf 117,2 Milliarden Euro. Bemerkenswert sei hier vor allem ein leichter Rück-

gang bei den Sozialleistungen im ersten Halbjahr 2017 gegenüber dem Vergleichszeitraum um 0,4 Prozent auf 29,4 Milliarden Euro besonders bemerkenswert. So gingen die Ausgaben nach dem Asylbewerberleistungsgesetz um 31,8 Prozent auf zwei Milliarden Euro zurück. Diesem Rückgang stehen Zuwächse bei den Leistungen an Arbeitsuchende (SGB II) um 6,8 Prozent auf 6,4 Milliarden Euro, den Sozialhilfeleistungen (SGB XII) um 1,5 Prozent auf 14,1 Milliarden Euro und bei der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) um 4,6

Prozent auf 5,7 Milliarden Euro gegenüber. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund begrüßt die insgesamt erfreuliche Entwicklung der Kommunalfinanzen im bisherigen Jahresverlauf. Der leichte Rückgang der Sozialleistungen bedeute aber keine Trendwende. Für 2017 werden dem Kommunalverband zufolge kommunale Sozialausgaben von über 63 Milliarden Euro erwartet, das wären vier Milliarden Euro mehr als im Jahr 2016. “Angesichts dieser Zahlen steht es außer Frage, dass die

Frankfurt ist von den Entschädigungszahlungen des Landes ausgenommen, da die Mainmetropole selbst mit 20 Prozent über die Stadtwerke Frankfurt an der Main Holding GmbH am Flughafen beteiligt und somit zweitgrößter Anteilseigner nach dem Land Hessen mit seinen 31,3 Prozent ist. Dadurch stehen der Stadt bereits eigene Mittel in zweistelliger Millionenhöhe zur Verfügung, ohne dass sie sich bisher an Ausgleichsfonds zugunsten der stark lärmbetroffenen Kommunen ohne eigene Fraport-Anteile beteiligt hat. Für das neue Gesetz ist eine Befristung bis einschließlich

2021 vorgesehen. “Der Fluglärm in Frankfurt ist ein verstetigtes Problem und daher muss auch ein Lastenausgleich verstetigt sein und nicht nach fünf Jahren schon wieder auslaufen. Wir teilen daher voll und ganz die von der Fluglärmkommission angemahnte zeitliche Ausdehnung des Zuwendungszeitraums über das Jahr 2021 hinaus”, sagte der SPD-Flughafenexperte Weiß. Das Regionallastenausgleichsgesetz ist die Nachfolge des Teils “Nachhaltige Kommunalentwicklung” des bisherigen Regionalfonds. Der Regionalfonds wurde im Jahr 2012 mit rund 100 Millionen Euro ausgestattet und war Teil der Allianz für Lärmschutz. Er besteht aus drei Säulen. Mit der ersten Säule (60 Mio. Euro) werden insbesondere Schallschutzmaßnahmen der Anwohner finanziert. Die Antragsfrist läuft noch bis Ende dieses Jahres. Derzeit wird geprüft, ob diese Antragsfrist verlängert werden kann. Mit der Säule zwei (15 Mio.) wurden Schulen und Kitas gefördert. Mit der dritten Säule (25 Mio.) wurde die nachhaltige Kommunalentwicklung gefördert. Gefördert wurden insbesondere Verbesserungen der Sozial- und Bildungsinfrastruktur. Die Antragsfrist für die Säule drei endete am 31.12.16. Das jetzt neu eingebrachte Regionallastenausgleichsgesetz ist – in abgeänderter Form – somit ein Ersatz für diese Säule drei.

MELDUNGEN

Bund der Steuerzahler stellt neues Schwarzbuch vor

So habe man sich im sachsenanhaltinischen Leuna bei der Sanierung einer Schwimmhalle verschätzt: Statt geplanter 7,6 Millionen Euro belaufen sich die Kosten inzwischen auf mindestens 19,4 Millionen. Verantwortlich dafür seien Zusatzwünsche und Umplanungen. Der BdSt bemängelt, dass der Stadtrat jede Kostensteigerung mitgetragen habe. Im Nordrhein-Westfälischen Meerbusch sollte eine marode und überflüssige Brücke neu errichtet werden. Bürger protestierten und erreichten, dass die Neubaupläne gestrichen wurden. Doch nun planen die Politiker, die Brücke zu sanieren. Die Sanierungskosten für die Brücke, die über eine grasbewachsene Senke führt, kosten den Steuerzahler einem Gutachten aus dem Jahr 2013 zufolge 37.000 Euro. Mittlerweile habe sich der Zustand der Brücke aber weiter verschlechtert, sodass die aktuellen Kosten vermutlich

Seite 21

Kommunen von Bund und Ländern noch stärker und nachhaltig von Sozialausgaben entlastet werden müssen”, sagte DStGBHauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg. Bedenklich sei zudem, dass die kommunalen Investitionen gegenüber dem Vorjahreszeitraum um über 100 Millionen Euro leicht zurückgegangen seien. “Von einer dringend notwendigen Trendwende bei den Investitionen sind wir weit entfernt, weil vielerorts das Geld nicht zur Verfügung steht”, so Landsberg.

(BS/lkm) Hessen plant ein Entschuldungsprogramm zur Ablösung kommunaler Kassenkredite. Flankierend ist ein Investitionsprogramm mit einem Volumen von 500 Mio. Euro für finanzschwache Kommunen ohne Kassenkredite vorgesehen. Für Zins und Tilgung der in die “Hessenkasse” übernommenen Kassenkredite wird mit jährlich rund 300 Mio. Euro gerechnet. Ein Drittel wird unmittelbar durch die Kommunen mit einer Zahlung von 25 Euro pro Einwohner und Jahr erbracht. Der Hessische Landkreistag kritisierte, dass das Entschuldungsprogramm weitgehend auf kommunales Geld aufbaue. So soll der “vermeintliche” Landesanteil von rund 200 Mio. Euro überwiegend aus kommunalen Mitteln bestritten werden. “Tatsächlich reduzieren sich

bei genauer Betrachtung die aus originären Landesmitteln erbachten Anteile auf rund 61 Mio. Euro. Der Rest stammt aus kommunalem Geld”, schreibt der Kommunalverband in seinen Verbandsnachrichten. So werde der hessische Anteil an der durch den Bund bereitgestellten “Ländermilliarde”, die ausdrücklich zur kommunalen Entlastung für die massiv steigenden Kosten aus der Neuregelung des Bundesteilhabegesetzes gedacht war, vom Land für die “Hessenkasse” verwendet. Geld, das an anderer Stelle fehlen werde. Der Hessische Landkreistag fordert daher, dass der Finanzierungsbeitrag des Landes aus dessen originären Mitteln stammen muss. Zudem sollen alle Kommunen und Landkreise an dem Investitionsprogramm beteiligt werden.

Saarbrücken sammelt 100 Millionen Euro ein (BS/lkm) Im September startete die Saarbrücker Stadtkämmerei ihre zweite Emission eines sogenannten syndizierten Schuldscheindarlehens (SSD). Ziel war es, langfristige Kassenkredite mit Laufzeiten von sechs, acht und zehn Jahren aufzunehmen. Geplant war ein Volumen von 50 Millionen Euro. “Durch die langfristige Kreditaufnahme können wir für die Stadt Saarbrücken die aktuell sehr günstigen Zinskonditionen langfristig sichern und unsere Gläubigerstruktur

weiter diversifizieren”, erläuterte Torsten Lang, Leiter der Stadtkämmerei. Bereits nach wenigen Tagen war der Schuldschein deutlich überzeichnet und es zeigte sich schnell, dass die Stadt eine deutlich höhere Summe zur langfristigen Finanzierung am Kapitalmarkt akquirieren kann. Bei Schließung der Bücher lagen Orders in Höhe von über 100 Millionen Euro durch verschiedene Investoren vor, insbesondere aus dem Banken- und Versicherungssektor.

Keine Einlagensicherung für Kommunen (BS/lkm) Der Bundesverband deutscher Banken hat entschieden, ab Oktober 2017 die Einlagen von Kommunen nicht mehr abzusichern. Der Deutsche Städtetag rechnet damit, dass viele Städte deswegen künftig kein Geld mehr bei privaten Banken anlegen. Der Wegfall der Einlagensicherung schränke die Anlagemöglichkeiten der öffentlichen Hand erheblich ein, denn ausreichende Sicherheit habe bei kommunalen Geldeinlagen

Priorität, so der Kommunalverband. “Jede Stadt wird sich überlegen müssen, wie sie unter diesen neuen Rahmenbedingungen noch mit privaten Banken zusammenarbeiten kann”, so Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Kommunen müssten ihre örtlichen Anlagestrategien neu ausrichten und prüfen, ob der Zahlungsverkehr, zum Beispiel für Gebühreneinzahlungen, auf andere Institute zu verlagern sei.


Stadtwerke / Kommunalwirtschaft

Seite 22

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Systematische Selbstevaluierung

Diesel schmutziger als gedacht…

Webbasierte Effizienzprüfung von Aufsichtsratsgremien am Beispiel Frankfurts

“Feinstaubbelastung steigt” / “Erste Fahrverbote in deutschen Innenstädten”

(BS/Lars Scheider*) Eine regelmäßige Effizienzprüfung der Aufsichtsratsarbeit wird nicht nur vom Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK), sondern auch von zahlreichen Public Corporate Governance Kodizes und dem Kreditwesengesetz empfohlen bzw. gefordert. Sie ist ein bewährtes Instrument für das Kollegialorgan Aufsichtsrat, um die Gremienarbeit sowie die interne Kommunikation zu analysieren und zu verbessern.

(BS) Diese und ähnliche Meldungen sehen wir täglich. Dass es auch anders geht, wird oft übersehen. Zahlreiche deutsche Großstädte testen Busse mit elektrischem Antrieb. Die ESWE Verkehrsgesellschaft mbH plant sogar, sämtliche Dieselbusse aus der Landeshauptstadt Wiesbaden zu verbannen und als erste deutsche Großstadt auf emissionsfreien ÖPNV umzustellen.

Von entscheidender Bedeutung für die Verbesserung der Gremienarbeit ist dabei die Vertraulichkeit der schriftlichen Befragung der einzelnen Gremienmitglieder, z. B. bzgl. der Zufriedenheit mit der Diskussionskultur im Gremium sowie den Gremienvorlagen der Geschäftsführung. Im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts des Beteiligungsmanagements der Stadt Frankfurt am Main mit Prof. Dr. Ulf Papenfuß, Inhaber des Lehrstuhls für Public Management & Public Policy an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, sowie Prof. Dr. Michael Wolff, Inhaber des Lehrstuhls für Management und Controlling an der GeorgAugust-Universität Göttingen, wurde ein bereits vorhandener Fragebogen des Beteiligungsmanagements überarbeitet und auf dieser Basis ein Konzept für eine onlinebasierte Durchführung der Effizienzprüfung erstellt. Dies erfolgte parallel zur teilweisen Neubesetzung der Aufsichtsratsgremien der Beteiligungsunternehmen der Stadt Frankfurt am Main nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2016.

Zwar tragen Dieselbusse nur zu einem Bruchteil zu der Feinstaubbelastung in deutschen Städten bei – aktuelle Erhebungen gehen von zwei bis fünf Prozent aus. Die öffentliche Hand hat aber Recht, mit gutem Beispiel voranzugehen.

Befragung als Basis Anders als die Fragebögen bei arbeitsteilig agierenden Aufsichtsratsgremien der großen börsennotierten Aktiengesellschaften (mit Fragebögen von häufig über 40 DINA4–Seiten) hat der Frankfurter Fragebogen lediglich rund zwölf Seiten. Der Schwerpunkt der Fragebogenüberarbeitung lag darin, einzelne Aspekte sowie den strukturellen Aufbau inhaltlich zu schärfen bzw. anzupassen. Zusätzlich wurden einzelne Fragen um zusätzliche Informationen und Verweise auf die jeweiligen Normen bzw. Informationsquellen (z. B. Aufsichtsratshandbuch) ergänzt. Der Fragenbogen sieht unabhängig von einzelnen Aufsichtsratscharakteristika (z. B. obligatorischer vs. fakultativer Aufsichtsrat) folgende Themenbereiche vor: • innere Ordnung und Organisation des Aufsichtsratsorgans, • Sitzungsdurchführung und

Die Arbeit von Aufsichtsgremien verbessern: mit webbasierter Effizienzprüfung. Foto: BS/© fotomek, Fotolia.com

-protokollierung, • Diskussions- und Arbeitskultur innerhalb des Aufsichtsratsorgan • Informationsversorgung der Mitglieder des Aufsichtsratsorgans, • Aufgaben des Aufsichtsrats, Zusammensetzung und Qualifikation des Aufsichtsratsorgans, • Arbeitsweise und Prozesse der Ausschüsse des Aufsichtsrats, • ggf. Geschäftsführungsangelegenheiten. Somit werden alle wesentlichen Aspekte der Arbeit des Gesamtgremiums sowie möglicher Ausschüsse (z. B. Prüfungsausschüsse) der jeweiligen Beteiligungsunternehmen in struktureller und prozessualer Hinsicht systematisch berücksichtigt. Die Beantwortung des Fragebogens nimmt circa 30 bis 45 Minuten in Anspruch. Die Ergebnisse der Effizienzprüfung werden in einem Auswertungsbericht zusammengefasst, der die wesentlichen Ergebnisse adressatengerecht aufbereitet.

Drei Vorteile des Konzepts Das Konzept bietet im Gegensatz zu den existierenden Ansätzen für die Durchführung von Effizienzprüfungen zahlreiche Vorteile: Geringerer Administrationsaufwand für die Beteiligungsunternehmen, da der Koordinationsaufwand zwischen den

Beteiligungsunternehmen und dem Beteiligungsmanagement der Stadt Frankfurt (z. B. Versand und Einsammeln der Fragebögen) fast vollständig entfällt. Vereinfachung der Effizienzprüfung für die Gremienmitglieder, durch den zeitlich flexiblen und mit jedem Endgerät (Smartphone, Laptop etc.) möglichen Zugang zur Online-Befragung Dadurch wird adressatengerecht sichergestellt, dass die Gremienmitglieder nur Zugang zu solchen Fragen erhalten, die für sie von inhaltlicher Relevanz sind (z. B. durch die Unterscheidung von Gremien mit und ohne Verantwortung für Geschäftsführungsangelegenheiten oder aufgrund einer Ausschusstätigkeit). Integrierte Fortbildung der Aufsichtsratsmitglieder durch die eigentliche Befragung (z. B. Begriffserklärungen, Hinweise auf entsprechende Ziffern im Public Corporate Governance Kodex, Verweise auf Handbücher des zentralen Beteiligungsmanagements usw.). Im Ergebnis ist die webbasierte Effizienzprüfung gerade bei öffentlichen Unternehmen mit Blick auf die typische Zusammensetzung ihrer Aufsichtsgremien mit demokratisch legitimierten Akteuren sowie weiteren Berufsgruppen ein besonders chancenreicher Ansatz, der mit einem sinnvollen Aufwand-Nutzen-Verhältnis einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Gremienarbeit liefern kann. *Ass. jur. Lars Scheider ist Abteilungsleiter Beteiligungsmanagement der Stadtkämmerei der Stadt Frankfurt am Main.

Seminarangebot: Die verschiedenen Werkzeuge des Beteiligungsmanagements erörtert der Autor in einem Vertiefungsseminar des Behörden Spiegel am 9. und 10. November 2017 in Hamburg. Mehr unter: www.fuehrungs kraefte-forum.de, Suchwort “Beteiligungsmanagement”.

Fast historisch und smart Attraktive und steuerbare Beleuchtung für Monheim (BS/Manuel Löppenberg*) Bürgermeister und Stadtrat der nordrhein-westfälischen Stadt Monheim legen wert auf ein gutes Freizeit- und Kulturangebot und ein ansprechendes Stadtbild. Eine moderne und attraktive Stadtbeleuchtung spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. So wurde unter anderem in eine attraktive Smart-City-Beleuchtungsanlage investiert. Neben einer flexiblen Steuerung der Anlage, Energieeinsparungen und geringem Wartungsaufwand war die Zielsetzung des Smart-City-Lighting-Projekts in Monheim, besondere Anlässe attraktiv zu illuminieren. Denn Licht hat nicht nur die Aufgabe, für Sicherheit in Städten und auf Straßen zu sorgen; es verleiht Städten auch ein identitätsstiftendes Erscheinungsbild, beeinflusst Wohlbefinden der Bürger und kreiert passende Umgebungen für Anlässe wie Straßenfeste oder Weihnachten. “Alle Bürgerrückmeldungen zeigen uns, dass man von den neuen Lunux-Altstadtleuchten, unter Erhalt der traditionellen Optik, ausgestattet mit modernster Lichttechnik sowie individuell einstellbarer Lichttemperatur über Lichtmanage-

ment, wirklich positiv angetan ist”, sagt Markus Nesseler, der bei der Stadtverwaltung Monheim für Straßenunterhaltung und Beleuchtung zuständig ist. 2017 beauftragte die Stadt das Unternehmen, 25 Leuchten in einer verkehrsberuhigten Straße zu installieren, die sich in unmittelbarer Nähe zur Stadtverwaltung im Zentrum von Monheim befindet. Um der Straße ein besonderes Flair zu geben, entschied sich die Stadt für die historische Design-Leuchte. Die Optik ist zwar historisch, die Technik jedoch vom Neusten. Ausgerüstet mit moderner LED-Technologie, realisiert sie 90 Prozent Energieeinsparung gegenüber konventionellen Gasleuchten und ist damit sehr wirtschaftlich. Die langlebigen LED-Module kön-

nen bei Bedarf wartungsfreundlich über die obere Kappe der Leuchte ausgetauscht werden. Da die Optik beim Projekt eine große Rolle spielt und die neue Beleuchtung auch zur Illumination besonderer Anlässe genutzt werden soll, wurde die “Alt-Berlin”-Leuchte mit einem Stecker ausgerüstet, um die Weihnachtsbeleuchtung direkt an die Lampen anschließen zu können. Das in die Leuchten integrierte digitale Steuerungssystem (Licht-ManagementSystem) ermöglicht damit nicht nur die flexible Regelung der Straßenbeleuchtung, sondern auch die Ansteuerung der Weihnachtsbeleuchtung. *Manuel Löppenberg ist Experte für kommunale Beleuchtungsprojekte bei Lunux.

Reichweiten, Ladevorgänge und Batterien Dass hierbei rechtliche und tatsächliche Herausforderungen warten, liegt auf der Hand. Regelmäßig stellen sich im Vorfeld einer komplexen Vergabe zahlreiche Fragen: • Reicht die Reichweite der Busse für die Umläufe – auch bei Minustemperaturen oder anspruchsvoller Topografie? • Muss der Bus auf der Strecke tanken/laden? • Welche Tankstelleninfrastruktur ist erforderlich? • Wer liefert diese? • Wie lässt sich vermeiden, dass der neue Bus in wenigen Jahren mit einer veralteten Batterie fährt? Das Seminar “Beschaffung von Fahrzeugen mit innovativem Antrieb” setzt genau hier an. Ziel der Veranstaltung ist es, Ihnen einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen sowohl in der Rechtsprechung zu Fahrverboten als auch zum Stand der Technik alternativer Antriebe zu geben und zugleich konkrete Handlungsmöglichkeiten vorzustellen. Die Veranstaltung beginnt mit einer kurzen Begrüßung durch Dr. Ute Jasper, Leiterin

der Praxisgruppe Öffentlicher Sektor und Vergabe der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek (HKLW). Sodann wird Dr. Laurence Westen, Rechtsanwalt in der genannten Praxisgruppe bei HKLW, in die Thematik einführen und insbesondere die sich aus der Rechtsprechung ergebenden Anforderungen zur Emissionssenkung vorstellen. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat jüngst der Klage der Deutschen Umwelthilfe stattgegeben und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge ab 2018 bestätigt. Anschließend wird Dr. Stefan Behrning, Leiter Homologation TSA bei der TÜV Rheinland Inter Traffic GmbH, einen Überblick über den aktuellen Stand der technischen Entwicklung bei den Fahrzeugherstellern geben. Welche Antriebstechniken gibt es, welche Vorteile bietet eine Brennstoffzelle gegenüber einem batteriebetriebenen Bus, mit welchen Reichweiten ist zu rechnen, welche Ladeinfrastruktur ist erforderlich und verfügbar?

Wer darf Fördermittel beantragen? Sodann werden wir gemeinsam einen Blick auf die Fördermöglichkeiten des Bundes werfen und damit der Frage nachgehen, ob und in welchem Umfang ein Projekt finanziell unterstützt werden kann. Die Frage, wer Fördermittel beantragen darf, wird hier ebenso beantwortet wie die Frage, was gefördert wird. Wir bemühen

uns gegenwärtig um einen Referenten von der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie.

Einbezug öffentlicher Fördergelder Nach einem gemeinsamen Imbiss werden Prof. Herrmann Zemlin und Frank Gäfgen, Geschäftsführer der ESWE Verkehrsgesellschaft mbH, aus der Praxis berichten, wie das Projekt “emissionsfreier ÖPNV in Wiesbaden” umgesetzt werden kann und welche Fallstricke es gibt. Die Einbindung öffentlicher Fördermittel spielt hier ebenso eine Rolle wie eine stringente Struktur des Verfahrens. Abschließend beleuchtet Dr. Ute Jasper die aus rechtlicher Sicht zu beachtenden Aspekte bei der Beschaffung von Elektrofahrzeugen und die zielgerichtete Einbindung des Knowhows des Marktes. Darüber hinaus gibt Jasper Praxistipps zur Garantie von Energieverbräuchen und dem Umgang mit Schnittstellenrisiken. Ziel sollte sein, die Schnittstellen möglichst umfassend beim Auftragnehmer anzusiedeln und diesen für die Verfügbarkeit des Gesamtsystems – bestehend aus Bussen und Ladeinfrastruktur – garantieren zu lassen. Hierzu bietet sich ein Lebenszyklusansatz an: der Auftragnehmer liefert Fahrzeuge und Ladeinfrastruktur nicht nur, sondern hält diese – zumindest in Bezug auf die Antriebskomponenten – auch dauerhaft instand.

Vergleichbarkeit von Abfallgebühren Gebührenvergleiche in der öffentlichen Diskussion (BS/Stefan Wiedmer/Robin Kabelitz*) Abfallgebührenvergleiche werden heute beispielsweise durch den Bund der Steuerzahler NRW, von Haus & Grund Deutschland und durch den Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen erstellt. Die Grundannahmen dieser Vergleiche über die Zusammensetzung von Musterhaushalten sowie die erbrachten Leistungen der Entsorgungsunternehmen sind jedoch meist stark vereinfacht und berücksichtigen die spezifischen Leistungs-, Kosten- und Finanzierungsstrukturen der Unternehmen nur unzureichend. In Konsequenz führen die unterschiedlichen Annahmen zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Starke Schwankungen Die Abbildung illustriert, dass die verwendeten Berechnungsmethoden beispielsweise für Frankfurt am Main und Essen zu unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Ergebnissen führen. Eine gesamtheitliche Betrachtung von Leistungen, Kosten- sowie Finanzierungsstrukturen der Unternehmen wäre hier zielführender. Sowohl die Sammelmengen als auch der Anteil von Restabfall schwanken nach Erhebungen und Analysen von civity sehr stark. Zudem variieren die wöchentlich anfallenden Restmüllmengen. Des Weiteren gibt es eine Vielzahl unterschiedlichster technologischer Verwertungsmöglichkeiten der Stoffströme, die einen langfristigen Einfluss auf die Leistungsgestaltung und Kostenstruktur haben.

Kostenunterschiede von über 100 Prozent Der Aufgabenumfang der Entsorger weicht in der Ausgestaltung der Hol- und Bringsysteme voneinander ab. Nach Auswertungen von civity schwanken die über Bringsysteme erfassten Mengen deutlich, Kostenunterschiede von über 100 Prozent fallen aufgrund verschiedener Anlagen und Behandlungsverfahren bei der Verwertung und

Quelle: BS/Civity

Beseitigung der Stoffströme an. Schließlich beeinflusst die Siedlungsstruktur zum einen die anfallenden Stoffströme und somit die Verwertungskosten und zum anderen die Kosten der Leistungserbringung. Auch bei der Bemessung der Behältergebühren bestehen enorme Unterschiede. Während in einigen Städten 100 Prozent der Behältergebühren auf Restmüll erhoben werden, sind dagegen in anderen Städten auch Bioabfall- und Altpapierbehälter gebührenpflichtig. Vermehrt sind Unternehmen in der Energie- und Wärmeerzeugung tätig. So führt beispielsweise Energieerzeugung aus Müllverbrennungsanlagen zu Erlösen, die die Wertschöpfung aus der betrieblichen Tätigkeit erhöhen. Aufgrund der hohen Schwan-

kungen und strukturellen Unterschiede der obigen Einflussfaktoren stellen durchschnittliche Annahmen keine verlässliche Grundlage für valide Aussagen dar.

Integriertes Gebührenmodell Da die bisherigen Abfallgebührenvergleiche Unterschiede der Leistungen, Kosten- und Finanzierungsstrukturen nicht hinreichend berücksichtigen, wird eine unreflektierte Interpretation der Vergleiche kritisch gesehen. Erst eine integrierte Betrachtung lässt Schlussfolgerungen zum Gebührenmodell im Allgemeinen und zur Gebührenhöhe im Speziellen zu. *Stefan Wiedmer ist Projektleiter Utilities, Robin Kabelitz Berater Utilities bei civity.


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Kommunalewirtschaft / Kommunale Infrastruktur

Seite 23

“Sparen jährlich eine Viertelmillion Euro”

Papieratlas 2017

“Printing Green” in Solingen: weniger, modernere und zentralere Druckgeräte

Recycling, zentrale Beschaffung, Multifunktionsgeräte

(BS) Recyclingpaper zu nutzen, ist eine positive Sache für viele Behörden. Eine weitere ist die Konsolidierung der Kopier- und Drucklandschaft – (BS/ein) Für den Einsatz von Recyclingpapier wurden Mitte September zumindest, wenn man nach Solingen schaut. Im Gespräch mit dem Behörden Spiegel erklärt Nils Gerken aus der Stabsstelle Steuerung IuK, welche die Stadt Solingen und die Universität Osnabrück ausgezeichnet. Die GeZiele sich die Klingenstadt gesetzt, woran man sich orientiert hat was bis jetzt erreicht wurde. Die Fragen stellte Julian Einhaus. winner als Aufsteiger des Jahres im “Papieratlas 2017” mit der höchsten Steigerung der Recyclingpapierquote sind dieses Jahr die Stadt Potsdam rung war insbesondere und die Softwareintegration nur und die Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Behörden Spiegel: Wie viel Papier und Kosten konnten Sie einsparen und inwieweit haben sich Druckvorgänge reduzieren lassen?

Gerken: Wir hatten ein Einsparziel von ca. 250.000 Euro jährlich. Dieses Ziel haben wir erreicht. Da Prozesskosten gerne als “Eh-da-Kosten” beschrieben werden, haben wir in der Kostenbetrachtung diese extra nicht berücksichtigt. Unter Berücksichtigung dieser Kosten wäre die Einsparung noch höher. Dies erklärt sich insbesondere darüber, dass bis 2012 drei verschiedene Solingen hat als Gesamtkonzept ausgeschrieben: Bereiche mit der Beschaf- Hardware, Wartung und vor allem auch die Software fung von Faxgeräten, Ko- waren entscheidend für das nun gut funktionierende pierern und Druckern System der Multifunktionsgeräte. beschäftigt waren. Die Foto: BS/Nils Gerken genannten Einsparungen konnten durch modernere hat sich das Verhalten der MitarGeräte und den Wirkungsgrad beiter geändert? der Netzteile, durch die KonGerken: Ziel des Konzeptes solidierung der Geräteanzahl, günstigere Verbrauchskosten war es, dass die Mitarbeiter sich und günstigere Gerätepreise im möglichst wenig in ihrem GeRahmen der Ausschreibung er- samtalltag umstellen müssen und entsprechender Aufwand reicht werden. durch andere Projektaspekte Behörden Spiegel: Wie haben aufgefangen werden. Dreh- und Angelpunkt ist Ihre Mitarbeiter auf die neuen zentraleren Druck- und Kopier- hierbei die virtuelle Druckbox. Diese sammelt die Drucke der maschinen reagiert? Mitarbeiter und gibt die DruGerken: Im Vorlauf zur Um- cke am Multifunktionsgerät erst setzung gab es erheblich “kriti- frei, wenn der Mitarbeiter sich sche Töne”. Insbesondere War- persönlich authentifiziert hat. tezeiten an den Geräten wurden Heute geht man nicht mehr für befürchtet. Dies ging bin zu jeden Druck zum Drucker, sonbefürchteten Warteschlangen. dern sammelt. Um entsprechenInsbesondere da ca. 80 Pro- de Gehzeiten zu kompensieren, zent der Büros keinen eigenen haben heute alle Mitarbeiter Drucker mehr hatten, wurden die Möglichkeit, moderne und Verzögerungen und ein nicht schnelle Scanner zu verwenpraktikables Handling befürch- den, eine Texterkennung durchtet. Nachdem die Geräte und die zuführen oder auch der sonst entsprechenden Softwarepro- weite Weg zu einem Farbgerät dukte abschließend eingeführt entfällt. Dadurch, dass zentrale waren, stieg die Zufriedenheit. Geräte eingesetzt werden, wurde Mittlerweile gilt das Konzept zusätzlich ein Versorgungsserals akzeptiert und im Vorfeld vice eingerichtet, der die Geräte der Neuausschreibung gab es zentral mit Papier und Toner keinerlei Bestrebungen, dies versorgt. Vorher war dies den wieder zu verändern. Um den Mitarbeitern selbst überlassen. Projekterfolg zu sichern, haben Heute sollen die Geräte nur noch ganz normale Mitarbeiter im genutzt werden! Rahmen der Ausschreibung die Behörden Spiegel: Haben Sie angebotenen Geräte bewertet. Insbesondere Usability hat die die Multifunktionsgeräte geleast, Geräte doch stark differenziert. samt “Rundum-sorglos-Paket”? Diese Bewertung floss in die GeGerken: Wir haben als Gesamtbewertung mit ein und war Teil des Ausschreibungsergeb- samtkonzept ausgeschrieben. Bedeutet Hardware, Wartung nisses. und Software. Im Rahmen der Behörden Spiegel: Inwieweit Ausschreibung und der Einfüh-

MELDUNGEN

Immer häufiger recycelter Beton (BS/ein) Die Landeshauptstadt Stuttgart sorgt dafür, dass bei städtischen Bauprojekten immer häufiger mit wiederverwendetem Beton gearbeitet wird. Entgegen einem Medienbericht erklärte Oberbürgermeister Fritz Kuhn, nicht wahr sei, dass sich die öffentliche Hand gegen recycelten Beton wehre. “Im Gegenteil: Es ist der Regelfall,

dass wir möglichst ressourcenschonend bauen wollen, daher verwenden wir bei städtischen Bauprojekten immer häufiger recycelten Beton”, so Kuhn. Aktuelle Beispiele seien etwa der Rosensteintunnel und bald auch der städtische Betriebshof im Bezirk Bad Cannstatt. Der Einsatz werde bei allen Projekten im Einzelfall geprüft.

NRW-Stadtwerke gründen “TankE-Netzwerk” (BS/ein) Zwölf Stadtwerke in NRW haben sich Mitte September zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um Fahrern von E-Mobilen künftig einheitliche Lade- und Abrechnungsmöglichkeiten zu bieten und die Infrastruktur weiter auszubau-

en. Dazu nutzen die Beteiligten eine App und Software, mit der sich Ladeinfrastruktur vernetzen, betreiben, überwachen und analysieren lässt und Ladevorgänge abgerechnet werden können. Koordinator des Netzwerkes ist die Kölner RheinEnergie.

die Software der entscheidende Faktor. Die Software wurde so eingeführt, dass eine möglichst hohe Integration der Geräte und der Software in die bestehende Landschaft möglich war. Behörden Spiegel: Kennen Sie andere Kommunen, die den gleichen Weg gegangen sind? An welcher anderen Stadt haben Sie sich womöglich orientiert?

Gerken: Orientiert haben wir uns an Konzepten in der Wirtschaft. Aus dem öffentlichen Bereich war uns nur die Ausschreibung von Rahmenverträgen bekannt, hierbei wurde die genaue Ausgestaltung der Vor-Ort-Situation erst im Nachgang

als Randaspekt durchgeführt. Die Ausschreibung eines gesamten Konzeptes mit einer so hohen Softwareintegration war uns nicht bekannt. Dies wurde uns von den Ausschreibungsteilnehmern auch bestätigt, trotzdem gehen wir davon aus, dass ähnliche Ideen und Konzepte auch woanders zur Anwendung kamen/kommen.

Behörden Spiegel: Was würden Sie heute vielleicht mit Blick auf Printing Green anders/noch besser machen? Gerken: Mit Blick auf die nun eingetretene Abhängigkeit würden wir die Service Level Agreements im Bereich der Software noch enger fassen. Auch würden wir weniger Geräte im Konzept vorsehen, da sich herausgestellt hat, dass die oben genannten Sorgen der Mitarbeiter unbegründet waren.

Man müsse Ämter und öffentliche Betriebe frühzeitig auf das Recycling-Ziel einschwören, “dann tut es auch gar nicht weh!”, sagte Solingens Stadtdirektor Hartmut Hoferichter. Neben der Quote von 100 Prozent und einer zentralen Papierbeschaffung hat die Klingenstadt in der Verwaltung sämtliche Drucker und Kopierer gegen größere Multifunktionsgeräte ausgetauscht. Die ursprünglich rund 1.600 wurden so auf 240 Geräte reduziert. Weil dadurch Mitarbeiter weniger geneigt seien, alles auszudrucken, ergebe sich ein weiterer Spareffekt, unterstrich Hoferichter (siehe auch links). Mit dem heutigen Recyclingpapier könnten Kommunen nicht nur zeigen, dass der Weißegrad stimmt, sondern gleichzeitig sparen, sagte Potsdams Bürgermeister Burkhard Exner.

Für den fünften Sieg in Folge erhielt die Stadt Halle (Saale) die Sonderauszeichnung “Mehrfachsieger”. Auch die Städte Essen, Bonn, Freiburg, Erlangen und Siegen sowie die Universität Tübingen konnten ihre Bestleistungen aus den Vorjahren wiederholen. Die durchschnittliche Recyclingpapierquote der Städte stieg insgesamt auf rund 86 Prozent. Innerhalb von zehn Jahren haben die Städte ihren Anteil damit um etwa 20 Prozent gesteigert. Der Einsatz von Recyclingpapier ist eine relativ einfache Maßnahme zum Schutz natürlicher Ressourcen. Die ökologischen Anforderungen soll dabei das Umweltzeichen Blauer Engel garantieren. Die Herstellung spart demnach im Vergleich zu Frischfaserpapier bis zu 60 Prozent Energie und bis zu 70 Prozent Wasser.


Kommunale Infrastruktur

Seite 24

B

ehörden Spiegel: Sie waren beim letzten Diesel-Gipfel in Berlin dabei – ein Erfolg? Mucke: Ehrlich gesagt, war ich enttäuscht. Der Gipfel war seitens der Bundesregierung im Grunde überhaupt nicht vorbereitet. Es gab im Vorfeld für uns Kommunale keine Unterlagen, keine Zahlen, nichts! Während der Sitzung wurden allerdings Entwürfe hereingereicht, die niemand kannte und in denen plötzlich die Kommunen für den Mobilitätsfonds mit zur Kasse gebeten werden sollten. Das haben die 40 Städte und auch der Deutsche Städtetag, der mit am Tisch saß, verhindert. Ein Abschluss-Communiqué oder Ähnliches kam nicht zustande. Behörden Spiegel: Zumindest ist der Mobilitätsfonds auf eine Milliarde Euro aufgestockt worden... Mucke: Aber auch da ist die tatsächliche Verteilung noch ungewiss. Der Bund will 750 Mio. Euro übernehmen, die Auto-Industrie soll 250 Mio. Euro tragen – festgeschrieben wurde das aber nicht!

Behörden Spiegel: Mit wie viel Geld rechnen Sie für Wuppertal?

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Stärker in die 3. Dimension gehen Wuppertal plant Seilbahn / OB fordert Beteiligung der Auto-Industrie an Stickoxid-Kosten (BS) Unzufrieden zeigte sich Wuppertals Oberbürgermeister Andreas Mucke über das Ergebnis des Diesel-Gipfels Anfang September in Berlin. Die bergige Großstadt sieht sich noch keiner Klage eines Umweltverbands ausgesetzt, obwohl an mehreren Hauptstraßen die Stickoxid-Emissionen regelmäßig Überschritten werden. Der SPD-Politiker schildert im Gespräch mit dem Behörden Spiegel seine Eindrücke von dem Treffen und erklärt, welche Mittel er für die teils unkonventionellen Projekte in der Stadt vom Bund erwartet. Und von der Automobilindustrie. Die Fragen stellte Julian Einhaus. oxid-Emissionen sind Verbrennungsprozesse. Das können wir vor Ort nur sehr bedingt klären, Standards und Technik von Fahrzeugen muss der Bund vorgeben. Auch die Mittel, um Alternativen bereitzustellen, muss uns der Bund zur Verfügung stellen. Wir können das bis zu einem gewissen Grad vor Ort lösen, benötigen aber als arme Kommune entsprechende Mittel. Eine Milliarde ist gut, wir brauchen aber jedes Jahr zusätzliche Mittel in dieser Höhe. An der Finanzierung muss die Auto-Industrie beteiligt werden, die lange Zeit sehr gut auf unsere Kosten verdient hat und die Verursacher der Manipulationen an den Fahrzeugen ist. Es geht darum, nicht nur Software, sondern auch Hardware zu optimieren. In den USA funktioniert das, dort sind die Strafen höher.

Behörden Spiegel: Bringt uns Mucke: Niemand kennt bislang konkret die Kriterien, an- die Stickoxid-Debatte in puncto hand derer die Mittel verteilt Verkehrswende überhaupt weiwerden. Sollen die Kommunen ter? profitieren, die sich schon eiMucke: Stickoxide und deren ner Klage gegenüber sehen? Diejenigen, die die Grenzwerte Grenzwertüberschreitungen überschreiten? Oder jene, die sind “greifbar” für die Menschen ohnehin die höchsten Lasten vor Ort, als akademische Debatzu tragen haben? Wuppertal ten. Denn potenzielle Fahrverbote zwingen hat eine hohe “Wir rechnen für auch den letzSozialund Arbeitslosen- den Bau der Seilbahn mit ten. daran zu denken, welquote, hohe einer 85-prozentigen che AlternatiKassenkreFörderquote aus Verve geschaffen dite und ist Mitglied im kehrs- und Städtebau- werden können. Ich möchNRW-Stärmitteln.” te die Debatte kungspakt. nutzen, um Eigentlich müssten wir armen Kommunen hier in Wuppertal zukunftsfäeinen überdurchschnittlich ho- hige Mobilität sowohl breiter hen Anteil bekommen. Ich hoffe, zu diskutieren als auch stärker umzusetzen. Wenn die aktuelle dass das auch so eintritt! Kontroverse dazu dient, dass Behörden Spiegel: Welche wir schneller auf alternative Rolle muss der Bund bei der Lö- Verkehrssysteme setzen, ist sie sung des Problems spielen? Wel- in meinen Augen positiv. che die Auto-Industrie? Behörden Spiegel: SchauMucke: Verursacher der Stick- en wir konkret auf Wuppertal:

bei uns aber nur etwa fünf Prozent der Stickoxid-Emissionen insgesamt ausmacht.

“Der letzte Diesel-Gipfel hat mich sehr enttäuscht.”

Behörden Spiegel: Genau, der Individualverkehr ist doch der springende Punkt!

Andreas Mucke ist Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal. Foto: BS/Stadt Wuppertal

Ein Drittel Ihrer Stadtfläche ist grün, trotzdem überschreitet Ihre Stadt regelmäßig die Stickoxid-Grenzwerte. Wie passt das zusammen? Mucke: Wuppertal ist die grünste Großstadt Deutschlands. Die erhöhten StickoxidWerte beziehen sich auch bei uns auf bestimmte Punkte bzw. Straßenabschnitte. Oft liegen die Immissionen in zehn Metern Höhe oder Entfernung schon wieder viel niedriger. Das hängt mit Aerodynamik und Thermik bzw. unserer bergigen Stadtstruktur hier zusammen: Wenn viele Autos Abgase ausstoßen, kann die Stadt noch so grün sein, entscheidend ist die Durchlüftung. Es spielt dann kaum eine Rolle, ob neben diesen Straßen etwa ein Wald steht. Behörden Spiegel: Die bergige Topografie als Nachteil? Mucke: Wir sind dadurch verkehrstechnisch eingeschränkt. Man kann hier nicht einfach die einzige Tal-Achse oder deren Zubringer-Straßen links und rechts sperren. Umleitungen etwa des Lkw-Verkehrs bringen nichts. Und Fahrverbote für diese Hauptstraßen wären tödlich – niemand, ob Benziner, Diesel oder elektrisch, käme mehr auf-

grund des Verkehrschaos in die Stadt hinein oder hinaus! Behörden Spiegel: Der Deutsche Städtetag plädiert seit Längerem für die Einführung einer blauen Plakette. Sind Sie dagegen? Mucke: Der Städtetag hat sich für eine solche Plakette als Kontrollmechanismus ausgesprochen, aber nur, falls die Gerichte tatsächlich Fahrverbote erlassen. Ansonsten könnten unsere Ordnungshüter die Fahrzeuge auch nicht kontrollieren, denn sie dürfen keine Autos anhalten. Im Fall der Fälle erwarte also auch ich eine zügige Gesetzgebung des Bundes, um schnell auf Gerichtsentscheidungen reagieren zu können. Behörden Spiegel: Welche Maßnahmen haben Sie denn bislang unternommen, um den “Fall der Fälle” zu vermeiden? Mucke: Sehr viele! Unsere Stadtwerke haben Busse umgerüstet und beschaffen nur noch Fahrzeuge mit Euro-6-Norm. Ab kommendem Jahr pilotieren wir zehn Busse, die auf Basis von Brennstoffzellen laufen. Wir gehen im ÖPNV mit gutem Beispiel voran, dabei vergessen darf man aber nicht, dass der Busverkehr

merhin knapp 200 Höhenmeter. Wir haben mittlerweile 22.000 Studierende, die größtenteils mit Bussen dort hinauf fahren. Weiter oben liegen Wohngebiete, mehrere Unternehmen und ein großes Schulzentrum. Der künftige Seilbahn-Verkehr ist frei von CO2, Stickoxiden, Rußpartikeln und Lärm. Der Strom wird aus erneuerbaren Quellen bezogen. Und die Idee dazu kam aus der Bürgerschaft, die im Projekt “2025” entstanden ist und im späteren Beteiligungsprozess einer “Planungszelle” gutgeheißen wurde.Von Anfang an also ein sehr innovativer Prozess.

Behörden Spiegel: Auch wirtMucke: … und dessen Verlage- schaftlich? rung auf den ÖPNV. Unterstützt durch viele dieser Maßnahmen Mucke: Wir haben extern eine hat Wuppertal mit 27 Prozent Kosten-Nutzen-Analyse durchnun einen sehr hohen Anteil im führen lassen. Der errechnete sogenannten Modal-Split. Und Faktor liegt mit 1,8 sogar 80 die Zahl der ÖPNV-Abos steigt Prozent über dem notwendigen weiter. Wir haben darüber hi- Wert. Das ist wichtig für die Förnaus die Rad-Infrastruktur derung. Wir rechnen etwa mit eidurch die Reaktivierung alter ner 85-prozentigen Förderquote Bahntrassen ausbauen können aus Verkehrs- und Städtebauund damit Radverkehr im Ver- mitteln des Landes. Die verbleihältnis zu den benden Kosten anderen Verbringen unse“Man kann hier nicht kehrsträgern re Stadtwerke einfach die einzige – trotz unseals künftiger res bergigen Betreiber auf. Tal-Achse oder deren Stadtbildes! schätzen, Zubringer-Straßen links Wir – um 300 Pro2021 mit dem und rechts sperren.” zent steigern Bau zu beginkönnen. nen und 2024 Wir lenken fertig zu sein – den Verkehr auch stärker: Die gleichzeitig bewerben wir uns Müllabfuhr fährt zu Stoßzeiten um die Bundesgartenschau nicht mehr auf den Hauptstra- 2025. Dann könnte sich neben ßen, um den Verkehrsfluss zu dem Pina-Bausch-Tanzzentbeschleunigen. Der ÖPNV hat rum, dem Grünen Zoo und viezudem immer öfter Vorrang len weiteren Maßnahmen aus vor Individualfahrzeugen. Die “Wuppertal 2025” auch eine Schwebebahn fährt demnächst grüne Seilbahn gut einfügen. sogar im 90-Sekunden-Takt, hier haben wir in den letzten Behörden Spiegel: Glauben 20 Jahren 650 Mio. Euro in die Sie, dass die Städte zum nächsKomplettsanierung und den ten Diesel-Gipfel im Herbst wieAusbau investiert! der eingeladen werden? Was wird dabei herauskommen? Behörden Spiegel: Sie planen zudem eine Seilbahn für 83 Mio. Mucke: Beim letzten GipEuro – eine urbane Spielerei? fel haben wir zumindest eine mündliche Einladung der BunMucke: Keineswegs! Das ist deskanzlerin erhalten. Feste die logische Fortsetzung der Zusagen für die Zeit danach Schwebebahn in der dritten Di- konnte Angela Merkel allermension, aber mit anderen Mit- dings nicht geben, weil die Bunteln. Über drei Stationen soll destagswahl noch bevorstand. diese Route mit einer Kapazität Gemeinsam mit dem Städtetag von max. 7.000 Fahrgästen pro hatten wir uns auf das letzStunde den Hauptbahnhof mit te Treffen gut vorbereitet – das der Universität und den Süd- werden wir beim nächsten Mal höhen verbinden. Das sind im- genauso halten!

Forschungsprojekt UrbanLife+

MELDUNG

Smarter Kaiserlei in Offenbach

Drees & Sommer unterstützt Entwicklung seniorenfreundlicher Städte

(BS/Mustafa Kösebay*) Senioren haben es oft schwerer als jüngere Menschen, sich in ihrer Stadt selbstständig zu bewegen: Seh- und Hörvermögen lassen nach. Weite Wege zurückzulegen, wird zunehmend anstrengend und sogar gefährlich. Zusammen mit elf weiteren Projektbeteiligten arbeitet ein Team der Entwicklungsmanager von Drees & Sommer daran, (BS/ein) Zwischen Offenbach zwei Stadtquartiere in Mönchengladbach für Senioren sicherer zu machen. und Frankfurt entsteht ein neuUrbanLife+ heißt das Forschungsprojekt, an dem Drees&-Sommer-Entwicklungsmanager aus Stuttgart und Köln seit November 2015 arbeiten. Ziel ist es, digitale Lösungen zu entwickeln, die älteren Menschen die Teilnahme am alltäglichen Leben im öffentlichen Raum erleichtern.

Städtebauliches Know-how gefragt Was abstrakt klingt, beinhaltet ganz konkrete Ideen: Ampeln, die ihre Grünphase bei Bedarf verlängern, Sitzbänke, zu denen kreislaufschwache Menschen im Notfall geleitet werden können, Bordsteine, die sich für Rollatoren absenken, Straßenlaternen, die ihre Beleuchtung dem Sehvermögen der Passanten anpassen oder auch Sensoren, die auf Gefahren an Straßenübergängen und Kreuzungen hinweisen. Funktionieren soll das Ganze mithilfe von MenschTechnik-Interaktion (MTI). Der öffentliche Raum wird dabei als Cloud genutzt.

Älteren Menschen die Teilnahme am alltäglichen Leben im öffentlichen Raum erleichtern – was abstrakt klingt, macht das Forschungsprojekt UrbanLife+ konkret: Ampeln, die ihre Grünphase nach Bedarf verlängern, Sitzbänke, zu denen kreislaufschwache Menschen im Notfall geleitet werden können, Bordsteine, die sich für Rollatoren absenken. Foto: BS/Drees&Sommer

Das 6,2-Millionen-Euro-Projekt ist aus dem Wettbewerb “Innovationen für Kommunen und Regionen im demografischen Wandel” (InnovaKomm) entstanden und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Damit Projektpartner wie die Uni-

versität Hohenheim aus den Ideen innovative MTI-Lösungen entwickeln können, benötigen sie jede Menge Daten. Sie müssen beispielsweise wissen, wo genau sich sogenannte städtebauliche Objekte befinden und ob diese für eine technische Ausstattung infrage kommen.

Hier bringen die Entwicklungsmanager ihre Kompetenz ein. Ihre in vielen Projekten erprobten und weiterentwickelten GIS-Systeme (Geographical Information Systems) kommen zum Einsatz. So wurden bereits unter anderem Bestandsaufnahmen des Stadtmobiliars durchgeführt. Die Drees-&Sommer-Experten erfassten beispielsweise alle Straßenlaternen und Sitzbänke in den Mönchengladbacher Stadtquartieren Rheindahlen und Hardterbroich: Wie hoch ist die Sitzhöhe der Bank? Aus welchem Material besteht sie? Hat sie eine Lehne? Wie viele Leute finden darauf Platz? Auch typische Einkaufswege — vom Seniorenheim zum nächsten Bäcker etwa — haben die Berater analysiert und dargestellt. Aus all diesen Daten ist eine große Datenbank entstanden, mit der die Partner aus Forschung und Entwicklung weiterarbeiten können. Sie dient als Grundlage für die Weiterentwicklung der Stadtmobiliare.

Auf fünf Jahre ist UrbanLife+ angelegt. Am Ende soll neben den Prototypen für intelligente Beleuchtungen, Bordsteine und Sitzbänke ein sogenannter Safety-Atlas als Grundlage für die Weiterentwicklung der Stadtmobiliare mit Daten und umfassenden Analyseergebnissen entstehen.

Leitfaden “Safety-Atlas” weist den Weg Diesen Leitfaden erstellt das Team von Drees & Sommer. Er enthält unter anderem alle relevanten städtebaulichen Objekte mit ihren Geokoordinaten sowie bestimmten Merkmalen. Der Safety-Atlas soll später Stadtplanern und MTI-Entwicklern zeigen, wie sie Stadtquartiere anpassungsfähig an den demografischen Wandel gestalten können. Denn vieles, was für Mönchengladbach gilt, lässt sich auf andere Städte übertragen. *Mustafa Kösebay ist Associate Partner bei Drees & Sommer.

er Stadtteil für bis zu 10.000 Menschen. Parallel läuft eines der größten Straßenbauprojekte Hessens. Bis zum Jahr 2019 soll der große Kaiserleikreisel rund um die A661 einer Kreuzung weichen. Hier verkehren täglich mehr als 60.000 Fahrzeuge. Dafür errichte die Energieversorgung Offenbach intelligente und sichere Netz-Infrastruktur für die Anforderungen von morgen, erklärte Felix Schwenke, bisheriger Stadtrat und frisch gewählter Oberbürgermeister der 120.000 Einwohner zählendes Stadt Offenbach. Bis 2019 sollen 30 sogenannte Kragarm-Maste gesetzt, 60 Signalmaste und sowie 260 Signalgeber installiert werden. Hinzu kommen 36 Kameras für Videodetektion. “Damit können wir die exakte Anzahl der Fahrzeuge messen und die Ampelphasen dem Verkehrsaufkommen anpassen”, sagt der SPD-Politiker und spricht vom “Smart Kaiserlei”. Mit der neuen Technik sollen vor allem Rückstaus verhindert und Energie eingespart werden.



Kommunale Infrastruktur / Breitband

Seite 26

Wer selbst buddelt, spart Geld

A

cht Kommunen und der Zweckverband Söllingen (rund um den Flughafen Karlsruhe/Baden-Baden) – das sind nicht wenig Beteiligte für eine IKZ. “Es funktioniert nur, wenn sich sowohl die Bürgermeister untereinander als auch die Sachverständigen auf Arbeitsebene gut verstehen”, erklärt Ralph Essig-Christeleit, Kämmerer der Gemeinde Lauf/Schwarzwald. Das scheint zwischen Rhein und Schwarzwald im badischen Ortenaukreis der Fall zu sein. Nicht nur dort. Denn die Kooperation ist kreis- und sogar regierungsbezirksübergreifend.

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Glasfaserausbau in Baden: neun kommunale Partner, ein Betreiber, sechs Vertragsseiten (BS/Julian Einhaus) Das Vertragswerk ist übersichtlich: Sechs Seiten umfasst die Grundlage für die Interkommunale Zusammenarbeit (IKZ) der neun Partner vom südlichen Oberrhein, die gemeinsam den Glasfaserausbau in der Region vorantreiben. Unter der Marke “Baden.net” arbeiten die Kommunen mit einem Provider zusammen, der die aktiven Netze betreibt und Inhalte liefert. Die Backbone-Infrastruktur muss spätestens Ende 2018 stehen, die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger beim Ausbau der Veteilnetze in den Gemeinden ist hoch, trotz finanzieller Beteiligung der Haushalte und Telekom-Interventionen.

Rund 30 Prozent mehr Fördermittel

munen erhalten vom Netzbetreiber eine fixe Pacht für sämtliche neu verlegten Glasfaser-Hausanschlüsse. Darüber hinaus zahlt NGN ein zusätzliches Entgelt für aktivierte Anschlüsse. So sitzen beide Partner in einem Boot und sind gleichermaßen an einer möglichst hohen Anschlussquote und vielen Neuverträgen interessiert. Dazu gibt es spezielle Angebote auch für den Privatkunden. Ähnlich agiert der Netzbetreiber auf Gemeindeebene auf Rügen, im Landkreis Lüneburg sowie im Landkreis Lüchow-Dannenberg.

on. “Wenn es gut läuft, können wir zum Ende der zehnjährigen Zinsbindung aber eine entsprechende Sondertilgung leisten, die ein dann sicherlich höheres Zinsniveau kompensiert.” Insgesamt rechnet man in Lauf mit Jede Gemeinde bestimmt ihr Tempo einem Förderanteil von 50 bis 60 Prozent. Für den Kämmerer Durch die Pachteinnahmen ist aber entscheidend, dass die tilgen die Kommunen ihre KreGemeinde mittel- bis langfris- dite, die sie für die Infrastruktig eine eigene turinvestitiInfrastruktur onen getätigt in den Hänhaben oder “Wir gehen davon den hält und noch tätigen aus, dass die meisten sich damit werden. Jede ihren Anschluss eigenstänGemeinde bedig aufstellen zahlt den Ausdirekt bestellen, und sich pribau auf ihrer damit steigt der Wert vate Partner Gemarkung ihrer Immobilie.” aus dem Teund bestimmt lekommunidadurch das kationssektor eigene Temsuchen kann. Die Kommunen po. Aktuell befindet man sich haben sich für NGN Telecom deswegen in unterschiedlichen als Netzbetreiber entschieden. Ausbaustadien, es wurden aber Gemeinsam geben sie dem Un- auch Meilensteine fixiert. So ist ternehmen einen “kommunalen vereinbart, dass die BackboneTouch”. Infrastruktur bis Ende 2018 fertig sein muss. In Lauf, aber auch Beide Partner in einem Boot in den meisten anderen IKZUnter der Dachmarke “Baden. Kommunen, hat man sich für net” ist sowohl das Bündnis der den sofortigen Vollausbau bis neun kommunalen Partner zu zu den Grundstücken entschiefinden wie auch NGN. Die priva- den. Im Gewerbegebiet Bühl, te TK-Gesellschaft aus München in dem der erste Netzabschnitt legte unter fünf Teilnehmern in Anfang September in Betrieb geder seit September 2016 lau- nommen wurde, sind bereits die fenden Ausschreibung das beste ersten Gewerbekunden an das Angebot vor. Seit Juli 2017 ist die Glasfasernetz angeschlossen. Gesellschaft Netzbetreiber. Das Der Betreiber informiert online Modell läuft wie folgt: Die Kom- über den aktuellen Status.

Mit der rund 30.000 Einwohner zählenden Stadt Bühl im benachbarten Landkreis Rastatt gehört zudem ein urbanes Mittelzentrum dem ansonsten sehr ländlich geprägten Breitband-Bündnis an. Von dieser Mischung sollen alle 60.000 Einwohner der beteiligten Kommunen profitieren. Denn einerseits erhält “Baden. net” wegen seiner mehrheitlich ländlichen Struktur zusätzliche Fördermittel des Landes Baden- “Wir sind besser!”, sagen sich neun Kommunen am südlichen Oberrhein und bauen gemeinsam mit einem privaten Württemberg. “Durch den über- Betreiber Wohn- und Gewerbegebiete seit September mit schnellem Internet bis hin zu Gigabit-Leitungen aus. Die wiegenden Charakter des länd- Förderung beträgt dabei aufgrund des ländlichen Charakters der Region bis zu 60 Prozent. Foto: BS/© ThomBal, Fotolia.com lichen Raums erhalten wir rund 30 Prozent mehr Fördermittel”, erklärt Essig-Christeleit. Auf der anschluss betragen 750 Euro “damit steigt der Wert ihrer Im- Versechsfachung der Leistung anderen Seite bringt Bühl nicht netto. Eigentlich. Denn nicht mobilie.” Gerade bei Mehrfami- gegenüber der Telekom. Zudem nur verdichtete Wohngebiete nur der Schwabe sei sparsam, lien-Häusern wird die Wieder- bis zu 23 Monate kostenlos. Wie mit ein, sondern auch Gewerbe- sagt Laufs Kämmerer mit einem vermietung in immer höherem ist so etwas überhaupt zu leisund Industriegebiete – die Stadt Augenzwinkern. Auch der Ba- Maße vom Bandbreitenempfang ten? dener kann beim Ausbau 450 abhängig werden. Das scheint grenzt direkt an Baden-Baden. Es sind die Geschäftskunden, Euro einbehalten, wenn er das zu wirken: Ohne größere Akqui- Aktuelles Zinsniveau erleichtert Investition die sich für die teureren symme- Leerrohr für die spätere Glas- se haben bereits die Hälfte der f a s e r l e i t u n g 450 Haushalte in den ersten trischen Tarife Die Kreditfinanzierung läuft selbst verlegt. zwei Ausbaugebieten der Ge- über die KfW und das badeninteressieren. “Es funktioniert nur, Für den Haus- meinde Lauf Interesse an einem württembergische Garantierte Förderind u r c h b r u c h Glasfaser-Anschluss angemelBandbreiten stitut L-Bank. Den Zeitrahmen wenn sich sowohl die gibt es noch det. Das ist wichtig! mit einem Gikalkuliert Essig-Christeleit mit Bürgermeister untereinmal 50 gabit pro Se20 Jahren. Das aktuelle Zinseinander als auch die Euro Rabatt. In Lauf haben die Hälfte aller niveau erleichtere die Investitikunde kosten Haushalte Interesse Aus 750 Euro 699 Euro pro Sachverständigen werden so 250 Monat. Diese Wie in so vielen Kommunen, auf Arbeitsebene gut Euro netto versucht die Deutsche Telekom höher dotierverstehen.” bzw. rund 300 “dazwischenzufunken”. Gerade ten Verträge Euro brutto. als im Mai dieses Jahres die quersubvenWer sich nicht Gemeinderäte der beteiligten tionieren in Von der Festplattenebene bis zum virtuellen Rechenzentrum gewisser Hinsicht die vielen frühzeitig entscheidet, wird IKZ-Kommunen zur Vergabe kleineren Verträge, die sich Ge- weitaus stärker zur Kasse ge- der Netzbetriebsverträge tagten, (BS/Stefan Kondmann) Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung benötigen Unternehmen, Kommunen meinden wie Lauf und Seebach beten. Nach Ende der Zeich- habe der frühere Monopolist und öffentliche Verwaltungen oft ad hoc und nur für begrenzte Zeiträume Zugriff auf Rechenzentrumskapain ihren Ortschaften erhoffen. nungsfrist und wenn der Bagger nach langem Stillschweigen of- zitäten. 1&1 Versatel bietet Nutzern neben hochbreitbandigen Cloud-Anbindungen die Möglichkeit, solche Kostenlos ist die Verlegung der erneut anrücken muss, fallen fenbart, seine bisherigen VDSL- Kapazitäten flexibel zuzubuchen und so auf Engpässe und schwankende Bedarfe zu reagieren – bequem auf Glasfaserkabel deshalb aber schnell über 2.000 Euro an. Anschlüsse durch Vectoring Knopfdruck und gleichzeitig nach strengsten deutschen Datenschutz- und Sicherheitsstandards. auch für den Privatverbraucher “Wir gehen davon aus, dass die ausbauen zu wollen. Bundesmeisten ihren Anschluss direkt weit kein seltener Vorgang. Statt Schneller, flexibler, mehr – Danoch nicht. Gewissheit, dass Die Netto-Kosten pro Haus- bestellen”, sagt der Kämmerer, sich lange zu ärgern, fahren die ten sind die Währung der digipersönliche Dabadischen Gemeinden nun die talisierten Gesellschaft: Neben ten in jedem Fall Strategie “Wir sind besser!”. Der dem Thema Bandbreite gewinnt streng nach BunNetzbetreiber, die NGN Telecom, deshalb die Cloud für die deutdesdatenschutzgarantiert dabei minimale und sche Wirtschaft immer mehr an gesetz BDSG und Stefan Kondmann (stefan. maximale Geschwindigkeiten. Bedeutung. Längst nutzen nicht auch EU-Datenkondmann@versatel.de), (BS/ein) Die Region zwischen südlichem Oberrhein und Schwarzwald Über Kupfer ist das nicht mög- mehr nur große Unternehmen Vertriebsleiter Bund und schutzgrundist durch unterschiedliche Topografie geprägt: Die bergige LandLänder bei 1&1 Versatel lich. Zudem macht man poten- und Start-ups diese Möglichverordnung schaft mit dem höchsten Gipfel des Nordschwarzwaldes (1.163 m ü. ziellen Kunden ein Angebot: keit, Daten zu speichern, an proEU-DSGVO verNN) fällt bis ins Rheintal bis an die französische Grenze flach ab. Foto: BS/Versatel Selbst wenn Telekom-Verträge fessionellen Am Verlauf des Rheins liegen nicht nur große Autobahn- Strom-, arbeitet werden. Cloud-Lösungen Gas- und Bahntrassen, sondern auch Telekommunikationsleitungen, noch fortdauern, erhalten Neu- führt auch für Mittelstand und Die Anbindung an die “angezapft” werden kann. Ein großer Vorteil, denn so kann kunden für den Übergangszeit- Kommunen kein Weg mehr vor- ter und Geschäftskundenspezi- an die Cloud erfolgt dabei nicht direkt die Verbindung zu den großen weltweiten Knoten realisiert raum bis zum eigentlichen Ver- bei. Im öffentlichen Sektor treibt alist 1&1 Versatel bietet privaten nur hochbreitbandig über das werden. tragsbeginn schon 300 Mbit/s vor allem der Trend zum Eigen- und öffentlichen Unternehmen Glasfasernetz von 1&1 Versadurch ihr Glasfaserkabel – eine betrieb von Netzen und Applika- gemeinsam mit seiner Schwes- tel, sondern zudem hochsicher tionen den Bedarf nach flexibel terfirma ProfitBricks die Lösung, über einen individuell nutzbanutzbaren Rechenzentrumska- Rechenzentrumskapazitäten ren Cloud Connect auf Basis von pazitäten. Hinzu kommen die aus der Cloud zu buchen und MPLS-VPN. spezifischen Charakteristika per grafischer Benutzeroberfläder Softwareentwicklung für che Data Center Designer (DCD) Keine Einschränkungen mehr E-Government-Anwendungen, über moderne Schnittstellen Kommunal Live 2017 rund um das Thema Sauberkeit beispielsweise in Bezug auf Si- einzurichten. Dies erlaubt es Gerade für Übergangsphasen cherheitsaspekte oder Agilität. den Unternehmen, die Cloud so und Testsituationen stellt diese Zudem haben sich die Ansprü- zu nutzen, wie es zu ihren jeweils flexible Nutzung ohne zeitliche (BS) Die Daimler AG hat an den zwei “saubersten Tagen” des Jahres bei der Kommunal Live 2017 in che an Rechenzentrumskapazi- aktuellen Anforderungen passt, (Mindest-)Bindung unter WahHannover ihr Nutzfahrzeug-Portfolio präsentiert, von der Kehrmaschine bis zum Abfallsammelfahrzeug. täten in den vergangenen Jah- denn die ProfitBricks-Cloud rung aller Sicherheitsanforderen verändert. Hier steigt bei verhält sich wie reale Hardware rungen für öffentliche VerwalGezeigt wurden mehr als 100 sowie die vielfältigen kommu- fahraktiven Stationen live erStorage, Rechenleistung und und lässt sich feingranular und tungen die ideale Ergänzung Fahrzeuge, vom leichten Citan nalspezifischen Ausstattungen lebt. Mit Unterstützung von InProzessoren sowie durch den äußerst flexibel skalieren – von zu einer selbst betriebenen bis zum schweren Arocs und von Transportern. Im Bereich struktoren “erfuhren” viele der verstärkten Einsatz virtueller der Festplattenebene bis zu Rechenzentrumsinfrastruktur dem geländegängigen Unimog. Kehrmaschinen wurden unter- Interessenten, wie zu vermeiMaschinen die Nachfrage, Ka- einem gesamten virtuellen Re- dar. Immer dann, wenn die geMit dabei waren rund 30 spezi- schiedlichste Aufbaumöglich- den ist und man seine Brempazitäten kurzfristig und für be- chenzentrum. Dabei müssen wünschte Zielsituation erreicht alisierte Aufbauhersteller, die keiten auf den Fahrgestellen sen richtig einsetzt, was eine grenzte Zeiträume auszulagern. keine Kapazitäten vorgebucht ist – beispielsweise durch die praxisorientierte Lösungen für der vier Baureihen Unimog, Turbo-Retarder-Kupplung Datenschutz und Vertrauen in werden, abgerechnet wird im Inbetriebnahme der neu entwiden kommunalen Einsatz prä- Atego, Antos und Arocs vorge- bewirkt und wie man sich im den Cloud-Anbieter sind ange- Minutentakt. 1&1 Versatel und ckelten Applikationen oder den stellt. Erstmals zeigte die Daim- Offroad-Gelände sicher verhalsentieren. sichts der hohen und sehr be- ProfitBricks haben beide ihren abgeschlossenen Ausbau der Die ausgestellten Modell- ler AG Veranstaltung auch alle ten kann. Mehrere Stationen sonderen Anforderungen der Unternehmenssitz in Deutsch- eigenen Kapazitäten – kann umvarianten sind in die Anwen- Smart Electric-Drive-Modelle. auf dem über 20.000 Quadöffentlichen Hand dabei immer land und greifen auf heimische gehend auf die passende (Eigen)Das Fachpublikum hat diese ratmeter großen Gelände in dungsbereiche Nassabfall, Trozentrale Themen. Rechenzentren zurück. 1&1 Infrastruktur geschwenkt werckenabfall, Kehrmaschinen, Innovationen im Bereich von Hannover-Laatzen ermöglichVersatel gewährleistet, dass den. Eine Einschränkung der Straßenbetriebsdienst und Entsorgungs- und Kommunal- ten Offroad-Vergleichsfahrten Flexibel und sicher in die der Datentraffic Deutschland Betriebsleistung durch InfraWinterdienst eingeteilt. De- aufgaben nicht nur theoretisch etwa auf Buckelpisten mit SteiCloud nicht verlässt. Anders als bei struktur-Planungs- und Aufmonstriert werden auch Fahr- und visuell wahrgenommen, gungs- und QuerneigungshüCloud- bauzeiten gehört damit endgülzeuge mit Hubarbeits-Bühnen sondern auch im Rahmen von geln. Der zur United Internet Gruppe US-amerikanischen gehörende Infrastrukturanbie- Anbietern erhält der Kunde die tig der Vergangenheit an.

Die Cloud für alle Fälle

An der “Rhein-Schiene”

Nutzfahrzeuge im Praxistest


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Kommunale Infrastruktur / Kommunale Ordnung

Seite 27

Videobeobachtung zulässig

Nachhaltige Mobilität auf Kurs

Niedersächsische Datenschutzbeauftragte verliert vor Oberverwaltungsgericht

E-NNOVATION Center Bodensee eröffnet

(BS/Marco Feldmann) Die Videoüberwachung in den Fahrzeugen der Hannoveraner Verkehrsbetriebe (ÜSTRA) ist statthaft. Eine Einstellungsanordnung der niedersächsischen Datenschutzbeauftragten Barbara Thiel bleibt damit aufgehoben, entschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Damit wurde eine Berufung Thiels gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover zurückgewiesen.

(BS/ein) E-Mobilität mal richtig ausprobieren – beschleunigen, bremsen, aufladen?! Das ist nicht nur für Privatpersonen möglich, sondern auch für Vertreter von Kommunen. Ein Anbieter für Fahr- und Sicherheitstraining aus Steißlingen am Bodensee bietet sei Juli nun auch elektromobile Fahrpraxis samt Infrastruktur und Beratung. Ein Novum.

Die Datenschutzbeauftragte hatte der ÜSTRA, die in zahlreichen ihrer Fahrzeuge festinstallierte Videokameras verwendet, aufgegeben, diese Form der Beobachtung in ihren Bussen und Stadtbahnen während der Verwendung im Öffentlichen Personennahverkehr einzustellen. Die Verkehrsbetriebe hätten die Überwachung erst wieder aufnehmen dürfen, wenn sie ein nach Linien und Tageszeiten differenziertes Nutzungskonzept der Kameras vorgelegt und implementiert hätten. Eine zweite Möglichkeit zur Wiederinbetriebnahme hätte darin bestanden, anhand konkreter Anhaltspunkte aufzuzeigen, dass die Beobachtung zeitlich und räumlich uneingeschränkt notwendig gewesen wäre.

“Wir wollen Ihnen alle sinnvollen Produkte und Angebote präsentieren und entsprechend beraten”, erklärt Projektleiter Franz Fabian. “Wir sind kein Händler, wir verkaufen Ihnen nichts.”Das E-NNOVTION Center kooperiert mit allen Herstellern, vom Fahrzeug über die Ladeinfrastruktur, den Energieanbieter bis hin zum Handwerker. Ganzheitlichkeit wird hochgehalten.

Schon Verwaltungsgericht gab ÜSTRA Recht Gegen diese Verfügung, bei deren Erlass sich Thiel auf Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes stützte, klagte die ÜSTRA erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht. Die dortigen Richter entschieden, dass das Bundesdatenschutzgesetz in diesem Falle nicht anwendbar sei, weil es sich bei der ÜSTRA um eine öffentliche Stelle des Landes Niedersachsen handele, für die der Datenschutz durch ein Landesgesetz geregelt sei. Und diese Bestimmung enthalte keine Eingriffsbefugnis, auf die die Anordnung der Landesdatenschutzbeauftragten gestützt werden könne.

Fahrzeuge, Ladeeinrichtungen, Energiespeicher

Die Hannoveraner Verkehrsbetriebe ÜSTRA dürfen auch in Zukunft ihre Fahrzeuge, darunter Straßenbahnen (Foto), mithilfe von Videokameras überwachen. Eine gegenteilige Verfügung der niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten, Barbara Thiel, wurde vom Oberverwaltungsgericht Lüneburg verworfen. Foto: BS/ÜSTRA

Die Richter des Lüneburger Oberverwaltungsgerichtes bestätigten nun das Urteil der Vorinstanz im Ergebnis. Zugleich hielten sie jedoch fest, dass das Bundesdatenschutzgesetz sehr wohl anwendbar sei und der ÜSTRA die Videobeobachtung in ihren Fahrzeugen gestatte.

Verkehrsbetriebe haben berechtigtes Interesse Die Überwachung diene der Wahrnehmung berechtigter Interessen der Verkehrsbetriebe. Dazu gehörten unter anderem die Verhütung und Verfolgung von Straftaten gegen ihre Fahrzeuge. Diese seien im Verhältnis zu den schutzwürdigen Interes-

sen der von der Überwachung Betroffenen vorrangig, so die Richter. Thiel bedauerte das Urteil und betonte: “Die Annahme, dass die Kameras auch zur Vermeidung von Straftaten beitragen, ist kriminologisch nicht belegt.” Deshalb werde man die Entscheidung, die aus ihrer Sicht grundsätzliche Bedeutung hat, auch sorgfältig prüfen. Dafür müsse aber zunächst die schriftliche Begründung vorliegen. Auch Rechtssicherheit gibt es nach Ansicht der niedersächsischen Landesdatenschutzbeauftragten erst, wenn die Entscheidung Rechtskraft erlangt hat.

Fabian will die Infrastruktur des modernen, multifunktionalen Fahrzentrums in Steißlingen nutzen, um möglichst persönlich zu informieren und so nah wie möglich an den Bedürfnissen und Voraussetzungen der Fahrer zu sein. Im ersten Schritt konzentriert sich der Fahrsicherheitsexperte mit seinem Team dabei auf E-Fahrzeuge im Pkw-Bereich, auf aktuelle Ladeinfrastrukturen sowie Energiespeicher- und Photovoltaik. Schrittweise sollen immer mehr Fahrzeuge dazu kommen und künftig auch Elektro-Zweiräder getestet werden können. “EMobilität ist alltagstauglich, das wollen wir zeigen, vor allem aber erlebbar machen.”

Fahrerfahrungen auf 5,4 Hektar Bei vielen Erstberatungen gelte es erst einmal, Vorbehalte und Mythen abzubauen, um Menschen von der neuen Mobilität zu begeistern. Bei einer ersten Stadtverwaltung aus der Region sei das schon gelungen, erklärt

Wo bislang Sicherheitstrainings mit konventionellen Fahrzeugen stattfanden, drehen nun auch E-Fahrzeuge ihre Runden. Fotos: BS/Fahren Erleben Bodensee

Wie reagieren Elektro-Autos beim Bremsen und auf nasser Fahrbahn? In Steißlingen am Bodensee können Nutzer der Sache auf den Grund gehen.

Fabian. Erstgespräche seien kostenlos und Kommunen aller Art herzlich willkommen. Das E-NNOVATION Center ist ein Gemeinschaftsprojekt des Bundesverbands eMobilität und von Fahren Erleben Bodensee, auf dessen 5,4 Hektar großen Gelände sich gleichermaßen ein

Verkehrsübungsplatz, ein fahrdynamisches Zentrum, eine Jugendverkehrsschule und GoKart-Bahn sowie eine Off-RoadStrecke befinden. Unterstützt wird das Projekt von Partnern aus der Region, die dafür sorgen, dass Fahrzeuge vor Ort zur Verfügung stehen.


Bundeskongress Kommunale Ordnung

Seite 28

D

eshalb verlangt er mehr finanzielle Mittel für Sicherheitsaufgaben für die Kommunen, ausreichend und gut qualifiziertes Personal für derartige Aufgaben dort und gut ausgebildete private Sicherheitsdienste. Des Weiteren müsse die Befähigung des Personals in der öffentlichen Verwaltung von Städten und Gemeinden zum lageorientierten Führen ausgebaut werden, forderte der ehemalige Generalstabsoffizier der Luftwaffe auf dem diesjährigen “Bundeskongress Kommunale Ordnung” des Behörden Spiegel im niedersächsischen Wolfsburg. Vor rund 130 Teilnehmern betonte Trauboth zudem: “Das Krisenmanagement in der Verwaltung muss professionalisiert werden.” Denn: “In der Krise entscheidet die richtige Führung.”

Strukturen überfordert? Der frühere Bundeswehroberst übte aber auch scharfe Kritik an den Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS), die seines Erachtens sowohl beim “Nationalsozialistischen Untergrund” als auch im Fall vom Attentäter auf dem Berliner Breitscheidplatz, Anis Amri, versagt hätten. Er bemängelte: “Die Struktur der Inneren Sicherheit in Deutschland ist angesichts der Terrorbedrohungen überfordert.” Um hier in Zukunft besser zu werden, verlangte der ehemalige Kampfpilot eine stärkere Kompetenzzentralisierung auf Bundesebene. Denn: Der Föderalismus habe beim Anti-

Der nächste “Bundeskongress Kommunale Ordnung” findet am 26. und 27. September 2018 in Hamburg statt.

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Neue Architektur erforderlich Bei der Inneren Sicherheit kommt es auch auf die Kommunen an (BS/Marco Feldmann) Ohne starke Städte und Gemeinden wird es zum einen schwer, die Innere Sicherheit hierzulande umfassend zu gewährleisten. Zum anderen kann es ohne effektive Kräfte auf lokaler Ebene keine neue Sicherheitsarchitektur in der Bundesrepublik geben. Das zumindest glaubt der Terrorismusexperte Jörg H. Trauboth. Terror-Kampf versagt. Deshalb brauche es eine schlagkräftige Bundespolizei nach dem Vorbild des US-amerikanischen FBI. In dieser neuen Behörde sollten das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei vereinigt werden. Außerdem plädierte Trauboth für eine Aufgabenreduzierung in den Landeskriminalämtern und die Auflösung der Landesämter für Verfassungsschutz zugunsten einer Bündelung beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Des Weiteren konstatierte er: “Die Terrorismusbekämpfung ist nur im europäischen oder sogar im internationalen Verbund möglich.”

Netzwerke entscheidend Wie Kommunen tatsächlich zu einem höheren objektiven und subjektiven Sicherheitsgefühl beitragen können, beleuchteten bei der Veranstaltung Michael Sothmann, städtischer Geschäftsbereichsleiter Bürgerdienste in Wolfsburg, und die Leiterin des Amtes für öffentliche Ordnung der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart, Dorothea Koller. Dabei stellte Sothmann unter anderem die “Ordnungspartnerschaft Nordkopf” vor. Diese wurde im Jahr 2000 gegründet. Mitglieder waren zunächst die Wolfsburger Polizei, die Bundespolizei, die Deutsche Bahn AG, das städtische Ordnungsamt, die Autostadt, und die Wolfsburger Verkehrsgesellschaft. Inzwischen sind diesem Verbund, dessen ursprüngliches Ziel die Erarbeitung eines Sicherheits-

Rund 130 Teilnehmer konnten zum diesjährigen “Bundeskongress Kommunale Ordnung” des Behörden Spiegel in Wolfsburg begrüßt werden.

konzepts war und der laut Sothmann ein großer Erfolg ist, weitere Institutionen beigetreten. Dazu gehören etwa die Volkswagen-Konzernsicherheit, der Fußball-Erstligist VfL Wolfsburg und die Wasserschutzpolizei. Ihr Zusammenwirken habe dazu beigetragen, dass die Kriminalität im Bereich des sogenannten Nordkopfs in der Nähe des Hauptbahnhofs der 125.000-Einwohner-Stadt merklich zurückgegangen sei, berichtete der Geschäftsbereichsleiter. Angesichts dessen zeigte sich Sothmann überzeugt: “Entscheidend für die Gewährleistung von Sicherheit ist das Bilden von Netzwerken.”

ses interdisziplinären und von Polizei, Ordnungs- sowie Jugendamt paritätisch besetzten Fachdienstes sei die Jugendkriminalität in der Stadt in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Dies habe man erreicht, indem man mit jungen Gewalttätern das Gespräch gesucht, bei Beschwerden zwischen Erwachsenen und Heranwachsenden vermittelt, aber gleichzeitig null Toleranz gegenüber Gewalt gezeigt habe. Mithilfe dieses Ansatzes sei es gelungen, einerseits das Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken und andererseits Lobbyarbeit für die Jugendlichen zu betreiben.

Kriminalitätsrate rückläufig

Allgemeinverfügung zunächst ohne Erfolg gezeitigt

Ebenfalls Erfolge hat laut dem Bereichsleiter die Wolfsburger Institution “Streetlife”, die 2004 als Projekt startete. Durch die Mitarbeiter die-

Wie langwierig die Bearbeitung eines ordnungsrechtlichen Problems teilweise jedoch sein kann, beleuchtete die Stuttgar-

terin Koller anhand des Vorgehens ihres Amtes für öffentliche Ordnung gegen massives, teilweise schon bandenmäßiges Betteln durch Südosteuropäer. Dabei berichtete sie, dass es Bettelei in Stuttgart zwar schon immer gegeben habe, es aber schon im Jahre 2008 zu ersten Beschwerden über eine neuartige Intensität und Begehensweise gegeben habe. 2014 habe die baden-württembergische Landeshauptstadt dann eine Allgemeinverfügung gegen Betteln erlassen und diese auch auf Rumänisch und Bulgarisch veröffentlicht. Diese Regelung habe zunächst aber nicht zur Behebung des Problems beigetragen. Ganz im Gegenteil: 2015 hätten erste Bettler in Kleingruppen Parkanlagen im Stadtgebiet belegt. “Auch wenn tagsüber kein Hausstand von ihnen auf den Wiesen zu sehen war, campierten sie dort nachts”, erzählte Koller. Das habe zu einer weiteren Zunahme der Anzahl von Beschwerden geführt. “Daraufhin wurde die Bettlerei zur Chefsache im Stuttgarter Rathaus gemacht.” Irgendwann sei allen Beteiligten klar geworden: “Da hilft nur noch das Ordnungsrecht, auch wenn es für diese Szene keine schnellen Lösungen gibt.” Vielmehr erfordere das Vorgehen gegen diese Personen einen hohen Aufwand und ein großes Maß an Konsequenz.

Situation hat sich gebessert Mittlerweile patrouillierten jeweils vier Mitarbeiter des Städti-

schen Vollzugsdienstes und der Landespolizei im Innenstadtbereich. Und diese erhöhte Personalpräsenz scheint Wirkung zu zeigen. Die Zahl der erteilten Platzverweise und Anzeigen wegen Bettelei sei massiv angestiegen. Heute campierten nur noch etwa 50 bis 80 Roma in Stuttgart. Diesen Rückgang führte Koller auf mehrere Faktoren zurück. Zum einen sei da der engere rechtliche Rahmen mit der Allgemeinverfügung gewesen. Zum anderen seien deren Bestimmungen konsequent durchgesetzt worden und bei allen staatlichen Akteuren akzeptiert gewesen. Des Weiteren habe eine begleitende, aufklärende Öffentlichkeitsarbeit stattgefunden. Grundsätzlich sei es wichtig, zu sagen: “Wir dulden keine rechtsfreien Räume.” Aber ein Problem sei noch nicht behoben, räumte Koller in Wolfsburg ein, als sie klarmachte: “Gegen die südosteuropäischen Bettler kann kaum ausländerrechtlich vorgegangen werden.” Denn: Die Festsetzung des Verlusts der Freizügigkeit sei bei Bürgern aus der Europäischen Union nur schwer rechtlich realisierbar.

Der Terrorismusexperte Jörg H. Trauboth plädierte dafür, bei der Gewährleistung der Inneren Sicherheit hierzulande die Kommunen nicht zu vergessen. Fotos: BS/Feldmann

Bisher ausgeschlossen

Beschäftigte sind zu oft Opfer

Richtlinie erfasst Ordnungsämter noch nicht

Zahlreiche Berliner Ordnungsamtsmitarbeiter bereits mit Gewalt konfrontiert

(BS/mfe) Bisher dürfen Kommunale Ordnungsdienste noch nicht am (BS/mfe) Rund zwei Drittel aller Ordnungsamtskräfte in der Bundeshauptstadt Berlin wurden bereits Opfer von Straftaten. In bisher 43 Fällen wurden Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben sie sogar mit Waffen aller Art attackiert, darunter auch Fahrzeuge. Und 36-mal waren die Gewalterfahrungen derart schwer, dass die Mitarbeiter (BOS) teilnehmen. Das hat einen ganz einfachen Grund: Sie werden an psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen mussten. keiner Stelle der maßgeblichen BOS-Funkrichtlinie erwähnt. Darauf wies der Leiter der Autorisierten Stelle Digitalfunk in Niedersachsen, Stefan Wächter, hin. Zugleich machte er aber auch deutlich, dass in seinem Bundesland zwar die Landesregierung die für den BOS-Digitalfunk erforderliche Infrastruktur errichte und dessen Betrieb sicherstelle. Ungeachtet dessen könnten die Kommunen diesem Netz – sofern von ihnen gewünscht – beitreten. Dann müssten sie aber auch 30 Prozent der Betriebskosten tragen. Derzeit gebe es in Niedersachsen circa 500 Digitalfunk-Basisstationen und etwa 170.000 Nutzer des Netzes, in dem rund 65.000 aktive Endgeräte verzeichnet seien. Diese hohen Zahlen gingen aber keineswegs zulasten der Verfügbarkeit, stellte Wächter klar. Vielmehr betonte er: “Der BOS-Digitalfunk hat sich sowohl in Großlagen als auch im Alltagsbetrieb bewährt.” Dennoch gebe es noch Baustellen, räumte der Leiter der Autorisierten Stelle, die alle Nutzer gleich behandele, ein. Dazu zählten unter anderem die Anbindung von Leitstellen, der Bereich der Kommunikationstaktik sowie die Netzmodernisierung.

Zentrales Leitstellensystem kann helfen Ebenfalls Optimierungspotenzial zeigte Katrin Betz auf. Die Leiterin für den Bereich Softwareentwicklungen für OrdnungsbehördenbeiderEurOwiG

Machte deutlich, dass Kommunale Ordnungsdienste bisher noch nicht am Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) teilnehmen dürfen: Stefan Wächter, Leiter der Autorisierten Stelle Digitalfunk in Niedersachsen.

AG unterstrich die Bedeutsamkeit eines zentralen Leitstellensystems, das auch Elemente der elektronischen Aktenführung und Terminverwaltung beinhalte. Dadurch könnten zum Beispiel Doppelerfassungen von Sachverhalten vermieden und vordefinierte Eingabemasken und Schnittstellen verwendet werden. Dies führe zu Zeitersparnissen und verhindere eine uneinheitliche Vorgangsbearbeitung. Des Weiteren könne mit einem derartigen System dem häufig anzutreffenden Personalmangel in Ordnungsämtern und extrem langen Reaktionszeiten aufgrund von in verschiedenen Abteilungen verstreuten Daten begegnet werden, so Betz.

Sie litten zum Beispiel unter Schlafstörungen, unkontrollierten Wutausbrüchen, angstvollem Vermeidungsverhalten oder Konzentrationsschwierigkeiten, wie aus einer Studie von Ronald Mikkeleitis, leitender Mitarbeiter beim Bezirksamt Mitte von Berlin, hervorgeht. Er hält angesichts dieser Daten fest: “Die Zahlen sind deutlich zu hoch und müssen unbedingt gesenkt werden.” Zudem berichtet der ehemalige Polizeivollzugsbeamte, der auch selbst schon Gewaltopfer war: “Scheinbar unbeeindruckt sind die Täter von dem Umstand, dass unsere Kräfte ganz überwiegend als Doppelstreife unterwegs sind.” Ebenso werde Gewalt allenthalben angewendet, egal ob gegenüber Männern oder Frauen. Und noch etwas bereitet ihm Sorge: “In Berlin werden die Beschäftigten der Ordnungsämter zunehmend mit Urin übergossen und mit Exkrementen beworfen. Das ist absolut nicht hinnehmbar.”

Alle Attacken anzeigen Aus diesem Grunde verlangte Mikkeleitis auch, jede Straftat, die gegen einen Ordnungsamtsbeschäftigten begangen werde, zur Anzeige zu bringen. “Ansonsten besteht die Gefahr, die Tat zu relativieren”, warnte er. Darüber hinaus berichtete der Berliner, dass 78 Prozent aller ihm im Rahmen seiner Analyse bekanntgewordenen Angriffe durch Einzeltäter erfolgt und die Attacken in 88 Prozent der Fälle für den Betroffenen über-

raschend gekommen seien. Und das ungeachtet der Tatsache, dass bei 65 Prozent der Attacken zuvor ein Gespräch zwischen Täter und Opfer stattgefunden habe. Ebenso unerheblich für die Anzahl der Angriffe seien Tageszeiten und Lichtverhältnisse. So habe er keinen Anstieg bei Dunkelheit feststellen können. Die meisten Übergriffe habe es übrigens nach der Feststellung von Ordnungswidrigkeiten gegeben. Teilweise hätten die Ordnungsamtsmitarbeiter dann zur Selbstverteidigung sogar Pfefferspray einsetzen müssen, erläuterte Mikkeleitis.

Insbesondere Männer greifen an Und er präsentierte nach der Auswertung der anonymisierten Fragebögen von 362 Ordnungsamtsmitarbeitern aus neun von zwölf Berliner Bezirken den “typischen” Täter. Dieser sei männlich, allein handelnd, mittleren Alters, von normalem Körperbau und weder alkoholisiert noch unter dem Einfluss anderer Drogen stehend. Zudem führe er vor der Tat einen Dialog mit dem Ordnungsamtsmitarbeiter, greife dann für diesen überraschend an, fliehe nach der Attacke nicht vor dem Eintreffen der Polizei und nehme keine Rücksicht auf möglicherweise vorhandene Zeugen. Mikkeleitis gab auf Basis seiner Studie den rund 130 Teilnehmern des “Bundeskongresses Kommunale Ordnung” auch Tipps mit auf den Weg. So soll-

ten zwecks Deeskalation und möglicher Vermeidung von Attacken Gespräche grundsätzlich im Dialog geführt werden. Des Weiteren komme es darauf an, das Gegenüber nicht herabzusetzen und eine höfliche, in der Sache aber durchaus bestimmte Gesprächsführung zu wahren. Außerdem könne der Außendienstmitarbeiter ein gemäßigtes Lächeln und offene Hände zeigen. Keinesfalls sollte er den Kopf senken oder den Kopf beziehungsweise dann Kinn nach vorne recken. Denn das könne als Zeichen der Bedrohung interpretiert werden. Und noch etwas sei entscheidend: Das ordentliche und korrekte Tragen der Dienstuniform. “Dies vermittelt nämlich den Eindruck von Korrektheit und guter Selbstorganisation”, erläuterte Mikkeleitis.

den Kommunalen Ordnungsdienstbeschäftigten in dem neuen Ausbildungsberuf auch verschiedene Bereiche vermittelt werden. Dazu gehörten unter anderem Verwaltungs- und Bürokunde, Staats- und Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht, aber auch Grundlagen der Kommunikation und Einsatztraining, meinte Stolberg-Goetze. Als frühestmöglichen Start der neuen, dreijährigen Ausbildung benannte sie den 1. August 2019. Und selbst dann wären die ersten derart ausgebildeten Beschäftigten erst 2022 auf der Straße unterwegs, räumte die Vertreterin der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport ein.

Eigenständigen Ausbildungsberuf schaffen Ebenfalls aus Berlin kam Christine Stolberg-Goetze. Sie betonte, dass die Aufgabenzuschnitte, Beschäftigteneingruppierungen und Qualifizierungen der Mitarbeiter bei den Kommunalen Ordnungsdiensten deutschlandweit sehr unterschiedlich seien. Diese massiven Differenzierungen zeigten ihres Erachtens die Notwendigkeit eines einheitlichen und eigenständigen Ausbildungsberufs nach dem Berufsbildungsgesetz für den Kommunalen Ordnungsdienst. Deshalb müssten den angehen-

Ronald Mikkeleitis vom Berliner Bezirksamt Mitte präsentierte die Ergebnisse seiner Studie zu Gewalterfahrungen von Ordnungsamtsmitarbeitern im Dienst. Außerdem gab er Hinweise zur Deeskalation möglicher Gefahrensituationen.


Digitaler Staat Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2017

Kohärenz im Koffer

KNAPP FITKO gestartet

Bremer Delegation nimmt vielfältige Digitalisierungsimpulse aus Kopenhagen mit zurück an die Weser (BS/Guido Gehrt) “Die dänische Digitalisierungsstrategie zeigt, wie viele Schritte Deutschland noch gehen muss. Zugleich hat die Praxis der Stadt Kopenhagen deutlich gemacht, dass Bremen in der Digitalisierungspolitik auf dem richtigen Weg ist”, so das Fazit von Bremens Oberbürgermeister Dr. Carsten Sieling, der Anfang September eine hochkarätig besetzte Delegationsreise des Senats der Freien Hansestadt Bremen und der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven – in die dänische Hauptstadt Kopenhagen anführte. Im Rahmen der dreitägigen Reise wurden die Bremer u. a. vom dänischen Wirtschaftsminister, Brian Mikkelsen, empfangen, der mit den Teilnehmern die dänische Digitalisierungsstrategie erörterte. Hierbei spielten insbesondere die Investitionen in digitale Infrastruktur und die Stärkung des Wirtschaftsstandorts angesichts der Herausforderungen der Digitalisierung eine Rolle. Eine Konferenz in der deutschdänischen Außenhandelskammer lieferte Einblicke zu Themen wie der digitalen Strategie für den öffentlichen Sektor in Dänemark, der digitalen Signatur, dem digitalen Bürgerservice in Kopenhagen und zum Datenschutz in Dänemark. Bremens IT-Direktor Dr. Martin Hagen und Umweltstaatsrat Ronny Meyer stellten den Dänen ihrerseits Bremens digitale Strategie bzw. die Aktivitäten zur Smart City in Bremen vor. Auf dem Terminkalender standen u. a. auch ein Treffen mit dem Unternehmen Maersk und ein Besuch bei “Kommunernes Landsforening”, dem kommunalen Spitzenverband, dem alle 98 Kommunen in Dänemark angehören. Zudem informierte man sich über Univate – die Start-up-Initiative der Copenhagen University – und über Smart-City-Initiativen. Das Arbeitsprogramm der dänischen Regierung mit Blick auf die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung erläuterte der zuständige Unterstaatssekretär für Innovation im Dänischen Finanzministerium, Lars FrellePetersen: “Digitalisierung ist als solche kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, mit dessen Hilfe wir der Gesellschaft einen gut funktionierenden öffentlichen Sektor zur Verfügung stellen können.”

Die Bremer Delegation nutzte die Reise zum intensiven Infomationsaustausch: oben links: Gespräch mit dem dänischen Wirtschaftsminister Brian Mikkelsen (l.); oben rechts: Dänemarks Botschafter in Deutschland, Friis Arne Petersen, richtete im Rahmen der Koferenz einige Worte an die Delegation; unten links: Der deutsche Botschafter Claus Robert Krumrei lud zum Empfang in seine Residenz (Bildmitte: Bremens Oberbürgermeister Dr. Carsten Sieling); unten rechts: Unterstaatssekretär Lars Frelle-Petersen erläuterte den Teilnehmern die Kohärenz-Initiative der dänischen Regierung, die bis Jahresende konkrete Züge annehmen soll. Foto: BS/Senat der Freien Hansestadt Bremen

Ein reibungslos funktionierender öffentlicher Sektor sei auch Ziel der neuen Kerninitiative der dänischen Regierung. Mit dem im Frühjahr gestarteten Arbeitsprogramm für die Reform des öffentlichen Sektors wolle man die Silos überwinden und Bürger und Unternehmen wieder in das Zentrum der öffentlichen Dienstleistungen rücken. Ziel sei, es “einen besseren und kohärenteren öffentlichen Sektor” zu bekommen. Um das zu verwirklichen, habe man vier Fokusbereiche definiert. “In erster Linie brauchen wir weniger Vorschriften und Regeln”, führte Frelle-Petersen aus. Man wolle die Behördenmitarbeiter

von unnötigen bürokratischen Bürden befreien. Insbesondere die Mitarbeiter in Stadt- und Regionsverwaltungen sollten mehr Zeit haben, um den Bürgern die Kernleistungen der Verwaltung zu liefern. Beispielsweise sollten Bürger keine unnötigen Anträge stellen müssen, wenn andere öffentliche Behörden über die Informationen verfügten, die zur Entscheidung über einen Antrag erforderlich seien. Dieses Szenario erfordere objektive Kriterien und eine Gesetzgebung, die auf eine Verwaltung im digitalen Zeitalter vorbereitet sei, so der Unterstaatssekretär. Der zweite Fokusbereich der Regierung liege auf der Schaf-

Save the date: 20.-21. März 2018

fung eines kohärenten öffentlichen Sektors. “Wir müssen die Sozialleistungen verbessern, indem wir einen öffentlichen Sektor schaffen, der als eine einzige Einheit funktioniert und nicht als Teile eines zerlegten Puzzles”, erklärte Frelle-Petersen. Warum solle man etwa nicht Kohärenz zwischen Arbeitsämtern und Sozialversicherungsdienstleistungen erwarten können? Der dritte Fokusbereich solle den öffentlichen Sektor auf die Zukunft vorbereiten. “Wir wollen die neuen technischen Lösungen nutzen, um die Qualität öffentlicher Dienstleistungen zu verbessern. Und wir wollen den öffentlichen Sektor effizient, ef-

fektiv und flexibel für zukünftige Veränderungen machen, um den steigenden Anforderungen durch Bürger und Gesellschaft gerecht zu werden”, erläuterte er. Deshalb müsse man neue Technologien einsetzen, die sich gut bewährt hätten, wie beispielsweise im Bereich der Telemedizin.Großes Potenzial sieht er bei öffentlich erfassten Daten, die nicht nur von öffentlichen Behörden, sondern auch vom privaten Sektor genutzt werden sollten, solange es sich nicht um vertrauliche Daten handele. Mit ihrer Hilfe könnten neue Dienstleistungen und Produkte entstehen, die der dänischen Wirtschaft zu Wachstum verhelfen würden. “Wir erwarten sehr viel von unserem zukünftigen Datenverteilungsservice, der nicht vertrauliche Daten privaten Unternehmen für kommerzielle Zwecke leichter zugänglich machen soll”, so Frelle-Petersen. Der vierte Fokusbereich der Regierung sei die Unterstützung von Führung und Management in der öffentlichen Verwaltung. “Wir glauben fest daran, dass dieser Einsatz wesentlich mit dazu beitragen wird, das Potenzial unserer 800.000 Angestellten im öffentlichen Sektor freizusetzen”, erklärte er. “Deshalb hat die dänische Regierung eine neue Führungskommission gegründet, die Empfehlungen für gute Managementpraxis in öffentlichen Organisationen geben wird”, fuhr er fort. Deren Arbeit solle Ende des Jahres zusammen mit den übrigen Vorschlägen der Reforminitiative der Regierung vorliegen. “Kohärenz ist das wichtigste Gepäckstück dieser neuen innovativen Reise”, unterstrich Frelle-Petersen seine Kernbotschaft, die auch bei der Bremer Delegation auf ein sehr positives Echo stieß.

(BS/lkm) Der IT-Planungsrat als das zentrale politische Steuerungsgremium von Bund und Ländern für die IT-Steuerung in der öffentlichen Verwaltung soll gestärkt werden. Die Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder haben Mitte September in Stralsund den Startschuss für die so genannte “Föderale ITKooperation” (FITKO) gegeben. Damit soll der IT-Planungsrat eine leistungsfähige Organisation erhalten, um die digitalen Herausforderungen effizient bewältigen zu können (siehe hierzu auch Seite 37).

EU-weite Anerkennung der eID-Funktion (BS/lkm) Deutschland hat als erster EU-Mitgliedstaat die Notifizierung der Online-Ausweisfunktion erfolgreich abgeschlossen. Damit wird die eID-Funktion des Personalausweises und des elektronischen Aufenthaltstitels ab dem 29. September 2018 europaweit zur elektronischen Identifizierung in digitalen Verwaltungsverfahren anerkannt. Die Notifizierung erfolgte nach Begutachtung durch technische Experten nahezu aller Mitgliedstaaten auf dem höchstmöglichen Vertrauensniveau “hoch” gemäß eIDAS-Verordnung.

NKR veröffentlicht Register-Gutachten (BS/gg) Der Nationale Normenkontrollrat (NKR) hat ein Gutachten zur Registermodernisierung veröffentlicht. Der NKR fordert, dass die Registermodernisierung Kern eines neuen Regierungsprogramms werden muss und sieht diese als Voraussetzung für das Gelingen der bereits geplanten Digitalisierungsvorhaben Portalverbund und Bürgerkonto. Das NKR-Gutachten 2017 “Mehr Leistung für Bürger und Unternehmen: Verwaltung digitalisieren. Register modernisieren.” steht unter www.normenkontrollrat.de zum Download zur Verfügung.

KOSMOS, Berlin

THEMENKANÄLE

Bereits zum 21. Mal wird der Digitalisierungskongress in Berlin stattfinden. In diesem Jahr zog der Kongress rund um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung über 700 Teilnehmer in die Hauptstadt. Mit dem digitalisierten Partnerland Norwegen sowie dem Themenpartner Dänemark wird der Kongress zudem internationale Lösungen im Hinblick auf die öffentliche Verwaltung aufzeigen. Impulse werden durch die neue Legislaturperiode und die Digitale Agenda 2017-2021 gesetzt. Zum neuen März-Termin wird der „Digitale Staat“ auch den Veranstaltungsort wechseln. Erstmals findet der Kongress im ehemaligen Premierenkino KOSMOS in Berlin statt. Hierdurch wird die Präsentation und Diskussion der Inhalte in einem neuen Licht erscheinen. Vorhang auf! // E-Government

// Digitaler Datenschutz

// Arbeit und Personal 4.0

Ob FITKO, das Digitalisierungsprogramm, die neue Digitale Agenda oder der Portalverbund – die nächsten Jahre werden von Projekten geprägt sein, die eine standardisierte und verbindliche Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen ermöglichen sollen.

Im Mai 2018 wird die neue EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in Kraft treten. Mit diesem Themenkanal wird der Kongress auf das Spannungsfeld der digitalen Plattformen zwischen Effizienz und Datenschutz eingehen und die neuen Anforderungen an Behörden aufzeigen.

Chancen und Grenzen der fortschreitenden Digitalisierung der Verwaltungsarbeit bis hin zu Bots und dem vollautomatisierten Verwaltungsakt. Personalrecruiting, Qualifizierung und Weiterentwicklung, mobiles Arbeiten, Homeoffice, Wahlarbeitszeit – wichtige Fragen der Zukunft.

Weitere Informationen www.digitaler-staat.org

www.facebook.com/digitalerstaat

twitter #digitalerstaat


Organisation & Management

Seite 30

Die E-Rechnung kommt

K

ünftig werden Unternehmen über den “Zentralen Rechnungseingang BUND (ZRE)” Rechnungen an Behörden im strukturierten Format “XRechnung” an eine zentrale Stelle digital übermitteln. Die Behörden können die so eingehenden Rechnungsdaten medienbruchfrei einsehen, verarbeiten und zur Auszahlung bringen. Rechnungsunterlagen können bereits beim Eingang digital abgelegt werden, z. B. in einer elektronischen Rechnungsakte im künftigen Basisdienst E-Akte des Bundes. Nach Schätzungen des Bundesministeriums des Innern (BMI) können rechnungsstellende Unternehmen durch die E-Rechnung Kosten von bis zu elf Millionen Euro pro Jahr einsparen. Für die rechnungsempfangenden Behörden erwartet das BMI – je nach Reife der IT-Infrastruktur – eine Zeitersparnis von bis zu 70 Prozent in der Rechnungsbearbeitung bzw. eine Kostenersparnis von bis zu 15 Euro je Rechnung. Die Möglichkeiten, durch eine schnellere Rechnungsbearbeitung verstärkt Skonti zu nutzen oder Mahn- und Verzugskosten

Verpflichtende Einführung im Bund bietet großes Potenzial (BS/Georg Kuhnert) Private Unternehmen werden künftig Rechnungen an Behörden und Einrichtungen der Bundesverwaltung weitgehend elektronisch stellen. Dies sieht die E-Rechnungs-Verordnung vom 6. September 2017 vor, die für Bundesministerien und Verfassungsorgane ab 27. November 2018 und für nachgeordnete Bundesbehörden ab 27. November 2019 bindend ist. Für Behörden und Unternehmen wird dadurch ein hohes Einsparpotenzial erschlossen. zu vermeiden, sind dabei noch nicht berücksichtigt. Die Umsetzung der E-Rechnung ist komplex und zeitlich ambitioniert. So müssen bis spätestens November 2018 alle obersten Bundesbehörden elektronische Rechnungen über den ZRE annehmen und verarbeiten können. Der Basisdienst E-Akte Bund mit einem Integrationsmuster für die E-Rechnung wird zu diesem Zeitpunkt maximal ein Pilotstadium erreicht haben. Eine integrierte Nutzung beider Basisdienste wird deshalb erst mittelfristig möglich sein – zuvor sind Übergangslösungen notwendig. Und auch schafft die E-Akte dann vermutlich nur den Zugriff auf die Dokumente zu zahlungsbegründenden Unterlagen. Ein elektronischer Workflow zur Bearbeitung strukturierter Rechnungsdaten

Werden Posteingänge bisher dezentral bearGeorg Kuhnert ist als Berabeitet, ändern ter für die msg systems ag sich diese Abläutätig und leitet seit mehrefe zwangsläufig ren Jahren Projekte zur Ummit dem neuen setzung der E-Rechnung sozentralisierten wohl für Bundes- als auch System des ZRE. für Landesbehörden. Zudem sind Foto: BS/msg systems ag Rechnungsworkflowprozesse und geht über diese Anforderungen Prüfungsschritte unterschiedhinaus. lich aufgebaut. Unterhalb der Je nach Ausgangssituation Bagatellgrenze von 1.000 Euro muss die Organisation und können Rechnungen auch künfIT in den Behörden für die E- tig weiter auf Papier und am ZRE Rechnung an unterschiedlichen vorbei gestellt werden. Auch dieStellen ertüchtigt werden. Die se Rechnungen müssen bearin Teilen heterogene IT-System- beitet werden und sollten möglandschaft muss durch Schnitt- lichst einfach in den künftigen stellen mit dem ZRE verbunden digitalen Rechnungsworkflow werden. Insbesondere behörde- integriert werden. Je nach Anneigene ERP-Inseln erfordern zahl der Prüfschritte sind komhier individuelle Lösungen. plexe Bearbeitungsprozesse mit

Leicht aus der Feder Komplexes einfach vermitteln (BS/Gerda Schneider*) Aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, ist nicht schwer. Schwierig wird es umgekehrt. Der Anspruch ist, Komplexes federleicht zu machen. Einfach, klar und überzeugend zu schreiben, ist keine Kunst. Es ist ein Handwerk, das ständig verfeinert werden sollte. So, wie sich die Persönlichkeit entwickelt, sollte auch die Fertigkeit im Schreiben entwickelt werden. Wie jemand schreibt, sagt viel über seine Persönlichkeit aus und ist seine Visitenkarte. Der Empfänger macht sich ein Bild und dieser erste Eindruck prägt. Mit dem Brief oder der E-Mail werden nicht nur Bescheide und Informationen übermittelt. Die Korrespondenz zeigt, was von dem anderen zu halten ist, ob die Person wertgeschätzt und respektiert wird. Für einen federleichten Schreibstil sind drei Fragen zentral:

Wem schreibe ich? Verständlich zu schreiben bedeutet in erster Linie, so zu schreiben, dass es der Empfänger versteht. Wie viele Missverständnisse entfalten sich zu

Behörden Spiegel / Oktober 2017

voller Blüte durch wortreiche Erklärungen des Schreibers? Empfängerorientiert zu schreiben bedeutet jedoch, vom Empfänger her zu denken. Welche Sprache versteht sie oder er? Was ist ihr oder sein Nutzen? Komplexes ist einfach darzustellen, indem sprachliche Bilder, Vergleiche oder Geschichten benutzt werden sowie einfache und klare Worte.

Ist der rote Faden erkennbar? Je komplexer der Text, desto wichtiger ist es, einen roten Faden durchzuziehen und Brief, E-Mail oder Bericht zu strukturieren. Eine schlüssige Argumentationskette ist aufzubauen, mit wenigen, aber triftigen Argumenten. Weniger ist meist mehr. Der Anfang prägt, das Ende bleibt: Zu Beginn sollte Positives ohne Floskeln stehen und eine klare Aufforderung oder Bitte am Ende.

Ist meine Botschaft klar und verständlich? Gotthold Ephraim Lessing empfahl 1743 in einem Brief an seine Schwester: “Schreibe wie du redest, so schreibst du schön.” Das gilt heute mehr denn je. Statt: “Für Rückfragen stehe ich Ihnen jederzeit zur Verfügung”, eher: “Haben Sie noch Fragen?” Immer noch finden sich in Briefen und E-Mails etliche Formulierungen, die leicht angestaubt sind. Klartext heißt, überflüssige Floskeln, Wortungetüme, Passivkonstruktionen und Substantivierungen zu eliminieren. Das Fazit: Sagen, was Sache ist – höflich, klar und für den Empfänger verständlich. Gefragt ist heute ein moderner, persönlicher und frischer Stil, der Sympathien weckt und überzeugt. Ein Stil, der positive Emotionen und Bilder im Kopf erzeugt. Wenn man das Handwerk des leichten Schreibens beherrscht, macht es Spaß, Briefe

und E-Mails zu verfassen, die gerne gelesen werden, die überzeugen und die aus einem Elefanten eine federleichte Mücke machen. Denn: “Schreiben ist leicht. Man muss nur die falschen Wörter weglassen”, sagte schon Marc Twain. *Gerda Schneider ist seit 2008 als Trainerin für öffentliche Verwaltungen tätig.

Mehr zum Thema Die Autorin wird das Thema “Zeitgemäße Korrespondenz klar und überzeugend” im Rahmen eines zweitägigen Seminars intensiv beleuchten, welches der Behörden Spiegel am 7. und 8. November 2017 in Berlin veranstaltet. Anmeldung und Programm unter: www.fuehrungskraefteforum.de, Suchwort “Korrespondenz”.

vielen Beteiligten anzupassen. Dafür sind in der Regel viele Mitarbeiter quer durch die ganze Organisation zu schulen und mitzunehmen. Der Anspruch bei der Umsetzung der E-Rechnung sollte über die Erfüllung regulativer Anforderungen hinausgehen. Das heißt, dass die elektronisch erhaltenen Rechnungsdaten auch durchgängig in einem ITgestützten Workflow bis zur Bezahlung bearbeitet werden. Dies gehört zum Funktionsumfang marktgängiger ERP-Systeme, die dafür genutzt werden können. Papierrechnungen unterhalb der Bagatellgrenzen sollten digitalisiert und künftig in den gleichen Workflows digital geprüft werden.

Erfolgsfaktoren der Transformation Drei wesentliche Punkte sind zu beachten, damit die Transformation zur E-Rechnung gelingt: 1. Maßgeschneiderte Einzelfallanalyse Mit dem ZRE BUND und dem Kassenverfahren der Bundeskasse sind nur der Start- und Endpunkt des Rechnungsworkflowprozesses für Bundesbehörden überall gleich. Zwischen diesen Punkten bestehen große Unterschiede in den Organisationsstrukturen, Prozessabläufen und technischen Rahmenbedingungen. Gerade für spezialisierte Fachbehörden werden individuelle Lösungen benötigt. Das Implementierungskonzept des BMI teilt die Behörden bereits in drei Klassen ein. Für eine maßgeschneiderte und zugleich pragmatische Planung müssen aber alle besonderen Aspekte in einer Behörde betrachtet werden. Dazu zählen nicht zuletzt die jeweiligen Zeitpläne zur Veränderung der ITInfrastruktur und Schnittstellen, etwa zur Einführung der E-Akte. Aufgrund der kurzen Frist für die E-Rechnung werden vielfach behördenspezifische Übergangslösungen notwendig werden. 2. Verschlankung der Prozesse Der Wechsel von der papier- zur

2017: Digitale und mentale Transformation in NRW

datengetriebenen Rechnungsbearbeitung bietet die Chance für eine grundlegende Optimierung der Rechnungsprozesse, etwa durch die Beseitigung manueller Dateneingaben oder die Parallelisierung von Prüfschritten. Damit lassen sich Fehler reduzieren, Rechnungen schneller abschließend bearbeiten und Personalkapazitäten auf wichtige Bearbeitungsschritte konzentrieren. Diese Chance sollte durch eine grundlegende Neugestaltung des Rechnungsprozesses genutzt werden. 3. Zentralisierung, Standardisierung und Automatisierung Die E-Rechnung ermöglicht die Zentralisierung und Standardisierung von Rechnungsprozessen, um Komplexität zu senken und Effizienz zu steigern. Der vollständige elektronische Datenbestand erschließt neue Möglichkeiten, etwa zur Auswertung und Steuerung der Rechnungsbearbeitung sowie zur automatisierten Prüfung und Validierung der Rechnungen. Die E-Rechnung erfordert erhebliche Investitionen in die IT-Systeme und Schnittstellen. Je breiter diese genutzt werden, desto eher rechnen sie sich. Gemeinsame Lösungen sollten deshalb nicht nur für die standardisierte Rechnungsbearbeitung innerhalb einer Behörde, sondern auch verwaltungsübergreifend gesucht werden – am besten als flexibel einsetzbare Angebote der öffentlichen ITDienstleister. Mit der E-Rechnungs-Verordnung wird die Bundesverwaltung dazu verpflichtet, die ERechnung zeitnah einzuführen. Dies ist eine große Chance für die Verwaltung. Durch Vereinheitlichung und Zentralisierung können Kosten gespart und Arbeitsabläufe vereinfacht werden. Zugleich besteht ein hoher Transformationsbedarf, um diese Chancen für eine Behörde auch optimal zu nutzen. Angesichts der unterschiedlichen Ausgangssituationen in den Behörden bedarf es einerseits sorgfältiger Einzelfallanalysen, die andererseits auf Vereinfachung, Standardisierung und Konsolidierung auszurichten sind. Georg Kuhnert ist einer der Referenten des Seminars “Die ERechnung kommt”, welches der Behörden Spiegel am 25. Januar 2018 in Berlin veranstaltet. Weitere Informationen unter: www. fuehrungskraefte-forum.de

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen

Die Verwaltung 4.0 als neuer Servicekern im digitalen Zeitalter 9. November 2017 in Düsseldorf / Neuss Hartmut Beuß

Elisabeth Slapio

Prof. Andreas Engel

Der Beauftragte der Landesregierung Nordrhein-Westfalen für Informationstechnik (CIO) eröffnet den Kongress und reflektiert „Ein Jahr E-GovG NRW“.

Die Geschäftsführerin der IHK zu Köln beschreibt die Chance der Kollaboration von digitaler Unternehmensexpertise und Verwaltung 4.0.

Der IT-Leiter der Stadt Köln berichtet zu Stand, Akzeptanz und Entwicklungspotenzialen des Servicekonto.NRW

Ausführliche Informationen zum Programm und Anmeldung unter:

www.e-nrw.info Eine Veranstaltung des


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2017

B

ehörden Spiegel: Sie waren maßgeblich an der ITKonsolidierung des Bundes seitens des Parlaments beteiligt. Wie soll es hier weitergehen und was muss eine neue Bundesregierung aus Ihrer Sicht unternehmen, um den eingeschlagenen IT-Konsolidierungsprozess zu verfestigen?

Brandl: Die neue Bundesregierung muss gleich zu Beginn der Legislaturperiode, am besten schon im Koalitionsvertrag, ein starkes Signal in Richtung der Behörden setzen, dass die Konsolidierung ein unumkehrbarer Prozess ist und mit großem politischen Nachdruck weiterverfolgt wird. Behörden Spiegel: In der letzten Legislaturperiode sind die vom Haushaltsausschuss bewilligten Mittel für die IT-Konsolidierung des Bundes auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag hochgeschnellt. Wie erklärt sich das? Brandl: Die Bundesregierung hat den Mehraufwand uns gegenüber im Wesentlichen mit drei Faktoren begründet. Erstens, statt bis Ende 2022 80 Prozent sollen nun bis Ende 2023 100 Prozent der konsolidierungsfähigen IT der unmittelbaren Bundesverwaltung bei einem der zentralen IT-Dienstleister gebündelt werden. Zweitens, die BWI muss als zweiter Dienstleister ertüchtigt werden und drittens haben erste Erfahrungswerte aus Behörden-

Signal setzen – Klarheit schaffen IT-Konsolidierung des Bundes mit Nachdruck weiterverfolgen (BS) Die IT-Konsolidierung des Bundes wird auch in der kommenden Legislaturperiode eines der zentralen Modernisierungsprojekte des Bundes sein – und darüber hinaus. Der Abgeordnete Dr. Reinhard Brandl war in der nun ablaufenden 18. Legislaturperiode im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Berichterstatter für die IT-Konsolidierung. Zu seinen Erwartungen an die zukünftige Bundesregierung und dem weiteren Fortgang des Konsolidierungsprozesses befragte ihn Behörden Spiegel-Chefredakteur R. Uwe Proll.

Behörden Spiegel: Es gab eine Umfrage nach einem Präsentations-Contest bei zahlreichen Bundesbehörden. Vorgestellt haben sich die beiden infrage kommenden IT-Partner BWI und ITZBund. Nach unseren Informationen haben sich 75 Prozent dafür entschieden, von der BWI betreut zu werden. Wie ist dies einzuschätzen und ist das überhaupt realistisch? Brandl: Diese Entwicklung bereitet mir große Sorgen. Die BWI kann auch nicht zaubern und nichts ist schlimmer als einmal enttäuschte Erwartungen. Wenn die Konsolidierung gelingen soll, dann brauchen wir dafür neben der BWI ein starkes ITZBund. Dafür haben wir es seit seiner Gründung Anfang 2016 mit viel Geld und Mühen ertüchtigt. Die Mitarbeiter

Open-Data-Portal soll Informationsfreiheit fördern (BS/kh) Albanien hat seit 1999 ein Informationsfreiheitsgesetz (IfG). Trotz dieses in der Verfassung verankerten Rechts und zahlreicher Anpassungen der Mediengesetze ist die Transformation des Mediensystems im Land noch nicht abgeschlossen. Der Zugang zu Informationen wird einerseits durch interne Machtstellungen erschwert, andererseits fehlt bei großen Teilen der Bevölkerung ein Bewusstsein für das aktive Wahrnehmen ihrer Rechte. Eine neue staatliche Online-Plattform soll Abhilfe schaffen. sich auch, dass in den vergangenen Jahren eine wachsende Zahl bekannter Journalisten eigene Nachrichten-Websites oder Blogs gestartet habe. Eine solche Vielzahl unabhängiger Medien setzt wiederum bei der Bevölkerung eine hohe Medienkompetenz voraus, um seriöse von unseriösen Quellen trennen zu können.

Transparenz fördern – Bewusstsein schärfen

Ardita Shehaj, Beauftragte für Informationen und Datenschutz der Republik Albanien, stellt eine neue albanische Online-Plattform vor, die die staatliche Transparenz und die digitale Zivilgesellschaft fördern soll. Foto BS/Heidrich

mein noch großen Einfluss auf die Medien. Speziell in Albanien sind viele Rundfunkanstalten im Besitz einflussreicher Unternehmer, die eine deutliche politische Linie verfolgen. Presse- und Informationsfreiheit unterliegen zu weiten Teilen einer regierungsnahen Berichterstattung, schildert die Beauftragte für Informationen und Datenschutz der Republik Albanien, Ardita Shehaj. Daraus ergebe

sehen, doch es gibt eine Evaluationsphase dafür. Was ist Ihre Ansicht zur Organisationsform des ITZBund?

projekten dazu geführt, dass die Kostenschätzungen nach oben angepasst worden sind. Für mich entscheidend ist aber erst einmal nicht die theoretische Kostenschätzung für 2022 oder 2023, sondern der konkrete Projektfortschritt 2017 und 2018.

Frag den Staat auf Albanisch

Das Mediengesetz in Albanien, das 2014 seine letzte Modifikation erfuhr, soll unter anderem den Balanceakt zwischen Transparenz und Datenschutz bewältigen. Es scheitert allerdings bislang an den lebensweltlichen Rahmenbedingungen. In Osteuropa hat die Politik allge-

Seite 31

“Das theoretische Recht auf Informationsfreiheit muss praktisch durchgesetzt werden”, verlangte Shehaj im Rahmen des Internationalen Symposiums “Datenschutz und Informationsfreiheit – Widerspruch oder Ergänzung?” in Potsdam. Um dies zukünftig zu gewährleisten, wurde in dem Balkan-Land eine Online-Plattform ins Leben gerufen, die den Bürgern über eine zentralisierte Datenbank den Zugang zu öffentlichen Informationen ermöglichen soll. Das Informationsportal, welches ins Deutsche übersetzt “Frag den Staat” heißt, gibt es in ähnlicher Form auch in anderen Ländern. Das Prinzip des Open-Data-Projekts ist immer dasselbe: jeder Bürger kann Anfragen stellen, die die Verwaltung oder Regierung betreffen, diese werden von der Organisation weitergeleitet und die offizielle Antwort schließlich veröffentlicht. Die Daten der anfragenden Bevölkerung werden dabei anonymisiert. Das Portal soll aber nicht nur Informationen frei zugänglich machen, sondern ebenso ein Bewusstsein in der Zivilgesellschaft schaffen, selbst proaktiv an der Politik teilzuhaben, so Shehaj.

Dr. Reinhard Brandl (CSU) sitzt seit 2009 als direkt gewählter Abgeordneter des Bundeswahlkreises Ingolstadt im Deutschen Bundestag. Foto: BS/Allan Riedel

leisten dort großartige Arbeit. Es muss jetzt aber gelingen, mehr Behörden davon zu überzeugen, dass das ITZBund ein leistungsfähiger und kundenorientierter Partner ist.

Behörden Spiegel: Während die BWI nach wie vor eine GmbH bleibt, ist für das ITZBund zwar durch Kabinettbeschluss die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) vorge-

Brandl: Persönlich halte ich die AöR-Entscheidung für richtig. Das Problem ist aber nicht die Frage Behörde, GmbH oder AöR, sondern, dass die Entscheidung so lange in der Schwebe war. Die Evaluationsphase kann man jetzt wieder als Hintertürchen verstehen. Die Kunden wollen einfach wissen, woran sie sind und wer was in Zukunft beim ITZBund zu sagen hat. Wenn das ITZBund an dieser Stelle nicht bald Klarheit schafft, wird der Trend in Richtung BWI weitergehen. Das können wir uns aber mit Blick auf den Gesamterfolg der IT-Konsolidierung nicht leisten.

Behörden Spiegel: Die Digitalisierung wie auch die IT-Kompetenz war bisher auf mindestens sechs Ressorts verteilt. Wie sind Ihre Vorstellungen für eine sinnvolle Bündelung der IT-Kompetenz des Bundes auf der einen Seite und der Digitalisierungsfragen auf der anderen Seite? Sollte beides besser als bisher zusammengeführt werden? Welches Ressort sollte Ihrer Meinung nach in Zukunft die Federführung hier innehaben? Brandl: Die Digitalisierung ist und bleibt eine Querschnittsaufgabe mit vielen Facetten, die auch weiterhin in allen Ressorts bearbeitet werden muss. Trotzdem brauchen wir vor allem für den Bereich der IT-Konsolidierung und damit verbunden der Verwaltungsmodernisierung in Zukunft eine starke koordinierende Stelle mit Entscheidungskompetenz über Ressortgrenzen hinweg. Für mich ist dabei nicht entscheidend, wo diese Stelle angesiedelt wird. Viel wichtiger ist, dass in Streifragen schnell eine eindeutige Entscheidung getroffen wird und keine “politischen” Kompromisse geschlossen werden müssen.


ÖFIT

Seite 32

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Monatliche Themenseite in Kooperation mit:

KOMPETENZZENTRUM ÖFFENTLICHE IT (ÖFIT)

Oktober 2017 beim Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme

Warum der Staat digitales Engagement fördern sollte Staat und Gesellschaft profitieren stark von bürgerschaftlichem Engagement, das zunehmend digitaler wird. Neue Förderinstrumente können Politik und Verwaltung helfen, die daraus entstehenden Möglichkeiten und Chancen zu nutzen. Etwa 31 Millionen Menschen, also fast jeder zweite über 14 Jahre, sind in Deutschland engagiert. Sie bringen sich im Sportverein, bei sozialen Einrichtungen oder bei spontanen Hilfsaktionen ein. Dabei wird zum einen das Vereinsleben zunehmend digital: Kaum noch eine Jugendgruppe kommt heute ohne Facebook-Seite aus; Helferinnen und Helfer lassen sich über Plattformen zu passenden Engagementformen vermitteln und Online-Spenden oder gleich eigene Crowd-Funding-Aktionen gehören zu gängigen Finanzierungsinstrumenten. Zum anderen entstehen ganz neue Formen des Engagements, die ohne Internet und Digitalisierung gar nicht möglich wären. Wikipedia ist hier ein einschlägiges Beispiel. Es zeigt, wie digital Engagierte erfolgreich mit etablierten, kommerziellen Angeboten konkurrieren können. Digitale Unterstützung kommt auch zunehmend in der physischen Welt an. Die Mobilen Retter sind hier exemplarisch: Speziell geschulte ehrenamtliche Ersthelfer werden über die GPS-Komponente ihres Smartphones geortet und können so bei Notfällen in un-

Die digitale Transformation des Ehrenamtes bietet enormes Potenzial. Grafik: BS/Sascha Bierl für Wikimedia Deutschland, https://commons.wikimedia.org/ wiki/File:Digitales_Engagement.svg, http://creativecommons.org/licenses/by/4.0

mittelbarer Nähe sofort eingreifen. Dank der schnellen Hilfe kann Digitalisierung Leben retten. Beide Seiten der digitalen Transformation des Ehrenamtes – sowohl die Digitalisierung bestehender Strukturen als auch die Entstehung neuer Formen des Engagements – bieten enorme Potenziale für das Engagement selbst und für die gemeinwohlförderlichen Wirkungen. Digitales Engagement – Baustein für die öffentliche Leistungserstellung Die Beispiele zeigen bereits: Inzwischen übernehmen digitale und digital unterstützte Formen des bürgerschaftlichen Engagements zentrale Funktionen für das Gemeinwesen. Mobilität bietet einen anschaulichen Anwendungsfall. Neben verschiedenen privaten (z. B. eigener Pkw), privatwirtschaftlichen (z. B. Autovermie-

tung) und öffentlichen (z. B. Linienbus) Angeboten haben hier schon immer zivilgesellschaftliche Initiativen eine Rolle gespielt. Bürgerbusse und Mitfahrgelegenheiten bedienen bestehende Mobilitätsbedürfnisse und tragen zugleich zur Ressourceneffizienz und Schadstoffreduktion bei. Mit digitalen Tools lassen sich diese Initiativen nun weit intensiver nutzen. Per App können Mitfahrgelegenheiten komfortabel und kurzfristig koordiniert werden. Bei entsprechender Verzahnung mit anderen Angeboten werden so private und zivilgesellschaftliche Initiativen zu einem immer bedeutenderen Baustein für die öffentliche Leistungserstellung. Es gibt also viele gute Gründe, bürgerschaftlich Engagierte bei ihrer digitalen Tätigkeit und bei der digitalen Unterstützung ihrer Tätigkeit zu fördern. Dies liegt in erster Linie im Interesse und in der Zu-

ständigkeit der Kommunen und Länder. Die grundlegenden Wandlungsprozesse erfordern jedoch auch eine Flankierung durch entsprechende Strategien und Förderpolitiken des Bundes. Hier zeigt sich jedoch einiger Nachholbedarf, wie eine Studie zeigt, die das Kompetenzzentrum ÖFIT in Kooperation mit betterplace lab und Wikimedia Deutschland erarbeitet hat. Die Untersuchung von 34 Fördermaßnahmen und Instrumenten auf Bundesebene zeigt auf, dass digitales bürgerschaftliches Engagement in der Förderpraxis bisher kaum berücksichtigt wird. Gerade einmal ein Förderprogramm ist ausschließlich auf das Engagement im Digitalen ausgerichtet. In weit mehr als der Hälfte der untersuchten Fördermaßnahmen findet sich überhaupt kein Bezug zu IT und Digitalisierung. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den ausgelobten Preisen. Nur einer von sechs untersuchten Engagementpreisen weist einen Digitalisierungsbezug auf. Mit mehr Anerkennung fängt es an Um digitales Engagement wirkungsvoll zu fördern, lassen sich aus der Analyse konkrete Handlungsempfehlungen für Politik und Verwaltung ableiten. Zunächst einmal gilt es, digitalen Formen des Engagements die gleiche Anerkennung zuteilwerden zu lassen wie bereits etablierten. Hier sollte das gesellschaftliche Bewusstsein geschärft werden, zumal digitales Engagement oftmals nicht als solches erkannt wird und sich mitunter aus Nutzersicht kaum von kommerziellen Angeboten unterscheidet. Darüber hinaus sind aber auch die Förderstrategien weiterzuentwickeln. Digitale Formen des Engagements, ob in

Vereinen oder durch einzelne Engagierte, sollten hier ebenso selbstverständlich Berücksichtigung finden wie die digitale Transformation der Vereinsarbeit. Unterstützung bedeutet gerade in der Anfangsphase in erster Linie finanzielle Förderung zur Abfederung initialer Investitionen in IT und Schulungsangebote. Zugleich kann die öffentliche Hand durch freie Lizenzen und offene Systeme digitales Engagement ermöglichen und die Breitenwirkung stärken. Offene Verwaltungsdaten sind hier ebenso zu nennen wie Ergebnisse öffentlich geförderter Projekte oder Medieninhalte von Museen und Archiven. Für die Entwicklung einer umfassenden Strategie braucht es zudem Wissen. Bisher gibt es kaum Forschungsarbeiten zum digitalen Engagement. Auch ganz praktische Informationen für die Ehrenamtlichen selbst fehlen. Während sich Fördermöglichkeiten für Wirtschaft und Forschung über zentrale Portale recherchieren lassen, gibt es keinen Überblick über die Fördermöglichkeiten für Engagierte. Bereits die Suche nach Förderoptionen erfordert also einiges an Engagement. Zwei aktuelle Whitepapers zum Thema Weitere Details lesen Sie im Whitepaper “Digitales Engagement – Analyse der Förderprogramme auf Bundesebene“. Mit den neuen Produktionsformen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft setzt sich das ebenfalls jüngst erschiene Whitepaper “Public Sharing – Ein Impuls“ auseinander. Beide Studien stehen auf der ÖFITHomepage als Download zur Verfügung: www.oeffentliche-it.de/publikationen .

Seminare im November 2017 Aus der Praxis für die Praxis Kompetenz für Fach- und Führungskräfte

www.fuehrungskraefte-forum.de Rechtliche Steuerung von IT-Projekten für öffentliche Auftraggeber

Krisenprävention und Krisenkommunikation

Korruptionsprävention und Transparenz in Behörden

Zeitverträge im Öffentlichen Dienst

06.–07.11.2017 Berlin

07.–09.11.2017 Berlin

08.11.2017 Berlin

09.11.2017 Leipzig

Bieterstrategien und Bieterfragen

Die Generation Y – welche neuen Herausforderungen stellen sich?

Organisations- und Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen in Behörden

Social Media und öffentliche Verwaltung

Manipulationen in Vergabeverfahren präventiv begegnen

14.–15.11.2017 Hamburg

17.11.2017 Berlin

21.–22.11.2017 Berlin

28.–29.11.2017 Berlin

30.11.2017 Berlin Bildnachweis: Uetliberg Uto Kulm


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Patente und Marken 4.0

W

ir im Deutschen Patentund Markenamt (DPMA) haben uns schon vor rund 15 Jahren auf den Weg gemacht. Davon profitieren unsere Kunden und wir heute: Mehr als 80 Prozent unserer Patentanmeldungen gehen inzwischen digital ein. Intern werden sie zu 100 Prozent in elektronischen Akten bearbeitet. Wir verwalten digital, wir prüfen digital, wir kommunizieren digital. Wir verstehen uns heute als das, was anderswo noch als Zukunftsbild gezeichnet wird: eine moderne Dienstleistungsbehörde 4.0, die sich die Förderung der Innovation in Deutschland auf die Fahnen geschrieben hat. Dass wir das heute selbstbewusst so vertreten, ist das Ergebnis eines spannenden, aber mühsamen Weges. Eines Wandels, der vor allem in einer komplett neuen IT-Architektur sichtbar wird, der aber auch in den Köpfen von rund 2.600 Beschäftigten stattfand. Neue IT-Anwendungen sind in einem digitalen Transformationsprozess die eine Seite der Medaille. Die andere stellen Mitarbeiter dar, die bereit sind, ihr Denken zu verändern. Ein Umbruch, wie wir ihn im DPMA vollzogen haben, muss von einem professionellen Veränderungsmanagement begleitet werden.

Bestandsaufnahme der Arbeitsprozesse Ausgangspunkt unserer Digitalstrategie war eine Bestandsaufnahme der Arbeitsprozesse im Haus. Ein Beispiel: Unsere Patentprüferinnen und -prüfer arbeiten alle nach gesetzlichen Vorgaben, aber jede und jeder hatte eine eigene Arbeitsweise. Unternehmen und Anwaltskanzleien mussten sich bei den Bescheiden jedes Mal auf eine andere Form einstellen. Die Umstellung auf ein digitales Sys-

Seite 33

Das DPMA als digitale Dienstleistungsbehörde (BS/Cornelia Rudloff-Schäffer) In seiner Antrittsrede sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Anfang des Jahres einen einprägsamen Satz: “Lasst uns mutig sein!” Es war ein Appell in bewegten Zeiten – nicht nur in der Politik. Internet der Dinge, Industrie 4.0: Keine Entwicklung verändert unsere Gesellschaft derzeit so stark wie der digitale Wandel. Die Wirtschaft muss sich dieser Herausforderung stellen und auch wir in der Verwaltung müssen sie annehmen. Die Fähigkeit von Behörden, auch in diesem Wandel kompetente Dienstleister für Bürger und Unternehmen zu sein, ist entscheidend für unsere Zukunftschancen. Die Bundesregierung erkennt diese Herausforderung mit ihrer Digitalen Agenda an. ca. 1,5 Millionen Prozesse, 900.000 Prozesse sind im System laufend aktiv. Zur IT-Anwendung DPMApatente/gebrauchsmuster kam 2015 das System DPMAmarken hinzu, in dem wir auch unsere Markenanmeldungen elektronisch bearbeiten. Querschnitts- und Basisdienste wie das interne Digitalisierungszentrum, Adressverwaltung und Zahlungsverkehr sind bei beiden Systemen Teil der IT-Architektur und arbeiten vollelektronisch zu. Den Workflow gibt das ITSystem vor, die Akte landet immer automatisch dort, wo der nächste Arbeits- Das Workflowmanagement des Deutschen Patent- und Markenamtes ermöglicht durchgeschritt ansteht. Gleichzei- hende elektronische und medienbruchfreie Geschäftsprozesse. Grafik: BS/DPMA tig können alle im Haus jederzeit darauf zugreifen. Rund 13 Millionen Akten mit um die 74 Millionen Dokumenten haben wir derzeit im elektronischen Bestand.

Digitalstrategie voll verinnerlicht

Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben die Digitalstrategie inzwischen voll verinnerlicht. Anfangs gab es aber auch Verunsicherung. Um möglichst alle Kolleginnen und Kollegen fachlich und persönlich mitzunehmen, starteten wir – als “Chefsache” der Amtsleitung – im Juli 2009 einen Change-Prozess. Eines unserer wichtigsten Anliegen war es, alle Arbeitsplätze mindestens gleichwertig zu erhalten. Auf Veranstaltungen, im Intranet und durch speziCornelia Rudloff-Schäffer ell geschulte Kolist seit Anfang 2009 Präsilegen hielten wir dentin des Deutschen Patent- und Markenamtes mit die Mitarbeiter Hauptsitz in München. auf dem Laufenden. RegelmäFoto: BS/DPMA ßige Umfragen reflektierten die tem ist auch die Chance, Pro- Stimmung. Die Weiterbildung zesse zu hinterfragen und zu war ein Schlüsselfaktor des Eroptimieren. Umgekehrt gilt: Nur folgs: 18.500 Personentage für wer seine Prozesse kennt, opti- rund 2.000 Beschäftigte waren miert und gezielt steuert, kann es über alle Schutzrechtsarten. ein nutzbringendes IT-System Eine Investition, die sich ausdarauf aufbauen. So nahm un- zahlte. Es entstanden neue, zuser damals eingerichtetes Ge- kunftsgerichtete Arbeitsplätze. schäftsprozessmanagement die Kollegen und Kolleginnen, die Abläufe auf, entwarf sie zum Teil vorher nie an Computern gearvollständig neu und überführte beitet hatten, sind heute fachsie in ein elektronisches Work- lich fit für die nächsten Jahre. Und die Veränderung hat noch flowmanagement. einen Vorteil: Durch unseren Der “Tag X” hohen Grad an Digitalisierung Vom Start im September 2004 können wir noch mehr von ihnen bis Juni 2011 arbeiteten neben familienfreundlich von zu Hause dem externen Auftragnehmer aus arbeiten lassen. Mehr als bis zu 200 unserer Beschäftig- 600 Telearbeitsplätze haben wir ten an der Entwicklung unserer inzwischen eingerichtet. Und nicht nur die Arbeit inkomplexen digitalen Infrastruknerhalb der Behörde läuft elektur mit. Am 1. Juni 2011, dem “Tag X”, tronisch und medienbruchfrei wie wir ihn jahrelang nannten, – auch die Schnittstellen zu naschalteten wir die elektronische tionalen, europäischen und inSchutzrechtsakte frei. Die da- ternationalen Partnerbehörden malige Bundesjustizministerin funktionieren digital. Unseren Sabine Leutheusser-Schnar- Kunden stellen wir eine Software renberger war extra aus Berlin zur Verfügung, die sich leicht in angereist und ich hoffte, dass bestehende Firmen- und Kanzes keine Panne geben würde. leiprozesse integrieren lässt. Tatsächlich ging dann alles gut. Anmeldungen lassen sich so Vom ersten Tag an erwiesen sich rechtssicher digital signieren unsere Systeme als voll leis- und strukturiert ins Behördentungsfähig. Allein für die Patent- system einspeisen. In unseren Datenbanken und Gebrauchsmusterverfah- elektronischen ren haben wir 63 hochkomplexe veröffentlichen wir InformatiGeschäftsprozesse modelliert, onen zu Patenten, Gebrauchsdie in 245 technischen BPEL- mustern, Marken und Designs. Prozessen (Business Process Nutzer aus aller Welt recherchieExecution Language) im System ren in mehr als 100 Millionen orchestriert werden. Monat- Dokumenten sekundenschnell lich starten und beenden wir online nach Schutzrechten,

sichten digitale Akten und überwachen die technische Entwicklung. Allein auf unser Recherchetool DEPATISnet hatten wir 2016 rund 125 Millionen Zugriffe. Was haben wir noch vor? Die Digitalisierung stößt bei einem gedanklich hochkomplexen Prozess wie zum Beispiel einer Patentprüfung an Grenzen. Wir versuchen aber ständig, unsere knapp 900 hochqualifizierten Prüferinnen und Prüfer mit intelligenten IT-Lösungen zu unterstützen. So haben wir kürzlich ein semantisches RechercheTool angeschafft, das Sinnzusammenhänge von

Suchbegriffen erkennt. Derzeit laufen die Vorbereitungen zur Einführung der elektronischen Akte in unserer Designabteilung. Zudem werden wir interne Verwaltungsabläufe schrittweise digitalisieren. Auch unseren Kunden wollen wir weitere E-Dienstleistungen anbieten – vereinfachte, webbasierte Zahlungsmöglichkeiten zum Beispiel.

Auf den Geschmack gekommen “Der Appetit kommt beim Essen”, schrieb schon der französische Renaissancedichter Rabelais. Wir im DPMA sind, was die Digitalisierung angeht, auf den Geschmack gekommen. Weil wir die Arbeit daran als Investition in die Innovationskraft der Wirtschaft im 4.0-Zeitalter sehen. Aber auch, weil wir täglich erfahren, wie elektronische Prozesse unsere Arbeit effizienter, transparenter und auch ressourcenschonender machen. Durch elektronische Akte und Telearbeit können wir jährlich mehrere Millionen Blatt Papier und große Mengen CO2 einsparen. Auch das ein Grund, in Zukunft weiter mutig zu sein.


Informationstechnologie

Seite 34

Neue Wege gehen

D

ie Digitalisierung umfasst alle Lebens- und Arbeitsbereiche. Immer mehr Geräte und Maschinen kommunizieren miteinander über das Internet. Ein echtes Datenmeer entsteht und das jeden Tag. Bis 2030 sollen nach Expertenmeinung rund eine halbe Billion Geräte über das Internet verbunden sein. Schon heute ersetzen immer mehr Algorithmen menschliche Entscheidungen: Sie bearbeiten juristische Fälle, filtern “geeignete“ Bewerber in einer ersten Vorauswahl und setzen Tweets ab. All dies und noch viel mehr macht die Digitalisierung möglich.

Digitalisierung geht uns alle an Wir können uns der Digitalisierung nicht entziehen. Sie wird auch nicht mehr einfach verschwinden. Denn was technologisch möglich ist, wird in der Regel umgesetzt. Die zentrale Frage lautet, ob wir es schaffen, die Digitalisierung in den Dienst der Menschen zu stellen. Denn neue Technologien sind für den Menschen da und nicht umgekehrt. Die Herausforderung besteht also darin, diesen Wandel nicht passiv geschehen zu lassen, sondern ihn aktiv zu gestalten. Daher wurde die Digitalisierungsstrategie digital@ bw unter der Federführung des Innen- und Digitalisierungsministers Thomas Strobl erarbeitet – in Teamarbeit mit allen Ministerien. Das ist bundesweit einzigartig und macht deutlich, dass Baden-Württemberg den digitalen Wandel umfassend angeht: von der Gesundheit über die Wirtschaft und Verwaltung bis hin zur Forschung und Nachhaltigkeit. Bereits in die Erarbeitung des Strategiepapiers wurden über 1.600 Akteure aus Wirt-

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Digitalisierung erfordert den Mut, quer zu denken und danach zu handeln (BS/Dr. Natalia Jaekel) Ist es Ihnen auch schon unzählige Male ähnlich wie mir ergangen? Sie lauschen gerade einem Vortrag über Digitalisierung oder lesen etwas darüber in der Zeitung. Was nach dem Vortrag oder der Zeitungslektüre bleibt, sind mehr Fragezeichen als Antworten. Begriffe wie “Internet der Dinge”, “Digitale Plattformen” oder “Smart City” schweben wie eine Begriffswolke vor Ihrem geistigen Auge und lassen die Digitalisierung vage bis undurchsichtig erscheinen. Viele Menschen sind ob der Digitalisierung verunsichert und fragen sich: Wird mein Beruf durch Algorithmen ersetzt? Werde ich bald gläsern? Muss ich mich auf einen neuen Roboter-Kollegen einstellen? Mehr Fragen als Antworten. So ehrlich werden Digitalisierungsdebatten selten geführt. Baden-Württemberg geht mit seiner im Juli dieses Jahres beschlossenen Digitalisierungsstrategie digital@bw neue Wege. So wie die Digitalisierung unser Leben allumfassend verändert, packen wir den digitalen Wandel umfassend an – in Teamarbeit mit allen Ministerien. Denn es geht um viel. Es geht darum, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhalten und die Erfolgsgeschichte unseres Landes in Zeiten des digitalen Wandels fortzuschreiben. schaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft eingebunden. Das war erst der Anfang, denn die Digitalisierungsstrategie digital@bw rückt konsequent den Menschen in den Mittelpunkt. Daher werden wir die Modellvorhaben aus dem Strategiepapier unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger umsetzen. Denn die Herausforderung besteht darin, den Menschen den Nutzen der Digitalisierung aufzuzeigen und sie erlebbar zu machen. Nur das garantiert eine hohe Akzeptanz und Motivation, den aktuellen Strukturwandel mit seinen vielfältigen Chancen zu gestalten.

Leitregion des digitalen Wandels als Ziel Die Digitalisierungsstrategie digital@bw fußt auf einer Analyse der Stärken und Schwächen des Standorts Baden-Württemberg u. a. in den zentralen Politikfeldern wie Wirtschaft, Mobilität, Verwaltung, Nachhaltigkeit oder Cyber-Sicherheit. Dazu hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) eine Metastudie erstellt, aus der konkrete Handlungsempfehlungen für die Landesregierung abgeleitet werden. So werden u. a. das schnelle Internet, die Förderung von Digitalkompe-

die Staus vermeidet und die Umwelt schont. Dr. Natalia Jaekel ist LeiBei der Geterin der Stabsstelle für sundheit sagen Digitalisierung im Miniswir dem Krebs terium für Inneres, Digiden Kampf an. talisierung und Migration Baden-Württemberg, die Dazu gehört die u. a. für die Umsetzung Vernetzung von der ressortübergreifenden, Uniklinken zu landesweiten DigitalisieZentren für perrungsstrategie “digital@bw“ verantwortlich ist. sonalisierte Medizin genauso wie Foto: BS/Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg die Einrichtung einer bwHealthCloud, in der tenzen und Datensicherheit als medizinische Gesundheits- und vordringliche Aufgaben der Lan- Forschungsdaten gespeichert und analysiert werden. Digitale desregierung angesehen. Die Landesregierung nutzt die Start-ups sollen als Treiber der Standortanalyse neben der Bür- Digitalisierung gezielt gefördert gerbeteiligung als Absprungba- werden. Dazu werden wir einen sis und setzt sich bei der Digitali- Seed-Fond BW für Start-ups sierungsstrategie ambitionierte einrichten, um sie in einer beZiele. Als Wiege des Automobils sonders frühen Phase, wenn der mit rund 230.000 Arbeitsplät- Schritt vom Markteintritt zum zen in der Automobilbranche Prototyp erfolgen muss, gezielt soll Baden-Württemberg vom zu unterstützen. Mit der Plattform Wirtschaft Autoland Nummer eins zu einem Mobilitätsland Nummer eins in 4.0 gehen wir die digitale TransEuropa und der Welt weiterent- formation in der Wirtschaft wickelt werden. Auf Teststre- branchenübergreifend an. Der cken wird zusammen mit der Maßnahmenkatalog reicht von Wirtschaft und Wissenschaft regionalen Digitalisierungszenunter realen Bedingungen auto- tren über Maßnahmen zur Weinomes Fahren erprobt. Auf IT- terbildung bis hin zu InnovaPlattformen testen wir moderne tionsgutscheinen. Die Strategie Verkehrslenkung in Echtzeit, wird mit zahlreichen Modellvor-

haben unterfüttert, um die Vision einer Leitregion des digitalen Wandels umzusetzen. Und eine Zahl untermauert die Entschlossenheit der Landesregierung: Bis zum Ende der Legislaturperiode wird eine Milliarde Euro in die Modellvorhaben aus dem Strategiepapier sowie in schnelles Internet investiert werden.

Digitalkompetenzen stärken Digitalisierung wird in BadenWürttemberg zur Chefinnenund Chefsache gemacht. Im Kabinettsausschuss Digitalisierung bestimmen die Ministerinnen und Minister unter dem Vorsitz des Digitalisierungsministers Thomas Strobl die strategischen Leitlinien in der Digitalpolitik des Landes. Die operativen Schritte für die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie werden in einer interministeriellen Arbeitsgruppe vorbereitet. Der CIO/CDO Stefan Krebs schließt den Kreis von der IT zur Digitalisierung und treibt die Themen gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Ministerialdirektoren voran. Die Digitalisierung spielt auf allen Ebenen der Regierungs- und Verwaltungsarbeit eine zentrale Rolle.

Strukturen und Modellvorhaben sind wichtig, aber alleine nicht ausreichend, um die Digitalisierung zu einem Erfolgsmodell zu machen. Die Digitalisierung braucht Querdenker, die ihre vielfältigen Chancen erkennen und mutig vorangehen. Ein weiteres zentrales Vorhaben aus der Digitalisierungsstrategie ist es daher, ein innovationsfreundliches Klima in den Verwaltungen zu schaffen und die Digitalkompetenzen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter umfassend zu stärken. Dazu soll u. a. eine Digitalakademie@bw im Schulterschluss mit den Kommunen ins Leben gerufen werden. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Digitalisierungsstrategie. Ich lade Sie daher herzlich dazu ein, die Fortschritte bei der Umsetzung konkreter Maßnahmen auf www.digital-bw.de zu verfolgen. In diesem Schaufenster der Digitalisierung wird der digitale Wandel in Baden-Württemberg sichtbar.

MELDUNG

Weizenbaum-Institut (BS/lkm) Das Deutsche Internet-Institut ist in Berlin offiziell eröffnet worden. Das nach dem Internetpionier Joseph Weizenbaum benannte “WeizenbaumInstitut für die vernetzte Gesellschaft” hat seinen Sitz in der Hardenbergstraße 32, in unmittelbarer Nähe zu anderen Wissenschaftseinrichtungen. 100 Wissenschaftler werden dort zu sechs großen Themen forschen: Arbeit und Innovation, Verträge und Verantwortung auf digitalen Märkten, Governance und Normsetzung, Technikwandel, digitale Bildung sowie Partizipation und Öffentlichkeit.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 35

IT-Infrastruktur an Spezialisten auslagern Kommunen können Anwendungen sicher im DATEV-Rechenzentrum betreiben lassen

Initiative D21 präsentiert die Zahl des Monats

Die eID des nPA

Gut gedacht – schlecht umgesetzt – kaum genutzt (BS/Sabrina Dietrich*) Wann haben Sie das letzte Mal Ihr Punktekonto in Flensburg online überprüft oder bei anderen Belangen Ihre Identität gegenüber Behörden online bestätigt? Und wann haben Sie sich bei einem Einkauf im Internet mithilfe Ihres Ausweises ausgewiesen? Ihnen war gar nicht klar, dass das möglich ist? Damit sind Sie nicht alleine. Seit 2010 gibt es den Personalausweis im Scheckkartenformat mit dem “Elektronischen Identitätsnachweis” (abgekürzt eID-Funktion), doch nur wenige Bürgerinnen und Bürger haben sich bisher entschieden, die Zusatzfunktionen freizuschalten und ein entsprechendes Kartenlesegerät anzuschaffen. Die Idee ist eigentlich eine gute: Bürgerinnen und Bürger sollen sich bei Behörden und Dienstleistern online ausweisen können. Das soll Identitätsdiebstahl vorbeugen. Ob Bürgerinnen und Bürger diese neue Funktion nutzen möchten, können sie selbst entscheiden. Im Idealfall sollten sie bei der Beantragung eines neuen Ausweises ausführliche Informationen über die neue, digitalen Möglichkeiten des Ausweises bekommen, jedoch gab jeder fünfte Befragte an, keinerlei Informationen erhalten zu haben. Nicht einmal ein Drittel entschied sich bei der Abholung seines neuen Ausweises für die Freischaltung der Online-Funktion und es werden jedes Jahr weniger. Von diesem Drittel waren es wiederum nur 29 Prozent, die sich auch für die Anschaffung eines notwendigen und teils teuren Lesegerätes entschieden. So sind es insgesamt nur vier Prozent der Deutschen, die den neuen Personalausweis (nPA) samt Online-Ausweisfunktion (eID) vollumfänglich nutzen können. Die Gründe für die Nichtnutzung sind vielfältig. Der unzureichende Nutzen wird von der Mehrheit der Befragten aufgeführt. Und tatsächlich, auch sieben Jahre nach Einführung des neuen Ausweises im Checkkartenformat lässt sich noch

- 4%

Umfragen des eGovernment MONITORs haben ergeben, dass letztlich nur vier Prozent der Internetnutzenden in Deutschland den neuen Personalausweis (nPA) mit all seinen Funktionen nutzen können. nicht viel mit ihm anfangen. Viele Behörden bieten den elektronischen Identitätsnachweis nicht an. Und auch nur wenige Online-Händler lassen sich für das Verfahren zertifizieren, da es kaum Nutzende gibt. Es wird weiterhin nur wenige Nutzende geben, wenn es keine attraktiven Anwendungen gibt. Ein Kreislauf. Auch wenn inzwischen die Zusatzfunktionen per Gesetz gestärkt werden sollen, Nutzungsbarrieren der mangelnden Bekanntheit sowie das Erfordernis einer Anschaffung zusätzlich notwendiger Hardware lassen sich damit nicht beheben. Bemerkenswert ist zudem, dass 16 Prozent der Befragten gar von der Aktivierung vonseiten der Behörden abgeraten wurde. Die mangelnde Schulung von Behördenmitarbeitenden, schlechte

Kommunikation der Vorteile, aber auch die vielen “Hürden”, die man nehmen muss, um die eID nutzen zu können, führten dazu, dass ein gut gedachtes Projekt schlussendlich nicht gut umgesetzt und genutzt wurde. Ob sich diese Zahlen ein Jahr später positiv entwickelt haben, erfahren Sie Ende Oktober: Dann erscheint das neue Lagebild zur Nutzung und Akzeptanz digitaler Behördendienstleistungen, der neue eGovernment MONITOR 2017. In diesem Jahr wurde auch erstmalig erhoben, welche Aspekte für die Nutzenden eine moderne Behörde ausmachen. Die Studie wird wie immer kostenfrei verfügbar sein. *Sabrina Dietrich leitet die Presseund Öffentlichkeitsarbeit der Initiative D21.

Deutschland 2021: Digitalisierung 4.0 Zehn digitale Verlustjahre in vier Jahren aufholen (BS/Wilfried Kruse*) Der neu gewählte Bundestag und die sich bildende neue Bundesregierung haben in der kommenden Legislaturperiode bis 2021 nur wenig Zeit, um nach zehn Jahren verlorenes Terrain in der globalisierten Digitalisierung aufzuholen, die öffentliche Verwaltung für die Menschen leistungsfähig zu erhalten und für den Standort Deutschland, für “Made in Germany”, wirklich neu zu mobilisieren. Der Öffentliche Dienst ist mit seinen derzeit ca. 4,7 Millionen Beschäftigten das “Betriebssystem” unseres Staates, unserer Gesellschaft. Ohne die engagierten Mitarbeiter sind die Dienstleistungen für die Bürger und die Wirtschaft nicht denkbar. Aber: Die Demografie wird in der kommenden Legislaturperiode dazu führen, das viele Tausend der heutigen Leistungs- und Wissensträger aus dem aktiven Dienst ausscheiden werden. Nachwuchskräfte für den Öffentlichen Dienst zur erforderlichen Nachfolge zu werben, gestaltet sich im Wettbewerb mit der privaten Wirtschaft zunehmend schwierig. Die Ergebnisse der Bundestagswahl sind auch damit zu erklären, dass der Staat bei vielen Menschen im persönlichen Erleben, auch mit ihren Anliegen gegenüber der Verwaltung, den Eindruck hinterlassen hat, sich um die persönlichen Bedürfnisse vor Ort nicht (mehr) ausreichend und zügig zu kümmern. Protestwahl war und ist die Folge, mit all den jetzt zu bewältigenden, politischen Führungsproblemen in der anstehenden Legislaturperiode.

Soll das in vier Jahren sich nicht noch potenzieren, muss auch die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung einen neuen – digitalen – Schub erhalten, der sie in die Lage ver-

Zukünftige IT-Strategien in Nordrhein-Westfalen 9. November 2017 Düsseldorf / Neuss setzt, mit demografiebedingt weniger Bediensteten dennoch weiter gestiegene individuelle Bedürfnisse der Menschen in Ost und West und der Unternehmen im globalen Wettbewerb zu erfüllen. Das wird nur mit einer bundesweiten “Digitalisierungsoffensive 4.0” möglich sein, bei der die Akteure in Bund, Ländern und Kommunen mit ihren weiteren Partnern die bisher “gepflegten”, eigenen Grenzen zugunsten gesamtgesellschaftlich notwendiger Ergebnisse überwinden. Dass dazu das seit Langem vom IT-Planungsrat vorgesehene Projekt “FITKO” nun endlich

in Federführung des Landes Hessen gestartet ist, könnte ein Auftakt zu einer solchen Entwicklung sein. Eine neue Qualität interoperabler digitaler Kommunikation, mit standardisierten Plattformen, offenen Schnittstellen und Austauschformaten, die Bewährtes zusammenführen und nicht unnötig Neues in Inselform erfinden. Auf e-nrw wird, u. a. zu dieser zentralen Frage digitaler bundesweiter neuer Kooperationsqualität im föderalen Staat, Roland Jabkowski, Co-CIO des Landes Hessen, mit seinem Beitrag in die digitale Zukunft unseres Staates, in die Zukunft der öffentlichen Verwaltung und ihrer Bediensteten blicken; vielleicht und hoffentlich ein zentraler Baustein für die “Digitalisierung 4.0” mit Blick auf das Jahr 2021 und darüber hinaus. *Wilfried Kruse, Geschäftsführender Gesellschafter IVM², ist fachlicher Leiter und Moderator des Verwaltungskongresses “enrw”, den der Behörden Spiegel am 9. November in Neuss veranstaltet. Weitere Informationen und Anmeldung unter: www.enrw.info

(BS/Benedikt Leder*) Für Städte, Gemeinden und Behörden, die einen detaillierten Überblick über ihre ITKosten wünschen, bietet die Nutzung von Software im Rahmen von Application Service Providing (ASP) eine effiziente Alternative. Sie gibt eine übersichtliche, kalkulierbare Kostenstruktur vor und verhindert unvorhergesehene Zusatzaufwendungen. Ist es beim Softwarebetrieb im eigenen Haus möglich, dass etwa ein Hardware-Defekt oder Systemausfälle außerplanmäßige Ausgaben verursachen, sind ASP-Anwender davor gefeit. Der Fremdbetrieb der Programme hat natürlich seinen Preis, aber dieser wird meist in Form einer monatlichen Pauschale entrichtet und ist daher gut planbar. Eingespart werden können dagegen die Kosten einer eigenen DV-Infrastruktur vom Server bis zu den Leitungen sowie die Arbeits- und Ausbildungszeiten für die IT-Administration. Diese Überlegungen bringen immer mehr Städte, Gemeinden und öffentliche Einrichtungen dazu, sich für ASP zu entscheiden. So betreut beispielsweise die Nürnberger DATEV eG inzwischen Kunden aus dem Public Sector in nahezu allen Bundesländern mit dem Rundum-Service. Ihr Angebot DATEVasp beinhaltet als Komplettlösung Dienstleistungen von der Bereitstellung der Server und des Betriebssystems bis hin zum Management der

IT-Infrastruktur. Dazu gehören die Wartung und Administration der Server genauso wie das Einspielen der Software-Updates und die Datensicherung.

Kein Unterschied in der Handhabung Die PCs in den Städten und Gemeinden speichern auf ihren lokalen Laufwerken weder Anwendungen noch Daten – diese befinden sich auf Servern im DATEV-Rechenzentrum. Via Datenleitung greifen die Anwender darauf zu. Bei der abgesicherten Datenübertragung werden nur die Bildschirminhalte, die Mausklicks und Tastatureingaben übertragen, sodass die Datenvolumina klein bleiben. Von der physischen Entfernung ist am Arbeitsplatz nichts zu spüren – der Nutzer merkt in der Handhabung keinen Unterschied gegenüber einem lokal auf dem PC gespeicherten Programm. Das Auslagern muss sich nicht auf die DATEV-Software für das Finanzmanagement beschränken. Auch für kommunale Fachanwendungen, wie etwa

für das Melde- oder das Personenstandswesen, gibt es insbesondere unter den kommunalen Rechenzentren spezielle Anbieter. Wer beide Bereiche extern betreiben lassen will, sollte sichergehen, dass die Finanzsoftware und die Fachverfahren über Schnittstellen verfügen, die einen einfachen Datenaustausch zwischen den einzelnen Anwendungen ermöglichen.

Eine Frage des Vertrauens Da der Anbieter im ASP-Modell eine ganze Reihe vielschichtiger, sensibler Aufgaben übernimmt, ist die Wahl des Partners immer auch eine Vertrauenssache. Insbesondere im Hinblick auf den vertraulichen Umgang mit Kunden- beziehungsweise Einwohnerdaten empfiehlt es sich, auf ein Rechenzentrum zu setzen, das wie etwa die DATEV über langjährige Erfahrung verfügt und einschlägige Zertifizierungen rund um Datensicherheit und Datenschutz nachweisen kann.”. *Benedikt Leder ist für die DATEV eG in Nürnberg tätig.


Informationstechnologie

Seite 36

N

ach den neusten Zahlen 2017 würden 1,8 Milliarden Menschen Facebook monatlich auf der ganzen Welt nutzen. Viele Kommunen, Landkreise und Behörden in Deutschland kommunizieren deshalb direkt über diese Medien- und Kommunikationsplattform mit den Bürgern. Aber ist dies nur zeitgemäß, aber rechtens und sinnvoll?

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Aktiv, schnell und direkt – aber sicher? Behörden-Kommunikation in der Facebook-Ära (BS/Adrian Bednarski) “Wenn ich antrete, dann als Republikaner. Sie sind die dümmste Wählergruppe im Land”, soll Donald Trump dem People Magazin 1998 gesagt haben. Dieses Zitat wurde ihm in den Mund gelegt und über die Sozialen Medien verbreitet. Falschmeldungen sind stark im Zusammenhang mit der US-Wahl aufgekommen und sollen diese beeinflußt haben. Die Wirkung ist groß und selbst Behörden wollen sich dem nicht entziehen. Es gibt aber auch Ausnahmen.

Verlagerung zu anderen spielsweise Fahndungsaufrufe, Plattformen?

Aktives Imagetool “Facebook macht es uns möglich, selbst tätig zu werden und unabhängig von anderen Medien mit den Bürgern direkt zu sprechen “, sagt Kai Bauer, der für die Online-Redaktion des Landkreises Osnabrück zuständig ist. Auch die Polizei Niedersachsen merkt an, dass viele Bürger heutzutage nicht mehr über die klassischen Printmedien erreicht würden. Die Nachfrage nach polizeilichen Informationen sei trotzdem weiterhin ungebrochen. Dies habe sie veranlasst, auf Facebook aktiv zu werden. “Das Netzwerk eignet sich im besonderen Maße als Imagetool”, so eine Sprecherin der niedersächsischen Polizei. Sie fährt fort: “Durch Beiträge, die den Polizeialltag darstellen und einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, soll ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen der Polizei und der Bevölkerung gefördert werden.” Bisher gehe diese Rechnung auf. So bewerten die Ordnungshüter ihre gesammelten Erfahrungen als positiv: Ein Vertrauenszuwachs sei spürbar und die Prävention, die Öffentlichkeitsfahndung sowie die Nachwuchsgewinnung würden eine höhere Reichweite erzielen. Mit 300.000

im Mai 2017 in Deutschland 23 Millionen aktive Nutzer. Im Jahr 2014 waren es 28 Millionen. “Gerade die Generation der Kinder und Teenager wird über Facebook und Twitter nur noch selten erreicht”, meldet die niedersächsische Polizei nach ihren Marktanalysen.

Viele Behörden nutzen Facebook als zusätzlichen Kanal für die Kommunikation mit dem Bürger.

Followern auf allen Fanpages der Polizei Niedersachsen habe sich der Kanal zu einer wichtigen Kommunikationsplattform entwickelt. “Bei besonderen Einsatzlagen, die ein hohes Informationsbedürfnis verlangen, kann Facebook die Krisenkommunikation unterstützen”, zeigt die Polizei Niedersachsen auf. Im Hinblick auf Facebook als Krisenkommunikationsinstrument haben auch die Dänen positive Erfahrungen gemacht, als der Sturm Urd das westliche Jütland 2016 traf. Sie nutzten Facebook, um Spontanhelfer bei einer drohenden Flutkatastrophe zu koordinieren und banden sie aktiv mit ein (siehe Seite 56 in dieser Ausgabe).

Facebooks Sammellust Aber der Datenschutz ist ein Streitpunkt, bei dem die Meinungen auseinandergehen. Im Landkreis Osnabrück gibt es,

seitdem die Bürger nicht mehr die öffentlich einsehbare Pinnwand auf Facebook benutzen, weniger Bedenken. “Anfragen werden seit drei Jahren vertraulich per direkter Nachricht zugesandt”, sagt Bauer. Anders der brandenburgische Landkreis Teltow-Fläming. Dort haben die Verantwortlichen zwischen 2015/16 die Chancen, Risiken und Voraussetzungen abgewogen und sich gegen Facebook entschieden. Aber neben den Bedenken des behördlichen Datenschutzbeauftragten bezüglich des Umganges mit den Kundendaten gebe es noch einen weiteren Faktor, erläutert Landrätin Kornelia Wehlan: “Bei einer angespannten Haushaltssituation kann der finanzielle und personelle Aufwand nicht geleistet werden.” Seitens datenschutzrechtlicher Bedenken ist eines der größten Probleme der Übertra-

Grafik: BS/Facebook

gungsweg. Die Daten würden über US-Server laufen, wodurch die Nutzungs- und Verwertungsrechte bei Facebook lägen. Damit bestehe die Gefahr einer unkontrollierten Datenverwendung und -speicherung, weil in den Vereinigten Staaten andere Datenschutzbestimmungen gelten. Gerade im Hinblick auf personenbezogene Daten und empfindliche Informationen wie sexuelle oder religiöse Orientierung sowie politische Gesinnung sind dies kritische Aspekte.

Die Lösungsstrategie der Polizei “Das Verarbeiten personenbezogener, polizeilich relevanter Daten auf diesen Plattformen ist aus datenschutzrechtlichen Aspekten unzulässig”, erläutert eine Sprecherin der niedersächsischen Polizei. Aber entsprechende Inhalte, wie bei-

könnten trotzdem verwendet werden. Hierfür lädt die Behörde diese auf den eigenen Homepages hoch und verlinkt sie im Anschluss auf Facebook. “Am Beispiel der Öffentlichkeitsfahndung in Facebook zeigt sich, dass dem Datenschutz durch technische und organisatorische Lösungen Rechnung getragen werden kann. Voraussetzung ist, dass die Polizei die Verfügungsgewalt über die eingestellten personenbezogenen Daten behält”, resümiert diese. Nach den aktuellen Statistiken von Statista hatte Facebook

Es findet eine Verlagerung zu Snapchat sowie Instagram statt. Dementsprechend würde die zielführende Nutzung aufs Neue überprüft, “um in den Sozialen Netzwerken im Dialog zu bleiben beziehungsweise in diesen zu kommen”, schließt die polizeiliche Sprecherin ab. Im Hinblick auf Datenschutzprobleme, Skandale und Trends bleibt offen, inwieweit sich Kommunen und Behörden weiterhin an Facebook orientieren können oder wann neue Kommunikationsplattformen den Markt erobern, die sicherer sind.

evidence.com “Digitale Asservatenkammern” effizient verwalten (BS) Body-Cams werden im überwiegenden Teil der Bundesländer derzeit in Pilotprojekten eingesetzt. Angesichts aktueller Bedrohungslagen wird sowohl der Ausbau von Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen als auch der flächendeckende Einsatz der Kameras im Streifendienst diskutiert. Ihr Nutzen ist zunehmend unbestritten: Die Körperkameras deeskalieren, sie schützen Polizeikräfte vor Gewalt, Widerstand und falschen Anschuldigungen. Der Bedarf ist leider offensichtlich: Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) wurden 2016 insgesamt 63.167 Polizisten Opfer vollendeter Straftaten.

Sicherung der digitalen Beweismittelkette

Geschäftsführender Direktor für die Länder Deutschland, Österreich und Schweiz des Body-Cam-Weltmarktführers Axon Enterprise.

Auf Automatisierung spezialisiert Zwar werden Body-Cams im

Streifendienst nur im Bedarfsfall aktiviert. Dennoch fällt bei durchschnittlich 0,5 Gigabyte pro Schicht und Kamera in einer Polizeidienststelle ein Datenvolumen von mehreren Terabyte pro Monat an. Zwangsläufig erhöht sich damit auch signifikant die Anzahl der Videos, die als digitales Beweismittel eingestuft werden. Spätestens hier stellt sich die Frage nach dem Management des Materials. Denn auch in dieser Dimension bleiben diese Informationen als Beweismittel zur Wahrheitsfindung im Strafverfahren essenziell. Dazu müssen sämtliche vorhandenen Beweismittel erkannt und sachgerecht ausgewertet werden.

Digitale Beweismittelkette “In einer klassischen Asservatenkammer gelten akribische Vorschriften zur Dokumentation und Archivierung der Beweismittel sowie hohe Sicherheitsstandards, um die Beweismittelkette zu wahren. Für videobasierte Beweismittel sollten in der digitalen Asservatenkammer ebenso strenge Standards gelten. Dazu bedarf es einer automatisierten Gesamtlösung im Innendienst”, sagt Christian Scherf,

Mit evidence.com stellt Axon eine umfassende IT-Managementplattform zum Wahren der Beweismittelkette bereit. Sie ist darauf spezialisiert, digitale Asservate aller Art automatisiert, formatübergreifend und medienbruchfrei zu verwalten. Auch Inhalte aus Social-Media-Quellen und handelsüblichen Smartphones werden erfasst. Die Automatisierung der Geschäftsprozesse beginnt schon bei der Datenerfassung: Evidence.com kann Beweismittel von über 20.000 Body-Cams selbstständig uploaden und archivieren.

Sicherheit per Rechtemanagement Die geschützten Daten werden beim Ladevorgang ohne Benutzereingriff verschlüsselt an die Verwaltungssysteme übertragen. Der gesetzeskonforme Schutz persönlicher Daten wird unter anderem durch ein mehrstufiges Rechtemanagement gewährleistet. Authentifizierungsverfahren sind definiert und jeder Zugriff wird protokolliert. Das Videomaterial von Axon-Kameras wird zuvor in einem physisch und digital gesicherten Bereich lokal auf der Kamera gespeichert.

evidence.com kann Beweismittel von über 20.000 Body-Cams selbstständig uploaden und archivieren.


Informationstechnologie

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 37

Im Zeichen des Portalverbundes

Servicekonto.NRW vorgestellt

Herbstsitzung des IT-Planungsrats in Potsdam

Zentrale ID-Funktion für behördliche Bürgerportale

(BS/gg) Der IT-Planungsrat hat auf seiner Herbstsitzung Anfang Oktober in Potsdam eine Reihe von Ent- (BS/lkm/wim) Anfang September wurde auf dem 18. ÖV-Symposium in Dortmund das Servicekonto.NRW vorscheidungen zur Digitalisierung der Verwaltung getroffen – unter anderem hat er die Grundprinzipien der gestellt. Mit dem im vergangenen Jahr in Kraft getretenen E-Government-Gesetz NRW (EGovG NRW) wurde die IT-Architektur des Portalverbundes beschlossen. rechtliche Grundlage für das digitale Bürgerkonto gelegt, welches ab sofort für die Kommunen offensteht, um ihre eigenen Serviceangebote an das zentrale Portal anzubinden. Ab dem 01.01.2018 kann das Servicekonto.Entsprechend zufrieden zeig- Strukturen bilden soll. Rechtli- Vertretern in der Sitzung des NRW dann von den Bürgern für alle Online-Verwaltungsdienste im Land genutzt werden. te sich die Vorsitzende des ITPlanungsrates, Brandenburgs IT-Staatssekretärin Katrin Lange: “Wir haben heute wichtige Grundlagen gelegt, um die öffentliche Verwaltung in Deutschland fit zu machen für die Herausforderungen der Digitalisierung.” Für sie stehe fest, dass dieser Prozess beschleunigt werden müsse. Die Chancen für Bürger, Unternehmen und Verwaltung lägen auf der Hand; sie müssten nur deutlich stärker als bisher genutzt werden. Mit der Verabschiedung der Grundprinzipien der IT-Architektur des Portalverbundes ist der IT-Planungsrat einen ersten wichtigen Schritt gegangen, der nun die Grundlage für die vorgesehene Verknüpfung der Verwaltungsportale von Bund, Ländern und Kommunen unter Berücksichtigung der föderalen

Sonderedition zu e-nrw 2017

che Grundlage und gleichzeitig “Treiber” der Diskussion und Planungen rund um den Portalverbund ist das Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (OZG), welches Bund, Länder und Kommunen verpflichtet, binnen fünf Jahren alle Verwaltungsleistungen über Verwaltungsportale digital verfügbar zu machen und diese Portale zu einem einheitlichen Verbund zu verknüpfen. Mit der “Föderalen IT-Kooperation” (FITKO) wird der ITPlanungsrat nun, nach langen Diskussionen, endlich einen leistungsfähigen operativen Unterbau bekommen. Die im August getroffene Entscheidung des Chefs des Bundeskanzleramts sowie der Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder wurde von den

IT-Planungsrats ausdrücklich begrüßt. Nun sollen alle notwendigen Schritte eingeleitet werden, um die erforderliche Anpassung des IT-Staatsvertrags von Bund und Ländern in die Wege zu leiten und die digitalen Herausforderungen und Ziele des E-Governments effizient bewältigen und umsetzen zu können. “Durch die in diesem Zuge geplante Anstalt des öffentlichen Rechts erhält die Digitalisierung der Verwaltung einen starken Schub. Die neue Einrichtung mit Sitz in Frankfurt/Main bündelt zukünftig Kompetenzen und Ressourcen”, erklärte Staatssekretärin Lange. Im kommenden Jahr wechselt der Vorsitz des IT-Planungsrates wieder turnusgemäß zum Bund. Die nächste Sitzung des Gremiums findet am 16. April 2018 in Weimar statt.

Festschrift für Reinermann Von der Verwaltungsinformatik bis zum E-Government (BS/wim) Zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Heinrich Reinermann haben Jörn von Lucke und Klaus Lenk eine Festschrift herausgegeben, um dessen Verdienste bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung zu würdigen.

(BS) Zu e-nrw 2017 erscheint eine Dokumentation zur erfolgreichen Geschichte des Kongresses in den vergangenen fünf Jahren. Wilfried Kruse, seit 2012 Fachlicher Leiter der Veranstaltung und ehemals Beigeordneter der Städte Düsseldorf, Neuss und Hilden, und Prof. Dr. Frank Hogrebe zeigen die inhaltliche Entwicklung in diesem Zeitraum in der Sonderedition chronologisch anhand gehaltener Vorträge auf, welche sie analysieren und in den Gesamtzusammenhang der E-Government-Entwicklung in NRW stellen. Die rund 250 Seiten starke Publikation wird den Teilnehmern vor Ort ausgehändigt. Grafik: Behörden Spiegel

Das Werk blickt in zahlreichen Beiträgen renommierter Verwaltungswissenschaftler und -experten zurück auf die Entstehung der Verwaltungsinformatik und beschreibt die Entwicklung bis hin zu Digitalisierung, Vernetzung und den E-Government-Gesetzen heute. Es bewegt sich dabei immer nah am Wirken Reinermanns und der Speyerer Schule der Verwaltungsinformatik, welche er im Zuge seiner Tätigkeit als Professor an der dort ansässigen, heutigen Universität für Verwaltungswissenschaften begründete. Über drei thematisch gegliederte Abschnitte hinweg wird die Pionierarbeit Reinermanns mit den Entwicklungen der Gegenwart und den aktuellen Ansätzen zur digitalen Gestaltung der Zukunft im öffentlichen Sektor verknüpft. Im Verlauf der Aufsätze wird auch immer wieder der zukunfts- und praxisorientierte Ansatz sichtbar, mit dem der

1. Februar 2018,

Als gemeinsamer Dienst von Land und Kommunen sei es ein Meilenstein in der Entwicklung des E-Governments in NRW und “ein wichtiger Schritt zur standardisierten, einfachen und leichten Nutzung von digitalen Verwaltungsangeboten”, betonte Hartmut Beuß, CIO des Landes NRW. Einmal registriert, sollen sich die Bürger mit dem Servicekonto.NRW in allen Online-Diensten der Verwaltung sicher ausweisen können. Als zentrale Identität kann es zukünftig zur Identifizierung und Authentisierung in allen OnlineDiensten der Kommunen und des Landes genutzt werden. Dabei gibt es zum Einstieg zwei Vertrauensniveaus, ein Niveau “Normal”, welches mit Benutzername und Passwort funktioniert, und ein Niveau “Hoch”, das mit der eID-Funktion des Personalausweises und der dazugehörigen PIN funktioniert. Die hohe Niveaustufe soll perspektivisch schriftformersetzende Funktionen übernehmen. Die Verwaltungsportale vor Ort bleiben die Einstiegspunkte für

Im Zuge seines Eröffnungsvortrags gab NRW-CIO Hartmut Beuß das Servicekonto.NRW zur Anbindung an die Verwaltungsportale frei. Foto: BS/Materna

die Online-Angebote. Erst wenn die Eingabe der Nutzerdaten erforderlich oder der Nachweis der Identität notwendig ist, wird das Servicekonto.NRW aus dem Prozess heraus aufgerufen. Die Registrierung für das Angebot bleibt dabei komplett freiwillig, und auch die Art der Nutzung steht jedem Bürger frei. So kann man jederzeit alle Daten und das Vertrauensniveau ändern oder das gesamte Konto löschen und die Teilnahme beenden.

E-Government ausbauen Baden-Württemberg und Sachsen erweitern Kooperation (BS/gg) Die CIOs der Länder Baden-Württemberg und Sachsen, Ministerialdirektor Stefan Krebs und Innenstaatssekretär Dr. Michael Wilhelm, haben Anfang Oktober am Rande der Herbstsitzung des IT-Planungsrates einen Letter of Intent unterzeichnet. Mit der Absichtserklärung bekräftigen sie, die Zusammenarbeit ihrer Länder im Bereich E-Government weiter auszubauen.

Die Festschrift für Heinrich Reinermann zum 80. Geburtstag ist im Nomos-Verlag für 49 Euro erhältlich. Grafik: BS/Nomos Verlagsgesellschaft

Professor seine Forschung und Lehre versah und welcher heute das Fundament für zahlreiche Diskussionen zu den unterschiedlichsten Themen der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung bildet.

Baden-Württemberg und Sachsen beabsichtigen, gemeinsam ihre Onlineangebote an Verwaltungsleistungen weiter auszubauen. Eine besondere Rolle spielen dabei die jeweiligen Serviceportale service-bw und Amt24, die bedarfsorientiert weiterentwickelt werden sollen. Die Kooperation zwischen Baden-Württemberg und Sachsen läuft bereits seit dem Jahr 2004, mit dem Ziel, für Bürger und Unternehmen einfache und sichere E- Government-Angebote zu schaffen. Die Kooperationspartner zeigten sich überzeugt, dass ein Miteinander bei der Digitalisierung ein Garant dafür ist, moderne

Die langjährige Partnerschaft von Sachsen und Baden-Württemberg im EGovernment-Bereich soll künftig noch enger werden: Dr. Michael Wilhelm (links) und Stefan Krebs unterschrieben eine entsprechende Absichtserklärung. Foto: BS/Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg

Services für die Bürger und Unternehmen schaffen zu können

Haus der Bayerischen Wirtschaft, München

4. Zukunftskongress Bayern Die digitale Verwaltung in Staat und Kommunen – heute und morgen – für Bürger und Wirtschaft Fotos: © alphaspirit, fotolia.com; Dombrowsky

Das Servicekonto.NRW startet mit der einfachen Registrierung über Benutzername und Passwort und der Online-Ausweisfunktion des Personalausweises und des elektronischen Aufenthaltstitels. In weiteren Schritten soll es um das mobile Authentisieren mit dem Smartphone und Unternehmenskonten erweitert werden. Nach dem Start in NRW soll es auch den Zugang zu allen Verwaltungsdiensten in Deutschland und sogar europaweit eröffnen. Die Gesamtverantwortung für das Servicekonto.NRW liegt beim Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Betrieb des Portals ist auf den KDN – Dachverband kommunaler IT-Dienstleister – übertragen worden, der es bei seinen Mitgliedern Kommunales Rechenzentrum Niederrhein (KRZN) und Stadt Münster – citeq betreiben lässt. Die Software wurde von der Governikus KG entwickelt.

Der Zukunftskongress Bayern wird auch im kommenden Jahr wieder die aktuelle Entwicklung der Digitalisierung von Staat und Kommunen diskutieren. Der traditionelle Blick in andere Bundesländer, aber auch nach Österreich und in die Schweiz wird die Diskussionen öffnen und um zusätzliche Impulse bereichern. Ziel der Veranstaltung ist es, einerseits eine Standortbestimmung vorzunehmen und über das bislang Erreichte zu informieren. Ebenso wichtig ist es jedoch, angesichts der Dynamik der digitalen Transformation, Konzepte, Strategien und Lösungen für die Weiterentwicklung des Digitalen Staates und der Digitalen Verwaltung zu entwerfen. Daher wird es ein zentrales Element des Kongresses sein, intensiv, visionär und kontrovers über die richtigen Weichenstellungen für das digitale Bayern der Zukunft zu diskutieren. Melden Sie sich unter www.zukunftskongress.bayern an und diskutieren Sie mit!

www.zukunftskongress.bayern [#zkonbayern]

Eine Veranstaltung des

und dadurch die Lebensqualität zu verbessern.


Informationstechnologie

Seite 38

Lernen vom Norden

A

ls Auslöser für die Digitalisierung galten positive Erfahrungen. In Norwegen habe die Digitalisierung mit den Banken begonnen, erläuterte Tor Alvik, Senior Adviser der Agency of Public Management and E-Government (Difi). “Diese vereinfachten ihren Service, gestalteten ihn digitaler und damit stieg die Nachfrage. Die Regierung hat sich daran orientiert und ist mit simplen E-Services eingestiegen”, fuhr dieser fort.

Das Steuer der Digitalisierung – die Regierung Herausforderungen für Kommunen, Länder und Regierende existieren zur Genüge, angesichts dessen sei es eine Mentalitätsfrage, wie die Suche für die bestmögliche Lösung durchgeführt werde. In Falle Norwegens würde auf Kooperationen mit der Wirtschaft gesetzt. “Im Dialog mit der freien Wirtschaft entstehen unterschiedliche neue Ideen”, erläuterte Katharina de Brisis, stellvertretende Direktorin des norwegischen Ministeriums für Gemeindeverwaltung und Modernisierung. Auch Lösungen, die die Regierung bis

Wie der digitale Wandel gelingt (BS/Adrian Bednarski) Die skandinavischen Staaten belegen bei den Digitalisierungsrankings die Spitzenplätze. Hinsichtlich der ursprünglichen digitalen Infra- und der aktuellen Altersstruktur sind sie Deutschland sehr ähnlich. Was konnte dieses also von den nordischen Staaten beim internen Workshop “Digital North meets Germany” lernen? dato nicht gesehen habe. Ein Nebeneffekt davon: Die Wirtschaft werde gefördert, durch Unternehmen und Start-ups, die diese Lösungen weiter exportierten und perfektionierten. Aber für solch ein strategisches Regierungshandeln brauche es eine Basis. Die Regierung müsse sich den Bedürfnissen, den Prioritäten, den Kosten und den klaren Zielformulierungen widmen und diese ausarbeiten. Damit im Anschluss daran die Koordination und Durchführung der Digitalisierung verbessert würden, könne ein eigenes Ministerium für Digitalisierung aufgebaut werden. Dadurch würden Kompetenzprobleme gelöst. Während die strategische Basis für die Digitalisierung Handlungsspielräume zulasse, sei eine Tatsache unabdingbar: Der

Kooperation bei XRechnung Zusammenarbeit von Bund und drei Ländern (BS/gg) Das Bundesministerium des Innern (BMI) und die Freie Hansestadt Bremen werden künftig gemeinsam mit den Bundesländern Nordrhein-Westfalen (NRW) und Rheinland-Pfalz das Datenmodell XRechnung als Standard für die elektronische Rechnung (E-Rechnung) einsetzen. Damit wollen Bund und Länder die Umsetzung des nationalen Standards weiter vorantreiben. Die Basis hierfür liefern das auf der diesjährigen CeBIT vorgestellte “IT-Architekturkonzept für die föderale Umsetzung in Deutschland” und die Beschlüsse des IT-Planungsrates zur E-Rechnung. Das BMI und die Freie Hansestadt Bremen haben gemeinsam mit den Ländern NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz Referenzprozesse zur Einführung der elektronischen Rechnung im Standard XRechnung entworfen.

Blaupause für die Einführung Diese Referenzprozesse sollen die öffentlichen Verwaltungen bei der Einführung der E-Rechnung unterstützen, indem sie wesentliche Prozessschritte organisatorisch und fachlich beschreiben. Sie sollen den Verwaltungen künftig als eine Art Blaupause bei der Einführung der E-Rechnung im Standard der XRechnung dienen. NRW und Rheinland-Pfalz unterstützen die Kooperation zwischen dem Bund und Bremen bei der Ausarbeitung der Referenzprozesse seit September, indem das erarbeitete Architekturkonzept von den neuen Kooperationsmitgliedern genutzt und im Gleichklang implementiert wird. Das gemeinsame Vorgehen soll für die deutschen Unternehmen und die Softwareunternehmen weitere Planungssicherheit schaffen. Darüber hinaus soll die Öffentlichkeit regelmäßig über den Umsetzungsstand informiert werden. “Die Einführung der E-Rechnung wird auf eine immer breitere Grundlage gestellt. Mit NRW und Rheinland-Pfalz haben wir

Behörden Spiegel / Oktober 2017

zwei weitere wichtige Partner gefunden, die die von Bremen und dem Bund entwickelte Blaupause umsetzen wollen. Die E-Rechnung leistet einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland”, erklärte der IT-Beauftragte der Bundesregierung und Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Klaus Vitt. Auch der Bremer IT-Direktor Dr. Martin Hagen kommentierte die Zusammenarbeit: “Durch die Verstärkung der Kooperation durch NRW und Rheinland-Pfalz werden wir den Anforderungen einer einheitlichen Umsetzung bei der E-Rechnung noch besser gerecht. Dadurch werden wir einen Digitalisierungsschub im Business-to-GovernmentBereich bewirken.” Staatssekretär Randolf Stich aus Rheinland-Pfalz freute sich “über die Chance, in die Kooperation einsteigen zu können, und die Weiterentwicklung mitzugestalten. Für die Digitalisierung der Verwaltung ist die ERechnung ein enormer Schritt, der noch dazu Unternehmen das Zusammenwirken mit der öffentlichen Hand wesentlich erleichtern wird.” NRW-CIO Hartmut Beuß ergänzte: “Die Digitalisierung stellt die Verwaltung vor große Herausforderungen. Die Kooperation zeigt, dass Bund und Länder Digitalisierungsprojekte gemeinsam auf den Weg bringen können.”

keiten müssten seitens der Regierung kommuniziert werden. “Digitales Denken fängt im oberen Management an und muss dann in das mittlere getragen werden”, so de Brisis weiter. Denn im mittleren Management seien jene Mitarbeiter, die die Projekte konzipierten und umsetzten. Aber gleichzeitig müssten sich auch die Bürger auf Neuerungen einlassen. Durch die anschließende Nutzung der digitalen Dienstleistungen würden diese verbessert werden und die Skepsis weiche dem Vertrauen. “Digitalisierung ist von den Menschen für die Menschen gemacht”, erläuterte der estländische Botschafter Mart Laanemäe. Es brauche das Bewusstsein, dass digitale Verwaltung die Behördengänge wesentlich vereinfache.

Zukunftsmusik: Was bringt die Digitalisierung? Die nordischen Länder luden zu einem internen Digitalisierungs-Workshop ein. Insbesondere Norwegen, als Gastgeber und Partnerland beim “Digitalen Staat 2018”, tauschte sich mit Deutschland aus. Beide weisen Parallelitäten im Hinblick auf die demografische Altersstruktur und die digitale Infrastruktur auf, auf deren Basis ein Austausch auf Augenhöhe möglich ist. Foto: BS/Hires und Lowres, Nordische Botschaft

wichtigste Schritt in allen nordischen Staaten sei die Möglichkeit, sich digital auszuweisen, so das zentrale Ergebnis des Workshops. Im Gegensatz zu Deutschland würde auf Kooperationen mit privaten Unternehmen zurückgegriffen. Denn diese hätten sichere digitale Identifikationsmöglichkeiten eingeführt. Dazu gehörten beispielsweise Auslesegeräte, wie sie beispielsweise in Deutschland beim OnlineBanking verwendet würden. Mit diesen Möglichkeiten könne sich jeder Mensch auf dem angebotenen Portal der Regierung anmelden und die Online-Funktionen von Behörden und Kommunen nutzen. In Deutschland ist der neue Personalausweis mit einer elektronischen Identifikationsfunktion versehen. Aber von den 51 Millionen Bürgern, die den neuen Personalsauweis besit-

zen, haben bislang nur rund 2,5 Millionen die Online-Funktionen genutzt. Die Gründe für die geringe Nutzung sind Fehler in der Anfangszeit, mangelnde Kommunikation und Misstrauen bzgl. der Datensicherheit. Dies ist den nordischen Staaten ebenfalls nicht unbekannt. Auch bei ihnen gebe es Menschen, die ihre Probleme mit den elektronischen Identifikationsmaßnahmen hätten. Jedoch handhaben sie es anders, berichtet Alvik. Manche Länder würden den Menschen keine Wahlmöglichkeit lassen. Norwegen, das Partnerland beim Kongress “Digitalen Staat 2018” sein wird, böte die Option an, weiterhin alles analog zu nutzen. Aber weil online bequemer und sicher sei, würden viele dies vorziehen. Wichtig sei, jenen Menschen zu helfen, die digital nicht bewandert seien. “Es ist keine Frage

des Alters, sondern der Unterstützung. Auch Senioren sind von den schnelleren Wegen und der Einfachheit begeistert und nutzen das digitale Angebot”, fuhr Alvik fort.

Mit mentalen Bremsen funktioniert nichts Vieles beginnt im Kopf, waren sich die Workshop-Teilnehmer einig: Bei der Lösungssuche digital zu denken, sei der Schlüssel, aber nicht nur seitens der Regierung. “Um digitale Infrastrukturen zu nutzen, müssen die Menschen digital reif sein sowie ein Vertrauen in die digitalen Strukturen mitbringen”, sagte de Brisis. Dieses wiederum könne nicht von heute auf morgen aufgebaut werden. Der Schlüssel dazu: Kommunikation und Ausprobieren. Vorteile sowie Nachteile von digitalen Möglichkeiten und Notwendig-

Der digitale Wandel wird die Arbeitswelt von morgen stark verändern. So zeigten die Nordund Ostseestaaten auf, dass neue Arbeitsplätze geschaffen würden, weil es neue Berufe gebe. Genauso sei die Vernetzung zwischen Behörden und den Bürgern verbessert worden. In Norwegen reiche es aus, sich bei einer Behörde arbeitslos zu melden und die übernehme die Weiterleitung an die Krankenkasse oder das Finanzamt. Den Finnen sei es zudem gelungen, den aktuellen Trend der Blockchain aufzugreifen und für ein Projekt zu nutzen, so Olli-Pekka Rissanen, Special Adviser des finnischen Finanzministeriums: Flüchtlinge erhielten spezielle Karten (MONI-Karte), auf denen ihre Identität abgebildet werde, auf denen ihre Gehälter überwiesen würden und mit denen sie einkaufen könnten. Nächstes großes Verbundprojekt der nordischen Staaten: Ein gemeinsames Portal, mit dem grenzüberschreitender digitaler Service möglich sei.

Angebot ohne Nachfrage? Warum Bürgerbeteiligung nicht beim Bürger ankommt (BS/Robert Zepic/Prof. Dr. Helmut Krcmar) Um die Transparenz staatlichen Handelns zu erhöhen und die Bürger stärker an der Verwendung öffentlicher Mittel zu beteiligen, haben laut dem Informationsportal Buergerhaushalt.org bereits weit über 100 Kommunen in Deutschland Bürgerhaushalte eingeführt, sie geplant oder zumindest diskutiert. Man findet oder fand Bürgerhaushalte in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main und einigen Bezirken Berlins. Regelmäßig wird als Grund dafür, dass die Teilnahmequoten der Bürgerhaushalte aber nur selten über den Promillebereich der Einwohner einer Stadt hinausgehen, das geringe Interesse der Bürger angeführt. Die Technische Universität München geht gegenwärtig der Frage nach, welche weiteren Gründe für das Ausbleiben der Beteiligung existieren können, und gibt erste Einblicke in die aktuelle Forschung. Ungeachtet des vielfältigen theoretischen Nutzens, den Bürgerhaushalte aus Sicht ihrer Befürworter versprechen, bemängeln Kritiker, dass es nicht gelungen sei, die breite Bevölkerung für eine aktive Teilnahme zu mobilisieren. Oftmals, so der verbreitete Vorwurf, beteiligten sich nur diejenigen Bürger oder gut organisierte Interessengruppen, die bereits auf anderen Kanälen durch eine überdurchschnittliche Beteiligung auf sich aufmerksam machten. Die Mehrheit der Bevölkerung scheine aber einen großen Bogen um die Bürgerhaushalte zu machen und signalisiere weitestgehend Ablehnung. Zum Teil kämen kaum mehr als eine Handvoll Bürger zu den Informationsveranstaltungen vor Ort. Und auch im Internet beteiligten sich selten mehr als eine einstellige Prozentzahl der Einwohner einer Kommune. Mancherorts könne zudem beobachtet werden, dass die Beteiligung über die Jahre zurückgehe. Was die Kritiker häufig eint, ist ihre Verengung der Ursachen auf das vermeintliche Desinteresse der Bevölkerung. Eine Antwort auf die Frage, welche weiteren Gründe denn für die ausbleibende Beteiligung verantwortlich sein könnten, wird nur selten gegeben – sofern diese denn überhaupt gestellt wird.

Kategorien zusammengefasst: 1. Das Fehlen von Beteiligungsmöglichkeiten, wenn beiRobert Zepic ist wissenspielsweise der schaftlicher Mitarbeiter und Wunsch nach Doktorand am Lehrstuhl für Beteiligung vorWirtschaftsinformatik der handen ist, aber TU München. das Verfahren im Wesentlichen nur Informationen bereitstellt anstatt echter Partizipationsmöglichkeiten. Prof. Dr. Helmut Krcmar ist 2. Die fehlende Inhaber des Lehrstuhls für Bekanntheit des Wirtschaftsinformatik der Verfahrens. 3. TU München. Das Fehlen von Fotos. BS/TU München vorausgesetzten Ressourcen zur Im Rahmen einer laufenden Beteiligung, wie beispielsweise Forschungsarbeit am Lehrstuhl benötigte Sachkenntnisse in für Wirtschaftsinformatik der Haushaltsfragen, unzureichenTechnischen Universität Mün- de Kompetenzen zur Verwenchen wird gegenwärtig dieser dung der Online-BeteiligungsFrage nachgegangen. Mittels plattformen, Zeit oder finanzielle einer Literaturrecherche in Mittel. 4. Mangelndes Interesse wissenschaftlichen Publikati- der Bürger, nicht nur am Büronen und Experteninterviews gerhaushalt selbst, sondern mit Verwaltungsmitarbeitern auch grundsätzlich an Politik in Städten, die einen eigenen oder an politischer PartizipatiBürgerhaushalt durchgeführt on. Und schließlich, 5., die genehaben, wurden bereits über 20 relle Ablehnung der Beteiligung, Barrieren identifiziert, die für die etwa weil kein Interesse an den geringe Beteiligung der Bürger Eingaben der Bürger vonseiten der Politik und der Verwaltung verantwortlich sein können. Diese Barrieren sind in fünf erwartet wird.

Die hier nur exemplarisch genannten Ursachen zeigen in Summe eine Vielzahl individueller Barrieren auf, die einen Bürger von der Teilnahme an einem Bürgerhaushalt abhalten und damit höhere Beteiligungsquoten des Verfahrens verhindern können. Gleich, welcher Grund in einem konkreten Fall entscheidend ist, das vermutete Desinteresse der Bürger am Bürgerhaushalt allein scheint nicht für die als zu gering kritisierten Beteiligungsquoten verantwortlich zu sein. Nach Veröffentlichung erster Forschungsergebnisse auf wissenschaftlichen Konferenzen in Österreich und Portugal wurde zuletzt im August 2017 ein deutschsprachiger Artikel in der Sonderausgabe “Online Participation” der Fachzeitschrift HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik veröffentlicht. Das Zwischenfazit der laufenden Forschungsarbeit zu Nutzungsbarrieren des Bürgerhaushaltes, einschließlich einer Darstellung aller bislang identifizierten individuellen Barrieren, ist als Print und Online verfügbar: Zepic, Robert; Dapp, Marcus; Krcmar, Helmut (2017): E-Partizipation und keiner macht mit. In: HMD Praxis der Wirtschaftsinformatik 54 (4), S. 488-501. Online unter: http:// rdcu.be/ty4g


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 39

PITS 2017 IT-Sicherheit vernetzen

I

n einer Welt, die zunehmend auf digitale und vernetzte Technologien aufbaut, muss IT-Sicherheit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und umgesetzt werden. Wichtige Weichenstellungen sind dafür auf politischer Ebene in der endenden Legislaturperiode vorgenommen worden, so die Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes und die Fortschreibung der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland vor einem Jahr mit einer breiten Palette an Maßnahmen.

PITS thematisiert Grundlagen zukünftiger Cyber-Sicherheitsarchitektur

(BS/stb) IT-Sicherheit geht nur gemeinsam – auf dieses Credo liefen viele Diskussionen des diesjährigen Fachkongresses Public-IT-Security hinaus. Denn in einer zunehmend vernetzten Welt braucht es vernetzte Ansätze für den Schutz von Daten und Systemen der öffentlichen Hand. Über vielversprechende Maßnahmen und Chancen, aber auch über Widerstände und Risiken bei der Bündelung von Kräften tauschten sich die Teilnehmer PITS wächst des Kongresses zwei Tage lang aus.

Auf- und Ausbau in der Sicherheitsarchitektur Viele der politischen Vorhaben waren Thema auf der PITS. So ist die Neustrukturierung der Bundeswehr im Cyber-Raum Fokus eines ganzen Themenblocks mit einer hochkarätigen Podiumsdiskussion gewesen. Die wirksame Sicherung der bundeswehreigenen Netze sowie die weitere Befähigung im Sinne der Cyber-Verteidigung ist Aufgabe des kürzlich in Dienst gestellten Organisationsbereichs Cyberund Informationsraum (CIR). Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit der stärkeren Zusammenarbeit von Behörden mit Sicherheitsaufgaben. Besonders hervorzuheben ist der Weiterentwicklungsprozess beim Nationalen Cyber-Abwehrzentrum. Dieses soll zu einer effektiven Kooperationsplattform für den umfassenden Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungsbehörden, der Bundeswehr sowie dem Bundesamt für Sicherheit

Konzept, wie Kommunen wirksam in eine gesamtstaatliche Strategie und Architektur für die Cyber-Sicherheit eingebunden werden können. Die Vernetzung im Bereich IT-Sicherheit schreitet nicht überall im selben Tempo voran.

“Vernetzte Welt – Vernetzte Sicherheit”: Das Leitmotiv zur PITS 2017 wurde von den Teilnehmern auch als Aufruf zum intensiven Austausch von Impulsen sowie zum Bilden und Festigen von Netzwerken verstanden. Fotos: BS/Dombrowsky

in der Informationstechnik (BSI) ausgebaut werden und der Koordination von Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren im CyberRaum dienen. Ein in diesem Jahr gänzlich neu etablierter Baustein in der Cyber-Sicherheitsarchitektur ist die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS). Diese soll als Dienstleister gebündelt Technologien für die Strafverfolgungsbehörden erforschen und entwickeln und so vor allem

auch die Verfolgung von CyberKriminalität unterstützen.

Erfolgsfaktor Zentralisierung? Bedrohungen im Cyber-Raum kennen keine Ländergrenzen. Schon deshalb ist ein regelmäßiger Blick auf Bemühungen im Bereich IT-Sicherheit anderer Staaten unverzichtbar. Auf der diesjährigen PITS wurden Vertreter der Nachbarländer Belgien, Österreich und Schweiz begrüßt, um einen grenzübergreifenden Erfahrungsaus-

tausch anzustoßen. Auch in diesen Ländern wird stark auf kooperative Ansätze gebaut – sowohl innerhalb der Organe der öffentlichen Verwaltung als auch mit der Wirtschaft. Aufschlussreich ist, dass sowohl in der Schweiz als auch in Belgien IT-Sicherheitsaufgaben und -Kompetenzen jeweils zentral in einer Behörde verortet sind. Bündelung von Ressourcen und mehr Kooperation werden in Deutschland vor allem auf Länder- und kommunaler Ebene

eingefordert. Gerade angesichts des IT-Fachkräftemangels, der die öffentliche Verwaltung besonders betrifft, wird mehr Zusammenarbeit kein Weg vorbeiführen. Allerdings liegt hier noch einiges an Arbeit vor den Verantwortlichen, wie die Diskussionen auf dem Kongress zeigten. So herrschen auf Länderebene noch teils Alleingänge vor, wo durch Kooperation Ressourcen geteilt und Synergien genutzt werden könnten. Außerdem fehlt es noch an einem umfassenden

Die PITS brachte in diesem Jahr erstmals mehr als 600 Teilnehmer aus Politik, öffentlicher Verwaltung, Wissenschaft und Wirtschaft zum intensiven Informations- und Erfahrungsaustausch zusammen. An zwei Kongresstagen wurde im Berliner Hotel Adlon ein inhaltlich dichtes Hauptprogramm mit zahlreichen Fachvorträgen und fünf hochkarätig besetzten Podiumsdiskussionen zu aktuellen Schwerpunktthemen angeboten. Ergänzend ermöglichten rund 15 Expertenrunden tiefere Einblicke in Einzelaspekte wie IT-Sicherheitsmanagement, Cyber-Kriminalität oder Sicherheit mobiler Endgeräte. Lösungen für IT-Sicherheit, Datenschutz und sichere elektronische Authentisierung in der öffentlichen Verwaltung präsentierten rund 50 Aussteller.

JETZT VORMERKEN!

PITS 2018 10.–11. September 2018 Die Vorträge der diesjährigen Veranstaltung finden Sie unter www.public-it-security.de/vor traege-2017/ . www.public-it-security.de

Daueraufgabe IT-Sicherheit

Nicht nur Kostenfaktor

Neuer Baustein

BMI will seinen Kurs fortsetzen

IT-Sicherheit ist Grundlage für Erfolge

ZITiS stärkt Deutschlands Sicherheitsarchitektur

(BS/stb) “Die Dynamik der Digitalisierung ist durch einen ständigen Stra- (BS/stb) “Bei der Durchdringung der Gesellschaft mit digitalen Techtegieprozess zu begleiten”, so der IT-Beauftragte der Bundesregierung nologien und der Vernetzung stehen wir erst am Anfang”, sagte der und Staatssekretär Klaus Vitt, zur Eröffnung des zweiten Kongresstages. Präsident im Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönbohm in der Eröffnungsrede zur PITS. “Ein ausreichendes Schutzniveau heute ist kein Garant für eine erfolgreiche Abwehr der Angriffe von morgen.” Vielmehr sei eine ständige Anpassung und Weiterentwicklung von Strategien erforderlich, um neue Gefahren frühzeitig erkennen und innovative Lösungen erforschen zu können, wie Vitt betonte. In diesem Geiste sind auch aktuelle und zukünftige Vorhaben im Bereich der IT-Sicherheit zu verstehen, die der Staatssekretär im Bundesinnenministerium (BMI) beschrieb. So werde die Umsetzung der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland vorangetrieben. Ziel sei es unter anderem, Fähigkeiten im Früherkennen, Abwehren und Verfolgen von Angriffen zu verbessern. Dazu werde das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ) zu einer “ressortübergreifenden zentralen Kooperations- und Koordinierungsstelle für CyberVorfälle” ausgebaut, so Vitt. Im Cyber-AZ soll unter Federführung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden des Bundes sowie mit der Bundeswehr gestaltet werden – insbesondere was die Erstellung aktueller und umfassender Lagebilder und den Einsatz von mobilen Einsatzteams angeht. Auch die Länder und die Wirtschaft seien zur Beteiligung im

Klaus Vitt stellte die Einführung eines IT-Sicherheitsgütesiegels im nächsten Jahr in Aussicht, welches auch als Grundlage für Haftungsregeln im Bereich IT-Sicherheit dienen könne. Fotos: BS/Dombrowsky

Cyber-AZ eingeladen, bemerkte der Bundes-CIO. Er forderte zudem eine Grundlage, “um relevante Lageinformationen zur Abwehr von Cyber-Angriffen zwischen Staat und Wirtschaft austauschen zu können”. Außerdem müsse das IT-Sicherheitsgesetz in der nächsten Legislaturperiode fortgeschrieben werden. Hier solle geprüft werden, ob Regeln zu Mindeststandards an IT-Sicherheit auf weitere Unternehmen ausgeweitet werden müssten.

Schönbohm erklärte, dass gerade in Bereichen wie dem vernetzten Fahren oder im Gesundheitswesen enorme Veränderungen bevorstünden. Die IT-Sicherheit würde dabei zu einer immer größeren Herausforderung. Der BSI-Präsident wies darauf hin, dass aber schon heute bei der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien Sicherheitsaspekte nicht immer in ausreichendem Maße berücksichtigt würden. Die rasche Verbreitung der Schadsoftware-Varianten WannaCry und Petya/ NotPetya in diesem Jahr zeige: “IT-Sicherheit war bisher nicht immer Chefsache”. Gerade in Unternehmen würde das irreführende Bild vorherrschen, dass IT-Sicherheit vor allem ein Kostenfaktor sei, während sonstige Technologien als Erlösbringer gesehen würden. Es müsse aber verstanden werden, dass Zuverlässigkeit und Sicherheit die Grundlage für Erfolge seien. “Niemand wird in ein vernetztes, automatisiert fahrendes Auto einsteigen, wenn er nicht davon ausgehen kann, dass es sicher ist”, illustrierte Schönbohm. Er forderte Mindeststandards sowie Zertifizierungen für sensible Bereiche wie Kritische Infrastrukturen oder IT-Systeme für Wahlen. Dabei verfolge das BSI aber einen kooperativen

Das BSI solle auch künftig als zentrale Stelle Kompetenzen und Verantwortung für die IT-Sicherheit bündeln, forderte Schönbohm. Dabei ziele man aber auf einen kooperativen Ansatz unter Beteiligung aller Stakeholder.

Ansatz. So werde derzeit ein ITSicherheitsgütesiegel in Form einer Selbstverpflichtung für die Hersteller entwickelt. “Bisher konnten Nutzer keinerlei Informationen über die Sicherheit von Produkten wie vernetzen Waschmaschinen bekommen”, kritisierte Schönbohm. Mit einem Gütesiegel sollen informierte Kaufentscheidungen besser getroffen werden können.

(BS/gg) Mit Errichtung der Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (ZITiS) mit Sitz in München wurde zum 6. April 2017 ein neuer zentraler Dienstleister im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums geschaffen. Dessen Aufgaben erläuterte ZITiS-Präsident Wilfried Karl. ZITiS als Bestandteil der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland – solle als Forschungs- und Entwicklungsstelle gewährleisten, dass das Bundeskriminalamt, Verfassungsschutz und Bundespolizei angesichts der großen Herausforderungen mit Cyber-Bezug auch zukünftig in der Lage seien, ihren Auftrag zu erfüllen. Hierzu würden in der Behörde, die selbst über keine operativen Befugnisse verfüge, Expertise und Kompetenzen gebündelt, um entsprechende Synergieeffekte nutzen zu können, erklärte Karl. Sein Haus soll in den nächsten fünf Jahren von derzeit 120 (bewilligten) Stellen auf 400 Mitarbeiter ausgebaut werden. Die vorläufigen Räumlichkeiten bis zur Fertigstellung wird ZITiS, nachdem Mitte September die offizielle Eröffnung erfolgte, nun im Oktober beziehen, bis der Neubau auf dem Uni-Campus fertig sein wird. Zu Beginn werde sich ZITiS insbesondere auf drei Geschäftsfelder konzentrieren, so Karl. Dies seien die digitale Forensik, die Telekommunikationsüberwachung sowie Krypto- und Big-Data-Analysen. “Unsere Arbeit darf kein Selbstzweck sein, sondern muss eng an den Bedürfnissen unserer Kunden ausgerichtet sein”, machte Karl

ZITiS-Präsident Wilfried Karl wird die neue Behörde in den kommenden fünf Jahren aufbauen.

deutlich. Um dies zu gewährleisten, könnten diese im Beirat Einfluss auf die Arbeit von ZITiS nehmen. Wichtig ist dem ZITiS-Präsidenten insbesondere die Funktion seines Hauses als “Impulsgeber”, der zudem neue Trends frühzeitig erkenne, um nicht von Entwicklungen überrascht zu werden. Hierbei unterstrich Karl die Bedeutung von Forschung und Vernetzung mit weiteren Akteuren wie etwa der Bundeswehr oder dem wissenschaftlichen Bereich im IT-Sicherheits-Cluster in München und darüber hinaus.


PITS 2017

Seite 40

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Gemeinsam umsetzen

Zentrale oder dezentrale IT-Strukturen?

Die Cyber-Sicherheitsstrategie Deutschlands

Die Fort- und Weiterbildung nicht vergessen

(BS/gg) Wie kann es gelingen, die Schere zwischen den Cyber-Bedrohungen und der Cyber-Sicherheitsar- (BS/ein) “Wir haben die Hälfte aller IT-Arbeitsplätze über Dataport konsolidiert”, erklärte Thomas Rehbohm, chitektur zu schließen? Diese grundsätzliche Frage warf Dr. Gundbert Scherf, Partner beim Beratungsunter- Zentrales IT-Management und E-Government bei der Senatorin für Finanzen in der Hansestadt Bremen. An nehmen McKinsey, eingangs einer Diskussion über die Cyber-Sicherheitsstrategie Deutschlands auf. Die vielen Stellen steht einer weiteren Bündelung allerdings immer noch die Ressorthoheit entgegen. anschließende Debatte zeigte, dass es auf diese Frage keine einfache Antwort gibt. Scherf räumte zwar ein, dass man etwa mit dem IT-Sicherheitsgesetz, der neuen Cybersicherheitsstrategie und der Aufstellung des Kommandos Cyber- und Informationsraum (CIR) bei der Bundeswehr die operativen Fähigkeiten gestärkt habe, doch seien noch zahlreiche Herausforderungen zu bewältigen, wie sie sich etwa im Zuge der Industrie 4.0 stellten. Auch mit Blick auf die Kommunen und die mittelständischen Unternehmen sieht Scherf noch deutlichen Verbesserungsbedarf. Doch auch mit Blick auf jede einzelne Organisation gelte es, einen Grundsatz zu beherzigen: “Cyber muss Chefsache werden!” “Wir müssen nun an die Umsetzung der Cyber-Sicherheitsstrategie gehen”, knüpfte Andreas Könen, Leiter der Stabsstelle “ITund Cybersicherheit, sichere Informationstechnik” im Bundesinnenministerium, an Scherfs einleitende Worte an. Fragestellungen in diesem Zusammenhang seien: Wie gut schützen wir die Infrastruktur? Wie gut analysieren wir? Wie gut reagieren wir?. Eine besondere Anstrengung sei auch auf dem Feld der Prävention notwendig, wo es Mindest- und Produktstandards sowie zertifizierte Produkte und Dienste geben müsse. Hierbei verwies er auch auf das geplante Gütesiegel. Reaktionsfähigkeiten müssten weiter gestärkt werden. Hierzu sei auch eine bessere Kommunikation der Unternehmen im Krisenfall nötig. Kritik an der Cyber-Sicherheitsstrategie kam von Dr. Katharina Ziolkowski, Regierungsdirektorin im Bundesverteidigungsverteidigungsministerium, die ih-

Andreas Könen will die Prävention, aber auch die Reaktionsfähigkeit bei einem erfolgreichen Cyber-Angriff weiter stärken. Foto: BS/Dombrowsky

ren Auftritt bei der PITS jedoch nutzte, um sich als Kandidatin der FDP für die Bundestagswahl zu profilieren. Problematisch sei, dass alle Ressorts ihre Kompetenzen behalten würden. Die FDP würde daher bei Regierungsbeteiligung ein Digitalministerium errichten, welches die Koordination übernehmen solle. Die jeweilige Zuständigkeit solle sich nach der Intensität bzw. dem Ziel des Angriffs richten. Zudem fehle ihr bei der Cyber-Sicherheitsstrategie der gesamtstaatliche Ansatz, insbesondere Kommunen würde zu wenig berücksichtigt. “Die Lage ist nicht so schlecht wie dargestellt”, entgegnete hierauf Dr. Andreas Mück, ITSicherheitsbeauftragter (CISO) des Freistaats Bayern. Alle Länder hätten in der Zwischenzeit Computer Emergency Response Teams (CERTs) errichtet, welche auch über den VerwaltungsCERT-Verbund untereinander und mit dem CERT-Bund vernetzt seien. Die vom IT-Planungsrat verabschiedete IT-Sicherheits-Leitlinie sei ebenfalls nahezu komplett umgesetzt. Zu-

dem werde das neue Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) in Bayern gerade auch den Kommunen zugute kommen und dadurch einen wesentlichen Beitrag zum Schutz der Daten der Bürger leisten. “DIE Strategie kann es überhaupt nicht geben”, erklärte Jochen Koehler, Regional Director DACH Cyber Ark. Es gebe ja nicht DIE Frisur. Das Risikomanagement sei immer abhängig von der konkreten Situation. Klar sei, dass jeder eine Strategie brauche, diese dürfe aber nicht nur auf dem Papier stehen. Zudem sei es auch mit einer Strategie immer wichtig, offen für neue Technologien zu sein und “rechts und links zu schauen”. Für Jan Lindner, Geschäftsführer bei Panda Security fehlt ein strategischer Ansatz auf europäischer Ebene. Hier forderte er mehr internationale Zusammenarbeit und insgesamt eine bessere Vernetzung aller Akteure untereinander. “In der Praxis ist es für uns als Anbieter schwierig, mit den Behörden ins Gespräch zu kommen”, so Lindner.

“Es gibt immer noch Dienststellen, die IT im Selbstbetrieb durchführen”, so Rehbohm. “Hier muss der Knoten von oben nach unten durchgeschlagen werden, um die Sicherheit zu erhöhen.” Für wichtig hält der IT-Manager dabei auch die Ausund Fortbildung der Mitarbeiter. Das Land Bremen sensibilisiere seine Auszubildenden mittlerweile von Beginn an und qualifiziere das künftige Personal für einen sicheren Umgang rund um die vernetzte IT. Von 134 auf zwei DesktopRechner-Modelle, von 250 auf vier Notebooks und von 480 auf eine einzige Bildschirm-Variante – so sieht die Konsolidierung der Hardware in der niedersächsischen Landesverwaltung aus. Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, sollen bald auch 14.000 Rechner der Landespolizei in diese Bündelung mit einbezogen werden. Stephan Manke, selbst CIO und Staatssekretär im Niedersächsischen Innenministerium, betonte die Verantwortung der Staatssekretäre für ihre Ressorts in puncto IT-Sicherheit. Sollte etwas passieren, ohne dass entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden, müsse dafür jemand geradestehen. In der Vergangenheit hat Manke seine Kollegen für ihre Verantwortung sensibilisiert. “In NRW ist aktuell alles im Fluss”, sagte Dr. Timo Wandhöfer, CISO im Ministerium des Innern des Landes NordrheinWestfalen. Die Landtagswahl liegt erst ein halbes Jahr zurück. Seit letztem Jahr hat sich das Land zudem ein eigenes EGovernment-Gesetz gegeben, was zuvor mit allen Ressorts abgestimmt werden musste. “Ein richtiger Schritt auch für die ITSicherheit”, so Wandhöfer. Die

Auf dem Podium (v.l.n.r.): Prof. Udo H. Kalinna, Dr. Timo Wandhöfer, KarlHeinz Lander, Saarländisches Ministerium für Finanzen und Europa (Moderator); Thomas Rehbohm, Felix Struve, Stephan Manke Foto: BS/Dombrowsky

Zeichen stünden in den oberen Landesbehörden grundsätzlich auf “zentral”. Gleichwohl blickt der CISO mit einem anderen Auge auf die unterschiedlichen Einheiten und Aufträge von Polizei, Verfassungsschutz und Krisenstäben im Innenressort: “Hier muss das Wissen und damit die Handlungsfähigkeit im jeweiligen Haus bleiben.” Aus Sicht Felix Struves vom Bayerischen IT-Sicherheitscluster e. V. müssen Zentralisierungsbestrebungen immer im Einzelfall betrachtet werden. “Eine starke Konzentration braucht dann auch großes Vertrauen in den Dienstleister.” Struve vergleicht eine starke Zentralisierung mit landwirtschaftlichen Monokulturen, in denen sich Schädlinge und Probleme – wenn einmal vorhanden – schnell über viele Felder ausbreiten und hohe Kosten im Nachgang verursachen könnten. Es müssten etwa Backdoors im Auge behalten werden. Insgesamt erachtet der IT-Experte Bündelungsbestrebungen bei zertifizierter Hardware positiver als bei Programmen: “Bei Software sollte man vielleicht ein bisschen mehr streuen.”

IT-Sicherheit im KMU-Bereich sei im Grunde nicht existent, sagte Udo H. Kalinna, Geschäftsführer bei Ifasec und Verwaltungsprofessor für Informatik und IT-Sicherheit an der Hochschule Emden/Leer. “Das ist in Deutschland eine Katastrophe!” Viele kleinere und mittlere Unternehmen würden Beratungen nur dann annehmen, wenn die öffentliche Hand dies in hohem Maße fördere. Backdoors seien aber ohnehin nicht zu verhindern, erklärte Kalinna. Denn die IT-Sicherheit werde größtenteils von amerikanischen und israelischen Unternehmen dominiert, ein umso größerer Schwachpunkt, wenn vieles zentral gesteuert sei. Aus Sicht des Sicherheitsexperten sind enorme Anstrengungen bei der Fort- und Weiterbildung notwendig: “Die Halbwertzeit des Wissens in der IT-Sicherheit ist die kürzeste in der ganzen Industrie.” Zudem mangele es an Fachkräften. “Für gewisse komplexe Fragen braucht es einfach High Potentials.” Allerdings würden sich heute viele Absolventen eher in die betriebswirtschaftliche Richtung als in die IT-Sicherheit begeben.

Nicht mit Petitesse

IT-Sicherheit aus einer Hand

Je mehr, desto besser

Klare Sprache und niederschwellige Angeboten

Die Schweiz bündelt Aufgaben in einer Behörde

Belgien setzt auf breite IT-Sicherheitskooperation

(BS/ein) “Infrastruktur ist mein ursprünglicher Zugang zum Thema Digitalisierung.” Seit dem neuen Ressort-Zuschnitt ist Christian Pegel nicht nur zuständig für den Breitbandausbau im ländlichen MecklenburgVorpommern, sondern auch für E-Government und die IT-Konsolidierung der 30.000 Landesbeamten und 900 Kommunen im Land.

(BS/stb) Die zentrale Steuerung der Maßnahmen zur IKT-Sicherheit der öffentlichen Verwaltung erfolgt in der Schweiz seit 2011 durch das Informatiksteuerungsorgan des Bundes (ISB), einer dem Finanzdepartement nachgeordneten Behörde. Zu den Aufgaben gehört auch die Ausarbeitung und Umsetzung von Vorgaben für alle Standarddienste der Bundesverwaltung.

(BS/gg) Auch in Belgien genießt das Thema IT-Sicherheit höchste Priorität. Dies wird in unserem Nachbarland schon allein dadurch deutlich, dass das “Center for Cyber Security Belgium” (CCB) organisatorisch unmittelbar beim Premierminister angedockt ist. Über die Aktivitäten in Belgien berichtete Valéry Vander Geeten, Security und Legal Officer im CCB.

“Sicherheit gehört zum Geschäft und darf nicht outgesourct werden.” Das sagte Peter Fischer, der Delegierte für die Informatiksteuerung des Bundes in der Schweiz und Leiter des ISB. Das gelte insbesondere auch für die öffentliche Verwaltung. In der Schweiz gebe es entsprechend einen IT-Sicherheitsbeauftragten des Bundes sowie weitere für jede Organisationseinheit. Abgesehen von der klaren Zuordnung der Steuerungsaufgaben zum Finanzressort, gebe es jedoch viele Parallelen zwischen den deutschen und schweizerischen Bemühungen zur Cyber-Sicherheit, wie Fischer aufzeigte. So sei beispielsweise der IKT-Grundschutz – eine Vorgehensweise zur Gewährleistung von Mindestvorgaben an die IT-Sicherheit – am deutschen IT-Grundschutz orientiert, den das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) herausgibt. Auch das für die Cyber-Sicherheitsarchitektur maßgebliche Strategiepapier “Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland” hat seine eidgenössische Entsprechung: die “Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken” (NCS). Die Bundesregierung hat die deutsche Cyber-Sicherheits-

Die grundsätzlichen Aufgaben des CCB entsprechen in etwa dem, was hierzulande durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geleistet wird. Das CCB unterscheidet dabei strategisch nach “@home” und “@work”, also zwischen Bürgern und Unternehmen. Mit Blick auf die Bürger geht es insbesondere um AwarenessKampagnen, die Bekämpfung von Botnetzen und die Zurverfügungstellung von IT-Sicherheitsrelevanten Informationen. Für Unternehmen liefert das CCB rechtliche Rahmenbedingungen, Handreichungen zu verschiedenen Themen und Informationen über vertrauenswürdige Technologien, geht aber auch gezielt Partnerschaften mit diesen ein. Eine solche Partnerschaft ist die “Cyber Security Coalition”, der nicht nur Unternehmen, sondern auch zahlreiche Behörden, Verbände und Universitäten angehören. Vander Geeten ging in seinem Vortrag auch auf das Thema “ethical hacking” ein, welches in Belgien unter gewissen Voraussetzungen legal sei, nämlich dann, wenn der Angreifer beim Eindringen in das fremde System keine bösartigen Absichten habe.

Neben Energie, Verkehr, Landesentwicklung und Bau hat der Minister eine kompakte Digitalisierungsabteilung aufgebaut, in der heute frühere Mitarbeiter aus den Ressorts Innen, Wirtschaft, Finanzen und Energie zusammenarbeiten. Der neue Zuschnitt erfolgte bewusst. Schon jetzt sei ein ganzes Stück Konkurrenz weggefallen: Während die Kollegen früher oftmals damit befasst waren, die Vorschläge der jeweils anderen Seite zu kritisieren, müssten sie heute von Beginn an gemeinsam an Vorlagen arbeiten. “Wir merken hier gerade, dass wir Synergien schaffen.” Das ist laut Pegel absolut notwendig. Digitalisierung und IT-Sicherheit funktionieren nicht mit “Petitessen”, stattdessen ist die Hausleitung gefragt. Demnach braucht es den klaren Willen, Maßgaben und Neuerungen schnell und effektiv umzusetzen. Pegel erläuterte, dass gerade bei der Weiterentwicklung des E-Governments nicht nur alle Ressorts, sondern auch Personalräte und Kommunen mitgenommen werden müssten. Datensicherheit sei die zentrale Frage, die gerade in Zeiten mobiler Endgeräte dazu zwinge, schnell zu reagieren, hochgradig zu zentralisieren und Mindestschutzstandards für Landes-

Christian Pegel ist Minister für Energie, Infrastruktur und Digitalisierung in Mecklenburg-Vorpommern. Foto: BS/Dombrowsky

und kommunale Einrichtungen einzuführen. Um Bürgermeister, Referatsleiter und Direktoren mitzunehmen, plädiert der Minister dafür, die Bedrohungslage so anschaulich wie möglich darzustellen und niederschwellige Angebote für Mitarbeiter und Entscheidungsträger zu machen. Es brauche eine Menge kleinerer Veränderungen und Achtsamkeiten, eine klare und knappe Sprache. Das gelte auch mit Blick auf die Minister. Er selbst gehe seither mit einer gehörigen Portion Demut an die Digitalisierung heran und nehme wöchentlich “einen ganzen Sack neuer Vokabeln mit nach Hause”.

Peter Fischer koordiniert als Leiter des Informatiksteuerungsorgans des Bundes die Umsetzung der Nationalen Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken. Foto: BS/Dombrowsky

strategie 2016 fortgeschrieben und arbeitet fortlaufend an der Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Auch die Nationale Strategie der Schweiz soll zu einer NCS 2.0 überarbeitet werden. Vorgesehen seien, so Fischer, unter anderem die Prüfung von bestehenden Mindeststandards, Einführung von Meldepflichten sowie die verstärkte Einbindung von ITSicherheitsforschung. “Wir streben außerdem die Nutzung von strategischer Expertise der Armee für die Cyber-Abwehr an”, sagte Fischer.

“Cyber Security ist ein so großes Thema, dass jegliche Unterstützung genutzt werden sollte”, unterstrich Valéry Vander Geeten die Bedeutung von vielfältiger Zusammenarbeit. Foto: BS/Dombrowski

In Belgien verfolgt man zudem – auf freiwilliger Basis – eine “coordinated vulnerability disclosure policy” (CVDP). Hierbei geht es darum, bei der Feststellung einer Schwachstelle koordiniert und kooperativ (Entdecker/Koordinator/Hersteller) vorzugehen, um durch eine gesteuerte Offenlegung der Informationen zu der Schwachstelle das Risiko für Dritte zu minimieren. Zahlreiche öffentliche und private Unternehmen haben sich dieser CVDP bereits angeschlossen.


PITS 2017

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 41

Transparenz schaffen

Faktor Mensch im Mittelpunkt

Sicherheit als Booster der Digitalisierung

Informationssicherheit: BSI in Bund-Länder-Anstalt umwandeln

(BS/wim) Nur mit Transparenz und staatlich zertifizierten Zugriffskontrollen kann die Zukunft in der digitalen Welt sicher gelingen. Denn eine schlechte Steuerung von Zugriffsrechten im Cyber-Raum stellt für Dr. Hans-Joachim Popp, CIO des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), eine der Hauptgefahren in der Cyber-Abwehr dar.

(BS/jf) Die Herausforderungen in Sachen IT-Sicherheit sind allerorts gleich. Die Lösungsansätze weitestgehend auch, wie sich beim CIO-/CISOTalk auf der PITS herauskristallisierte. Allerdings sind die Bundesländer unterschiedlich weit. Trotzdem müssen alle darauf achten, sich nicht gegenseitig zu kannibalisieren, so die einstimmige Meinung. Entscheidend ist der Mensch. Und das aus mehreren Betrachtungswinkeln.

Um möglichst viele Informationen vor potenziellen Angreifern zu schützen, eignet sich laut Popp dabei am besten das “LeastPrivilege-Prinzip”. Hierbei wird dem Benutzer immer nur genau die Freigabe im System erteilt, die er aktuell benötigt. Für zusätzliche Sicherheit können auch hierarchische Zugriffssysteme mit Verschlüsselung und gegebenenfalls geteilten Schlüsseln eingerichtet werden. Transparenz soll dabei erzeugt werden wie im analogen Leben: “Grundsätzlich gilt: Vertrauen gibt es nur bei zuverlässig stabilen Datenflüssen.” Daher soll die Überprüfbarkeit der Datenströme durch eine Zertifizierung geschaffen werden, die an den Vertrauensanspruch der Benutzer angepasst ist. Werden diese Zertifizierungen von Seitenbetreibern nicht eingehalten, sollten harte Sanktionen greifen, wie beispielsweise ein stufenweiser

Ausschluss vom Geschäftsverkehr. Eben wie im analogen Leben, wo Geschäftsbeziehungen ebenfalls normalerweise beendet werden, wenn das Vertrauen beschädigt ist. Ein solches Vertrauen soll zusätzlich durch eindeutig zuzuordnende Kennzeichnungen für digitale Waren, vergleichbar mit Fahrgestellnummern oder Kennzahlen bei Eiern, gestärkt werden. In Zukunft sollen statt offener Datenbanken, in denen teils hochsensible Daten offen im Netz abrufbar sind, sichere Datenspeicher mit gezielter Zugriffsrechtevergabe für vorher definierte Zwecke entstehen. Zusätzlich soll die Universalität von Hardware gebrochen werden, da vieles manipuliert werden kann. Für Popp bilden daher Hardwarebestandteile mit fester Software die Zukunft sicherer IT-Kommunikation.

Für Dr. Hans-Joachim Popp, CIO im DLR, muss der Cyber-Raum erst komplett befriedet werden, bevor er sein volles Potenzial entfalten kann. Fotos: BS/Dombrowsky

D

arin waren sich mehrere Referenten der diesjährigen PITS einig. So unterstrich zum Beispiel der stellvertretende Inspekteur des Kommandos Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr (Kommando CIR), Generalmajor Michael Vetter, dass seine Organisation nicht nur die Netze der Streitkräfte absichere, sondern auch einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheit leiste. Außerdem erläuterte der Chef des Kommandostabes, dass Kräfte des CIR dem Nationalen CyberAbwehrzentrum angehörten. Dieses solle nach der Bundestagwahl ausgebaut werden. Die konkreten, künftigen Strukturen seien aber noch in der Diskussion.

Den großen Rahmen zeigte Prof. Dr. Reinhard Posch, CIO der Bundesregierung Österreichs, anhand der Alpenrepublik auf: “Seit 2002 gibt es ein Big Picture “Öffentliche IT und ITSicherheit.” Eine Strategie, die aus mehreren Modulen besteht. Letztere seien in den vergangenen Jahren erneuert oder angepasst worden, “das Big Picture ist aber gleich geblieben”. Dennoch benötige Österreich eine bessere Infrastruktur. Möglichkeiten, dies zu erreichen, bestünden über die Anforderung der EIDAS. Beim Faktor Mensch nahm Posch vor allem den Nutzer in den Blick. Dieser müsse informiert werden, wenn er etwa Verschlüsselungen von Routern oder im WLAN umsetzen soll und sich so für Angriffe öffne.

Leitlinien und Richtlinien Auch Ina Frässdorf, IT-Sicherheitsbeauftragte des Landtages Schleswig-Holstein, nahm den Nutzer ins Visier – nämlich die Abgeordneten im Landtag. Allgemein sei der Mensch ungemein kreativ, sich die Welt zu vereinfachen, indem er die IT-Sicherheit umgehe. Für die Landtagsverwaltung gelten Leitlinien, deren Einhaltung regelmäßig durch einen IT-Sicherheitscheck überprüft werde (Ergebnis: 86 Prozent sind umgesetzt). Beides müsse auch den Abgeordneten vermittelt werden. Überhaupt würden Leitlinien und Richtlinien zum Teil deshalb erarbeitet, damit die Beamten eine Rechtsgrundlage für das Verwaltungshandeln hätten, erläutert Frank Moses, CISO und Leiter der Stabsstelle Informationstechnik und IT-Sicher-

Der CIO-/CISO-Talk auf der PITS: (v.l.n.r.) Markus Wiegand, Thomas Rehbohm, Dr. Frank Laicher, Prof. Dr. Reinhard Posch, Moderator Guido Gehrt (Behörden Spiegel), Ina Frässdorf, Frank Moses, Dr. Andreas Mück

heitsmanagement im Saarland. Dies gelte auch im kleinsten Flächenland der Bundesrepublik. Deren grundlegende Prämisse sei eindeutig an der Definition der Wirtschaftsinformatik ausgerichtet: “den Menschen durch Technik zu unterstützen”. Und nicht anhand der Definition der Informatiker: “Wir machen es, weil wir es können”, so Moser.

Frage der Strukturen Nordrhein-Westfalen will deshalb klare Strukturen in einem IT-Sicherheitsgesetz definieren. Zwar liege schon ein Referenzenentwurf vor, sagte Dr. Frank Laicher, Beauftragter der Landesregierung NRW für Informationstechnik. Aktuell stehe die Landesverwaltung vor einem großen Umbruch: Nach 30 Jahren werde die Digitalisierung einem Ressort zentralisiert. Insgesamt sieben Abteilungen wechselten ins neue Wirtschaftsministerium. “Wir haben das Personal und die Ressourcen bekommen und zeigen

Zahlreiche Akteure im Cyber-Raum gefordert Abwehr digitaler Gefahren ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe (BS/Marco Feldmann) Die Bundeswehr allein kann im Netz nicht für einen absoluten Schutz sorgen. Sie kann zwar ihren Beitrag leisten, muss aber auch mit anderen Behörden kooperieren. Denn: Cyber-Sicherheit und -Resilienz verlangt Anstrengungen aller Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS).

Vielfältiger Aufgabenbereich für CIR-Kräfte Für den militärischen Organisationsbereich, dessen stellvertretender Leiter er ist, betonte Vetter aber angesichts täglicher IT-Angriffe auf die Bundeswehr jedenfalls schon einmal: “Wir verteidigen Deutschland im Cyber- und Informationsraum. Dort klären wir auf und wirken auch in diesen Raum ein.” Des Weiteren unterstrich der Generalmajor: “Wir wollen Risiken begegnen und vor allem im Bereich der Frühwarnung aktiv werden.” Ebenso seien die derzeit rund 13.500 Soldaten und zivilen Mitarbeiter des Kommandos für die Bereitstellung von Geoinformationen für die Streitkräfte verantwortlich. Gleiches gelte für die Bekämpfung von “Fake News”, die sich gegen die Bundeswehr richteten. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben stünde das Kommando, das seit Anfang April dieses Jahres existiert und künftig 15.000

Wirkung”, hob er hervor. Dafür seien zwei Dinge essenziell: Hinsichtlich des Personals ein umfassendes Schulungskonzept. Und zweitens ein zentrales Dokumentationstool, um für die gesamte Landesverwaltung Transparenz zu schaffen. Anders in der Freien Hansestadt Bremen. Dort sind die Strukturen noch nicht abschließend vereinheitlicht. “Wir haben noch sehr viele Organisationen, die die IT betreiben”, berichtet Thomas Rehbohm vom zentralen IT-Management und E-Government bei der Senatorin für Finanzen in der Hansestadt. Außerdem werde zur Umsetzung der Leitlinien in dem Stadtstaat eine zentrale Stabsstelle eingerichtet. Und auch bei der Zentralisierung von Dienstleistungen und Ausschreibung von Rahmenverträgen für Endgeräte und beim Gerätemanagement bestehe noch Nachholbedarf. “Wir stehen vor den gleichen Problemen und sind auch bei

Diskutierten unter anderem über notwendige Kultur- und Strukturveränderungen bei der Bundeswehr: Christoph Waas, Hans-Ulrich Schade, Dr. Sebastian Stern, Magister Walter Unger, R. Uwe Proll (Moderator), Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek und Rainer Arnold (v.l.n.r.).

Beschäftigte umfassen soll, vor mehreren Herausforderungen. Zum einen gestalte es sich nicht immer einfach, eine ausreichende Anzahl an IT-Spezialisten für die Bundeswehr gewinnen zu können. Zum anderen müsse auch die Truppe lernen, mit der Schnelllebigkeit der Informationstechnologie und den damit verbundenen kurzen Innovationszyklen umzugehen, gestand Vetter ein. Deshalb verlangte er: “In der Bundeswehr müssen wir stärker kollaborativ zusammenarbeiten. Außerdem brauchen wir schnellere Prozesse.” Für die Forderung nach einer Beschleunigung der Abläufe erhielt der Generalmajor Zustimmung von Dr. Sebastian Stern, Senior Partner und Leiter des Bereichs

Public Sector bei McKinsey & Company.

Besserung durch neuen Studiengang? Was die Personalrekrutierung anbetrifft, waren wiederum Vetter und Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek von der Bundeswehruniversität München einer Meinung. Auch die Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationssysteme und Netzsicherheit an der Bundeswehrhochschule in der bayerischen Landeshauptstadt konstatierte: “IT-Spezialisten sind Mangelware.” Auf Besserung hofft sie allerdings durch den an ihrer Universität neuen Masterstudiengang Cyber-Sicherheit. Dieser soll 2018 mit elf neuen Professoren und jährlich

121 Studenten starten. Davon sollen 70 Offiziere und 30 zivile Studierende sein. Der Rest solle von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst kommen.

Mehrere Reformen notwendig Im Zuge dieser Neuerung plädierte der Direktor und Leiter des Zentrums für Cyber-Sicherheit der Bundeswehr, HansUlrich Schade, auch für eine veränderte Diskussionskultur sowie angepasste Strukturen in der Truppe. Dafür brauche es jedoch Unterstützung aus dem politischen Raum. Diese erhielt Schade auch vom verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion,

Rainer Arnold. Der Parlamentarier, der allerdings nicht für eine weitere Legislaturperiode kandidiert, machte klar: “Die Digitalisierung wird die Kriegsführung massiv verändern. Deshalb muss es künftig Teilbereiche in der Bundeswehr geben, in denen die bisherigen Hierarchiestrukturen aufgegeben werden.” Zudem müsse es im gesamten Öffentlichen Dienst eine veränderte Besoldungskultur geben. Hinsichtlich dieser Änderungen zeigte sich Stern optimistisch. Er prognostizierte: “Die Kultur der Bundeswehr wird sich verändern.” In Zukunft werde es in den Streitkräften flachere Hierarchien und andere Kommunikationsplattformen als bisher geben. Zugleich betonte der McKinsey-Vertreter im Hinblick auf die Personalgewinnung: “Da muss sich die Bundeswehr nicht verstecken.”

den Lösungsansätzen eng beieinander”, fasst Markus Wiegand, Leiter des Kompetenzzentrums Cybersicherheit und stellv. CISO der hessischen Landesverwaltung, zusammen. Besonders problematisch sei allerorts das Ressortprinzip. Weil jedes Land vor den gleichen Herausforderungen stehe, wären aus seiner Sicht einheitliche Lösungen wünschenswert. Außerdem müsse nicht jeder alles selber organisieren. Stattdessen sollte mehr über Kooperationen nachgedacht werden. Vor allem, weil die Länder sich sonst beim Personal gegenseitig kannibalisieren würden. Dem kann sich Dr. Andreas Mück, IT-Sicherheitsbeauftragter (CISO) des Freistaates Bayern, nur anschließen. Denn die Personalgewinnung sei auch im Bayrischen Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (LSI) das größte Problem. “Wir stellen keine Qualifikationen ein, sondern Menschen”, so Münch. Das würde für die Verwaltung aber nicht gelten. Die Eingruppierung in die Laufbahnen erfolge immer noch zu sehr nach starren Kriterien. Die Laufbahnen müssten noch durchgängiger werden. Wieland votiert in diesem Zusammenhang für das angelsächsische System, wo die Besetzung von Leitungspositionen nicht vom Gehalt abhänge. Mück hält es deshalb auch für sinnvoll, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu einer Bund-Länder-Anstalt auszubauen, “wo alle Länder sich an der Finanzierung beteiligen, dann aber auch Verantwortung tragen.”

den Waffensystemen sei, müsse seine Firma vor einem Ausbau des Kundenstammes zunächst “mandantenfähig” gemacht werden, so Waas. Einblicke in die österreichischen Streitkräfte und die dortigen Dienststellen zur Cyber-Abwehr gab schließlich Magister Walter Unger, Leiter der Abteilung Cyber Defence und IKT-Sicherheit im Wiener Abwehramt. Dabei berichtete er, dass es auch im Bundesheer der Alpenrepublik eine ähnliche Organisationseinheit wie das deutsche Kommando CIR gebe. Dieses umfasse etwa 1.500 Dienstposten. Die dortigen Beschäftigten hätten, da das österreichische Heer stark vom Funktionieren der Informations- und Kommunikationstechnologie abhängig sei, vor allem eine Aufgabe: Sie sollen die Landesverteidigung im Cyber-Raum vorbereiten.

Nicht auf BMVg beschränkt Veränderungen widmete sich auch Christopher Waas, IT-Sicherheitsbeauftragter der BWI GmbH. Er betonte, dass das Unternehmen, das seit 2006 der IT-Provider der Bundeswehr ist und sich inzwischen wieder vollständig im Besitz des Bundes befindet, grundsätzlich auch andere Ressorts als das Bundesverteidigungsministerium (BMVg) versorgen könne. Da das klassische Geschäft der Truppe und damit auch der BWI aber die sogenannte grüne IT in

Der stellvertretende Inspekteur des Kommandos Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr (Kommando CIR), Generalmajor Michael Vetter, verdeutlichte, dass im Bereich der Cyber-Sicherheit alle staatlichen Stellen gefordert seien.


PITS 2017

Seite 42

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Zu viel Nebeneinander

Sichere Mobilität

Gemeinschaftsaufgabe Cyber-Sicherheitsarchitektur

Privates und Dienstliches strikt trennen

(BS/stb) Wie den aktuellen und zukünftigen Bedrohungen im Cyber-Raum auf strategischer Ebene zu begegnen ist, hat die Bundesregierung in ihrer “Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland” von 2016 skizziert. Zwar mag es für eine Bilanz der Umsetzung noch zu früh sein, fest steht aber, dass die Gewährleistung von Sicherheit gerade im Digitalen nur als fortlaufender Prozess richtig verstanden ist. Grund zur Diskussion über die zukünftigen Grundlagen der Cyber-Sicherheit besteht daher permanent.

(BS/ab) Mit der Zunahme mobiler Endgeräte in der behördlichen Arbeitswelt spielt auch hier die Sicherheit eine immer größere Rolle. Ein virtueller Container könne auf jedem Smartphone oder Tablet installiert werden, sodass kein Hacker auf die dienstlichen Daten zugreifen könne, erklärte Günter Junk, CEO der Virtual Solution AG, der den Teilnehmern die BSIgeprüfte Lösung SecurePim vorstellte – IT-Sicherheit Made in Germany.

In diesem Sinne wurde die Abschlussdiskussion zum Ende des ersten Kongresstages der PITS geführt. Dabei wurde auch ein besonders wunder Punkt im Zusammenhang mit der IT-Sicherheit in der öffentlichen Verwaltung und bei den Sicherheitsbehörden deutlich: die Schwierigkeit, qualifiziertes Personal zu bekommen und zu halten. “Wir sind in weiten Teilen schlicht nicht marktfähig”, brachte es Guido Müller auf den Punkt. Der Vizepräsident für Zentrale Aufgaben und Modernisierung beim Bundesnachrichtendienst räumte ein, dass den Gehältern, die für Spitzenkräfte in der freien Wirtschaft gezahlt würden, wenig entgegenzubringen sei. Allerdings habe man gerade bei den Sicherheitsbehörden als IT-Experte die Chance, besonders interessante und wichtige Aufgaben zu erfüllen.

Kooperation gefordert Die Podiumsteilnehmer forderten geschlossen mehr und effektivere Zusammenarbeit, um den steigenden Herausforderungen begegnen zu können. “Ich befürchte, wir haben immer noch zu viele Köche und können nur hoffen, dass sie den Brei nicht verderben”, kritisierte Jörg Wollny, Abteilungsleiter Zentrale Querschnitts- und Modernisierungsaufgaben, E-Government im Brandenburgischen Ministerium des Innern und für Kommunales. “Alle arbeiten ernsthaft und intensiv, aber es gibt noch zu viel Nebeneinander.” Als guten Ansatz nannte Wollny den IT-Planungsrat, der für die Entwicklung von IT-Standards zuständig ist. Auch das Bundesamt für Sicherheit in der In-

Diskutierten über die Grundvoraussetzungen einer nachhaltigen Architektur der Cyber-Sicherheit in Deutschland (.v.l.n.r.): Jörg Wollny, Guido Müller, Frank Moses (Moderation), Dr. Erwin Wagner, Dr. Burkhard Even. Foto: BS/Dombrowsky

formationstechnik (BSI) leiste hier gute Arbeit, wie Dr. Erwin Wagner hinzufügte. Der Abteilungsleiter “IT und E-Government in der Staatsverwaltung” im Sächsischen Staatsministerium des Innern forderte aber noch deutlich engere Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie Wirtschaft und Wissenschaft. “Die Kommunen sollten mit in die Cyber-Sicherheitsstrategie eingefügt werden”, schlug Wagner vor. Außerdem sei eine Ausdehnung der Einsatzmöglichkeiten von Eingreiftruppen des BSI, den MIRTs (Mobile Incident Response Teams), auch auf Länderebene sinnvoll.

Kompetenzen bündeln für die Cyber-Abwehr Als Beispiel für ein Fortschreiten bei kooperativen Ansätzen

nannte Dr. Burkhard Even, Abteilungsleiter Spionageabwehr / Geheim- und Sabotageschutz im Bundesamt für Verfassungsschutz, das Nationale Cyber-Abwehrzentrum. Die bereits 2011 etablierte Kooperationsplattform der auf Bundesebene für die Cyber-Sicherheit zuständigen Behörden war zu Beginn viel Kritik ausgesetzt, unter anderem aufgrund der schwachen personellen Besetzung. “Es besteht auf jeden Fall die Notwendigkeit, das CyberAbwehrzentrum weiterzuentwickeln”, sagte Even. Neben einem effektiven Informationsaustausch zur Bedrohungslage im Cyber-Raum gehe es vor allem um klare Prozesse zur Koordinationen von Maßnahmen je nach Zuständigkeit. Even begrüßte es, dass im laufenden

Fortentwicklungsprozess nun auch Wege eruiert würden, um die Expertise der Bundeswehr zielführend für die Cyber-Abwehr nutzbar zu machen.

Mit gutem Beispiel voran Soll die Bundesrepublik im Ganzen vor den Bedrohungen im Cyber-Raum geschützt werden, so muss vor allem auch die öffentliche Verwaltung in Bezug auf IT-Sicherheit vorangehen. Neben technischen Aspekten muss im Behördenumfeld auf allen Ebenen noch deutlich stärker sensibilisiert werden. Dabei dürfe auch vor der Führungsebene nicht Halt gemacht werden, wie Jörg Wollny forderte. “Wir werden ein angemessenes IT-Sicherheitsniveau nur erreichen können, wenn es keine Extrawünsche mehr gibt.”

Da auch die Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung ihre mobilen Endgeräte oftmals sowohl zu dienstlichen als auch privaten Zwecken nutzen, verschärft sich das Spannungsfeld zwischen Datenschutz- und IT-Sicherheit. Gelingt es einem Hacker, über die private Nutzung Zugriff auf das Gerät zu erlangen, so kann er schnell auf dienstliche Daten wie Kontakte, E-Mails oder Dokumente zugreifen. Dies gilt ebenfalls für den umgekehrten Fall. Mit der von CEO Junk präsentierten App SecurePim kann dies verhindert werden. Hierbei wird ein virtueller Container erschaffen, der den dienstlichen Bereich von dem Privaten trennt. Vorteile hierbei seien, dass die IT der Behörden nicht auf den privaten Bereich der Mitarbeiter zugreifen könne. Die Privatsphäre werde somit geachtet. Wiederum sei eine Verbindung zum Firmennetzwerk möglich, wodurch das Endgerät weiterhin dienstlich genutzt werden könne. Hierbei werde der Zugriff durch Zwei-Faktor-Authentifi-

Günter Junk, CEO der Virtual Solution AG, widmete sich dem Thema mobiles sicheres Verwaltungsarbeiten. Hierbei stellte er SecurePim als Lösungsmöglichkeit vor. Foto: BS/Dombrowsky

zierung und Kennwörter abgesichert. Die Daten innerhalb des Containers seien durch symmetrische und asymmetrische Kodierungen verschlüsselt. “Mit der Lösung sind wir in der Lage, das Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Datenschutz bei der Nutzung mobiler Endgeräte auszubalancieren”, resümierte Junk. SecurePim wird u. a. gegenwärtig vom ITZBund für iOSBetriebssysteme getestet.

Vertrauen schaffen

Gefahren installierter Software

Adaptive Defense

Digitalisierung braucht sichere IT

Hacker nutzen System des Opfers gegen dieses

IT-Sicherheit und Datenschutz im Blick

(BS/wim) “Die Digitalisierung hat eigentlich noch gar nicht richtig begonnen.” Mit dieser Aussage begann Jan Lindner, Geschäftsführer des IT-Sicherheitsdienstleisters Panda Security, seinen Vortrag. Seine Begründung: Die Sicherheit ist immer noch der größte Schwachpunkt der meisten IT-Systeme, obwohl eine vollumfängliche Digitalisierung ohne vertrauenswürdige Sicherheit nicht möglich ist.

(BS/ab) Hacker nutzen verstärkt vorhandene Werkzeuge für ihre CyberAngriffe. Hiermit setzte sich Thomas Hemker, Security-Stratege bei Symantec, in seinem Vortrag auseinander und zeigte den Teilnehmern ebenso auf, welche Schutzmaßnahmen sie dagegen ergreifen können.

(BS/wim) Wie lassen sich effiziente Sicherheitsdienste für Informationstechnologie mit modernem Datenschutz vereinbaren? Dieser Frage hatte sich Dino Serci, Director Training & Consulting bei Panda Security, angenommen. Seine Antwort: “Adaptive Defense”.

Die meisten Cyber-Angriffe laufen nach einem vorhersehbaren, aber gefährlichen Muster ab. Ein System wird mithilfe von infizierten E-Mail-Anhängen oder internen Schwachstellen infiltriert. Danach nutzen die Hacker die bisher installierte Software auf dem Computer gegen den Nutzer. Ursprüngliche Programme wie PowerShell, welches als Konfigurations- und Verwaltungsprogramm des Systems dient, würden missbraucht, um Zugriffsberechtigungen zu verändern. Schadsoftware braucht es heutzutage nicht mehr, um einen Cyber-Angriff durchzuführen: Das eigene System wird in diesem Fall zum “Feind”, vor dem auch kein Antiviren-Programm schützt. Das Problem bei dieser Art von Cyber-Angriffen ist, dass sie simpel, erfolgreich und schwierig nachzuverfolgen sind. Denn die Spuren können leicht verwischt werden. Hier setzt Hemker mit seinen Lösungsmöglichkeiten für Unternehmen und Behörden an. Zum einen müssten Unternehmen Programme wie PowerShell strenger überwachen. Auch wenn dies viel Aufwand bedeute. Denn beispielsweise Windows funktionie nahezu nur noch damit und ohne es steige die Wahrscheinlichkeit für einen Totalausfall. Zusätzlich sollten, nach der Meinung des IT-Experten, eine Zwei-Faktor-Authen-

Dieser Abwehrmechanismus für IT-Systeme nutzt forensische Technik, um bei jedem Prozess in einem Informationsumfeld zu erkennen, ob er potenziell schädlich ist oder nicht, und das ohne eine aktive Mitarbeiterüberwachung. Bei der Adaptive-DefenseTechnologie werden bei jedem Prozess etwa 2.000 Parameter zu Aktivitäten wie Zugriff und Datenübertragung abgefragt. Dabei wird sichtbar gemacht, welche Prozesse im System wie viele Daten ins Internet senden. IT-Experten im Unternehmen oder Behörden können dann in verschieden tief reichenden, frei wählbaren Stufen ablesen, ob mit dem Prozess alles in Ordnung ist oder ob dieser zur Ausführung schädlicher Aktivitäten innerhalb des Systems genutzt wird. Zur besseren Lokalisierung von potenziellen Attacken oder Störungen kann auch direkt der entsprechende Rechner oder Server im System identifiziert werden, von dem aus die Daten gesendet wurden. Eine zusätzliche Möglichkeit der Kontrolle, die sich ähnlich verhält, ist die Data Access Control. In diesem Sicherheitsmechanismus können 200 Dateiformate aus Prozessen heraus gescannt werden, um zu sehen, welcher Rechner im System wie oft auf welche

Um die Zukunft der Gesellschaft komplett digital zu gestalten, fordert er daher einen Paradigmenwechsel bei Sicherheitslösungen für IT-Systeme, um Infektionsraten zu senken und Akzeptanz zu schaffen. Aufgrund des fehlenden Vertrauens haben viele Anwender und System-Administratoren bei neuen Technologien oft das Gefühl, dass diese noch nicht praktisch einsetzbar sind. “Gütesiegel sind ja gut und schön, aber wer testet die Systeme und garantiert ihre Sicherheit?”, fragte Lindner. Für den PandaChef stellen sich zwei grundlegende Fragen: “Woher soll der Öffentliche Dienst sich das geeignete Personal holen, und wie will er es bezahlen?” Denn dass der Einsatz neuer Technik mehr IT-Personal benötige, stehe außer Frage, doch gegen das starre Tarifsystem im Öffentlichen Dienst habe die freie Wirtschaft oft einfach die besseren Argumente, um talentierte IT-Fachkräfte anzuwerben.

Abschied von Antivirus Mit seiner Firma Panda Security sieht Lindner die Notwendigkeit, sich von den bisher meist verwendeten, signaturbasierten Antivirenschutzsystemen zu verabschieden. Stattdessen benötige man in

Jan Lindner, Geschäftsführer von Panda Security, sieht zuverlässige Sicherheitsmechanismen als Garanten für eine erfolgreiche Digitalisierung. Foto: BS/Dombrowsky

der heutigen Zeit cloudbasierte Malware-Checker, die die hochgefährdeten Kritischen Infrastrukturen der öffentlichen Verwaltung schützen können. Panda selbst hat mit dieser Taktik großen Erfolg, laut Lindner gab es seit 2014 keine Infektion von Kunden des Panda-Schutzes – auch großangelegte Angriffe wie “Wannacry” konnten keine Schäden verursachen.

Thomas Hemker, Security-Stratege bei Symantec, sprach über die Gefahren und Schutzmöglichkeiten bei Cyber-Angriffen. Foto: BS/Dombrowsky

tifizierung und Log-In-Benachrichtigungen eingeführt werden, damit die Sicherheit nicht nur an Passwörter geknüpft wird. Der Security-Stratege stellte in diesem Zusammenhang heraus, dass “verhaltensbasierte Erkennung” immer wichtiger werde. Prozesse laufen nach gewissen Mustern, welche auf ihre Korrektheit hin geprüft werden könnten. Sollte sich in diesen Prozess ein Befehl einschleichen, der beispielsweise Daten abzweige, dann werde dieser entdeckt und könne gemeldet werden.

Für Dino Serci sind IT-Sicherheit und Datenschutz am Arbeitsplatz kein Widerspruch. Foto: BS/Dombrowski

Dateiformate zugegriffen hat. Durch diese Zugriffskontrolle können IT-Administratoren etwa erkennen, ob eine etwaige Spionage in Dokumenten durchgeführt wird. Denn wenn beispielsweise tausende PDFDokumente in kürzester Zeit geöffnet wurden, kann dies ein Hinweis auf externes Abkopieren dieser Dokumente vom Desktop sein. Durch Einsatz solcher Lösungen kann laut Serci ein sicheres Arbeitsumfeld innerhalb der IT-Systeme geschaffen werden, bei dem der Datenschutz aller Mitarbeiter dennoch höchste Priorität hat.


PITS / IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Oktober 2017

IT-Sicherheit einfach managen Leitfäden helfen bei der Umsetzung (BS/stb) Ein Informationssicherheits-Managementsystem (ISMS) soll die IT-Sicherheit in Organisationen steuern, aufrechterhalten und verbessern helfen. Die Umsetzung ist jedoch eine komplexe Aufgabe. StandardVorgehensweisen wie der IT-Grundschutz sollen bei der Feststellung von Bedarfen und der Einführung von Prozessen helfen. Seit seiner Einführung 1994 dient der IT-Grundschutz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) als mustergültige Vorgehensweise zur Gewährleistung eines ausreichenden Sicherheitsniveaus für die IT einer Organisation. Insbesondere in der Bundesverwaltung ist der IT-Grundschutz als Leitlinie zu verstehen. Mit dem derzeit laufenden Modernisierungsprozess soll eine Verschlankung der einzelnen Grundschutzbausteine erfolgen, wie der IT-Sicherheitsbeauftragte der Stadt Kassel, Jens Lange, in einem Fachforum auf der PITS zum Thema ITSicherheitsstrategien berichtete. Außerdem werden neue Vorgehensweisen aufgrund der Entwicklungen der letzten Jahre integriert. Neu sind ebenfalls IT-Grundschutzprofile. “Hierbei handelt es sich um kontextspezifische Schablonen zur Umsetzung von Maßnahmen, zum Beispiel für Krankenhäuser”, erklärte Lange.

“M

alware legt Verwaltung lahm” – an solche Meldungen dürfte man sich gewöhnen, es sei denn, Behörden in Bund, Ländern und Kommunen ergreifen stärker als bisher geeignete Sicherheitsmaßnahmen. Zunächst müssen allerdings die vorhandenen Schwachstellen identifiziert werden. Zwei Punkte sind dabei von besonderer Relevanz. Erstens belegen zahlreiche Untersuchungen, dass vor allem privilegierte Benutzerkonten, wie sie etwa Administratoren besitzen, ein zentrales Einfallstor für Insider- und Cyber-Attacken darstellen. Ein Großteil aller Fälle von Datenmissbrauch und -diebstahl ist darauf zurückzuführen, dass Angreifer nach Überwindung der Firewall einen weitreichenden Administrations-Zugriff auf IT-Systeme erbeuten; gerade die Zugangsdaten von Windows-DomainAdministratoren sind ein beliebtes Ziel. Dadurch können sie im Behördennetzwerk wie Administratoren agieren und auf jede Datei zugreifen und sich selbst beliebige Berechtigungen erstellen. Zweitens muss ge-

Seite 43

MELDUNG

Keine IT-Pannen bei der Bundestagswahl (BS/stb) Im Vorfeld der Wahlen zum 19. Bundestag und am Wahlsonntag am 26. September 2017 selbst habe es auf technischer Seite keine besonderen Vorkommnisse gegeben. Das meldet Vitako, die Bundes-Arbeitsgemeinschaft der Kommunalen IT-Dienstleister. Die in die Durchführung der Stimmzählung und die Ermittlung der Wahlergebnisse für Kommunen

und deren Wahlkreise eingebundenen IT-Dienstleister hätten nur vereinzelt von geringfügigen technischen Störungen berichtet. Im Vorfeld habe es Cyber-Angriffe im Zusammenhang mit der Online-Beantragung von Briefwahlunterlagen gegeben. In Berlin sei es am Wahltag zu Verzögerungen bei der Erfassung und Übermittlung von Daten an das zuständige Amt

für Statistik gekommen. Auch der Betrieb der Software PCWahl habe einwandfrei funktioniert, vermeldet Vitako. Vor den Wahlen war bekannt geworden, dass die weit verbreitete Software deutliche Sicherheitslücken aufweist. Sie wird in vielen Kommunen zur Erfassung und Weitergabe von Stimmen für die Ermittlung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses genutzt.

Trend Micro Security-Tipp

Warum Aufklärung wichtig ist KOLUMNE Udo Schneider, Security Evangelist bei Trend Micro Im Fachforum wurde über IT-Sicherheitsstrategien gesprochen. V.l.n.r.: Jens Lange, Reinhold Harnisch (Moderation), Markus Edel Foto: BS/Dombrowsky

Aus Sicht von Marcus Edel, Leiter Cyber Security bei der VdS Schadensverhütung, ist der ITGrundschutz des BSI in seinem Gesamtumfang zu komplex, als dass er sich für kleine Unternehmen und Behörden anbieten würde. Auf diese Adressaten zielt das Zertifikat VdS 3473. Auf lediglich 28 Seiten werden darin Aspekte der Organisation, des Managements sowie Tech-

nik und Prävention in allgemeingültiger Form dargestellt. Die Vorgehensweise sieht vor, zunächst kritische Ressourcen zu identifizieren und weitere Schritte in Bezug auf diese vorzunehmen. “Das Zertifikat ist kompatibel sowohl mit dem BSI-Grundschutz als auch mit dem IT-Sicherheitsstandard ISO 27001 und dem Bundesdatenschutzgesetz”, betonte Edel.

Der Oktober steht ganz im Zeichen der IT-Sicherheit, stellt er doch den European Cyber Security Month (ESCM) dar. Dieser europaweite Aktionsmonat, der in Deutschland vom BSI koordiniert wird, soll Bürgerinnen und Bürger sowie Organisationen für einen sicheren Umgang im CyberRaum sensibilisieren. Trend Micro beteiligt sich unter anderem mit einer Aufklärungskampagne in den Sozialen Medien und einer Schulung zur

Foto: BS/Trend Micro

Internetsicherheit für Eltern und Kinder. Ich halte das Ziel dieses Aktionsmonats, die Bevölkerung über Risiken und richtiges Ver-

IT-Sicherheit in 30 Tagen “Klein anfangen und kontinuierlich wachsen” (BS/Michael Kleist) “Vernetzte Welt – Vernetzte Sicherheit“ lautete ein Motto der diesjährigen PITS. Damit wurde ein zentraler Punkt der IT aufgegriffen, der aktuell bei Unternehmen und Behörden gleichermaßen Top-Priorität einnehmen sollte: eine hohe Sicherheit in einer immer stärker vernetzten Welt. zipiell um keine triviale Aufgabe, da eine typische IT-Umgebung bei einer öffentlichen Einrichtung Michael Kleist ist aus zahlreichen Regional Director DACH Servern, Dabei CyberArk. tenbanken und Foto: BS/CyberArk Netzwerkgeräten besteht, die über rade im Umfeld von Behörden persönliche, häufig aber auch berücksichtigt werden, dass über generische, manchmal so– vielfach aus Personalmangel gar lokale Administratorkonten – auf externe IT-Dienstleister gesteuert und verwaltet werden. zurückgegriffen wird, die einen privilegierten Zugriff auf IT-Sys- Klein anfangen mit 30-TageFramework teme etwa zu Wartungszwecken erhalten. Damit ergibt sich ein Angesichts der Herausforweiteres, nicht zu unterschät- derungen lautet das erprobte zendes Sicherheitsrisiko. und bewährte SicherheitsDie Verwaltung und Überwa- mantra von CyberArk deshalb chung privilegierter Benutzer- “klein anfangen und kontinukonten sollte somit im Zentrum ierlich wachsen”. Ein Großteil jeder Sicherheitsinitiative ste- der Gefahren kann bereits mit hen. Es handelt sich dabei prin- geringem Aufwand und in kür-

zester Zeit abgewehrt werden. CyberArk nutzt hierbei einen “30-Tage-Sprint”, der bereits bei etlichen Unternehmen und Public-Sector-Kunden im Inund Ausland erfolgreich eingesetzt wurde. Der 30-Tages-Plan für die Verbesserung des Schutzes privilegierter Zugangsdaten und die schnelle Risikoreduzierung basiert auf den Erfahrungswerten aus größeren Sicherheitsvorfällen, der Analyse gängiger Angriffsmuster und Best Practices von CISOs aus Global-1000-Unternehmen. CyberArk empfiehlt in einem ersten Schritt die Implementierung von Sicherungsmaßnahmen für den Schutz privilegierter Zugangsdaten der Windows-Domäne. Drei zentrale Aufgaben charakterisieren diese Implementierungsphase. Erstens sind die Accounts zu identifizieren: Ohne großen Zeitaufwand kön-

nen die Administrator-Accounts in Windows mithilfe des Active Directory und der lokalen Administrator-Gruppen ermittelt werden. Zweitens sollten zunächst vor allem die Accounts mit dem größtem Risiko fokussiert werden, das heißt, es geht um die Verwaltung und Sicherung der Accounts mit den umfangreichsten Rechten, etwa Domain-Administrator-Accounts und Administrator-Accounts mit Zugriffsmöglichkeit auf eine große Anzahl von Systemen. Drittens sollten zunächst nur initiale Kontrollmechanismen implementiert werden, die dann erst im Laufe der Zeit erweitert werden; für den Anfang empfiehlt sich beispielsweise, dass den Accounts für WorkstationNutzer administrative Privilegien entzogen werden. Konkret realisiert CyberArk im Rahmen des 30-Tage-Sprints

halten im Umgang mit IT aufzuklären, für essenziell wichtig. Oftmals wird IT-Sicherheit auf Sicherheitstechnologie reduziert. Doch gerade die Schulung der Nutzer sollte stets an erster Stelle stehen. Und das nicht erst am Arbeitsplatz, sondern auch und gerade im Privaten – von Kindesbeinen an. Denn selbst die beste Sicherheitssoftware kann nicht für vollständige Sicherheit sorgen – dazu bedarf es vor allem umsichtiger Anwender.

etwa folgende Sicherheitsmaßnahmen: • die Neukonfiguration von Accounts zur Umsetzung von Funktionstrennungen, • die Ablage und automatisierte Verwaltung von Administrator-Passwörtern in einem sicheren Speicher, einem so genannten Vault, • die Multifaktor-Authentifizierung für den Zugriff auf Administrator-Passwörter, • die Implementierung von Lösungen zur Detektion verdächtiger privilegierter Aktivitäten in Echtzeit. Erfahrungswerte zeigen, dass die Investitionen in die Sicherheit im öffentlichen Bereich teilweise noch sehr zögerlich erfolgen – häufig auch aus Budgetgründen. Das CyberArk-Framework belegt aber, dass eine deutlich höhere Sicherheit bereits mit verhältnismäßig geringem Kostenaufwand in kürzester Zeit realisierbar ist. Und etliche Behörden sind inzwischen auch diesen Weg gegangen. Weitere Informationen unter: http://lp.cyberark.com/Privile ge-First-for-PAS-in-2018-Public. html


PITS / IT-Sicherheit

Seite 44

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Erklärung unterzeichnet

Abendlicher Vorgeschmack

Sichere mobile Endgeräte

Kooperation für mehr Cyber-Sicherheit

Cyber-Sicherheit in kleinem Kreis

Virtuelle Container als Lösungsmöglichkeit?

(BS/stb) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und das Land Rheinland-Pfalz wollen in Zukunft im Bereich Cyber-Sicherheit kooperieren. Dazu unterzeichneten BSI-Präsident Arne Schönbohm und der IT-Beauftragte und Innenstaatssekretär Randolf Stich eine Absichtserklärung. Es handelt sich dabei um die erste verbindliche Kooperationsvereinbarung zwischen einem Bundesland und dem BSI.

(BS/stb) Zu einer Einstimmung auf das reichhaltige Programm der 9. PITS luden der Behörden Spiegel und der Technologiepartner der Veranstaltung Panda Security. Dazu trafen sich am Vorabend in kleinem Kreis Vertreter aus öffentlicher Verwaltung, Sicherheitsbehörden, Wirtschaft und Wissenschaft im Berliner Hotel Adlon, um erste Impulse zu Fragestellungen der IT-Sicherheit auszutauschen.

(BS/ab) “Die mobilen Endgeräte entwickeln sich zum wichtigsten Kommunikationswerkzeug”, sagte Dr. Michael Zimmer, Leiter des Referats “Informations- und Cybersicherheit / E-Government” im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport. Die Frage, wie mehr Sicherheit bei den mobilen Endgeräten erreicht werden kann, beschäftigte die Forumsteilnehmer auf der PITS 2017.

“Die Kooperation des BSI mit dem Land Rheinland-Pfalz ist Ausdruck unseres gemeinsamen Verständnisses für die Chancen und Herausforderungen einer erfolgreichen Digitalisierung in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft und trägt zu einer Verbesserung der CyberSicherheit in Deutschland insgesamt bei”, sagte BSI-Präsident Schönbohm anlässlich des Treffens mit Innenstaatssekretär Stich in Bonn.

Gegenseitiger Informationsaustausch angestrebt Ziel der Zusammenarbeit soll unter anderem die gegenseitige Information über Cyber-Angriffe im jeweiligen Zuständigkeitsbereich sein, um bessere Lagebilder erstellen zu können und konkrete Handlungsempfehlungen herausgeben zu können. Das BSI soll außerdem

Unterstützung und Beratung zu Sicherheitsmaßnahmen für Landesbehörden leisten. Konkret wird eine Unterstützung bei der Bewertung von IT-Produkten in Aussicht gestellt. Der rheinland-pfälzische Innenstaatssekretär Stich sprach die gute Vernetzung von kriminellen Akteuren im CyberRaum an. “Daher wird man bei der Abwehr von Cyber-Angriffen dauerhaft nur erfolgreich sein können, wenn sich auch Sicherheitsbehörden und öffentliche IT-Infrastrukturbetreiber untereinander vernetzen und so ihre Schlagkraft verbessern”, so Stich. “In diesem Sinn sind wir heute einen wichtigen ersten Schritt gegangen. Ich freue mich, dass wir mit dem BSI einen kompetenten Partner gewonnen haben, der umgekehrt auch von uns profitieren kann.”

Der rheinland-pfälzische Innen-Staatsekretär Randolf Stich (l.) und BSI-Präsident Arne Schönbohm unterzeichneten die Kooperationsvereinbarung bei einem Treffen in Bonn. Foto: BS/BSI

Einschätzungen zur aktuellen Cyber-Sicherheitslage in Deutschland gab Dr. Burkhard Even ab. Der Leiter der Abteilung Spionageabwehr / Geheim- und Sabotageschutz im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) betonte, dass Deutschland ein besonders attraktives Ziel für Cyber-Spionage und -Sabotage sei. Gerade die Sabotage von Kritischen Infrastrukturen durch staatliche Akteure sei eine Gefahr. “Es gibt Staaten, die dazu in der Lage sind. Es handelt sich also um ein reales Risiko”, sagte Even. Cyber-Angriffe durch terroristische Organisationen habe es dagegen bisher nur im “niederschwelligen Bereich” gegeben. Das BfV sei aber darauf eingestellt, dass die Lage sich hier in Zukunft zum Schlechteren verändern könnte, merkte Even an. Über einen derzeit einsetzenden und dringend

nötigen Paradigmenwechsel in der IT-Sicherheit sprach Juan Santamaría, General Manager bei Panda Security. Anders als bei früheren würden moderne Lösungen auf Grundlage von komplexen Analysen und Maschinenlernen Verhaltens-Anomalien erkennen. “Panda hat den Paradigmenwechsel, weg von klassischer Erkennung, hin zum eventbasierten Ansatz, als Vorreiter eingeleitet”, ergänzte Jan Lindner, Geschäftsführer bei Panda Security. Solche neuen Technologien in Organisationen einzuführen, stelle aber oft eine große Herausforderung dar, wie Lindner erklärte. Gerade in Behörden seien wachsende Anforderungen an IT-Personal eine große Hürde. Mit Panda sei eine Einführung ohne personellen Mehraufwand und ohne Schulungen möglich.

Obwohl die Ausgaben für ITSicherheit Milliarden von Dollar betragen, nehmen die Sicherheitsprobleme zu. Harry Zorn, Vice President Sales für die EMEA Region bei Accellion, ging auf die Ursachen ein. “Die Datenmengen sind enorm, man könnte damit einen Turm zum Mond und zurück bauen und sie steigen noch weiter an”, sagte Zorn. “Außerdem sind die Hacker sehr gut getarnt und viele Mitarbeiter halten sich nicht an die Sicherheitsvorgaben, weil Verstöße nicht genug geahndet werden“, begründete er diese Entwicklung.

Virtueller Container als Teil der Lösung? Jürgen Mehl vom ITZBund, Referat für Mobile Dienste und Telekommunikation, verwies auf die internen Tests mit der App

Prächtiges Ambiente im Berliner Hotel Adlon: Beim Parlamentarischen Vorabendempfang zur PITS 2017 wurden Impulse zum Thema IT-Sicherheit zwischen den Gängen gereicht. Foto: BS/Dombrowsky

SecurePIM von Virtual Solution für iOS-Betriebssysteme. Diese schaffe einen virtuellen Container, der die wichtigen dienstlichen Daten wie Kontakte, Kalender und E-Mails von den privaten trenne und abschirme. Die IT des Unternehmens könne dann nicht auf den privaten Bereich zugreifen. Aber es sei eine Verbindung zum dienstlichen Netzwerk möglich, wodurch weitergearbeitet werden könne. Dr. Christoph Erdmann, Geschäftsführer von Secusmart, äußerte sich, dass neben der Software die Hardware eine entscheidende Rolle spiele. Das System werde angreifbar, wenn die Hardware-Komponenten ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr durch Sicherheitsupdates unterstützt würden. Es müsse auf beides geachtet werden, sonst sei eine virtuelle Lösung nicht effektiv.

Smartphones sind die Tore zur digitalen Welt. Surfen, chatten, fotografieren und arbeiten – all dies wird in ihnen vereinigt. Wie kann das eigene digitale Universum geschützt werden? Foto: BS/©sdecoret, Fotolia.de

Cyber-Kriminelle sind heute effizienter als je zuvor von Jan Lindner, Geschäftsführer Panda Security

Unser aktuelles digitales Leben findet in einer immer komplexeren, vernetzten und hyperdynamischen Umgebung statt. Eine entsprechend größere Verwundbarkeit gegenüber Cyber-Bedrohungen ist die Folge. Eine Hackerattacke kann heute ein System innerhalb von Stunden, manchmal sogar nur Minuten, kompromittieren. Die Reaktionen der Betroffenen – also die Entdeckung bzw. die Schadensbehebung – dauern dagegen gewöhnlich Monate oder sogar Jahre. Dies belegt der Verizon Data Breach Investigations Report 2016. Dabei haben es die Angreifer heute vermehrt auf Endpoints abge-

sehen, weil sie von dort aus leicht Informationen herausfiltern, Daten stehlen oder andere Angriffe starten können. Es ist daher an der Zeit, dass IT-Verantwortliche ihre Denkweise ändern. Intelligente Systeme, die mithilfe cloudbasierter Scan-Technologien alle laufenden IT-Prozesse kontinuierlich überwachen, analysieren und klassifizieren, sind heute und in Zukunft alternativlos. Eine gute Endpoint Protection Platform muss in der Lage sein, jederzeit Veränderungen in den Datenmustern zu erkennen. Nur durch kontinuierliches Monitoring ist es möglich, auf neue Bedrohun-

gen unmittelbar zu reagieren. Panda Adaptive Defense 360 ist der erste und bisher einzige gemanagte Cyber SecurityService, der Prävention, Erkennung und Reaktion kombiniert. Er reduziert Zeitaufwand und Ressourcenverbrauch mittels automatisierter Analysen und ermöglicht jederzeit Einblicke in vergangene und aktuelle Endpoint-Aktivitäten. Auf diese Weise werden Cyber-Attacken jeglichen Ursprungs vorhergesehen und automatisch blockiert. Nur so kann heutzutage 100-prozentiger IT-Schutz gewährleistet werden. Ihr Jan Lindner

IT-Grundschutz mit DocSetMinder Modul “IT-Grundschutz” kostenlos (BS/Krzysztof Paschke*) Der GSTool-Nachfolger DocSetMinder der GRC Partner GmbH unterstützt eine optimale Umsetzung des BSI-IT-Grundschutzes der 200-Reihe in der öffentlichen Verwaltung. DocSetMinder setzt mit dem Modul “IT-Grundschutz” konsequent alle Anforderungen und die Methodik des modernisierten IT-Grundschutzes um. Die Modulstruktur und Softwarefunktionen stellen einen Benutzerleitfaden für eine effiziente “Step-by-Step”-Umsetzung des Sicherheitsprozesses gemäß BSI-Standard 200-2 und 200-3 dar. Durch die implementierte Auswahl der Umsetzungsmethoden (Basis-, Kern- und

Standard-Absicherung) eignet sich DocSetMinder für den Einsatz bei Behörden jeder Größe. Die Strukturanalyse, Schutzbedarfsfeststellung und der ITGrundschutz-Check berücksichtigen die um ICS und IoT erweiterten Schichten der neuen ITGS-Methodik. In Kombination mit den Modulen “EU-DS-GVO” und “Notfallmanagement” ist DocSetMinder eine Komplettlösung für die Informationssicherheit und den Datenschutz

einer Behörde. Für die unmittelbaren Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen in Deutschland fallen für das Modul “IT-Grundschutz” keinerlei Lizenzkosten an. Die Lösung bietet somit eine hervorragende Grundlage, um die Behörden sicher und “Ready for Audit” zu machen. *Krzysztof Paschke ist Geschäftsführer der GRC Partner GmbH.


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Hacken, um nicht gehackt zu werden Bei den acht “Hackern” handelt es sich um die Teilnehmer des Cyber Defence Simulation Trainings der Cyber Akademie, darunter Administratoren und Zuständige für die IT-Sicherheit aus verschiedenen Organisationen. Auch Vertreter aus Strafverfolgungsbehörden nehmen teil. Sie alle wollen lernen, wie ein Hacker zu denken und vorzugehen, um besser zu verstehen, wie IT-Systeme vor Angriffen geschützt werden können und wie man Eindringlingen auf die Spur kommen kann. Beibringen

Seite 45

Kenne deinen Feind

K

onzentriert schauen die acht “Hacker” auf ihre Bildschirme. Gleichzeitig beginnen sie, einen Befehl in ihre Kommandozeile zu tippen. “use exploit/ windows/smb/ms08_067_netapi”. Nach einer kurzen Stille erklingt erneutes Tippen: “show options”. Auf acht Bildschirmen erscheint eine Auflistung möglicher Einstellungen. Einer nach dem anderen beginnt wieder zu tippen: “set RHOST 10.0.71.170”. Die Nummernfolge unterscheidet sich marginal bei jedem einzelnen. Wieder wird getippt: “exploit”. Erneut erscheinen einige Zeilen Text. “Und jetzt?”, fragt einer der Acht. “Jetzt habt ihr jeder den Host erfolgreich übernommen”, lautet die Antwort. Der Host ist in diesem Fall ein Rechner mit einem stark veralteten WindowsBetriebssystem – ein ideales Ziel für einen Angriff. Gelungen ist dieser unter Verwendung eines sehr populären und leicht zu nutzenden Exploits, d. h. eines Programmcodes, der eine Sicherheitslücke gezielt ausnutzt. Wie der Exploit funktioniert, weiß in diesem Moment noch keiner der “Hacker” so genau. Aber das ist auch nicht nötig. Das Zielsystem ist kompromittiert.

PITS / IT-Sicherheit

Mit Insider-Wissen zu mehr IT-Sicherheit (BS/Benjamin Stiebel) Die Bedrohungslage im Cyber-Raum stellt Administratoren und IT-Sicherheitsverantwortliche in Unternehmen und Behörden vor enorme Herausforderungen. Eine gute Basis für ein solides Sicherheitsmanagement ergibt sich aus einem Verständnis für die Methoden von Angreifern und die Grenzen von Sicherheitsprodukten. Das entsprechende Insider-Wissen vermittelte das Cyber Defence Simulation Training der Cyber Akademie im September. kann ihnen das Seminarleiter Andreas Falkenberg. Der professionelle Ethical Hacker testet seit Jahren Applikationen und Netzwerke nach expliziter Erlaubnis auf Schwachstellen. In zahlreichen praktischen Übungen lässt er die Teilnehmer typische Hacks ausprobieren. Jeder hat einen Arbeitsplatz, von dem aus er Angriffe auf eine eigene virtuelle Trainingsumgebung durchführen kann. Diese ist einer typischen Netzumgebung in Organisationen nachempfunden: Es gibt Arbeitsplatzrechner mit verschiedenen WindowsBetriebssystemen, einen Administrator-PC und verschiedene Server. Gesichert wird das Netz durch Virenscanner, Firewall, Network- und Agent-based Client-Monitoring sowie eine Lösung für Security Information and Event Management (SIEM). Die Ausführung des WindowsExploits hat dieses Aufgebot nur begrenzt verhindert. “Das Problem ist, das solche Sicherheitsprodukte für den jeweiligen konkreten Kontext in der Organisation konfiguriert werden müssen, um wirklich Mehrwert zu liefern”, kommentiert Seminarleiter Falkenberg. “In vielen Fällen werden aber die Standardeinstellungen nie wirklich geändert. Hinzu kommt, dass selbst sinnvolle Konfigurationen von Sicherheitsprodukten oft durch simple Tricks umgangen werden können.” Dass allerdings ein seit Jahren bekannter und gerne genutzter Exploit nicht unter Standard-

Beim Cyber Defence Simulation Training stehen praktische Übungen in kleinen Gruppen im Mittelpunkt. Die Teilnehmer lernen das Vorgehen von Angreifern kennen und können aus dieser Erfahrung auf Prioritäten für Sicherheitsmaßnahmen in der eigenen Organisation schließen. Foto: BS/Feldmann

einstellungen unterbunden wird, stößt bei Falkenberg auf Unverständnis. Und es kommt noch schlimmer: Hat man erst einmal die Kontrolle über den Zielrechner übernommen, lässt sich der Agent-based Monitor auf dem Windows-Client unbemerkt beenden. “Wir können aber auch mit unserer Malware unbemerkt in den Prozess des lokalen Agent-based Monitors migrieren”, schlägt Falkenberg vor. “Das ist eine triviale, aber gut funktionierende Methode, um hier die Grenzen dieses Sicherheitsprodukts aufzuzeigen.”

Aller Anfang ist leicht Trivial ist ein Wort, das öfter fällt, während die Teilnehmer des Trainings klassische Vorgehensweisen von Hackern nachvollziehen. Das Eindringen in ITNetzwerke ist längst nicht nur erfahrenen und besonders kre-

ativen Köpfen vorbehalten. Im Internet können leicht verständliche Anleitungen und kostenlose Werkzeuge dafür gefunden werden. So gelingt es auch mit begrenzten Informatikkenntnissen, schlecht gesicherte Systeme zu infiltrieren. Das lässt sich z. B. durch Ausnutzung von Sicherheitslücken von Web-Applikationen erreichen. Diese Ebene stellt häufig das schwächste Glied in IT-Systemen dar – zumindest in technischer Hinsicht, denn das wohl häufigste Einfallstor für Cyber-Angriffe ist Phishing. Dabei werden betrügerische EMails als Köder verwendet, um Schadsoftware in IT-Systemen zu platzieren oder Zugangsdaten zu erlangen. Hat ein professionellerer Angreifer einmal den Fuß in der Tür, sucht er nach Möglichkeiten, sich weiter im Netzwerk auszubreiten, um

schließlich zu seinem Ziel zu gelangen, zum Beispiel Zugriff auf bestimmte sensible Daten zu erhalten. Ein Überspringen auf weitere interne Systeme ist über diverse Wege möglich. Mithilfe von Windows-Standardbefehlen können detaillierte Informationen über Nutzerrechte in der Domäne abgerufen werden. Hacker planen so den schnellsten Weg, um Administratorrechte zu erhalten. “Es gibt auch Tools, die einem diese Rechte-Beziehungen grafisch darstellen”, erklärt Falkenberg. “Damit erhält man oftmals ein detaillierteres Bild der Windows-Domäne, als es oftmals der Administrator selbst. Und das, ohne als Angreifer großen Lärm zu machen.” Eine weitere Ausbreitung im Netz erfordert in der Regel Nutzerpasswörter. Auch hier helfen wieder beliebte Tools. Mit einem kann ein Angreifer alle auf einem System hinterlegten gehashten Passphrasen einsammeln. Diese kann er dann z. B. automatisiert gegen riesige Listen von typischen Passwörtern abgleichen lassen.

Vom Angriff zur Verteidigung Konzentriert gehen die acht “Hacker” die nächsten Übungen durch, die Andreas Falkenberg vorbereitet hat, und bekommen dabei ein Gefühl dafür, wo IT-Systeme besonders anfällig sind und welche Möglichkeiten Angreifern offenstehen. Zwischendurch wird immer wieder diskutiert: über den sinnvollen Einsatz von IT-Sicherheitslö-

sungen, über grundlegende Entscheidungen zur Netzwerkarchitektur und organisatorische und personelle Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Sicherheitskonzepten. “Was kann man dagegen tun?”, lautet eine häufige Frage, wenn den acht “Hackern” wieder ein Exploit gelungen ist oder sie sich wieder weitreichendere Zugriffsrechte in ihrer Trainingsumgebung verschaffen konnten. Konkrete Maßgaben sind nur mit genauem Blick auf die jeweiligen Bedingungen vor Ort zu formulieren, es bleiben allerdings diverse grundlegende Aussagen hängen. IT-Sicherheitstechnologien sollten gezielt eingesetzt und immer kontextsensitiv angepasst werden. Typische Methoden von Angreifern sollten gezielt in der eigenen Organisation getestet werden. Eines aber wird allen Teilnehmern des Cyber Defence Simulation Trainings klar. Jedes Netzwerk ist angreifbar und die Erfolgsaussichten von Hackern hängen vor allem davon ab, wie viel Motivation und Zeit sie mitbringen. Mit einem gut durchdachten, mehrstufigen Sicherheitskonzept sollten Angreifern daher so viele Steine wie möglich in den Weg gelegt werden, damit sie an irgendeinem Punkt hängen bleiben, Fehler machen und entdeckt werden können. “Es kann nicht nur darum gehen, die Zugbrücke möglichst hochzuziehen”, betont Falkenberg. “Früher oder später wird immer ein Angreifer die äußere Verteidigungslinie durchbrechen.” Die realistische Grundannahme laute sogar, dass das bereits geschehen ist. Das nächste Cyber Defence Simulation Training wird vom 6. bis 8. März 2018 in Berlin stattfinden. Weitere Informationen unter www.cyber-akademie.de


PITS / IT-Sicherheit

Seite 46

Überwachung mit Lücken

I

m Zusammenhang mit der Nutzung moderner technischer Kommunikationsmittel stehen die für die Sicherheit zuständigen Behörden vor einem Interessenkonflikt. Einerseits ist sichere und vertrauliche Kommunikation ein Grundstein der IT-Sicherheit mit Auswirkungen auf Rechtsgüter wie den Schutz der Privatsphäre und Schutz geistigen Eigentums. Bürger, Unternehmen sowie in besonderem Maße die Regierungsorgane sind darauf angewiesen, dass vertrauliche oder geheime Informationen hinreichend sicher geschützt gespeichert und übertragen werden können. Ein wichtiger Baustein dafür ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die nach heutigem technischen Stand bei fehlerfreier Umsetzung nicht geknackt werden kann. Andererseits nutzen auch Straftäter und Terroristen Kommunikationsdienste mit starker Verschlüsselung. Damit entziehen sie sich gängiger Instrumente zur Überwachung und erschweren die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Um Ermittlungen unter diesen Bedingungen zu ermöglichen, strebt die Bundesregierung eine gesetzliche Gleichstellung bei der Überwachung von klassischer Telekommunikation und SMS mit der Überwachung von verschlüsselten MessengerDiensten wie WhatsApp oder Telegram an. Ein Abfangen von verschlüsselten Kommunikationsinhalten wäre allerdings zwecklos, weil eine Entschlüsselung in der Regel technisch nicht möglich ist. Daher verfolgt man die Strategie, Daten schon vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung auf den Endgeräten abzuschöpfen. Die Geräte müssen dazu heimlich technisch infiltriert – das heißt gehackt – werden.

Befugnisse schon geschaffen Konkret werden den Strafverfolgungsbehörden die QuellenTelekommunikationsüberwa-

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Öffentliche Sicherheit auf Kosten der IT-Sicherheit? (BS/Benjamin Stiebel) Um bei der Terrorabwehr und bei der Verfolgung schwerer Straftaten auch verschlüsselte Kommunikation berücksichtigen zu können, stattet die Bundesregierung die Polizei mit Befugnissen zur Endgeräteüberwachung aus. Dazu sollen auch Sicherheitslücken ausgenutzt werden können. Staatliches Hacking birgt jedoch Risiken für die IT-Sicherheit. chung (Quellen-TKÜ) und die Online-Durchsuchung ermöglicht. Während die QuellenTKÜ sich auf die Überwachung laufender Kommunikation zum Beispiel von Smartphone zu Smartphone über MessengerDienste beschränkt, umfasst die Online-Durchsuchung den Zugriff auf alle auf einem Gerät gespeicherten Informationen. Über entsprechende Befugnisse verfügt das Bundeskriminalamt (BKA) bereits seit 2009. Das BKA darf demnach grundsätzlich sogenannte Staatstrojaner zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus einsetzen. Mit der Novellierung des BKA-Gesetzes mit Wirkung zum 25. Mai 2018 sollen strenge Anforderungen zur Durchführung der Maßnahmen und zum Schutz des Persönlichkeitsrechts umgesetzt werden, die das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Urteil von 2014 festgelegt hatte. Durch die Schaffung neuer Rechtsgrundlagen in der Strafprozessordnung, die im Sommer durch den Bundestag verabschiedet wurden, sollen solche Überwachungsmaßnahmen nun auch zum regelmäßigen Instrument bei der Verfolgung schwerer Straftaten werden. Bei der Umsetzung soll ausdrücklich sichergestellt sein, “dass nur solche Kommunikationsinhalte erfasst werden, die auch auf herkömmlichem Wege ausgeleitet werden können”, wie es in der Begründung des Gesetzes heißt. Überwacht werden bei der Quellen-TKÜ demzufolge dieselben Vorgänge unter denselben strafrechtlichen Voraussetzungen wie bei herkömmlicher

Kein exklusiver Zugang: So wie jeder durch ein Loch in der Mauer schlüpfen kann, können auch für der Strafverfolgung genutzte IT-Sicherheitslücken prinzipiell von kriminellen Hackern oder ausländischen Diensten genutzt werden. Foto: BS/olga meier-sander, pixelio.de

TKÜ, nur mit neuen technischen Mitteln. Auch für die OnlineDurchsuchung bedient sich die Gesetzesbegründung einer Analogie: Die Rechtsgrundlage orientiere sich an bestehenden Regeln zur Wohnraumüberwachung, bei der es sich um einen vergleichbar intensiven Eingriff in den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts handele.

Risiko für die IT-Sicherheit Trotz dieser Hürden sind die neuen Befugnisse großer Kritik ausgesetzt. Mehrere Organisationen haben Verfassungsbeschwerde beim BVerfG angekündigt, darunter TeleTrust – Bundesverband IT-Sicherheit – und die FDP. Argumentiert wird, dass die Überwachungsmöglichkeiten auf Straftaten ausgedehnt würden, bei denen keine konkrete Gefährdung eines überragend wichtigen Rechtsgutes vorliege. Umstritten sind die neuen Überwach-

sungsbefugnisse aber nicht nur aufgrund der weitereichenden Eingriffsmöglichkeiten in die Privatsphäre. Sowohl Quellen-TKÜ als auch Online-Durchsuchung erfordern Eingriffe in die Integrität der Endgeräte, in der Regel ein Hacking unter Ausnutzung (Exploit) von Sicherheitslücken in Software oder Betriebssystemen. Um im zunehmenden Maße effizient verschlüsselte Kommunikation zu überwachen, müssten Behörden also gezielt solche Lücken suchen und vor Nutzern und Herstellern geheim halten, statt sie zu melden. Unter IT-Experten besteht weitgehender Konsens darüber, dass sich ein Zugang für Strafverfolgungsbehörden nicht umsetzen lässt, ohne die Sicherheit von IT-Produkten insgesamt zu schmälern. “Sicherheitslücken sind diskriminierungsfrei”, fasst Rüdiger Weis, Professor an der Beuth Hochschule für Technik Berlin und Experte

für Kryptografie, zusammen. “Das grundsätzliche Problem bei Sicherheitslücken ist, dass sogenannte Exploits von jedem Angreifer ausgenutzt werden können.” Das umfasst auch Cyber-Kriminelle und ausländische Nachrichtendienste. Einen Vorgeschmack darauf, welche Folgen das Vorhalten von Sicherheitslücken haben kann, bot in diesem Jahr der Fall WannaCry. Unter Ausnutzung einer Windows-Sicherheitslücke, die die US-amerikanische National Security Agency (NSA) offenbar jahrelang für eigene Zweck vorgehalten hatte, war Cyber-Kriminellen ein weltweit wirksamer Cyber-Angriff gelungen. “Staatliche Stellen müssen Kriminalität im Netz gezielt und grenzübergreifend verfolgen, statt selbst zu hacken”, fordert Dr. Konstantin von Notz (Grüne). “Lücken in der digitalen Infrastruktur gehen immer zulasten der Sicherheit aller. Daher sind IT-Sicherheitslücken umgehend zu schließen, anstatt sie für eigene Überwachungszwecke offenzuhalten.”

Eine Frage des Vertrauens Das Dilemma der Bundesregierung spitzt sich an dieser Stelle zu. Um effizient bei schweren Straftaten ermitteln und Terrorverdächtige überwachen zu können, muss die Beeinträchtigung der Sicherheit von IT-Produkten in Kauf genommen werden. Damit wird aber riskiert, dass Cyber-Kriminelle und andere Hacker leichteres Spiel haben. Gleichzeitig könnte das Vertrauen von Unternehmen und Bürgern in die digitalen Infrastrukturen und Kommunika-

tionsmittel beeinträchtigt werden. Besonders der Zugriff auf Smartphones mithilfe von vorgehaltenen Sicherheitslücken ist hier problematisch, da diese nicht nur zur direkten Kommunikation, sondern zunehmend auch zur Verwaltung von Konten und digitalen Identitäten, für den Zugriff auf persönliche Daten und für die Authentifizierung für Online-Dienste verwendet werden. Die Position der Bundesregierung ist entsprechend widersprüchlich: Die Digitale Agenda von 2014 sieht vor, Deutschland zum “Verschlüsselungsstandort Nr. 1” zu machen. Die auf die Strafverfolgung ausgeweiteten Befugnisse zur QuellenTKÜ stehen diesem Ziel aber entgegen. “Die Anbieter von Messaging- und anderen Kommunikationsdiensten betreiben einen enormen Aufwand, um ein Höchstmaß an Datensicherheit und Datenschutz für ihre Kunden herzustellen”, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder. “Die Bemühungen der Wirtschaft werden mit der Ausweitung des Einsatzes von Staatstrojanern konterkariert.” Optionen, um das Dilemma aufzulösen, schlägt die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einem Papier zum Thema vor. Zunächst solle klare Evidenz geschaffen werden, in welchem Maße die Nutzung verschlüsselter Kommunikation tatsächlich die Ermittlungsarbeit beeinträchtigt. Vorgeschlagen wird dafür die Einrichtung einer unabhängigen wissenschaftlichen Kommission. Diese könnte dann auch alternative Ermittlungstechnologien und -strategien evaluieren. “Seit 2001 haben Staaten auf technische Überwachungskapazitäten gesetzt, dabei aber immer mehr Personal eingespart. Zu prüfen wäre, inwieweit personalintensive Verfahren sinnvoll und rechtlich angemessen sind”, heißt es im SWP-Papier.

Datenschutz durch Technik

“Es steckt alles in den Kinderschuhen”

Security-Check für Organisationen

Bitcoin, BSI-IT-Grundschutz und fehlender Standard

(BS/Ildikó Bruhns*) Locky, TeslaCrypt, WannaCry – die RansomwareWellen der jüngsten Vergangenheit zeigen deutlich, wie es um den Status quo von Datenschutz und IT-Sicherheit in Organisationen bestellt ist. Die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) will ab 25. Mai 2018 Cyber-Kriminellen durch verstärkte IT-Security-Maßnahmen einen Riegel vorschieben. Zu Recht, denn kaum eine Organisation arbeitet noch analog und der Berg an Datenschätzen wächst täglich höher.

(BS/ab) “Geldtransporte überfallen oder Geldautomaten knacken ist out”, sagte Prof. Dr. Reiner Creutzburg. Stattdessen seien Finanzbörsen oder personenbezogene Daten für Cyber-Kriminelle interessanter und lukrativer. Diese müssten besonders geschützt werden, doch trotz aller Schutzmaßnahmen bleibe die größte Schwachstelle bestehen.

Hinter den neuen Vorgaben verbirgt sich weitaus mehr, als die große Datenschutz-Keule durch Europa zu schwingen. Es ist Zeit zu erkennen, dass die immer komplexer werdende Bedrohungslandschaft einen ganzheitlichen, mehrstufigen Sicherheitslösungsansatz benötigt – von Verschlüsselungs- und Authentifizierungstechnologien bis hin zu Back-up-Konzepten. • Checken Sie Ihren IT- und Schutzbedarf durch Anforderungsanalysen und Sicherheitsaudits. • Schützen Sie Ihre IT-Infrastruktur mit Endpoint-Sicherheitslösungen für stationäre bis mobile Geräte. Der europäische IT-Security-Hersteller ESET bietet dafür modernste Technologien aus einer Hand. • Testen Sie regelmäßig die eingesetzte Software angesichts

möglicher Implementierungsfehler oder geänderter Einstellungen. • Erhöhen Sie den Zugriffsschutz durch Verschlüsselung und Zwei-Faktor-Authentifizierung. Unter Einsatz einer Verschlüsselungslösung wie ESET Endpoint Encryption entfällt die Meldepflicht binnen 72 Stunden. • Machen Sie regelmäßige Schulungen und Trainings. Das Handling für Mitarbeiter sollte so einfach wie möglich gestaltet sein. Stichwort: datenschutzfreundliche Standards. • Datenschutz ist ein Prozess, kein Produkt, und keine einmalige Umstellung! Es geht um das künftige Sicherstellen von IT- und Datenschutz im Geschäftsbetrieb. *Ildikó Bruhns ist für die ESET Deutschland GmbH tätig.

“Die Blockchain-Technologie, wie sie bei der Kryptowährung Bitcoin angewandt wird, ist gut. Denn das Thema CyberSicherheit stand bei deren Entwicklung im Vordergrund”, fuhr Creutzburg, Leiter des IT-Forensik-Labors der TH Brandenburg auf dem Innovationsforum FinTech fort. Dieses wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die Blockchain gilt aufgrund ihres Algorithmus und ihrer dezentralen Struktur als nicht zu manipulierende Datenbank. Sie läuft über mehrere Server, die alle gleichzeitig gehackt werden müssten. Außerdem besteht sie aus Datenblöcken, die aufeinander aufbauen. Bei einer Manipulation, würde das Konstrukt genauso auffällig instabil werden, wie der Turm beim Geschicklichkeitsspiel Jenga. Aber der Professor räumte ein: “Die größte Schwachstelle ist und bleibt der Mensch”. Mangelnder Virenschutz, veraltete Software, keine regelmäßigen Updates bei Betriebs- und Office-Systemen und menschliche Fehler machten die Systeme angreifbar. Wenn ein privater Mensch gehackt und sein Account genutzt wird, handelt es sich augenscheinlich um legale Transaktionen, die nicht auffallen. Trotzdem gilt die Blockchain als revolutionär und ist für die Behörden und Verwaltungen at-

traktiv. Diese könnten nicht manipulierbare Vorgänge schaffen, wie einen Grundbucheintrag oder eine Führerscheinüberprüfung mitsamt dessen Entzug. Überweisungen könnten ebenfalls per Blockchain abgesichert werden. Wie es auch bei Bitcoin der Fall ist, könnten diese dann nicht durch Fälschungen der Überweisungsträger manipuliert werden. Aber weil die Blockchain-Technologie vielfältig einsetzbar sei und weiterhin viel experimentiert werde, existiere ein weiteres Problem, fuhr Creutzburg fort: “Ermittlungsbehörden müssen dementsprechend ausgebildet werden, um Finanztransaktionen und Prozesse der Blockchain nachzuprüfen.” Es gebe wenig Software auf dem Markt, mit denen diese analysiert werden könne, um beispielsweise kriminelle Machenschaften aufzudecken. “Es steckt alles in den Kinderschuhen”, resümierte er.

ner langjährigen Laufbahn einräumte, dass nur “fünf Prozent der Schäden an IT-Systemen durch Malsoftware oder Hacker passieren”, sei der Grundschutz sinnvoll. Denn 80 Prozent der IT-Probleme entstünden durch menschliche Fehler, durch die Rechenzentren oder die IT lahmgelegt würden. Ein Information Security Management System (ISMS) versetze Unternehmen und Behörden in die Lage, analoge oder digitale Schwachstellen zu finden, präventiv zu handeln, Angriffe festzustellen und schnell im Notfall zu agieren. Der IT-GrundschutzKatalog erläutere in diesen Kon-

Seitenhieb – rechtliche Rahmenbedingungen

BSI-Grundschutz: Wappnet die Systeme Bis dahin müsse sich anderweitig geholfen werden, wie mit dem IT-Grundschutz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). “Der Grundschutz nach ISO 27001 ist verpflichtend für Teile des öffentlichen Sektors”, betonte Knud Brandis, Partner bei PwC Cyber Security Services. Auch wenn der IT-Fachmann in sei-

texten detaillierte Gefährdungsund Maßnahmenmodule. “Entscheidend sind nicht nur die Maßnahmen, sondern wann, weshalb und wie diese implementiert wurden”, fuhr Brandis fort. Damit sei ein Standardschutz gewährleistet und nachvollziehbar. Hier müsse sich nicht strikt an das vorgegebene Einführungssystem gehalten werden, ergänzte der IT-Experte. Analysen und erste organisatorische Schutzmaßnahmen, wie Mitarbeitersensibilisierung, könnten parallel verlaufen. Das System sei nicht starr – das Endergebnis und die Dokumentierung seien wichtig.

“Alles in den Kinderschuhen”. Die Blockchain als Lösung für Datensicherheitsprobleme? Bei Hackangriffen wird die Datenbank genauso instabil wie der Jenga-Turm. Foto: BS/Ashley MacKinnon, CC BY 2.0 flickr.com

Die Teilnehmer sprachen auch über fehlende Transparenz, Standardisierung und rechtliche Rahmenbedingungen bei Datenschutz und Datenumgang. Es müsse mehr Zeit investiert werden, um das Vertrauen in Anwendungen wie Apps zu steigern. Deren Image habe nach den Viren- und TrojanerSkandalen gelitten. Im Falle eines IT-Vorfalls fehle es an Regularien. So müsse eindeutiger geregelt sein, wie die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den polizeilichen Behörden erfolge. Aktuell würden sich die zuständigen Behörden diesbezüglich bedeckt halten.


PITS / IT-Sicherheit

Behörden Spiegel / Oktober 2017

IT-Sicherheit besiegeln

“M

ich ärgert die geringe Qualität vieler Produkte. Wenn wir so weitermachen, werden wir massive Probleme bekommen.” Diese klaren Worte fand Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), in seiner Keynote auf der PITS 2017. Sicherheitslücken im Code oder in der Architektur von IT-Produkten seien als Qualitätsmängel anzusehen, die nicht einfach hingenommen werden könnten. Das Sicherheitsniveau gerade von Produkten für Endkonsumenten auf ein angemessenes Maß zu bringen, ist Ziel des geplanten IT-Sicherheitsgütesiegels. “Der Anwender soll künftig auf Basis eines einheitlichen Gütesiegels bei der Kaufentscheidung für neue IT-Produkte oder bei der Inanspruchnahme entsprechender Dienstleistungen schnell und einfach feststellen können, welches Angebot wie gut zum Schutz der IT und der Daten beiträgt”, fasst Klaus Vitt die Idee zusammen. “Zugleich müssen auch die Anbieter bzw. Hersteller die Möglichkeit erhalten, dies aktiv als Kaufargument darzustellen. Sicherheit wird in diesem Sinn zukünftig auch ein Wettbewerbsvorteil sein”, erklärt der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern und Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik. Die Einführung eines derartigen Siegels ist Bestandteil der Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland von 2016. Das Bundesministerium des Innern (BMI) hatte eigentlich darauf hingearbeitet, dies noch in der 18. Legislaturperiode durchzusetzen. Vorgesehen war eine gesetzliche Verankerung im BSIGesetz im Zuge der Umsetzung der europäischen Richtlinie für Netz- und Informationssicherheit (NIS-Richtlinie) im Sommer dieses Jahres. Dazu kam es nicht, stattdessen wurde die Bundesregierung zunächst nur durch den Bundestag zur Ausarbeitung eines Konzepts aufgefordert.

Verbraucher und Wirtschaft sehen Potenzial Ein vom BMI zu dem Zweck in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Schluss, “dass aufseiten der Verbraucher ein Informationsbedarf hinsichtlich ITSicherheit besteht, andererseits ein Gütesiegel für IT-Sicherheit das Potenzial hat, deren Kaufentscheidungen zu beeinflus-

Kennzeichnung für vernetzte Geräte auf den Weg gebracht (BS/Benjamin Stiebel) Die Bundesregierung setzt ihren Plan zur Einführung eines IT-Sicherheitsgütesiegels um. Auf Basis einer freiwilligen Kennzeichnung sollen Anwender beim Kauf sicherer internetfähiger Geräte unterstützt werden. Zunächst werden entsprechende Standards für Internetrouter erarbeitet. sen”. Wichtigste Voraussetzung für den Erfolg des Vorhabens wird jedoch der Rückhalt durch die Hersteller und eine schnelle Verbreitung in den entsprechenden Produktsparten sein. Auch hier kommt die Studie zu einem positiven Ergebnis. Tatsächlich zeigt sich die Digitalwirtschaft weitgehend offen für die Initiative der Bundesregierung. Gerade Unternehmen, die bereits IT-Sicherheit im Entwicklungsprozess berücksichtigen, sehen die Möglichkeit einer klaren Differenzierbarkeit ihrer Produkte auf dem Markt. Allerdings unterscheiden sich die Vorstellungen durchaus, was die konkrete Zielsetzung betrifft. Während einige Anbieter von IT-Sicherheitslösungen für klare Herstellerverpflichtungen zur IT-Sicherheit plädieren, fordern einige mittelständische IT-Unternehmen konkrete und transparente Standards ohne ein Sanktionsregime. Gegenüber dem Behörden Spiegel sagt Sebastian Feik, Sprecher der Fachgruppe IT-Sicherheit des Bundesverbands IT-Mittelstand (BITMi): “Die Politik sollte weitere Anreize schaffen und nicht nur auf Gesetze abstellen. Maßnahmen von Unternehmen zur Gewährleistung von hohen Sicherheitsstandards sowie datenschutzkonformes Handeln sollten zukünftig stärker honoriert werden.” Eine andere Fragestellung betrifft die Ausgestaltung der Anforderungen selbst. “Ein ITSicherheitssiegel muss einerseits für den Nutzer einen klaren Mehrwert bieten, andererseits müssen entsprechende Zertifizierungen auch wirtschaftlich umsetzbar sein”, betont Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsleitung Recht & Sicherheit beim Bitkom. Unter Federführung des BSI und in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Verbrauchervertretern sollen nun transparente, produktgruppenspezifische IT-Sicherheitsstandards als Basis für ein Gütesiegel entwickelt werden. Dabei soll nicht allein der Ist-Zustand maßgeblich sein, vielmehr sollen auch prozessuale Kriterien wie ein zu-

“Cyberwehr” angekündigt Zentrale Anlaufstelle für Baden-Württemberg (BS/stb) Die Landesregierung-Baden Württemberg baut eine Kontaktund Beratungsstelle zur Cyber-Sicherheit für kleine und mittlere Unternehmen auf. Die “Cyberwehr Baden-Württemberg” soll außerdem als landesweite Koordinierungsstelle bei Hackerangriffen fungieren. “Die Cyberwehr ist die Feuerwehr des 21. Jahrhunderts, erreichbar an sieben Tagen in der Woche, 24 Stunden am Tag. Wir schaffen damit eine Stelle mit einheitlicher Notfallnummer”, erklärt der baden-württembergische Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration, Thomas Strobl. Die neue Stelle soll als ganzheitliche Lösung für Unternehmen etabliert werden und dazu eng mit bestehenden Institutionen im Land zusammenarbeiten – so mit dem Landeskriminalamt (LKA), dem Landesamt für Verfassungsschutz, dem CERT BW und dem Karlsruher Institut für Technologie. “Man möchte hier das gesamte Landes-Know-how aus Behörden, Polizei, Wirtschaft und Forschung bündeln und teilen”, sagt Reinhard Tencz, Abteilungsleiter Cybercrime und

Seite 47

Digitale Spuren im LKA BadenWürttemberg. “Natürlich arbeiten wir dabei auch eng mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, dem BSI, zusammen”, erklärt Minister Strobl. “Ich habe mich deshalb mit dem BSI-Präsidenten Arne Schönbohm auf einen noch engeren Austausch verständigt und angeregt, eines der geplanten Verbindungsbüros des BSI bei uns in Baden-Württemberg anzusiedeln.” Eine 15-monatige Pilotphase wird direkt eingeleitet. Wie das Innenministerium mitteilt, seien für die Cyberwehr im kommenden Haushalt etwa drei Millionen Euro angemeldet worden. Weitere acht Millionen seien für weitere Maßnahmen im Bereich Cyber-Sicherheit vorgesehen. So sollen gezielt Start-ups im Bereich IT-Sicherheit gefördert werden, wie Strobl erläutert.

Internet-Routern für den Heimbereich erarbeitet. BSI-Präsident Schönbohm rechnet mit einer Umsetzung im Mai 2018. Um eine aufwandsarme Vergabe des Siegels zu ermöglichen, wird eine freiwillige Selbsterklärung der Hersteller grundlegend sein. Plausibilitätsprüfungen, Stichproben und optionale Zertifizierungen sollen die Glaubwürdigkeit steigern.

Einheitssiegel für Europa angestrebt Vertrauenswürdigkeit sichtbar machen: Ein klassisches Wachssiegel zeigt die Herkunft und Unversehrtheit eines Schriftstücks an – das geplante IT-Gütesiegel soll zukünftig die Einhaltung von Sicherheitsstandards anzeigen. Foto: BS/Canned Muffins, cc by 2.0, flickr.com

grundeliegendes Informationssicherheits-Managementsystem und die Sicherstellung eines angemessenen Update-Regimes

über den Produkt-Lebenszyklus berücksichtigt werden. In einem Pilotprojekt werden zunächst Standards mit Herstellern von

Tatsächlich wäre die Einführung eines Pflicht-Gütesiegels nur in Deutschland rein rechtlich nicht möglich, wie Andreas Könen, Leiter der Stabsstelle “IT- und Cybersicherheit; sichere Informationstechnik” im BMI erklärt. “Die nationale Gesetzgebung kennt hier nur freiwillige Regelungen. Ein verpflichtendes

IT-Gütesiegel kann nur auf EUEbene eingeführt werden.” Die europäische Perspektive wurde bei der Konzeption durchaus berücksichtigt. Unabhängig von der Frage, ob ein Siegel irgendwann Pflicht wird, ist der deutsche Vorstoß auch als Impuls und Vorbild für den europäischen Markt gedacht. Eine ähnliche Strategie wurde schon mit dem IT-Sicherheitsgesetz verfolgt, das in vielen Punkten Vorbild für die europäische NIS-Richtline war. Letztlich soll ein europaweit einheitliches Gütesiegel für IT-Sicherheit geschaffen werden. Nur so kann ein hinreichend großer Markt adressiert werden, in dem sich klare Standards durchsetzen können. Die Europäische Kommission hat das Thema auch auf Betreiben der Bundesregierung bereits aufgegriffen. Im Vorschlag für ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Verbesserung der Cyber-Sicherheit in der Union wurde unter anderem ein freiwilliges Zertifizierungsverfahren für vernetzte Produkte in Aussicht gestellt. (Mehr zum EU-Maßnahmenpaket im Text auf Seite 48)


PITS / IT-Sicherheit

Seite 48

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Resilienz, Abschreckung und Verteidigung

Cyber-Sicherheitsmonat

Die Europäische Union macht sich “Cyber-sicher”

Viele Aktionen und Angebote im Oktober

(BS/stb) Die EU-Kommission will die Cyber-Sicherheit in der Union verbessern. Dazu sollen unter anderem eine Agentur für Cyber-Sicherheit ge- (BS/stb) Bereits zum fünften Mal wird der European Cyber Security schaffen, ein gemeinsames Zertifizierungssystem eingeführt und die grenzübergreifende Strafverfolgung erleichtert werden. Month (ECSM) unter Federführung der ENISA (European Agency for Network and Information Security) durchgeführt. Im Oktober werden dazu EU-weit Sensibilisierungsaktionen angeboten. In Deutschland “Cyber-Angriffe können die Staerfolgt die Koordinierung durch das Bundesamt für Sicherheit in der bilität von Demokratien und Informationstechnik (BSI). Volkswirtschaften stärker bedrohen als Waffen und Panzer”, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Ansprache zur Lage der Union im September. “CyberAngriffe kennen keine Grenzen und niemand ist gegen sie immun. Darum schlägt die Kommission heute neue Maßnahmen vor, die helfen, uns gegen solche Angriffe zu schützen, darunter eine Europäische Agentur für Cyber-Sicherheit.” Die neue Agentur soll auf der bestehenden European Agency for Network and Information Security (ENISA) aufbauen und die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten sowie EU- und Landeseinrichtungen koordinieren. Dazu soll die Zahl der Mitarbeiter der Behörde um 41 auf 125 und das Jahresbudget schrittweise von elf auf 23 Millionen Euro erhöht werden. Zentrale Aufgaben für den ENISA-Nachfolger wurden schon genannt. So soll die Agentur jährliche gesamteuropäische Cyber-Sicherheitsübungen organisieren und die Kooperation zwischen Computer Security Incident Response Teams (CSIRTs) steuern. Bei der Prävention von und Reaktion auf ITSicherheitsvorfälle in den Mitgliedsstaaten ist eine beratende und unterstützende Funktion vorgesehen. Außerdem soll die Agentur Informationen und Analysen zur Cyber-Sicherheit zu einem einheitlichen InfoHub für EU-Institutionen bündeln.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker stellte in seiner Ansprache zur Lage der Union Mitte September Maßnahmen für eine starke Cyber-Sicherheit in Europa vor. Foto: BS/Etienne Ansotte, © European Union, 2017

Vor allem aber soll die EUAgentur für Cyber-Sicherheit die Einrichtung und Umsetzung eines EU-weiten Zertifizierungsrahmens begleiten. Ziel ist es, IT-Produkte und Dienstleistungen durch Marktanreize sicherer zu machen und Nutzer in die Lage zu versetzen, informierte Kaufentscheidungen zu treffen. Dabei gilt es vor allem, verschiedene Zertifizierungssysteme zu harmonisieren und so einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt für vertrauenswürdige IT-Produkte zu schaffen. (Siehe dazu auch den Artikel zum deutschen IT-Sicherheitsgütesiegel auf Seite 47.) Um der zunehmenden Gefahr der grenzübergreifenden CyberKriminalität zu begegnen und wirksame Abschreckung zu ermöglichen, sollen Instrumente

geschaffen werden, um Täter feststellen und verfolgen zu können. Dazu wird eine Richtlinie zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit bargeldlosen Zahlungsmitteln vorgeschlagen. Damit würden Straftatbestände auf virtuelle Währungen wie Bitcoin ausgeweitet und die Zusammenarbeit zwischen Strafjustizbehörden verbessert. Vorschläge zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Zugangs zu elektronischen Beweismitteln sind außerdem für Anfang 2018 angekündigt. Darüber hinaus schlägt die EUKommission vor, • Technologien zur Abwehr von Cyber-Angriffen in einem europäischen Forschungs- und Kompetenzzentrum für Cyber-Sicherheit zu entwickeln,

• ein Konzept für EU-gemeinsame Reaktionen auf Cyber-Sicherheitskrisen zu entwickeln, • einen Notfallfonds zur Unterstützung betroffener Mitgliedsstaaten einzurichten und • die internationale Zusammenarbeit im Bereich Cyber-Abwehr und die Konfliktprävention mit einem strategischen Rahmen zu fördern. Das Maßnahmenpaket soll bereits bestehende Vorschriften wie die Richtlinie zur Gewährleistung einer hohen Netzund Informationssicherheit (NIS-Richtlinie) ergänzen und Lücken schließen, die seit der Annahme der EU-Cyber-Sicherheitsstrategie von 2013 mit der Verschärfung der Bedrohungslage im Cyber-Raum deutlich geworden sind.

Wie Sicherheitsstandards berücksichtigen? Vergaberechtliche Aspekte der Informationssicherheit bei KRITIS

Ziel des Aktionsmonats ist es, Cyber-Sicherheit als grenzübergreifende Herausforderung bewusst zu machen und auf Risiken und Schutzmaßnahmen im digitalen Raum aufmerksam zu machen. In Deutschland beteiligen sich über 60 Partner, darunter Organisationen der öffentlichen Verwaltung, Unternehmen, Verbände sowie wissenschaftliche Einrichtungen. Die Partizipationsmöglichkeiten sind dabei vielfältig. Neben Awareness-Kampagnen oder Veranstaltungen werden auch Schulungen und ExpertenWorkshops durchgeführt und Informationsangebote im Web aufbereitet. Die ENISA wird während des ECSM wochenweise verschiedene Schwerpunktthemen in den Fokus rücken, darunter “Cyber-Sicherheit am Arbeitsplatz” und “Sicherheit und Schutz persönlicher Daten”.

Anmeldung weiter möglich Zur Eröffnungsveranstaltung, die an der Technischen Universität in Tallinn stattfand, sagte Andrus Ansip, Vizepräsident der Europäischen Kommission und Kommissar für den digitalen Binnenmarkt: “Cyber-Sicherheit ist ein Grundstein der digitalen Welt; sie liegt in unserer gemeinsamen Verantwortung, für jeden von uns, jeden Tag. Ich begrüße die gemeinschaftlichen Bestrebungen, Awareness

Foto: BS/ENISA

zu steigern sowie die konkreten Aktivitäten im Sinne der CyberSicherheit in ganz Europa.” Bislang sind europaweit über 300 Aktionen angekündigt. Eine Übersicht über Angebote in Deutschland nach Zielgruppen stellt das BSI auf seiner Webseite bereit. Die Anmeldung weiterer Aktionen im Zeitraum bis Mitte November 2017 ist weiterhin über die Webseite des ECSM möglich. “Der Aktionsmonat ECSM macht deutlich, dass Cyber-Sicherheit in allen Lebensbereichen relevant ist und dass sie wesentlicher Bestandteil einer nachhaltigen Digitalisierung ist. Das spiegelt sich auch in der Bandbreite der diesjährigen Aktionen wider, die sich an unterschiedliche Zielgruppen richten – Bürger, Unternehmen, Verwaltung und Wissenschaft”, sagt Arne Schönbohm, Präsident des BSI.

MELDUNGEN

(BS/Susanne Müller-Kabisch) Cyber-Angriffe gehören in der digitalen Welt zum Alltag. Umso mehr sind sensible Bereiche der öffentlichen Da- Entschließung verabschiedet seinsvorsorge zu schützen. Darf deshalb bei der öffentlichen Auftragsvertragsvergabe die IT-Sicherheit der Bieterunternehmen zum Gegenstand (BS/mfe) Die Internationale Da- Entschließung: “Das Auto ist der vergaberechtlichen Eignungsprüfung werden? tenschutzkonferenz, in der Be- Symbol von Freiheit und UnabZu den sogenannten Kritischen Infrastrukturen (KRITIS) zählen per Gesetz Einrichtungen in den Sektoren Energie, Informationstechnik, Telekommunikation, Transport, Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung, Finanz- und Versicherungswesen. Und zwar die Teile davon, die für das Funktionieren des Gemeinwesens von existenzieller Bedeutung sind. Zum Schutz des Betriebs Kritischer Infrastrukturen gibt es seit Mitte 2015 das IT-Sicherheitsgesetz. Nähere Ausführungsbestimmungen enthalten zwei weitere Rechtsverordnungen. Die Betreiber der KRITIS sind danach verpflichtet, • eine Kontaktstelle zu benennen, • erhebliche (IT-)Störungen zu melden, • angemessene organisatorische und technische Vorkehrungen/“Stand der Technik” umzusetzen und • dies alle zwei Jahre gegenüber dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nachzuweisen. Betreiber von Kritischen Infrastrukturen müssen ihre ITSicherheit auf dem “Stand der Technik” halten. Das ist ein gängiger juristischer Begriff, der nicht allgemeingültig und abschließend definiert ist. Da die technische Entwicklung schneller ist als die Gesetzgebung, hat es sich bewährt, in den Gesetzen den Begriff “Stand der Technik” zu verwenden, statt zu versuchen, konkrete technische Anforderungen festzulegen. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt “Stand der Technik” ist,

treiber und ihre Verbände jedoch Susanne Müller-Kabisch branchenspeist Rechtsanwältin bei der Ernst & Young Law GmbH zifische Sicherund spezialisiert auf das heitsstandards Gebiet des öffentlichen erarbeiten. Das Wirtschaftsrechts. Ihr Bundesamt für Schwerpunkt liegt in der Sicherheit in der Beratung zu FragestellunInformationsgen des nationalen und technik (BSI) europäischen Vergaberechts sowie des EU-Beihilprüft und erkennt fenrechts. sie bei Eignung Foto: BS/Privat im Benehmen mit dem Bundesamt lässt sich zum Beispiel anhand für Bevölkerungsschutz und existierender nationaler oder Katastrophenhilfe (BBK) und internationaler Standards oder anderen Aufsichtsbehörden an. erfolgreicher Praxisbeispiele für den jeweiligen Bereich ermitteln. Neue EU-Richtlinie Auch Brüssel ist mittlerweile Branchenstandards aktiv geworden und hat im AuBetroffene Unternehmen gust 2016 die NIS-Richtlinie in müssen dabei beachten, dass Kraft gesetzt, um die NetzwerkInformationssicherheit aufgrund der besonderen Be- und deutung der KRITIS für das (NIS) in der EU zu verbessern. Gemeinwohl eine rein betriebs- Die Richtlinie, die alle Mitgliedswirtschaftliche Kosten-Nutzen- staaten bis Mai 2018 umsetzen Betrachtung der IT-Sicherheits- müssen, soll innerhalb der Euromaßnahmen nicht ausreichen päischen Union für ein einheitlidürfte. Um den gesetzlichen An- ches Sicherheitsniveau sorgen. forderungen der IT-Sicherheit Adressat der neuen Richtlinie zu genügen, können KRITIS-Be- sind die “wesentlichen Dienste”,

Mehr zum Thema (BS) Welche Auswirkungen der neue gesetzliche Rahmen für IT-Sicherheit und Datenschutz haben wir und mit welchen Stellschrauben die öffentliche Hand die Informationssicherheit und den Datenschutz beim Bieterunternehmen selbst und im Rahmen der gesamten Auftragsausführung sicherstellen kann, ist Gegenstand des Behörden Spiegel-Seminars “IT-Sicherheit und Datenschutz in der öffentlichen Auftragsvergabe”. Darin gibt die Autorin mit ihrem Kollegen, Dr. Jyn Schultze-Melling, am 7. November 2017 in Berlin neben einer rechtlichen Einführung praktische Tipps für die Umsetzung. Programm und Anmeldung unter: www.fuehrungskraefte-forum.de, Suchwort “Datenschutz”.

mithin die KRITIS im deutschen IT-Sicherheitsgesetz.

Lösung bei der Auftragsvergabe Die Aufgaben der Daseinsvorsorge (Energie, Abfallentsorgung, Wasserversorgung usw.) sind meist Sache von Städten, Kommunen und Kreisen. Diese haben ein besonderes Interesse an einem Höchstmaß an IT-Sicherheit. Die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber die IT-Sicherheit der Bieterunternehmen zum Gegenstand der vergaberechtlichen Eignungsprüfung machen darf, ist noch nicht abschließend geklärt. Wäre dies möglich, könnten Bieterunternehmen, die nicht über die erforderliche IT-Sicherheit verfügen bzw. diese nicht nachweisen können, vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Strittig ist ebenfalls, ob der Auftraggeber die für die Beurteilung der IT-Sicherheit erforderlichen Nachweise zur technischen Leistungsfähigkeit auf der Grundlage des abschließenden Katalogs in der Vergabeverordnung (VgV) anfordern kann. Allerdings kann der öffentliche Auftraggeber die Informationssicherheit ohne Rechtsrisiko als vertragliche Ausführungsbestimmung vorsehen. Außerdem kann ein Bieterunternehmen, wenn es die gesetzlichen Anforderungen an die Sicherheit nicht erfüllt, unter Umständen aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen für einen fakultativen Ausschlussgrund vorliegen.

hörden aus 78 Nationen vertreten sind, hat eine Entschließung zum Datenschutz beim automatisierten und vernetzten Fahren beschlossen. Sie wendet sich an Autohersteller, -zulieferer und Gesetzgeber sowie an Unternehmen, die fahrzeugbezogene Internetdienste anbieten. Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Andrea Voßhoff und ihre Kollegen fordern, das Recht auf Privatsphäre der Fahrzeugnutzer bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienste zu beachten. Voßhoff erklärte zu der

hängigkeit. Die Digitalisierung des Straßenverkehrs könnte dies grundlegend verändern.” In modernen Fahrzeugen sammelten bereits heute zahlreiche Sensoren Daten zum Fahrverhalten und zu zurückgelegten Strecken. Daraus ließen sich detaillierte Persönlichkeitsprofile erstellen. Aus diesem Grund müssten Fahrer immer die komplette Entscheidungshoheit über die Verwendung personalisierbarer Fahrzeugdaten haben und über jede Datenverwendung transparent unterrichtet werden, verlangte Voßhoff.

Bayerisches Datenschutzgesetz wird novelliert (BS/stb) Die Bayerische Staatsregierung hat einen Entwurf einer Neufassung des Bayerischen Datenschutzgesetzes beschlossen. Damit sollen Normen an das am 25. Mai 2018 in Wirkung tretende europäische Recht nach DatenschutzGrundverordnung (EU-DSGVO) angepasst werden. “Ab diesem Stichtag müssen alle Behörden ihre Datenschutzfragen nicht mehr nur mit den Datenschutzregelungen des Freistaates Bay-

ern oder des Bundes abklären, sondern in den meisten Fällen unmittelbar mit dem neuen europäischen Datenschutzrecht”, kommentiert der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. “Wir wollen, dass diese Herausforderung gelingt und dass Behörden genauso wie Bürger und Unternehmen am Ende von der EU-Datenschutzreform mit datenschutzgerechten, sicheren und effizienten IT-Verfahren profitieren.”

BSI-Umfrage gestartet (BS/stb) Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ruft zur Teilnahme an der Cyber-Sicherheits-Umfrage 2017 auf. Jedes Jahr untersucht die Cyber-Sicherheitsbehörde mit der Umfrage die Bedrohungslage bei deutschen Organisationen und den Stand der IT-Sicherheitsmaßnahmen. IT-Sicherheitsverantwortliche deutscher Unternehmen, Be-

hörden und anderer Institutionen sind eingeladen, sich noch bis zum 30. November 2017 über die Webseite der Allianz für Cyber-Sicherheit anonym zu beteiligen. Die Veröffentlichung der Ergebnisse ist für Januar 2018 vorgesehen. Aus ihnen sollen Beratungsschwerpunkte und praktische Empfehlungen für andere Institutionen abgeleitet werden.


Sicherheit & Verteidigung Behörden Spiegel

www.behoerdenspiegel.de

Berlin und Bonn / Oktober 2017

Neue Bedrohungen erfordern engmaschiges Netz

KNAPP Intensiverer Kampf gegen Islamisten

Anti-Terror-Kampf verlangt Sensibilität bei allen Behörden

(BS/Marco Feldmann/ R. Uwe Proll) Die Fälle Anis Amri und "Nationalsozialistischer Untergrund" haben es deutlich gemacht: Die Landesämter für Verfassungsschutz und die Lan- (BS/mfe) In Hamburgs Sicherdeskriminalämter mehrerer Bundesländer haben aneinander vorbei gearbeitet. Und dass, obwohl angesichts der Profanisierung von Terroranschlägen sowie der Verwendung von heitsbehörden können sich Alltagsgegenständen als Waffe eine Vernetzung heute wichtiger denn je ist. künftig deutlich mehr MitarDas gilt sowohl für die Länder untereinander als auch für die Beziehungen zwischen Bund und Ländern. Aber selbst damit ist es noch nicht getan. Um wirklich effektiv gegen "Gefährder" vorgehen zu können, braucht es mehr. Dafür ist ein wirkliches, umfassendes "Netzwerk Sicherheit" mit möglichst engen Maschen erforderlich. Dieses darf sich nicht nur auf Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) beschränken. Vielmehr müssen auch Zivilund Sozialbehörden einbezogen werden. Dazu gehören unter anderem Ausländerbehörden, Finanzämter und Schulen. Entscheidend ist eine neue Kultur der Sensibilität aller Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes für Belange der Inneren Sicherheit. Gelingt es nicht, diese zu entwickeln, wird es äußerst schwierig, Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

Zoll muss Selbstverständnis verändern Darüber hinaus sollte sich auch der Zoll in Zukunft strukturell stärker als Polizei verstehen. Immerhin hat diese Behörde in Teilen weiter gehende Befugnisse als Bundes- und Landespolizei und führt zurzeit mehr Verfahren betreffend die Organisierte Kriminalität als alle Polizeibehörden der Bundesrepublik zusammen. Allein dieser Umstand sollte Anlass genug zum Nachdenken sein. Ebenso notwendig ist eine engere Vernetzung zwischen Polizeien und Nachrichtendiensten. Das im Grundgesetz verankerte Trennungsgebot verbietet schließlich nur die Anbindung von Nachrichtendiensten an eine Polizeidienststelle, aber keineswegs den gegenseitigen Informationsaustausch. Hier

der Zentralstellenfunktion, wie sie das Bundeskriminalamt im Verhältnis zu den Landeskriminalämtern innehat. Dann könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz im Falle eines terroristischen Anschlags zum Beispiel als Infrastrukturdienstleister für die Landesämter agieren. Diese Form der Zusammenarbeit weist auf kriminalpolizeilicher Seite bereits eine gewisse Tradition auf und ließe sich sicherlich leichter umsetzen als eine organisatorische Kooperation oder gar eine Zusammenlegung der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern.

Ein wirkliches "Netzwerk Sicherheit" muss wie ein Spinnennetz sein. Es muss möglichst viel auffangen. Wenn zu viel durchrutscht, ist im Bereich der Terrorismusbekämpfung die Gefahr groß, dass zahlreiche Behörden nicht ausreichend für Sicherheitsbelange sensibilisiert sind. Foto: BS/floeschen, CC BY 2.0, flickr.com

sind neben den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst auch die Mitarbeiter der Dienststellen des Polizeilichen Staatsschutzes gefordert.

Polizei zum Handeln gezwungen Hier gibt es jedoch ein Problem: Eine gewisse Dualität zwischen Nachrichtendienstlern und Polizeibeamten lässt sich nicht verhindern. Sie liegt bereits in den Rechtsgrundlagen ihrer Arbeit begründet. Während die Polizei dem Legalitätsprinzip verpflichtet ist, gilt das für die Nachrichtendienste nicht. Ihre Mitarbeiter können gewonnene Erkenntnis zunächst auch schlicht für die Erstellung von Lagebildern verwenden. Operative Befugnisse stehen ihnen ohnehin nicht zu.

Die Polizei als Strafverfolgungsbehörde muss ein Ermittlungsverfahren eröffnen muss, sofern sie Kenntnis von einer möglichen Straftat hat. Hier verfügt sie über keinerlei Ermessensspielraum. Einzige Ausnahme: Es handelt es sich um ein absolutes Antragsdelikt. Diesen Zwängen unterliegen die Nachrichtendienste nicht. Sie unterliegen dem Opportunitätsprinzip und sind bei einem Verdacht auf strafbares Handeln nicht zum sofortigen Intervenieren verpflichtet. Und noch ein Umstand erschwert bisher die Kooperation zwischen (Kriminal-)Polizei und Nachrichtendiensten: Die Erfahrungen mit der Geheimen Staatspolizei während des Nationalsozialismus, die zur Fixierung des Trennungsgebots im Grundgesetz führten, tragen auch heute noch in zahlreichen Fällen weiterhin zur engen Auslegung dieser Bestimmung bei.

Oftmals unbeachtet bleibt dabei aber, dass es sich beim Trennungsgebot nur um ein organisatorisches, keineswegs jedoch um ein informationelles Verbot handelt. Eine andere Denkweise wäre inzwischen aufgrund der eingetretenen Reallage mit bereits mehreren islamistisch motivierten Anschlägen in Deutschland auch nicht mehr zeitgemäß. Darüber hinaus wären – würde man dieser engen Auslegung folgen – Einrichtungen wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum in Berlin überhaupt nicht möglich.

Zentralstellenfunktion ausbauen Angesichts der unterschiedlichen Aufträge und Prinzipien von Polizeien und Nachrichtendiensten wäre wahrscheinlich noch ein anderer Weg der Vernetzung vielversprechend. Sinnvoll wäre eine deutliche Stärkung

Gewisse Aufgaben an einem Ort zusammenlegen Zudem wäre es überlegenswert, das Anfang der 1990er-Jahre abgeschaffte Weisungsrecht des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegenüber den Landesbehörden wieder einzuführen. Außerdem könnten Überlegungen zur Zentralisierung einzelner Aufgaben, wie etwa der Erkenntnisauswertung angestellt werden (siehe dazu auch das Interview mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Dr. Hans-Georg Maaßen, auf Seite 50). Egal, welcher Weg auch beschritten wird. Entscheidend ist der Aufbau eines möglichst engmaschigen und allumfassenden Netzwerkes. Dafür müssen bei allen Beteiligten zunächst aber das entsprechende Bewusstsein und die erforderliche Sensibilität für Sicherheitsbelange geschaffen werden. Dies gilt insbesondere für Institutionen, die noch nicht zum BOS-Kreis zählen. Anderenfalls wird ein wirkliches "Netzwerk Sicherheit" – jedenfalls auf absehbare Zeit – Utopie bleiben.

beiter als bisher um die Beobachtung islamistischer Gefahren und Personen aus diesem Spektrum kümmern. Das Landeskriminalamt erhält dafür elf zusätzliche Stellen. Über 20 weitere werden in der entsprechenden Abteilung des Landesamtes für Verfassungsschutz der Hansestadt geschaffen. Hintergrund der Personalverstärkungsentscheidung ist der erhebliche Zuwachs an Personen in Hamburg, die dem islamistischen Spektrum zugerechnet werden. Deren Zahl ist mittlerweile auf 1.400 gestiegen. Ende 2015 waren es noch "nur" rund 1.000. Einen ebenfalls massiven Anstieg gab es bei den Salafisten. Ihre Zahl wuchs von 460 Personen Ende 2015 auf inzwischen rund 775 an.

SKB-Personalien (BS/por) In der Streitkräftebasis (SKB) der Bundeswehr sind folgende Personalveränderungen wirksam geworden: Brigadegeneral Helmut Schoepe, Verteidigungsattaché in Peking, wird an der Schule für Informationstechnik der Bundeswehr in Pöcking eingesetzt. Sein Nachfolger ist Brigadegeneral (Temporary Rank, d. h. vorläufiger Dienstgrad) Jürgen Uchtmann. Der bisherige Verteidigungsattaché in London, Brigadegeneral Martin Hein, ist in das Kommando Feldjäger in Hannover versetzt worden. Sein Nachfolger ist Brigadegeneral Ralf Raddatz. Brigadegeneral Hans-Dieter Poth, Verteidigungsattaché in Paris, ist an das Streitkräfteamt in Bonn gegangen. Sein Nachfolger wird Brigadegeneral Werner Albl. Die drei Nachfolger wurden zuletzt im Rahmen ihrer Ausbildung zum Verteidigungsattaché im Streitkräfteamt auf ihre neue Verwendung vorbereitet.

Save the Date

21. Europäischer Polizeikongress

6.-7. Februar 2018 | Berlin Congress Center Sicherheit besser vernetzen | Information – Prävention – Repression www.europaeischer-polizeikongress.de


Innere Sicherheit

Seite 50

B

ehörden Spiegel: Welche Folgen hat die massive Schwächung des “Islamischen Staates”, der auch als IS bezeichnet wird, für die Sicherheitslage hierzulande?

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Ohne Reformen geht es nicht Verfassungsschutz-Präsident will einige Aufgaben zentralisieren

Bundesamt für Verfassungsschutz mit Dienststellen in den einzelnen Bundesländern geben? Maaßen: Anders als bei der

(BS) Er kritisiert die derzeitige Struktur der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland: Dr. Hans-Georg Maaßen, der an der Spitze des Bundesam- Polizei haben im Bereich des Maaßen: Es ist eine sehr gute tes für Verfassungsschutz steht, möchte unter anderem die Auswertung gesammelter Erkenntnisse an einem Ort durchführen. Außerdem bemängelt Verfassungsschutzes Bund und Nachricht, dass der IS in Sy- er einige regionale Zuschnitte der Nachrichtendienste. Das Gespräch führten R. Uwe Proll und Marco Feldmann. Länder die gleichen Befugnisse. rien und Irak zurückgedrängt wird. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass die Terrormiliz in einer Reihe weiterer Staaten sehr stark ist. Dazu gehören unter anderem Libyen, Tunesien und Afghanistan. Das zeigt: nur auf Länder wie Syrien oder den Irak zu schauen, verengt beim IS die Perspektive.

nen zum islamistisch-terroristischen Personenpotenzial. Diese Zahl hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Das liegt zum Teil auch daran, dass sich bereits länger in der Bundesrepublik lebende Islamisten weiter radikalisiert haben.

Behörden Spiegel: Ist jetzt vermehrt mit zu Anschlägen bereiten Rückkehrern zu rechnen?

Behörden Spiegel: Haben Sie denn auch konkrete Zahlen zu Flüchtlingen?

Maaßen: Wir wissen Maaßen: Niemand kann vorhersagen, wie der IS mit Blick inzwischen, dass etwa 20 Perauf Europa reagieren wird. Eine sonen als Flüchtlinge nach Eumögliche Variante ist, dass der ropa und teilweise auch nach IS Terroranschläge in Europa Deutschland kamen, die den forcieren könnte. Darauf stel- Auftrag hatten, hier ein Attentat len wir uns ein. Eine weitere zu verüben. Möglichkeit besteht darin, dass Behörden Spiegel: Sie ermitdie Zahl der Anhänger des “Islamischen Staates”, die mit teln viele Informationen und Kampferfahrung versehen wie- geben diese in Lageberichten der nach Deutschland zurück- weiter. Das galt auch für den kommen, ansteigen wird. Dafür G20-Gipfel. Dennoch haben ofhaben wir derzeit allerdings fensichtlich weder Politik noch Polizei angemessen reagiert. noch keine Hinweise. Was wir derzeit jedoch sehen, Maaßen: In der Tat hatten wir ist: Momentan werden Familienangehörige von IS-Kämpfern bereits im Vorfeld des Hamburger G20-Gipfels aus der Kampfzone in siche“Politisch Verantwort- Hinweise auf ewalttätigre Gegenden liche haben eine wesent- G keiten im des IS-Herrlich breitere Zusammenschaftsgebiets gebracht. Die Entscheidungsgrundlage hang mit dieTreffen der Anhänger der als Nachrichtendienstler. sem Staats- und ReTerrormiliz, gierungschefs. die aus dem Westen stammen, sind jedoch Wir haben unsere Erkenntnisse offensichtlich bereit, bis zum auch an die Polizei, mit der wir in enger Kooperation standen, und bitteren Ende zu kämpfen. die Politik weitergegeben. Aber Behörden Spiegel: Wie viele wir alle waren über das Ausmaß radikale Islamisten sind im Zuge und die Intensität der Gewalt der Flüchtlingsbewegung eigen- überrascht. Meiner Wahrnehtlich bisher nach Deutschland mung nach haben die Polizeibehörden auf Bundes- und Längekommen? derebene ihr Möglichstes getan, Maaßen: Zu Ihrer Frage: Eine um den G20-Gipfel abzusichern. konkrete Zahl kann ich Ihnen Behörden Spiegel: Werden nicht nennen, aber wir wissen, dass unter den Flüchtlingen Ihre Analysen von den politisch möglichereine Reihe von Personen mit Verantwortlichen dschihadistischem Hintergrund weise nicht ernst genommen? sind. Sie haben oftmals auch für Maaßen: Doch, natürlich werden IS gekämpft, auch wenn das nicht heißt, dass diese Personen den unsere Warnungen von der unbedingt Terroranschläge in Politik aufgenommen. Allerdings kann ein Politiker nicht allein Deutschland begehen wollen. Insgesamt zählen wir hier- auf der Grundlage von Warnunzulande derzeit 1.830 Perso- gen oder Erkenntnissen der Na-

und Tätigkeiten Ihrer Behörde beschäftigte. Was ist aus den einzelnen Projekten von damals geworden?

Dr. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, plädiert für eine Reform der Strukturen des Verfassungsschutzes hierzulande. Er fordert unter anderem eine zentrale Erkenntnisauswertung. Foto: BS/Feldmann

chrichtendienste entscheiden. Er muss auch noch andere Sachverhalte und Erwägungen einbeziehen. Politisch Verantwortliche haben eine wesentlich breitere Entscheidungsgrundlage als Nachrichtendienstler. Behörden Spiegel: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll nun Vorschläge machen, welche Asylbewerber vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollten. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit? Maaßen: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge führt eine Anhörung durch. Dabei werden auch Gesichtspunkte des Bundesverfassungsschutzes berücksichtigt. Wir sind insoweit in einer engen und vertrauensvollen Kommunikation mit dem Bundesamt. Uns verbindet eine tägliche Zusammenarbeit. Und in Fällen, in denen aufgrund der Anhörung Erkenntnisse entstehen, die für unsere Arbeit von Bedeutung sind, werden wir auch beteiligt. Behörden Spiegel: Zu Zeiten Ihres Amtsvorgängers Fromm gab es eine Kommission des Bundesinnenministeriums, die sich mit der Modernisierung und Qualifizierung der Abläufe

Maaßen: Ich glaube, es gibt keine große Behörde in Deutschland, die solch ein Vorreiter im Bereich der Digitalisierung ist, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz. Wir haben die elektronische Akte bereits Anfang der 2000er-Jahre eingeführt. Es gibt heute noch eine ganze Reihe von Bundesbehörden, die sich jetzt erst Gedanken darüber machen, wie sie die elektronische Akte einführen können. Bei all den Modernisierungsbemühungen muss aber eines klar sein: wir sind ein Nachrichtendienst und keine Verwaltungsbehörde. Bei uns läuft zum Beispiel Benchmarking ganz anders. Wir können uns weder mit Kommunen noch mit Verwaltungsbehörden des Bundes vergleichen. Behörden Spiegel: Wie schwierig ist es für Ihre Behörde eigentlich, Nachwuchs zu gewinnen? Maaßen: Das kommt auf den jeweiligen Bereich an. Insgesamt haben sich im vergangenen Jahr mehr als 22.000 Menschen bei uns beworben. Wir brauchen aber nicht 22.000, sondern vielmehr die richtigen Menschen. Bei uns existieren unterschiedlichste Berufsprofile, die wir benötigen. Manchmal ist es recht einfach, hochmotiviertes und hochqualifiziertes Personal zu finden. Bei anderen für unsere Arbeit wichtigen Qualifikationen fällt uns die Personalgewinnung hingegen schwer, wie in einigen IT-Bereichen. Das liegt daran, dass wir einer von vielen Arbeitgebern sind, die um wenige Interessenten konkurrieren.

Maaßen: Die Laufbahnausbildungen im Verfassungsschutz des Bundes stehen auch den Ländern offen. Einige Länder beteiligen sich bereits an der Laufbahnausbildung des gehobenen Dienstes; weitere Landesbehörden prüfen eine Teilnahme. Für andere kommt dies nicht in Betracht, weil sie ihr Personal im Wege des Quereinstiegs ausschließlich aus anderen Behörden der Landesverwaltung rekrutieren. Die Fortbildungen an der Akademie für Verfassungsschutz besuchen Teilnehmer des Bundesamts für Verfassungsschutz, der Lansdesämter für Verfassungsschutz sowie des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst gemeinsam. Behörden Spiegel: Und was planen Sie zukünftig in der Ausbildung zu verbessern oder zu ändern?

Wir müssen nun aber zu einer sinnvollen Aufgabenverteilung kommen. Derzeit haben wir in Deutschland 17 Verfassungsschutzbehörden und nur schwach ausgeprägte Befugnisse zur zentralen Steuerung. Das Weisungsrecht des Bundesamtes ist ja schließlich Anfang der 1990er-Jahre abgeschafft worden. Behörden Spiegel: Was muss dagegen getan werden? Maaßen: Wir brauchen eine Reform des Verfassungsschutzes in Bund und Ländern. Die beste Lösung wäre gefunden, wenn es in der Bundesrepublik nur noch einen Inlandsnachrichtendienst und nicht mehr 17 gäbe. Es macht jedenfalls keinen Sinn, dass alle Verfassungsschutzbehörden für alle Phänomenbereiche zuständig sind und auch alles machen. Wir brauchen zumindest eine vernünftige Dislozierung und Steuerung des Verfassungsschutzes bundesweit. Wir müssen effizienter arbeiten und uns mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen durch Terrorismus, Spionage und Cyberangriffe besser aufstellen. Dabei ist es äußerst wichtig, dass der Inlandsnachrichtendienst in der Fläche vertreten bleibt.

Maaßen: Zum einen planen wir bei der Ausbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine engere Zusammenarbeit mit dem Bundesnachrichtendienst. In diesem Zusammenhang wollen wir eine zentrale nachrichtendienstliche Ausbildung in Behörden Spiegel: Wie könnte Berlin etablieren. Zum anderen das sichergestellt werden? ist vorgesehen, zusammen mit dem Bundesnachrichtendienst, Maaßen: Die Informationsbeder Bundeswehr-Universität in schaffung muss weiterhin in der München und der Hochschu- Fläche stattfinden. Die Auswerle des Bundes tung jedoch in Brühl einen müssen wir “Wir müssen effizienter z e n t r a l i s i e Studiengang arbeiten.” “Master of Inren, vor allem telligence and in Fällen von Security Studies” einzurichten. Spionage oder Cyber-Attacken. Dadurch wollen wir eine Es macht keinen Sinn mehr, spezielle Ausbildung für den dass wir etwa in Bremen eine höheren Dienst mit akade- Verfassungsschutzbehörde hamischem Hintergrund anbieten. ben, die zwar für Bremen und Dieser Studiengang soll insbe- Bremerhaven zuständig ist, sondere für Mitarbeiterinnen nicht jedoch für den nordwestund Mitarbeiter aller Nachrich- deutschen Raum. tendienste des Bundes und des Die ungekürzte Fassung des Nachrichtenwesens der BunInterviews lesen Sie auf www. deswehr geöffnet werden. behoerden-spiegel.de; SuchbeBehörden Spiegel: Soll es ein griff: Strukturänderung.

60 Jahre Gauselmann

A

n allen drei Festtagen besuchten mehr als 20.000 Gäste die 36.000 Quadratmeter große Zeltstadt hinter dem Produktionswerk der adp Gauselmann im ostwestfälischen Lübbecke. Im Rahmen des Jubiläums ließ Unternehmensgründer Paul Gauselmann seine Firmengeschichte Revue passieren, die mit einem quergeschriebenen Wechsel über 100.000 Deutsche Mark und 17 Musikboxen begann. Heute ist die Gauselmann Gruppe, für die mehr als 12.000 Mitarbeiter tätig sind, Marktführer der Automatenbranche. Im vergangenen Jahr konnte das Unternehmen ein Geschäftsvolumen von etwa 2,5 Milliarden Euro verzeichnen. Mit Blick auf das laufende Geschäftsjahr erklärte Paul Gauselmann: “2017 hat das Unternehmen erstmals mehr Umsatz im Ausland gemacht, ohne dabei das Inland aus den Augen zu verlieren.” Und er zeigte sich überzeugt, dass seine Firma Marktführer in der Bundesrepublik sei und dies auch bleiben werde. In diesem Zusammenhang dankte er auch zahlreichen Wegbegleitern

“Niemand kann vorhersagen, wie der IS mit Blick auf Europa reagieren wird.”

Behörden Spiegel: Wird die Aus- und Fortbildung bei Ihnen künftig zusammen mit den Ländern stattfinden?

das Sportwettunternehmen der Gauselmann Gruppe, tätig sein werde.

Jubiläum mit großer Feierlichkeit begangen

(BS/Mario Hoffmeister*) Die Gauselmann Gruppe konnte kürzlich ihr 60-jähriges Bestehen verzeichnen. Und das wurde angemessen begangen: Mehrere Auszeichnungen mit einem kompletten Festwochenende, bei dem zahlreiche Künstler auftraten. An den ersten beiden Veranstaltungstagen waren jeweils mehr als Vorstand Armin Gauselmann 2.500 Menschen zu den Feierlichkeiten eingeladen. nutzte die Feierlichkeiten auch, entgegenbringt, ist der Automatenbranche nicht immer widerfahren.” Zugleich sprach sich der Sozialdemokrat gegen eine Überregulierung des Glücksspiels aus. Hermann Otto Solms (FDP), ein Freund Gauselmanns, wiederum bezeichnete den “unbändigen Willen, erfolgreich zu sein” als “geheime Formel für Unternehmertum, für die Paul Gauselmann ein Repräsentant ist”. Unternehmensgründer Paul Gauselmann (Foto) nutzte die Jubiläumsfeierlichkeiten auch, um die 60-jährige Geschichte seines Familienunternehmens Revue passieren zu lassen und auf die Anfänge der Firma zurückzuschauen. Foto: BS/Gauselmann AG

und insbesondere seiner großen Familie, auf die er sehr stolz sei.

Zahlreiche Gratulanten Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten würdigten darüber hinaus zahlreiche Redner das

Lebenswerk Paul Gauselmanns. Zu ihnen gehörte unter anderem der ehemalige nordrheinwestfälische Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD). Er sagte: “Die Fairness, die Paul Gauselmann seinen Geschäftspartnern

Lob für Unternehmensgründer Weitere Grußworte hielten Elmar Brok, Mitglied des Europäischen Parlaments, sowie Georg Stecker, Sprecher des Vorstands der Deutschen Automatenwirtschaft. Brok lobte dabei den Mut und die Entscheidungsfähigkeit Paul Gauselmanns. Des Weiteren stellte er das umfassende soziale Engagement des

Firmengründers für die Region Minden-Lübbecke heraus. Stecker wiederum führte den Einsatz für die Automatenbranche an, in der Paul Gauselmann unter anderem seit 1981 als Vorsitzender des Verbands der deutschen Automatenindustrie (VDAI) aktiv ist. Er unterstrich: “Sie haben immer den Blick für das Ganze und setzen sich für die gesamte Branche ein – das ist großartig.” Und der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, schließlich bezeichnete Gauselmann als “eine der größten Unternehmerpersönlichkeiten, die ich kenne”. Weitere Grußworte kamen von Schauspieler Mario Adorf und Fußballer Lukas Podolski. Dieser gab dabei übrigens bekannt, dass er ab Anfang kommenden Jahres als Markenbotschafter für XTiP,

um zusammen mit Paul Gauselmann mehr als 120 langjährige Mitarbeiter auszuzeichnen. Darunter waren erstmals auch Jubilare, die seit 45 Jahren im Familienunternehmen tätig sind. Dabei machte Armin Gauselmann deutlich: “Wir hoffen, dass dieser Trend sich fortsetzt.” Und dann überraschte er Paul Gauselmann mit einer ganz besonderen Auszeichnung. Er überreichte ihm im Namen der gesamten Familie eine Urkunde für den einzigen Jubilar – mit 60 Jahren Firmenzugehörigkeit. Darüber hinaus erhielt der Unternehmensgründer vom Merkur Senioren Club, zu dem weit über 100 ehemalige Beschäftigte gehören, eine goldene Münze. In diese ist das Konterfei Paul Gauselmanns eingraviert. *Mario Hoffmeister ist Leiter der Kommunikationsabteilung der Gauselmann AG.


Innere Sicherheit

Behörden Spiegel / Oktober 2017

I

nternational fokussierten sich Strafverfolgungsbehörden, Militär, Nachrichtendienste und Medien derzeit zu sehr auf die Bekämpfung des Daesh und haben so al-Qaida viel Raum gelassen, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt wieder zu erstarken und sich zu reorganisieren. Mitte dieses Jahres erklärte der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi das Ende des Daesh-Kalifates (ISIS/ISIL) – fast exakt drei Jahre nach dessen Proklamation in Mossuls alNouri-Moschee durch Abu Bakr al-Baghdadi. Der Daesh aber hatte längst vorgesorgt, denn er hat sich weltweit in anderen Regionen eingenistet, seine mittlere Führungsebene dorthin entsandt und schon im April den “Dialog” mit al-Qaida, aufgenommen, wie der irakische Vizepräsident Ayad Allawi sagte. Ziel war eine mögliche Vereinigung oder zumindest ein bessere Koordination der Aktivitäten.

Führungsebene wird stärker Mit jedem Verlust, den der Daesh in seinem “syrakischen Staatsgebiet” in personeller, finanzieller oder geografischer Hinsicht erleidet, wird seine strategische Ausrichtung sichtbarer, verbreitert sich sein Aktionsradius und werden seine globalen Provinzen aktiver, insbesondere im asiatischen Raum. Gleichzeitig treten dabei aber auch die Konturen der mit dem Daesh konkurrierenden alQaida und anderer Terrororganisationen schärfer zutage. Die Führungsebene von AlQaida-Core mit Sitz im afghanisch-pakistanischen Raum erstarkt zunehmend. Anführer Ayman al-Zawahiri rief erneut die islamistischen Kämpfer zur Einheit auf. Er will offensichtlich die globale Struktur erneuern, stärken und profilieren. Zudem arbeitet er derzeit auf Fusionen oder Kooperationen der regionalen Zellen und auf Joint Ventures hin, um attraktiver als der Daesh zu werden, um wieder Deutungshoheit und Vorherrschaft im islamistischen Terror zu gewinnen und um die Ressourcen des Daesh für al-Qaida (zurück) zu gewinnen. Ein vor allem für den Westen tödlicher

Der Islamismus wandelt sich Terrorgruppen wollen sich zunehmend zusammenschließen (BS/Uwe Kranz) Warum sehen wir nur die Bäume – nicht aber den ganzen Wald? Derzeit formiert sich der internationale islamistische Terrorismus neu. Das aktuelle Motto lautet “Unity”. Das Ziel ist die Vereinigung aller bislang verfeindeten, rivalisierenden oder nur zu Täuschungszwecken separierten Terrorgruppen, zumindest aber die friedliche und weitgehend lautlose territoriale Verteilung der Machtbereiche. in Syrien unter Führung von Abu Muhammad al-Jaulani, der sich vom Daesh Der Terrorismusexperte des abwandte, sich Behörden Spiegel, Uwe weitestgehend Kranz, warnt vor immer öfter stattfindenden Fusionen verzu al-Qaida beschiedener, zuvor eigenstänkannte, aber auf diger Terrorgruppen. Eigenständigkeit bestand. Foto: BS/Dombrowsky Seit 2016 ist die Wettlauf, denn auch der Daesh JFS eine der wichtigsten regiomuss seine Anstrengungen er- nalen Akteure im “syrakischen höhen, allein schon, um den Proxy-Krieg”, der es schon früh Verlust seines größten Trump- gelang, Kämpfer aus einer Vielfes, den er besaß, zu kompensie- zahl anderer Terror- und Rebelren: seines “Kalifates”. lengruppen abzuwerben. Auch die Taktik, sichere RückzugsBin-Laden-Sohn gewinnt an räume geschaffen zu haben, hat Bedeutung zu einer deutlichen Erstarkung Hamza bin Laden, Osama bin der al-Qaida in Syrien geführt. Ladens Sohn, gewinnt unter der Anleitung von Al-Zawahiri JFS hat Verbündete gefunden immer mehr an Einfluss und Seit Jahresbeginn hat sich die ruft zu weltweiten “Lone-wolf”- JFS jedoch auch offiziell mit Anschlägen auf. Die von ihm den vier anderen salafistischen genannten potenziellen Ziele Terrorgruppen der Region versollen Juden, Amerikaner, Na- bündet und damit eine neue to-Einrichtungen und -Staaten, Bewegung gegründet: Hay’at sowie Russen sein. Mithilfe von Tahirir al-Sham (HTS), was auf “Open-Source-Jihad”-Material, Deutsch so viel wie “Organisadas al-Qaida weltweit zur Ver- tion für die Befreiung der Lefügung stellt, könnten derartige vante”, bedeutet. Al-Jaulani ist Vor-Ort-Anschläge relativ leicht einer der beiden Anführer der vorbereitet werden. In seinem HTS, und zwar der militärische. Printmedium ““Inspire” rief Der zweite ist Abu Jaber, früher Hamza bin Laden Mitte August Anführer der konkurrierenden seine Anhänger auf, Züge in den Ahrar al-Sham. USA und Europa zu attackieÜber die “al-Qaida im islamiren: Überfälle auf Abteile, Ent- schen Maghreb” (AQIM) wurde gleisungen oder Anschläge auf deutlich mehr berichtet, insBahnhöfe. besondere weil sie durch draNur wenig später wurde in matische Entführungen meist europäischen Medien in den westlicher Geiseln und hoher vergangenen Monaten über die Lösegelderpressungen schon syrische Terrorgruppe Jabhat früh von sich reden machte. InFateh al-Sham (JFS) berichtet, zwischen ist die AQIM aber auch die sich bis Juli letzten Jahres immer stärker in die zentral- und al-Nusra-Front nannte. Erst seit nordafrikanischen Geschäfden Diskussionen über Katars te des kriminellen Dschihads Terror-Finanzhilfen wurde wie- eingestiegen, dem Drogen- und der klarer, was unter JFS zu Waffenschmuggel, dem Menverstehen ist: eine Terrorgruppe schenhandel und, besonders und ehemalige al-Qaida-Filiale signifikant für Europa, der Mi­

Düsseldorfer Innenministerium unterliegt Mindestgröße nur für männliche Polizeianwärter verworfen (BS/Marco Feldmann) Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat entschieden, dass männliche Bewerber für den nordrhein-westfälischen Polizeivollzugsdienst nicht abgelehnt werden dürfen, wenn ihre Körpergröße unter den geforderten 168 cm liegt. Ein 32-jähriger Mann, der hingegen 166 cm groß war, hatte dagegen geklagt, weil er vom weiteren Auswahlverfahren ausgeschlossen wurde. Begründet worden war dieser Schritt mit der Erlasslage im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland. Dieser zufolge beträgt die Mindestgröße für weibliche Polizeidienstanwärter 1,63 und für männliche 1,68 Meter. Gegen diese Festlegungen klagte der abgelehnte Bewerber erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Die vom Land eingelegte Berufung vor dem OVG gegen dieses erstinstanzliche Urteil hatte keinen Erfolg. Die Münsteraner Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Festlegung einer Mindestgröße von 168 Zentimetern nur für männliche Bewerber durch Erlass der obersten Landesbehörde rechtswidrig sei.

Nur Vorteilsausgleich als Ziel Der Zugang zum Beamtenverhältnis dürfe nämlich laut den grundgesetzlichen Bestimmungen ausschließlich von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung abhängig sein. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil das Land mit der höheren Mindestgröße für Männer nur einen Vorteilsausgleich zur Vermeidung einer Benachteiligung von Frauen zum Ziel habe. Hin-

Seite 51

Mindestgrößen, die ausschließlich für männliche Polizeidienstanwärter gelten, dürfen nicht per Verwaltungserlass festgelegt werden. Das entschied kürzlich das Münsteraner Oberverwaltungsgericht und verwarf damit eine Berufung des nordrheinwestfälischen Innenministeriums. Foto: BS/Andreas Trojak, CC BY 2.0, flickr.com

gegen gehe es dem Dienstherrn dabei nicht um eine Konkretisierung von Anforderungen an die körperliche Eignung. Die Abwägung verfassungsrechtlicher Gewährleistungen sei jedoch dem Gesetzgeber selbst vorbehalten und dürfe nicht auf

dem Erlassweg durch die Verwaltung erfolgen. Die generelle Festlegung einer Mindestgröße von 163 Zentimetern für den nordrhein-westfälischen Polizeivollzugsdienst bemängelten die Münsteraner Richter hingegen nicht (mehr zur Mindestgröße im Polizeivollzugsdienst lesen Sie auch auf Seite 8). Hier habe der Dienstherr im Sinne seiner Gestaltungsfreiheit einen Einschätzungsspielraum, ab wann für ihn die Polizeidiensttauglichkeit gegeben sei. Zumal, wenn er das anhand der Ergebnisse einer umfassenden Untersuchung festmachen könne.

Nichtzulassungsbeschwerde noch möglich Gegen das Urteil kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingelegt werden, weil das OVG dieses Rechtsmittel aufgrund angeblich fehlender grundsätzlicher Bedeutung des Sachverhalts zunächst nicht zugelassen hat. Dagegen kann das Land Nordrhein-Westfalen allerdings Nichtzulassungsbeschwerde erheben. Über diese müssten dann ebenfalls die Bundesrichter entscheiden.

grantenschleusung. Die Schlepper- und Schleuserdienste sind augenscheinlich lukrativer als etwa Lösegelderpressungen, obwohl schon diese millionenschwer sind.

AQIM schloss sich mit anderen zusammen Im März fusionierte AQIM jedoch offiziell mit den westafrikanischen sunnitischen Terrorgruppen al-Murabitoun und Ansar Dine und stellte sich nunmehr als neue Jahbat Nusrat al-Islam wal Muslim (JNIM) vor. Mit der Führung dieses Joint Ventures wurde Iyad Ag Ghaly betraut, der ehemalige Anführer von Ansar Dine. In seiner ersten Videobotschaft leistete er sogleich den Treueid auf die Scheiche Ayman al-Zawahiri, Abu Musab Abdel Wadoud und den Emir der afghanischen Taliban, Mullah Haibatullah. In diesem Jahr hat JNIM seine Stärke mit bislang rund 70 Anschlägen in Mali und den angrenzenden Staaten demonstriert. Die “IS-West-African Province” (ISWAP) ist erwachsen aus der nordnigerianischen Terrorgruppe Boko Haram, die sich als gemäßigt betrachtet, weil sie ihren Terror nicht gegen islamische Glaubensbrüder richten wolle und sich deshalb al-Qaida anschloss. Ihr Anführer Abubakar Muhammad Shekau schwor schon im März 2015 dem Daesh”Kalifen” Ibrahim die Treue. Un-

klar ist, ob Schakau noch lebt und ISWAP anführt. Schon im Frühjahr 2016 soll Boko Haram jedoch aufgeteilt worden sein. Abu Musab al-Barnawi soll neuer Anführer einer kleineren Fraktion von Boko Haram geworden sein.

Ausweitung nach Kenia Im Osten Afrikas hält sich seit Jahren die somalische Terrorgruppe al-Shabaab, die einen islamischen Staat am Horn von Afrika anstrebt und deren schwedisch-somalischer Anführer Fuad Mohamed der alQaida schon im Februar 2012 die Treue schwor. Versuche des Daesh, die Gruppe zum Anschluss zu bewegen, schlugen sämtlich fehl. Sie beherrscht weite Teile des Südsudans, führte die strenge Auslegung der Scharia mit drakonischen Strafen ein und expandierte relativ ungehindert nach Kenia.

Serie TERRORZIELE (TEIL 14) Im vergangenen Jahr wurde alShabaab mit 4.000 Anschlagsopfern die mörderischste Terrorgruppe der Welt. Schon 2009 haben sich die saudischen und jemenitischen Zweige von alQaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) uter diesem Namen zusammenschlossen. AQAP war

der große Gewinner der fehlgeschlagenen politischen Veränderungen im Jemen, die zu dem immer noch herrschenden Bürgerkrieg führten. Pragmatisch verbündete sich AQAP mit lokalen Autoritäten, ging mit anderen sunnitischen Gruppierungen Bündnisse ein, assimilierte sich mit Milizen und galt bald als Hauptakteur im Schmuggel und illegalen Handel mit allen Fraktionen. Europaweit bekannt wurde diese Terrorgruppe erst wirklich durch den Terroranschlag auf das Redaktionsbüro der Satirezeitschrift “Charlie Hebdo” Anfang 2015 in Paris. Dieses Attentat war insoweit einzigartig, als dass es koordiniert mit einem Daesh-Anschlag auf einen jüdischen Supermarkt für koschere Ware ausgeführt wurde.

Neue Bedrohung vorhanden Die “al-Qaida im indischen Subkontinent” (AQIS) ist eines der jüngeren Produkte auf dem Weltmarkt des islamistischen Terrors. Obwohl schon früh von al-Qaida-Führer al-Zawahiri gegründet, schätzte man sie zunächst nur als einen Versuch ein, wenigstens regional etwas an Bedeutung zurückzugewinnen. Inzwischen nehmen Experten diese Organisation, mit der alQaida sunnitische Terroristen aus Bangladesch, Myanmar, Indien, Afghanistan und Pakistan zusammenbrachte, in der Region als sehr bedrohlich wahr. Ihr spielte in die Hände, dass in Myanmar Muslime angeblich brutal von Buddhisten unterdrückt und in Bangladesch vom Staat strengstens verfolgt werden. Der AQIS-Anführer, Asim Umar, pflegt einen besonders engen Schulterschluss mit den afghanischen Taliban.

Arbeitsschutz per Notfall-App Anwendung “SaveME“ weist hohe Verfügbarkeit auf (BS/Michael Schenkelberg*) Das Arbeitsschutzgesetz schreibt Unternehmen und Behörden vor, ihre Mitarbeiter vor allen beruflichen Risiken in Bezug auf Leib und Leben zu schützen. Eine Möglichkeit, den strengen rechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, ist die neue hochverfügbare Notruf- und Sicherheits-App für Smartphones und Tablets von Schneider Intercom aus Erkrath.

Datenschutz gewährleistet

In Deutschland ist heute jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, für jeden angebotenen Arbeitsplatz eine individuelle Gefährdungsanalyse anzufertigen. Im Rahmen dieser Untersuchung gilt es auch, die Mitarbeiter zu subjektiv empfundenen Bedrohungsszenarien zu befragen. Stellt sich dabei heraus, dass es im Joballtag zu Situationen kommen kann, in denen die Kollegen Angst um ihre Unversehrtheit haben müssen, ist der Arbeitgeber gezwungen, zu handeln und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dass es dabei gar nicht immer um einrichtungstechnische oder bauliche Lösungen gehen muss, beweist der Sicherheitsund Kommunikationsspezialist Schneider Intercom aus Erkrath.

Hochverfügbare Applikation Das Unternehmen bietet unter dem Namen “SaveME“ eine hochverfügbare Notfall-App für Smartphones oder TabletPCs, die Mitarbeiter in Notlagen hocheffizient unterstützen kann. Waren rein auf Mobilfunktechnik basierende Applikationen bislang aufgrund ihrer Abhängigkeit vom Funknetz nicht in der Lage, professionelle Sicherheitsanforderungen zu erfüllen, schließt die App diese Sicherheitslücke nun durch innovative Technik: Dank der Verbindung zwischen App und mit dem von Schneider Intercom angebotenen Commend-Intercom-Server kann eine ständige Verfügbarkeit sichergestellt werden. Das System erfüllt somit problemlos fachmännische und gewerbliche Ansprüche zur mobilen personenbezogenen Auslösung von Notrufen.

Ein Fingertipp genügt, um Hilfe zu holen: Die “SaveME”-App von Schneider Intercom. Foto: BS/Schneider Intercom

Überall einsetzbar Die Anwendungsszenarien für die neue App sind vielfältig, sowohl in Ämtern, Behörden, öffentlichen Gebäuden sowie Unternehmen und Industrieanlagen bieten sich vielseitige Einsatzmöglichkeiten. Unabhängig vom jeweiligen Szenario reicht stets ein einfaches Fingertippen auf das Smartphone-Display aus, um einen Alarm auszulösen. Dabei wird sinnigerweise zwischen zwei Szenarien unterschieden: Erstens der “Gefahr für alle“, etwa im Falle eines Angriffs von außen, oder dem “Persönlichen Hilferuf“, der im Falle einer unmittelbaren Bedrohung eines Kollegen oder Mitarbeiters zum Tragen kommt.

Weil in jeder Situation die genaue Lokalisierung eines Notrufs unverzichtbar ist, die Anwendung mobiler Alarmsysteme jedoch zumeist “Inhouse“ stattfinden, sind GPS­Signale keine ausreichende Datenquelle. Auch diese Herausforderung löst die neue Schneider-App und bringt eine neue, eigenständige Lösung zur präzisen InhouseLokalisierung. Basis und Plattform dafür ist ebenfalls der Commend-Intercom-Server. Er überwacht ständig die Verfügbarkeit der Smartphones, verwaltet die User, visualisiert deren Status und nimmt die Notrufe auf und verarbeitet sie – natürlich immer unter strenger Berücksichtigung der Datenschutzvorgaben.

Signifikante Prozessverbesserung Die App ist konzeptionell so flexibel aufgebaut, dass sie auf die Bedürfnisse verschiedener Anwendungsumfelder, Kunden und Märkte angepasst werden kann. Ist es beispielsweise gewünscht, können die Nutzer nach einem Alarm per PushNachrichten informiert oder durch automatische Alarmansagen vor einer Gefahr gewarnt werden. Auf diese und ähnliche Weise lassen sich die Prozesse zur Bewältigung einer Krisensituation innerhalb eines Unternehmens, einer Behörde oder einer Bildungseinrichtung maximal unterstützten und signifikant verbessern. *Michael Schenkelberg ist Vertriebs- und Marketingleiter der Schneider Intercom GmbH.


Innere Sicherheit

Seite 52

B

ehörden Spiegel: Herr Grote, Sie waren jahrelang Oberbürgermeister Norderstedts. Inwiefern helfen Ihnen dort gesammelte Erfahrungen in Ihrem neuen Amt? Grote: Das sind eigentlich zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Als Oberbürgermeister sind Sie Bestandteil der kommunalen Selbstverwaltung. Dort bereitet man die Ratsbeschlüsse vor und setzt sie später um. Als Minister hingegen sind Sie Bestandteil der Regierung. Da geht es um die Erarbeitung von Gesetzen und Rechtsnormen, die dann durch Dritte umgesetzt werden. Als Oberbürgermeister, dieses Amt hatte ich 18 Jahre inne, ist man zudem näher an den Problemen der Menschen dran als im Ministeramt und man kann ganzheitlicher handeln. Umgekehrt können Sie als Minister viel schneller unterschiedliche Gruppen zusammenführen und grundsätzliche Lösungen finden. Ich finde, beides sind spannende Aufgaben. Gerade als Innenminister hilft mir das Wissen um kommunale Sorgen und Nöte sehr. Behörden Spiegel: Welches ist Ihr wichtigstes Projekt als neuer Innenminister SchleswigHolsteins? Was wollen Sie als erstes umsetzen? Grote: Eine der brennendsten Aufgaben ist die Integration. Das wird eine große Herausforderung, insbesondere für die Kommunen. Aber auch im Bereich der Inneren Sicherheit ist einiges zu tun. Wir müssen uns zum Beispiel die Frage stellen, wie terrorfest unsere Polizei ist. Außerdem müssen wir uns anschauen, ob die Ausrüstung der Polizeibeamten ausreicht oder ob wir da nachbessern müssen.

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Es kommt auf die Integration an Schleswig-Holsteins Innenminister Grote will Zuständigkeit nicht abgeben

eines einheitlichen MusterPolizeigesetzes wäre hierbei sicherlich länderübergreifend hilfreich, so lange dadurch länderspezifische Regelungen nicht ausgeschlossen werden.

(BS) Er ist erst seit wenigen Monaten Mitglied der nördlichsten deutschen Landesregierung. Dennoch hat der Christdemokrat Hans-Joachim Grote bereits eine umfangreiche Agenda, wie er im Gespräch mit dem Behörden Spiegel verrät. Dazu gehören unter anderem die Themen Integration, Behörden Spiegel: Was halten Sie von Unterstützungen für die Ausrüstung der Polizei und der effektivere Schutz vor Wohnungseinbruchsdiebstählen. Die Fragen stellten R. Uwe Proll und Marco Feldmann. Behörden Spiegel: Was ist noch zu tun? Grote: Und wir müssen den Schutz vor Wohnungseinbruchsdiebstahl verbessern. Diesbezüglich haben wir kürzlich ein Förderprogramm mit zusätzlichen einer Million Euro aufgelegt. Damit unterstützen wir Bürger, die ihre Wohnung oder ihr Haus einbruchsicherer machen möchten und dafür eventuell auch Beratung benötigen. Behörden Spiegel: Noch mal zurück zum Thema Integration. Sollten nach nordrhein-westfälischem Vorbild Integration und Flüchtlingsfragen nicht besser woanders ressortiert werden als Polizeiangelegenheiten? Grote: Ich glaube, das ist für Schleswig-Holstein kein gangbarer Weg. Wir haben hier eine bewusst schlanke Landesregierung mit sieben Fachministern, dem Ministerpräsidenten und dem Chef der Staatskanzlei. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell würde nur funktionieren, wenn Sie eine deutlich höhere Zahl an Ministerien hätten. Bei uns im Norden sind diese Aufgaben übrigens ganz bewusst zusammengeführt worden. Ich bin schließlich auch der Kommunalminister, und bisher funktioniert die Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden hervorragend. Das gilt vor allem für den Bereich der Integration.

“Die Eigenständigkeit unserer Sicherheitsbehörden in den Ländern darf nicht aufgegeben werden.” Hans-Joachim Grote ist neuer Kieler Innenminister. Zuvor war der Christdemokrat 18 Jahre lang Norderstedter Oberbürgermeister. In seinem neuen Amt will er unter anderem untersuchen, wie terrorfest die Landespolizei ist.

linksextrem unterscheiden. Es darf nicht heißen: die einen sind die guten Bösen und die anderen die schlechten Bösen. Behörden Spiegel: Im Kampf gegen Gefährder existiert ja das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum. Benötigt dieses eine gesetzliche Grundlage oder zumindest eine Geschäftsordnung?

Foto: BS/Innenministerium Schleswig-Holstein

Behörden Spiegel: Wie viele Gefährder und relevante Personen gibt es in Schleswig-Holstein? Grote: In Schleswig-Holstein sind wir im Kampf gegen Gefährder gut aufgestellt. Da leisten auch die Beamten im Landeskriminalamt und im Landesamt für Verfassungsschutz wichtige und gute Arbeit. Wir verzeichnen eine untere zweistellige Zahl an Gefährdern bei uns. Dennoch ist klar, dass es auch in Schleswig-Holstein keine absolute Sicherheit geben kann. Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zum Vorschlag Ihres Parteifreundes, Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière, die Befugnisse im Bereich des Verfassungsschutzes beim Bund zu zentralisieren? Grote: Die föderale Sicherheitsarchitektur hat sich bewährt. Anstelle einer Zentralisierung brauchen wir – insbesondere im Bereich der Be-

kämpfung des Terrorismus – eher eine bessere regionale Kooperation zwischen unseren Sicherheitsbehörden auf Landes- und Bundesebene. Außerdem kommt es darauf an, in jeder der Sicherheitsbehörden einen bestimmten Tätigkeitsschwerpunkt zu setzen. Eines ist aber ganz klar: Die Eigenständigkeit unserer Sicherheitsbehörden in den Ländern darf nicht aufgegeben werden. Sie müssen auch in Zukunft weitestgehend eigenständig und eigenverantwortlich entscheiden dürfen. Behörden Spiegel: Der Bund soll also nicht einmal koordinierend tätig sein? Grote: Doch, auf jeden Fall. Diese Aufgabe sollte die Bundesebene zum Beispiel übernehmen, wenn es um überregionale oder gar internationale Phänomene wie Terrorismus oder Spionagetätigkeiten geht. Dass der Bund in solchen Fällen gefordert ist, steht meines Erachtens außer Frage. Behörden Spiegel: Ist aus Ihrer Sicht nach den Gewaltorgien beim G20-Gipfel in Hamburg eigentlich ein schärferes Vorgehen der Sicherheitsbehörden gegen Linksextremisten erforderlich? Grote: Ein konsequentes polizeiliches Vorgehen gegen jede Form extremistischer Gewalt ist unbedingt erforderlich. Das gilt unabhängig von der Frage, aus welchem politischen Spektrum die Gewalt kommt. Da möchte ich nicht zwischen rechts- und

Grote: Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum ist eine wichtige Bund-LänderKooperation. Die Kooperation erfolgt auf Grundlage der bestehenden Gesetze. Es kommt aus meiner Sicht nicht darauf an, sich eine zusätzliche Geschäftsordnung zu geben, die die Befugnisse der Polizei und Nachrichtendienste neu regelt. Entscheidend ist, dass alle sinnvoll und gut zusammenarbeiten und die Informationen einheitlich zusammengeführt werden. Administrative Regelungen stehen für mich nie im Vordergrund, sondern die strategische und operative Ausrichtung; entscheidend ist das gemeinsame Ziel. Behörden Spiegel: Momentan wird über ein Musterpolizeigesetz diskutiert. Welche Elemente müsste eine solche Vorschrift Ihrer Meinung nach enthalten? Grote: Es braucht deutschlandweit gleichartige, kompatible Eingriffsbefugnisse der Polizeien. Wichtig ist, dass Handlungsweisen aufeinander abgestimmt werden. Zugleich dürfen wir jedoch nie vergessen, dass es sich bei Straftaten um individuelle Delikte mit nicht ohne Weiteres zu generalisierenden Verhaltensmustern der Täter handelt. Daher sind vor diesem Hintergrund auch die derzeit diskutierten Themen Telekommunikationsüberwachung, Online-Durchsuchung sowie eventuelle elektronische Fußfesseln immer individuell zu beurteilen und gegebenenfalls einzusetzen. Eine grundsätzliche Handreichung im Rahmen

Polizei, etwa durch Videokameras, Bodycams oder Distanzelektroimpulsgeräten? Grote: Wir werden sicherstellen, dass unsere Polizistinnen und Polizisten modernste Schutzausrüstungen und eine angemessene Bewaffnung erhalten, um auch im Falle terroristischer Angriffslagen handlungsfähig zu sein. Das ist erste Priorität. Ferner werden wir prüfen, ob und welche verhältnismäßigen Mittel im polizeilichen Einzeldienst zu Verbesserungen der Sicherheit führen. Die Einführung von Bodycams halte ich dabei für vordringlicher. Zur Nutzung von Kameras im öffentlichen Raum muss ich sagen: Die flächendeckende Videoüberwachung ist keine Patentlösung. Flächenüberwachung allein verhindert keine Straftat. Anders sieht es bei individuellen Beobachtungen, etwa von Gefährdern, aus. Behörden Spiegel: Wie stehen Sie zu Abschiebungen, auch nach Afghanistan? Grote: Prinzipiell gilt bei uns in Schleswig-Holstein derzeit ein Abschiebestopp nach Afghanistan. Ausnahmen werden nur bei verurteilten Straftätern und Gefährdern gemacht. Behörden Spiegel: Sollten Ihres Erachtens weitere Nationen zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden?

Grote: Ich persönlich hielte eine solche Einstufung bei den Maghrebstaaten für wünschenswert und sinnvoll. Unsere Koalition hat sich aber dafür entschieden, sich bei einer Abstimmung über diese Frage im Bundesrat zu enthalten. Das kann ich angesichts der von den Koalitionspartnern geäußerten Bedenken gegen eine solche Einstufung verstehen. Für mich ist unser Koalitionsvertrag bindend. Die ungekürzte Fassung des Interviews lesen Sie auf www. behoerden-spiegel.de; Suchbegriff: terrorfest

Sicherheit als Lebensmaxime Jörg Schönbohm als “mitfühlender Konservativer” geehrt (BS/kh) Jörg Schönbohm wird häufig als der letzte echte Konservative in der CDU betitelt. Gradlinig und durchsetzungsfähig brachte der 80-jährige CDU-Politiker mehrere Reformen auf den Weg. Getreu dem Motto “Bewahren, was erhaltenswert ist und ändern, was sich nicht bewährte” hat Schönbohm seinen Dienst getan; auf militärischer sowie politischer Ebene. Seinen 80. Geburtstag beging die CDU-Fraktion des Landtags Brandenburg nun kürzlich mit einer Festveranstaltung. Als Kind aus einem evangelisch geprägten, bürgerlich-leistungsorientierten Elternhaus wuchs er im Land Brandenburg auf, welches ihm auch später wieder private sowie politische Heimat werden sollte. Seine militärische Karriere begann Schönbohm kurz nach dem Abitur als Soldat, später als Generalstabsoffizier und er stieg 1979 zum Referatsleiter im Führungsstab der Streitkräfte auf. Mit der Demobilisierung der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR und ihrer Zusammenführung mit der Bundeswehr lieferte er als Befehlshaber des Bundeswehrkommandos Ost das Meisterstück seiner Laufbahn, wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in seiner Festrede konstatierte.

Der Jubilar Jörg Schönbohm (Mitte) wurde vom Innenminister Brandenburgs, Karl-Heinz Schröter (SPD, links), und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im Potsdamer Landtag, Ingo Senftleben (rechts), beglückwünscht. Foto: BS/CDU-Landtagsfraktion Brandenburg

Mitglied der Christdemokraten wurde der Jubilar allerdings erst 1994 im Alter von 57 Jahren. Als späterer Innensenator von Berlin (1996 bis 1998) und Innenminister des Landes Brandenburg (1999 bis 2009) war eines seiner

Hauptanliegen stets eine bestmögliche Innere Sicherheit und eine damit verbundene teilweise restriktive Ausländerpolitik. Ein Preuße sowie ein Konservativer “im besten Sinne des Wortes”, wie Schäuble lobte.


Behörden Spiegel / Oktober 2017

Innere Sicherheit / Katastrophenschutz

Seite 53

Sicherheitsföderalismus im Ausnahmezustand

Einsatzleitsystem modernisiert

Länder können Unterstützungsbedarf nicht mehr abdecken

Berliner Feuerwehr setzt ab sofort auf IGNIS-Plus

(BS/Dr. Alexander Schmelzer*) Das Verhältnis von Bund und Ländern wird grundlegend durch das Gebot der Bundestreue bestimmt. Die Bundes- (BS/mfe) Die Berliner Feuerwehr hat nach 17 Jahren eine neue, moderneglieder sind verpflichtet, im Sinne des sie verbindenden verfassungsrechtlichen Bündnisses zusammenzuwirken und beizutragen. Im Bereich der re Version ihres bisherigen Einsatzleitsystem IGNIS in den Probebetrieb Inneren Sicherheit erfährt die Bundestreue eine besondere Entfaltung. genommen. Die neue Software IGNIS-Plus laufe stabil, unterbrechungsfrei und funktional, erläutert Philipp Klein, Branddirektor bei der Berliner Das bundesdeutsche Sicher- Einsatz von Beweissicherungs- Bundespolizei verifiziert und -stärke ursächlich für eine un- Feuerwehr. heitssystem ist auf Kooperation ausgelegt. Sicherheit im kooperativen Staat bedeutet, dass die unterschiedlichen Ebenen in einem föderalen Verbund zusammenarbeiten müssen. Dies gilt erst recht in Ausnahmesituationen. Das Grundgesetz sieht ein gestuftes System je nach Eskalationsschwere vor, die schrittweise dem Bund mehr Kompetenzen zuweist. Diese normativ-verfassungsrechtliche Vorsorge auf das Abweichen von polizeilichen Normalkompetenzen basiert maßgeblich auf den gegenseitigen Beistandsund Unterstützungspflichten der Bundestreue, wie sie unter anderem in den Artikeln 35 und 91 des Grundgesetzes verankert sind. Dies soll gewährleisten, dass im Bedarfsfall polizeiliche Einheiten des Bundes und der Länder zur Verfügung stehen, um existenzbedrohende Notstandsituationen sowie notstandsähnliche Gefahrenlagen qualifiziert zu bewältigen. Die Regierungen von Bund und Ländern haben hierfür Verwaltungsabkommen geschlossen und sollen, in dem dort vereinbarten Rahmen, ihre Einheiten verfügbar halten.

Seit 2006 keine volle Bedarfsdeckung mehr Ab 2006 waren die Länder allerdings nur noch in der Lage, 65 Prozent der angeforderten Bereitschaftspolizeihundertschaften bereitzustellen. Selbst mit Bundesunterstützung konnte nur rund 80 Prozent des Bedarfes entsprochen werden. Beim

und Festnahmehundertschaften konnte der Unterstützungsbedarf bereits im Jahr 2003 durch die Länder nicht mehr gedeckt werden. Bis zum Jahr 2010 konnte der Bund diesen Fehl noch kompensieren. Die Gesamtzahl länderübergreifender Unterstützungsersuchen stieg, jedoch nicht die Anzahl der angeforderten und eingesetzten Kräfte. Die frühere Anforderung mehrerer Einheiten aufgrund besonderer Großeinsätze wich ab dem Jahr 2007 einer hohen Anzahl von Klein(st)-anforderungen in der Größenordnung einer Einheit, unter anderem für Fußballeinsätze und Volksfeste. Im Jahr 2012 konnten nur noch vier Länder mehr Unterstützung leisten, als sie selber Kräfte anforderten. Zehn Bundesländer nahmen mehr Unterstützung in Anspruch als sie selbst leisteten. Nur in zwei Ländern neutralisierten sich Anforderung und Unterstützungsleistung.

Landesausgaben nahmen zu Die Landesausgaben für Unterstützungseinsätze stiegen erheblich. Gleiches galt für die Einnahmen aus eigenen Unterstützungsleistungen, wie die Ergebnisse der Dissertation zeigten. In dieser wurden die Entwicklung von Unterstützungseinsätzen sowie der Personal- und Haushaltssituation von Polizei in Bund und Ländern im Zeitraum zwischen 2000 und 2012 analysiert, die Erkenntnisse durch Experten des Bundesinnenministeriums und der

am Maßstab der Bundestreue gespiegelt. Im Untersuchungszeitraum traten Ausnahmesituationen wie der überregionale Notstandsfall, der innere politische Notstand oder der Verteidigungsfall nicht auf. Die Bewältigung besonderer Einsatzlagen erfolgte überwiegend im Sinne von Artikel 35 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes, der die Wiederherstellung oder Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung regelt. In geringerem Umfang erfolgte die Bewältigung derartiger Lagen auch im Sinne von Artikel 35 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Dieser regelt die Unterstützung bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen.

Bisheriges System hat Grenzen erreicht Gleichwohl wiesen Sicherheitsexperten darauf hin, dass viele Einsatzlagen bei ungehinderter Entwicklung zu den verfassungsrechtlichen Gefahrenlagen hätten führen können. Das bisherige System der gegenseitigen Unterstützung auf Basis des Solidaritätsgedankens hatte bereits bei der Bewältigung der untersten Stufe von Verfassungslagen seine Grenzen erreicht. Das kritische Maß an erforderlichen verfügbaren Einheiten war bundesweit unterschritten und führte zu einer Abkehr vom Solidaritätsgedanken, wie unter anderem auch aus Drucksachen des nordrhein-westfälischen Landtages hervorging. Bei der Untersuchung wurde deutlich, dass weder Polizeidichte noch

ausgewogene Anforderungsund Unterstützungskultur waren, sondern das Verhältnis von Bereitschaftspolizei zur Gesamtstärke der Polizei. Verfügbarkeitsreduzierend wirkten sich zudem die tatsächliche Besetzung der Dienstposten bei den Einsatzeinheiten und deren (zweckfremde) Verwendung aus.

Weitere Arbeit vonnöten Die Schwelle, ab wann ein Land Kräfte anfordert und damit de facto die eigene Staatssouveränität preisgibt, ist ein Indiz für die Beschaffenheit der Sicherheitsarchitektur. Die singuläre Betrachtung der Bewältigung besonderer Einsatzlagen kann dabei nur die Spitze des Eisberges sein und lässt viele Fragen offen. Eine Fortsetzung dieser Untersuchung wäre in Anbetracht des wiederkehrenden Bedarfes an bereitschaftspolizeilichen Einheiten sowie kommender Einsätze mit Sicherheit zielführend. Dabei könnten die kürzlich veranlassten positiv stimmenden Investitionen in die Bereitschaftspolizeien von Bund und Ländern berücksichtigt werden. *Dr. Alexander Schmelzer ist Leiter der Bundespolizeiinspektion Magdeburg. Seine Dissertation: “Sicherheitsföderalismus im Ausnahmezustand – Einsatz der Bundespolizei zur Unterstützung der Länder am Maßstab der Bundestreue”, auf deren Ergebnissen dieser Artikel maßgeblich beruht, verfasste er an der Deutschen Hochschule der Polizei in den Jahren 2012 bis 2015.

Die Berliner Feuerwehr nutzt seit Kurzem das neue Einsatzleitsystem IGNISPlus. Dieses ersetzt die bisherige Software, die 17 Jahre lang verwendet wurde. Fotos: BS/Feldmann

Gleichzeitig räumt Klein aber auch ein, dass es anfangs leichte Probleme mit dem neuen Geo-Informationssystem (GIS) gegeben habe. Da dieses in der neuen Version aber strikt vom Einsatzleitsystem getrennt sei, hätte es keine Auswirkungen auf die Notrufannahme in der Leitstelle gegeben. Klein berichtet: “Zwar lud das Kartenmaterial etwas langsamer, Folgen für die Wirksamkeit des Einsatzleitsystems hatte das aber nicht.” Und Stephan Koch, Senior Manager Public Services bei Sopra Steria Consulting, dem Hersteller von IGNIS-Plus, ergänzt: “Das neue System besteht aus mehreren Ebenen. Das hat den Vorteil, dass bei Wartungsarbeiten nicht das gesamte System abgeschaltet werden muss.” Des Weiteren sei IGNIS-Plus modular aufgebaut. Klein wiederum lobt die Vielzahl an Schnittstellen des neuen IGNIS-Plus. Außerdem erklärt der Branddirektor, dass

der Übergang zum Probebetrieb von IGNIS-Plus zweistufig erfolgt sei. “In einem ersten Schritt wurde das alte Einsatzleitsystem IGNIS abgeschaltet. In einer zweiten Stufe wurden dann die Services von IGNIS-Plus gestartet.“Der Echtbetrieb des neuen Einsatzleitsystems soll in der Bundeshauptstadt Ende September 2018 beginnen.

vermehrt gegen Drogen- und Straßenkriminalität im Bahnhofsviertel vorgegangen. Die neue Einheit werde hessenweit die größte operative Dienststelle sein, kündigte Landesinnenminister Peter Beuth (CDU) an. Zudem betonte der Wiesbadener Ressortchef: “Die hessische Polizei wird ihr Engagement für mehr Sicherheit im Bahnhofsviertel mit der neuen Schwerpunkteinheit noch einmal deutlich intensivieren.” Nach den

Erfolgen der BAO werde man nun nicht nachlassen, sondern vielmehr mit einem verstärkten Personaleinsatz und konsequenter Polizeiarbeit dafür sorgen, dass sich die Situation im Bahnhofsviertel weiter verbessere. Keinesfalls werde man “No-Go-Areas” oder rechtsfreie Räume dulden, stellte Beuth klar. Im Frankfurter Bahnhofsviertel gab es in der Vergangenheit Probleme mit alkohol- und drogenabhängigen Personen.

In den Echtbetrieb soll Ignis-Plus erst im September 2018 gehen. Bis dahin läuft das System noch im Probebetrieb.

MELDUNG

Zusätzliche Beamte (BS/mfe) Rund um den Hauptbahnhof der Bankenmetropole Frankfurt am Main sind seit wenigen Tagen 120 zusätzliche Polizeivollzugsbeamte im Einsatz. Sie gehören zu einer neuen Einheit der hessischen Landespolizei. Diese Dienststelle ersetzt die seit November vergangenen Jahres existierende “Besondere Aufbauorganisation Bahnhofsgebiet” (BAO). Deren rund 100 Mitglieder waren seither


Katastrophenschutzkongress

Seite 54

Behörden Spiegel / Oktober 2017

13. Europäischer Katastrophenschutzkongress Es bleibt noch vieles zu tun

S

o machte zum Beispiel der Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Torsten Akmann, klar: “Die Trennung zwischen Bevölkerungs- und Zivilschutz ist heutzutage nur noch juristischer Natur.” Und der stellvertretende Direktor des Schweizer Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, Christoph Flury, betonte: “Die Herausforderungen an den Katastrophenschutz sind komplexer geworden.” Zudem konstatierte der diesjährige Kongresspräsident, dass der Zivilschutz mittlerweile wieder an Bedeutung gewinne und die Gefährdungen inzwischen oftmals einen internationalen Charakter aufwiesen. Aufgrund dessen seien auch grenzüberschreitende Antworten erforderlich. Und der neue Moderator der Veranstaltung, Rainer Schwierczinski, Präsident der nordrhein-westfälischen THW-Landeshelfervereinigung resümierte: “Das Thema Sicherheit gewinnt immer mehr an Bedeutung. In sicherheitspolitischen Fragen müssen wir langfristig denken.” Auch Hermann Schreck, Vizepräsident des Deutschen Feuerwehr-

Norman Gobbi, Tessiner Staatsrat und Präsident der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr, plädierte für die verstärkte Anwendung eines integralen Risikomanagements.

Auch Katastrophenschutzbehörden müssen sich an neue Sicherheitslage anpassen

(BS/Marco Feldmann/Dr. Gerd Portugall) Hybride Bedrohungen, Ausfall Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) und durch Kriegswaffen verursachte Verletzungsbilder. All diese Entwicklungen zeigen: Auch die nicht-polizeilichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in ganz Europa stehen vor neuen, bisher nicht bekannten Herausforderungen. Diese zu bewältigen, wird einige Veränderungen und Reformen erfor- Aufgabenbereiche enger verknüpfen derlich machen. Darin waren sich zahlreiche Referenten des diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongresses einig. verbandes (DFV), wies auf den künftigen Anpassungsbedarf hin, als er unterstrich, dass Naturereignisse wie Stürme oder Unwetter künftig in kürzeren Abständen und in größerer Stärke zu erwarten seien und die Terror- und Amokgefahr keineswegs gebannt sei. Dies mache ein völlig neues Eigenbild der Feuerwehren sowie klare Aufgabenverteilungen und eindeutige Führungsstrukturen erforderlich. Darüber hinaus verlangte Schreck, die Kommunikation zwischen den Blaulichtorganisationen zu optimieren, die länderübergreifende Hilfe anzugleichen und sowohl die administrativen als auch die operativen Ebenen der nichtpolizeilichen BOS besser aufeinander abzustimmen. Hierfür bedürfe es einer veränderten Ausbildung sowie intensiverer Übungen. Zudem forderte der DFV-Vize eine bessere Verzahnung freiwilliger und hauptamtlicher Kräfte und eine Kompensation des vorhandenen Personalmangels durch moderne Technik. In diesem Zusammenhang zeigte sich Schreck überzeugt: “Drohnen werden ein Standardeinsatzmittel im Katastrophen- und Zivilschutz werden.”

KRITIS-Betreiber und Bürger müssen liefern Der Berliner Staatssekretär Akmann wiederum nahm eher die Bürger in die Pflicht, als er an sie appellierte: “An einer privaten Notfallvorsorge neben der staatlichen Daseinsvorsorge

An zahlreichen Ständen konnten sich die rund 400 Besucher des diesjährigen Europäischen Katastrophenschutzkongresses des Behörden Spiegel in Berlin über die neuesten Innovationen und Entwicklungen im Bereich des Katastrophenschutzes informieren. Fotos: BS/Giessen

führt kein Weg vorbei.” Außerdem verdeutlichte er, dass die Selbsthilfefähigkeiten der Bevölkerung aus seiner Sicht noch ausbaufähig seien und auch die KRITIS-Betreiber ihre Resilienzfähigkeit weiter stärken müssten. Dies gelte etwa in Bezug auf die Absicherung ihrer Anlagen gegen Wetter- und Umweltgefahren oder Cyber-Attacken. Des Weiteren müssten sie im engen Austausch mit den Aufsichtsbehörden stehen. Dabei schwebe ihm aufgrund großer Interdependenzen ein gemeinsames Lagezentrum von Bund und Ländern vor, so Akmann.

Schadenshöhen nehmen zu Den internationalen Vergleich, der für die Tagung besonders wichtig ist, zog der Tessiner Staatsrat Norman Gobbi. Er betonte, dass die Schweiz zwar ein kleines Land sei, aber dennoch

Der nächste “Katastrophenschutzkongress” des Behörden Spiegel findet im September 2018 wiederum in Berlin statt. über einen großen Erfahrungsschatz mit Naturkatastrophen verfüge. Der Präsident der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) verwies diesbezüglich unter anderem auf die Nationale Risikoanalyse 2015 “Katastrophen und Notlagen” für die Schweiz, die vom Berner Bundesamt für Bevölkerungsschutz erarbeitet worden war. Aufgrund der feststellbaren kontinuierlichen Zunahme der Schadenshöhen müsse ein integrales Risikoma-

nagement intensiviert werden. Und noch etwas war ihm wichtig: “Krisenbewältigung ist inzwischen nur noch durch die Kooperation unterschiedlicher Stellen möglich.” In dieselbe Richtung äußerte sich die eidgenössische Botschafterin in der Bundesrepublik, Ihre Exzellenz Christine Schraner-Burgener: “Katastrophen kennen inzwischen keine Grenzen mehr.” Vorsorgemaßnahmen seien deshalb ein wichtiger Bestandteil im Rahmen des Sicherheitsverbundes Schweiz, so Gobbi. Dessen Hauptpartner bestünde aus dem Bund, den 26 Kantonen sowie den großen Städten. Daneben gebe es das Verbundsystem Bevölkerungsschutz. Darin sei etwa geregelt, dass Männer mit Schweizer Bürgerrecht im Zivilschutz dienstpflichtig seien, sofern für die Schutzdienstleistung tauglich und nicht Militäroder Zivildienst leistend.

Der Schweizer Nationalrat erwähnte auch die subsidiäre Unterstützung durch die Armee: Falls die Kapazitäten anderer Behörden erschöpft seien, solle das Militär mithelfen. So könne es Sicherungsaufgaben übernehmen, wie etwa beim Davoser Weltwirtschaftsforum, allgemeine Unterstützung bieten – zum Beispiel bei der Tour de Suisse – oder militärische Katastrophenhilfe leisten. Letzteres sei etwa beim letzten Waldbrand im Tessin der Fall gewesen, so Gobbi. In Deutschland hingegen

Dringender Gesprächsbedarf

“Civil Defence” wird wieder wichtiger

Ehrenamt braucht neue Organisationsformen

(BS/por) Auf “plötzliche Bevölkerungsbewegungen in einer Größenordnung von bis zu zwei Prozent der Gesamtbevölkerung”, also rund zehn Millionen Menschen, müsse sich die Europäische Union (EU) nach einer Empfehlung der Atlantischen Allianz (NATO) einstellen. Das sagte Dr. Johannes Luchner, Direktor für Katastrophenmanagement bei der Generaldirektion für Humanitäre Hilfe und Zivilschutz (DG ECHO) der Europäischen Kommission. müsse man leider künftig auch gegen Angriffe mit CBRN-Mitteln sein, wobei der Schwerpunkt der Bedrohung weniger im Bereich radiologisch-nuklearer als vielmehr im Bereich biologisch-chemischer Waffen liege.

Der Berliner Innenstaatssekretär Torsten Akmann verlangte sowohl von den Bürgern als auch von den Betreibern Kritischer Infastrukturen (KRITIS), ihre Resilienzfähigkeiten zu erhöhen.

(BS/jf) Deutschland sei auf tatsächliche Katastrophen gar nicht vorbereitet, sagt Dr. Johannes Richert, Stellvertreter des Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Die bestehenden Strukturen seien viel zu kleinteilig und auf Fälle mit mehreren Hundert Massenverletzten nicht vorbereitet. Und nicht zuletzt gebe es rechtlichen Nachholbedarf. Die gesamte Organisation des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes sei lokal ausgerichtet und gehe von wachsenden Ereignissen aus, die mit verschiedenen Modulen bewältigt werden könnten, erläutert der Rot-Kreuz-Vertreter. Doch die Anforderungen ändern sich. Die größte Katastrophe in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg war nach der Anzahl der Notrufe das Hochwasser 2013. In 50 Landkreisen wurde der Katastrophenalarm ausgerufen. Im Einsatz waren neun Prozent aller vorhandenen Kräfte. “Wir brauchen nicht mehr Einheiten, aber wir müssen über das Management der Einheiten nachdenken”, zieht Richert sein Fazit.

Deutsches Defizit In Zukunft könne es zu plötzlichen Bevölkerungsbewegungen von rund zehn Millionen Menschen kommen. Darauf machte Dr. Johannes Luchner von der Europäischen Kommission aufmerksam.

Ebenfalls einen Blick in die Zukunft und über die Grenzen Deutschlands hinaus warf Generalmajor Erwin Strametz, stellvertretender Direktor der österreichischen Anti-Terror-Einheit Einsatzkommando Cobra/Direktion für Spezialeinheiten. Er verlangte: “Die Eigensicherung von Einsatzkräften und die Menschenrettung müssen möglichst eng verschränkt werden.” Nicht zuletzt diese Forderung zeigt, dass die angespannte Sicherheitslage und die latente Terrorgefahr auch Auswirkungen auf die Arbeit von Feuerwehren, Rettungsdiensten und Technischem Hilfswerk haben. Diesen angemessen und effektiv zu begegnen, ist eine europaweite, gesamtstaatliche und -gesellschaftliche Aufgabe sowie das Gebot der Zeit.

Schweizer Armee mit vielfältigen Aufgaben

Bis zu zehn Millionen!

Ein weiteres, “intensiviertes Beschäftigungsfeld” der EUZusammenarbeit mit der NATO im Bereich der Vorsorgemaßnahmen beim Katastrophenmanagement stelle das Thema hybride Bedrohungen, insbesondere durch Cyber-Angriffe, dar. Während in den vergangenen 20 Jahren “der Fokus auf dem Zivilschutz im Sinne von “Civil Protection” gelegen habe, erhalte “nun der Verteidigungsfall im Sinne von ‚“Civil Defence” wieder größere Bedeutung”, so Luchner. Durch den europaweiten Terrorismus hätten die BlaulichtDienste eine sehr schwierige Aufgabe hinzubekommen. Der EU-Beamte wies in diesem Zusammenhang auf einen Workshop im kommenden Monat hin, der die Arbeit in sogenannten roten Zonen, das heißt in Bereichen, in denen noch akute Gefahr für Leib und Leben besteht, zum Thema hat. Gewappnet

ist der Einsatz der Bundeswehr im Innern nur unter deutlich engeren Voraussetzungen möglich. Hierzulande können die Streitkräfte etwa im Falle von Naturkatastrophen eingesetzt werden.

Vor allem bei der Bewältigung von Massenlagen seien die Organisationen überfordert. Bis 2003 konnten in Deutschland bis zu 30.000 Menschen spontan versorgt werden, dann habe der Bund die Finanzierung von Depots und Lagerstätten

gestrichen, sodass diese aufgelöst worden seien, berichtet der Stellvertreter des DRK-Generalsekretärs. Statistisch gesehen gebe es in Deutschland vier Katastrophenfälle pro Jahr, die jeweils bis zu vier Tage dauern würden. “Auf diese KleinKlein-Zahlen ist der gesamte Katastrophenschutz ausgerichtet worden”, bemängelt Richert. Zugleich kritisiert er die Tagesmedien: Schon Unfälle mit wenigen Schwerverletzten würden als Katastrophe dargestellt, dramatische Ereignisse, wie die Dürreperiode El Nino mit 20 Millionen betroffenen Menschen in Afrika, fänden sich kaum in der Berichterstattung wieder.

Deutsches Defizit Besonders die Flüchtlingsbewegung habe das deutsche Defizit bei der Bewältigung von Massenbewegungen deutlich gemacht. “Unsere Schwesterorganisation aus Kanada musste uns mit Feldbetten und anderen grundlegenden Dingen wie Decken aushelfen, weil wir in Deutschland kaum noch etwas

bevorraten”, so der DRK-Vertreter. Ein Platz zur Versorgung und Betreuung von mehr als 500 Verletzten sei nicht mehr realisierbar. Darüber hinaus gebe es noch ein weiteres Defizit. Wenn Ärzte aus Nicht-EU-Staaten in Deutschland aushelfen wollten, seien diese nicht zugelassen und hätten keine Arbeitserlaubnis. Dadurch bestehe eine rechtliche Lücke. “Wie gehen wir mit der Hilfe von außen um, wenn zum Beispiel ein solcher Arzt eine Operation durchführt?”, fragt Richert. Es gebe kein International Disaster Law, kein internationales Katastrophen(schutz)recht. Deshalb müsse es für Krisen supranationale Lösungen geben. Dazu müsse die Resilienz im Katastrophenschutz erhöht werden. Wenn der Verteidigungsetat zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes umfassen soll, warum solle sich dann der Bevölkerungsschutz mit weniger zufrieden geben? Schließlich gelte es, Dimensionen zu betrachten, wenn eine Stadt von der Größe Hamburgs komplett

evakuiert werden müsse, sagte Richert mit Blick auf neue Lagen, die längere Betreuungseinsätze nach sich zögen und auch in Deutschland auftreten könnten. Zum Beispiel, wenn durch den Ausfall Kritischer Infrastrukturen auch nicht-kritische Infrastrukturen ausfiel. “Wir müssen weiterdenken und besser werden”, so Richert abschließend.

Fordert ein Weiterdenken möglicher Szenarien in Deutschland und wie diesen begegnet werden könne: Dr. Johannes Richert, Stellvertreter des DRK-Generalsekretärs.


Katastrophenschutzkongress

Behörden Spiegel / Oktober 2017

D

arin waren sich der Präsident der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), Albrecht Broemme, und JeanPaul Monet von der französischen Feuerwehr Bouches du Rhône einig. Generalmajor Erwin Stramez, stellvertretender Direktor der österreichischen Anti-TerrorEinheit Cobra, wiederum unterstrich: “Bei Großschadenslagen ist eine integrierte Einsatzleitung, in der sowohl Polizei als auch Feuerwehr und Rettungsdienste vertreten sind, sehr wichtig.” Damit deren Arbeit im Ernstfall jedoch auch gelinge, müssten die entsprechenden Abläufe regelmäßig geübt werden.

Es mangelt an Kompatibilität Einsatzführungssysteme oftmals nicht leicht miteinander vereinbar (BS/Marco Feldmann) Die Führungssysteme der unterschiedlichen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) in der Bundesrepublik sind oftmals nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang zu bringen. Noch schlimmer sieht es aus, wenn man den Blick auf deren grenzüberschreitende Kompatibilität wirft.

Führungskulturen weiterhin ungleich Denn er habe die Erfahrung gemacht, so Stramez: “In der Praxis funktioniert die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden in aller Regel. Schwierig wird es hingegen, wenn es ausschließlich um theoretische Fragen geht.” Und ebenfalls weiterhin Schwierigkeiten gebe es in Bezug auf die unterschiedlichen Führungskulturen bei polizeilichen und übrigen BOS, ergänzte Broemme. So führten die Polizeibehörden häufig weiterhin von hinten, während die Feuerwehren von vorne führten. Allein das zeige, dass “wir da in Deutschland noch viel zu tun haben.” Ähnliches berichtete Monet aus Frankreich. Auch dort gebe es bei den BOS immer noch differierende Führungssysteme. Aus diesem Grunde hielt er fest: “Es wäre sinnvoll, auf europäi-

Diskutierten über unterschiedliche, oftmals nicht einfach miteinander in Einklang zu bringende Führungssysteme und -kulturen: Generalmajor Erwin Stramez aus Österreich, Berlins Landesbranddirektor Wilfried Gräfling (Moderator), THW-Präsident Albrecht Broemme und Jean-Paul Monet von der französischen Feuerwehr Bouches du Rhône (v.l.n.r.). Fotos: BS/Giessen

scher Ebene ein Führungssystem zu entwickeln.” Und noch eine Idee brachte Monet auf: Selbst wenn das in den USA verwendete Kommandosystem in seiner Gesamtheit nicht nach Europa passe, sollte dennoch überlegt werden, einzelne Elemente zu übernehmen. Bisher werde noch zu oft die Souveränität der einzelnen Nationalstaaten als Vorwand für ein Nichtstun im Bereich der Führungssysteme vorgeschoben, kritisierte der Franzose. Broemme wiederum unterstrich die Bedeutsamkeit des

Zwischen Ernährungsvorsorge und Helfersteuerung Das Forschungsprogramm des Bundes sei jedoch vor allem auf die Bevölkerung ausgerichtet. Hauptsächlich sollen die Fähigkeiten der Bevölkerung gestärkt

Tom de Groeve, Abteilungsleiter im Gemeinsamen Forschungszentrum “Institut für Schutz und Sicherheit des Bürgers” (IRC-IPSC) der Europäischen Kommission, plädierte für einheitliche Wissenschaftsstandards.

Grundsatzes “In Krisen Köpfe kennen” und machte deutlich, dass mit den Planungen für die Bewältigung von Großschadenslagen nicht erst bei deren tatsächlichem Eintritt begonnen werden dürfe.

Ohne Führung geht es nicht Denn es gelte: “Nach der Katastrophe ist vor der Katastrophe.” Zudem appellierte der THWPräsident an die rund 400 Kongressteilnehmer, als er sagte: “Es braucht ein Gesicht für die Kommunikation im Krisenfall.” Darüber hinaus konstatierte der

Chef der Bundesanstalt: “Eine gute Führung ist für den Einsatzerfolg entscheidend. Ohne Führung kann man alles andere vergessen.”

Internationale Kooperation funktioniert Und er berichtete, dass die internationale Zusammenarbeit nach Naturkatastrophen, vor allem auf der Ebene der Europäischen Union sowie der Vereinten Nationen, allen nationalen Besonderheiten in Bezug auf Führungssysteme zum Trotz gut funktioniere. Einzige

Bedingung dafür sei, dass der betroffene Staat um Unterstützung bitte. Dennoch gebe es bei Großschadenslagen eine unvermeidliche, vorübergehende Chaosphase, warf Stramez ein. Diese entstehe aufgrund einer solchen Ereignissen inhärenten Führungsproblematik in Bezug auf die Fülle sowie die Verarbeitungsmöglichkeiten von Informationen. Deshalb konstatierte der stellvertretende Cobra-Kommandeur auch: “Spezialeinheiten müssen sich immer wieder an neue Situationen anpassen.” Um das zu erreichen, kooperiere die Cobra, deren Hauptquartier sich in der Wiener Neustadt befindet, seit dem vergangenen Jahr sehr eng mit den übrigen Blaulichtorganisationen der Alpenrepublik. Ungeachtet dessen stellte er fest: “Die Bedrohungslagen und das Täterverhalten haben sich verändert.” Seine Beamten, die grundsätzlich nur einschritten, wenn eine Waffe im Spiel sei, hätten es mit einem deutlich höheren Gewaltpotenzial zu tun als in früheren Jahren. Gleiches gelte für die Komplexität von Lagen. Sie zeichneten sich immer öfter durch eine Parallelität mehrerer Tatorte aus. Des Weiteren gab Stramez zu bedenken: “Die Sensibilität der Bevölkerung und die Wachsamkeit der Behörden ha-

Für mehr Resilienz

“A

uch wenn Unwetter in Deutschland nicht so extrem sind wie beispielsweise die jüngsten Hurrikans in der Karibik, müssen wir uns trotzdem vorbereiten” unterstreicht Dr. Christine Thomas, Leiterin der Unterabteilung “Innovationen im Dienste der Gesellschaft” im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Parallel zu den bekannten Gefahren rückten zunehmend hybride Bedrohungen in den Fokus, wie Cyber-Attacken auf Stromversorgungseinrichtungen oder Terrorangriffe. Eine der Fragen, die es zu beantworten gelte, laute: Was passiert mit Kaskadeneffekten, wenn die Wasser- und Stromversorgung zusammenbricht, berichtet Thomas. Vor allem die Vernetzung Kritischer Infrastrukturen untereinander sei mangelhaft. Das BMBF fördere deshalb ein Projekt, in dem Kommunikationsleitfäden für Krisenfälle entwickelt würden.

Seite 55

Was kann zivile Sicherheitsforschung leisten, um die Bevölkerung zu stärken? (BS/Jörn Fieseler) Deutschland, Österreich und die Europäische Union: Allerorts stellen sich Verantwortliche die Frage, wie Vorsorgekonzepte verbessert und Kritische Infrastrukturen (KRITIS) robuster gemacht werden können. Dabei geht es längst nicht um die bekannten Katastrophen wie Unwetter und Erdbeben. Im Rahmen des Klimawandels tritt zunehmend eine neue Herausforderung auf: Hitze. Trotzdem muss nicht jedes Land sprichwörtlich das Rad neu erfinden. werden, sich in der Krise selbst zu helfen und zu unterstützen, berichtet die Abteilungsleiterin, die seit 2010 im Amt ist. Deshalb sei auch die Ernährungsnotfallvorsorge ein Thema des Förderprogramms. Vor allem, da selbst Supermärkte kaum noch in Lagern Lebensmittel bevorraten würden, um Betriebskosten zu sparen. In einem Projekt werde deshalb gezielt der Frage nachgegangen, wie die Bevölkerung mit Nachschub versorgt werden könne. Ein anderes Projekt habe eine bessere Trinkwasserversorgung zum Ziel, indem computergestützte Analysen mittels Sensoren im Trinkwassernetz vorgenommen würden, um Verunreinigungen schneller auffinden zu können, nennt Thomas nur zwei Beispiele. Darüber hinaus zeige sich in der Gesellschaft trotz eines zunehmenden Egoismus eine große Hilfsbereitschaft in Krisen- oder Katastrophenfällen. Deshalb unterstütze das Forschungsministerium einerseits ein Projekt “Automatisiertes Helferangebot bei Großschadensereignissen”. Ähnlich wie in Dänemark (siehe Seite 56 in dieser Ausgabe) gehe es um den Einsatz freiwilliger Helfer bei komplexen Einsatzlagen und deren Steuerung via Soziale Medien. Dazu sollen Feuerwehrleitstellen auch technisch befähigte und medizinisch geschulte Mitbürger mittels einer App informieren können.

Forschung wird fortgesetzt Andererseits wird ein Projekt unterstützt, das die Zusammenarbeit von Einsatzkräften und Bevölkerung in den Blick

nimmt. Freiwilligeneinsätze müssten geübt und Einsatzsituationen trainiert werden. Ein weiteres Projekt in Berlin befasst sich mit der Kommunikation und Informationsweitergabe an die Bevölkerung in Krisensituationen. Dazu werden in der Hauptstadt Erfahrungen mit sogenannten Katastrophenschutz-Leuchttürmen als Anlaufstelle gesammelt, etwa wenn bei Stromausfällen das Mobilfunknetz überlastet ist. Bei den Anlaufstellen handelt es sich um ausgewählte Gebäude im Stadtgebiet. Die Projekte verdeutlicht das enorme Potenzial, so Thomas. Zugleich kündigte die Abteilungsleiterin an, dass nach Ablauf der aktuellen Förderphase das Programm ab 2018 fortgesetzt werde. “Im künftigen Programm wird der Zivil- und Katastrophenschutz wieder eine wichtige Säule!” Darin enthalten sei eine eigene Förderlinie “Anwender innovativ”, die ausgebaut und deren Antragsbedingungen erleichtert werden sollen.

Die unterschätzte Gefahr Um die Bevölkerung besser vorbereiten zu können, sei die Betrachtung des Klimawandels eines der wichtigsten Werkzeuge, um Daten für die Forschung zu generieren, sagt Tom de Groeve, Abteilungsleiter Globale Sicherheit und Krisenmanagement vom Gemeinsamen Forschungszentrum “Institut für Schutz und Sicherheit des Bürgers” (JRC-IPSC) der Europäischen Kommission, einem Forschungsverbund bestehend aus sieben Instituten. Im Zuge

der klimatischen Veränderungen würden extreme Wetterereignisse stark zunehmen, neben Starkregenphasen vor allem Dürre- oder Hitzephasen beziehungsweise -perioden, prognostiziert Prof. Dr. Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien. “Heat is a silent killer of silent persons”, so der Wiener Forscher. Hitzephasen gebe es, wenn die Temperatur tagsüber auf über 40 Grad Celsius steige und nachts noch über 25 Grad liege. Von einer Hitzeperiode spreche die Wissenschaft, wenn über mindestens drei Tage die Temperatur mehr als 30 Grad betrage. Im Jahr 2045 werden es durchschnittlich über 40 Hitzeperioden sein. Zwischen 1981 und 2000 waren es 15. “Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, werden 2070 bis zu 40 Mal mehr Menschen bei Hitzewellen sterben als heute”, flechtet de Groeve ein. Aber: Neben den steigenden Gefahren gebe es auch Regionen, wo sich Risiken verringern würden, zum Beispiel, weil die Menschen das Land verließen, wie in Bulgarien.

Hitze in der Stadtplanung berücksichtigen Natürlich sei die Mortalität regional sehr unterschiedlich, doch allerorts müsten soziale Faktoren stärker bedacht werden. Besonders alleinlebende, nicht mobile Menschen seien von Hitzetoden betroffen. Deshalb müsse die Stadtplanung mehr auf hitzesenkende Maßnahmen achten und stärker in die Bebauungsplanung eingreifen, erläutert Hutter.

Laut Christine Thomas, Leiterin der Unterabteilung “Innovationen im Dienste der Gesellschaft” im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), wird ab 2018 das Ministerium die Forschungsförderung fortsetzen.

Er unterstreicht sein Fazit mit zahlreichen Ergebnissen aus der Hitzeforschung. In Europa habe die letzte große Hitzewelle 2003 zwischen 60.000 und 70.000 Hitzetote gefordert. 9.000 allein in Deutschland, sogar 15.000 in Frankreich. Dort wurde die Hitzewelle als Katastrophe eingeordnet und im Nachgang ein Aktionsplan erarbeitet, wie zukünftig solche Opferzahlen verhindert werden können. Dieser Notfallplan sah vor allem Vorkehrungen für ältere Menschen vor, die entweder allein zu Hause leben oder in Pflegeeinrichtungen. Die Umsetzung des Planes zeigte Wirkung. Bei einer kürzeren Hitzewelle 2006 gab es lediglich 4.400 Todesfälle zu beklagen. “Wir müssen uns anpassen!”, fordert Hutter. Auch für Deutschland gebe es insgesamt

ben enorm zugenommen.” Heutzutage werde das Wort “Terror” rascher in den Mund genommen als in der Vergangenheit. Dies führe oftmals dazu, dass dieser Begriff verwendet werde, obwohl eigentlich “nur” eine Amoklage existiere. Für die Cobra habe diese Entwicklung stark erhöhte Einsatzzahlen zur Folge. Während die österreichische Spezialeinheit 2016 zu insgesamt 287 Einsätzen ausgerückt sei, seien es allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits 190 Alarmierungen gewesen.

Eigengefährdung nimmt zu Und bei diesen Einsätzen seien die Elitepolizisten sowohl mit einem deutlich strukturierteren Täterverhalten als auch mit einer größeren Bandbreite an möglichen Tatmitteln als früher konfrontiert, erzählte Stramez. Des Weiteren bestehe für sie zunehmend die Gefahr, selbst Opfer eines “Second Hits”, also eines Folgeanschlags, zu werden. Dieser Umstand und die wachsende Radikalisierung von Tätern führten zu einer immer weiter zunehmenden Gefährdung der Einsatzkräfte, warnte der stellvertretende Cobra-Kommandeur. Deshalb forderte Stramez mit Blick auf die Zukunft auch: “Die Eigensicherung von Einsatzkräften und die Rettung von Menschenleben müssen möglichst eng miteinander verschränkt werden.” Dennoch dürften auch in Zukunft nach einem Anschlag in den “heißen Zonen” nur Polizeikräfte agieren. Auch in “warmen Zonen” sollten Angehörige des Rettungsdienstes nur in Schutzkleidung arbeiten, verlangte er abschließend.

einen Aktionsplan gegen Naturkatastrophen. Das Thema Hitze nehme in dem 70-seitigen Dokument aber nur eine Seite ein. Ein Projekt dazu trage den Status: Idee, Finanzierung noch offen”, berichtet der Medizinprofessor und fordert deshalb konkrete Hitzeaktionspläne mit einem praktikablem Management unter besonderer Berücksichtigung von gesellschaftlichen Randgruppen. Darunter neben älteren Menschen Säuglinge, Obdachlose und Menschen, die hitzeintensive Arbeitsplätze hätten, wie beispielsweise Straßenarbeiter, die mit Asphalt arbeiteten. Der Bevölkerung rät Hutter zu mehr Nachbarschaftshilfe und zu einfachen präventiven Maßnahmen wie Verdunkeln von Fenstern oder kurzem Stoßlüften. Und natürlich müsse der Klimaschutz vorangetrieben werden.

Gemeinsam, einheitlich und effektiv Hutters Ansinnen kann de Groeve durchaus nachvollziehen und unterstützen. Zugleich mahnt der Vertreter der EUKommission eine effektivere Arbeit an. Nicht jeder Mitgliedsstaat müsse sämtliche Projekte der anderen Staaten duplizieren. Auch auf europäischer Ebene gebe es zahlreiche Forschungsprojekte, von deren Daten andere Einrichtungen profitieren können. De Groeve nannte beispielhaft das Kopernikus-Programm. Mittels Satelliten würden seit fast 15 Jahren Daten über Unwetterlagen und Hochwasserereignisse gesammelt. Darüber hinaus sei es für die Wissenschaft wichtig, einheitliche Standards festzulegen. “Nur mit einheitlichen Standards lassen sich einheitliche Daten sammeln”, so der Abteilungsleiter aus Brüssel. Dies habe auch einen Vorteil für die EU-Ebene selbst. Einheitliche Standards ermöglichten es dem JRC-IPSC, kleinere Mitgliedsstaaten zu unterstützen, die nicht alles selbst erforschen können.


Katastrophenschutzkongress

Seite 56

Schweiz hat die Nase vorn

M

oderne Gesellschaften und Volkswirtschaften wiesen große technische und logistische Vulnerabilitäten auf. Erschwerend komme hinzu, dass das Thema “Vorsorge für den Katastrophenfall”, wie zum Beispiel Vorratshaltung, sich großer Unbeliebtheit erfreue – bei der Bevölkerung ebenso wie in der Politik, so Flury. Aufgabe seiner Behörde sei es, einen wesentlichen Beitrag zur Widerstands-, Anpassungs- und Erholungsfähigkeit im Unglücksfall zu leisten. Unverzichtbare Komponenten seien dabei unter anderem die Erzeugung von Robustheit und Redundanz bei Notfallstrukturen. Bei der Nothilfe-Dienstpflicht und beim Schutzraumbau hat die Schweiz offenkundig “die Nase vorne”. “Wir können einige Monate einigermaßen überleben”, bilanzierte der Schweizer. Dabei müssten aber eindeutige Prioritäten gesetzt werden: “Man kann nicht alles machen!” Und: “Man kann nicht alles an den Staat delegieren!” Gesellschaft und Individuum seien auch gefordert, so der stellvertretende BABS-Leiter. Während des Kalten Krieges habe die Eidgenossenschaft viel Volksvermögen in den Schutzraumbau investiert, dessen Infrastruktur mit relativ wenigen Mitteln erhalten werden könne. Gerade das Kostenargument leuchte der Schweizer Bevölkerung ein, erläuterte Flury.

Wirtschaft tritt auf die Bremse Eine große Ähnlichkeit mit der Schweizer Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) konstatierte Ministerialrat Volker Amler, Referatsleiter Schutz Kritischer Infrastrukturen im Bundesinnenministerium (BMI) in Berlin. Seit zwei Jahren arbeite man an einer neuen KRITIS-Strategie; Ziel sei ein “gemeinsames Bund-LänderPapier”. Wegen der Kostenfrage bremse die Wirtschaft: “Niemand will eine KRITIS sein”, so der lei-

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Stärkung der Resilienzfähigkeit ist nicht nur eine staatliche Aufgabe (BS/Dr. Gerd Portugall) Wie sehen bei den D-A-CH-Staaten (Deutschland, Österreich und Schweiz) die Resilienz-Konzepte aus? Dieser Frage widmete sich die Abschlussdiskussion des diesjährigen Katastrophenschutzkongresses. Eingestimmt wurden Panel und Publikum durch den Initialvortrag von Christoph Flury, Stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz (BABS) der Eidgenossenschaft.

Diskutierten über verschiedene nationale Resilienz-Konzepte (v.l.n.r.): Ministerialrat Volker Amler aus dem Bundesinnenministerium, Christoph Flury vom Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz, Moderator R. Uwe Proll, Abteilungsleiter Klaus Zuch aus der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport sowie Mag. Siegried Jachs aus dem österreichischen Bundesministerium für Inneres. Fotos: BS/Giessen

tende Beamte. Seine beruhigende Botschaft laute jedoch: “Es geht voran!” Ein wichtiger Schritt sei die Vorlage der neuen “Konzeption Zivile Verteidigung” (KZV) im August des vergangenen Jahres gewesen. Dies ist das konzeptionelle Basisdokument für die ressortabgestimmte Aufgabenerfüllung im Bereich der Zivilen Verteidigung und der zivilen Notfallvorsorge des Bundes. Sie beschreibt Zusammenhänge und Prinzipien und macht Vorgaben für die künftige Ausgestaltung einzelner Fachaufgaben. In diesem Zusammenhang fragte der Moderator der Diskussionsrunde, der Chefredakteur und Herausgeber des Behörden Spiegel, R. Uwe Proll, nach: “Wie ist es um die Vorbildfunktion des Staates gegenüber dem Bürger bei der Vorsorge bestellt?” Amler erwiderte, dass der Bundesbürger – nicht nur in der ehemaligen

DDR – davon ausgehe: “Der Staat macht das.” Deshalb forderte er auch: “Wir müssen neu denken.” Dies gelte etwa für die Frage, wie die zivile Verteidigungsfähigkeit wiederhergestellt werden könne, die man nach dem Ende des Kalten Krieges – gleichsam als “Friedensdividende” – aufgegeben hatte. Dies gelte zum Beispiel aber auch für die Bevorratung.

Resilienz spielt auch in Österreich eine Rolle Vor vier Jahren sei das Thema Resilienz im österreichischen Katastrophenschutz angekommen, so Mag. Siegfried Jachs, Referatsleiter Krisen- und Katastrophenschutz im Bundesministerium für Inneres (BM.I) der Alpenrepublik. Umgesetzt würde die angestrebte Widerstandsfähigkeit in den Bereichen Bevölkerungs-, KRITIS- und Cyber-Schutz – ergänzt durch eigenständige Resilienz-For-

schung. Mit dem Ende des OstWest-Konfliktes in den Jahren 1989 bis 1991 sei in Österreich die Schutzbaupflicht gefallen. Auch gebe es keine Bevorratung mehr bei Lebensmitteln und Medikamenten. Nach den Erfahrungen mit den PipelineBlockaden im Rahmen der russisch-ukrainischen Konfrontation seit 2014 gebe es immerhin Jahresvorräte an Erdgas.

Appell aus Berlin Gerade von diesem Katastrophenschutzkongress solle die Botschaft an die Bürger ausgehen: “Bevorratet euch!” Das erklärte Klaus Zuch, Abteilungsleiter Öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Dazu müsse noch mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden. Bei “Hamsterkäufen” wären in Berlin die Regale relativ schnell leer, so seine Einschät-

zung. Unter anderem deshalb sei eine informelle Arbeitsgemeinschaft zwischen Senatsverwaltung und KRITIS-Unternehmen gebildet worden. Mittlerweile habe man darin einen “vertrauensvollen Umgang miteinander” gefunden, berichtete Zuch.

Prag hat Blackout geübt Was passieren würde, wenn mit der Stromversorgung tatsächlich eine KRITIS ausfallen würde, erläuterte schließlich Miroslav Pfeiler, Spezialist der Abteilung Krisenmanagement der Prager Stadtverwaltung. Er berichtete von einer Übung, bei der in der tschechischen Hauptstadt geprobt wurde, was passieren würde, wenn in Prag die Lichter ausgehen, Fahrstühle steckenbleiben oder Ampeln verrücktspielen würden. Außerdem erläuterte Pfeiler, dass man mit dieser Simulation auf das Moldau-Hochwasser vom

Juni 2013 reagiert habe, als in weiten Teilen der Metropole mit 1,26 Millionen Einwohnern das Stromnetz ausgefallen war. Im Rathaus kam ein Krisenstab zusammen, um die verschiedenen Einsatzszenarien durchzuspielen. Diese sahen unter anderem vor, dass Tausende Menschen in Fahrstühlen und U-Bahnen steckenbleiben würden. Wie sahen zum Beispiel die behördlichen Reaktionszeiten aus? Als besonderes Problem hätten sich Patienten erwiesen, die zuhause gepflegt und mit einer elektrischen Lungenmaschine beatmet würden, so Pfeiler. Ein anderer Erfahrungswert besage, dass die Beleuchtung mit Kerzen zwar autark möglich sei, aber eine erhöhte Brandgefahr bedeute. Einen “Thementag Blackout” habe das Schweizer Fernsehen zusammen mit dem Berner BABS veranstaltet, ergänzte Flury. Diese Aktion habe sich als gute Gelegenheit erwiesen, die Fernsehzuschauer für das Thema Bevölkerungsschutz zu sensibilisieren.

Subsidiäre Arme-Einsätze Die Eidgenossenschaft, bestehend aus 26 Kantonen und 2.249 Gemeinden, wird von ihrer Armee unterteilt in vier Territorialregionen. Diese dienen als regionales Bindeglied zu den Kantonen und verfügen über das spezifische Wissen in ihrem Raum. Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport kann auf Antrag des “Chefs der Armee” einsatzbedingt Änderungen der Grenzen der territorialen Einsatzräume vornehmen. In der Grundkonfiguration fest zugeteilt sei jeder Territorialregion u. a. auch ein Katastrophenhilfebataillon. Die Territorialregion führe die subsidiären Armee-Einsätze in ihrem Raum und koordiniere die zivil-militärische Zusammenarbeit (ZMZ), so der Schweizer Kongresspräsident.

Wenn der Goethe brennt

Immer erreichbar

In Krisen dürfen die Kulturgüter nicht vergessen werden

Gemeinsames Melde- und Lagezentrum ist auch nationale Anlaufstelle

(BS/ab/mfe) 2004 brannte die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Goethes Wirkungsstätte Weimar. Damit (BS/mfe) Seine Mitarbeiter sind zu allen Tages- und Nachtzeiten und ganzjährig im Einsatz. Die Rede ist vom verschwanden zahlreiche deutsche Kulturgüter. Dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur Terroristen gefährlich Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ) in Bonn. Dort werden schon seit 15 für historische Hinterlassenschaften sein können. Jahren unter anderem fortlaufend Lagebilder zu Themen des Bevölkerungsschutzes erstellt. Auf diesen Umstand wies auch Rino Büchel, Leiter des Bereichs Kulturgüterschutz im Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz, hin. Naturkatastrophen, Diebstahl sowie Vandalismus fügten Büchern, Gemälden sowie Bauten irreparable Schäden zu. Auf internationaler Ebene hätten viele Nationen die Bedeutung von Kulturgütern erkannt und sich zusammengeschlossen. Sie bauten ein Netzwerk internationaler Bergungsorte auf. Diese Orte dienten dazu, Kulturstücke zu registrieren, zu konservieren und zu schützen, wenn sie an ihren ursprünglichen Standorten gefährdet seien. Die Hauptarbeit finde jedoch

auf lokaler Ebene bei den Kommunen statt, so Büchel. Die dortigen Verantwortlichen seien die entscheidenden Ersthelfer. Feuerwehrkräfte müssten für den Umgang mit Kulturgütern sensibilisiert werden. Es brauche spezielle Einsatzteams, die beim Bergen helfen, die Güter registrierten und angemessen verpackten, verlangte der Schweizer.

Rino Büchel vom Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz wies auf die Wichtigkeit des Kulturgüterschutzes hin.

Erläuterte den effektiven Umgang mit Spontanhelfern: Laurits Rauer Nielsen vom Kopenhagener Metropolitan University College.

Schweiz setzt auf Inventarsystem Um einen Überblick in Krisensituationen zu gewinnen, nutzt die Eidgenossenschaft ein Inventarsystem mit geografischen Daten. Zum einen werden Kulturgüter wie besondere Brücken, Stadt-

archive und Klöster registriert. Zum anderen ist deren geografische Lage gekennzeichnet. Damit können die Einsatzkräfte schneller planen, organisieren und strukturiert arbeiten.

Spontanhelfer müssen koordiniert werden Wie wiederum Bürger selbst in Krisenfällen – möglicherweise auch für den Schutz von Kulturgütern – effektiv zu Spontanhelfern werden können, zeigte Laurits Rauer Nielsen, Dozent für Notfall- und Risikomanagement am Kopenhagener Metropolitan University College, auf. Der Einsatz dieser Kräfte müsse seitens der Behörden gewünscht sein und von diesen vor allem koordiniert werden. Über ein geeignetes Kommunikationsmedium wie Facebook könnten dann die Krisenorte kommuniziert werden. Danach sei es möglich, die Aufgaben, wie zum Beispiel den Sandsacktransport, zu verteilen und kontinuierlich der Lage anzupassen. So könnten die Helfer passend gesteuert werden, erläuterte der Wissenschaftler. Zugleich machte Rauer Nielsen aber auch klar: “Die Meinungen über die spontanen Helfer gehen auseinander.” Für die einen seien sie eine Last, die die offiziellen Hilfskräfte behinderten. Für die anderen ein Segen, weil sie in Krisenzeiten mitanpacken.

Damit ist die Aufgabenfülle der Beschäftigten, die ihren Dienstsitz im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) haben, aber bei Weitem noch nicht umfassend beschrieben. Das GMLZ fungiert aufgrund seiner 24-stündigen Erreichbarkeit nämlich auch als nationale Anlaufstelle für die gesamte Bundesrepublik in rund 20 nationalen und internationalen Informations- und Warnverfahren.

Eingang zahlreicher Informationen Die Mitarbeiter erhalten zum Beispiel Daten aus dem radiologischen Schnellinformationssystem der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Im Fall der Fälle stellen sie dann auch außerhalb der regulären Bürodienstzeiten die rasche Alarmierung der zuständigen Behörden sicher. Darüber hinaus gewährleisten die GMLZ-Kräfte durch ihr Management das Vermitteln von Engpassressourcen, auch aus Nachbarländern der Bundesrepublik. Dies stellten sie etwa beim Elbe- und Donauhochwasser im Jahre 2013 unter Beweis. Des Weiteren steht das GMLZ im engen Austausch mit Bevölkerungsschutzlagezentren anderer EU-Staaten und der Europäischen Kommission. Im Rahmen des sogenannten Unionsver-

fahrens, bei dem sich die EUStaaten im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz gegenseitig unterstützen, koordinieren die Mitarbeiter des Zentrums für die gesamte Bundesrepublik zudem die Entsendung von Kräften und Hilfsgütern.

Konzentration auf großflächige Lagen Im Bereich des Lagemanagements liegt der Fokus der GMLZBeschäftigten im Übrigen auf der Bewertung und Analyse von Lageentwicklungen und weniger auf der Beobachtung von Lagen. Dazu wurde das GMLZ aufgrund veralteter Technik im vergangenen Jahr vollständig - unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus den diversen Einsätzen - erneuert, so dass nunmehr die Analysefähigkeit mit dem eigens dafür eingerichteten Analyseraum deutlich ausgebaut werden konnte. Die daraus entstehenden Produkte in Form von Lagebildern und Auswertungen werden anschließend an die Bundesländer, die Bundesministerien sowie nationale und internationale Organisationen verschickt, wodurch diese ein umfassendes Lagebild als Basis für eigene Entscheidungen erhalten. Das GMLZ berichtet dabei über großflächige bevölkerungsschutzrelevante Ereignisse sowie über

Geschehnisse mit länderübergreifender oder gar bundesweiter Bedeutung. Dazu gehören unter anderem schwere Störfälle mit CBRN-Stoffen und Naturkatastrophen. Wird dabei zugleich der Katastrophenfall ausgelöst oder sind zahlreiche Personen betroffen, berichten die Kräfte des Lagezentrums entweder in täglichen Berichten oder erstellen anlassbezogene Lagemeldungen. Neben dem Technischen Hilfswerk entsenden seit 2008 auch die Länder auf Kosten des Bundes einen Vertreter in das GMLZ. Folglich sitzt dort grundsätzlich auch immer ein Ländervertreter mit am Tisch. Darüber hinaus können die Bundesländer bei größeren Lagen - genauso wie die Hilfsorganisationen, die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, die Bundespolizei und die Bundeswehr - weitere Verbindungsbeamte ins GMLZ entsenden. Die bisherigen Abordnungsdauern der Ländervertreter lagen zwischen zwölf und 36 Monaten. In diesem Zusammenhang findet zwar keine regelmäßige Rotation statt. Die Länder werden aber rechtzeitig gebeten, eine neue Person zu benennen. Dies geschieht über den Ausschuss für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung des Arbeitskreises fünf der Innenministerkonferenz.


Wehrtechnik

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Seite 57

Neues aus der Wehrtechnik Übergabe des “Wirkmittels 90” an die Bundeswehr

Neuer US-Repräsentant

Dynamit Nobel Defence

Rheinmetall

(BS) Ende September hat die Dynamit Nobel Defence GmbH (DND) ihr neues “Wirkmittel 90” (Kaliber 90 mm) am Firmensitz im nordrheinwestfälischen Burbach feierlich an das Deutsche Heer übergeben. Mit dem “Wirkmittel 90” bietet DND ein zehn Kilogramm leichtes Waffensystem an, welches über einen programmierbaren Gefechtskopf gegen verschiedene Zielspektren für Kampfentfernungen bis 1.200 Metern verfügt. Die Handwaffe ist gegen leicht gepanzerte Fahrzeuge, Feldstellungen und Ziele hinter Deckungen einsetzbar. Mit seinem multifunktionalen Gefechtskopf, der leichten Bedienbarkeit und dem geringen Gewicht sei das “Wirkmittel 90” laut Hersteller für alle

militär-taktischen Erfordernisse von Infanterieeinheiten geeignet. DND ist ein Tochterunternehmen des staatlichen israelischen Rüstungskonzerns Rafael mit Sitz in der Hafenstadt Haifa. Mehr Informationen unter www. dn-defence.com

Das “Wirkmittel 90” mit Feuerleitvisier Foto: BS/DND

(BS) Stephen C. Hedger, früherer Assistant Sec– retary of Defense im Pentagon, ist ab sofort als Senior Vice President Corporate Development USA für den Rheinmetall-Konzern tätig. Der Technologiekonzern hat diese Position neu geschaffen, um Rheinmetalls weiteres Wachstum im US-Verteidigungsmarkt zu fördern, Marktchancen systematisch auszubauen und Kooperationsmöglichkeiten zu initiieren. Zuletzt war Hedger als Stabschef des früheren US Deputy Secretary of Defense Robert O. Work tätig, der für die jährliche Ausarbeitung des US-Verteidigungshaushalts von über 600 Milliarden US-Dollar verantwortlich war sowie als stellvertretender Stabschef des damaligen US-

Verteidigungsministers Ashton B. Carter. Hedger unterstützte außerdem das Team des derzeitigen US-Verteidigungsministers James Mattis unter Präsident Trump während der Übergangszeit im Pen- Stephen C. Hedger, tagon. Zuvor war Hedger erster Senior Vice PreAssistant Secretary of De- sident Corporate Devefense for Legislative Affairs. lopment USA Er diente fünf Jahre im USFoto: BS/U.S. DoD Heer und war dabei u. a. im Kosovo und im Irak stationiert. Mehr Informationen unter www.rheinmetall.com

Bundeswehr-Task Force trägt erste Früchte

Bestwert im “Cybersecurity Report 2017”

BAAINBw

Rohde & Schwarz Cybersecurity

(BS) Bei der Bereitstellung von modernster IT-Anwendung für die Patientenversorgung gebe es erste Erfolge für die Task Force des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) und des Kommandos Sanitätsdienstes zu verzeichnen. In Berlin entstehe ein Muster für die Patientenzimmer der nächsten Generation. “Schnell und möglichst unkompliziert soll den besonderen IT-Bedürfnissen der Bundeswehr Rechnung getragen werden. Jede Verbesserung kommt unmittelbar den Soldatinnen und Soldaten zugute”, erklärte der Vizepräsident des BAAINBw, Armin Schmidt-Franke. In einem ersten Schritt der digitalen Informati-

onsbereitstellung wurden die Computer im Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg aufgerüstet. Die speziellen Bedürfnisse des Sanitätsdienstes bei der I T - A u s s t a t t u n g Digitale Bereitstellung von Überwerden künftig in weisungen und Untersuchungserdas Portfolio der gebnissen Foto: BS/Weigelt BWI GmbH als ITDienstleister der Bundeswehr aufgenommen. Mehr Informationen unter www.baainbw.de

durchleuchtet und analysiert. Neben Kategorien wie Benutzeroberfläche und Service auf Deutsch prüfte Softshell, ob es Sales Teams, Pre-Sales Teams, Engineers oder Reseller in der DACHRegion gibt. Die Bewertung, die sich aus allen Ergebnissen der Analyse zusammensetzt, gibt Auskunft über die Seriosität und Zuverlässigkeit der jeweiligen Hersteller. Das IT-Sicherheitsunternehmen Rohde & Schwarz Cybersecurity schützt Unternehmen und öffentliche Institutionen weltweit vor Cyber-Angriffen. Es produziert technisch führende Lösungen für die Informations- und Netzwerksicherheit. Mehr Informationen unter https://cybersecurity. rohde-schwarz.com/de

Vom MME zur DMME

U

m dem zunehmenden Umfang und der zunehmenden Komplexität der Managementaufgaben der Bundeswehr gerecht zu werden, ist die digitalisierte und automatisierte Aufbereitung wesentlicher Kennzahlen zwingend erforderlich. Dies gilt auch für die Steuerung der materiellen Einsatzbereitschaft in den Streitkräften. Mit der am 29. Oktober 2014 durch den Generalinspekteur der Bundeswehr erlassenen Weisung Nr. 1 zum Meldewesen Materielle Einsatzbereitschaft (MME) wurde ein – damals noch vollkommen analoges – monatliches Meldewesen angewiesen, um auf der Basis einheitlicher Grunddaten die materielle Einsatzbereitschaft von derzeit 56 Haupt(waffen)systemen aus allen militärischen Organisationsbereichen darstellen und bewerten zu können. Die Inspekteure legten dazu monatlich für die ihnen federführend zugeordneten Systeme die Kennzahlen “verfügbarer Bestand” und “materielle Einsatzbereitschaft”, die Waffensystemsteckbriefe mit entsprechenden Erläuterungen zur aktuellen Lage, Prognose, Handlungsempfehlungen sowie die Gesamtbewertung zur Auftragserfüllung dem Generalinspekteur vor. Der Präsident des BAAINBw ergänzte diese Meldung um Rüstungsaspekte. Damit lag der Leitung zwar eine Lage “Materielle Einsatzbereitschaft” aus Sicht des Nutzers und Bedarfsdeckers vor, aus der gezielte Maßnahmen zu deren Erhöhung und Stabilisierung abgeleitet werden konnten, diese war jedoch das Ergebnis äußerst aufwendiger manueller Erhebungen. Mit dem System SASPF (Standard-Anwendungs-SoftwareProdukt-Familien) verfügen die Streitkräfte über ein hoch integriertes DV-Verfahren, in

(BS) Die Rohde & Schwarz Cybersecurity GmbH hat im aktuell erschienenen Softshell Vendor Report 2017 den höchstmöglichen Wert von zehn erreicht. Softshell hat für seinen Marktbericht die Präsenz und Wirkung von Cyber-SecurityUnternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz (DACH) bewertet. Ziel des Reports ist die Einschätzung, wie stark die jeweiligen Anbieter in Europas Kernmarkt engagiert sind und wie gut sich die Firmen auf die Anforderungen des deutschen Marktes einstellen. Die jeweilige Marktreife bewertet Softshell dabei mit einem sog. “Vendor Score”. Für den Report wurden 925 IT-Hersteller weltweit auf Basis von Gesprächen mit Experten

Vollständiger Ersatz ab 2018

Digitalisierung der Lagebilder der Bundeswehr (BS/Fregattenkapitän Olaf Sander*) Die Digitalisierung ist in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens angekommen und treibt Veränderungsprozesse in rasanter Geschwindigkeit voran. Sie ist zum Motor der Transformation hin zu einer “digitalen Gesellschaft” geworden. Um die Chancen der Digitalisierung im gesamten Fähigkeitsspektrum nutzen und die Risiken mindern zu können, bedarf es allerdings in vielen Bereichen einer Bewusstseinsänderung. Es ist ein Prozess, der mit teilweise erheblichen Anpassungen verbunden ist. Digitalisierung ist damit mehr als nur eine Frage der Technologie – es geht um die Änderung des “Mindsets”!

Die DMME-Startseite für August mit der “Bubblechart” zur Visualisierung umfangreicher Informationen

dem alle notwendigen Rohdaten grundsätzlich verfügbar sind. Nichts lag also näher, als das aufwendige manuelle Verfahren zur Aufbereitung einer Lage “Materielle Einsatzbereitschaft” durch ein automatisiertes Verfahren unter Rückgriff auf SASPF-Daten aufzubauen.

Die DMME Die vor diesem Hintergrund im September 2016 durch Staatssekretärin Dr. Suder festgelegte Digitalisierung Meldewesen Materielle Einsatzbereitschaft (DMME) ermöglicht die organisationsübergreifende einheitliche und transparente Erstellung dieser Lage. Sie ist auf allen Ebenen verfügbar und die alleinige Datenquelle für den Abruf der materiellen Einsatzbereitschaft. Die DMME dient

der verlässlichen Erstbewertung von Handlungsoptionen und als Grundlage der strategischen Steuerungsfähigkeit der politischen Leitung. Die digitale Lösung DMME wird in vier Stufen von 2016 bis 2018 umgesetzt. Sie ist mittels intuitiver Benutzerführung und Visualisierung für die komfortable Nutzung der vielfältigen Planungs- und Analysefunktionen zeitgemäß als moderne HTML5-Benutzungsoberfläche für alle verwendeten Informationen verfügbar. Sie besteht aus einer Datenbankkomponente auf Basis “SAP Business Warehouse” und einer Visualisierungskomponente auf Basis “SAP Design Studio” und stellt damit eine vollintegrierte Lösung in SASPF als “Single Source of Truth” dar. Die Grafik zeigt beispielhaft

die Startseite der DMME mit der “Bubblechart” zur Visualisierung umfangreicher Informationen – wie den Bestandszahlen, der materiellen Einsatzbereitschaft und des Trends zum Vormonat. Für die technische Umsetzung wurde die integrierte “Business Analytics Platform” innerhalb von SASPF verwendet. Vor dem Hintergrund, dass diese sowohl historische Daten als auch LiveDaten insbesondere aus den operativen SASPF-Systemen nutzen und dabei auch große Datenmengen schnell verarbeiten kann, eröffnet sie völlig neue Möglichkeiten der Informationsbereitstellung. Dazu gehören Echtzeitanalysen für aktuelle Lagebilder oder Zielbilder sowie exakte Prognosen über zukünftige Entwicklungen (“Predictive

Grafik: BS/BMVg

Analytics”) und Entscheidungsunterstützungen (“Prescriptive Analytics”). Auch wenn im Rahmen der Umsetzung des Projekts einige Unwägbarkeiten aus dem Weg zu räumen und Herausforderungen zu meistern waren – automatisierte Auswertung, Verbesserung der Datenqualität SASPF und Harmonisierung von Bestandskennzahlen – um nur einige Aspekte zu nennen – so wird bereits seit dem Berichtsmonat März 2017 neben dem bisher analog geführten MME die DMME erfolgreich als Pilot angewandt. Aktuell stehen das Herstellen der Betriebs- und Meldesicherheit inklusive einer Historienbetrachtung, die Zu- und Ablaufplanung von Haupt(waffen)systemen sowie eine Prognosefähigkeit im Fokus.

Mit der Stabilisierung des digitalen Verfahrens ist beabsichtigt, ab 2018 das MME vollständig durch die DMME zu ersetzen und zunehmend um andere Waffensysteme und Funktionalitäten zu erweitern. Damit ist die DMME der erste Baustein einer umfassenden Digitalisierung der Lagebilder der Bundeswehr. Mit der neuen Plattform erhält eine große Anzahl an Anwendern in den Dienststellen Zugriff auf konsistente und aktuelle Daten, harmonisierte Kennzahlen und aussagekräftige Analysen für ihre tägliche Arbeit. Zudem stehen ihnen jetzt moderne “SelfService”-Werkzeuge für die komfortable Nutzung der vielfältigen Planungs- und Analysefunktionen zur Verfügung. Aufgrund der Vernetzung und in Folge aufgrund der Verfügbarkeit ständig aktualisierter Daten und darauf aufbauender Informationen können Entscheidungsabläufe besser unterstützt und beschleunigt werden. Mit der Entscheidung, das MME von einem analogen Verfahren in ein automatisiertes Verfahren DMME zu überführen, wird konsequent die Digitalisierung vorangetrieben. Im Rahmen des Projekts wurden Chancen und Risiken der Digitalisierung deutlich, der Digitalisierungsprozess aktiv gestaltet und ein Mehrwert bei der Auftragserfüllung erzielt. Das Ergebnis zeigt, dass auch zukünftig das Ausschöpfen der digitalen Möglichkeiten und das Ausbilden eines digitalen Selbstverständnisses die militärischen Fähigkeiten der Zukunft prägen werden. *Fregattenkapitän Olaf Sander ist Referent für Materielle Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit Dimension See im BMVg in der Abteilung Führung Streitkräfte (FüSK I 4).


Wehrtechnik / Verteidigung

Seite 58

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Das neue digitale Gefechtsfeld

MELDUNG

Neuer Verband

Schwerpunkt der Koblenzer IT-Tagung (BS/Dr. Gerd Portugall) “1,6 Millionen E-Mails” würden bei der Bundeswehr jeden Tag verschickt. Darauf wies Dr. Katrin Suder, beamtete Staatssekretärin im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), hin, um die Größe der Angriffsfläche bei potenziellen Cyber-Attacken zu veranschaulichen. Digitale Angriffe seien “extrem kostengünstig” und aufgrund ihrer Spezifika im Unterschied zu kinetischen Wirksystemen die “ideale Erstschlagwaffe”. Generell sei Digitalisierung das “Bundeswehr-Thema Nummer eins”, so Dr. Suder.

W

elche Dimensionen Cyber-Angriffe schon jetzt erreichten, machte Generalleutnant Ludwig Leinhos, erster Inspekteur des neuen militärischen Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum (CIR), an folgender Zahl deutlich: 300 Millionen Euro Schaden habe die kriminelle Software “WannaCry” vor vier Monaten bei einem einzigen Unternehmen angerichtet. Als neues Pilotprojekt sei ein Ausbildungslehrgang für Seiteneinsteiger in der Laufbahn der Offiziere im Truppendienst vorgesehen. Die Hälfte der Bewerber sei vorgesehen für den Organisationsbereich CIR, so General Leinhos. Damit hofft die Bundeswehr, genügend IT-Spezialisten gewinnen zu können. Cyber-Sicherheit ist auch ein großes Thema bei der Beschaffung. Insgesamt 38.000 Verträge habe das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) in der zu Ende gehenden 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages geschlossen – natürlich nicht nur im IT-Bereich. Nur 16 Verträge, d. h. nur 0,04 Prozent (!), seien in diesen vier Jahren in ein förmliches Nachprüfungsverfahren gegangen. Diese Zahlen nannte Generalmajor Klaus Veit, Militärischer Vizepräsident des Koblenzer Beschaffungsamtes, bei seiner Begrüßung zur 13. Koblenzer IT-Tagung. Bedauernd stellte General Veit

Übernahm den Vortragsteil für die Streitkräfte bei der Koblenzer IT-Tagung: Generalleutnant Ludwig Leinhos, Inspekteur des Organisationsbereichs CIR. Foto: BS/Portugall

fest, dass die geplante Beschaffung der bewaffnungsfähigen Drohne “Heron TP” am Haushaltsausschuss des Bundestages gescheitert sei, obwohl Staatssekretärin Dr. Suder “schwer darum gekämpft” habe.

Das Gefechtsfeld im Fokus Durchgeführt wurde die Tagung, wie in den Jahren zuvor, von AFCEA Bonn e. V. (Anwenderforum für Fernmeldetechnik, Computer, Elektronik und Automatisierung) und dem BAAINBw. Dieses Jahr stand die Veranstaltung in der Rhein-Mosel-Stadt unter dem Leitmotiv “Das neue digitale Gefechtsfeld – Auswirkungen auf Sicherheit und Souveränität”. “Das digitale Gefechtsfeld ist

bereits heute Realität”, stellte Generalmajor a. D. Erich Staudacher, Vorsitzender AFCEA Bonn, eingangs bei seiner Begrüßung der zahlreich erschienenen Teilnehmer fest. Bei der Bundeswehr sind zu diesem Zweck die Programme “Mobile Taktische Kommunikation” (MoTaKo) und “Mobiler Taktischer Informationsverbund” (MoTIV) aufgelegt worden. Mit der Aufstellung des Kommandos CIR sind diese Programme nun Vorhaben des neuen Organisationsbereichs Cyber- und Informationsraum. Hauptbedarfsträger bleibt nach wie vor das Deutsche Heer. General Veit betonte in diesem Zusammenhang, dass MoTaKo und MoTIV letztlich kein technisches Umsetzungsproblem

darstellten, sondern dass sich der Beschaffungsprozess als schwierig gestalten dürfte. Deshalb sprach sich die Rüstungsstaatssekretärin in Koblenz für eine “haushalterische Überjäh-

rigkeit” bei MoTaKo aus. Klaus Hardy Mühleck, Leiter der neuen Abteilung Cyber/Informationstechnik (CIT) im BMVg, ergänzte, dass “MoTaKo durch hybride Netze das große Thema” sei. Als Vertreter der Industrie kamen im Programm unter anderem Ulrich Meister, Vorsitzender der Geschäftsführung der BWI GmbH, und Oliver Dörre, Vice President Sales & Marketing der Thales Deutschland GmbH, zu Wort. Zum nunmehr zehnten Mal wurde in diesem Jahr der “AFCEA Studienpreis” verliehen – für “hervorragende Abschlussarbeiten an Fachhochschulen und Universitäten. Den ersten Preis im Wert von 6.000 Euro erhielt Marcel Antzek, Leutnant der Luftwaffe, für seine BachelorArbeit, die unter der Betreuung von Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek an der Fakultät für Informatik der Universität der Bundeswehr in München entstand.

(BS/por) Die militärische wie zivile Nutzung von unbemannten Luftfahrzeugen (UAVs) schreitet scheinbar unaufhaltsam voran. Dies spiegelt sich auch in der Landschaft der organisierten Interessenverbände hierzulande wider. Jüngstes Beispiel: Mit dem Verband Unbemannte Luftfahrt hat Ende September in Berlin als gemeinsame Initiative des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) eine weitere Drohnen-Vereinigung ihre Arbeit aufgenommen. Der neue Verband soll sich vorrangig mit den Herausforderungen der Zulassung von kommerziell genutzten unbemannten Luftfahrtsystemen und deren Integration in das bestehende Luftverkehrssystem befassen. Die sichere Koexistenz der bemannten und unbemannten Luftfahrt steht dabei nach eigenen Angaben im Vordergrund. Es gibt bereits u. a. den Bundesverband für unbemannte Systeme, den Bundesverband Copter Piloten sowie den deutschsprachigen Dachverband für unbemannte Luftfahrt in Europa.

Die Wahlschlacht ist geschlagen Wie geht es weiter in der Verteidigungspolitik? (BS/por) Nach der Wahl ist vor der Wahl. Nachdem jetzt die Zusammensetzung des 19. Deutschen Bundestages auf der Grundlage der Wahl gemäß Art. 38 f. Grundgesetz (GG) feststeht, kündigt sich bereits die nächste Wahl an, diesmal im Parlament: Dieses wählt den Kanzler bzw. die Kanzlerin – ohne vorherige Aussprache (Art. 63 GG). Wie wird die künftige Sicherheits- und Verteidigungspolitik der neuen Regierung aussehen? Zunächst einmal ist festzustellen: Die Bundesrepublik steht geschwächt auf der “internationalen Bühne”: Beide bisherigen Regierungsfraktionen haben massiv “Federn” lassen müssen. Gleichzeitig ziehen die Rechtspopulisten zweistellig in den Bundestag ein. Die nächste Frage: Wie stabil wird die künftige Regierungskoalition? Liefe es tatsächlich auf eine schwarz-gelb-grüne “Jamaika”Koalition hinaus, so gäbe es eine Reihe von sicherheitspolitischen und militärischen “Baustellen”: Die Union sprach sich in ihrem Wahlprogramm für das Zwei-Prozent-BIP-Ziel aus, die Grünen möchten überhaupt keine Erhöhung des Verteidigungsetats. Ein weiterer potenzieller Streitpunkt: Einsatz der Bundeswehr im Innern. Auch hier sind die Positionen von CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen diametral entgegengesetzt. Außerdem beschloss die ehemalige Öko-Bewegung, Auslandseinsätze der deutschen Streitkräfte nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates mandatieren zu wollen. Während sich Union und FDP für eine enge EU-Rüstungskooperation aussprechen, distanzieren sich die Grünen sowohl von Rüstungskooperationen als auch vom Rüstungsexport generell. Sollte es zu einer

Verteidigungsetat, Rüstungsexport und Russland-Sanktionen: Hört beim Geld die (politische) Freundschaft auf? Foto: BS/Portugall

“Jamaika”-Koalition kommen, würden wohl die Grünen diesbezüglich die Rolle der SPD übernehmen. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU/CSU wird die Bedeutung des fortgesetzten Dialogs mit Russland betont, im Einzelprogramm der Christsozialen sogar ausdrücklich die “Rückführung” der Sanktionen gefordert. FDP und Grüne hingegen sprechen sich für deren Aufrechterhaltung aus.

Einschätzungen Die “Basics” – NATO, EU und UNO – sind unumstritten. Was generell Öffentlichkeit und

Medien am meisten interessiert, Personalentscheidungen nämlich, wird wahrscheinlich erst ganz zum Schluss kommen. Da an der Union bei der Regierungsbildung realiter kein Weg vorbeiführt, wird wohl die alte Kanzlerin auch die neue sein. Damit steht zu vermuten, dass dies auch für die Verteidigungsministerin gilt. Sicher ist nur eines: An sicherheits- und verteidigungspolitischen Fragen werden keine Koalitionsgespräche scheitern. Dazu ist die Materie im Vergleich zu anderen Politikfeldern nicht meinungsführend und wahlentscheidend genug.

MELDUNG

Vollständiger Abzug aus Incirlik (BS/por) Ende September haben die letzten deutschen Soldaten den türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nach dem Streit um parlamentarische Besuchsrechte verlassen. Als Erstes war Anfang Juli ein Tankflugzeug vom Typ A310 MRTT auf die Air Base Al-Asrak in den Norden Jordaniens verlegt worden. Seit Mitte Juli unterstützt der Tanker die Einsätze der Koalitionspartner über Syrien und dem Irak im Rahmen der Mission “Counter Daesh”. Die Verle-

gung wird mit dem Eintreffen der “Tornado”-Aufklärer Anfang Oktober weitgehend abgeschlossen sein. Die Republik Türkei und das Haschemitische Königreich sind die beiden einzigen Staaten, die eine gemeinsame Grenze sowohl mit Syrien als auch dem Irak haben. Kontingentführer Oberst Stefan Kleinheyer erklärte dazu: “Die Verlegung des Deutschen Einsatzkontingentes war und ist eine Mammutaufgabe. Sie ist einzigartig in der Geschichte der Bundeswehr.”

Gleichzeitig testen Bundeswehr-Soldaten im Süden Jordaniens auf dem Luftwaffenstützpunkt Al-Jafr die Hitzetauglichkeit des neuen Hubschraubers der deutschen Spezialkräfte, des H145M von Airbus Helicopters. Unter anderem halten sich auf dieser Air Base auch U.S. Special Forces auf. Im November des vergangenen Jahres waren drei von ihnen bei einem Anschlag von einem einheimischen Wachsoldaten getötet worden.


BSC

Berlin Security Conference

1 6 th C o n g r e s s o n E u r o p e a n S e c u r i t y a n d D e f e n c e

28. – 29. November 2017 Vienna House Andel’s Berlin

Europa unter Druck – Sicherheit und Verteidigung in unberechenbaren Zeiten Partnerland BSC 2017: Schweden Highlights im Hauptprogramm, u. a.: > ERÖFFNUNG DER KONFERENZ » Peter Hultqvist (1), Verteidigungsminister von Schweden (Partnerland der BSC 2017) » Sven Mikser (2), Außenminister von Estland (zurzeit EU-Ratspräsidentschaft)

1

2

> KEYNOTE-ANSPRACHEN » Helga Maria Schmid (3), Generalsekretärin des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) » Michel Barnier (4), Beauftragter der EU-Kommission für die Austrittsverhandlungen mit dem 3

Vereinigten Königreich (Brexit) » Dr. Géza Andreas von Geyr (5), Abteilungsleiter für Politik im Bundesministerium der Verteidigung » General Mikhail Kostarakos (6), Vorsitzender des EU-Militärausschusses

4

» Generalleutnant Dr. Dennis Gyllensporre (7), Chef des Stabes, Schwedische Streitkräfte

5

6

7

11

12

13

> FORUM ZUKÜNFTIGE STREITKRÄFTE » Vizeadmiral Andreas Krause (8), Inspekteur der Marine » Generalleutnant Ludwig Leinhos (9), Inspekteur des Cyber- und Informationsraums 8

» Generalleutnant Karl Müllner (10), Inspekteur der Luftwaffe » Generalleutnant Martin Schelleis (11), Inspekteur der Streitkräftebasis

9

» Generalleutnant Jörg Vollmer (13), Inspekteur des Heeres

10

Weitere Informationen und Anmeldung  www.euro-defence.eu Veranstalter

Fotos: Dombrowsky/privat

» Generaloberstabsarzt Dr. Michael Tempel (12), Inspekteur des Sanitätsdienstes


Die letzte Seite

Seite 60

D

as “Reich” des Andernacher Stadtökologen Dr. Lutz Kosack blüht und gedeiht – vor allem an einem warmen Spätsommertag wie diesem, wo sich die schöpferische Natur an Farbkraft und Intensität selbst zu überbieten scheint. Dort oben schweift das Auge über intakte Flora und Fauna – einen “Hort der Biodiversität” – wie Kosack stolz bemerkt. Schaut man jedoch zum Horizont über das Tal, sieht man in der Ferne eine Bausünde: Der Atommeiler Mülheim-Kärlich, dieser hässliche Klotz, seit etlichen Jahren außer Betrieb, wirkt wie ein Objekt der Entfremdung zwischen Mensch und Landschaft. Kosack hingegen vertritt die Philosophie der Achtsamkeit vor der Natur, die er mit seinem Team in der Permakultur Andernach täglich vorlebt: “Ich möchte Beziehungsarbeit zwischen Menschen und Pflanzen leisten; versuche, die Bürger zu erden, sie mit der entfremdeten Natur wieder zusammenzubringen. Mensch und Gewächs sind keine Kontrahenten, sondern Symbionten.”

Behörden Spiegel / Oktober 2017

Ernten im Nutzgarten der Achtsamkeit Visionär Dr. Lutz Kosack: Stadtökologe der “Essbaren Stadt” Andernach (BS/Michael Harbeke) Umgeben von Sonnenblumen, Wildkräutern und alten Tierrassen hat Andernachs Stadtökologe Dr. Lutz Kosack seinen wahren Bestimmungsort gefunden. Auf der Permakultur in Eich, direkt vor den Toren Andernachs, ist der promovierte Geoökologe beruflich wie menschlich in seinem Element. Auf dem Gelände wird nach ökologischen Prinzipien gewirtschaftet und für den Endverbraucher produziert. Bei einem Rundgang über das großzügige Areal, welches sich an einen Berghang schmiegt, hat Kosack jeden noch so kleinen Strauch im Blick. Alles ist hier Öko – selbst Luft und Licht scheinen von einer intensiven Würze, einem besonderen Glanz umfangen zu sein.

Leidenschaft für Botanik Schon als Kind und Jugendlicher wuchs bei Lutz Kosack, Jg. 1964, die Bestimmung, die Umwelt zu schützen. Früh interessierte er sich für Botanik, lernte es, heimische Vögel am Gesang zu erkennen, trat den deutschen Umweltorganisationen BUND und NABU bei: “Seit 35 Jahren kämpfe ich dafür, das Bewusstsein für die Natur zu stärken. Wir alle können etwas tun!” Kosack studierte bis 1996 Geoökologie in Bayreuth und war nach seinem Abschluss in der Landschaftsplanung tätig: “Meine Aufgabe war es, als Berater große Bauprojekte von Industrie und Behörden zu begleiten. Bei der Erstellung der Gutachten habe ich darauf geachtet, den Status quo zum Wohl der Natur zu erhalten.” Seit 2001 ist Kosack für die Stadt Andernach drei Mal wöchentlich als Stadtökologe und Sachbearbeiter in Teilzeit beschäftigt (TVöD 12).

Stadtökologe Dr. Lutz Kosack erklärt bildreich den Facettenreichtum der Pflanzenwelt.

simum”, hört – wir Deutsche kennen sie – weniger klangvoll – als “Steife Rauke”. Seit 2015 schreibt Kosack an seiner Habilitation – wieder im Fachbereich Botanik. Außerdem ist er an zwei Tagen in der Woche als Dozent im Studiengang Naturschutz und Landschaftsökologie an der Universität Bonn tätig (TVöD 13). Er unterrichtet Studenten, leitet Exkursionen, erkundet mit den Studierenden die Pflanzenwelt in der Alpenregion.

Zwischen “Elfenbeinturm” und “Ernte”

Kosack liebt den Kontrast zwischen wissenschaftlicher PräziBerufswege im Zeichen sion und handwerklicher Praxder Natur is. Wer an seinen Führungen Die akademische Profession ist über die Permakultur in Eich die zweite tragende Säule in Ko- teilnimmt, erlebt einen aufmerksacks beruflichem Werdegang. samen Beobachter, der durch Zwischen 2011 und 2014 pro- das Brennglas des Ökologen blickt, aber movierte der getreu Luther Botaniker an “Mich hat schon dem Volk aufs der Universität Bonn über die als Kind die Pflanzenwelt Maul schaut. Anekdoten“Naturschutzfasziniert.” reich und fachliche Bespannungswertung des Rheinufers zwischen Bonn und geladen versteht es Kosack Koblenz.” Die Promotion war ein ,die Phänomene der Natur zu mühevolles, doch beglückendes ergründen. Auf dem SilberUnterfangen für Kosack: “Zu tablett serviert er Faktenwissen Fuß war ich bestimmt über in gut verdaulichen Häppchen. 1.000 Kilometer unterwegs. Es Plötzlich entdeckt er am Weging über Stock und Stein. Ich gesrand “Galinsoga parviflora” musste Bodenbeschaffenheit und sprudelt vor Begeisterung und Flussuferneigung prüfen. förmlich über: “Das ist das FranDas floss alles in meine Analyse zosenkraut! Einstmals kam es ein.” Kosack entdeckte bei seiner aus Peru mit Napoleons Grande Forschung zum ersten Mal am Armée im 19. Jahrhundert als Mittelrhein eine seltene Pflan- Neuankömmling unter dem ze, die auf den wohlklingenden Sohlenprofil eines Soldaten. Namen “Sisymbrium strictis- Der sogenannte Neophyt, aus

Die Schwäbisch-Halleschen Landschweine fühlen sich auf der “Permakultur Eich” sauwohl.

Fotos: BS/Michael Harbeke

Prädikat schmackhaft: “Andernach – die Essbare Stadt” Die rheinland-pfälzische Stadt Andernach, welche mit ihren 30.000 Einwohnern im Herzen der Vulkaneifel bei Koblenz liegt, nennt sich “Essbare Stadt”. Sie konnte mit ihrem Projekt des “Urban Gardening” Furore machen. Man ist mehrfacher Preisträger, gewann die Lenné-Medaille und mehrfach die Goldmedaille der “Entente Florale” sowie den Preis “Lebenswerte Stadt” der Deutschen Umwelthilfe. Die Perspektive gGmbH unterstützt mit diesem Projekt Langzeitarbeitslose, die auf einem großen Areal gärtnerisch und handwerklich für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden sollen.

der Familie der Korbblütler, wurde durch die napoleonischen Kriege in unserer Region heimisch!” Kosack kann es sich nicht vorstellen, rein akademisch zu arbeiten. Er liebt den Kontakt mit den Menschen sowie die “Ernte” auf der Permakultur. Kosack ist bekennender Flexitarier, der kein Fleisch aus Massentierhaltung isst. Sein Ethos spiegelt sich auf dem 14 Hektar umfassenden Areal wider. Alte Geflügelrassen und Schweine sind die heimlichen Stars der Permakultur, die in artgerechter Haltung ohne sozialen Stress aufwachsen: “Ein halbes Jahr sind die Schwäbisch-Halleschen Landschweine bei uns. Sie haben Auslauf, sind nicht eingepfercht und bekommen bei uns alles, was sie brauchen. Es geht mir um den Wert der Schöpfung.”

“Ziel ist es, möglichst kostenneutral den Bürgern höherwertige Grünräume mit lebendiger Aufenthaltsqualität zu stellen”, wie es im Programm der “Essbaren Stadt” heißt. Die “Essbare Stadt” ist ein Teil der kommunalen Grünplanung der gesamten Stadt Andernach. Seit 2009 werden nach dem Grundsatz der Biodiversität und Nachhaltigkeit an Standorten wie dem Schlossgarten oder den Rheinanlagen freizugängliche Beete für die Bürger angepflanzt, die zur freien Verfügung stehen. Mundraub ist sozusagen das erklärte Ziel dieser besonders grünen Initiative.

in der Öffentlichkeit unentwegt Aufklärungsarbeit leisten. Andernachs Stadtökologe möchte ein Botschafter für Behörden sein, damit sich diese aus dem Korsett des Verwaltungsalltags befreien: “Es geht mir vor allem darum, Lebendigkeit und Kreativität in die öffentliche Hand zu bringen. Oberbürgermeister Achim Hütten hat mir alle Möglichkeiten gegeben, mich mit meinem Team hier in Andernach zu entfalten. Hütten spricht von Blühräumen, die er seinen Mitarbeitern geben möchte. Nur auf einem Nährboden wie der Permakultur kann so etwas entstehen.”

brettbohren für mich!” Kosack hofft darauf, dass sich die Mentalität zukünftig ändert und sich vor allem Motivation bei dem einen oder anderen hervorkitzeln lässt: “Nachdem wir 2010 die Essbare Stadt mit der Anpflanzung von Tomaten am Stadtschloss begonnen hatten, waren die Bürger begeistert.

Die Leidenschaft für “Urban Farming”, einen Trend, der den Menschen verlorenen Raum zurückgibt, ist bei Kosack ausgeprägt. “Hier können wir produzieren und wirtschaften, sozusagen ein Stück Autonomie zurückgewinnen. Ich sehe das mit der Umwelt als ganz wichtigen Bestandteil. Der Mensch ist nicht grundsätzlich gegen die Natur. Die Pflanze kann ohne den Menschen überleben, er ohne sie jedoch nicht. Wir müssen Naturschützer, Landwirte und Gärtner an einen Tisch bringen. Man muss diese Gruppen sensibilisieren.” Beispiele wie die Permakultur zeigen laut Kosack auf, wie positivistisch und wertvoll der Mensch in das Ökosystem eingreifen kann – vorausgesetzt, alle Faktoren stimmen: “Wir sind die Spezies, welche den uns umgebenden Kulturraum geprägt hat. Es muss uns in Fleisch und Blut übergehen, dass wir in Zeiten von Fibronil-Eier-Skandal und anderen Hiobsbotschaften der Nahrungsmittelindustrie auf Biodiversität setzen.” Mit der Essbaren Stadt setzt Kosack gemeinsam mit Andernach auf soziale Umweltgerechtigkeit: “Die Preise für unsere Produkte sollen so gestaltet sein, dass sie auch noch für das Gros der Gesellschaft leistbar sind. In unserem Bio-Laden FairRegio möchten wir das für jedes Portemonnaie verwirklichen.” Natürlich werden auf dem Areal der Perma-Kultur keine Spritzmittel, keine Torfe und kein mineralischer Dünger verwendet. Die Essbare Stadt schöpft aus der Heilkraft der Nachhaltigkeit.

Visionen und Hoffnungen Nachdem 2017 die “Essbare Stadt” zur “Trinkbaren Stadt” erkoren wurde, indem man eigenen Hopfen anbaute und bald zu köstlichem Bier brauen lassen wird, hält Andernach 2018 wieder ein knackiges Motto parat – so Kosack: “Es ist spannend, unsere Konzepte weiter nach vorne zu bringen. Der Kreativität sind nur wenige Grenzen gesetzt. 2018 wird ganz im Zeichen des Salats stehen.” Stadtökologe Dr. Lutz Kosack hat noch viel vor in der Essbaren Stadt. Wie wird es wohl 2050 um unser kommunales Zusammenleben bestellt sein? – diese Frage treibt Kosack um. Er kämpft für die Ausweitung eines Ökologie-Bewusstseins – insbesondere im Bereich der öffentlichen Hand: “Jede

“Tatort Gartenzaun” versus Prinzip Hoffnung

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Blumenbeete und Rabatten, die nicht nur in Eich, sondern auch in AnderBlühräume für Bürger und nach angepflanzt worden sind, Beamte werden gelegentlich Opfer von Das national ausgezeichnete Vandalismus – “wobei sich dieProjekt der Essbaren Stadt ser in Grenzen hält” wie Kosack dient mittlerweile als Vorbild betont. Außerdem beobachtet für zahlreiche Kommunen. Über Kosack mit Sorge das Artenster400 Städte und Gemeinden ha- ben in der Natur. Ihn erschreckt es, dass die ben sich des Allerwelts-VoSlogans “Statt “Biodiversität gelarten wie Betreten verist mir Feldlerche, boten, pflückRebhuhn und en erlaubt” – ein hohes Gut!” Kiebitz in ihübrigens auch rer Populaeine Erfindung Kosacks – bedient: “Meine tion deutlich weniger werden: Wortschöpfung wurde schon “Ich würde unsere Essbare von großen Städten kopiert. Ich Stadt gerne noch ökologischer finde es super, wenn unsere machen. Doch oftmals ist es Ideen auf Resonanz stoßen!” Ins- nicht möglich, mit Vorschlägen gesamt 50 Universitäten schrei- durchzudringen. Die Bürger ben in Masterarbeiten und Dok- versiegeln oft ihre Vorgärten torarbeiten über die Essbare künstlich mit Kies und vernichStadt. Das ist Lutz Kosack und ten Lebensraum für Pflanze und seinem Team zu verdanken, die Tier. Zu oft heißt es da Dick-

Die Lebenswelt Andernach-Eich ist ein Eldorado für Naturliebhaber und Feinschmecker.

Doch leider muss man feststellen, dass die Bereitschaft zur Ernte höher ist als zu helfen.” Dennoch setzt Kosack auf das Prinzip Hoffnung. Ihn treibt seine Arbeit an, mit wachen Augen schweift er während unseres Gesprächs über schmackhaften Grünkohl und den Kartoffelacker, kommt ins Philosophieren: “Wir haben schon eine verschworene Gemeinschaft. Eine Gruppe von älteren Herren hilft unermüdlich. Außerdem bekommen bei uns Langzeitarbeitslose eine Perspektive, in der Garten- und Feldarbeit aktiv zu sein. Das beflügelt mich!”

Stadt sollte eine Permakultur besitzen. Ein Stadternährungsamt ist kommunale Pflichtaufgabe. Unsere desaströse Ökobilanz muss verbessert werden. Ein Joghurt-Becher hat bei seiner Produktion unglaubliche 1.000 Kilometer zurückgelegt. Bürger müssen umdenken und sich für die Ökologie öffnen. Das ist mein Traum, der mich antreibt!” Nach der Führung über die Permakultur fühlt man sich erfrischt – ein Stück gesünder, geerdeter. Gerne würde man in diesem Paradies noch länger verweilen, das einem florierenden Nutzgarten der Achtsamkeit gleicht.


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.