Schreiben & Redigieren - Auszug

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[1] EINFÜHRUNG [1.1] Kommunizieren bedeutet ‚Mit-teilen’ Eine täglich anwachsende Textflut überschwemmt unsere Schreibtische und Computerbildschirme. Mobile Geräte gestatten uns, Informationen an jedem Ort und in jeder Situation zu konsumieren. Und immer mehr Zeit verbringen wir, um eine unüberschaubare Menge von Webseiten und sozialen Plattformen nach Brauchbarem oder Unterhaltendem zu durchforsten. Im Gegenzug verfassen wir selbst täglich Dutzende von E-Mails – oder werden auf sozialen Plattformen zu Publizisten in eigener Sache. Somit wird geschriebene Sprache in Beruf wie Freizeit immer mehr zur Grundlage jeder zwischenmenschlichen Kommunikation. Allerdings steht es mit der schriftlichen Kommunikation nicht zum Besten. Nehmen wir den aus dem Lateinischen entlehnten Begriff „Kommunikation“ für bare Münze, so lässt er sich mit „Mit-teilung“ wiedergeben. Nicht jeder Text „teilt“ jedoch die in ihm enthaltene Information „mit“ seinen Lesern. Beispiel: Die folgende Textpassage ist nur in groben Stücken verständlich: „ist denn niemand in der Firma aufhören mich zu fragen in der unwahrscheinlich überzeugender eine Zielgruppe besteht aus Menschen, die die Zeitung nicht mögen eine Zeitung zu kaufen?“ Selbstverständlich stammt dieses Textbeispiel nicht aus der „freien Wildbahn“. Es handelt sich um die Übersetzung des Zitats des britischen Medienexperten und Bloggers Roy Gleenslade, die auf Facebook maschinell erstellt worden ist. Die Suchmaschine Google gibt das selbe Zitat in der Übersetzung wie folgt wieder: „Hat niemand in der Firma Halt an der Unwahrscheinlichkeit zu fragen, eine Zielgruppe zu überzeugen, von Menschen zusammen, die Zeitungen nicht mögen, eine Zeitung zu kaufen?“ Das Original lautet übrigens: „Did no-one at the company stop to wonder at the unlikelihood of convincing a target audience composed of people who dislike newspapers to buy a newspaper?“ Ohne Zweifel sind die beiden übersetzten Textpassagen unter künstlichen Bedingungen – nämlich maschinell – erstellt. Dennoch belegen sie die Behauptung, dass in der heutigen Zeit beileibe nicht mehr jeder Text seine Informationen „mit uns teilt“.

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[1.2] Sprachlosigkeit – eine Zeiterscheinung? Die Feststellung, dass nicht jeder Text im eigentlichen Sinne des Begriffs „Kommunikation“ die in ihm enthaltenen Informationen „mit uns teilt“, trifft leider auch auf ganz gewöhnliche Texte zu. Texte also, die unter gewöhnlichen Bedingungen von schreibenden Menschen, nicht von Maschinen verfasst worden sind. Beispiele: Die folgenden Textpassagen ‚teilen’ die in ihnen enthaltenen Informationen nur ungenügend ‚mit’ ihren Lesern. (i) Eine Marketing-Agentur hält in ihrem Leitbild fest: Das stets ausgewogene Verhältnis zwischen Diversifikation und Angebot sowie die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind unsere Unternehmensgaranten für Innovation, Kreation und Kundennutzen. Den eigentlichen Sinn dieser Aussage kann der Leser nur erraten: „Die Agentur entwickelt ihr Angebot im Dienste ihrer Kunden fortwährend mit viel Kreativität und Innovationskraft weiter.“ Die Aussage wirkt auf Grund zweier Verstösse gegen die sprachliche Leserfreundlichkeit sprachlos: erstens durch die die Vielzahl an abstrakten Substantiven (Verhältnis, Diversifiaktion, Angebot, Erkenntnisse …); zweitens durch die Augenblicksbildung Unternehmensgaranten, deren Bedeutung offenbleibt. (ii) Ein Unternehmen für Messebau verspricht den Kunden auf seiner Webseite:

Optimal umgesetzt ist ein Messestand Visitenkarte und Aushängeschild für Ihr Unternehmen. Dieses Ideal wollen wir für jeden unserer Kunden erreichen. Vom ersten Gespräch, bis zum letzten Handgriff nach der Messe bis hin zur Lagerung zwischen den Messen. Logische Verstösse verdunkeln den Sinn dieser Aussage. Denn erstens besitzt das rückbezügliche Pronomen dieses (Ideal) keinen klaren Bezug (im Satz zuvor ist kein Ideal genannt). Zweitens ist wenig klar, wie ein Messestand in gelagertem Zustand als Visitenkarte dient – offenkundig hat der Schreiber mehrere Gedanken in untauglicher Weise vermischt.

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Sprachlosigkeit – eine Zeiterscheinung?

(iii) Ein Energiedienstleister macht in eigene Sache Werbung:

Die BKW AG engagiert sich in nationalen und regionalen Engagements aus den Bereichen Sport, Kultur, Wirtschaft und Ökologie, sowie an diversen Publikums- und Fachmessen. Im Fokus stehen innovative und nachhaltige Projekte mit gegenseitigem Mehrwert, welche der BKW die Möglichkeit bieten, in einem emotional ansprechenden Umfeld mit Kunden und Partnern persönlich in Kontakt zu treten. Der Schreiber kommt nicht auf den Punkt. Vielmehr verliert er sich in Tatutologien (sich in Engagements engagieren) und greift zu Allerweltswörtern wie Projekt(e), Fokus oder Umfeld. Der Aussage mangelt es also an der erforderlichen Präzision. Allen drei Textbeispielen ist also etwas gemeinsam: Sie teilen die in ihnen enthaltenen Informationen nicht oder nur unvollständig mit dem Leser, die Mitteilungen und Absichten ihrer Autoren bleiben unklar und verzerrt. Die Ursachen dieser missglückten Kommunikation sind stets sprachlicher Natur: In Beispiel (i) lässt der Schreiber jeglichen Sinn für Leserfreundlichkeit vermissen. In Beispiel (ii) hat sich der Schreiber zu viel vorgenommen und scheitert am logischen Zusammenhalt. In Beispiel (iii) schliesslich fehlt es dem Schreiber an der präzisen Formulierung. Die oben zitierten Textbeispiele (i) bis (iii) sind keine Einzelfälle. Sie zeigen, dass leichtfertiger Umgang mit der Sprache rasch zu Sprachlosigkeit führt. Beispiel: Dass sich unsere Gesellschaft nicht mehr mit dieser Sprachlosigkeit abfindet, zeigt das Beispiel des CEOs der Unternehmensberatung Deloitte Global, Punit Renjen. In folgendem E-Mail hatte er sich zu Beginn des Jahres 2016 weltweit an seine 220’000 Mitarbeitenden gewandt: Colleagues, We have said “Hello, 2016!” and now it is time for resolutions. One of my resolutions is … to deliver an exceptional, and consistent, global talent experience across the Deloitte network. This promise is articulated through four key pillars: 1) to help you make an impact, 2) inspire you as professionals, 3) accelerate your ambitions, and 4) connect and celebrate your unique strengths (more on these pillars soon).

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Sprachlosigkeit – eine Zeiterscheinung?

To deliver on this promise, Deloitte will invest to set expectations and help develop consistent capabilities within each role level. So no matter where you practice, you have the same exceptional skills as your peers. In return, I ask that you resolve to live Deloitte’s purpose and join our journey to undisputed leadership. … These resolutions spring from the foundation of what it means to be Deloitte. We will take this journey so that we can proudly declare we have kept our promises to ourselves, to each other, and to all those we serve. My best, Punit Die deutsche Übersetzung macht den Sinn mancher Äusserungen auch nicht klarer. Einige Kostproben: „Es ist Zeit für Entscheidungen. Eine meiner Entscheidungen … lautet, eine aussergewöhnliche, konsistente, globale Talenterfahrung über das gesamte DeloitteNetzwerk zu liefern. Diese Versprechen äussert sich über vier entscheidende Säulen: … Um dieses Versprechen zu erfüllen, wird Deloitte in feste Erwartungen investieren und dazu bezitragen, auf jeder Funktionsstufe konsistente Fähigkeiten zu entwickeln …“ Der wenig verständliche Begriff Talenterfahrung taucht im Übrigen in anderen Publikationen des Unternehmens auf. So etwa im Jahresbericht, wo es in der Schweizer Fassung heisst: Unsere Talenterfahrung – Jede und jeder Mitarbeitende ist einzigartig und wird individuell geschätzt. Über das Social Web verbreitete sich diese E-Mail rasch und wurde selbst in der Tagespresse zum Thema. Die öffentlichen Reaktionen waren eindeutig. Sie reichten von bis zu „a classic in demotivation“ (Financial Times) bis zu „mumbo jumbo“ (unverständliches Gerede) und „absurdly empty platitudes“ (Independent).

Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass sprachlose Texte bei den Empfängern rasch zum Ärgernis werden und ein zweifelhaftes Licht auf ihre Absender werfen.

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Dem eigenen Text ausgeliefert

[1.3] Dem eigenen Text ausgeliefert Die Sprachlosigkeit vieler Texte ist für die Leser ein Ärgernis. Für die Schreiber hat sie jedoch weiterreichende Folgen: Der Text bleibt „sprachlos“ und daher ohne die beabsichtigte Wirkung. Schlimmer noch birgt der leichtfertige Umgang mit der geschriebenen Sprache stets die Gefahr, sich ungewollt zu offenbaren oder gar missverstanden zu werden. Zwar transportiert die Sprache eines Textes zunächst reine Information auf der Sachebene (der ‚natürlichen’ Textbedeutung). Darüber hinaus vermittelt sie aber Hinweise, die weitergehende, emotionale Rückschlüsse auf den Absender erlauben (die ‚nicht-natürliche’ Textbedeutung). Es sind – gemäss dem Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun – Rückschlüsse auf … •

den Charakter des Absenders (Selbstoffenbarungsebene)

die Einstellung des Absenders zu den Empfängern (Beziehungsebene)

die Kommunikationsziele des Absenders (Appellebene)

Schreiber sind sich oft nicht bewusst, dass sie in ihren Texten über die Sachebene hinausgehende Hinweise vermitteln und sich damit dem Text ausliefern. Doch sind die Hinweise auf der Selbstoffenbarungs-, Beziehungs- und Appellebene für die Wirksamkeit eines Textes ebenso entscheidend wie die auf der Sachebene vermittelten Informationen (vgl. Abbildung 1).

Abbildung [1]: Die Komponenten, welche die Wirksamkeit eines Textes bestimmen.

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Dem eigenen Text ausgeliefert

Der Mechanismus, dem folgend der Leser die ‚nicht-natürliche Bedeutung’ zwischen den Zeilen erkennt, ist in [1.4] beschrieben. Beispiele: Einen Eindruck solch verborgener Hinweise geben die beiden nächsten Textbeispiele. (i) Das folgende Stelleninserat sucht einen Schulleiter für eine Berggemeinde:

Die Gemeindeschule von Samedan, im einzigartigen Oberengadin gelegen, ist Bildungsort für über 330 Kinder und Jugendliche auf Kindergarten-, Primar-, Real- und Sekundarstufe. In der in Zentrumsfunktion und mit Globalbudget geführten Schule gestalten 35 Lehrpersonen den Unterricht in romanischer sowie deutscher Sprache und prägen massgeblich das Schul- und Gemeindeleben von Samedan. Für die künftige Leitung der Institution suchen wir eine integrative und empathische Persönlichkeit für die Position als

Schulleiter/in Arbeiten, wo andere Ferien verbringen! Ihre Aufgaben: In dieser wichtigen Funktion tragen Sie die Verantwortung für die operative Führung der Gemeindeschule Samedan. Im Zentrum steht die Umsetzung der strategischen Vorgaben der Schulkommission im pädagogischen, personellen, finanziellen sowie administrativen Bereich. Mit überdurchschnittlichem Einsatz kümmern Sie sich um die Qualitätssicherung der Schule und investieren täglich in die innovative Weiterentwicklung der Bildungsstätte. Die Wahrnehmung eines Unterrichtspensums hilft Ihnen, die Anliegen der Schüler sowie Lehrpersonen zu verstehen und an der Basis mitzuwirken. Was Sie mitbringen: Sie verfügen über eine pädagogische Grundausbildung, die Sie mit einer adäquaten Weiterbildung (z.B. Schulleiter/in) ergänzt haben. Als erfahrene Führungspersönlichkeit kennen Sie die Herausforderungen einer modernen Volksschule. Sie sind

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Dem eigenen Text ausgeliefert

eine loyale, integrative, mit hoher Sozialkompetenz ausgestattete Persönlichkeit und legen viel Wert auf Toleranz sowie gegenseitigen Respekt und schätzen den persönlichen Charakter eines Dorfes … Wir bieten Ihnen: Diese Funktion, in einer Region mit einer enormen Lebensqualität, bietet mehr als eine alltägliche Aufgabe. Es erwartet Sie eine interessante, vielseitige Herausforderung in einer modern geführten Schule. Hier können Sie viel bewegen und zusammen mit dem motivierten Lehrerteam sowie den Bewohnerinnen und Bewohnern von Samedan den Kindern wie auch Jugendlichen viel auf den Weg mitgeben. Interessiert? Wir freuen uns auf Sie! Die Information – etwa das Stellenprofil – ist klar und verständlich. Gewisse stilistische Eigenheiten lassen jedoch weitergehende Rückschlüsse zu. Hierzu gehören unter anderem … •

zahlreiche abstrakte Substantive statt konkrete Verben: so etwa Sie (tragen) die Verantwortung für die operative Führung der Gemeindeschule statt Sie führen die Grundschule operativ oder Mit überdurchschnittlichem Einsatz kümmern Sie sich um die Qualitätssicherung der Schule statt Mit grossem Einsatz sichern Sie die Qualitäts der Schule.

gehäufte Adjektive, die zudem gerne pleonastisch verwendet sind: vgl. so Steigerungsformen überdurchschnittlich oder die pleonastischen integrativ und empathisch, integrativ (und) mit hoher Sozialkompetenz ausgestattet oder interessant (und) vielseitig (jeweils pleonastisch, da die eine Eigenschaft die andere voraussetzt) Dieses Schreiben kann nicht den erwarteten Erfolg haben, denn die verborgenen Hinweise werden gerade die wenig obrigkeitshörigen Bürger verärgern. (ii) Die Schweizerischen Bundesbahnen teilen in einer Medienmitteilung mit: Bahnhof Flüelen: SBB passt personelle Präsenz an.

Die Billettschalter am Bahnhof Flüelen werden künftig im Winter nicht mehr bedient sein. Im Sommer bleiben die Öffnungszeiten unverändert. Die Anpassungen sind auf grosse saisonale Schwankungen der Kundenbedürfnisse und die gesunkenen Umsätze während der Wintermonate zurückzuführen. Die Mitteilung ist abstrakt und passiv verfasst. Rasch entsteht ein Verdacht: Bahnhof Flüelen: SBB schliesst Schalter sowie Immer weniger Kunden nutzen den Bahnhof in den Wintermonaten hätten den unangenehmen Sachverhalt unter Umständen allzu direkt auf den Punkt gebracht. Ob der Verdacht berechtigt ist, bleibt ungewisse. Wir erkennen eine weitere Dimension des leichtfertigen Umgangs mit unserer Sprache: Im Gegensatz zu den auf S. [1.2] besprochenen Beispielen vermitteln die obigen Text-

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Dem eigenen Text ausgeliefert

passagen (i) und (ii) zwar die gewünschte Information. Doch daneben übermitteln sie verborgene Hinweise, die ungewollt … •

… entweder die tatsächliche Geisteshaltung des Verfassers entlarven: so in Textbeispiel (i).

… oder auf eine vermeintliche Geisteshaltung des Verfassers schliessen lassen: so in Textbeispiel (ii).

In beiden Fällen sind die Folgen verhängnisvoll: Die Verfasser sind ihren eigenen Texten ausgeliefert. Der Text verfehlt die beabsichtigte Wirkung und kann grossen Schaden anrichten.

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