Ständig unterbesetzt, nie genug Zeit: Wann Medienprofis den Job wechseln sollten

Ständige Überlastung ist kein Zeitphänomen, dem alle hilflos ausgeliefert wären. Wer beruflich ständig mehr leisten soll, als er kann, ist am falschen Arbeitsplatz. Attila Albert nennt Anzeichen, an denen Sie erkennen, dass Sie wechseln sollten, wenn sich im aktuellen Job nichts ändern lässt.

3. Februar 2023 um 12:05

Mediencoach Attila Albert. Frühere Kolumnen unter dem Beitrag.

Die Redakteurin einer Regionalzeitung konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal unter normalen Umständen gearbeitet hatte. Schon vor 2020 hatte sie nach all den Sparrunden den Eindruck gehabt, nur noch Notproduktionen abzuwickeln. Seitdem waren noch mehr Stellen gestrichen worden und hatte sich der Krankenstand verdoppelt. Ihr Ressort konnte sie längst nicht mehr betreuen, sondern half mit wechselnden Aufgaben im Aktuellen aus. Ständig war sie erschöpft, kam weder mit ihren E-Mails hinterher noch abends zur Ruhe. Oft fragte sie sich, wie das weitergehen solle, hatte aber keine Idee.

Viele Medienprofis fühlen sich dauerhaft überlastet. Sie haben die Wahrnehmung, nie alles zu schaffen und niemals genug Zeit zu haben. Gleichwohl nicht alle, wie ich aus meiner Arbeit mit Journalisten, PR-Experten und Kommunikatoren weiß. Es wäre daher falsch, das zum Zeitphänomen zu erklären, dem alle hilflos ausgeliefert wären. Wer dauerhaft mehr leisten soll, als er kann, ist persönlich am falschen Arbeitsplatz. Das kann viele Gründe haben, etwa fehlende Effizienz, Erfahrung oder Selbstorganisation, aber auch an den Umständen liegen. In jedem Fall gilt: Das sollte nicht zum Dauerzustand werden.

So beantworten Sie, wenn Sie sich überlastet fühlen, am besten für sich zuerst die Frage: Seit wann? Versuchen Sie, den Zeitraum möglichst genau einzugrenzen, eventuell sogar an konkreten Ereignissen festzumachen (z. B. Beförderung, neuer Vorgesetzter, Stellenabbau). Oft täuschen sich überforderte Medienprofis selbst mit der Phrase, dass "im Moment" zu viel zu tun sei, weil sie wegen einer Umstellung oder durch ein Projekt tatsächlich gerade besonders belastet sind. Doch in der ehrlichen Gesamtschau wird häufig klar, dass es seit Jahren so ist, wenn auch mit leichteren und schwereren Phasen.

Typische Anzeichen für Überlastung

Zu einem gewissen Grad lässt sich Überlastung objektiv messen, etwa an einem stark erhöhten Krankenstand, an verspäteten Produktionen, vielen unerledigten Anfragen (z. B. unbeantwortete E-Mails). Auf der individuellen Ebene sind typische Anzeichen:

  1. Sie haben das Gefühl, ständig unter enormem Zeit- und Erfolgsdruck zu stehen und Ihre Aufgaben nur bei größter Anstrengung bewältigen zu können.

  2. Was über das reine Alltagsgeschäft hinausgeht, schaffen Sie gar nicht mehr, etwa systematische Planung, Dokumentation, geordnete Ablage.

  3. Selbst die gesetzlichen Pausen und Erholungszeiten vernachlässigen Sie, essen mittags etwa regelmäßig nur schnell etwas allein vorm Computer.

  4. Ihr Kalender ist so voll, dass eine spontane Verabredung fast unmöglich ist. Ständig kollidieren Termine miteinander oder führt eine Verspätung zur nächsten.

  5. Regelmäßig bemerken Sie geistige Ausfälle, wissen z. B. oft nicht spontan, welcher Tag gerade ist, was Sie gemacht haben, oder vergessen wichtige Dinge.

  6. An den Wochenenden erholen Sie sich kaum, sondern hoffen den größten Teil des Jahres nur noch auf den jeweils kommenden nächsten Urlaub.

  7. Sie verarmen intellektuell und emotional, lesen beispielsweise kaum noch ein Buch zu Ende, haben nie genug Zeit für Freunde, ein Hobby oder Ehrenamt.

  8. Dazu kommen körperliche Probleme, etwa Unter- oder Übergewicht durch falsche Ernährung wegen Stress, Schlafstörungen, ständige Infekte, Schwindelanfälle.

Je mehr dieser Anzeichen Sie bejahen, desto klarer ist, dass Sie mehr leisten, als Sie können und dass Sie sich möglichst schnell davon befreien sollten, um gesund zu bleiben. Vor allem aber verbessern Sie Ihre Lebensqualität, wenn Sie so arbeiten, dass Sie sich zwar zu einem gewissen Grad herausfordern, damit es interessant bleibt. Aber nie so sehr, dass Sie voller Angst in die Redaktion gehen, Ihnen manchmal gar nichts mehr einfällt oder Sie Ihre Arbeit nur schaffen, wenn Sie noch spät abends etwas daheim erledigen. Für begrenzte Zeiträume (ca. 6-12 Monate) ist das hinnehmbar, viel länger besser nicht.

Ständige Erschöpfung ist nicht normal

Ein Umdenken beginnt mit der Einsicht, dass ständige Erschöpfung nicht normal ist, kein Zustand, den Sie als Teil Ihrer Berufstätigkeit hinnehmen müssen. Viele Unternehmens- und Branchenkollegen sind ebenso erfolgreich und verdienen eventuell sogar mehr, ohne sich völlig zu verausgaben. Auch in Ihrem Arbeits- und Tarifvertrag werden reguläre 38 bis 40 Stunden (bei Vollzeit) stehen, nicht völlige Selbstaufopferung. Wenn Sie darauf stolz sind, extreme Belastungen zu bewältigen, sollten Sie differenzieren: Das ist eine bemerkenswerte Fähigkeit und in Fach- und Führungspositionen zwingend, braucht aber Grenzen.

Mittelfristig sollte Ihr Profil (Qualifikation, Erfahrung) ungefähr mit den Anforderungen der Stelle übereinstimmen und etwas Wachstumspotenzial bieten. Innerhalb von drei bis sechs Monaten - der typischen Dauer einer Probezeit - erkennen Sie, ob Sie eine eventuelle Lücke schließen können, etwa durch Abgeben von Aufgaben, Mentoring, eine Weiterbildung oder Schritte zur Stress-Reduzierung. Oder ob Sie am falschen Platz sind, sei es auf Ihre Stelle, Abteilung oder das Unternehmen bezogen. Dann ist es Zeit, nicht weiter zu kämpfen, sondern zu akzeptieren, dass ein Wechsel für Sie besser wäre.

Überzogenes Verantwortungsgefühl korrigieren

Bei dauernder Überlastung gilt es häufig, ein überzogenes Verantwortungsgefühl zu korrigieren. Als Angestellter müssen Sie nicht ewig die personelle Fehlplanung Ihres Arbeitgebers ausgleichen. Zu wenige Stellen, mangelnde Einarbeitung und Führung, wenig attraktive Konditionen für Nachbesetzungen, fehlende Reserven für Abwesenheiten (Urlaub, Krankheit) sind keine Naturereignisse, die Sie aushalten müssen, sondern Folgen von Management-Entscheidungen. Das gilt übrigens ebenso für Führungskräfte, die ehrgeizige Ziele, aber nicht die notwendigen Ressourcen (Stellen, Budget) dafür erhalten.

Vermeiden Sie Krankschreibungen, Mutter- bzw. Vaterschaftsurlaub oder Sabbaticals, wenn Sie damit nur einer beruflichen Überlastung entkommen wollen. Versuchen Sie stattdessen möglichst schnell, die genauen Ursachen zu erkennen und herauszufinden, wo Sie eventuell stärker Grenzen setzen können. Belassen Sie es nicht bei dem, was Sie nicht mehr mitmachen wollen. Sondern konzentrieren Sie sich bald auf eine positive Vorstellung für Ihre Zukunft, ganz unabhängig von Ihrem Lebensalter: Was Sie sich wünschen, wie es am besten sein sollte und was Sie nun endlich dahin bringen könnte.

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der Freien Presse, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

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