Verfolgte Unschuld: Die FAZ kritisiert die Zeit für ihr Schlesinger-Interview

Am Tag, an dem ihre Nachfolgerin gewählt wird, bringt die Zeit ein Interview mit der gekündigten RBB-Chefin Patricia Schlesinger. Michael Hanfeld von der FAZ geht mit den Fragestellern von der Zeit, Cathrin Gilbert und Hanns-Bruno Kammertöns, hart ins Gericht: "Man meint, hier würden die RBB-Mitarbeiter und die Beitragszahler abermals verspottet."

8. September 2022 um 12:50

Stein des Anstoßes: Das Schlesinger-Interview in der aktuellen Zeit

"Das Timing soll wohl perfekt sein. An dem Tag, an dem ihre Nachfolgerin gewählt wird, wirft die Zeit ein Interview mit der fristlos gekündigten RBB-Intendantin Patricia Schlesinger auf den Markt", schreibt Michael Hanfeld, Chef des Medienressorts und Stellvertreter des Feuilleton-Chefs in der FAZ. 

In dem Interview, das am Mittwoch erschienen ist, sieht Hanfeld die Fragesteller von vornherein auf Schlesingers Seite. So hätten sich Cathrin Gilbert und Hanns-Bruno Kammertöns gleich nach nach "Maulwurf (nicht Whistleblower!" erkundigt, der Material über sie herausgab. Schlesinger spiele in dem Interview die verfolgte Unschuld: "Dieser freundliche, vertrauensvolle Umgang im Alltag" im RBB ist ihr in Erinnerung, "Probleme" habe man nie "weggebügelt". "Der Unmut und die Wut im Sender" aber seien "aus meiner Sicht so stark, das ich mir vorwerfe, dass ich das nicht gesehen habe. Das tut mir leid." Hanfeld weiter: "Das ist auch schon alles, was ihr leid tut, an ihrem eigenen Verhalten hat sie sonst nichts auszusetzen. Sie wird auch nicht allzu bohrend danach gefragt. Die Interviewer halten sich mit Kleinigkeiten wie den Massagesitzen in Schlesingers Dienstwagen auf. Sie mache sich nichts aus Autos, hören wir, privat fahre sie einen 17 Jahre alten VW Polo und ein altes, weißes Fahrrad. Ihr (hohes) Gehalt habe sie nicht gefordert, es sei ihr angeboten worden, die Boni seien allgemein bekannt gewesen." Zum Kern der Vorwürfe - der vermuteten Vetternwirtschaft im Zusammenspiel mit dem zurückgetretenen RBB-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf -, dringen die Zeit-Frager aus Sicht von Hanfeld nur zaghaft vor. Die Geschäftsessen habe sie nach bestem Wissen abgerechnet, auch sonst sei alles okay gewesen und ihren Rücktritt als ARD-Vorsitzende habe sie selbst angeboten, ein Kollege habe angerufen und gefragt: "Sollen wir alle eine Solidaritätsbekundung veröffentlichen?" Wer sich in der ARD nur ein wenig umhöre, werde ganz anderes hören, will Hanfeld wissen. Ob sie glaube, dass jemand wollte, dass sie ins Messer lief, zitiert Hanfeld eine weitere "Erkundigung" der Zeit. "Es fühlte sich an wie das Nachladen eines Gewehrs, das auf mich gerichtet war", berichtet Schlesinger von den Wochen, in denen ein Vorwurf auf den nächsten folgte. Im Bild werde sie aus Sicht von Hanfeld als aufrecht elegante Erscheinung inszeniert: "Mit Luxus habe sie nichts am Hut, lernen wir. 'Fühl dich in der Jugendherberge wohl, und wisse, wie du dich im Fünfsternehotel zu benehmen hast', mit dem Motto sei sie aufgewachsen. In dem Augenblick denken wir allerdings an die Luxusetage der abgesetzten Chefin, die von hohen Kosten nichts gewusst haben will." Mehr Opferhabitus als in dem Zeit-Interview gehe nicht. Hanfeld zielt dabei auf dieses Schlesinger-Zitat: "Es gibt einige, vor allem Frauen, die sagen: Halten Sie das bitte durch". Schlesinger sagt auch: "Ich glaube, dass ich am Ende zu viel zu schnell gewollt habe". Bei einem weiteren Schlesinger-Satz - "Es geht hier auch um die Macht des Anscheins und die Ohnmacht der Fakten" - geht Michael Hanfeld von der FAZ der Hut hoch: "Man meint, hier würden die RBB-Mitarbeiter und die Beitragszahler abermals verspottet". Hintergrund: Die fristlos entlassene Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), Patricia Schlesinger, hat sich erneut gegen Vorwürfe des Filzes und der Vetternwirtschaft verteidigt. In einem Interview der Wochenzeitung Die Zeit äußerte sie zugleich Bedauern darüber, dass sie Unmut im eigenen Haus gegen die Führung unterschätzt habe. Schlesinger ließ offen, ob sie gegen die fristlose Kündigung vorgehen wird. Zu den seit Ende Juni durch Medienberichte aufgekommenen Vorwürfen gegen Schlesinger zählt auch eine umstrittene Praxis von Abendessen in ihrer Privatwohnung auf Senderkosten, angeblich sollen sie nicht korrekt abgerechnet worden sein. Dazu sagte sie in der Zeit: "Ich habe alles nach bestem Wissen abgerechnet." Zur Gästeauswahl und den Themen bei den Abendessen ergänzte sie: "Da saßen Menschen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, aus Institutionen und Behörden am Tisch, wir haben dementsprechend über Politik, Wirtschaft, Kultur und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesprochen. Was ist gut, was läuft schlecht? Solche Unterhaltungen haben fließende Übergänge." Nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Schlesinger hatte sich Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik zu Wort gemeldet. Sie war demnach Gast eines solchen Abendessens gewesen. Diese hatte betont, dass sie selbst den Eindruck gehabt habe, dass es sich um ein privates Abendessen handele. Ihr sei nicht bewusst gewesen, dass diese auf Senderkosten abgerechnet worden sein sollen. Schlesinger sagte im Zeit-Interview angesprochen auf Slowiks Eindruck: "Alle Gäste haben die gleiche Einladung bekommen. Darin stand nichts von einem Abend unter Freunden, geschweige denn von einer Wohnungseinweihung, davon war definitiv nicht die Rede. Interessante, facettenreiche Persönlichkeiten haben so zusammengefunden." In die Kritik geriet auch, dass der RBB für einen teuren Dienstwagen Schlesingers mit Massagesitzen einen sehr hohen Rabatt bekam - der Intendantin stand zudem ein Privatchauffeur zur Verfügung. Die 61-Jährige sagte, sie habe sich keine Massagesitze gewünscht. "Ich habe den Wagen nicht selbst konfiguriert. Ich brauche keine Massagesitze, das ist für mich überflüssiger Klimbim." Autos würden ihr nicht viel bedeuten. "Ich fahre privat einen VW Polo, der 17 Jahre alt ist. Der steht da draußen vor der Tür. Ansonsten ein altes weißes Fahrrad." Übel stieß auch die Renovierung des Intendanz-Bereichs mit schicken Möbeln und edlem Parkett auf - auch dort soll es einen Massagesessel gegeben haben. Schlesinger sagte im Zeit-Gespräch: "Der Massagesessel ist zum Symbol geworden. Ich habe ihn weder bestellt noch benutzt." Er habe 1200 Euro gekostet. "Er wurde angeschafft, weil in der Intendanz zwei Menschen Bandscheibenvorfälle hatten und sich aber sehr schnell wieder ins Büro gesetzt haben." Sie habe ihn in einen Raum ganz am Ende des Ganges verbannt, "weil ich dieses große, unförmige Ding schlicht peinlich fand". Schlesinger sagte zugleich, sie habe den Unmut der Mitarbeiter im Haus unterschätzt. Dieser habe auch an großen Modernisierungsvorhaben gelegen, die die Geschäftsleitung und sie in den vergangenen Jahren angestoßen haben. Schlesinger nannte Umschichtungen von Teilen des linearen Programmetats ins Digitale und Einsparungen in Produktion und Vorabendprogramm des Fernsehens. "Der Unmut und die Wut im Sender sind aus meiner Sicht so stark, dass ich mir vorwerfe, dass ich das nicht gesehen habe. Das tut mir leid." Probleme habe sie nicht weggebügelt. An anderer Stelle des Interviews sagte sie auch: "Ich bedaure zutiefst, dass vor allem das gesamte öffentlich-rechtliche System nun unter Beschuss gerät." Die Ex-Intendantin verglich die Berichterstattung über die Vorwürfe gegen sie und den zurückgetretenen Senderchefkontrolleur Wolf-Dieter Wolf mit einem "Tsunami". Sie sagte in der Zeit auch: "Die Anschuldigungen kommen aus meinem engsten Umfeld. Das hat mich besonders getroffen, es schmerzt mich bis heute." Sie nannte keine Namen. Seit Wochen dringen interne Dokumente nach außen, vor allem das Online-Medium Business Insider"berichtete über viele Details der Vorwürfe. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt auch - bis zur Aufklärung gilt die Unschuldsvermutung. Schlesinger sagte in dem Zeitungsinterview zu den Vorwürfen, die beinahe täglich seit Ende Juni immer mehr wurden: "Geschlafen habe ich nicht viel in der Zeit. Es fühlte sich an wie das Nachladen eines Gewehrs, das auf mich gerichtet war. Viele der Vorwürfe stimmen nicht." Nachgefragt, ob sie gegen Vorwürfe in den Medien vorgehe, sagte sie: "Das kann ich immer noch tun. Zum Teil passiert das in diesen Tagen."

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