Mehr Trauben als Trinker
Trank 1960 jeder Einwohner noch mehr als 120 Liter pro Jahr, so waren es 2020 nur noch 40 Liter pro Kopf. Vor allem junge Erwachsene ziehen Getränke mit weniger oder keinem Alkoholgehalt vor. Was aus gesundheitspolitischer Sicht nach einer guten Nachricht klingt, ist für die französischen Weinbauern eine Katastrophe.
„Egal, ob wir guten oder weniger guten Wein machen, wir können ihn nicht verkaufen“, sagt Didier Cousiney, Sprecher eines Winzer-Zusammenschlusses im Département Gironde, in dem Bordeaux liegt. Viele arbeiteten mit Verlust.
15.000 Hektar Weinreben droht Rodung
Während heuer allein in der Gironde 130 Millionen Flaschen unverkauft blieben, käme in einigen Monaten die neue Ernte. Die einzige Lösung sei, 15.000 Hektar Weinreben zu roden, um das Angebot zu verknappen und die Preise stabil zu halten. Von der Regierung fordern die Betroffenen daher 10.000 Euro pro Hektar.
Landwirtschaftsminister Marc Fesneau hat der Branche Hilfen in Höhe von 160 Millionen Euro versprochen, hinzu kommen 40 Millionen Euro von der EU. Das Geld soll unter anderem der Entschädigung von Winzern dienen, die ihren Rotwein an Destillerien verkaufen. Aus dem Alkohol lassen sich Desinfektionsmittel oder Bioethanol-Treibstoff herstellen.
„Diese Situation hat konjunkturelle wie strukturelle Gründe“, erklärt Stéphane Héraud, Mitglied des Weinverbands von Bordeaux. Er zählt mehrere Krisen auf - etwa die coronabedingten Lockdowns mit Restaurant-Schließungen, die höhere Besteuerung französischer Weine in den USA, der Krieg in der Ukraine und die Inflation. „Außerdem trieben die Klimaschäden manche Winzer in die Enge.“
Unbeliebter Rotwein
Dem Marktforschungsinstitutes IRI zufolge ging der Wein-Verkauf im Supermarkt 2022 um sechs Prozent zurück, beim Rotwein sogar um 9,7 Prozent. Durch den höheren Anteil von Tannin gilt er als weniger bekömmlich als etwa leichtere Rosé-Weine. Zunehmend verdrängt Bier den Wein. Mikro-Brauereien boomen in Frankreich: Während die älteren und wohlhabenderen Generationen zum Wein tendieren, trinken die Jüngeren sowie Mittel- und Unterklasse lieber Bier.
Weinexperte Jean-Marie Cardebat zufolge hat dies wirtschaftliche Folgen. Die Wein-Branche sichere mehr als 700.000 Arbeitsplätze in Frankreich, von denen ein Teil bedroht sei. Es handelt sich um den wichtigsten landwirtschaftlichen Bereich und ein Exportprodukt, das 2021 einen Überschuss von 13,7 Milliarden Euro einbrachte. Dazu kommt der „Önotourismus“ mit 10.000 Weinkellern, die jedes Jahr zehn Millionen Touristen anziehen.
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