In der Anästhesie wird eine Vielzahl unterschiedlichster Medikamente verwendet. In seltenen Fällen kann die Interaktion mit anderen Medikamenten oder eine Prädisposition zu einer unerwünschten Nebenwirkung führen. Führend sind oftmals vegetative Symptome und Bewusstseinseinschränkungen. Die 3 wichtigsten Krankheitsbilder in Bezug auf die Anästhesie bzw. die perioperative Versorgung von Patienten sind das zentrale anticholinerge Syndrom (ZAS), das Serotoninsyndrom (SeS) und das maligne neuroleptische Syndrom (MNS).

Einführung

Eine verzögerte Aufwachreaktion liegt vor bei einem Patienten, der 30–60 min nach dem Ende der Anästhesie noch keine adäquate Reaktion auf Stimulation zeigt [9]. Wie häufig es zu einer verzögerten Aufwachreaktion kommt, ist aufgrund von fehlenden Kennzahlen bis heute nicht hinreichend geklärt. Eine Untersuchung kam aber zu dem Ergebnis, dass dies bei bis zu 9 % der Patienten der Fall sein könnte [43]. Die Ursachen für diese Störung können vielfältig sein, wobei die häufigste ein Überhang an sedierenden Medikamenten ist [40]. Auch weitere Differenzialdiagnosen sollten bedacht werden, wie z. B. Elektrolytstörungen, Blutzuckerentgleisungen, Infektionen, zerebrale Ischämien/Blutungen oder eine Hyperkapnie. Andere Ursachen wie eine dissoziative Konversionsstörung oder auch Reaktionen auf Medikamente sind aufgrund der heterogenen Symptomatik oft schwierig zu erkennen. Gerade die 3 in der Anästhesie wichtigsten Syndrome, ZAS, SeS und MNS, weisen klinisch teilweise große Überschneidungen auf und machen eine Abgrenzung somit anspruchsvoll (Tab. 1). Darüber hinaus stellen die geringe Inzidenz und die heterogene Symptomatik weitere Herausforderungen bezüglich der Diagnose und Therapie dieser Syndrome in der klinischen Praxis dar. Die geringe Inzidenz erklärt auch die schlechte Studienlage zur Therapie dieser Krankheitsbilder. So sind für das SeS und das MNS keine prospektiven Vergleichsstudien zur Therapie bekannt und zum ZAS nur wenige, die teilweise bereits über 20 Jahre alt sind [8, 15, 20, 34, 41]. Die Empfehlungen der aktuellen Leitlinien basieren daher oftmals auf experimentellen Daten, Fallberichten und Expertenkonsens.

Tab. 1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede des zentralen anticholinergen, des Serotonin- und des malignen neuroleptischen Syndroms [13, 42]

Zentrales anticholinerges Syndrom

Hintergrund

Das ZAS wurde erstmals 1966 von Longo et al. im Zusammenhang mit Desorientierung, Agitation, Ataxie, Halluzination und Koma nach Atropingabe beschrieben [27]. Ursächlich für das ZAS ist ein Acetylcholin(ACh)-Mangel im synaptischen Spalt der muskarinergen ACh-Rezeptoren. Von den 5 muskarinergen Rezeptoren ist nur der M1-Rezeptor, der auch ausschließlich im Zentralnervensystem vorkommt, mit einem Delir assoziiert [7]. Der Mangel an ACh im synaptischen Spalt kann verschiedene Ursachen haben, wobei die direkte Hemmung durch Tropanalkaloide wie Atropin, Scopolamin oder Pflanzengifte (z. B. Engelstrompete und Stechapfel) zu den häufigsten zählt. Diese Alkaloide wirken als direkte Antagonisten an den muskarinergen Rezeptoren und können die Aktivität des M1-Rezeptors inhibieren. Auch das Parasympatholytikum Pirenzepin weist eine starke Affinität zum M1-Rezeptor auf. Andere Medikamente wie z. B. Antihistaminika, trizyklische Antidepressiva (TCA), Antipsychotika und das M.-Parkinson-Medikament Amantadin können über eine unspezifische Hemmung zu einer verringerten Aktivität führen und haben anticholinerge Effekte, die insbesondere bei älteren Patienten häufig arzneimittelbezogene Probleme auslösen können [28]. Neben der Hemmung des Rezeptors können andere häufig genutzte Medikamente oder deren Metaboliten auch eine geringere Freisetzung von ACh bedingen. Opioide, Benzodiazepine und Inhalationsanästhetika, aber auch Substanzen wie z. B. Cannabinoide oder Alkohol, können die ACh-Konzentration im synaptischen Spalt reduzieren [21]. Ein Vitamin‑B1-Mangel hingegen kann durch eine geringere ACh-Synthese mit einem Mangel einhergehen [11].

Klinische Zeichen

Krankheitszeichen, die durch den ACh-Mangel ausgelöst werden, können in periphere und zentrale Symptome eingeteilt werden, je nachdem, ob die auslösende Substanz die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann oder nicht. Periphere Symptome lassen sich durch eine geringere parasympathische Aktivität erklären und beinhalten eine geringere Speichel- und Schweißsekretion, Tachykardie und eine Mydriasis. Die geringe Schweißproduktion, zusammen mit einer erhöhten Wärmeproduktion, kann sich trockner und warmer Haut bis hin zu Fieber äußern. Auch wenn Temperaturerhöhungen ebenso beim SeS und MNS vorkommen, ist die warme und insbesondere trockene Haut ein sehr wichtiges differenzialdiagnostisches Kriterium, denn sowohl beim SeS als auch beim MNS schwitzen die Patienten mitunter sehr stark. Die geringere Darmmotilität geht mit abgeschwächten bis aufgehobenen Darmgeräuschen einher, in seltenen Fällen bis hin zum paralytischen Ileus. Ein ACh-Mangel an der Blase kann Miktionsstörungen und eine Überlaufblase auslösen. Bei schwerem ZAS können zudem kardiale Symptome mit Tachykardie oder Herzrhythmusstörungen auftreten. Maßgeblich für das ZAS sind jedoch die ZNS-Symptome, die zusätzlich den individuellen Schweregrad beschreiben. Ein mildes ZAS zeigt lediglich geringe neurologische Symptome wie Unruhe, Gereiztheit und gestörtes Sehvermögen [8]. Bei zunehmender Schwere kommt es von Halluzinationen, Verwirrung, Gereiztheit und motorischer Unruhe bis hin zu Krampfanfällen oder Koma (Tab. 2; [8]).

Tab. 2 Schweregrade des zentralen anticholinergen Syndroms. (Nach Burns et al. [8])

Ein ZAS wird in der Mehrzahl der Fälle erst nach der Extubation festgestellt, wenn periphere anticholinerge Symptome nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Als mögliche Ursache für die unterschiedlichen zentralen und peripheren Symptome werden eine höhere Rezeptorempfindlichkeit und ein längerer Verbleib von antagonisierenden Wirkstoffen am M1-Rezeptor vermutet. Weiterhin sind für die zentrale anticholinerge Wirkung der Medikamente noch Risikofaktoren wie das Alter, Vorerkrankungen und die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke relevant. Eine Studie an gesunden Probanden konnte eine hohe interindividuelle Schwankung der resultierenden Symptome auf die Gabe eines anticholinergen Medikaments zeigen [18]. Die Entwicklung eines ZAS ist neben den pharmakologischen Eigenschaften des anticholinergen Medikaments auch von den individuellen Risikofaktoren abhängig. Für die klinische Diagnose des ZAS müssen entweder ein zentrales und zwei periphere Symptome vorliegen (Tab. 3), oder die Symptome müssen sich durch die Gabe von Physostigmin bessern.

Tab. 3 Zentrales anticholinerges Syndroms, unterteilt in zentrale und periphere Symptome. (Mod. nach Moos [31])

Therapie

Eine prospektive Studie von Link et al. bestimmte die Inzidenz des ZAS nach einer Allgemeinanästhesie [26]. Es wurden 962 Patienten 30 und 50 min nach dem Ende der Anästhesie untersucht. Zum Ausschluss anderer Ursachen wurden eine Blutgasanalyse durchgeführt sowie Naloxon und das nicht zentral wirksame Pyridostigmin verabreicht, um einen Überhang von Opioide oder nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien auszuschließen. Wenn 1 h nach dem Anästhesieende weiterhin Symptome bestanden, erfolgte zusätzlich die Gabe von 0,03 mg/kgKG (maximal 2 mg) Physostigmin. Die Diagnose ZAS wurde gestellt, wenn 15 min nach der Physostigmingabe ein Rückgang der zentralen Symptome eingetreten war. Die Inzidenz wurde in dieser Studie mit 1,9 % angegeben und findet sich im unteren Bereich anderer Publikationen, die eine sehr variable Inzidenz zwischen 1 und 40 % nach Anästhesie angeben [31]. In der Studie von Link et al. erhielten alle Patienten, bei denen später auch ein ZAS diagnostiziert wurde, intraoperativ Atropin und Lachgas, ein Großteil zusätzlich Pethidin und Promethazin und damit mehrere potenziell anticholinerge Medikamente.

Bei Patienten ab dem Schweregrad 2 ist die Therapie der Wahl Physostigmin. Physostigmin ist ein tertiäres Amin, das im Gegensatz zu den quaternären Aminen wie Pyridostigmin und Neostigmin, die Blut-Hirn-Schranke durchdringen kann. Physostigmin ist ein Bestandteil der Kalabarbohne, auch Gottesurteilsbohne genannt, und wurde früher von dem Volk der Efik in Westafrika im Rahmen von „Gottesurteilen“ verwendet. Die Angeklagten wurden als unschuldig angesehen, wenn sie die Einnahme der Kalabarbohne und die folgende cholinerge Krise überlebten. Im Jahr 1864 wurde erstmals der Wirkstoff Physostigmin aus der Bohne isoliert und der therapeutische Effekt bei Atropinintoxikationen von Gefangenen beschrieben [33]. Physostigmin verteilt sich sehr schnell im Körper und besitzt eine Halbwertszeit von nur ca. 22 min [19]. In klinischen Studien konnte gezeigt werden, dass die Antidotwirkung bereits 3–15 min nach der Gabe eintrat (im Mittel nach 5,8 min; [20]). Die Gabe von 2 mg (0,04 mg/kgKG) Physostigmin über 5 min hat eine gute Wirksamkeit und führte im Großteil der Fälle zu einer klinischen Besserung (ca. 90 %) des Delirs als auch der Agitation [11]. Patienten nach erfolgreicher Therapie sollten jedoch länger im Überwachungsbereich verbleiben, da eine wiederholte Gabe notwendig werden kann [11]. Die Repetitionsdosis erfolgt in der gleichen (ursprünglichen) Dosis von 2 mg (0,04 mg/kgKG) frühestens 30–40 min nach der ersten Gabe. Bei der Verabreichung von Physostigmin müssen aber auch neurologische und kardiale Nebenwirkungen berücksichtigt werden, weshalb antagonisierte Patienten zunächst weiterüberwacht (EKG, pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung [SpO2], Blutdruck) werden sollten. Eine Aktivierung nikotinerger ACh-Rezeptoren im Hippocampus kann direkt krampffördernd wirken und gleichzeitig die prokonvulsive Wirkung anderer Medikamente potenzieren. Die Inzidenz von epileptischen Anfällen nach Physostigminanwendung wird in einer Untersuchung mit 0,65 % angegeben [3]. Eine weitere Komplikation stellen Bradyarrhythmien dar; diese können gehäuft im Zusammenhang mit der Einnahme von anderen zentral wirksamen Medikamenten auftreten. Patienten mit TCA-Intoxikationen können sich klinisch mit dem Bild eines ZAS präsentieren. In der Vergangenheit entwickelten sich nach der Gabe von Physostigmin bei diesen Patienten gehäuft lebensgefährliche Bradyarrhythmien, sodass in diesen Fällen besondere Vorsicht geboten ist [37]. Andere cholinerge Wirkungen wie Muskelschwäche, Hypersekretion oder Bronchospasmus können zudem bei Patienten mit eingeschränkten Schutzreflexen zu respiratorischen Problemen führen.

Alternative Therapien erzielen beim ZAS oftmals wenig Wirkung und können allenfalls supportiv bei leichten Symptomen erwogen werden. Beispielhaft sollen Benzodiazepine genannt sein, die ansonsten häufig bei agitierten Patienten eingesetzt werden, allerdings beim ZAS nur bei einem knappen Viertel der Patienten eine Besserung der Unruhe bewirkten [41]. Dies ist darin begründet, dass Benzodiazepine die Ursache in diesem Fall nicht beheben und sogar selbst Auslöser des ZAS sein können oder zumindest die Symptomatik aggravieren. Als alternative Therapie kann bei milden Symptomen in Verbindung mit einer Agitation Droperidol in Erwägung gezogen werden. Es zeigt im Vergleich zu anderen Neuroleptika eine geringere Krampfhäufigkeit und nur sehr selten eine QT-Verlängerung, dennoch können auch hier Nebenwirkungen wie Verwirrtheit auftreten, was den Einsatz infrage stellt. Insbesondere bei Patienten mit schweren zentralen Symptomen bleibt Physostigmin das Mittel der Wahl.

Serotoninsyndrom

Hintergrund

Während in der Anästhesie Medikamente, die ein ZAS begünstigen, immer seltener eingesetzt werden, steigt die Zahl der Patienten, die mit Antidepressiva vorbehandelt werden, insbesondere den selektiven Serotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI), stetig an. Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 1682 Mio. Tagesdosen eines Antidepressivums verordnet, im Jahr 2011 waren es dagegen noch 1255 Mio. Tagesdosen [29]. Mit wachsender Zahl der Patienten, die serotonerge Medikamente zu sich nehmen, steigt auch das Risiko für ein SeS. Das SeS wird durch eine erhöhte Serotoninkonzentration im Gehirn ausgelöst. Für die toxischen neurologischen Symptome ist v. a. die übermäßige Aktivierung der 5‑HT1A- und 5‑HT2A-Rezeptoren ursächlich [10]. Der 5‑HT2A-Rezeptor ist einer der wichtigsten exzitatorischen Serotoninrezeptoren und wird auch für die Wirkung von D‑Lysergsäurediethylamid (LSD) und Psilocybin, dem Wirkstoff psychedelischer Pilze, verantwortlich gemacht [32]. Auch wenn anzunehmen ist, dass die Inzidenz des SeS seit der Erstbeschreibung in den 1950er-Jahren bis heute zugenommen hat, gibt es nur wenige belastbare Untersuchungen bezüglich der Häufigkeit nach Allgemeinanästhesien. Einen Indikator für die Häufigkeit kann lediglich die Meldung von Nebenwirkungen der „post-market surveillance“ von SSRI geben. Bei dieser Medikamentengruppe wird das SeS mit einer Häufigkeit von 4 Fällen/10.000 Patientenmonate angegeben [5]. Eine aktuelle Untersuchung von Patienten auf einer internistischen Intensivstation zeigte, dass 7,8 % dieser Patienten die Diagnosekriterien eines SeS erfüllten ([35]; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Diagnose des Serotoninsyndroms (Hunter-Kriterien). (Nach Dunkley et al. [12])

Auslöser des SeS ist meist die Kombination von 2 oder mehreren serotonerg wirkenden Medikamenten, selten kann eine Dosissteigerung zu einem SeS führen. 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin (MDMA), Ecstasy und Tramadol gehören zu den Substanzen, die in der alleinigen Anwendung ein SeS auslösen können. Während SSRI, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) und TCA ein vergleichsweise niedriges Risiko für SeS haben, gehen Monoaminooxidasehemmer (MAOH), MDMA und Linezolid, insbesondere in Kombination, mit einem deutlich erhöhten Risiko für ein SeS einher [5]. Zusätzlich wirken viele perioperativ eingesetzte Medikamente serotonerg, wie z. B. Setrone (Ondansetron/Granisetron), Ketamin oder Methylenblau, aber v. a. auch Opioide. Pharmakologische Studien zeigten, dass manche Opioide wie Pethidin, Tramadol und Methadon, als Serotonin-Wiederaufnahmehemmer wirken, ebenso Dextromethorphan [5]. Andere phenanthrenbasierende Opioide wie Morphin, Codein, Hydrocodon und Oxycodon zeigten im Tiermodell keine hemmende Wirkung, obwohl auch bei diesen Wirkstoffen das Auftreten eines SeS berichtet ist, allerdings seltener als beispielsweise bei Tramadol [5]. Fentanyl hemmt ebenfalls die Serotoninwiederaufnahme und ist nach Tramadol das häufigste Opioid, das in einen Zusammenhang mit dem SeS gebracht wurde. Für Remifentanil sind ebenfalls Fallberichte eines SeS im Rahmen der Anästhesie beschrieben [22]. Ob und welchen Einfluss Sufentanil auf die Serotoninwiederaufnahme hat, ist noch nicht bekannt (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Risikomatrix für das Serotoninsyndrom. SSRI Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SNRI Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, TCA trizyklische Antidepressiva, MAOH Monoaminooxidasehemmer, SeS-Anamnese Serotoninsyndrom in der Anamnese. (aus Baldo und Rose [5])

Da MAOH der ersten Generation eine irreversible Hemmung verursachten und eine Wirkdauer bis zu 14 Tagen hatten [5], wurden diese in der Vergangenheit präoperativ regelhaft abgesetzt. Die MAOH der neueren Generationen wie Moclobemid wirken selektiv und reversibel und haben so nur noch eine Wirkdauer von 16–24 h [5]. Ein routinemäßiges Absetzen dieser neuen MAOH wird daher nicht mehr empfohlen; bei Medikamenten der älteren Generation ist die Umstellung auf ein Präparat mit kurzer Wirkdauer ratsam [14]. Bei diesen Patienten ist jedoch die Kontraindikation von Tramadol und Pethidin zu berücksichtigen. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer und TCA sollen ebenfalls nur noch nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung abgesetzt werden. Dabei muss bedacht werden, dass das rasche Absetzen zu Entzugssymptomen führen kann und manche Medikamente teilweise eine lange Wirkdauer aufweisen [14]. Aktive Metaboliten des Fluoxetins können beispielsweise bis zu 14 Tage wirksam sein, Metaboliten des Amitriptylins bis zu 80 h.

Klinische Zeichen

Die klassischen Symptome eines SeS bestehen aus der Trias neuromuskuläre Übererregbarkeit, hyperaktives autonomes Nervensystem und Bewusstseinsstörung. Für die Diagnose des SeS wird nach den Hunter-Kriterien [12] zusätzlich zur Einnahme einer serotonergen Substanz mindestens ein neuromuskuläres Symptom gefordert, wobei das Vorhandensein eines spontanen Klonus oder eines Tremors mit Hyperreflexie für die Diagnose ausreicht. Wenn es sich lediglich um einen auslösbaren Klonus handelt oder der Klonus lediglich auf die Augen beschränkt ist, werden zusätzlich Kriterien des autonomen Nervensystems oder des Bewusstseins gefordert (Tab. 4; [12]). Gerade im perioperativen Bereich sollte bei Fieber, Tachykardie, Kreislaufinstabilität und Bewusstseinsstörungen jedoch auch immer an eine mögliche maligne Hyperthermie (MH) als Differenzialdiagnose gedacht werden.

Tab. 4 Symptome und Therapie des Serotoninsyndroms, differenziert nach Schweregrad. (Mod. nach Baldo und Rose [42])

Therapie

Die Therapie des SeS erfolgt primär symptomatisch. Bei jedem SeS sollte die Gabe der serotonergen Substanzen rechtzeitig beendet oder, soweit möglich, auf Substanzen mit niedrigerem serotonergem Potenzial umgestellt werden. Für alle Medikamente sind lediglich Fallberichte oder tierexperimentelle Daten veröffentlicht, dagegen sind Studiendaten zum Vergleich oder zur Wirksamkeit derzeit nicht verfügbar. Zur Therapie der Agitation können Benzodiazepine verwendet werden, und es sollte eine adäquate Flüssigkeitszufuhr sichergestellt werden. Bei Aggravation der Symptome kann die Gabe eines Serotoninantagonisten erfolgen. Es soll aber darauf hingewiesen sein, dass die Gabe von Serotoninantagonisten lediglich in Fallberichten untersucht wurde; die Therapie der Wahl ist Cyproheptadin (Peritol®), ein Serotonin- und Histaminantagonist [15]. Zu beachten ist, dass Cyproheptadin nur als orale Formulierung verfügbar ist, also ggf. bei bewusstseinsgetrübten Patienten über eine Magensonde verabreicht werden muss und es für diese Indikation in Deutschland keine Zulassung besitzt. Für die Therapie des SeS werden 12 mg Cyproheptadin p.o. empfohlen und anschließend 2 mg alle 2 h bis zur Besserung der Symptome (max. Tagesdosis 32 mg bzw. 0,5 mg/kgKG; [6]). Nach der Besserung der Symptome wird eine Erhaltungsdosis von 8 mg alle 6 h empfohlen. International wurden auch Therapien mit weiteren Serotoninantagonisten wie Chlorpromazin oder Ketanserin beschrieben [23]. Beide Medikamente haben den Vorteil, dass auch eine i.m.- (Chlorpromazin) oder i.v.-Verabreichungsform (Ketanserin) verfügbar ist, jedoch sind sie nur über internationale Apotheken, und nicht in Deutschlang, erhältlich. Die langen Importzeiten machen eine Anwendung im klinischen Notfall fast unmöglich.

Bei milden Symptomen und kreislaufstabilen Patienten wurde Propanolol aufgrund seiner serotoninantagonistischen Wirkung empfohlen [23]. Da es beim SeS rasch zu Kreislaufveränderungen kommen kann, wird inzwischen speziell bei hämodynamisch instabilen Patienten die Verwendung von kurz wirksamen β‑Blockern wie Esmolol empfohlen [6]. Von der Gabe von Hydralazin ist abzuraten, da es über die Hemmung der MAO selbst den Serotoninspiegel erhöhen kann. Ab einer Körpertemperatur von 38,5 °C, gemeinsam mit einer Hypertonie und Rigor, spricht man von einer Serotoninkrise, einem lebensgefährlichen Krankheitsbild.

Die autonome Dysregulation kann zu raschen Herzfrequenz- und Blutdruckschwankungen führen. Eine Hypotonie sollte mit Flüssigkeitssubstitution und ggf. Katecholaminen (Noradrenalin) behandelt werden. Bei Patienten, die MAOH einnehmen, ist besondere Vorsicht geboten, da diese den Abbau der Katecholamine beeinflussen können. Wirkung und Wirkdauer von Katecholaminen sind bei diesen Patienten nicht abschätzbar. Bei Patienten im Alter über 65 Jahren mit starken hämodynamischen Schwankungen kann statt der Gabe eines Benzodiazepins auch die Gabe von Dexmedetomidin (0,7–1,4 µg/kgKG und h) erwogen werden, da Letzteres in tierexperimentellen Studien einen Vorteil gegenüber Midazolam zeigte [25].

Das Fieber bei SeS entsteht primär durch vermehrte Muskelaktivität, weshalb sich Antipyretika wie Paracetamol in der Therapie des Fiebers als unwirksam erwiesen haben. Die primäre Behandlung des Fiebers beschränkt sich auf Kühlung und Sedierung, um die Muskelaktivität zu senken. Bei einer Serotoninkrise kann es durch die überschießende Muskelaktivität zu Atembeschwerden durch Muskelkontraktionen sowie zu einer Rhabdomyolyse mit Acidose und disseminierter intravasaler Koagulation kommen. Patienten in einer Serotoninkrise sollten deshalb intubiert und mit nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien relaxiert werden. Depolarisierende Muskelrelaxanzien sollten vermieden werden, da sie die Gefahr der Hyperkaliämie im Rahmen der Rhabdomyolyse verstärken können. Dantrolen hat bei der Therapie einer Hyperthermie im Rahmen des SeS dagegen keinen Vorteil gezeigt. Flüssigkeitsverluste durch Fieber, besonders bei Rhabdomyolyse, sollten konsequent ausgeglichen werden, um ein akutes Nierenversagen zu verhindern.

Malignes neuroleptisches Syndrom

Hintergrund und klinische Zeichen

Das Auftreten eines MNS wurde erstmals 1956 beschrieben [4] und präsentiert sich oftmals mit sehr unterschiedlichen klinischen Zeichen, häufig jedoch mit den 3 Hauptsymptomen Fieber (> 38,5 °C), Rigor und einer erhöhten Kreatinphosphokinasekonzentration (> 4Fache des Referenzwerts). Für die Diagnose eines MNS muss die Einnahme eines neuroleptischen Medikaments vorliegen, und alle 3 Hauptkriterien müssen erfüllt sein. Sind nur 2 der Hauptsymptome erfüllt, müssen 4 Nebenkriterien zutreffen (Tab. 5; [17]).

Tab. 5 Diagnostische Haupt- und Nebenkriterien für das maligne neuroleptische Syndrom. (Gurrera et al. [17])

Die 3 Hauptkriterien spiegeln sich in der wichtigsten Differenzialdiagnose der MH wider. Nicht nur die klinischen Symptome des MNS ähneln der MH, es wurde auch ein gemeinsamer zugrunde liegender Pathomechanismus postuliert. Die Untersuchungen bei Patienten nach MNS auf eine mögliche Prädisposition zur MH zeigten unterschiedliche Ergebnisse. Bei Muskelbiopsien konnte, je nach Untersuchung, bei 0–71 % der Patienten eine Prädisposition zur MH nachgewiesen werden [1]. Es handelte sich jedoch um kleine Studienpopulationen, und somit bleibt eine gemeinsame Pathophysiologie umstritten.

Das MNS hat durch die COVID-19-Pandemie erneut an Bedeutung gewonnen. Während der Pandemie wurden Fälle von MNS bei COVID-19-Patienten berichtet, ohne weitere neuroleptische Medikation [24]. Ein Zusammenhang zwischen den neurologischen Symptomen von COVID-19 oder dem antiviralen Medikament Favipiravir wurde postuliert [36]. Generell gilt ein Dopaminmangel, speziell die Blockade der D2-Rezeptoren, als Verursacher des MNS [34]. Zu den auslösenden Substanzen zählen v. a. klassische Neuroleptika, jedoch können auch atypische Neuroleptika mit geringer D2-Aktivität ein MNS hervorrufen. Neben den Wirkstoffen an sich sind verschiedene andere Einflussfaktoren des Auftretens von MNS beschrieben. Formulierungen mit Depotwirkungen oder die i.v.-Gabe sowie eine schnelle Dosissteigerung erhöhen die Gefahr des Auftretens eines MNS. Geringe und gleich bleibende orale Dosierungen verringern die Gefahr, jedoch sind auch hier Fälle in der Literatur beschrieben. Die gleichzeitige Gabe mehrerer Medikamente, insbesondere von Lithium kann die Auftretenswahrscheinlichkeit erhöhen. Ein besonderes Augenmerk sollte im perioperativen Setting zusätzlich auf Antidepressiva (TCA, SSRI o. Ä.) und Prokinetika (Domperidon, Metoclopramid) gelegt werden; diese können ebenfalls ein MNS verursachen. Rasche Medikationsänderungen im perioperativen Setting und weitere Faktoren wie Flüssigkeitsmangel, operativer Stress und Hitzeexposition können das Auftreten eines MNS begünstigen [16].

Die Inzidenz im perioperativen Setting ist nicht untersucht; die Prävalenz bei Patienten mit Anwendung von neuroleptischen Medikamenten wird aber mit 0,02–2,44 % [2] und die Mortalität mit 5,6–11 % angegeben [30]. Es handelt sich also um ein seltenes, aber lebensbedrohliches Syndrom.

Therapie

Neben den Symptomen gibt es auch bei der Therapie des MNS einige Überschneidungen zur MH. Primäre Maßnahmen bei vorliegendem MNS sind das Absetzen der (vermuteten) auslösenden Substanz und eine individuelle supportive Therapie. Die supportive Therapie besteht vornehmlich in einer Fiebersenkung, medikamentös und physikalisch sowie in Form liberaler Flüssigkeitssubstitution zur Verhinderung eines Nierenschadens durch die Rhabdomyolyse. Bei ausgeprägter Rhabdomyolyse kann eine Alkalisierung des Urins erwogen werden, und es sollte eine regelmäßige Kontrolle der Elektrolyte erfolgen. Ebenfalls hat sich eine prophylaktische Thromboseprophylaxe als vorteilhaft erwiesen. Die medikamentöse Therapie der Wahl besteht seit der Erstbeschreibung in der Verabreichung von 25–120 mg Dantrolen (alternativ 1–2,5 mg/kgKG bis maximal 10 mg/kgKG und Tag; [34]). Dantrolen führt bereits nach wenigen Minuten zu einer Abnahme des Rigors, der Herzfrequenz, der Atemfrequenz und des Fiebers. Aufgrund der hepatotoxischen Wirkung ist bei Patienten mit einer Leberschädigung jedoch besondere Vorsicht geboten. Alternativ kann Bromocriptin (5–20 mg/Tag), ein D2-Dopamin-Agonist, verabreicht werden [34]. Im Gegensatz zu dem schnell wirkenden Dantrolen zeigt sich die klinische Besserung erst nach einem Tag, und zusätzlich ist Bromocriptin nur als orale Medikation verfügbar. Bei der Verwendung von Bromocriptin sollte darauf geachtet werden, dass es zu Hypotensionen kommen kann und das Medikament am Ende der Therapie nur langsam ausgeschlichen werden sollte, um ein erneutes Aggravieren des MNS zu verhindern. Andere einzeln eingesetzte Medikamente wie Benzodiazepine und Amantadin sind aktuell ohne klaren Wirkungshinweis, lediglich die Elektrokrampftherapie erzielte neben der klassischen Therapie positive Effekte auf die MNS [39].

Das maligne L‑Dopa-Entzugssyndrom ähnelt klinisch dem MNS, tritt jedoch auf, wenn die dopaminerge Medikation akut abgesetzt wird [38]. Im Gegensatz zum MNS ist Amantadin beim malignen L‑Dopa-Entzugssyndrom („neuroleptic malignant-like syndrome“/„Parkinsonism-hyperpyrexia syndrome“) indiziert. Bei diesen Patienten sollte die Medikation wieder begonnen und ggf. die Gabe von Amantadin erwogen werden [38].

Praxistipps

  • Wichtig bei der präoperativen Visite: risikoreiche Medikamente nach Möglichkeit absetzen/umstellen,

    • Fragen nach früherem Auftreten der Syndrome bei der präoperativen Visite

    • Prämedikation mit anticholinergen Medikamenten (Atropin/Scopolamin) vermeiden

    • Ältere lang wirksame Monoaminooxidasehemmer (teilweise 14 Tage Wirkdauer) auf neuere kurz wirksame umstellen (z. B. Moclobemid)

    • Risikoabwägung bei trizyklischen Antidepressiva (TCA), selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) bzw. Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) zwischen Entzugssymptomatik und Serotoninsyndrom (SeS), ggf. beim Absetzen die langen Halbwertszeiten beachten (Fluoxetin 4 bis 6 Tage, Amitriptylin 10–28 h, aktive Metaboliten bis zu 80 h)

  • Gabe von Dopaminerge M.-Parkinson-Medikamenten nach Möglichkeit fort- und postoperativ weiterführen. Gabe von bekannten Auslösern bei Risikopatienten vermeiden (Atropin, Tramadol, Pethidin)

  • Bei Verdacht auf Medikamentenreaktion Basismaßnahmen durchführen: Exposition beenden, Patient in Überwachungsbereich verlegen, auf Flüssigkeitszufuhr achten, ggf. sedieren

  • Maligne Hyperthermie als Differenzialdiagnose in Erwägung ziehen

  • Bei schwerem Verlauf Antidot in Erwägung ziehen. Nötigenfalls Patienten intubieren, sedieren und relaxieren

  • Mögliches Wiederauftreten nach initialer Besserung bedenken

  • Ausstellen eines Anästhesieausweises mit Angaben von verdächtigem Auslöser, Symptomen und Therapie bedenken

Fazit für die Praxis

  • Sowohl das zentrale anticholinerge (ZAS) als auch das maligne neuroleptische (MNS) und das Serotoninsyndrom (SeS) sind seltene Ursachen für perioperative Bewusstseinsstörungen und dürften, mit der Ausnahme des SeS, in der Häufigkeit eher abnehmen.

  • Medikamentengaben in der Anästhesie, aber auch vorbestehende Dauermedikationen tragen zu ihrer Entstehung bei. Die Syndrome können bei korrekter Medikation auftreten oder aber erst in Kombination mit anderen Medikamenten zu toxischen Nebenwirkungen führen.

  • In der präoperativen Visite sollte das Risiko für diese seltenen Syndrome abgeschätzt werden, um risikoreiche Kombinationen bei der Anästhesie zu vermeiden oder ggf. auf weniger starke Auslöser zurückgreifen.

  • Eine klare Abgrenzung und schnelle Therapie sind bei diesen potenziell lebensgefährlichen Syndromen besonders relevant.