1 Einleitung

Der Lehrer*innenberuf ist eine herausfordernde und von vielen Unsicherheiten geprägte professionelle Tätigkeit. Zu deren professionellen Ausübung werden in der Lehrer*innenbildung Grundlagen bezogen auf das Professionswissens oder die Reflexivität gelegt (Cramer et al. 2020). Diese sind jedoch nicht hinreichend für eine erfolgreiche, berufslebenslange Unterrichtstätigkeit (Richter und Richter 2020). So wird in der jahrzehntelangen Zeitspanne der Berufsausübung (dritte Phase der Lehrer*innenbildung) das lebenslange berufsbezogene Lernen als zentraler Aspekt der Professionalisierung von Lehrpersonen angesehen (Schmidt-Hertha 2020) Dementsprechend wird in den von der Kultusministerkonferenz beschlossenen Standards für die Lehrer*innenbildung die Anforderung formuliert, dass „Lehrkräfte […] ihren Beruf als ständige Lernaufgabe [verstehen] und […] ihre Kompetenzen weiter[entwickeln]“ (Kultusministerkonferenz 2004, S. 14). Hierbei kommt Fort- und Weiterbildungen, also „Angebote[n], bei denen intentional im Rahmen von Kursen und Workshops gelernt wird“ (Richter und Richter 2020, S. 346), eine wichtige Funktion zu. Die Zeit, die Lehrpersonen mit solchen formellen Lerngelegenheiten verbringen, variiert national wie international stark (OECD 2019; Rotermund et al. 2017). Dabei ist i. d. R. in Deutschland, anders als in den meisten anderen Ländern, kein Mindestumfang an jährlichen obligatorischen Fortbildungen festgelegt (Fussangel et al. 2016). Neben solchen institutionalisierten Fortbildungen wird als weiteres Element berufsbegleitender Professionalisierung zunehmend auch die Bedeutung informeller Lerngelegenheiten thematisiert (Coffield 2000; Kyndt et al. 2016; Thacker 2017; Tynjälä und Heikkinen 2011), die für den gesamten beruflichen Sozialisationsprozess relevant sind (Tippelt und Schmidt-Hertha 2020) und außerhalb von organisierten Veranstaltungen stattfinden (Schmidt-Hertha 2020). Entsprechend ist in den länderübergreifenden Eckpunkten zur Fortbildung von Lehrkräften (Kultusministerkonferenz 2020, S. 2) formuliert, „dass Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal […] ihre Kompetenzen an ihrem Arbeitsplatz fortwährend durch Nutzung informeller Lerngelegenheiten weiterentwickeln.“ Informelle Lernaktivitäten sind – im Gegensatz zu sogenannten inzidentellen Formen, die zufällig und häufig unbewusst entstehen – überwiegend selbstgesteuert und intentional (Cerasoli et al. 2018) und finden nicht planmäßig oder curricular festgelegt statt, sondern zumeist offen, praxis- und handlungsorientiert als sog. reflektierende Erfahrungsverarbeitung (Reetz und Tramm 2000).

Eine Vielzahl von Befunden weist darauf hin, dass informelles Lernen sowohl für andere Professionen (z. B. unter Ärzten oder Juristen: Heise 2007) als auch berufsübergreifend (Coffield 2000; Manuti et al. 2015) die wichtigste Form berufsbezogenen Lernens darstellt. Eine berufsübergreifende Meta-Analyse zur Nutzungspraxis und Häufigkeit von informellen Lernaktivitäten weist auf bedeutsame Zusammenhänge zur berufsbezogenen Leistung (ρ = 0,42), zum Kompetenzerwerb (ρ = 0,41) und berufsbezogenen Einstellungen (ρ = 0,29) von Mitarbeitenden hin (Cerasoli et al. 2018). In diesem Zusammenhang erweisen sich verschiedene demografische Merkmale und individuelle Prädispositionen sowie Charakteristika des Berufs und dessen Kontexts als relevant für die Praxis und Häufigkeit informeller Lernaktivitäten (Cerasoli et al. 2018; Kyndt et al. 2016).

Während für ausgewählte Teilaspekte informellen Lernens von Lehrpersonen in Deutschland erste Befunde vorliegen (z. B. zur Kooperation: Richter und Pant 2016; zum Lesen von Fachliteratur: Richter et al. 2011), stellt die fragebogengestützte systematische Untersuchung der vielfältig möglichen informellen Lernaktivitäten von Lehrpersonen im deutschsprachigen Raum nach wie vor Neuland dar, insbesondere auch in Hinblick darauf, inwiefern diese durch Hintergrundmerkmale beeinflusst wird. Diese Studie leistet auf Basis einer repräsentativen Stichprobe von Lehrpersonen an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland einen Beitrag zur Schließung der bestehenden Forschungslücke zu informellen Lerngelegenheiten, indem eine deutsche Übersetzung eines für Lehrpersonen in den Niederlanden vorliegenden, breit angelegten Erhebungsinstruments (Evers et al. 2016) entwickelt und dessen faktorielle Struktur überprüft wird. Darüber hinaus sollen Befunde zu den Zusammenhängen mit ausgewählten demografischen und dispositionellen Lehrpersonenmerkmalen (Alter, Geschlecht, Qualifikation als Lehrkraft, Selbstwirksamkeit) sowie mit der Übernahme von Funktionen in der erweiterten Schulleitung als besonderes Berufsmerkmal und der Schulform gewonnen werden.

2 Stand der Forschung

Im Folgenden wird der Stand der Forschung bezüglich des informellen Lernens im Beruf allgemein und im Speziellen für den Lehrer*innenberuf dargestellt und die Schwierigkeit einer umfassenden Erfassung informellen Lernens herausgearbeitet. Anschließend erfolgt eine Zusammenschau der Befundlage zu ausgewählten demografischen, dispositionellen und berufsspezifischen Merkmalen, für die wir konform zum Forschungsstand Effekte auf informelle Lernaktivitäten angenommen und auf Basis der vorliegenden Daten analysiert haben.

2.1 Informelles Lernen

Vielfach wird argumentiert, eine traditionelle Sicht auf das berufsbezogene Lernen sei alleine kaum zeitgemäß, wonach Lehrpersonen ihr berufsspezifisches Wissen und Können durch formale Qualifikation erwerben und primär über Fortbildungsangebote vertiefen und erweitern (Coffield 2000; Rohs 2016; Thacker 2017): Fortbildungen sind inhaltlich stark vorstrukturiert und entsprechen daher trotz Wahlmöglichkeiten kaum der Idee der Notwendigkeit von lebenslangem Lernen als einem selbstgesteuerten und problemorientierten Prozess. Diesem Anspruch werden dagegen eher informelle Formen des Lernens gerecht, durch die Lernende gezielt – d. h. ihren eigenen Interessen oder konkreten, alltagsbezogenen Problemstellungen folgend – nach Erkenntnissen, Wissen oder Fähigkeiten streben (Livingstone 2006). Eine konzeptuelle Abgrenzung informellen Lernens von anderen berufsbezogenen Lernformen stellt sich jedoch in der Literatur uneinheitlich dar, deren Gemeinsamkeit vornehmlich in der Abgrenzung von Lernprozessen im Rahmen formaler Curricula an Bildungsinstitutionen besteht (für einen historischen Überblick: Overwien 2018). So finden sich auch Konzeptionen, die ein Kontinuum berufsbegleitenden Lernens beschreiben – von inzidentellem und impliziten an den berufsbezogenen alltäglichen Herausforderungen orientiertem Lernen bis hin zu formal weiterqualifizierenden Programmen (Eraut 2004; Manuti et al. 2015). In anderen Quellen wird inzidentelles, also im Arbeitsalltag beiläufig stattfindendes Lernen von bewusst initiierten Lerngelegenheiten abgegrenzt (z. B. Dobischat und Gnahs 2008; vgl. Overwien 2018). Insgesamt bleibt „der Begriff des informellen Lernens theoretisch und kategorial weitgehend unbestimmt“ (Kuper und Kaufmann 2010, S. 100). Während zur Nutzung von Fort- und Weiterbildungen Rahmenmodelle existieren (Borko 2004; Johannmeyer und Cramer 2021; Lipowsky 2011), gilt das informelle Lernen traditionell als theoretisch unterentwickelt (Kyndt et al. 2016; Skule 2004). Die vorgestellte Studie folgt der Konzeptualisierung von informellen Lernaktivitäten als selbstgesteuerten und selbstinitiierten Lernaktivitäten mit dem zumeist intrinsisch motivierten Ziel der eigenen professionellen Weiterentwicklung oder Verbesserung, die sich außerhalb organisierter Lernveranstaltungen vollziehen (Cerasoli et al. 2018; Tannenbaum et al. 2010). Im Handlungsmodell lebenslangen Lernens (Spiel 2006; vgl. auch grundlegende Erwartungs-Wert-Modelle, z. B. Wigfield und Eccles 2000, oder die Theorie geplanten Verhaltens, Ajzen 1991) wird zudem verdeutlicht, dass insbesondere die Phase des Abwägens vor der Initiierung informeller Lernaktivitäten durch Erfolgserwartungen (z. B. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen), aber auch Werthaltungen (z. B. Interesse) beeinflusst wird.

2.2 Informelle Lerngelegenheiten im Lehrer*innenberuf und ihre Erfassung

Neben der Formulierung einer konsensfähigen Definition informeller Lerngelegenheiten stellt auch deren empirische Erfassung eine Herausforderung dar (Bilger 2016; Moskaliuk und Cress 2016). Während in einigen Studien nur wenige Dimensionen informellen Lernens (z. B. das Lesen von Fachliteratur und die Kooperation im Kollegium) thematisiert werden (z. B. Heise 2007; Richter et al. 2011), sind empirische Zugänge andererseits leicht dem Verdacht ausgesetzt, lediglich mehr oder weniger zufällig als lernförderlich geltende Aktivitäten aufzulisten (Dobischat und Gnahs 2008).

Bezüglich der Systematisierung der verschiedenen Lerngelegenheiten findet sich in der Literatur ein heterogenes Bild. Beispielsweise entwickelten Kyndt et al. (2016) im Rahmen eines systematischen Literatur-Reviews anhand von 124 identifizierten informellen Lernaktivitäten im Lehrer*innenberuf ein induktiv entwickeltes System mit den Kategorien „Experimentieren und Üben“, „Informationsquellen konsultieren“, „Reflexion“, „Lernen in der Interaktion mit anderen“, „Lernen von anderen ohne Interaktion“ und „Engagieren in außerunterrichtlichen Aktivitäten“. Auf Basis theoretischer Überlegungen beschreiben Marsick und Watkins (2001) zwei Hauptdimensionen „Lernen durch Interaktion“ und „Lernen durch Reflexion“, die in weiterführenden Überlegungen von Huang et al. (2020) hinsichtlich der lernprozessinitiierenden Interaktionspartner*innen (z. B. Kolleg*innen, Schüler*innen usw.) bzw. -gegenstände (z. B. Medien) differenziert werden.

Empirisch-statistisch differenzierbare Dimensionen informellen Lernens von Lehrpersonen finden sich bisher nur wenige. Auf Grundlage einer qualitativen Interviewstudie mit Lehrpersonen nimmt Kwakman (2003) induktiv vier Kategorien informellen Lernens (Lesen, Experimentieren, Reflektieren und Zusammenarbeit) an, die sich allerdings auf Basis eines korrespondierend entwickelten Fragebogens faktorenanalytisch nicht bewährt haben. In einer auf die Systematik von Kwakman (2003) aufbauenden Studie nehmen Evers et al. (2016) eine Weiterentwicklung dieses Instruments vor, in dem einerseits Nutzungsformen digitaler Medien im Sinne einer zeitgemäßen Aktualisierung integriert werden, andererseits eine Überarbeitung einiger Itemformulierungen mit dem Ziel einer höheren Trennschärfe erfolgt. Ausgehend von dem umfangreicheren Pool an Aktivitäten informeller Fortbildung konnten faktorenanalytisch die folgenden Dimensionen unterschieden werden:

  1. 1.

    „Keeping up-to-date“: Lesen fachwissenschaftlicher und fachdidaktischer Print- und Interentquellen.

  2. 2.

    „Experimenting“: Ausprobieren neuer Materialien, Apps oder Methoden im Unterricht.

  3. 3.

    „Reflecting and asking for feedback“: Reflexion eigener unterrichtlicher Stärken und Schwächen auf Grundlage eigener Unterrichtswahrnehmungen oder Reaktionen und Rückmeldungen von Schüler*innen oder Kolleg*innen.

  4. 4.

    „Collaborating with colleagues with the aim of improving lessons“: Gemeinsame Entwicklung oder Diskussion von Unterrichtseinheiten und -techniken mit Kolleg*innen.

  5. 5.

    „Collaborating with colleagues with the aim of improving school development“: Kooperation mit Kolleg*innen mit dem Ziel der Weiterentwicklung der Schule.

Die für den Bereich der Kooperation vorgenommene Differenzierung hinsichtlich ihrer Zielsetzungen nach Unterrichts- und Schulentwicklung begründen Evers et al. (2016) mit den damit verbundenen unterschiedlichen Lerninhalten. Auch in der Studie von Hartmann et al. (2020) zur Kooperation von Lehrpersonen in Deutschland erweist sich die Unterscheidung von Schul- und Unterrichtsentwicklung als statistisch passender als eine gemeinsame Betrachtung. Die theoretisch begründete Dimension „reflecting and asking for feedback“ kombiniert zwei, in der Literatur häufig separat behandelte Professionalisierungsformen angesichts vergleichbarer Verarbeitungsprozesse und dem geteilten Ziel der Unterrichtsentwicklung. Beispielsweise erfordert die produktive Nutzung von Schüler*innen- oder Kolleg*innenfeedback, dass die Rückmeldungen hinsichtlich einer angestrebten Unterrichtsentwicklung kognitiv verarbeitet, also reflektiert werden (vgl. Röhl et al. 2021). Umgekehrt bedürfen Reflexionsprozesse im Sinne Schöns (1983) und Deweys (1910) eines irritierenden oder „störenden“ Impuls, der z. B. auch durch eine bewusst oder unbewusst gegebene Rückmeldung anderer Personen gegeben sein kann.

Im Rahmen der vorliegenden Studie sollte vor diesem Hintergrund die empirische Verwendbarkeit einer Übersetzung des ursprünglich in den Niederlanden entwickelten Erhebungsinstruments von Evers et al. (2016) und der identifizierten Dimensionalität für Lehrpersonen in Deutschland überprüft werden. Da sich die Originalfassung innerhalb des mehrschrittigen empirischen Entwicklungs- und Überprüfungsverfahrens als valide erwiesen hat, kann in Weiterführung der weiter oben formulierten Fragestellungen die Annahme getroffen werden, dass die von Evers et al. (2016) entwickelte Dimensionierung informeller Lerngelegenheiten im Lehrer*innenberuf sich auch in der deutschen Übersetzung für Lehrpersonen in Deutschland bewährt.

Die Befunde zur Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten durch Lehrpersonen aus verschiedenen Einzelstudien lassen sich aufgrund der konzeptuellen und dimensionalen Unschärfe zwischen den dargestellten Erhebungsformen nur begrenzt vergleichen. So zeigt sich z. B. für die von Evers et al. (2016) untersuchte niederländische Stichprobe die höchste Nutzungshäufigkeit für die Dimension „keeping up-to-date“, gefolgt von kooperativen Aktivitäten zur Unterrichts- und Schulentwicklung. Dagegen berichtet jedoch Kwakman (2003), ebenfalls für eine niederländische Stichprobe, die häufigste Nutzung für individuelle und unterrichtsbezogene Lernaktivitäten. Eine Studie aus China deutet dagegen auf eine hohe Verbreitung der Konstrukte „kollegiale Interaktionen“ und „individuelle Reflexionsaktivitäten“ unter Lehrpersonen hin (Huang et al. 2020). Befunde aus internationalen Vergleichsstudien, die jedoch nur einzelne, exemplarisch erhobene informelle Lerngelegenheiten adressieren, weisen darauf hin, dass die Nutzungshäufigkeit zwischen verschiedenen Ländern stark variieren kann (OECD 2020).

2.3 Zusammenhänge zwischen demografischen, dispositionalen sowie berufsbezogenen Merkmalen und der Nutzung informeller Lerngelegenheiten

Die Nutzung von Fort- und Weiterbildungen wurde in Verbindung mit personengebundenen und berufsbezogenen Merkmalen gebracht, die gemäß des sog. Angebots-Nutzungs-Modells (für Fortbildungen, z. B. Lipowsky und Rzejak 2015; angelehnt an Helmke und Weinert 1997) schulische Entwicklungs- und Professionalisierungsprozesse beeinflussen. Selbst wenn gemäß diesen Taxonomien mögliche Einflussfaktoren auf die Nutzung informeller Lerngelegenheiten identifiziert werden können, liegen zu Effekten auf die Nutzung informeller Lerngelegenheiten von Lehrpersonen bisher nur wenige Befunde vor. Im Folgenden wird der Stand der Forschung bezüglich einzelner Faktoren dargestellt und ggf. durch Erkenntnisse zur Nutzung von Fort- und Weiterbildungsangeboten ergänzt.

2.3.1 Alter und Berufserfahrung

Bezogen auf die Berufslaufbahn wird in Studien zur professionellen Entwicklung von Lehrpersonen häufig auf das empirisch-begründete Phasen- oder Themenmodell von Huberman (1989) Bezug genommen (z. B. Cramer et al. o.J.; Richter et al. 2011; Hauk et al. 2022), welches die ersten drei Berufsjahre idealtypisch als eine Phase des Überlebens und Entdeckens, gefolgt von einer Stabilisierungsphase in den Jahren vier bis sechs beschreibt. Die daran anschließende Phase (Berufsjahre 7–18) ist entweder von Experimentierfreude und Aktivismus oder der Neubeurteilung mit eventuellen Zweifeln an der Passung zum Beruf oder der Sinnhaftigkeit des Tuns gekennzeichnet und gilt als prägend für die weitere, ungefähr ein Jahrzehnt währende Phase, die entweder durch die Entwicklung von Reife und Gelassenheit oder aber durch ein konservatives Verharren gekennzeichnet ist. Am Ende der Berufslaufbahn lässt das berufliche Engagement zumeist nach und ist je nach den vorhergehenden Erfahrungen von Gelassenheit und Abgeklärtheit oder aber von Bitterkeit geprägt.

Obgleich dieses Modell durch seine explizite Abgrenzung von Berufsabschnitten und differenziellen Entwicklungsverläufen ohne mögliche Zwischenstufen etwas dichotom erscheint und im Einzelfall auch gar nicht aussagekräftig sein muss, weisen vorliegend einige Befunde auf theoriekonforme Verläufe in der Lernaktivität von Lehrpersonen hin. So zeigen die Befunde von Richter et al. (2011), dass Fortbildungen am häufigsten von Lehrpersonen in der Mitte ihrer beruflichen Laufbahn genutzt werden, was gemäß dem Modell von Huberman (1989) durch die in dieser Phase vorhandene Experimentierfreude erklärt werden könnte. Für entwicklungs- und karriereorientierte Fortbildungsmotivationsaspekte zeigen sich mit zunehmendem Alter und höherer Berufserfahrung bedeutsame Verringerungen (Hauk et al. 2022; Richter et al. 2019, Zhang et al. 2022). Befunde zu informellen Lernaktivitäten von Lehrpersonen weisen jedoch ein uneinheitliches Bild auf. So ergibt sich in berufsübergreifenden Meta-Analysen insgesamt eine signifikante Abnahme der Aktivitäten mit zunehmendem Alter (Cerasoli et al. 2018; Kyndt und Baert 2013). Die querschnittlichen Befunde von Richter et al. (2011) weisen auf eine vermehrte Kooperation von Lehrpersonen in Deutschland am Beginn ihrer Laufbahn hin, während Lehrpersonen mit fortgeschrittener Berufsbiografie eher Fachliteratur lesen. Andere Studien zeigen mit steigendem Alter eine Zunahme der Kooperationsaktivitäten (Kwakman 2003), Abnahme der Experimentierfreudigkeit (van Daal et al. 2014) oder aber keine Effekte bezüglich informeller Lernaktivitäten hinsichtlich der Berufslaufbahn (Grosemans et al. 2015).

Zusammenfassend scheint das Alter der Lehrpersonen eine gewisse Relevanz für die Häufigkeit informeller Lernaktivitäten aufzuweisen, obgleich sich keine einheitliche Studienlage abzeichnet. So sind sowohl lineare Ab- bzw. Zunahmen als auch parabelförmige, zuerst ansteigende und wieder abfallende Verläufe denkbar.

2.3.2 Geschlecht

In berufsübergreifenden Studien zeigt sich insgesamt eine häufigere Fortbildungsteilnahme (z. B. Kuper und Kaufmann 2010) und höhere informelle Lernaktivitäten (vgl. Cerasoli et al. 2018) von Frauen. Für den Lehrer*innenberuf stellt sich die Befundlage weniger eindeutig dar. So besuchen auch Lehrerinnen nach Richter et al. (2011) häufiger Fortbildungen und kooperieren stärker; dahingehend wenden männliche Kollegen mehr Zeit für das fortwährende Lesen von Fachliteratur auf (Richter et al. 2011). Andere Studien zeigen keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Kooperationsaktivität (Richter und Pant 2016) und der Nutzung anderer informeller Lerngelegenheiten von Lehrpersonen (Smaller et al. 2000). Somit lässt die für den Lehrer*innenberuf vorliegende Befundlage keine eindeutige Erwartung bezüglich möglicher Geschlechtereffekte formulieren, wenngleich die berufsübergreifenden Befunde eine häufigere informelle Lernaktivität auch für Lehrerinnen im Vergleich zu Lehrern nahelegen.

2.3.3 Quer- und Seiteneinstieg bzw. fehlende formale Qualifikation

Lehrpersonen ohne grundständiges universitäres Lehramtstudium fehlen zentrale bildungswissenschaftliche und fachdidaktische Inhalte der institutionalisierten Lehrer*innenbildung (Porsch 2021), wobei so genannte Quereinsteigende mit einem abgeschlossenen fachwissenschaftlichen Studium in den meisten Bundesländern in den regulären Vorbereitungsdienst integriert werden und somit die Erlangung entsprechender Kompetenzen in einem praxisorientierten Lernsetting ermöglicht wird. Beim Seiteneinstieg in den Lehrer*innenberuf, also ohne Vorlage eines auf das Unterrichtsfach bezogenen Studiums, zeigt sich jedoch eine große Heterogenität der angebotenen Lerngelegenheiten an den Einzelschulen und die Abdeckung entsprechender Lernangebote kann in Zweifel gezogen werden (Driesner und Arndt 2020). Das berufsbezogene Lernen der Quer- und Seiteneinsteigenden während der Berufseinstiegsphase findet oft in informellen Formen des Ausprobierens und Verwerfens (Dedering 2020) sowie in anderen selbstinitiierten Lerngelegenheiten statt (z. B. Hospitation und Ratsuche bei erfahrenen Kolleg*innen oder kollegialer Austausch zu Problemen: Baeten und Meeus 2016; Coppe et al. 2022; Ruitenburg und Tigchelaar 2021). Weiterhin weisen mehrere Studien darauf hin, dass sich Quer- und Seiteneinsteigende tendenziell stärker als grundständig qualifizierte Lehrpersonen ihrer Rolle als fortwährend Lernende bewusst sind und daher das eigene Lernverhalten über die Berufseinstiegsphase hinaus fokussierter und selbstständiger steuern (Ng und Thomas 2007; Tigchelaar et al. 2008). Sie zeigen eine höhere allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung, die zugleich als Voraussetzung für eine Wechselentscheidung in den herausfordernden Lehrer*innenberuf gilt (Troesch und Bauer 2017; Weinmann-Lutz 2006). Bezüglich der Frage, welche Rolle informelle Lernaktivitäten bei dieser Personengruppe in der Berufslaufbahn als Lehrperson insgesamt spielen, liegen bisher keine Befunde vor.

2.3.4 Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung als dispositionelles Merkmal

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen können mit Blick auf den Beruf als die „subjektive Gewissheit, neue oder schwierige Anforderungssituationen aufgrund eigener Kompetenz bewältigen zu können“ (Schwarzer und Warner 2014, S. 662), definiert werden. Nach Bandura (1997) können entsprechende Überzeugungen verschiedenste mentale Prozesse und Aktionen steuern. Selbstwirksamkeitsüberzeugungen können sich im Sinne eines Generalitätskontinuums dahingehend unterscheiden, ob auf alle Lebensbereiche (allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung), auf einzelne Domänen (z. B. den Lehrer*innenberuf, einzelne Unterrichtsaspekte usw.) oder spezifische Situationen (z. B. ein bestimmtes zukünftiges Ereignis) Bezug genommen wird (Schwarzer und Warner 2014). Während bereichsspezifische Formen häufig als veränderbare Kriteriumsvariablen bei Fortbildungsinterventionen untersucht werden (z. B. Hagen et al. 1998), wird die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung als tendenziell stabilere Disposition angesehen (Luszczynska et al. 2005). Die allgemeine Selbstwirksamkeit steht in einem positiven Zusammenhang mit der Intention und tatsächlichen Teilnahme an Fort- und Weiterentwicklungsmaßnahmen sowie mit der Lernmotivation (Colquitt et al. 2000; Kyndt und Baert 2013; Luszczynska et al. 2005; Maurer et al. 2008; Noe und Wilk 1993). Darüber hinaus weisen Studien auf positive Effekte der allgemeinen Selbstwirksamkeit auf die Nutzung informellen Lernprozessen allgemein (Choi und Jacobs 2011; Noe et al. 2013) sowie auf ein kritisch-reflektierendes Arbeitsverhalten hin, was als wichtige Voraussetzung für das Lernen am Arbeitsplatz angesehen wird (van Woerkom et al. 2002). Entsprechend der Theorie geplanten Verhaltens (Ajzen 1991) sind Selbstwirksamkeitsüberzeugungen neben subjektiven Normen und Nützlichkeitserwartungen ein wichtiger Faktor zur Vorhersage von Handlungsintentionen, was sich auch für die Vorhersage der Teilnahmeintention zur berufsbezogenen Fortbildung bestätigen lässt (McCarthy und Garavan 2006; Renkema 2006; Sanders et al. 2011).

Eine stärker ausgeprägte berufsbezogene Lehrer*innen-Selbstwirksamkeitsüberzeugung, welche in einem mittleren bis starken Zusammenhang mit der allgemeinen Selbstwirksamkeitsüberzeugung steht (z. B. Khan et al. 2015), korreliert negativ mit Vorbehalten gegenüber schulischen Innovationen (McKinney et al. 1999; Scribner 1999) sowie positiv mit der Häufigkeit der Erprobung neuer Unterrichtsmethoden (Nie et al. 2013; van Daal et al. 2014; Yu et al. 2021), der Nutzung von Feedback von Kolleg*innen und Schüler*innen (Röhl und Gärtner 2021; Richter und Pant 2016) und der Fortbildungsteilnahme (Mayr und Müller 2010; Yoon und Kim 2022). Somit liegt es nahe anzunehmen, dass eine stärkere allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung mit häufigeren informellen Lernaktivitäten verbunden sein könnte.

2.3.5 Übernahme von erweiterten Aufgabenbereichen als berufsbezogenes Merkmal

Die Meta-Analyse von Cerasoli et al. (2018) weist darauf hin, dass Personen in höheren beruflichen Positionen stärker informelle Lerngelegenheiten nutzen (vgl. Hicks et al. 2007; Maringka 2013). Darüber hinaus sind herausfordernde Berufe mit größerem individuellen Gestaltungsraum mit einem stärkeren informellen Lernverhalten verbunden (Raemdonck et al. 2014). Übertragen auf den schulischen Bereich zeigt sich in der Studie von Richter et al. (2011) für Lehrpersonen mit besonderen Aufgaben (z. B. in der erweiterten Schulleitung) eine häufigere Fortbildungsteilnahme, jedoch zeigen sich keine signifikanten Unterschiede beim Lesen von Fachliteratur und kooperativen Aktivitäten. Weiterhin stellt das Ziel der Verbesserung der beruflichen Position einen relevanten Motivationsaspekt für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildung dar (Hauk et al. 2022; Richter et al. 2019; Rzejak et al. 2014). Oftmals fehlt es jedoch an thematisch-fokussierten Fortbildungsangeboten für diesen Personenkreis in Deutschland (Johannmeyer und Cramer 2023), weshalb informelle Lernaktivitäten für die diesbezügliche aufgabenbezogene Professionalisierung relevant sein könnten.

2.3.6 Schulform

Lehrpersonen unterschiedlicher Schulformen weisen in verschiedenen Studien ein unterschiedliches Verhalten bei der Nutzung von berufsbezogenen Lerngelegenheiten auf. So nehmen Gymnasiallehrkräfte häufiger an fachlichen und fachdidaktischen Fortbildungen teil als Lehrpersonen anderer Schularten, die eher pädagogische oder methodische Fortbildungsschwerpunkte wählen (Richter et al. 2013), lesen häufiger Fachliteratur und kooperieren hingegen weniger intensiv mit Kolleg*innen (Richter 2011; Richter und Pant 2016). Ein Aspekt dieses Differenzierungsmerkmals stellt die unterschiedliche Ausbildung der Lehrpersonen verschiedener Schulformen dar. So wird angenommen, dass der stärker fachbezogene Fokus im Studium für das Gymnasiallehramt das spätere größere Interesse an fachbezogenen Lerngelegenheiten erklärt (Bellenberg und Thierack 2003; Richter et al. 2013). Andererseits ist die Schulform ein Merkmal des strukturellen Berufskontexts (z. B. durch die unterschiedliche Schüler*innenschaft, Schulkulturen, pädagogische Ziele), welcher informelle Lernaktivitäten fördern bzw. hemmen kann (Cerasoli et al. 2018; Kyndt et al. 2016). Bisher fehlt für die mögliche differenzielle Nutzung informeller Lerngelegenheiten an verschiedenen Schulformen eine tragfähige theoretische und empirische Studienlage. Jedoch kann aufgrund der hier dargestellten fortbildungsbezogenen Befundlage ein differenzielles Nutzungsverhalten informeller Lerngelegenheiten vermutet werden.

2.3.7 Forschungsfragen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Evidenz zu informellen Lernaktivitäten im Lehrer*innenberuf noch übersichtlich ist und sich keine klaren Erwartungen bezüglich möglicher Effekte von Individual- und Kontextmerkmalen auf die Häufigkeit informeller Lernaktivitäten formulieren lassen. Um zum Erkenntnisgewinn in diesem Forschungsgebiet beizutragen, geht diese Studie auf Basis einer repräsentativen Stichprobe von Lehrpersonen in Deutschland explorativ den folgenden Forschungsfragen nach:

  1. 1.

    Kann die von Evers et al. (2016) berichtete Dimensionalität der Häufigkeiten informeller Lernaktivitäten von Lehrpersonen für eine deutsche Übersetzung des verwendeten Erhebungsinstruments repliziert werden?

  2. 2.

    Wie häufig nutzen Lehrpersonen in Deutschland die verschiedenen Dimensionen informeller Lerngelegenheiten?

  3. 3.

    Welche Effekte zeigen biografische bzw. dispositionelle Merkmale der Lehrperson (Alter, Geschlecht, Quer‑/Seiteneinstieg, Allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung) sowie Berufsmerkmale (Erweitertes Aufgabengebiet, Schulart) auf die Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten?

3 Methode

3.1 Stichprobe und Erhebung

Die Daten wurden durch den Felddienstleister forsa GmbH erhoben, der täglich telefonisch eine bevölkerungsrepräsentative Mehrthemenumfrage mit etwa 1000 zufällig ausgewählten Personen durchführt. Insofern hierbei Lehrpersonen als potenzielle Studienteilnehmende identifiziert werden konnten, wurden diese zu einer Online-Befragung im Rahmen der vorliegenden Studie eingeladen. Von September bis November 2019 wurden so insgesamt N = 405 Lehrpersonen an allgemeinbildenden Schulen im gesamten Bundesgebiet befragt. Da durch das beschriebene Auswahlverfahren grundsätzlich jedes Mitglied der Grundgesamtheit die gleiche statistische Chance hatte, in die Stichprobe aufgenommen zu werden, kann diese als repräsentativ für die Population deutscher Lehrpersonen gelten. Um geringfügige Abweichungen der Stichprobenzusammensetzung hinsichtlich der Gesamtpopulation von Lehrpersonen an allgemeinbildenden Schulen auszugleichen, wurden für die hier dargestellten Befunde Stichprobengewichte bezüglich der Referenzdaten des Statistischen Bundesamts (Destatis) für das Schuljahr 2018/19 verwendet. Hierbei wurden die Merkmale Alter, Geschlecht, Region und Schulform berücksichtigt.

In der Stichprobe sind 65,2 % der Lehrpersonen weiblich (Destatis 2019: 73,1 %) sowie 79,8 % zwischen 30 und 59 Jahre alt (Destatis: 80 %), wobei das mittlere Alter 47,3 Jahre (SD = 10,5) beträgt. Am häufigsten vertreten sind Lehrpersonen, die an einem Gymnasium (30,7 %; Destatis: 25,8 %) oder an einer Grundschule (23,7 %; Destatis: 29,3 %) arbeiten, gefolgt von Lehrpersonen an Schulen mit mehreren Bildungsgängen (z. B. Gemeinschaftsschule oder Stadtteilschule: 19,5 %; Destatis: 19,9 %) sowie an Haupt- und Realschulen (16,7 %; Destatis: 12,1 %). Weitere 9,5 % der befragten Lehrpersonen waren an anderen Schulformen (überwiegend mit einem sonderpädagogischen Schwerpunkt; Destatis: 12,9 %) beschäftigt.

3.2 Erhebungsinstrumente

Um die selbsteingeschätzte Häufigkeit der Nutzung informeller Lerngelegenheiten von Lehrpersonen zu erheben, wurde das Erhebungsinstrument Teacher’s Professional Development at Work (Evers et al. 2016) von zwei Personen unabhängig voneinander übersetzt und dann in eine konsensfähige Fassung überführt. Mit Hilfe kognitiver Pilottests (Think-Aloud-Protokolle, Prüfer und Rexroth 2005) wurde das Instrument hinsichtlich des inhaltlichen Verständnisses der Items und der Verwendbarkeit der Antwortkategorien überprüft. Das Instrument operationalisiert verschiedene mögliche Bereiche des informellen Lernens im Sinne relevanter und bewusst initiierter Tätigkeiten und fordert dann zu einer Selbsteinschätzung auf, wie häufig diesen Tätigkeiten in einer typischen Arbeitswoche nachgegangen wird. Das Antwortformat erfordert eine Positionierung auf einer Rating-Skala mit einer fünfstufigen Häufigkeitsbewertungsdimension (1 = nie, 2 = selten, 3 = manchmal, 4 = oft und 5 = immer), wie sie in den Sozialwissenschaften gängig ist (vgl. Menold und Bogner 2015). Die Ergebnisse der Skalenanalyse des vorliegend adaptierten Instruments werden im Ergebnisteil (vgl. 5.1) berichtet.

Als personale Angaben wurden die demografischen Merkmale Alter und Geschlecht, Qualifikationsweg („Wie haben Sie Ihre Lehramtsqualifikation erworben?“) und besondere Aufgaben und Funktionen – hier in der erweiterten Schulleitung oder Schulorganisation – erhoben, wobei 32 Lehrpersonen (7,9 %) angaben, kein Lehramtsstudium absolviert und einen Seiten- bzw. Quereinstig vollzogen zu haben und 291 (71,9 %) eine besondere Aufgabe oder Funktion (mehrheitlich Bereichs- oder Fachschaftsleitung (37,3 %) sowie Steuergruppenmitgliedschaft (18,3 %)) innehatten. Weiterhin wurde die Allgemeine Selbstwirksamkeit anhand der Skala von Schwarzer und Jerusalem (1999) erhoben. Zu 10 Items wird die Zustimmung anhand einer vierstufigen Likert-Skala erfragt (Beispielitem: „Was auch immer passiert, ich werde schon klarkommen.“; Antwortformat: 1 = stimmt nicht, 2 = stimmt kaum, 3 = stimmt eher, 4 = stimmt genau). Die eindimensionale Skala weist vorliegend latent modelliert eine gute Reliabilität auf (McDonald’s ω = 0,886, M = 3,03, SD = 0,41). Schließlich wurde als strukturelles Merkmal die Schulform erhoben, an der die Lehrperson aktuell unterrichtet.

3.3 Analyseverfahren

Zur Überprüfung der Dimensionalität der deutschen Übersetzung des Erhebungsinstruments von Evers et al. (2016; Forschungsfrage 1) sowie zur Untersuchung der Effekte von individuellen und kontextuellen Merkmalen auf die informellen Lernaktivitäten (Forschungsfrage 3) wurden latente Strukturgleichungsmodelle spezifiziert und unter Verwendung eines robusten Maximum-Likelihood-Schätzers mit korrigierten Teststatistiken und Huber-White-Standardfehlern mit dem Softwarepaket lavaan 0.6‑9 analysiert (Rosseel 2012). Die Modellanpassung wurde in Anlehnung an Kline (2016) anhand der Χ2-Statistiken, des Steiger-Lind Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA), des Bentler Comparative Fit Index (CFI) und des standardisierten Root Mean Square Residual (SRMR) getestet, wobei eine akzeptable Modellanpassung bei CFI ≥ 0,95, SRMR ≤ 0,08 und RMSEA ≤ 0,05 angenommen wird. Im Rahmen der konfirmatorischen Strukturgleichungsanalysen wurden die Modelle zusätzlich anhand von Modification Indices auf mögliche Fehlspezifikationen (Saris et al. 2009) hin untersucht und ggf. angepasst. Die Reliabilität der verwendeten Messinstrumente wurde über den robusten Reliabilitätsschätzer Omega (McDonald 1999) beurteilt, der für latente Messmodelle sehr zuverlässig ist (Revelle und Zinbarg 2009). Um die Reliabilitätswerte mit jenen von Evers et al. (2016) zu vergleichen, wurde zusätzlich Cronbach’s Alpha berechnet.

Während bei 10 der verwendeten 37 Items keine fehlenden Werte vorhanden sind, liegt bei den übrigen Items der Anteil fehlender Werte unter zwei Prozent. Zur Modellschätzung wurde daher auf das Full Information Maximum Likelihood (FIML) Verfahren zurückgegriffen, um die in den unvollständigen Datensätzen vorliegenden Informationen zur Schätzung der Effekte umfassend nutzen zu können (Enders 2010; Graham 2009).

Zur Analyse, inwieweit einzelne Fälle mit besonders hohen oder niedrigen Variablenausprägungen (Ausreißer) die Schätzungen der vorgestellten Modelle beeinträchtigen, wurde eine Analyse der influential cases unter Verwendung der generalisierten Cook-Distanz (gCDi, Pek und MacCallum 2011) als Maß zur Ermittlung des Einflusses des Einzelfalls auf die geschätzten Modellparameter des Gesamtmodells durchgeführt (Aguinis et al. 2013), welche auf besonders hohe Einflüsse von insgesamt 4 Fällen hinwies. Eine Überprüfung des latenten Regressionsmodells unter Ausschluss dieser Fälle ergab jedoch keine substanziellen Änderungen der berichteten Effekte (siehe Supplement).

4 Ergebnisse

4.1 Dimensionen der Nutzung informeller Lerngelegenheiten

Die vorliegende, erste Replikation der von Evers et al. (2016) identifizierten Struktur mit deutschen Items (gemäß Forschungsfrage 1) weist zumindest für die CFI-Statistik auf einen nicht ausreichenden Modellfit hin (Modell 1, Χ2 (179) = 431,8, p < 0,001, RMSEA = 0,064, SRMR = 0,064, CFI = 0,892). Auffällig ist im Vergleich zur ursprünglichen Version, dass sich im vorliegenden Fall eine sehr hohe latente Korrelation von r = 0,95 zwischen den beiden Faktoren ‚Kooperation zur Unterrichtsentwicklung‘ und ‚Kooperation zur Schulentwicklung‘ zeigt, die in der niederländischen Version wesentlich geringer ausfällt (r = 0,61). Wenngleich die Werte für die niederländische Version nur geringfügig besser ausfielen (Χ2 (174) = 2,15, RMSEA = 0,058, CFI = 0,902), erscheint eine Optimierung des Messmodels notwendig.

Die Analyse einer möglichen fehlerhaften Modellspezifikation (Saris et al. 2009) zeigt: Das dem Faktor „Erproben“ zugeordnete Item 20 (vgl. Tab. 2) lädt fast genauso stark auf dem Faktor „Informieren und Lesen“; kritisch verhält sich auch Item 21 („Kolleg/innen einladen, in meinem Unterricht zu hospitieren“), welches stärker auf dem Faktor „Kooperation zur Schulentwicklung“ lädt als auf der ursprünglich postulierten Dimension „Reflexion und Feedback“ oder auch auf dem inhaltlich alternativ passenden Faktor „Kooperation zur Unterrichtsentwicklung“. Weiterhin zeigt Item 19 nur eine schwache Ladung auf dem zugehörigen Faktor „Erprobung“ (λ = 0,38), so dass in einem ersten Schritt diese drei Items ausgeschlossen werden (Modell 1a, siehe Tab. 1), was zu einer geringen Verbesserung des CFI führt. Darüber hinaus weisen die Modifizierungsindices darauf hin, dass die bei Evers et al. (2016) postulierte Dimension „Informieren und Lesen“ statistisch in zwei Subfacetten differenziert werden sollte, die sich mit jeweils zwei Items auf das Informieren im Internet und das Lesen von Printmedien beziehen. Durch Auftrennung dieser Dimension (Modell 1b) verbessert sich die Modellanpassung gegenüber Modell 1a signifikant (∆Χ2 (5) = 56,6, p < 0,001). Weiterhin zeigen sich hohe Residualkorrelationen zwischen den Items 15 und 16 sowie den Items 7 und 8, die in einer besonders hohen inhaltlichen und sprachlichen Nähe begründet sein könnten und somit als unproblematische Methodenfehler gedeutet werden können (Gäde et al. 2020). Eine Freisetzung beider Residualkorrelationen im Modell 2 verbessert die Modellgüte erneut (∆Χ2 (2) = 51,3, p < 0,001).

Tab. 1 Modellspezifikationen im Vergleich
Tab. 2 Items, Reliabilitäten und Skalenwerte des Instruments zur Nutzung informeller Lerngelegenheiten (Anmerkung: Geklammerte Items wurden aufgrund geringer oder Doppelladungen im finalen Instrument ausgeschlossen)

Die Anpassungsindices des Modells 2 mit 18 Items weisen auf eine akzeptable bis gute Anpassung hin (siehe Tab. 1), jedoch zeigt sich weiterhin eine hohe latente Korrelation zwischen den Faktoren „Kooperation zur Unterrichtsentwicklung“ und „Kooperation zur Schulentwicklung“ von r = 0,90. Daher wird ein weiteres Modell spezifiziert, das die Items der beiden Dimensionen durch einen gemeinsamen Faktor „Kooperation“ darstellt. Das Alternativmodell 2a weist eine signifikant schlechtere Χ2-Statistik als Modell 2 auf (∆Χ2 (5) = 27,56, p < 0,001), weshalb aufgrund dieses Befunds und teilweiser differenzieller Zusammenhänge beider Faktoren mit personalen Merkmalen (s. unten) für die weiteren Analysen Modell 2 beibehalten wird. Die ω‑Reliabilitätswerte der Faktoren erweisen sich als ausreichend bis gut (siehe Tab. 2).

4.2 Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten

Im Vergleich zeigen sich die höchsten Nutzungshäufigkeiten der identifizierten Dimensionen informeller Lerngelegenheiten (Forschungsfrage 2; Tab. 2 und Abb. 1) für die Dimensionen „Reflektieren und Feedback einholen“ (M = 3,45, SD = 0,64) und „Informieren im Internet“ (M = 3,40, SD = 0,77). Etwas geringer fallen die Nutzungshäufigkeiten für die „Kooperation in der Unterrichtsentwicklung“ (M = 3,16, SD = 0,77) sowie das „Erproben neuer Methoden und Materialien“ (M = 3,01, SD = 0,62) und der „Kooperation in der Schulentwicklung“ (M = 3,00, SD = 0,72) aus. Die im Vergleich geringste Nutzung wurde für die Dimension „Lesen von Printmedien“ (M = 2,91, SD = 0,85) angegeben.

Abb. 1
figure 1

Skalenmittelwerte und 95 %-Konfidenzintervalle der Nutzungshäufigkeiten der Dimensionen informeller Lerngelegenheiten

4.3 Vorhersage der Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten

Zur Untersuchung von Forschungsfrage 3 nach den Effekten von demografischen, dispositionalen und berufsbezogenen Merkmalen auf die Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten wurde ein Strukturgleichungsmodell unter gleichzeitiger Einbeziehung aller latenten Dimensionen und Merkmale spezifiziert, in dem die Merkmale als Prädiktoren auf die latenten Dimensionen informellen Lernens geladen werden. Die Fit-Indices deuten auf eine akzeptable Modellpassung hin (Χ2 (515) = 779,1, p < 0,001, CFI = 0,928, RMSEA = 0,038, SRMR = 0,049). Die Ergebnisse sind in Tab. 3 dargestellt.

Tab. 3 Standardisierte Regressionskoeffizienten der latenten Strukturgleichungsanalyse zur Vorhersage der Nutzungshäufigkeit der informellen Lerngelegenheiten durch personale und strukturelle Merkmale

Die Analysen weisen darauf hin, dass ältere Lehrpersonen laut eigenen Angaben öfter reflektieren und Feedback einholen (β = 0,13, p = 0,031) sowie sich häufiger in Printmedien informieren (β = 0,18, p = 0,001). Für die anderen Dimensionen ergeben sich keine signifikanten Effekte. Ein quadratischer Effekt zeigt sich nur für die Dimension „Lesen von Printmedien“. Die Visualisierung der durch die quadratische Regression vorhergesagten Nutzungshäufigkeit über das Alter (siehe Abb. 2) lässt eine Zunahme bis etwa 56 Jahre vermuten. Die zusätzlich dargestellte Kurve des lokal-gewichteten Streudiagrammglätters (LOESS – locally estimated scatterplot smoothing, Cleveland 1979) verweist auf eine insgesamt gute Passung der quadratischen Näherung, wobei sich Hinweise darauf ergeben, dass die stärkste Nutzung etwas früher gegeben ist, etwa im Alter von 50 Jahren.

Abb. 2
figure 2

Vorhersage des Lesens von Printmedien durch das Alter der Lehrpersonen (durchgehende Kurve; grauer Bereich: 95-%-Konfidenzinterval; gestrichelte Kurve: LOESS-Näherung der tatsächlichen Daten)

Weiterhin zeigen sich signifikante Effekte des Geschlechts auf die Nutzungshäufigkeit von vier der sechs Dimensionen. So kooperieren Frauen laut eigenen Angaben häufiger, sowohl bezüglich der Schul- (β = 0,15, p = 0,011) als auch Unterrichtsentwicklung (β = 0,23, p < 0,001), wohingegen sich kein signifikanter Geschlechtereffekt auf den Fachliteraturgebrauch zeigte. Weiterhin erproben Lehrerinnen öfter neue Methoden sowie Materialien (β = 0,17, p = 0,004) und reflektieren häufiger ihren Unterricht (β = 0,26, p < 0,001). Quer- und Seiteneinsteigende geben an, sich häufiger im Internet zu informieren (β = 0,13, p = 0,021), weisen jedoch für die anderen Dimensionen keine höheren Nutzungshäufigkeit auf.

Die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung weist einen positiven Effekt auf die Erprobung neuer Unterrichtsmethoden und -inhalte auf (β = 0,21, p = 0,003). Darüber hinaus ergibt sich in der Analyse eine positive Regression auf schulentwicklungsbezogene Kooperation (β = 0,19, p = 0,008).

Die Übernahme von besonderen Aufgaben und Funktionen ist nur mit häufigerer Kooperation bezüglich der Schul- (β = 0,19, p < 0,001) und Unterrichtsentwicklung verbunden (β = 0,16, p = 0,005), nicht jedoch mit anderen informellen Lernaktivitäten.

Bezüglich der Schulform zeigen die Analysen insbesondere für die Haupt‑/Realschule und das Gymnasium bedeutsame Effekte auf die Nutzungshäufigkeit. So geben Lehrpersonen dieser Schulformen an, weniger Printmedien zu lesen (β = −0,17, p = 0,005 und β = −0,17, p = 0,045), sich in einem noch geringeren Maße im Internet zu informieren (β = −0,22, p< 0,001 und β = −0,35, p < 0,001) und seltener als Grundschullehrpersonen bei der Unterrichtsentwicklung zu kooperieren (β = −0,13, p = 0,027 und β = −0,26, p = 0,001), nicht aber bezüglich der Schulentwicklung. Lehrpersonen an Gemeinschaftsschulen nutzen ihren Angaben zufolge in signifikant geringerem Maße das Internet als Informationsquelle für den Unterricht (β = −0,17, p = 0,026). Lehrkräfte anderer Schulformen geben an, stärker in der Schulentwicklung zu kooperieren (β = 0,19, p = 0,008) und seltener Materialien und Methoden zu erproben (β = −0,16, p = 0,025).

5 Diskussion

Ziel der Studie war es, einen bislang kaum vorhandenen Einblick in die Nutzung von informellen Lerngelegenheiten durch Lehrpersonen und deren Zusammenhänge mit demografischen, dispositionalen und berufsbezogenen Merkmalen zu erlangen. Hierzu wurde eine repräsentative Stichprobe von Lehrpersonen in Deutschland mittels einer Übersetzung des Instruments „Teacher’s Professional Development at Work“ (Evers et al. 2016) sowie weiterer Skalen und Items befragt. Für die verwendete Übersetzung ließ sich die von Evers et al. (2016) berichtete Faktorenstruktur vorliegend nur zum Teil bestätigen (Forschungsfrage 1). Vier der fünf Dimensionen von Evers et al. konnten reproduziert werden. Die Items zum Lesen und Informieren mussten in zwei medienspezifische Faktoren differenziert werden, die sich gegenüber den untersuchten Prädiktoren teils differenziell verhalten. Zudem zeigten sich einige Items als ungeeignet, um die Nutzungshäufigkeit dimensional abzubilden und wurden ausgeschlossen. Die notwendige Differenzierung nach Medienart (vgl. Kuper und Kaufmann 2010) wirft Fragen auf: Das Internet bietet die Möglichkeit, zielgerichtet und bedarfsgerecht Informationen aufzufinden, die meist schnell zu überschauen und multimedial aufbereitet sind. Allerdings finden sich in diesem Medium neben wissenschaftlich-fundierten Angeboten (z. B. Clearinghouse Unterricht) auch eine Vielzahl wenig verlässlicher Informationen, die ein hohes Maß an Informationskompetenz (Homeyer 2008) zur kritischen Überprüfung durch Lehrpersonen erfordern, bevor diese genutzt werden sollten. Regelmäßig erscheinende Fachzeitschriften hingegen orientieren sich an größeren Fragen und unterliegen zumindest einer redaktionellen Überprüfung der Inhalte. Jedoch sind diese für Lehrpersonen oft schwer zugänglich und häufig nicht passgenau. Die Nutzung von Fachliteratur ist durch eine aufwändigere Recherche sowie die teilweise kostenintensive Beschaffung bedingt und einschlägige Beiträge sind ggf. schwer zu identifizieren.

Die internetbezogene Dimension informellen Lernens zeigt gemeinsam mit dem Faktor „Reflektieren und Feedback“ die größte Nutzungshäufigkeit (Forschungsfrage 2), wohingegen sich für das Lesen von Printmedien die geringste Ausprägung zeigt. Inwiefern es sich hierbei um einen Verdrängungsprozess der traditionellen Wege der Informationsbeschaffung durch noch recht neue Lerngelegenheiten handeln kann, müssen zukünftige Studien zeigen. Aufgrund der hier verwendeten Antwortskala können die vorliegenden Häufigkeitswerte nur vergleichend zwischen den erhobenen Dimensionen interpretiert und keine Aussagen zu absoluten Häufigkeiten getroffen werden.

Tatsächlich zeigen einige demografische und dispositionale Merkmale der Lehrperson signifikante Effekte auf die Nutzungshäufigkeit informeller Lernaktivitäten (Forschungsfrage 3). Der rekapitulierte Forschungsstand, wonach sich mit zunehmendem Alter ein Rückgang der Fortbildungsteilnahme bzw. -motivation (Hauk et al. 2022; Kyndt und Baert 2013) sowie des informellen Lernens in anderen Berufen (Cerasoli et al. 2018) zeigt, lässt sich vorliegend nicht feststellen. Analog zum Phasenmodell von Huberman (1989) und den Befunden zur Fortbildungsnutzung von Richter et al. (2011) lässt sich für die Rezeption von Printmedien ein Anstieg bis zu einem Alter von etwa Anfang 50 Jahren mit anschließend leichtem Rückgang beobachten. Dies könnte darin begründet liegen, dass in entsprechenden Fachzeitschriften ähnliche Themenbereiche behandelt werden wie in fach- oder didaktik-bezogenen Fortbildungen, und sich das Interesse an entsprechenden Inhalten in den späteren Phasen der Berufstätigkeit verringert (vgl. auch Hauk et al. 2022). Die häufige Nutzung des online-basierten Lernangebots ist unabhängig vom Alter der Lehrpersonen. Das Alter scheint keine relevante Hürde (mehr) für die Nutzung von internetbasierten informellen Lernangeboten darzustellen. Gegenläufig zu den Befunden von Richter et al. (2011) lässt sich zumindest auf Basis der Selbstaussagen keine altersbedingte Abnahme der Kooperation bei der Schul- und Unterrichtsentwicklung feststellen. Auch die Erprobung neuer Materialien und Methoden erweist sich als altersunabhängig, für das Einholen von Feedback und die Unterrichtsreflexion zeigt sich sogar ein leichter Anstieg mit zunehmendem Alter. Somit könnte die Motivation für Lernaktivitäten mit anderen, eher stabileren motivationalen Dispositionen zusammenhängen als die Intention zur fachlichen Fortbildung. So erweist sich auch der auf die soziale Interaktion bezogene Aspekt der Fortbildungsteilnahmemotivation als von der Berufserfahrung unabhängig (Hauk et al. 2022).

Eine stärkere Nutzungshäufigkeit von informellen Lerngelegenheiten durch Lehrerinnen lässt sich für die Kooperationsformen, die Erprobung neuer Methoden und Materialien sowie für das Reflektieren und Feedbackeinholen feststellen. Entgegen Befunden von Richter et al. (2011) zeigt sich keine häufigere Rezeption von Internet- und Printmedien durch männliche Lehrpersonen.

Quer- und Seiteneinsteigende berichten nur für das Informieren im Internet eine häufigere Nutzung als Lehrpersonen mit grundständigem Lehramtsstudium. Warum gerade online-basierte Informationsquellen für diese Personengruppe eine größere Rolle spielen, kann im Rahmen dieser Studie nicht abschließend geklärt werden. Es wäre denkbar, dass diese Personengruppe im besonderen Maße auf Material aus dem Internet angewiesen ist, da nicht auf Materialsammlungen aus dem Referendariat und dort kennengelernte Beschaffungswege zurückgegriffen wird. Dass andere informelle Lerngelegenheiten allerdings nicht im höheren Maße genutzt werden, könnte sich dadurch erklären, dass sich bisherige Studien eher auf die Berufseinstiegsphase beziehen. So könnten sich die informellen Lernaktivitäten dieser Personengruppe im Verlauf der weiteren Berufspraxis an die Praktiken regulär qualifizierter Lehrpersonen angleichen. Dies kann in weiteren Analysen untersucht werden.

Zusammenhänge zwischen der selbstberichteten Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten und der Selbstwirksamkeitsüberzeugung finden sich nur für die Erprobung neuer Methoden und Materialien sowie die Kooperation zur Schulentwicklung. Dies unterstreicht die hohe Relevanz der persönlichen Erfolgserwartung für innovatives Handeln (van Daal et al. 2014). Möglicherweise engagieren sich auch eher Personen in der Schulentwicklung, die aufgrund ihres Einsatzes eine Verbesserung der Schule erwarten.

Für Lehrpersonen mit besonderen Aufgaben zeigt sich in der Analyse eine häufigere Kooperationspraxis. Dies könnte darin begründet liegen, dass durch entsprechende Aufgaben, z. B. in Steuergruppen oder in der Fachleitung, auch eine intensivere Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen notwendig ist. Für den notwendigen Kompetenzerwerb bezüglich der erweiterten Aufgabengebiete scheinen informelle Lernaktivitäten jedoch keine relevante Rolle zu spielen.

Bezüglich der Schulform der befragten Lehrpersonen zeigen sich zwischen Primar- und Sekundarschulen signifikante Unterschiede. Da sich in diesem Merkmal ausbildungsbezogene Besonderheiten mit strukturellen Merkmalen der Schule vermischen (s. oben), wäre es wünschenswert, in weiteren Studien sowohl ausbildungsbezogene Merkmale und damit ggf. verbundene Einstellungen als auch Merkmale der wahrgenommenen Schul- und Unterrichtskultur zu erheben, um eine präzisere Untersuchung dieses Phänomens zu ermöglichen.

Die Stärke der vorgestellten Studie liegt in der für deutsche Lehrpersonen repräsentativen Stichprobe, die sich über alle Schulfächer und Schulformen hinweg als homogen bzw. unkritisch bezüglich möglicher einflussreicher Fälle in den berichteten Analysen erweist. Ferner leisten die vorgestellten Analysen und Ergebnisse einen Beitrag zur Diskussion um die Schwierigkeiten in der Erfassung informellen Lernens, das limitierend immer auf Selbstauskünfte der Befragten angewiesen ist und damit nicht das reale Nutzungsverhalten abbilden muss. Jedoch sind aufgrund der unterschiedlichen Faktorenstruktur keine direkten Vergleiche bezüglich der selbsteingeschätzten Nutzungshäufigkeit mit existierenden Befunden aus den Niederlanden oder China möglich. Darüber hinaus weist die vorliegende deutsche Übersetzung der Items Verbesserungspotenzial auf: Insbesondere für Häufigkeitsbewertungsdimensionen typische Antwortkategorien wie „nie“ oder „immer“ (Menold und Bogner 2015), die inhaltlich nur bedingt mit einzelnen der vorgegebenen Lernaktivitäten „harmonisieren“ (z. B. sich ‚immer‘ über neue Lernmethoden informieren), könnten die Absolutformulierungen am Ende der Skala gemäß den Empfehlungen von Rohrmann (1978) abgemildert und z. B. durch „sehr selten“ bzw. „sehr oft“ ersetzt werden. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Bereitstellung von spezifischen Häufigkeitsangaben (z. B. „einmal pro Woche“ usw.), um Interpretationsunterschieden von Kategorien wie „manchmal“ vorzugreifen. Eine Einschränkung der Aussagekraft der hier vorgestellten Befunde könnte darin liegen, dass Lehrpersonen im Sinne einer wahrgenommenen sozialen Erwünschtheit eine etwas häufigere Nutzung informeller Lerngelegenheiten angaben, als tatsächlich stattfindet.

Mit dem informellen Lernen als Form lebenslangen Lernens (Reetz und Tramm 2000) sind Erwartungen verbunden, dass Lernen stärker intrinsisch motiviert stattfindet, Transferprobleme reduziert und Problemlösekompetenzen vermittelt werden können. Während in der aktuellen Studie keine Lern- oder Kompetenzzuwächse untersucht wurden, sollte in künftiger Forschung speziell dieser Aspekt in den Blick genommen werden: So wäre zu erwarten, dass durch die (postulierte) ausgeprägtere Lernmotivation tatsächlich ein für vertieftes Lernen erforderliches kognitives Engagement entsteht (Gregoire 2003) – jedoch spricht beispielsweise die Befundlage zur Nutzung von Evidenz für Entwicklungs- bzw. Professionalisierungsprozesse (als eine Form informellen Lernens) im Bildungsbereich eher dagegen (für einen Überblick siehe z. B. Groß Ophoff und Cramer 2022). Insbesondere besteht die Gefahr, dass die damit verbundenen Lernprozesse auf Ebene affirmativer, schnelllebiger Rezepte verharren. Für Kooperationsformen findet sich diese Anforderung beispielsweise im Konzept ‚Kokonstruktive Kooperation‘ (Grosche et al. 2020), wobei auch hierfür die Befundlage eher ernüchternd ist (Brown et al. 2021). Bezogen auf die Nutzung von unterrichtsbezogenen Internetangeboten, aber auch von Praxiszeitschriften, könnte sich etwa die potenziell unreflektierte Übernahme vorgefertigter Unterrichtsmaterialien und Stundenentwürfe in dieser Hinsicht als wenig lernwirksam erweisen. So lesen Lehrpersonen eher ungern „akademischere“ Literatur, wie sie sich überproportional häufig in Printmedien findet – sie fokussieren sich v. a. auf Praxiszeitschriften (z. B. Heise 2007; Rudland und Kemp 2004). Allerdings gelten gerade unterschiedliche Perspektiven auf einen Gegenstand sowie kritische Distanz zum Handlungsfeld als relevant für Professionalisierungsprozesse (Schneider und Cramer 2020).

Auch wenn in Forschung und Entwicklung zunehmend die lange Zeit marginalisierte dritte Phase in den Blick gerät, stehen bislang Fort- und Weiterbildungsangebote im Mittelpunkt. Dass Lehrpersonen in merklichem Umfang auch informell lernen, sich also auch auf diese Weise fortlaufend professionalisieren, ist bislang kaum im Blick und noch wenig erforscht. Hierfür sensibilisiert der vorliegende Beitrag, indem ein Instrument zur Erfassung der Nutzung informeller Lerngelegenheiten vorgeschlagen wurde, das zu weiterführender Forschung einlädt. Zudem wurden erste Ergebnisse zu Zusammenhängen der Nutzungshäufigkeit informeller Lerngelegenheiten mit dritten Variablen vorgestellt, an die künftige Forschung anschließen kann. Informelles Lernen könnte eine bedeutende und bislang unterschätze Komponente der individuellen berufsbegleitenden Professionalisierung sein, während in der Forschung sowie in der Diskussion um Lehrer*innenbildung noch zu einseitig die institutionalisierte Fort- und Weiterbildung (Cramer et al. 2020) fokussiert wird. Damit ist ein erhebliches Forschungsdesiderat markiert.