1 Systemische Infektionen

1.1 Bakteriämie, Sepsis

1.1 Grundlagen

Bakterien in der Blutbahn (Bakteriämie) aktivieren Abwehrmechanismen des Wirtes. Je nach Virulenz und Zahl der Bakterien sowie Abwehrlage und -reaktion des Patienten entwickelt sich eine systemische Entzündungsreaktion (systemic inflammatory response syndrome: SIRS). Diese schreitet unabhängig von der Grundinfektion fort und kann über mehrere Stadien der Sepsis (Tab. 15.1) zum septischen Schock und Multiorganversagen führen.

Tab. 15.1  Stadien der systemischen Entzündungsreaktion bei Kindern

1.1 Epidemiologie

Bakteriämien sind am häufigsten beim Kleinkind bis Alter 3 Jahre. Sie manifestieren sich beim deutlich kranken Patienten mit den Zeichen invasiver bakterieller Infektionen wie z. B. Meningitis, Pneumonie oder Arthritis oder beim hochfebrilen Patienten in reduziertem Allgemeinzustand mit Gefahr der Entwicklung einer Sepsis. Die „okkulte Bakteriämie“, welche bei etwa 3% der Kinder im Alter von 3 Monaten bis 3 Jahren mit gutem Allgemeinzustand und Fieber ohne Fokus beschrieben wurde, ist seltener geworden (<1%) in Populationen von Kindern, welche mit Konjugatimpfstoffen gegen Haemophilus influenzae Typ b und v. a. gegen Pneumokokken (S. pneumoniae) geimpft sind.

Die Inzidenz der Sepsis scheint im Rahmen intensivierter medizinischer Therapien (z. B. Onkologie) eher zu- als abzunehmen.

Sie zeigt ihren Häufigkeitsgipfel bei Neugeborenen (0,8%) und Säuglingen. Wenn auch seltener nach dem 1. Lebensjahr, ist die Sepsis in den USA bei Kindern im Alter von 1–14 Jahren dennoch an zweiter Stelle der Todesursachen. In der Hälfte der Fälle ist sie vergesellschaftet mit einer schweren Grundkrankheit. Ihre Letalität konnte durch frühe Erkennung und Therapie gesenkt werden und liegt bei früher Therapieeinleitung bei 5–10%, beträgt aber bis zu 30% bei verzögertem Management und manifestem septischem Schock.

1.1 Ätiologie

Bakteriämie oder Sepsis verursachende Bakterien sind je nach Alter, Immunabwehrfunktion und mikrobieller Umgebung des Kindes verschieden (Tab. 15.2). Bei abnehmendem mütterlichem Schutz (diaplazentar übertragene Antikörper) und je nach Impfstatus sind es nach dem 3. Lebensmonat v. a. bekapselte Bakterien (Pneumo-, Meningo-, Streptokokken), Staphylococcus aureus (Staph. aureus), seltener Escherichia coli (E. coli) oder Salmonellen. Haemophilus influenzae Typ b (H. influenzae b; Hib) kommt praktisch nur noch beim ungeimpften Kind vor.

Tab. 15.2  Erreger von Sepsis in Relation zu Alter und Hintergrund

Die in den 1970er Jahren beschriebene okkulte Bakteriämie wurde meist durch S. pneumoniae, seltener durch Hib oder Neisseria meningitidis verursacht. In Populationen mit Konjugatimpfstoffen gegen S. pneumoniae und Hib geimpften Kleinkindern (<4 Jahre) hat sich dies geändert: Bakteriämien sowohl bei Fieber ohne Fokus wie auch bei Sepsis werden in ähnlicher Zahl durch E. coli (oft mit zugrunde liegender Harnwegsinfektion), Staph. aureus oder durch S. pneumoniae von nicht in der Impfung enthaltenem Serotyp verursacht. Meningokokken und Salmonellen werden seltener isoliert.

Kinder mit einem Grundleiden (Abwehrschwäche, Asplenie) haben ein erhöhtes Risiko für invasive Infektionen mit bekapselten Bakterien, gramnegativen Bazillen oder Staph. aureus. Die Sepsis bei nosokomialer Infektion, wie z. B. über einen zentralvenösen Katheter (ZVK), zeigt ein anderes Erregerspektrum.

1.1 Pathogenese

Die Kolonisation der Mukosa und der Durchtritt durch die Mukosabarriere ist abgesehen von transkutan eingelegten Kathetern oder andern Installationen die häufigste Quelle für Bakteriämien. In die Blutbahn eingedrungene Bakterien werden in der Regel durch die Abwehr des Wirts rasch eliminiert. Je nach Erregerspezies, Alter und Immunfunktion des Wirts sowie Therapie entfacht sich eine mehr oder weniger ausgeprägte Reaktion mit entsprechendem Schaden für den Wirt. Zur direkten Gewebeschädigung führen einerseits Bakterien und Bakterienprodukte (Exo-, Endotoxine, Enzyme), insbesondere aber auch die physiologischen Reaktionen des Wirts auf die bakteriellen Eindringlinge.

Ziel der Antwort des Wirtsorganismus auf eine Infektion sind die Eingrenzung der bakteriellen Invasion und die Auslösung von Reparaturvorgängen im betroffenen Gewebe. Bei der Sepsis ist diese Antwort generalisiert und betrifft auch normales Gewebe fern vom Ort der Infektion. Eine wichtige Rolle spielen die Makrophagen, welche mikrobielle Strukturen über sog. „pattern recognition receptors“ (z. B. Toll-like-Rezeptoren) erkennen und binden, was zur Aktivierung von Komplement und proinflammatorischen Zytokinen wie Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) und Interleukin (IL)-1 führt. Diese induzieren Fieber, Hypotension und die Akutphasenreaktion. Zur lokalen Beseitigung der Pathogene. Je ausgeprägter der Anstieg proinflammatorischer Mediatoren (TNF-α, IL-1 und IL-6), desto eher kommt es zu einer sich ausbreitenden systemischen Reaktion (Sepsis) und desto höher ist die Letalität der Sepsis. Die Wechselwirkungen zwischen bakteriellen Produkten und proinflammatorischen Mediatoren aktivieren verschiedene biochemische und immunologische Kaskaden (Tab. 15.3), welche einerseits die bakterielle Invasion und andererseits die physiologische Abwehrreaktion begrenzen. Wenn der Wirt letztere nicht frühzeitig gegenreguliert, kann der Krankheitsprozess zum Multiorganversagen fortschreiten (Abb. 15.1).

Abb. 15.1
figure 1figure 1

 Pathophysiologische Schritte in der Entwicklung des septischen Schocks

Tab. 15.3  Mediatoren und Prozesse, die zur Pathophysiologie der Sepsis beitragen

Eine endogene antiinflammatorische Gegenregulation soll die überschießenden toxischen Effekte begrenzen, bremst aber auch die Abwehr der Infektion. Die gesamte Antwort auf die Infektion mit ihren Wechselwirkungen ist individuell unterschiedlich und entspricht einer genetisch bestimmten Anfälligkeit. Letztendlich bestimmt die aus dieser systemischen Reaktion bei Sepsis resultierende Zellschädigung die Organdysfunktion, welche auf einer verminderter O2-Aufnahme und mitochondrialer Dysfunktion beruht.

Der septische Schock ist allein durch das Kriterium definiert, dass die Mitochondrien der Endorgane ungenügend mit Sauerstoff versorgt werden. Dadurch entsteht aufgrund der anaeroben Stoffwechsellage eine Laktatazidose (bei u. U. noch normalen Blutdruckwerten, aber reduzierter peripherer Perfusion). Im Gegensatz zu Erwachsenen, welche meist einen erniedrigten Gefäßwiderstand aufweisen (warmer Schock), zeigen Kinder (v. a. Neugeborene und Kleinkinder) oft und insbesondere in der Frühphase einen erhöhten Widerstand (kalter Schock); der Blutdruckabfall ist ein Spätzeichen im Rahmen der möglichst zu verhindernden Dekompensation.

1.1 Klinik

Eine Bakteriämie kann transient und ohne Krankheitswert oder als Folge einer sich ausdehnenden Organinfektion auftreten.

Die klinischen Zeichen sind durch die Organinfektion, den metastatischen Infektfokus (Endokarditis, Meningitis etc.) und die systemische Antwort wie Fieber (rektal gemessene Temperatur >38,0°C) oder speziell beim jungen Säugling auch Hypothermie (<36,0°C) geprägt.

Die Leitsymptome Fieber und Petechien weisen in 20% auf eine schwere, invasive bakterielle Infektion hin, welche in knapp der Hälfte durch Neisseria meningitidis verursacht ist.

Reduktion des Allgemeinzustands oder Manifestation einer Organinfektion können Zeichen einer invasiven, bakteriellen Infektion sein.

Schüttelfrost, Fieber, Petechien, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall sind Zeichen für eine Sepsis oder mit Organdysfunktion Zeichen der schweren Sepsis.

Eine verminderte periphere Perfusion ist ein Warnzeichen, das einen septischen Schock beim Kind ankündigt. Die verlängerte Rekapillarisationszeit (>2 s) ist das wichtigste klinische Zeichen. Weitere unspezifische Warnzeichen sind kalte Extremitäten, marmorierte Haut sowie Bein- Muskel- und Gelenkschmerzen. Zur Früherkennung des Kindes im noch kompensierten (kalten) septischen Schock sollen die Vitalparameter kurzfristig überwacht und neben der verminderten Rekapillarisation, Tachykardie, Tachypnoe oder ungenügende Diurese früh erfasst werden. Diese Maßnahmen sollen eine Stabilisierung ermöglichen: am besten bevor oder sofort wenn als weitere Zeichen eine arterielle Hypotension oder Bewusstseinseintrübung eintreten und möglichst die Dekompensation bzw. den septischen Schock verhindern.

1.1 Diagnose

Erregernachweis

Direktpräparate (Färbungen nach Gram, Giemsa, Acridin-Orange), Antigenschnelltests und Kulturen von Blut, Liquor, Urin und potenziell infiziertem Gewebe oder Flüssigkeiten decken die bakterielle Ätiologie weitestgehend auf. Sie können durch molekularbiologische Tests wie z. B. die Polymerasenkettenreaktion (PCR) ergänzt werden.

Labor

Leukozytose, Linksverschiebung, erhöhte Akutphasenproteine wie C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin und Blutsenkungsreaktion spiegeln Ausmaß und Verlauf der Sepsis wider. Thrombozytopenie, Verlängerung von Quick-Wert und PTT sowie der Nachweis von Fibrinspaltprodukten dokumentieren eine disseminierte intravasale Gerinnung. Metabolische Azidose, Anstieg von Laktat, Leber- und Nierenwerten geben das Ausmaß der Hypoperfusion an.

1.1 Differenzialdiagnose

Beim Kind mit Fieber ohne Fokus stehen selbstlimitierende Infektionskrankheiten viraler Ätiologie im Vordergrund.

Bei Kindern mit Sichelzellanämie muss an ein Chest-Syndrom gedacht werden: Fieber, Thoraxschmerz, Leukozytose und Verschattung im Thorax-Röntgenbild bessern sich schon innerhalb von 24 h. Die Ätiopathogenese bleibt oft unklar, kann infektiös sein oder einer pulmonalen Embolie oder Sequestration entsprechen.

SIRS und Schock sind unspezifische aber charakteristische Zeichen und Folgen einer systemischen Reaktion des Körpers auf eine Schädigung, die auch immunologischer, allergischer, traumatischer, endokrinologischer oder toxischer Natur sein kann.

1.1 Therapie

Bei Kindern mit Risiko für eine Bakteriämie sollen Blutkulturen abgenommen werden; ist es bei gutem Allgemeinzustand nicht hospitalisiert, soll es am folgenden Tag oder aber sicher bei Erhalt des Blutkulturresultats klinisch neu beurteilt werden. Bei klinischer Persistenz oder Verschlechterung, muss der mögliche Fokus der Infektion, sei es eine Meningitis, eine Pneumonie, Arthritis, Osteomyelitis oder Harnwegsinfektion gesucht bzw. ausgeschlossen und eine stationäre antimikrobielle Therapie begonnen werden (Tab. 15.4).

Tab. 15.4  Empirische Antibiotikatherapie bei Bakteriämie/Sepsis

Lokalisiert sich die Infektion im Verlauf, bestimmt die Organmanifestation die Therapie.

Die Therapie der Sepsis folgt 3 Prinzipien:

  • frühe Erkennung und früher Therapiebeginn bei drohendem septischem Schock,

  • Stabilisierung von Kreislauf und Gewebeoxygenierung,

  • Eradikation des Erregers und Sanierung des Infektfokus.

Die frühe Erkennung eines drohenden septischen Schocks erlaubt die rasche Therapieeinleitung. Diese besteht in der Anlage eines guten Gefäßzugangs und der Hospitalisation, wenn möglich auf einer Intensivstation. Der Gefäßzugang erlaubt die sofortige Volumentherapie zu beginnen. Die Schocktherapie und Kreislaufstabilisierung muss früh einsetzen und hat absolute Priorität. Ziel ist es, das Verhältnis von O2-Transport zu O2-Bedarf zu verbessern. Der O2-Transport ist eine Funktion von Herzminutenvolumen, Hämoglobin und arterieller O2-Sättigung. Im Sinne der „goal-directed therapy“ umfasst dies Volumengabe, Einsatz von Katecholaminen bei fehlendem Ansprechen, Aufrechterhalten einer Hämoglobinkonzentration initial von 100 g/l, und großzügige Intubation und Beatmung, insbesondere bei erhöhter Atemarbeit (Reduktion des O2-Verbrauchs).

Die antimikrobielle Therapie erfolgt empirisch nach Abnahmen von Blutkulturen möglichst früh. Die Wahl der Antibiotika hängt ab vom Alter des Patienten, Lokalisation der Infektion (Gewebegängigkeit, Toxizität), und Art wie diese erworben wurde (zuhause oder nosokomial).

Von den pathophysiologischen Erkenntnissen abgeleitete Ansätze zur Immunmodulation, z. B. gegen Bakterienprodukte, Zytokine, Leukozyten-Endothel-Interaktionen sind experimentell und klinisch (noch) nicht anwendbar. Der Einsatz von Kortikosteroiden oder Immunglobulinen zeigt generell keine klaren Erfolge und bleibt Spezialfällen vorbehalten.

1.1 Komplikationen

Cave

Kinder mit Meningokokkämie können eine derart fulminante Sepsis und Schock mit hoher Letaliät entwickeln, dass es nicht mehr zur Ausbildung einer Meningitis kommt.

Die Komplikationen der Sepsis entsprechen der durch Hypoperfusion, disseminierte Blutungen und durch die septische mikrobielle Streuung verursachte Schädigung der einzelnen Organsysteme.

1.1 Prognose

Die Letalität invasiver bakterieller Infektionen im Kindesalter liegt bei etwa 4% und jene der Sepsis bei mit 10–50%. Sie hängt vom Alter und der Grundkrankheit des Patienten, dem Erreger und vom frühen Auftreten und Schweregrad des Schockzustandes ab. Die wichtigsten 3 Faktoren zur Reduktion der sepsisassoziierten Letalität sind erstens frühzeitige Erkennung, zweitens die frühzeitige und großzügige intravenöse Gaben von Volumen und, wenn nötig, Katecholaminen und drittens die frühzeitige wirksame Antibiotikatherapie.

1.2 Toxische Schocksyndrome

1.2 Grundlagen

Exotoxine von Staph. aureus oder von Streptococcus pyogenes (S. pyogenes)können von Exanthem begleitete, rasch fatale Multiorganerkrankungen verursachen.

1.2 Epidemiologie

Rund 60% der Fälle von Staphylokokken-toxischem-Schock-Syndrom (TSS) treten während der Menstruation (bei Verwendung von Tampons) auf. Individuen ohne vorherigen Kontakt mit dem Staphylokokken-TSS-Toxin-1 (TSST-1) und daher ohne schützende Antikörper (jüngere Kinder) haben ein höheres Erkrankungsrisiko. Dieses wird auch bei Schädigung der Schleimhaut der Atemwege durch Influenzavirus (bahnt den Weg für Infektion mit Staph. aureus) erhöht. Das Streptokokken-TSS entwickelt sich meist in Zusammenhang mit Verletzungen der Haut (Varizellen) oder tieferer Gewebe (nekrotisierende Fasziitis nach Trauma oder Chirurgie).

1.2 Ätiologie

Ursächlich liegt eine Infektion (Wunde, Furunkel, Tampon, Pneumonie, postchirurgisch) mit einem TSST-1 bildenden Stamm von Staph. aureus oder mit pyrogene Exotoxine A oder B sezernierenden β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A (S. pyogenes, am häufigsten Stämme mit M-Protein 1, 3, 12 oder 28) vor.

1.2 Pathogenese

TSST-1 von Staph. aureus sowie die pyrogenen Exotoxine von S. pyogenes wirken als Superantigene auf T-Lymphozyten und stimulieren dadurch eine enorme Ausschüttung von Zytokinen wie Tumornekrosefaktor α und β, Interleukin (IL)-1, IL-2, IL-6 und γ-Interferon. Sie erhöhen die Permeabilität der Kapillaren. Schock und Organversagen folgen.

1.2 Klinik

Zwischen Staphylokokken-TSS und Streptokokken-TSS bestehen gewisse klinische Unterschiede (Tab. 15.5).

Tab. 15.5  Vergleich von toxischem Schocksyndrom (TSS) durch Staphylokokken oder Streptokokken

Staphylokokken-TSS

Das Staphylokokken-TSS ist gekennzeichnet durch akutes Auftreten von Fieber, diffuses stammbetontes makulöses Erythem, Halsschmerzen, Hyperämie der Schleimhäute, Myalgie, Hypotension und Multiorganbefall (Niere, Leber, Blut, Zentralnervensystem). Außerdem treten konjunktivale Hyperämie, geröteter Pharynx und Erdbeerzunge sowie häufig eine profuse Diarrhö und möglicherweise auch Erbrechen auf.

Streptokokken-TSS

Der Beginn des Streptokokken-TSS ist oft charakterisiert durch Halsschmerzen, Pneumonie und Wund- oder Weichteilinfektion. Danach können 3 Phasen der Erkrankung folgen:

  • PhaseI: Myalgie, Malaise, Schüttelfrost, Fieber, Nausea, Erbrechen und Diarrhö,

  • PhaseII: Tachykardie, Fieber, Tachypnoe und bei nekrotisierender Fasziitis lokale Schmerzen,

  • PhaseIII: persistierendes Fieber, qualvolle Schmerzen an der Infektionsstelle und Zeichen von Schock und Organversagen.

Rund 60% der Patienten zeigen eine Eintrittspforte an Haut (z. B. Varizellen) oder Schleimhäuten. Die nekrotisierende Fasziitis kommt mit oder ohne Myonekrose vor. Bei 40% der Patienten vermutet man eine Infektion nach vom Pharynx ausgehender Bakteriämie.

1.2 Diagnose

Staphylokokken-TSS

Die Diagnose des Staphylokokken-TSS erfolgt klinisch (Übersicht).

Hauptkriterien zur Falldefinition des Staphylokokken-toxic-shock-Syndroms gemäß des Center for Diseases Control

  1. 1.

    Temperatur ≥38,9°C

  2. 2.

    Diffuse makulöse Erythrodermie

  3. 3.

    Hypotonie ≤90 mmHg systolisch oder unter der 5. Perzentile; orthostatischer Abfall des diastolischen Blutdrucks ≥15 mmHg; orthostatische Synkope; orthostatischer Schwindel

  4. 4.

    Mitbeteiligung von ≥3 der folgenden Organsysteme: Magen-Darm-Trakt, Muskeln, Schleimhäute, Nieren, Leber, Blut und Zentralnervensystem

  5. 5.

    Desquamation v. a. an Handflächen und Fußsohlen nach 1–2 Wochen

Die Diagnose ist wahrscheinlich,

  • wenn 4 der 5 Hauptkriterien erfüllt,

  • Blut- und Liquorkulturen steril (Wachstum von Staph.aureus ist selten) und die

  • Serologien negativ für Masern, Ehrlichia, Leptospiren und „Rocky Mountain spotted fever“ sind.

Rund 10–30% aller Gesunden tragen Staph. aureus in Nase oder auch Vagina, wiederum rund 30% dieser Träger zeigen TSST-1-Bildung.

Der Nachweis von TSST-1 bildenden Staph. aureus genügt daher nicht zur Diagnose von TSS.

Streptokokken-TSS

Die Diagnose des Streptokokken-TSS wird aufgrund klinischer Kriterien und ergänzender Laborbefunde gestellt (Übersicht).

  • Eindeutiger Fall: Kriterien 1A und 2 (A und B) erfüllt.

  • Möglicher Fall: Kriterien 1B und 2 (A und B) erfüllt, ohne andere Ätiologie.

  • Laborbefunde: Linksverschiebung mit 40–50% unreifen Formen im weißen Blutbild, Thrombozytopenie, Azotämie, Hypokalzämie, Hypalbuminämie, Hämaturie und erhöhte Serumkreatinkinase.

  • Blutkulturen: steril oder Wachstum von S. pyogenes.

Falldefinition des toxischen Schocksyndroms durch Streptokokken

  1. 1.

    Isolation von Gruppe-A-Streptokokken

    1. A.

      Von sonst sterilem Ort (z. B. Blut, Liquor, Peritonealflüssigkeit, Gewebebiopsie, chirurgische Wunde usw.)

    2. B.

      Von einer nicht sterilen Stelle (z. B. Rachen, oberflächliche Hautläsion usw.)

  2. 2.

    Klinische Zeichen des Schweregrads

    1. A.

      Hypotension: systolischer Blutdruck ≤90 mmHg oder <5. Perzentile und

    2. B.

      2 oder mehr der folgenden Zeichen:

      • Eingeschränkte Nierenfunktion: Serumkreatinin ≥2-fache Altersnorm

      • Koagulopathie: Thrombozyten ≤100 G/l oder disseminierte intravasale Gerinnung

      • Leberbeteiligung: Serum-ALT (GPT), -AST (GOT) oder Bilirubin ≥2-fache Altersnorm

      • „adult respiratory distress syndrome“ (ARDS)

      • Generalisiertes Exanthem: erythematös, fleckförmig, evtl. mit Desquamation

      • Weichteilnekrose (nekrotisierende Fasziitis, Myositis oder Gangrän)

1.2 Differenzialdiagnose

Sie umfasst Kawasaki-Syndrom, Scharlach, Masern, Meningokokkensepsis, Leptospirose, Ehrlichiose, Rocky-Mountain-Fleckfieber und andere febrile Krankheiten mit mukokutanen Zeichen oder Hypotension.

1.2 Therapie

Notfallmaßnahmen

Ausgedehnter i.v.-Flüssigkeitsersatz sowie nach Bedarf Vasopressiva sind zur Prophylaxe und Therapie des hypovolämischen Schocks imperativ.

Antibiotika und Fokussanierung bilden die Eckpfeiler der Therapie bei toxischem Schocksyndrom.

Antibiotika

Gegen Staph. aureus bzw. S. pyogenes wirksame Betalaktame wie Flucloxacillin bzw. Amoxicillin (jeweils 50 mg/kgKG/Gabe i.v. 3- bis 4-mal) zur Elimination des toxinbildenden Staph. aureus und Verminderung des Risikos für ein Rezidiv. Clindamycin (25–40 mg/kgKG/Tag i.v.) ist wirksamer als Betalaktamantibiotika, möglicherweise wegen Hemmung der bakteriellen Protein- und damit der Toxinsynthese sowie Hemmung der Synthese von M-Protein und dadurch Erleichterung der Phagozytose von S. pyogenes, Unterdrückung der Synthese von am Auf- und Abbau der Bakterienzellwand beteiligten penicillinbindenden Proteine und möglicherweise Unterdrückung der Synthese von TNF-α durch Monozyten. Diese Hemmung erfolgt unabhängig von Inokulumgröße oder Wachstumsstadium der Bakterien. Im Falle einer nekrotisierenden Fasziitis empfiehlt sich – solange die Ätiologie noch unklar ist – die Kombination eines Breitspektrumpenicillins oder Cephalosporins mit Clindamycin und einem Aminoglykosid.

Elimination des Infektfokus

Entfernung eines liegenden vaginalen Tampons oder prompte und aggressive Exploration und Débridement verdächtigter Infektionen der tiefen Weichteile.

Intravenöse Immunglobuline

Immunglobuline (0,5 g/kgKG/Tag i.v. für 5 Tage) können in schweren Fällen hilfreich sein und bei Streptokokken-TSS die Letalität senken.

1.2 Komplikationen, Prognose

Störungen wie Schock und Multiorganversagen, prolongierter Schock, disseminierte intravasale Gerinnung (Abb. 15.2) oder „adult respiratory distress syndrome“ (ARDS) können relativ fulminant eintreten. Die Letalität des Staphylokokken-TSS beträgt bei prompter aggressiver Therapie <5%, jene des Streptokokken-TSS >70%.

Abb. 15.2
figure 2figure 2

 Disseminierte intravasale Gerinnung bei toxischem Schocksyndrom durch Staph. aureus bei einem 14 Jahre alten Mädchen: ausgedehnte Hämatome am linken Arm

1.3 Botulismus

1.3 Grundlagen

Botulismus wird durch kontaminierte Speisen und nicht von Mensch zu Mensch übertragen. Von Clostridium botulinum sezernierte Toxine induzieren eine Neuroparalyse.

1.3 Pathogenese

Der sporenbildende, grampositive anaerobe Bazillus Clostridium botulinum synthetisiert die an der Pathogenese beteiligten Neurotoxine A, B, E und F. Die Neurotoxine gelangen auf enteralem oder parenteralem Weg via Blutbahn an die Wirkungsorte (motorische Endplatten und parasympathische Synapsen), wo sie die Freisetzung von Azetylcholin blockieren. Sowohl stimulusabhängige als auch spontane Erregungen der ganglionären und postganglionären Synapsen sowie anderer neuromuskulärer Endplatten werden gehemmt.

Aufgrund der beteiligten Toxine und der Entstehung werden 3 Formen unterschieden:

  • Nahrungsmittelbotulismus (Toxine A, B, E und F),

  • Säuglingsbotulismus (Toxine A, B und G),

  • Wundbotulismus (Toxine A und B).

Nahrungsmittelbotulismus

Hier stehen anfangs abrupt innerhalb von Stunden oder graduell über mehrere Tage nach Einnahme der kontaminierten Speise gastrointestinale Symptome im Vordergrund: Übelkeit, Völlegefühl, Erbrechen, Obstipation oder auch Durchfall.

Es folgen charakteristische neurologische Symptome:

  • symmetrische, deszendierende schlaffe Lähmung der bulbären und später der somatischen Muskeln,

  • generalisierte Schwäche und Hypotonie (bei raschem Verlauf),

  • Doppelbilder, verschwommenes Sehen (ältere Kinder),

  • trockener Mund, quälender Durst,

  • Dysphagie, Dysphonie und Dysarthrie.

Das Bewusstsein bleibt bei Patienten mit Botulismus klar!

Säuglingsbotulismus

Der Säuglingsbotulismus tritt vorwiegend im Alter <6 Monaten auf. Die Symptome beginnen 3–30 Tage nach Exposition mit sporenhaltigem Honig und äußern sich durch Obstipation, Lethargie, Trinkschwäche, kraftloses Schreien mit veränderter Tonlage, geringgradige Augenmuskellähmungen, Lidptose, generalisierte Schwäche und Muskelhypotonie mit Verlust der Kopfkontrolle.

Bei Patienten mit Botulismus besteht kein Fieber.

Wundbotulismus

Der Wundbotulismus tritt 4–14 Tage nach einer Verletzung auf. Die Klinik ähnelt jener des Nahrungsmittelbotulismus. Gastrointestinale Symptome fehlen jedoch.

1.3 Diagnose

Bei Nahrungsmittelbotulismus erkranken oft mehrere Personen gleichzeitig. Das Botulismustoxin lässt sich im Serum, Magensaft, Stuhl oder verdächtigen Nahrungsmitteln (Toxin-Neutralisations-Bioassay bei Mäusen) nachweisen. Die Kultur von C. botulinum aus Magensaft, Erbrochenem, Stuhl oder Speiseresten auf Selektivmedien sollte unbedingt angestrebt werden. Die Elektromyographie kann hilfreich sein. Evozierte Muskelpotenziale mit über 20 Zyklen/s bei hochfrequenter Nervenstimulation sind möglich. Beim Säuglingsbotulismus findet man oft kurze, kleine, häufige motorische Aktionspotenziale.

Die Diagnose Botulismus wird (zu) häufig spät gestellt. Der Verdacht auf Botulismus beruht in erster Linie auf der Anamnese.

Der Nachweis von Toxin im Serum gelingt bei 1% der Fälle und nur in den ersten 3 Tagen nach Symptombeginn. Später sind Magensaft und Stuhl ergiebiger. Bei Obstipation gewinnt man Stuhl mithilfe eines sterilen, nicht bakteriostatischen Einlaufs.

1.3 Differenzialdiagnose

Wenige andere Erkrankungen kommen in Betracht: primäre neuromuskuläre Störungen (Familienanamnese), Myasthenia gravis oder ein Guillain-Barré-Syndrom.

1.3 Therapie

Sofortmaßnahmen bestehen in der sofortigen Entleerung von Magen und Darm, in der Sicherung und Überwachung der Vitalfunktionen, speziell der Atmung und in der Gabe von Antitoxin (sobald als möglich).

Cave

Antiserum kann schwere Überempfindlichkeitsreaktionen verursachen (Quelle: Pferd). Deshalb muss vorgängig immer eine Testdosis verabreicht werden.

Nach der Testdosis werden 250 ml unter Beachtung der Kreislaufsituation langsam i.v. infundiert, anschließend weitere 250 ml als Dauertropfinfusion. Je nach klinischem Bild folgen 4–6 h nach erster Gabe weitere 250 ml Antitoxin.

Bei Säuglings- und Nahrungsmittelbotulismus verwendet man Antibiotika nur zur Therapie sekundärer bakterieller Infektionen, da die Lyse von intraluminalem C. botulinum die Abgabe von absorbierbarem Toxin begünstigt. Aminoglykoside können die Wirkungen des Toxins verstärken. Nur beim Wundbotulismus wird Penicillin G, 500.000 IE/kgKG/Tag i.v. für 10–14 Tage verabreicht.

Chirurgische Behandlung

Wundtoilette mit Abtragung oberflächlicher Nekrosen ist beim Wundbotulismus indiziert.

1.3 Komplikationen, Prognose

Komplikationen betreffen die Atmung und allergische Reaktionen: Atemlähmung und Aspirationspneumonie, allergische und anaphylaktische Reaktionen auf das Antitoxin und sekundäre Infektionen. Die autonome Dysfunktion ist selten lebensgefährlich (Letalität <1%), wenn die supportiven Maßnahmen vor der Hypoxie einsetzen.

1.4 Diphtherie

1.4 Definition

Diphtherie ist eine durch Toxin bedingte Erkrankung. Sie spielt sich an Schleimhaut, Haut und eventuell am Herzen sowie Nervensystem ab. Letale Verläufe sind am häufigsten beim jungen Kind und alten Menschen. Die Einführung der Impfung nach dem 2. Weltkrieg bewirkte eine drastische Abnahme der Fälle. Ausbrüche von Diphtherie kommen heute in Gemeinschaften mit Impfraten <80% vor. In manchen Entwicklungsländern ist Diphtherie noch endemisch.

1.4 Epidemiologie

Der Mensch ist das einzige Reservoir für Corynebacterium diphtheriae, das mittels Tröpfchen oder direkten Kontakt mit kontaminiertem respiratorischem Sekret oder Wundsekret übertragen wird. Die Trägerrate für toxigene Stämme unter Gesunden beträgt in Endemiegebieten 3–5%.

1.4 Ätiologie

Es handelt sich um eine Infektion mit einem Exotoxin bildenden Stamm von C. diphtheriae, einem sich irregulär färbenden grampositiven, nicht Sporen bildenden, unbeweglichen Bazillus.

1.4 Pathogenese

Das Toxin bindet sich mit seinem Segment A an die Wirtszelle. Sein danach abgespaltenes Segment B dringt in diese ein, inaktiviert die Transfer-RNA-Translokase und hemmt dadurch die Proteinbiosynthese. Die Zelle stirbt. An den Atemwegen bewirkt das Toxin innerhalb von wenigen Tagen ein nekrotisches Koagulum bestehend aus Bakterien, Epithelzellen, Fibrin, Leukozyten und Erythrozyten. Daraus entsteht eine grau-bräunliche adhärente Pseudomembran. Lähmungen der lokalen Muskulatur sind möglich. Absorption des Toxins führt zu Nekrosen an Nierentubuli und Leberparenchym, aregenerativer Thrombopenie und bedeutungsvoller zu Kardiomyopathie und Demyelinisierung von Nerven.

Lokal begrenzte Formen

Sie beginnen graduell über 1–2 Tage. Die Tonsillen-/Rachendiphtherie zeigt anfänglich gerötete Tonsillen, die später das Bild einer Angina lacunaris mit grau-weißen konfluierenden Belägen manifestieren. Typisch sind die Pseudomembranen, die sich schwer ablösen lassen und blutende Schleimhaut freigeben, und der süßliche Foetor ex ore. Die besonders beim Kleinkind häufige Nasendiphtherie präsentiert sich mit blutig-serösem Schnupfen und ebenfalls Pseudomembranen. Charakteristisch für die Kehlkopfdiphtherie (Krupp) sind zunehmende Heiserkeit bis Aphonie, bellender Husten, inspiratorischer Stridor mit jugulären und interkostalen Einziehungen, Zyanose, Unruhe und Angst. Fieber fehlt oder ist nur geringgradig. Die kutane, vaginale, konjunktivale oder otische Diphtherie weist neben Pseudomembranen gräulich belegte Ulzerationen auf.

Maligne systemische Formen

Die primär toxische Diphtherie entwickelt sich nach scheinbar harmlosem Beginn innerhalb von Stunden. Mund und Rachen schwellen ödematös an und werden von grün-braun-schwarzen Membranen überzogen. Die Schwellung kann zum sog. Zäsarenhals anwachsen.

Bei der sekundär toxischen Diphtherie weiten sich die Beläge an den Tonsillen aus und färben sich bräunlich. Peritonsilläre und glanduläre Ödeme sowie Blutungen (Nase, Urin, Stuhl), Kreislaufinsuffizienz und Myokarditis treten auf. Neurologische Störungen wie Lähmung des Gaumensegels (nach 1–2 Wochen), der Augenmuskeln und des N. facialis (3.–4. Woche) können sich manifestieren.

1.4 Diagnose

Die Verdachtsdiagnose muss klinisch gestellt werden (Halsschmerzen, festhaftende pseudomembranöse Belägen auf Tonsillen oder im Nasen-Rachen-Raum, ggf. Fieber). Sie wird mittels Kultur von Membranen oder unterhalb von ihnen entnommenen Abstrichen gesichert Erregerisolierung (Anzucht auf Spezialnährböden aus geeignetem klinischem Material) plus Nachweis des Diphtherietoxins aus dem isolierten C.-diphtheriae- (C. ulcerans-) Stamm mittels PCR (Nachweis des Diphtherie-Toxin-Gens) und Elek-Ouchterlony-Immunpräzipitationstest (Nachweis des sezernierten Toxins). Das Labor sollte zur Bereitstellung der benötigten Spezialmedien vorher benachrichtigt werden.

Man unterscheidet 4 Falldefinitionen:

  • klinisch-epidemiologisch bestätigte Erkrankung (klinisches Bild und Nachweis eines epidemiologischen Zusammenhangs ohne labordiagnostischen Nachweis),

  • klinische und labordiagnostisch bestätigte Erkrankung (klinisches Bild und labordiagnostischer Nachweis),

  • labordiagnostisch bestätigte asymptomatische Infektion (labordiagnostischer Nachweis bei fehlendem klinischem Bild),

  • labordiagnostisch bestätigte Infektion bei unbekanntem klinischem Bild (Angaben zum klinischen Bild fehlen).

  • Es besteht Meldepflicht für Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod an Diphtherie sowie bei Nachweis von toxinbildenden C. diphtheriae (namentliche Meldung).

1.4 Differenzialdiagnose

Sie umfasst obstruktive Infektionen der Atemwege wie exsudative Pharyngitis (S. pyogenes, Adeno- oder Epstein-Barr-Virus), Epiglottitis, schwere virale Laryngotracheobronchitis und bakterielle Tracheitis.

1.4 Therapie

Sobald klinisch die Verdachtsdiagnose besteht, sollte Antitoxin zur möglichst raschen Neutralisation des Toxins ohne Abwarten der Kulturresultate verabreicht werden (Tab. 15.6).

Tab. 15.6  Dosierung des equinen Anti-Diphtherietoxin-Serums

Wegen möglicher anaphylaktischer Reaktion auf equines Antiserum sollte vorher intrakutan eine Testdosis von 0,1 ml des 1:10 verdünnten Antitoxins injiziert werden.

Eine Antitoxingabe für die Hautdiphtherie wird i.d.R. nicht empfohlen, da eine für systemische Symptome ausreichende Toxinabsorption in großem Umfang sehr unwahrscheinlich ist.

Antibiotika zur Elimination des C. diphtheriae: Penicillin G i.v. (100.000–150.000 IE/kgKG/Tag in 4 Einzelgaben) oder bei Allergie Erythromycin p.o. oder i.v. (40–50 mg/kgKG/Tag, maximal 2 g/Tag) für 14 Tage.

Cave

Antibiotika ersetzen die Gabe von Antitoxin nicht!

In den ersten 3–4 Wochen oder nach Bedarf länger sind Bettruhe und das Vermeiden von Aufregung und Anstrengung anzuordnen. Das Baden oder das Aufsetzen zum Essen sind auf ein Minimum zu reduzieren. Hautwunden sind mit Seife und Wasser gut zu reinigen. Patienten mit Rachendiphtherie müssen strikt isoliert werden, Patienten mit Hautdiphtherie bedürfen nur einer Kontaktisolation.

Die Elimination von C. diphtheriae wird anhand von 2 negativen Kulturen nach Therapieende dokumentiert. Zur Verhütung sekundärer Fälle sind Haushalt und enge Kontakte zu untersuchen sowie prophylaktische Maßnahmen einzuleiten.

1.4 Komplikationen

Sie sind vielfältig und beinhalten

  • Obstruktion der oberen Atemwege durch ausgeprägte Membranbildung,

  • Myokarditis, vasomotorischer Schock, Arrhythmie und Stauungsleber,

  • Nierenbeteiligung mit Albuminurie und Ausscheidung hyaliner Zylinder und Tubulusepithelien,

  • neurologische Affektionen: Stimmbandparese, aszendierende Paralyse wie bei Guillain-Barré-Syndrom mit Parästhesien (Landrysche Paralyse), Schluck- und Zwerchfelllähmung.

1.4 Prognose

Sie hängt von der Virulenz des beteiligten C.-diphtheriae-Stamms, von Alter und Impfstatus des Patienten, von der Lokalisation der Infektion und der Latenz bis zur Antitoxingabe ab. Die Letalität bei Befall der Atemwege beträgt rund 10% und bei Herzbeteiligung bis 100%. Falls die Wirkungen des Toxins überstanden werden, ist die Prognose gut.

Cave

Nicht alle Patienten entwickeln nach der Erkrankung Immunität. Deshalb muss diese getestet und je bei negativem Resultat mittels Impfung induziert werden.

1.5 Tetanus

1.5 Grundlagen

Wundstarrkrampf (Tetanus) ist eine durch Tetanospasmin hervorgerufene, peinigende neuromuskuläre Erkrankung.

1.5 Epidemiologie

Tetanus kommt bei uns dank der aktiven Impfung selten vor, ist aber in Entwicklungsländern noch gefürchtet und eine häufige Ursache der neonatalen Letalität. Ursache ist das ubiquitäre sporenbildende, anaerobe grampositive Bakterium Clostridium tetani.

1.5 Pathogenese

Voraussetzung ist die Kontamination einer Wunde oder beim Neugeborenen der Nabelschnur mit C. tetani. Dieses sezerniert das Exotoxin Tetanospasmin, welches über die Blutbahn und entlang der peripheren Nervenaxone ins Rückenmark und Gehirn gelangt. An den neuromuskulären Endplatten der Skelettmuskulatur und den neuronalen Membranen des Rückenmarks hemmt das Toxin die motorischen Impulse an die Motoneuronen. Die reflektorische Erregbarkeit wird erhöht. Es treten keine Gewebeschaden oder entzündliche Reaktionen auf.

1.5 Klinik

Vier Formen werden unterschieden:

  • Generalisierte Form: Sie manifestiert sich 2 Tage bis 2 Monate (im Schnitt 10 Tage) nach Wundinfekt mit graduellem Beginn (1–7 Tage) von Trismus, Dysphagie und schweren tonischen Muskelspasmen und paroxysmalen Kontraktionen. Die Spasmen, oft durch exogene Stimuli verschlimmert, persistieren eine und mehr und bei Überlebenden sogar mehrere Wochen.

  • Lokalisierte Form: Sie kann der generalisierten vorausgehen und zeigt Spasmen der Muskeln nahe der Wunde.

  • Zerebrale Form: Falls die Wunde am Kopf oder Hals liegt, ist eine Dysfunktion der Hirnnerven möglich.

  • Neugeborenentetanus: Er tritt 5–14 Tage nach Geburt auf mit Schwierigkeiten beim Saugen und Schlucken, anhaltendem Schreien, tonischer Starre und Spasmen der Muskulatur (Beugehaltung der Extremitäten und Faustbildung).

1.5 Komplikationen

Sie spielen sich an folgenden Organen ab:

  • Atemwege: Obstruktion, Sekretstau, Pneumonie, Atelektase, Ateminsuffizienz,

  • Autonomes Nervensystem: Blutdruckschwankungen, periphere Durchblutungsstörungen und Schweißausbrüche,

  • Bewegungsapparat: Frakturen der Thoraxwirbel bei simultanen Spasmen von Flexoren und Extensoren, Rhabdomyolyse.

1.5 Diagnose

Sie wird klinisch nach Ausschluss von hypokalzämischer Tetanie, Phenothiazinreaktion, Strychninvergiftung und Hysterie gestellt. Die Kultur eines Abstrichs der Wunde ergibt Nachweis von C. tetani in 1/3 der Fälle.

1.5 Differenzialdiagnose

Hypokalzämische Tetanie, Meningitis und Krämpfe, Stiffman-Syndrom (progressive fluktuierende Muskelspasmen) sowie Strychninvergiftung und dystone Reaktion auf Medikamente.

1.5 Therapie

Wunden müssen gründlich gesäubert und débridiert werden. Beim Neugeborenen ist eine breite Exzision des Nabelstumpfes jedoch nicht nötig.

Humanes Tetanushyperimmunglobulin wird i.m. und ein Teil der Dosis lokal um die Wunde injiziert (Neugeborene 500 E, ältere Kinder 3.000–6.000 E). Ist solches nicht erhältlich, soll equines Hyperimmunglobulin nach Ausschluss von Hypersensitivität (50.000–100.000 E), ein Teil davon (20.000 E) i.v. verabreicht werden. Falls beide nicht zur Hand, verwendet man i.v.-Gammaglobulin (0,4 g/kgKG). Da die Infektion keine Immunität hinterlässt, sollte simultan aktiv gegen Tetanus geimpft werden. Orales (oder i.v.) Metronidazol (30 mg/kgKG/Tag in 4 Einzelgaben für 10–14 Tage) ist das Antibiotikum der Wahl zur Reduktion vegetativer Formen von C. tetani. Alternativ bietet sich Penicillin G (100.000 E/kgKG/Tag in 4–6 Einzelgaben) an.

Symptomatische Therapie

Essenziell zur Kontrolle der Spasmen sind die supportiven Maßnahmen wie Isolation in reizarme Umgebung mit Abdunkelung, Prophylaxe von Dekubitus, Lungeninfektionen etc., Sedierung mit Diazepam und/oder Barbituraten und evt. Muskelrelaxation. Bei beginnender Ateminsuffizienz müssen Intubation und mechanische Beatmung erfolgen. Die parenterale Flüssigkeitszufuhr und Ernährung sind zu sichern.

1.5 Prognose

Die Letalität, v. a. jene durch respiratorische Insuffizienz und kardiovaskuläre Komplikationen, hängt von der Inkubationsdauer ab und beträgt 25–60%.

Cave

Die Krankheit hinterlässt keine bleibende Immunität!

1.6 Typhus

1.6 Definition

Typhus ist eine systemische Erkrankung durch Infektion mit Salmonella typhi oder selten andere Salmonellen. Typhus („enteric fever“) ist die häufigste Salmonelleninfektion in Entwicklungsländern mit einer Inzidenz von 0,5% und hoher Letalität bei Malnutrition, Grundleiden oder Komplikationen.

1.6 Epidemiologie

Im Gegensatz zu nicht typhoiden Salmonellen ist nur der Mensch Wirt für Salmonella typhi. Die Übertragung geschieht fäkal-oral oder über kontaminierte Nahrungsmittel. Salmonelleninfektionen sind häufiger in den ersten 5 Lebensjahren mit dem Maximum im 1. Lebensjahr.

1.6 Pathogenese

Salmonellen sind bewegliche gramnegative Bazillen, die keine Laktose spalten. Sie dringen in die Lamina propria des Dünndarms ein, wo sie eine Entzündung, aber keine größeren Schleimhautulzerationen auslösen. Salmonella typhi führt zu einer monozytären Entzündung und immer zur Bakteriämie. Die phagozytierten Bakterien widerstehen der intrazellulären Abtötung und werden so in die Peyer-Plaques und mesenterialen Lymphknoten, allenfalls Leber und Myokard transportiert, wo sie monozytäre Infiltrate und später Nekrosen bewirken.

1.6 Klinik

Nach einer Inkubationszeit von 8–14 Tagen beginnt die Krankheit allmählich mit Fieber, Kopfschmerzen, Husten, Appetitlosigkeit, Nausea, selten Diarrhö. Nach einer Woche tritt eine Fieberkontinua (39°C) auf, die persistiert, zusammen mit einer relativen Bradykardie, einer Wesensveränderung (Somnolenz, Halluzinationen), Bauchschmerzen, Hepatosplenomegalie und typischerweise am Stamm kleinen Roseolen (1–6 mm große Makulae).

1.6 Komplikationen

Bereits Ende der ersten Woche können intestinale Blutungen (1–10%) und Dünndarmperforationen (0,5–3%) auftreten. Die Aussaat der Bakteriämie kann zu Lokalinfektionen wie Osteomyelitis, Arthritis oder Meningitis führen. Ein Rückfall nach Absetzen der antibiotischen Therapie ist nicht selten, verläuft aber meist milder. Die Ausscheidung von Salmonellen kann nach der Infektion persistieren und zu asymptomatischen Dauerausscheidern führen. Die Gallenblase ist oft das Erregerreservoir. Ein Eradikationsversuch kann mit Ampicillin (6 Wochen), Amoxicillin plus Probenezid oder eher Chinolonen versucht werden (Antibiogramm beachten).

1.6 Diagnose

Kulturen aus Blut, Stuhl und Urin. Die Erreger können auch in den Roseolen und noch nach der Bakteriämie im Knochenmark nachgewiesen werden (Abb. 15.3).

Abb. 15.3
figure 3figure 3

 Klinischer Verlauf bei Typhus

1.6 Differenzialdiagnose

In der Initialphase grippeähnliche virale Infektionen, Bronchitis, je nach Symptomatik auch Gastroenteritis. Ohne Diarrhö kommen andere Infektionen mit intrazellulären Erregern (Brucellen, Tuberkulose, Malaria, Pilze) infrage.

1.6 Therapie

Neben Ampicillin oder Cotrimoxazol für 2 Wochen sind heute je nach Resistenzlage Fluoroquinolone (Ofloxacin, Ciprofloxacin) für 7 Tage auch für Kinder Mittel erster Wahl für unkomplizierten Typhus. Gegen multiresistente Salmonellen sind Fluoroquinolone, Cefixime (14 Tage) oder Azithromycin (7 Tage) erforderlich, bei Nalidixinsäureresistenz die letzteren beiden. Die Therapie erfolgt in den meisten Fällen, wenn es der Zustand des Patienten erlaubt, oral. Schwere Fälle mit Hospitalisation werden 14 Tage parenteral mit Ceftriaxon oder Fluoroquinolonen behandelt. Metastatische Infektfoci erfordern eine längere Therapiedauer (4–6 Wochen). Bei kritisch kranken Patienten mit Delirium oder Schock zeigte die prompte Gabe von Dexamethason (3 mg/kgKG) einen günstigen Effekt.

Cave

Antipyretika können zu Temperaturabfall und Schock führen und sollten deswegen vermieden werden.

1.6 Prognose

Unter adäquater Therapie liegt die Letalität <1%, unbehandelt bei 20–30%. Besonders gefährdet sind Säuglinge, unterernährte Kinder und Kinder mit einer schweren Grundkrankheit. Die Ausscheidung nach einer Infektion hält bei Kindern unter 5 Jahren (45% nach 12 Wochen) länger an als bei älteren Kindern und Erwachsenen.

1.7 Lyme-Borreliose

1982 identifizierten Willy Burgdorfer und seine Mitarbeiter in den USA eine neue Spezies von Borrelien, die sich als die Ursache einer ganzen Reihe, seit anfangs des 20. Jahrhunderts in Europa und Mitte der 1970er in den USA beschriebenen Erkrankungen verschiedener Organsysteme entpuppen sollte.

1.7 Epidemiologie

Die Borreliose ist die häufigste von Zecken im Norden und Westen Europas (Ixodes ricinus) und gewissen Teilen Nordamerikas (I. scapularis und I. pacificus) übertragene Erkrankung. Da Zecken in der warmen Jahreszeit aktiv sind, werden Neuerkrankungen im Sommer beobachtet. Der Mensch ist nur ein zufälliger Wirt. Das Reservoir für Borrelien sind Mäuse und andere Nagetiere.

1.7 Ätiologie

Der Erreger ist das gramnegative, mit Flagellen ausgestattete, bewegliche und nur auf Spezialmedien kultivierbare Bakterium Borrelia burgdorferi, das wie Treponemen und Leptospiren zur Familie der Spirochäten gehört. Heute werden 3 Genospezies von B. burgdorferi unterschieden. Jede Spezies scheint nur gewisse Erkrankungen auslösen zu können (Tab. 15.7).

Tab. 15.7  Genospezies von Borrelia burgdorferi und assoziierte Erkrankungen

1.7 Pathogenese

Nach einem Zeckenstich regurgitiert die infestierte Zecke B. burgdorferi aus ihrem Magen in die Hautwunde. Die Bakterien vermehren sich lokal oder gelangen über die Lymphe oder Kapillaren in den Blutkreislauf, von wo sie in verschiedene Organe wie Zentralnervensystem, Herz, Gelenke und zurück zur Haut disseminieren können. Die Borrelien verursachen eine Entzündung, welche die organspezische Symptomatik auslöst.

1.7 Klinik

Tab. 15.8 Stadien der Lyme-Borreliose

Die klinischen Symptome hängen vom Organbefall ab (Abb. 15.4).

  • Das Erythema chronicum migrans (Abb. 15.4) tritt 7–10 Tage nach der Infektion auf und ist durch eine erythematöse makulopapulöse Effloreszenz am Ort des Zeckenstichs charakterisiert. Sie breitet sich ringförmig zentrifugal aus. Das Zentrum blasst ab. Der Rand kann leicht erhaben sein.

  • Bei Disseminierung der Borrelien können unspezifische grippale Symptome mit Fieber, Malaise, Muskel- und Gelenkschmerzen auftreten.

  • Die Lymphadenosis cutis benigna (Abb. 15.4) lokalisiert sich typischerweise am Ohrläppchen oder an der Mamille. Histologisch handelt es sich um lymphohistiozytäre Infiltrate.

  • Acrodermatitis chronica atrophicans (Abb. 15.4) ist eigentlich eine Spätmanifestation. Die Haut zeigt Pigmentverschiebungen, atrophiert und wird dünn wie Zigarettenpapier. Die darunter liegende Muskulatur kann ebenfalls atrophieren.

  • Die Neuroborreliose manifestiert sich meist als Meningitis oder isolierte periphere Fazialisparese mit Befall aller 3 Äste.

  • Arthritiden manifestieren sich meist als Monarthritis, vorwiegend des Knies oder der Hüfte.

  • Die seltene Karditis bewirkt Rhythmusstörungen (AV-Block 1. Grades oder komplett) oder Zeichen der Myokarditis (Kap. 20).

Abb. 15.4
figure 4figure 4

 Klinische Symptome der Lyme-Borreliose. a Erythema chronicum migrans periumbilikal bei einer 6-Jährigen: typische zentrale Abblassung. b Lymphadenosis cutis am Ohrläppchen bei einem 2-Jährigen. c Acrodermatitis chronica atrophicans bei einem 10 Jahre alten Jungen: Pigmentverschiebungen und Atrophie der Haut

1.7 Komplikationen

Unbehandelt und bei gewisser genetischer Konstitution kann es zur Chronifizierung der Manifestationen an Haut, Zentralnervensystem, Herz und Gelenken kommen.

1.7 Diagnose

Ein Zeckenstich in der Anamnese ist nicht obligat, da er häufig nicht bemerkt wird.

Die kutanen Manifestationen lassen sich gut klinisch diagnostizieren. Eine serologische Bestätigung ist höchstens bei der Acrodermatitis chronica atrophicans notwendig (sehr hohe Antikörpertiter!). Die Verdachtsdiagnose muss auch bei den anderen Manifestationen klinisch gestellt werden. Der Nachweis von Antikörpern bestätigt sie.

Cave

Die Interpretation von Antikörpertests ist nicht einfach, da oft eine von einer früheren Infektion stammende Seronarbe nicht ausgeschlossen werden kann.

Bei der Neuroborreliose beweist der Nachweis spezifischer intrathekaler Antikörper die aktive Infektion im zentralen Nervensystem. Im Liquor findet sich in diesen Fällen immer eine Pleozytose. Ebenfalls beweisend für die aktive Infektion ist der Nachweis des Erregers selbst. Er ist v. a. bei Arthritiden von Nutzen. Hierzu bewährt sich die Polymerasekettenreaktion an Synoviabiopsien oder an der Haut, jedoch nicht im Liquor cerebrospinalis (Sensitivität <20%). Die Kultur von B. burgdorferi wird nur in gewissen Laboratorien durchgeführt.

Beim Erythema chronicum migrans kann die Serologie noch negativ sein, da die Antikörperantwort erst 4–6 Wochen nach Infektion aufgebaut wird.

1.7 Differenzialdiagnose

Jene der Fazialisparese beinhaltet Virusinfektion (Herpes-simplex-Virus, Paramyxovirus, etc.), idiopathische (Bell-Parese) und Tumoren. Für die Differenzialdiagnose der Meningitis, Arthritis und Karditis vergleiche: Abschn. 15.7.1, Abschn. 15.7.2, Abschn. 15.6.2, Kap. 12 und Kap. 20).

1.7 Therapie, Prognose

Die Wahl des Antibiotikums und die Therapiedauer richten sich nach der Klinik (Tab. 15.9). Bei korrekter Antibiotikatherapie ist die Prognose gut. Chronische Arthritiden entwickeln sich trotz antimikrobieller Behandlung in 3% der Fälle.

Tab. 15.9  Therapie der Lyme-Borreliose

2 Oberer Respirationstrakt und Hals

Die Schleimhäute des oberen Respirationstrakts und der Augen bieten sich als Eintrittspforten für aerogen oder durch Kontakt übertragene Erreger an. Obwohl der Respirationstrakt von der Nase bis zu den Alveolen ein Kontinuum darstellt, bevorzugen gewisse Pathogene ausgesprochen ganz bestimmte anatomische Abschnitte.

Rhinitis Kap. 14 und Kap. 18.

2.1 Pharyngitis, Tonsillitis

2.1 Definition

Eine Pharyngitis ist die Entzündung irgendeiner Struktur des Pharynx. Die Tonsillen – falls vorhanden – sind am häufigsten betroffen. Führende Ursache ist eine Virusinfektion (>70%).

Wichtig ist dabei die Erkennung einer Infektion durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (S. pyogenes), da deren Therapie eitrige und gewisse nichteitrige Komplikationen verhindert.

2.1 Epidemiologie

Eine Pharyngitis durch Streptokokken der Gruppe A kommt in jedem Alter, jedoch mit 5–11 Jahren gehäuft vor. Enge Kontakte wie in der Familie oder Schule begünstigen die Ausbreitung von S. pyogenes, das aerogen in großen Tropfen oder durch Kontakt mit kontaminiertem Sekret übertragen wird. Die Inkubationszeit beträgt 2–5 Tage. Unbehandelte sind in den ersten 2 Wochen nach Infektion kontagiös.

Streptokokken der Gruppen C und G werden vorwiegend via Nahrungsmittel übertragen und lösen wie der grampositive Bazillus Arcanobacterium haemolyticum Erkrankungen v. a. bei älteren Kindern und Jugendlichen aus. Die durch toxigene Stämme von Corynebacterium diphtheriae verursachte und bei uns praktisch eliminierte Diphtherie ist anfangs der 1990er Jahre in Russland wieder aufgetaucht. Pharyngitis durch Neisseria gonorrhoeae wird nur nach Sexualkontakten beobachtet.

2.1 Ätiologie

Nur gewisse Bakterien verursachen eine Pharyngitis (Tab. 15.10). Gruppe-A-Streptokokken bedingen 15–20% der Tonsillopharyngitiden.

Tab. 15.10  Ätiologie und Befunde der akuten bakteriellen Pharyngitis

2.1 Pathogenese

Bei der Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken spielt das M-Protein (>80 Serotypen bekannt) der Bakterienzellwand eine entscheidende Rolle. Es wirkt antiphagozytär und beeinflusst zusammen mit bakteriellen Enzymen die Invasivität des Erregers. Lipoteichonsäure (Adhäsin) und Hyaluronsäure stellen zusätzliche Virulenzfaktoren dar. Erythrogene (oder pyrogene) exotoxinbildende Stämme können Scharlach verursachen. Die zytotoxischen Störungen bei Infektion mit C. diphtheriae werden durch sezerniertes Exotoxin induziert.

2.1 Klinik

Der Patient mit Streptokokkenpharyngitis präsentiert sich typischerweise im Spätwinter oder Frühling mit plötzlich einsetzendem Fieber, Halsschmerzen, häufig zusätzlich Kopfschmerzen, Unwohlsein, Nausea und Erbrechen. Charakteristisch, jedoch nicht spezifisch sind hochroter Pharynx, Gaumen und Tonsillen, flächenhafte Exsudate an der Oberfläche der Tonsillen, Petechien am Gaumen (nicht immer), Erdbeerzunge, bedingt durch Rötung und Schwellung der Zungenpapillen sowie schmerzhaft vergrößerte zervikale Lymphknoten.

Von Scharlach darf nur gesprochen werden, wenn bei Streptokokken-A-Pharyngitis zusätzlich ein feinfleckiges diffuses, rötliches Exanthem axillar und inguinal vorliegt.

Dieses beginnt am Gesicht, spart das Munddreieck aus (zirkumorale Blässe kontrastiert die ausgesprochen roten Wangen) und generalisiert innerhalb 24 h. Das an den Beugefalten (Axilla, Leiste) besonders akzentuierte Exanthem fühlt sich samtig an und verschwindet auf Druck. Nach 2 Tagen beginnt es abzublassen. Eine Woche später setzt am Gesicht eine sich kaudalwärts ausbreitende, an Fingerspitzen und Händen oft lamelläre Desquamation ein. Eine Infektion mit Arcanobacterium haemolyticum sieht ähnlich wie Scharlach aus.

Die klinischen Hauptmerkmale der Diphtherie sind unspezifische Zeichen wie Anorexie, Unwohlsein, geringes Fieber, Halsschmerzen und klassische Zeichen wie gräuliche Membranen an Tonsillen und Rachen. In 1–2 Tagen bilden sich Membranen, die sich auf Larynx und Trachea ausdehnen. Vergrößerte Zervikallymphknoten ergeben den Aspekt eines Zäsarenhalses.

2.1 Diagnose

Die ätiologische Diagnose gestaltet sich dann schwierig, wenn kein spezifisches Syndrom vorliegt (Tab. 15.10). Die Erkennung einer Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken oder einer Diphtherie ist vorrangig. Die Bestätigung der Ätiologie durch Laboruntersuchungen ist auch bei typischen Zeichen wie Scharlachexanthem anzustreben. Goldstandard zum Nachweis von Gruppe-A-, -C- und -G-Streptokokken sowie von A. haemolyticum aus dem Rachen- und Tonsillenabstrich ist die Kultur. Sie dauert 18–48 h. Gruppe-A-Streptokokken können auch mittels Antigenschnelltests in <30 min detektiert werden (Spezifität >95%, Sensitivität 70–85%).

Falsch-negative Resultate von Gruppe-A-Streptokokken-Schnelltests sind häufig. Bei deren Anwendung empfiehlt sich die Abnahme zweier Abstriche. Der zweite dient bei negativem Test zur Inokulation der Kultur.

Cave

Ein positiver Antigentest bei einem asymptomatischen Patienten unter Antibiotikatherapie unterscheidet nicht zwischen toten und lebensfähigen Bakterien.

Die Bestimmung von Antikörpern gegen extrazelluläre Produkte von S. pyogenes (z. B. Streptolysin O) ist während der akuten Erkrankung wertlos, da der Antikörperanstieg erst nach 3–4 Wochen erfolgt. Blutsenkungsreaktion (oft >30 mm in der 1. Stunde) und C-reaktives Protein sind meist erhöht. Das Blutbild hilft trotz bestehender Leukozytose nicht für die ätiologische Zuordnung.

Die Diagnose der Diphtherie erfordert die Kultur von Material unterhalb der Membran auf Spezialmedien und den Nachweis von Toxinproduktion durch den isolierten C.-diphtheriae-Stamm.

2.1 Differenzialdiagnose

Epidemiologische und klinische Kriterien helfen zur Unterscheidung der Gruppe-A-Streptokokken-Pharyngitis gegenüber einer Pharyngitis anderer Ätiologie (Tab. 15.10 und Tab. 15.11). Scharlach muss vom Kawasaki-Syndrom, von Masern und vom Staphylokokken-toxisches-Schock-Syndrom unterschieden werden.

Tab. 15.11  Unterscheidungsmerkmale der Streptokokken-Gruppe-A-Pharyngitis und viraler Pharyngitis

2.1 Therapie

Die kausale Behandlung ist bei Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken zur Verhinderung des rheumatischen Fiebers immer indiziert. Dies gelingt auch bei Beginn 9 Tage nach Einsetzen der Klinik. Antibiotika mindern die Rate an Glomerulonephritis nicht, reduzieren aber jene eitriger Komplikationen und beenden innerhalb von 24 h die Kontagiosität. Mittel der Wahl ist orales Penicillin V für 10 Tage (Tab. 15.12). Intramuskuläre Penicillininjektionen sind schmerzhaft und sollten nur bei schlechter Compliance angewendet werden. Bei Infektion mit Gruppe-C- oder -G-Streptokokken gehen die Meinungen zur Notwendigkeit von Antibiotika auseinander. Erythromycin bewährt sich bei Infektion mit A. haemolyticum besser als Penicillin.

Tab. 15.12  Therapie der akuten Streptokokkenpharyngitis

Die Therapie der Diphtherie besteht in Penicillin oder Erythromycin und equines Antitoxin, das in Verdachtsfällen vor der Bestätigung der Diagnose durch das Labor verabreicht werden muss Abschn. 15.1.4). Zur Therapie der Gonorrhö werden Ceftriaxon oder Ciprofloxacin empfohlen.

2.1 Therapiekontrolle

Trotz Empfindlichkeit der Gruppe-A-Streptokokken auf Penicillin beträgt die Rate bakteriologischer Versager (Bakterien im Rachen nach Therapie) bis zu 25%. Sie entsprechen nicht unbedingt „klinischen Versagern“. Manche Patienten wurden durch einen anderen M-Typ infiziert oder sind chronische Träger. Oft liegt aber eine virale Infektion vor. Da viele bakteriologische Versager am Ende der Therapie asymptomatisch sind, sollten zur Vermeidung von Unsicherheiten Abstriche am Ende der Therapie unterlassen werden. Bei rheumatischem Fieber sind sie aber indiziert, da hier der rheumatogene Stamm zur Verhinderung von dessen Ausbreitung eradiziert werden muss.

2.1 Komplikationen

Bei der Gruppe-A-Streptokokken-Pharyngitis unterscheidet man eitrige und nicht eitrige Komplikationen (Tab. 15.13).

Tab. 15.13  Komplikationen der Streptokokkenpharyngitis

Die Eradikation kann bei Familien mit einem „Ping-Pong-Effekt“ der Gruppe-A-Streptokokken-Ausbreitung erwogen werden. Empfohlen werden Benzathinpenicillin i.m. und Rifampicin p.o. [20 mg/kgKG/Tag in 2 Gaben (maximal 600 mg/Tag) für 4 Tage oder Clindamycin 20 mg/kgKG/Tag (maximal 450 mg) in 3 Gaben für 10 Tage].

Die Ursache für das häufige chronische Trägertum von S. pyogenes (bis 20%) ist unklar. Das Risiko für rheumatisches Fieber ist hier zu vernachlässigen.

Manche Kinder neigen zu rezidivierender Pharyngitis. Die Therapie von durch Gruppe-A-Streptokokken bedingten Episoden mindert die Symptome und eradiziert das Bakterium. Der Wert der Tonsillektomie ist umstritten. Die Komplikationen der Diphtherie werden in Abschn. 15.1.4 beschrieben.

2.1 Prognose

Echte Rückfälle der Pharyngitis durch Gruppe-A-Streptokokken sind selten. Sie unterscheiden sich nicht von Neuinfektionen. Rheumatisches Fieber kommt in Mitteleuropa zurzeit sehr selten vor. Epidemien können jedoch erneut aufflackern. Erkrankungen mit Streptokokken der Gruppen C und G heilen von selbst und verursachen wie A. haemolyticum kein rheumatisches Fieber.

2.2 Otitis media

2.2 Grundlagen

Rund 40% der Konsultationen beim Kinderarzt erfolgen wegen Otitis media. Dieser Begriff fasst verschiedene entzündliche Prozesse des Mittelohrs zusammen. Beginn, Symptome, Eigenschaft des Mittelohrergusses und Dauer erlauben die Einteilung der Otitis media in verschiedene Stadien (Abkürzungen Tab. 15.14).

Tab. 15.14  Klassifikation und Definitionen der Otitis media

2.2 Epidemiologie

Kinder im Alter von 6–18 Monaten zeigen die höchste Inzidenz. Im 1. Lebensjahr rechnet man mit 1,1–1,2 Episoden, im Alter von 5 Jahren mit 0,7 Episoden pro Jahr. Kinder mit ≥6 AOME bis zum Alter von 6 Jahren gelten als „Otitis prone“. Die AOME kommt im Winter häufiger als im Sommer vor.

2.2 Ätiologie

Die akute Otitis media mit Erguss (AOME) wird meist durch Bakterien aus den oberen Atemwegen verursacht (Tab. 15.15). Aus 10–40% der Mittelohrergüsse bei AOME werden keine Bakterien isoliert. Die COME wird durch die gleichen Bakterien wie die AOME verursacht, jedoch in geringeren Raten (maximal 12%) und mit weniger Dominanz von S. pneumoniae. In 1–2% finden sich Staph. aureus oder S. pyogenes. Ein Großteil (25–66%) der Ergüsse ist steril. Im Sekret bei CEOM werden meist mehrere Bakterienspezies nachgewiesen, wobei gramnegative wie Pseudomonas spp. überwiegen. Die Rolle von Anaerobiern ist ungeklärt.

Tab. 15.15  Relative Häufigkeit der einzelnen Bakterien bei Otitis media

2.2 Pathogenese

Anatomie, Physiologie und Mikrobiologie des Nasopharynx spielen sehr wichtige Rollen. Verschiedene Risikofaktoren tragen zur AOME bei. Den postnatal erworbenen kommt größere Bedeutung zu. Wegen ihrer Schutzfunktion für das Mittelohr (Ventilation, Drainage und Verhinderung von Reflux) stellt die Tube die kritische Struktur dar. Ihre abnorme Funktion prädisponiert bei Vorliegen von Mittelohrpathogenen im Nasopharynx zu AOME. Virale Infektionen der oberen Atemwege sind der wichtigste Faktor für eine Tubendysfunktion. Sie schädigen die Mukosa, begünstigen die Kolonisierung mit Bakterien, stimulieren die Sekretion und verlängern die Dauer von Symptomen (51% der gemischt bakteriell-viralen AOME haben einen prolongierten Verlauf, aber nur 35% der rein bakteriell bedingten). Die OME tritt spontan bei Infektion der oberen Atemwege oder nasaler Allergie auf und schließt sich häufig an die symptomatische Phase der AOME an. Die Persistenz von Flüssigkeit im Mittelohr über mehrere Monate scheint durch Entzündungsmediatoren bedingt zu sein. Die Pathogenese der CEOM ist unklar. Sie stellt ein chronisches Stadium der AOME dar, bei dem eine Perforation entsteht und persistiert.

Risikofaktoren für rezidivierende akute Otitis media mit Erguss (AOME)

  • Angeborene Risikofaktoren

    • Kraniofaziale Anomalie

    • Anomalie der Tube

    • Familiäre Belastung

    • Immundefekt

    • Männliches Geschlecht

    • Rassische Risikogruppe

  • Erworbene Risikofaktoren

    • Allergie

    • Keine Ernährung mit Muttermilch

    • Geschwister, Betreuung in Hort

    • Dysfunktion der Tube

    • Frühe Erstepisode

    • Frühe nasopharyngeale Kolonisierung mit Mittelohrpathogenen

    • Virale Atemwegsinfektion

    • Rauchen der Eltern

Diaplazentar erworbene Antikörper bedingen sehr wahrscheinlich die niedrige Inzidenz von Otitis media in den ersten 6 Lebensmonaten, denn in den ersten 2 Lebensjahren besteht eine umgekehrte Korrelation von Antikörperspiegel und Empfänglichkeit für AOME. „Otitis-prone“-Kinder bilden gegen Pathogene des Mittelohrs geringere Antikörpertiter als nicht zu Otitis neigende Kinder.

2.2 Klinik

Viele Symptome und Zeichen der AOME passen auch zu einem unspezifischen Infekt der oberen Atemwege. Die Otalgie (68%) äußert sich sich bei jüngeren Kindern in Schreien oder Unruhe, weiterhin durch Weinen/Reizbarkeit verbunden mit Koryza. Bei Otorrhö nach Spontanperforation (<10% der Fälle) des Trommelfells tritt eine plötzliche Linderung der Schmerzen ein. Weitere Symptome sind Fieber, ans Ohr greifen und Schlafstörung.

Cave

Säuglinge mit Otitis media zeigen in bis zu 50% der Fälle keine Symptome.

Eine gleichzeitige Konjunktivitis deutet auf Infektion mit nicht typisierbarem H. influenzae hin (Konjunktivitis-Otitis-media-Syndrom).

2.2 Diagnose

Sie wird anhand der Klinik vermutet und anhand der Otoskopie bei Sichtung eines entdifferenzierten (entfärbt, verdickt und matt) Trommelfells von rötlicher oder gelber Farbe gestellt.

Otoskopische Befunde

Die sorgfältige Untersuchung beider Ohren ist notwendig, da 50% der Fälle von AOME sich bilateral abspielen. Der Gehörgang sollte frei von Zerumen sein, um den Einblick auf das ganze Trommelfell zu gewähren. Dieses zeigt sich im gesunden Zustand farblos bis weiß, dünn und beweglich und mit den Umrissen der dagegen drückenden Malleus und Umbo.

Charakteristisch für die AOME sind Vorwölbung und aberrierender oder fehlender Lichtreflex des Trommelfells. Bullae an seiner Oberfläche sind für kein spezifisches Bakterium pathognomonisch. Verminderte Beweglichkeit des Trommelfells (pneumatische Otoskopie!) ist für einen Mittelohrerguss, eine Perforation für eine bakterielle AOME diagnostisch.

OME und COME werden häufig wegen fehlender Symptome verzögert diagnostiziert. Das dünne und wenig entfärbte Trommelfell weist zuweilen einen Luft-Flüssigkeits-Spiegel auf und ist bei chronischen Prozessen retrahiert.

CEOM wird bei symptomfreier Otorrhö ohne vorherige AOME diagnostiziert. Die Otorrhö kann intermittierend, eine Schallleitungsschwerhörigkeit häufig sein.

Weitere Untersuchungen

Nur die Tympanozentese mit nachfolgender mikrobiologischer Untersuchung des Ergusses erlaubt die zuverlässige Bestimmung der Ätiologie von AOME. Der Eingriff wird in der Regel einzig zur Linderung heftigster Schmerzen, zur Identifikation der Pathogene (bei Neugeborenen, Immunkompromittierten oder auf Antibiotikatherapie nicht gebesserte Patienten) und als Teil der Therapie bei akuter Mastoiditis angewendet. Kulturen von Nasopharyngealsekret sind im Vergleich zu Kulturen des Ergusses mit einer Sensitivität und Spezifität in der Bestimmung beteiligter Mittelohrpathogene von 85% bzw. 52% wenig geeignet. Die Polymerasekettenreaktion zur Identifikation von Erregern im Mittelohrerguss ist zu wenig evaluiert. Kann die pneumatische Otoskopie nicht durchgeführt werden, bietet sich die Tympanometrie zur Bestätigung eines Ergusses an. Laboruntersuchungen wie Blutbild und C-reaktives Protein helfen nicht in der Diagnose der AOME. Blutkulturen sind in <1% der Fälle positiv.

2.2 Differenzialdiagnose

Bei akuten Episoden stehen virale Infektionen der oberen Atemwege im Vordergrund.

2.2 Therapie

Die Gabe von Antibiotika wird kontrovers diskutiert, da der natürliche Verlauf der AOME je nach Pathogen verschieden ist. Während die Mehrzahl der durch H. influenzae oder M. catarrhalis bedingten Otitiden Spontanheilung zeigt, geschieht dies nur bei der Minderzahl jener durch S. pneumoniae oder Gruppe-A-Streptokokken bedingten. Insgesamt erfolgt eine Spontanheilung in 50% der Fälle: Besserung der Schmerzen und Entfieberung innerhalb von 3 Tagen bei 60–92%, Verschwinden aller Symptome innerhalb von 7–10 Tagen bei 68–87%, Auflösung des Ergusses innerhalb von 30 Tagen bei 48–65%.

Die initiale Therapie mit Antibiotika ist nicht obligat (Abb. 15.5). Die klinische Nachkontrolle initial nicht mit Antibiotika behandelter Patienten erlaubt die Erkennung der wegen fortschreitender Symptome Therapiebedürftigen.

Abb. 15.5
figure 5figure 5

 Therapie der akuten Otitis media

Oral verabreichtes Amoxicillin wird aufgrund von Pharmakokinetik und Wirkungsspektrum als Therapie erster Wahl für AOM und AOME empfohlen (Tab. 15.16). Eine Dauer von 5 Tagen genügt in der Regel bei über 2 Jahre alten Kindern, bei Kindern bis 2 Jahren eine von 10 Tagen. Die Inzidenz von Resistenzen gegenüber Amoxicillin aufgrund der Bildung von Betalaktamase beträgt für H. influenzae 20–60% und für M. catarrhalis >75%. Die Rate resistenter S. pneumoniae variiert geographisch. Die optimale Therapie bei Penicillinresistenz ist nicht bekannt.

Tab. 15.16  Antibiotikatherapie der akuten Otitis media und der Otitis media mit Erguss

Rund 43% aller penicillinresistenten Isolate von S. pneumoniae verhalten sich kombiniert resistent gegenüber Erythomycin und Cotrimoxazol.

Der Vorteil einer Antibiotikatherapie bei OME sowie die Einlage von Röhrchen werden kontrovers beurteilt. Die Initialtherapie der CEOM besteht in topischen, gegen die im ausfließenden Sekret isolierten Erreger gerichteten, Antibiotika. Hartnäckige Fälle bedürfen oft einer täglichen Ohrtoilette. Parenterale Antibiotika gegen Pseudomonas spp., andere gramnegative Bazillen oder resistente Staph. aureus können notwendig sein.

Symptomatische Therapie

Analgetika bilden den wesentlichsten Bestandteil der Behandlung bei AOM. Nasentropfen sollten bei Rhinitis verabreicht, die Verwendung von Ohrentropfen aber vermieden werden.

2.2 Komplikationen

Die Rate beträgt bei AOME <0,5%. Gefürchtet sind Mastoiditis, Fazialisparese, Thrombose des lateralen Venensinus sowie Meningitis. Die Perforation des Trommelfells heilt oft innerhalb von 2 Wochen. Eine chirurgische Revision ist bei lang dauernder Perforation oder COME erforderlich. Ein Hörverlust ist meist transient.

Komplikationen der Otitis media

  • Mittelohr

    • Schallleitungsschwerhörigkeit

    • Fazialisparese

    • Schädigung der Gehörknöchelchen

    • Trommelfellperforation

  • Intrakraniell

    • Hirnabszess

    • Epiduralabszess

    • Lateralsinusthrombose

    • Meningitis

    • Hydrozephalus

    • Subduralabszess

  • Temporalknochen

    • Mastoiditis

    • Petrositis

  • Innenohr

    • Labyrinthitis

    • Schallempfindungsschwerhörigkeit

Rezidive von AOME innerhalb von 30 Tagen treten bei 28–33% der behandelten Kinder auf. Früh einsetzende Rezidive häufen sich in der kalten Jahreszeit und bei Kindern mit vermehrten Episoden von AOME. Der Mittelohrerguss kann den gleichen Keim wie bei der ersten Episode enthalten oder steril sein (persistierende Entzündungsreaktion). Überwiegender Erreger sich früh manifestierender Rezidive ist nicht typisierbarer H. influenzae. Bei Heilung wird das Trommelfell dünner und der eitrige Mittelohrerguss serös oder mukoid. Er persistiert nach 1 Monat in 40%, nach 2 Monaten in 20% und nach 3 Monaten in 10%. Bei jüngeren Kindern ist die Rate der Persistenz höher als bei älteren.

2.2 Prognose

Rezidive in der gleichen Periode von AOME werden in 20–28% und schwere Komplikationen in <0,5% der unbehandelten Kinder beobachtet. Obwohl sich die Mehrzahl der Kinder mit AOME nach 3–4 Tagen Antibiotikatherapie rasch erholt, bleiben 10–25% trotz adäquater Wahl des Antibiotikums krank. Die OME erholt sich langsam über mehrere Monate. COME und CEOM können bei ungenügender Therapie bleibende Schäden im Mittelohr bewirken und dadurch die Sprachentwicklung stören. Bei Perforation oder Retraktionstaschen kann ein Cholesteatom entstehen.

2.3 Otitis externa

Kap. 29.

2.4 Mastoiditis

2.4 Grundlagen

Die akute Mastoiditis stellt eine heute selten gewordene ausschließliche Komplikation der akuten Otitis media dar. Von besonderer Bedeutung ist die Mastoiditis wegen ihrer gefürchteten extra- und intrakraniellen Komplikationen.

2.4 Epidemiologie, Ätiologie

Die Inzidenz nahm mit der Einführung der Antibiotika markant ab. In großen Kliniken werden gegenwärtig 2–5 Erkrankungen/Jahr beobachtet. In der akuten Form prädominieren S. pneumoniae, S. pyogenes und Staph. aureus, in der chronischen Enterobakterien, Pseudomonas und Anaerobier.

2.4 Pathogenese

Anatomie und Physiologie von Tube, Mittelohr und Mastoid (Abb. 15.6) bieten die Grundlage für die Entstehung einer Mastoiditis. Das Mastoid besteht bei Geburt aus einer einzelnen, mit dem Mittelohr durch den engen Kanal Aditus ad antrum verbundenen Zelle. Mit dem Alter pneumatisiert das Mastoid zunehmend. Miteinander verbundene und mit modifiziertem respiratorischem Epithel ausgekleidete Luftzellen entstehen.

Abb. 15.6
figure 6figure 6

 Anatomische Beziehungen zwischen Mittelohr und Mastoid und Entstehung der Mastoiditis

Bei akuter Otitis media breitet sich die Entzündung oft auf das Epithel des Mastoids aus. Mit deren Abheilung normalisieren sich die Funktion der Tube und das Epithel in Mittelohr und Mastoid. Ausnahmsweise persistiert die Entzündung. Seröses und eitriges Sekret sammelt sich im Mittelohr und Mastoid an. Erhöhter Lokaldruck zerstört die Septen zwischen den Luftzellen. Bildung von Abszesshöhlen oder Durchbruch der Infektion in benachbarte Strukturen können folgen. Durch den Aditus ad antrum tretender Eiter fließt ins Mittelohr, entleert sich via Tube und führt zur Abheilung oder gelangt nach Perforation des Trommelfells in den äußeren Gehörgang. Erodiert der Eiter den lateralen Kortex des Mastoids, ergibt sich ein subperiostaler Abszess mit Schwellung oder Fluktuation des oberen Teils der Aurikel beim Kleinkind oder hinter dem unteren Teil des Ohrläppchens über dem Mastoid beim älteren Kind.

Die chronische Mastoiditis entsteht meist aus einer chronisch eitrigen Otitis media und selten nach nicht adäquater Therapie einer akuten Mastoiditis. Das lädierte Trommelfell erlaubt den Eintritt von den äußeren Gehörgang kolonisierenden Bakterien ins Mittelohr und schließlich ins Mastoid. Sie verursachen geringe Entzündung mit wenig Schmerzen ohne Fieber.

2.4 Klinik

Die Symptome werden durch Alter des Patienten und Stadium der Osteitis bestimmt. Die unkomplizierte akute Mastoiditis manifestiert sich mit Fieber, Otalgie (häufig als Reizbarkeit erkennbar), abstehende Ohrmuschel (Kind <2 Jahre: nach unten und lateral, Kind >2 Jahre: nach oben und lateral; Abb. 15.7) und retroaurikuläre Schmerzen, Schwellung und Rötung.

Abb. 15.7
figure 7figure 7

 Abstehende Ohrmuschel bei Mastoiditis

Eine fluktuierende Schwellung deutet auf einen subperiostalen Abszess hin.

Otoskopische Befunde sind:

  • Otorrhö oder Vorwölbung des matten und unbeweglichen Trommelfells,

  • Vorfall der posterosuperioren Wand des äußeren Gehörgangs.

Cave

Die Infektion im Mittelohr kann bereits abgeheilt sein, während die Verlegung des Aditus ad antrum die Entleerung des Eiters aus dem Mastoid verhindert.

Die „maskierte Mastoiditis“ kann bei persistierendem Mittelohrerguss oder ungenügend antibiotisch behandelten rezidivierenden Episoden von akuter Otitis media auftreten. Fieber, Otalgie, abnormes Trommelfell manifestieren sich bereits mit Komplikationen der Mastoiditis, jedoch ohne deren eigene klassische Zeichen.

Die chronische Mastoiditis zeichnet sich durch über 6 Wochen anhaltende schmerzlose Otorrhö durch ein lädiertes Trommelfell (Perforation oder Röhrchen) aus, die nicht auf die bei Otitis verschriebenen Antibiotika anspricht.

2.4 Komplikationen

Nur selten bricht der Prozess durch und bedingt:

  • Bezold-Abszess (vom Ansatz des M. sternocleidomastoideus entlang der digastrischen Muskeln),

  • Petrositis,

  • Osteomyelitis des Os calvarium (Citilli-Abszess),

  • Labyrinthitis,

  • Fazialisparese,

  • Meningitis, epiduraler, subduraler oder Hirnabszess,

  • Abszesse des Temporallappens und des Kleinhirns,

  • Thrombose der venösen Sinus,

  • Cholesteatom (bei chronischer Mastoiditis).

2.4 Diagnose

Sie kann meist klinisch gestellt werden.

Bildgebende Verfahren

Röntgenaufnahmen: einziges diagnostisches Zeichen ist die Auflösung der dünnen Knochensepten (kommt nur bei der Minderheit der Patienten vor).

Cave

Eine wolkige Verschattung des Mastoids ist diagnostisch nicht beweisend, da sie auch bei Otitis media vorkommen kann!

Die Computertomographie erlaubt die Erkennung der Ausbreitung oder einer „maskierten Mastoiditis“. Die Zeichen sind Auflösung der Mastoidränder sowie Verlust oder Verminderung scharf gezeichneter Knochensepten (Abb. 15.8). Lytische Läsionen des Temporalknochens und Weichteilabszesse können auch erkannt werden.

Abb. 15.8
figure 8figure 8

 Computertomographie bei Mastoiditis rechts (Pfeil): Flüssigkeitsansammlung in den Mastoidzellen

Bei Verdacht auf vaskuläre Komplikationen sind Computertomographie mit Kontrastmittel oder Magnetresonanz mit Gadolinium indiziert.

Eine Knochenszintigraphie ist bei unklaren Knochenprozessen zu erwägen.

Erregernachweis

Proben sollten durch Tympanozentese oder durch bestehende Öffnungen (Paukenröhrchen, Perforation) nach sorgfältiger Sterilisation umliegender Strukturen gewonnen werden. Der Abszess sollte perkutan aspiriert werden, wenn keine Operation vorgesehen ist. Die Proben müssen aerob und anaerob kultiviert werden. Eine Lumbalpunktion ist nur bei Meningitis indiziert. Blutkulturen bleiben meist steril.

Die Diagnose der chronischen Mastoiditis beruht auf der typisch schmerzlosen, auf konventionelle Antibiotika nicht bessernden Otorrhö. Otoskopisch gewinnt man Proben für mikrobiologische und mögliche histologische Untersuchungen.

2.4 Differenzialdiagnose

Sie hängt vom Stadium und Ausbreitung ab.

  • Akute Mastoiditis: Meningitis (bei meningealen Zeichen) und Hirnabszess, subdurales Empyem (bei fokalen neurologischen Zeichen).

  • Chronische Mastoiditis: Otitis externa mit Otorrhö (Tragus druckschmerzhaft, Trommelfell intakt) und Neoplasien (Rhabdomyosarkom oder Neuroblastom).

Akute Mastoiditis

Unkomplizierte Fälle behandelt man mit i.v.-Antibiotika und Myringotomie mit Einlage von Paukenröhrchen. Dies gilt auch bei Vorliegen einer Fazialisparese als einziger Komplikation. Initial eignen sich Amoxicillin-Clavulansäure oder Cephalosporine wie Cefuroxim. Bei Penicillinallergie kann auf Cephalosporine oder Clindamycin ausgewichen werden. Letzteres ist gegen H. influenzae nicht optimal. Je nach Resultat der mikrobiologischen Untersuchung muss die Therapie modifiziert werden. Die i.v.-Therapie sollte mindestens 7–10 Tage oder bis zur eindeutigen klinischen Besserung erfolgen und für 3 Wochen mittels oraler Medikation fortgeführt werden.

Tritt innerhalb von 48 h keine Besserung der systemischen und lokalen Symptome und Zeichen ein, ist die Mastoidektomie indiziert. Ein subperiostaler Abszess erfordert neben Antibiotika eine einfache Mastoidektomie und Tympanozentese mit Einlage von Röhrchen. Die radikale Mastoidektomie ist obligat bei trotz einfacher Mastoidektomie ausbleibender Besserung (persistierende Otorrhö).

Chronische Mastoiditis

Den Grundstein der Therapie der chronische Mastoiditis bilden die gründliche tägliche Ohrtoilette und topische Antibiotika (Polymyxin B, Neomycin oder Gentamicin). Die Otorrhö verebbt in der Regel nach wenigen Tagen. Versagt die topische Therapie, ist eine i.v.-Therapie bis 7 Tage nach Beendigung der Otorrhö indiziert. Dafür eignen sich gegen Pseudomonas wirksame Betalaktamase mit oder ohne Betalaktamasehemmer (z. B. Ticarcillin und Clavulansäure 4-mal 240 mg/kgKG/Tag) oder Cephalosporine der 3. Generation wie Ceftazidim (3-mal 150 mg/kgKG/Tag). Die tägliche Ohrtoilette zum Debridement und zur Erfassung der beendeten Otorrhö muss fortgeführt werden. Danach wird eine Prophylaxe mit Amoxicillin oder Cotrimoxazol für mehrere Monate empfohlen. Wenn die Otorrhö trotz parenteraler antibiotischer Therapie persistiert oder in Kürze rezidiviert, muss eine einfache Mastoidektomie durchgeführt werden.

2.5 Sinusitis

2.5 Grundlagen

Die Infektion der Paranasalsinus stellt meist eine Komplikation eines viralen Infekts der oberen Atemwege dar. Die Diagnose ist nicht einfach.

2.5 Epidemiologie

Eine akute Sinusitis kompliziert 5–10% der Infektionen der oberen Atemwege beim Kind. Da Kinder pro Jahr 6–8 solcher Infektionen erfahren, stellt die akute Sinusitis ein häufiges Problem in der Kinderarztpraxis dar.

2.5 Ätiologie

Die wichtigsten bakteriellen Erreger der akuten Sinusitis sind S. pneumoniae (30–40%), H. influenzae und M. catarrhalis (je 20%). Einzig bei schweren Symptomen oder subakuter/chronischer Sinusitis werden Staph. aureus, Anaerobier und andere vergrünende Streptokokken als S. pneumoniae häufiger isoliert.

2.5 Pathogenese

Eine Virusinfektion der oberen Atemwege zieht die Mukosa der Nase (Rhinitis) sowie der angrenzenden Sinus in Mitleidenschaft und führt zu

  • Obstruktion der Sinusostien,

  • Dysfunktion des mukoziliären Apparats,

  • Änderung von Quantität und Qualität des Sekrets.

Der Druck in den Sinus steigt an. Die Mukosa resorbiert rasch den Sauerstoff der Luft im Sinus. Ein gegenüber dem normalen atmosphärischen Druck der Nase negativer Druck entsteht. Mit Bakterien beladener Mukus wird aus Nase und Nasopharynx aspiriert (Abb. 15.9). Auch Niesen, Schnieben, Schnäuzen begünstigen durch Änderung des intrasinusoidalen Drucks die bakterielle Kontamination der Paranasalhöhlen. Der gestörte mukoziliäre Apparat befördert die Bakterien nicht heraus. Eine starke Entzündungsreaktion wird angeregt. Die Verlegung der Ostien begünstigende Faktoren werden eingeteilt in Mukosa anschwellende (als Folge systemischer oder lokaler Erkrankungen) und mechanisch obstruierende (Tab. 15.17).

Abb. 15.9
figure 9figure 9

 Anatomische Beziehungen der oberen Atemwege, Lokalisation der Flora und Entstehung der Sinusitis

Tab. 15.17  Risikofaktoren für die Obstruktion der Sinusostien

2.5 Klinik

Respiratorische Symptome sind am häufigsten. Das Nasensekret ist dünn oder dick, serös oder eitrig; der Husten ist am Tage trocken oder produktiv und verstärkt sich meist nachts. Foetor ex ore, Gesichts- und Kopfschmerzen sind selten. Schmerzlose morgendliche Augenschwellung ist möglich. Die Kinder wirken nicht schwer krank und haben nur geringes Fieber.

Auf eine akute Sinusitis deutet eine Infektion der oberen Atemwege >10 Tage ohne Besserung hin.

Weniger häufig manifestiert sich die Sinusitis als eine schwerer als üblich verlaufende Erkältung (Tab. 15.18). Hohes Fieber (>39,0°C) und eitrige Rhinorrhö für >3 Tage deuten auf sekundäre bakterielle Infektion der Paranasalsinus hin. Dauer der Symptome >30 Tage weist auf eine subakute oder chronische Sinusitis hin. Halsschmerzen gesellen sich häufig als Folge von Mundatmung bei nasaler Obstruktion hinzu. Rhinorrhö, Kopfschmerzen und Fieber sind selten. Eiterstraßen an der Rachenhinterwand, eine gerötete oder blasse Nasenschleimhaut und eine geringe Entzündung des Rachens finden sich vor. Zuweilen besteht zusätzlich eine akute Otitis media mit oder ohne Erguss.

Tab. 15.18  Klinik der akuten Sinusitis

2.5 Komplikationen

Die häufigsten Komplikationen sind subperiostale Abszesse der Orbita und intrakranielle Abszesse.

Wichtigste Komplikationen der Sinusitis

  • Orbitale Komplikationen

    • Entzündliches (präseptales) Lidödem

    • Subperiostaler Abszess

    • Orbitazellulitis

    • Orbitaabszess

    • Optikusneuritis

    • Apex-orbitae-Syndrom

    • Frontale oder maxilläre Osteomyelitis

  • Intrakranielle Komplikationen

    • Epiduralabszess

    • Subduralempyem

    • Thrombose des Sinus cavernosus

    • Meningitis

    • Hirnabszess

2.5 Diagnose

Die Verdachtsdiagnose wird klinisch gestellt.

Bildgebende Verfahren

Konventionelle Röntgenaufnahmen (anterioposterior, seitlich und halbaxial okzipitomental) zeigen diffuse Verschattung, Verdickung der Mukosa (>4 mm) oder einen Luft-Flüssigkeits-Spiegel. Diese Zeichen sind nicht spezifisch für die akute Sinusitis. Bei chronischer Sinusitis wird eine osteoblastische Reaktion in betroffenen Sinuswänden beobachtet.

Cave

Sinusaufnahmen sind bei 88% der Kinder <6 Jahren mit persistierenden respiratorischen Symptomen abnorm und sollten deshalb zur Bestätigung der Sinusitis nur bei schweren Symptomen und bei älteren Kindern mit vermuteter Sinusitis veranlasst werden.

Die Computertomographie sollte auf 3 Indikationen beschränkt werden:

  • komplizierte Sinusitis (orbitale oder zentralnervöse Beteiligung),

  • Patienten mit mehrfachen Rezidiven,

  • protrahierte sowie auf Therapie nicht ansprechende Symptome.

Transnasale Aspiration

Die transnasale Aspiration des Maxillarsinus kann in Lokalanästhesie oder Kurznarkose durch einen geübten Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten ambulant durchgeführt werden. Indikationen sind:

  • keine Besserung auf mehrere Antibiotikatherapien,

  • schwere Gesichtsschmerzen,

  • Orbita- oder intrakranielle Komplikationen,

  • Evaluation bei immunkompromittiertem Kind.

Aspiriertes Material sollte nach Gram gefärbt sowie quantitativ aerob und anaerob kultiviert werden. Nachweis von >104 Keimen/ml spricht für eine echte Infektion.

2.5 Differenzialdiagnose

Erkrankungen der Nasennebenhöhlen im Zusammenhang mit allergischer Rhinitis, zystischer Fibrose, Adenoidhyperplasie, Fremdkörper oder Ziliendyskinesie.

2.5 Therapie

Obschon die Spontanheilungsrate rund 40% beträgt, bilden Antibiotika den Hauptpfeiler der Therapie (Tab. 15.19). Bei unkomplizierter Sinusitis ist Amoxicillin das Antibiotikum erster Wahl. Antibiotika mit breiterem Wirkungsspektrum sind indiziert bei

  • ausbleibender Besserung auf Amoxicillin,

  • lokal epidemiologisch hohe Rate an Betalaktamase bildenden H. influenzae,

  • frontaler oder sphenoidaler Sinusitis,

  • komplizierte Ethmoiditis,

  • Symptome >30 Tage.

Tab. 15.19  Therapie der akuten Sinusitis beim Kind

Ein zunehmendes Problem sind penicillinresistente S. pneumoniae, da sie oft auch gegen andere Antibiotika wie Cotrimoxazol oder Makrolide resistent sind. Therapeutische Optionen sind Clindamycin, Chloramphenicol und Rifampicin. Cephalosporine können nur bei moderater Resistenz verwendet werden.

Verabreichung eines geeigneten Antibiotikums führt zu promptem klinischem Ansprechen. Fieber (falls vorhanden), Husten und Rhinorrhö bessern sich innerhalb von 48 h. Bleibt die Besserung aus, empfehlen sich wegen möglicher Betalaktamasebildung oder Penicillinresistenz ein Wechsel des Antibiotikums oder eine Sinusaspiration zur bakteriologischen Diagnostik. Die Dauer der Therapie wird bei raschem Ansprechen auf 10 Tage beschränkt, bei langsamem auf 7 Tage nach Beschwerdefreiheit ausgedehnt.

Bei rezidivierenden Sinusitiden sollten Grunderkrankungen bedacht werden.

Chirurgische Behandlung

Sie ist nur bei orbitalen oder zentralnervösen Komplikationen nötig. Bleibt eine maximale Antibiotikatherapie erfolglos, sollte ein endoskopischer Eingriff (z. B. Schaffung eines nasoantralen Fensters) erfolgen. Adenotonsillektomie ist nur bei Obstruktion mit Sekretstau indiziert.

2.6 Lymphadenitis colli

2.6 Grundlagen

Die Vergrößerung von Halslymphknoten erzeugt bei Eltern, Patient und Arzt oft Angst vor einem malignen Prozess. Die Ursache ist aber in >95% der Fälle infektiös, die sich meist in akute bilaterale, akute unilaterale und subakute oder chronische Lymphadenitis einteilen lassen. Eine Lymphadenitis colli kann in jedem Alter auftreten.

2.6 Ätiologie

Sie variiert je nach Alter des Patienten (Tab. 15.20). In 40–80% der akut unilateral entzündeten Lymphknoten finden sich Staph. aureus oder S. pyogenes. Andere Streptokokken, Anaerobier, Francisella tularensis, Pasteurella multocida, Yersinien und Nokardien werden weit seltener isoliert. Als bakterielle Erreger der akuten bilateralen Lymphadenitis lassen sich Mycoplasma pneumoniae und Corynebacterium diphtheriae nachweisen. Eine subakute oder chronische unilaterale Lymphadenitis verursachen Bartonella henselae, nicht tuberkulöse Mykobakterien und viel seltener Mycobacterium tuberculosis, Actinomyces israelii, Nocardia spp. und Bacille-Calmette-Guérin.

Tab. 15.20  Altersabhängige relative Frequenz der häufigsten bei Lymphadenitis colli ursächlichen Bakterien

2.6 Pathogenese

Die Vergrößerung von Lymphknoten kommt durch Invasion des Erregers und nachfolgende entzündliche Reaktion oder indirekt durch reaktive Vermehrung von Lymphozyten zustande. Bakterien dringen auf hämatogenem oder viel häufiger von einem regionären Fokus auf lymphogenem Weg in die Lymphknoten ein. Je nach Erreger bilden sich Abszesse oder Granulome.

2.6 Klinik

Lokale Beschwerden und Lokalbefund prägen meist das klinische Bild (Tab. 15.21).

Tab. 15.21  Klinische Merkmale und Diagnostik der bakteriellen unilateralen Lymphadenitis colli

Die gründliche körperliche Untersuchung mit besonderer Beurteilung aller Lymphknotenstationen sowie von Leber- und Milzgröße ist essenziell.

Akute Lymphadenitis

Die akute unilaterale Lymphadenitis zeigt teigige, ödematöse, prallelastische, feste bis harte oder fluktuierende Schwellung von in der Regel 2–10 cm Durchmesser, Schmerzen, Rötung und Überwärmung unterschiedlichen Ausmaßes und Fieber, Dysphagie und Tortikollis in variierender Ausprägung.

Die akute bilaterale Lymphadenitis stellt vorwiegend eine lokalisierte Reaktion auf eine akute Pharyngitis (S. pyogenes) dar oder ist Teil einer generalisierten lymphoretikulären Antwort auf eine systemische Infektion (Mykoplasmen). Die Lymphknoten präsentieren sich oft klein, weich, wenig oder nicht schmerzhaft und ohne Überwärmung und Rötung der darüberliegenden Haut.

Subakute und chronische Lymphadenitis

Die subakute oder chronische Lymphadenitis (Abb. 15.10 und Abb. 15.11) manifestiert sich als nicht oder kaum schmerzhafte Schwellung mit rosa bis livid verfärbter, dünner darüber liegender Haut, im fortgeschrittenen Stadium mit den Lymphknoten verbackene Haut, und mit Fluktuation und evtl. spontaner Perforation.

Abb. 15.10
figure 10figure 10

 Subakute Lymphadenitis bei einem 18 Monate alten Jungen mit Infektion durch nichttuberkulöse Mykobakterien

Abb. 15.11
figure 11figure 11

 Chronische Lymphadenitis am Hals bei einem 13-Jährigen mit Katzenkratzkrankheit: Beachte die initiale Verletzung durch die Katze (unten)

2.6 Komplikationen

Spontanperforation und Fistelbildung mit kosmetisch störender Narbenbildung oder Rezidive können auftreten.

2.6 Diagnose

Genaue Anamnese mit Angaben zur Dauer der Schwellung, zu Vor- oder Grunderkrankung, zu Fieber, Exanthem, Gewichtsverlust, Nachtschweiß, Kontakt mit Tieren und zum klinischen Befund bilden die Grundlage. Routineuntersuchungen wie Differenzialblutbild, C-reaktives Protein, Blutsenkungsreaktion sowie in unklaren Fällen gezielte Laboruntersuchungen wie Rachenabstrich bei Verdacht auf S.-pyogenes-Infektion, Serologien, Tuberkulinhauttest, Ultraschall (Frage nach Ausdehnung und Liquefizierung) und Thoraxröntgenbild können ätiologisch weiterführen.

Biopsie oder besser diagnostische Exstirpation sind manchmal bei fehlender Regredienz für geeignete mikrobiologische und histopathologische Untersuchungen indiziert (Tab. 15.21).

2.6 Differenzialdiagnose

Sie umfasst andere infektiöse Ursachen:

  • Viren (bilateral),

  • Parasiten, Pilze (unilateral),

  • PFAPA-Syndrom (periodisches Fieber, Aphthen, Stomatitis, Pharyngitis, zervikale Lymphadenitis),

  • Kawasaki-Syndrom (mukokutanes Lymphknotensyndrom)

sowie die viel selteneren (primär) nichtinfektiösen Ursachen:

  • kongenitale Zysten (sekundär infizierte),

  • Malformationen der (Lymph)gefäße, Speicheldrüsen, Schilddrüse,

  • benigne Lymphoproliferationen (Rosai-Dorfman, Kikuchi-Fujimoto),

  • Autoimmunprozesse,

  • Malignome (Hodgkin-, Non-Hodgkin-Lymphome, Sarkome, Karzinome).

2.6 Therapie

Bei der akuten unilateralen Lymphadenitis zielt die antibiotische Therapie auf Staphylokokken, Streptokokken und Anaerobier. Dazu eignen sich Amoxicillin-Clavulansäure, betalaktamasefeste Cephalosporine oder Clindamycin. Inzision und Drainage drängen sich bei Fluktuation, Spontanperforation oder schlechtem Ansprechen auf Antibiotika auf.

Die akute bilaterale Lymphadenitis bei Pharyngitis mit Gruppe-A-Streptokokken wird mit Penicillin (Abschn. 15.2.1) und jene bei Infektion mit Mykoplasmen mit einem Makrolid behandelt.

Bei der subakuten oder chronischen unilateralen Lymphadenitis richtet sich die Therapie nach dem nachgewiesenen oder höchst wahrscheinlichen Erreger. Die Infektion mit Bartonella henselae (Katzenkratzkrankheit) bedarf in der Regel keiner Antibiotika, jene mit nicht tuberkulösen Mykobakterien nur falls keine totale Exstirpation erfolgt. Hier hat sich die Kombination von Rifabutin und einem Makrolid wie Clarithromycin über 3–6 Monate ausgezeichnet bewährt.

Symptomatische Therapie

Je nach Ausprägung der Symptomatik sollte die Gabe von Antiphlogistika, Antipyretika oder Analgetika erwogen werden.

3 Unterer Respirationstrakt

3.1 Keuchhusten

3.1 Grundlagen

Keuchhusten (Pertussis) erzeugt beim Säugling und Kleinkind oft qualvolle und schwächende respiratorische Symptome. Sie wirken auf Eltern beängstigend.

3.1 Epidemiologie

Die Erkrankung kann in jedem Alter auftreten, befällt in der klassischen Form aber vorwiegend nichtimmune Säuglinge. Da die Infektion keine lang anhaltende Immunität hinterlässt, sind im Laufe des Lebens wiederholte, jeweils immer weniger typische Episoden möglich. Erwachsene und vor allem ältere Personen spielen eine wichtige Rolle bei der Übertragung. Diese erfolgt durch Tröpfchen bei engem Kontakt.

3.1 Ätiopathogenese

Das kleine, unbewegliche gramnegative, mehrere Toxine bildende Stäbchen Bordetella pertussis verursacht das klassische Bild des Keuchhustens. Die mit B. pertussis verwandten B. parapertussis und seltener B. bronchiseptica induzieren keuchhustenähnliche Erkrankungen.

Bordetella pertussis produziert eine Reihe von Toxinen und Virulenzfaktoren (Tab. 15.22) und zeigt einen Tropismus zu Zilien tragenden Epithelzellen des Respirationstrakts (Abb. 15.12). Die Bindung an Zilien wird vorwiegend durch filamentöses Hämagglutinin, gewisse Agglutinogene, Pertaktin und möglicherweise auch Pertussistoxin bedingt. Die auf die Vermehrung des Pathogens folgenden Prozesse sind in ihren Einzelheiten nicht bekannt.

Abb. 15.12
figure 12figure 12

 Tropismus von Bordetella pertussis für zilientragendes Epithel

Tab. 15.22  Toxine und andere Virulenzfaktoren von Bordetella pertussis

3.1 Klinik

Die klassische Erkrankung dauert relativ lange und läßt sich in 3 Stadien einteilen:

  • Stadium catarrhale: Setzt nach 7–14 Tagen Inkubation mit Zeichen einer Infektion der oberen Atemwege ein und dauert 1–2 Wochen. Fieber fehlt.

  • Stadium convulsivum: Charakterisiert durch an Häufigkeit zunehmende, in Serie auftretende Hustenstöße (Stakkatohusten) mit anschließendem inspiratorischen Ziehen und häufigem terminalem Erbrechen. Äußere Reize wie die Berührung des Rachens mit dem Zungenspatel können Attacken provozieren. Zäher Schleim kann sich während des Hustens entleeren. Auch hier fehlt das Fieber. Die Dauer beträgt 4–6 Wochen.

  • Stadium decrementi: Die Hustenanfälle klingen über mehrere Wochen ab.

Infektionen mit B. parapertussis oder B. bronchiseptica verlaufen ähnlich, jedoch in der Regel milder.

Ältere Kinder und Erwachsene präsentieren meist nicht das klassische Bild, sondern eher einen chronischen Husten.

3.1 Komplikationen

Die Pneumonie ist die häufigste Komplikation. Sie tritt in 10–15% der stationär behandelten Patienten auf. Eine andere häufige Komplikation stellt die Otitis media bei sekundärer Infektion mit Mittelohrpathogenen dar. Am gefürchtetsten ist die hypoxisch bedingte Enzephalopathie mit Krämpfen. Die wiederholten Hustenanfälle können subkonjunktivale Blutungen verursachen.

3.1 Diagnose

Sie wird bei typischer Klinik im Stadium convulsivum vermutet. Das Differenzialblutbild zeigt eine ausgeprägte Leukozytose von 20.000–30.000/µl, welche durch eine Lymphozytose von 60–80% bedingt ist. Der Erreger kann aus Nasopharyngealsekret kulturell auf Spezialmedium (Bordet-Gengou-Agar) oder mittels Polymerasekettenreaktion (PCR) nachgewiesen werden. Die PCR ist sensitiver als die Kultur, aber manchmal mit Spezifitätsproblemen belastet. Bei älteren Kindern oder Erwachsenen dagegen ist die Serologie sensitiver als der Erregernachweis, da der Krankheitsprozess bei Diagnosestellung schon länger andauert und die Bildung spezifischer IgM, IgA und IgG bereits erfolgt ist.

Cave

Im frühen Stadium convulsivum ist die Serologie noch negativ.

3.1 Differenzialdiagnose

Ähnliche Krankheitsbilder können durch Virusinfektionen (Respiratory-syncytial-Virus, Influenza), Infektionen mit Chlamydia trachomatis, Chlamydophila pneumoniae oder Mycoplasma pneumoniae oder Fremdkörperaspiration verursacht werden.

3.1 Therapie

Die Therapie der Wahl ist Erythromycin für 2 Wochen. Kürzere Behandlungen sind häufiger von Rezidiven gefolgt. Die Therapie mit den Makroliden Clarithromycin und Azithromycin dauert 7 bzw. 5 Tage. Als Alternative bietet sich Cotrimoxazol für 14 Tage an.

Empfänglichen Kontaktpersonen des Indexfalls (wie Familienmitglieder) sollten für 5 bzw. 7 Tage eine Chemoprophylaxe mit Azithromycin bzw. Clarithromycin verabreicht werden. Nicht vollständig geimpfte Kinder profitieren von einer Booster-Impfung (Kap. 17).

Antibiotika bei Keuchhusten

Die antibiotische Therapie beendet die Kontagiosität. Die Symptomatik wird nur bei Therapiebeginn im Stadium catarrhale oder in der sehr frühen Phase des Stadium convulsivum günstig beeinflusst. Deshalb sollte die Antibiotikatherapie bei begründetem Verdacht auf Pertussis vor Erhalt der mikrobiologischen Diagnose eingeleitet werden. Bei Ausbrüchen von Pertussis gelingt einzig durch die niedrigschwellige Verordnung von Antibiotika bei Zeichen eines Infekts der oberen Atemwege die Beendigung der Epidemie.

Symptomatische Therapie

In einigen Studien haben sich Salbutamol oder Kortikosteroide bei Säuglingen mit schwerem Verlauf bewährt. Antitussiva dagegen bleiben wirkungslos. Neuroleptika und Sedativa sind sehr umstritten.

3.1 Prognose

Sie ist in der Regel gut. Bei verspäteter Diagnose können jedoch insbesondere bei Säuglingen letale Verläufe beobachtet werden.

3.2 Tuberkulose

3.2 Epidemiologie

Weltweit betrachtet verursacht die Tuberkulose mehr Todesfälle als jede andere einzelne Infektionskrankheit. Über eine Million Kinder <15 Jahre werden jedes Jahr neu infiziert, die überwiegende Zahl von ihnen in Entwicklungsländern. Die Inzidenz der Tuberkulose ist in entwickelten Ländern rückläufig. Die jährliche Infektionsrate bei Kindern beträgt hier etwa 0,03–0,1%. Die Inzidenz bei aus Ländern mit endemischer Tuberkulose eingewanderten Kindern liegt rund 4-mal höher. Schlechte sozioökonomische und hygienische Verhältnisse sowie Wohnen auf engem Raum begünstigen die Übertragung. Diese geschieht von Mensch-zu-Mensch auf aerogenem Weg durch Inhalation kontaminierter Tröpfchen, die von einem an Lungentuberkulose Erkrankten ausgehustet werden. Infektionsquelle für Kinder sind einzig Erwachsene.

3.2 Ätiologie

Der Erreger ist das aerobe, nicht Sporen bildende, nicht bewegliche, säurefeste und polymorphe Stäbchen Mycobacterium tuberculosis. Es wächst langsamer als die meisten anderen Bakterien und nur auf Spezialmedien.

3.2 Pathogenese

In >95% der Fälle stellt die Lunge die Eintrittspforte dar. Tuberkelbazillen enthaltende inhalierte Tröpfchen von <5 µm Durchmesser gelangen bis zu den terminalen Bronchiolen und in die Alveolen. Hier werden die Bakterien von Alveolarmakrophagen phagozytiert, jedoch nicht abgetötet. Innerhalb von 2–10 Wochen vermehren sich die Bakterien in loco, locken Granulozyten und Lymphozyten an und induzieren die Proliferation von Epitheloidzellen. So entsteht ein kirschgroßer Tuberkel mit Riesenzellen. Makrophagen transportieren Mykobakterien über die Lymphe in regionäre Lymphknoten, wo sich die entzündlichen Vorgänge wiederholen. Der sog. Primärkomplex, bestehend aus Primärherd in der Lunge und affektierten regionären Lymphknoten, hat sich entwickelt. Der Tuberkulinhauttest wird positiv. Eine Bakteriämie mit Aussaat der Mykobakterien in andere Organe kann bereits in diesem Stadium erfolgen (Abb. 15.13).

Abb. 15.13
figure 13figure 13

 Pathogenese der Tuberkulose

Alter des Patienten und Abwehrlage sowie die Größe des Bakterieninokulums bestimmen, ob der Prozess zum Einhalt kommt oder zur Krankheit fortschreitet. Besonders anfällig für eine Erkrankung (Primärtuberkulose) sind Säuglinge, Kleinkinder und Pubertierende sowie immundefiziente oder unterernährte Kinder. Sie entwickelt sich bei Kindern in bis zu 40% und bei Erwachsenen in 5–10% der Infizierten. Dabei vergrößern sich die regionären Lymphknoten. Es entsteht das Bild der Bronchial- oder Hiluslymphknotentuberkulose. Über die Lymphe erreichen die Mykobakterien weitere Lymphknotenstationen. Von hier aus kann eine Aussaat ins Blut erfolgen und zu extrapulmonalen Streuherden führen. Die Miliartuberkulose ist die schlimmste Form der hämatogenen Aussaat.

Pulmonale und extrapulmonale Herde sind aktiv oder latent; die Reaktivierung latenter Herde ist auch nach Jahren bei Schwächung der Abwehrlage möglich.

Brechen vergrößerte Hiluslymphknoten in einen Bronchus ein, entstehen als Folge der bronchogenen Streuung Lungeninfiltrate (Tuberkulosepneumonie), Atelektasen und im Extremfall Kavernen (bei Kindern selten). Diese Patienten sind besonders kontagiös, da die Tuberkulose „offen“ ist und die Bazillen über die Bronchien ausgehustet werden. Vergrößerte Lymphknoten brechen selten auch direkt in benachbarte Organe des Mediastinums ein. Herde nahe an der Pleura verursachen eine Pleuritis.

3.2 Klinik

Die pulmonale Infektion verläuft asymptomatisch. Entwickelt sich eine Primärtuberkulose, sind die charakteristischen Symptome subfebrile Temperaturen (Nachtschweiß), Müdigkeit, Inappetenz, Gewichtsverlust.

Cave

Bei jungen Kindern können alle Symptome fehlen. Husten ist selten!

Die Symptomatik der bei Säuglingen und Kleinkindern häufiger auftretenden Miliartuberkulose ist völlig unspezifisch und besteht meist in hohem Fieber und Schwäche.

Die Vergrößerung der Hilus- oder Bronchiallymphknoten kann hartnäckigen Husten, Stridor oder Bronchospasmen auslösen. Eine Tuberkulosepneumonie manifestiert sich ähnlich wie eine Pneumonie anderer Ätiologie.

3.2 Komplikationen

Die schwerste Komplikation stellt die hämatogene Disseminierung dar: Miliartuberkulose, extrapulmonale Tuberkulose (Zentralnervensystem, Knochen, Gelenke, Lymphknoten, innere Organe wie Darm und Niere). Ebenfalls schwerwiegend sind lokale Komplikationen wie Bronchusobstruktion, Kavernenbildung, Pneumothorax, Empyem und Schwarten- oder Fistelbildung.

3.2 Diagnose

Wichtige Hinweise können sich aus der Anamnese bei bekanntem Kontakt mit einem Tuberkulosekranken ergeben. Da diese aber häufig wegen der unspezifischen, geringen oder fehlenden klinischen Symptome (oft lange) unerkannt bleiben, hilft die Anamnese selten.

Bildgebende Verfahren

Die Verdachtsdiagnose wird meistens aufgrund eines pathologischen Befundes in der Röntgenaufnahme des Thorax gestellt (Abb. 15.14). Charakteristisch ist die überwiegend einseitige Vergrößerung der Hilus- oder Mediastinallymphknoten. Verkalkungen zeigen sich frühestens 6 Monate nach der Infektion. Andere radiologische Bilder sind miliare Infiltrate in beiden Lungen, Pneumonie, Atelektasen, Pleuraerguss und selten Kavernen.

Abb. 15.14
figure 14figure 14

 Röntgenthoraxbild bei Tuberkulose: rechtsseitig vergrößerter Hilus mit pleuraler Reaktion des Mittellappens rechts (Pfeil)

Der Primärkomplex bleibt in der Regel radiologisch inapparent.

Die Computertomographie hilft bei der Evaluation vergrößerter Lymphknoten. Es bestehen nun erste Erfahrungen mit Magnetspinspektrometrie: Der Nachweis von Lipidspektren in Flüssigkeiten von Raumforderungen im Zentralnervensystem, aber auch in anderen Organen, scheint ein spezifischer Hinweis für das Vorliegen einer aktiven Tuberkulose zu sein. Die Lipidspektren erlauben auch eine Abgrenzung gegenüber bakteriellen Abszessen, die Acetat- oder Succinatspektren (Stoffwechelsprodukte der Bakterien) zeigen.

Tuberkulinhauttest

Ausgenommen bei der miliaren Tuberkulose und bei tuberkulösen Kavernen mit großer Anzahl von Bazillen fällt der Tuberkulinhauttest positiv aus. Der Tuberkulinhauttest beruht auf einer allergischen Reaktion vom verzögerten Typ auf streng intrakutan injizierte 0,1 ml gereinigten Tuberkulins (PPD). Die applizierte Menge an PPD beträgt in der Regel 2 Tuberkulineinheiten. Eine Induration (zelluläre Infiltration) der Haut von >10 mm Durchmesser nach >72 h gilt als positives Resultat. Bei BCG-geimpften deutet eine Induration >15 mm auf eine Infektion mit M. tuberculosis hin (Abb. 15.15).

Abb. 15.15
figure 15figure 15

 Tuberkulinhauttest (Mantoux): die Induration >20 mm ist eindeutig positiv

Ein positiver Tuberkulinhauttest erlaubt keine Unterscheidung zwischen Infektion und Erkrankung. Er fällt auch bei erfolgreicher Impfung mit BCG (Bacille-Calmette-Guérin) positiv aus.

Interferon-γ-in-vitro-Test

Ist wie der Tuberkulinhauttest ein indirektes Diagnostikum, ist aber spezifischer, weil keine Kreuzreaktion mit nichttuberkulösen Mykobakterien und nach BCG-Impfung besteht. Die Sensitivität ist aber bei Kindern unter 4 Jahren nicht gut, sodass der Test in dieser Altersstufe keine Vorteile gegenüber dem Tuberkulinhauttest bringt.

Erregernachweis

Der Beweis einer Infektion mit M. tuberculosis wird mit dem Nachweis des Erregers erbracht. Als Untersuchungsmaterial eignen sich Sputum, Magensaft, Aspirate oder bronchoalveoläre Spülflüssigkeit. Sputum kann allenfalls bei Adoleszenten gewonnen werden. Der mikroskopische Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum definiert die Tuberkulose epidemiologisch als „offen“. Da Kinder Sputum statt zu expektorieren schlucken, hat sich bei ihnen Magensaft für die mikrobiologische Diagnostik etabliert. An 3 aufeinander folgenden Tagen morgendlich aspirierte Proben ergeben die höchste diagnostische Ausbeute. Die Mikroskopie ist wenig sensitiv. Kulturen des säureneutralisierten Magensafts zeigen frühestens nach 7–10 Tagen Wachstum von M. tuberculosis. Dieses kann bei Anwendung von DNA-Sonden schneller (innerhalb von 2 Tagen) detektiert werden.

3.2 Differenzialdiagnose

In Betracht müssen andere Formen der Bronchitis, Pneumonie oder Pleuraergüsse, Fremdkörperaspiration, Neoplasien, Sarkoidose (sehr selten!) gezogen werden.

3.2 Therapie

Die in der Regel ambulante Standardtherapie besteht in der Kombination von Isoniazid, Rifampicin und Pyrazinamid für 2 und von Isoniazid und Rifampicin für weitere 4 Monate (Tab. 15.23). Die Dauer der Therapie begründet sich auf die relativ langsame Replikation der Bazillen (20 h/Generation). Bei Verdacht auf Vorliegen einer Resistenz wird eine 4. Substanz hinzugefügt. Die Therapie wird gemäß dem Resultat des Antibiogramms angepasst. Die miliare Tuberkulose erfordert eine Therapie von 12 Monaten.

Tab. 15.23  Antituberkulöse Therapie

3.2 Prognose

Früherfassung und Therapie verhüten Komplikationen. Ohne deren Auftreten ist die Prognose gut. Sonst wird sie von der Komplikation diktiert.

4 Bakterielle Infektionen des Urogenitaltrakts

Infektionen der ableitenden Harnwege gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen im Kindesalter und sind das häufigste nephrologische Problem in der pädiatrischen Praxis.

Urethritis und Vulvovaginitis weisen vor und nach der Pubertät verschiedene Erregerspektren auf und können ein Alarmzeichen sein.

4.1 Urethritis, Vulvovaginitis, Zervizitis

4.1 Grundlagen

Eine Vulvovaginitis ist vor und nach der Pubertät häufig. Ätiologie, Pathogenese und Therapie unterscheiden sich in beiden Altersgruppen. Vaginitis und Vulvitis stellen vor der Pubertät eine Einheit, später aber getrennte Krankheitsbilder dar.

4.1 Epidemiologie

Die isolierte Urethritis findet sich fast nur bei sexuell aktiven Adoleszenten und ist häufigstes sexuell übertragenes Syndrom. Vulvovaginitis ist vor und nach der Pubertät ein häufiges gynäkologisches Problem.

4.1 Ätiologie

Im Vordergrund der sexuell übertragenen Bakterien stehen Chlamydia trachomatis und Neisseria gonorrhoeae. Andere Erreger wie gramnegative Bazillen sind seltener.

Die Vaginosis bei Adoleszenten verursachen Gardnerella vaginalis, genitale Mykoplasmen und Anaerobier, die präpubertale Vulvovaginitis Gruppe-A-Streptokokken oder Darmbakterien.

4.1 Pathogenese

Prädisponierend für eine präpubertale Vulvovaginitis sind die Nähe zum Rektum, schlechte Hygiene, Fehlen von schützendem Labialfett und Pubes sowie das Vorhandensein von undifferenziertem kubischem Epithel. Der Mangel an Östrogen bewirkt einen neutralen pH, der das Wachstum potenzieller Pathogene aus dem Darm oder der Umgebung begünstigt.

4.1 Klinik

Nur die Hälfte der Mädchen manifestiert bei Urethritis Symptome. Bei adoleszenten Knaben finden sich Dysurie, urethraler Ausfluss und urethraler Pruritus. Die Urethritis durch N. gonorrhoeae unterscheidet sich klinisch von jener anderer Genese (Tab. 15.24). Die Symptome und Befunde von Urethritis, Zystitis und Vulvovaginitis bei adoleszenten Mädchen finden sich in Tab. 15.25 und jene für die präpubertale Vulvovaginitis in Tab. 15.26.

Tab. 15.24  Klinik der Urethritis durch Gonokokken oder andere Bakterien
Tab. 15.25  Unterscheidung von Urethritis, akuter bakterieller Zystitis und Vulvovaginitis beim adoleszenten Mädchen
Tab. 15.26  Symptome und Befunde der präpubertalen Vulvovaginitis

4.1 Komplikationen

Infektionen mit sexuell übertragbaren Pathogenen können bei Mädchen zu Adnexitis und „pelvic inflammatory disease“ mit sekundärer Sterilität, bei Jungen zu Epididymitis und Orchitis führen.

4.1 Diagnose

Die Untersuchung des Urethraabstrichs sichert die Diagnose einer Urethritis. Zum Nachweis von Gonokokken dienen ein Grampräparat und bei nicht klarem Befund eine Kultur auf Spezialmedium, bzw. PCR. C. trachomatis werden mittels Kultur, Antigendetektion oder molekularbiologisch nachgewiesen. Eine Leukozyturie findet sich auch bei asymptomatischer Urethritis. Bei Mädchen sollte auch ein Zervixabstrich untersucht werden.

Sexuell übertragbare Infektionen verursachen nicht immer Symptome.

4.1 Differenzialdiagnose

Sie ist je nach vorliegender Störung verschieden. Die Vaginitis bei adoleszenten Mädchen kann auch verursacht sein durch Candida und Trichomonaden. Nicht primär bakterielle Ursachen der präpubertalen Vulvovaginitis sind Fremdkörper, Kontaktdermatitis und allergische Reaktionen.

Cave

Werden sexuell übertragbare Pathogene bei Kindern vor der Pubertät nachgewiesen, muss aktiv nach sexuellem Missbrauch gesucht werden.

4.1 Therapie, Prophylaxe

Sie richtet sich nach dem (vermuteten) Pathogen:

  • N.gonorhoeae: Ceftriaxon i.m., allenfalls kombiniert mit Azithromycin p.o.,

  • C.trachomatis :≥8 Jahre: Doxycyclin p.o. für 7 Tage; <8 Jahre Azithromycin p.o. Einzeldosis (1 g bzw. 20 mg/kgKG),

  • bakterielle Vaginose: Metronidazol p.o. (2-mal 500 mg/Tag während 7 Tagen oder 2 g als Einzeldosis).

  • Bei Nachweis von Gruppe-A-Streptokkoken: 10 Tage Penicillin V.

Bei Nachweis sexuell übertragbarer Keime müssen die Sexualpartner zur Vermeidung eines Ping-Pong-Effekts gleichzeitig behandelt werden.

Bei Schmerzen sind Analgetika angebracht. Hygiene trägt zur rascheren Heilung der präpubertalen Vulvovaginitis bei.

4.1 Prophylaxe

Je nach der vorliegenden Störung sind Aufklärung über Risiken des ungeschützten Sexualverkehrs, Instruktion über Schutzmöglichkeiten bzw. Erziehung zu verbesserter Hygiene und Vermeidung physikalischer Reize.

4.2 Epididymitis, Orchitis, Prostatitis

4.2 Grundlagen

Bakterielle Epididymitis und Orchitis sind vor der Pubertät selten. Sie werden meist bei sexuell aktiven Adoleszenten beobachtet. Eine Prostatitis ist sehr rar.

4.2 Ätiologie

Beteiligt sind Enterobakterien, Pseudomonas, bekapselte Bakterien und bei sexueller Aktivität C. trachomatis und N. gonorhoeae (Tab. 15.27).

Tab. 15.27  Prädisposition für und Ätiologie der bakteriellen Epididymitis und Orchitis

4.2 Pathogenese

Die Krankheitsbilder entstehen als Komplikation einer urethralen Infektion oder nach hämatogener Aussaat von Bakterien aus einem Fokus (Tab. 15.27).

4.2 Klinik

Die Manifestationen der meist unilateralen Epididymitis und Orchitis sind sehr ähnlich:

  • schmerzhaftes Erythem und Schwellung des Skrotums,

  • Dysurie und zuweilen urethraler Ausfluss,

  • evtl. Fieber,

  • Prehn-Zeichen: Schmerzlinderung bei Entlastung des Hodens,

  • Pyurie und eventuelle periphere Leukozytose.

4.2 Komplikationen

Hodenabszesse, chronische Epididymitis und testikuläre Infarzierung können auftreten.

4.2 Diagnose

Sie wird anhand der mikroskopischen (Gram, Immunfluoreszenz) und kulturellen Untersuchung des Urins sowie eines Urethralabstrichs gestellt.

4.2 Differenzialdiagnose

Hodentorsion und virale Orchitiden müssen ausgeschlossen werden. Bei Hodentorsion sind die Schmerzen ausgeprägter und urethraler Ausfluss, Leukozytose, Pyurie und Kremasterreflex fehlen. Die Dopplersonographie zeigt einen verminderten Blutfluss.

Cave

Eine Hodentorsion ist ein chirurgischer Notfall!

4.2 Therapie

Wenn sexuell übertragbare Bakterien vermutet werden, ist die empirische Therapie mit einer Einzelgabe von Ceftriaxon i.m. (125 mg) und Azithromycin p.o. (1 g) bis Vorliegen der Laborresultate angebracht. Schlägt sie innerhalb von 3 Tagen fehl, empfehlen sich die Reevaluation und evtl. eine Hospitalisation. Werden andere als sexuell übertragbare Bakterien vermutet, richtet sich die Therapie gegen koliforme Bakterien und Pseudomonaden. Weitere Untersuchungen zum Ausschluss anatomischer oder neurologischer Abnormitäten drängen sich auf. Die symptomatische Therapie ist äußerst wichtig und beinhaltet Bettruhe, Analgetika und Antiphlogistika.

4.2 Prognose

Bei rechtzeitiger Antibiotikatherapie sind Drainage eines skrotalen Abszesses oder Orchidektomie selten nötig. Infertilität ist äußerst selten.

5 Haut- und Weichteile

Die Haut bildet nebst den Schleimhäuten die größte Grenzfläche des Menschen zur Umwelt und dadurch eine wichtige potenzielle Eintrittspforte für Bakterien.

5.1 Oberflächliche Hautinfektionen und Zellulitis

5.1 Grundlagen

Oberflächliche Hautinfektionen beschränken sich auf die Epidermis und/oder Dermis. Die entzündliche Reaktion kann sich bis in die Subkutis ausdehnen. Die Läsionen an der Oberfläche sind in der Regel klein, die vorhandene Rötung lokalisiert und Gewebsnekrose, Gangräne oder Abszessbildung minimal oder fehlend. Es entwickeln sich wenig oder keine systemischen Manifestationen.

Die Hautflora besteht aus ansässiger und transienter Flora. Letztere stammt von der Umgebung und haftet an nicht integerer Haut. Wichtigste Bakterien der transienten Flora sind S. pyogenes und Staph. aureus.

5.1 Ätiopathogenese

Abb. 15.16 gibt die Anatomie der Haut, die Lokalisation der bakteriellen Infektionen und die ursächlichen Erregerspezies wieder. Letztere und die resultierenden Läsionen sind in Tab. 15.28 zusammengefasst.

Abb. 15.16
figure 16figure 16

 Anatomie der Haut und Erreger bakterieller Infektionen

Tab. 15.28  Bakterielle oberflächliche Hautinfektionen

Das Gleichgewicht zwischen Wirtsabwehr und Virulenz der Organismen ist die Hauptdeterminante. Temperatur, Feuchtigkeit, Haut- oder systemische Erkrankung, junges Alter und Antibiotikatherapie verändern die ansässige Flora und begünstigen die transiente Kolonisierung durch pathogene Keime wie S. pyogenes und Staph. aureus. Die Kolonisierung des Epithels beinhaltet die irreversible Bindung an einen spezifischen Rezeptor auf der Wirtszelle. Auf der normalen Haut finden sich keine Rezeptoren. Dies ist möglicherweise der Grund, warum S. pyogenes und Staph. aureus intakte Haut nicht kolonisieren. S. pyogenes bindet mit dem M-Protein an Keratinozyten und mit dem F-Protein an Langerhans-Zellen. Nach erfolgreicher Kolonisierung müssen die Schutzmechanismen der Haut durchbrochen werden, bevor eine Infektion entstehen kann.

5.2 Blasenbildende distale Daktylitis

5.2 Klinik, Diagnose

Im Vordergrund steht die Blasenbildung an der volaren Oberfläche der distalen Fingerphalanx. Mehrere Phalangen sowie Zehen und die Handfläche können betroffen sein. Die Diagnose wird aufgrund der Klinik gestellt. Die Punktion der Blasen zeigt purulente Flüssigkeit und Mikroorganismen in Mikroskopie und Kultur.

5.2 Therapie

Therapie der Wahl sind Inzision und systemische Therapie mit einem penicillinasefesten Penicillin oder einem Cephalosporin der 1. Generation oder bei Allergie Makrolide oder Clindamycin über 10 Tage. Ohne Behandlung kann das Paronychium miterfasst werden.

5.3 Ecthyma

5.3 Klinik

Die initiale Läsion besteht in einer Vesikel oder einer Pustel mit rotem Grund, die bald durch die Epidermis zur Dermis erodiert und zu einer verkrusteten Ulzeration mit erhöhtem Rand (bis 4 cm Durchmesser) und damit zur chronischen Infektion anwächst. Läsionen entstehen vorwiegend an den Beinen, an Orten mit Pruritus und Kratzern.

5.3 Therapie, Komplikationen

Wie bei Impetigo (Abschn. 15.5.7). Die Ecthyma gangraenosum ist eine nekrotische Ulzeration. Sie ist meist durch Pseudomonas aeruginosa oder seltener andere Bakterien oder Pilze bei aplastischer Anämie oder Leukämie mit Neutropenie bedingt.

5.4 Erysipel

Die Streptokokken dringen durch eine Eintrittspforte wie traumatische Läsionen, Ulzera, Fissuren und Dermatosen ein. Lymphgefäße sind mitbetroffen.

5.4 Klinik

Der Beginn ist abrupt mit Fieber, Schüttelfrost und Unwohlsein. Nach 1–2 Tagen folgen die Hautsymptome. Ein kleines brennendes und rotes Hautareal entwickelt sich zur überwärmten, hellroten Makula mit bräunlichem und verrunzeltem Aussehen. Der scharfe Rand ist leicht erhaben (Abb. 15.17). Vesikel, hämorrhagische Blasen, Ecchymosen an der Makula, regionäre Lymphadenitis sowie bei Abheilung Desquamation können auftreten.

Abb. 15.17
figure 17figure 17

 Erysipel des Gesichts

5.4 Komplikationen

Bakteriämie, Abszesse, Gangrän, Thrombophlebitis und bei Streptokokken, die pyrogenes Toxin bilden, Septikämie und toxischer Schock.

5.4 Diagnose, Therapie

Die Diagnose wird vorwiegend klinisch gestellt. Die Kultur des Abstrichs aus der Eintrittspforte hilft, den Erreger zu identifizieren. Die Hautbiopsie zeigt Ödem und erweiterte Gefäße in der Dermis und der oberen Subkutis sowie zuweilen Mikroorganismen in Lymphgefäßen. Mittel der Wahl ist Penicillin für 10 Tage, in schweren Fällen in den ersten 3 Tagen parenteral und danach peroral.

5.5 Erysipeloid

5.5 Pathogenese

Inokulation von Erysipelothrix rusopathiae durch kontaminierte Tiere, Vögel, Fische und deren Produkte.

5.5 Klinik

Man unterscheidet 3 Formen:

  • Lokalisierte kutane Form (am häufigsten): gut abgegrenzte rötliche bis livide Läsionen in Diamantenform an der Eintrittspforte. Nach einigen Wochen können die Läsionen spontan verschwinden und Wochen bis Monate später an anderen Stellen rezidivieren.

  • Diffuse kutane Form: zusätzlich zur ursprünglichen Läsion mehrere andere auf den ganzen Körper verteilte Läsionen.

  • Systemische Form: sie entsteht nach hämatogener Streuung, Allgemeinsyptome sind möglich.

    • Komplikationen bei der systemischen Form sind Endokarditis, pyogene Arthritis, zerebrale Infarkte und Abszesse, Meningitis und Pleuraergüsse.

5.5 Diagnose, Therapie

Hautbiopsie und Kultur mit Nachweis des Erregers bestätigen die Diagnose. Die Therapie der Wahl ist Penicillin, Clindamycin oder ein Makrolid.

5.6 Follikulitiden

Bei den Infektionen des Haarfollikelostiums unterscheidet man oberflächliche (Follikulitis) und tiefe Formen (Furunkel, Karbunkel).

5.6 Ätiologie

Sie werden in den meisten Fällen durch Staph. aureus verursacht. Gramnegative Erreger findet man bei Akne und Vortherapie mit Breitspektrumantibiotika, Pseudomonaden nach Exposition in heißen Bädern.

5.6 Pathogenese

Feuchtigkeit, Mazeration, schlechte Hygiene und Drainage nah gelegener Wunden oder Abszesse begünstigen die Entstehung. Das Haar wirkt als Hebel und verletzt die Epidermis im Bereich des Ostiums. Dringen Bakterien ein, entwickelt sich eine Follikulitis. Gelangen sie tiefer in den Follikel, nekrotisiert dieser bei schwerer Entzündung, es entsteht ein Furunkel. Sind mehrere Follikel nebeneinander befallen, ergibt sich ein Karbunkel.

5.6 Klinik, Diagnose

Die oberflächliche Follikulitis manifestiert sich als rundliche erhabene Pustel auf rotem Grund am Ostium des Talgdrüsenkanals. Typische Lokalisationen sind Kopfhaut, Gesäß und Extremitäten. Der ursächliche Erreger kann anhand des Grampräparats und der Kultur aus dem purulenten Material vom Ostium der Drüse identifiziert werden.

5.6 Therapie

In milden Fällen genügen topische antimikrobielle Lösungen (Chlorhexidin, Hexachlorophen). Schwere Fälle bedürfen einer systemischen Therapie mit penicillinasefesten Penicillinen oder bei Allergie einem Makrolid oder Clindamycin. Bei Nachweis gramnegativer Erreger richtet sich die Therapie nach deren Empfindlichkeit. Zusätzlich topisches Neomycin oder Bacitracin kann hilfreich sein. Tiefere und größere Zysten müssen inzidiert und drainiert werden. Das Trägertum von Staph. aureus in den Nares kann mit Mupirocinsalbe während 5 Tagen eliminiert werden. Hygieneinstruktion und Verwendung antibakterieller Seifen können helfen, Rezidive zu verhüten.

5.7 Impetigo

5.7 Pathogenese

Von Staph. aureus sezerniertes Epidermolysin proteolysiert die Desmosomen der Keratinozyten; dies führt zur Akantholyse. Flüssigkeit sammelt sich in den Zwischenräumen der sich trennenden Zellen und bildet eine Blase (bullöse Form). Breitet sich der Prozess aus, entsteht das Syndrom der verbrühten Haut (Syn. „staphylococcal scalded skin syndrome“).

5.7 Klinik

Man unterscheidet eine nichtbullöse (70%) von einer bullösen Impetigo (30%) (Abb. 15.18). Erste wird hauptsächlich durch Staph. aureus verursacht. Klinisch kann nicht unterschieden werden, ob Staph. aureus oder S. pyogenes der Erreger ist. Während Staph. aureus Impetigo in allen Altersstufen bedingt, tut es S. pyogenes häufiger im Vorschul- und vor allem im Kleinkindesalter. Die Stämme von S. pyogenes bei Impetigo und bei Pharyngitis sind unterschiedlich. Die bullöse Form kann bei ausgeprägter Ausdehnung das Syndrom der verbrühten Haut hervorrufen.

Abb. 15.18
figure 18figure 18

 Impetigo contagiosa. a Im Gesicht, b am Kinn

5.7 Komplikationen

Bei der nichtbullösen Form tritt in 10% der Fälle und bei der bullösen Form seltener eine Zellulitis auf. S. pyogenes kann zu Lymphangitis, eitriger Lymphadenitis, Psoriasis guttata sowie Scharlach und, falls die Stämme nephritogen sind, nach 18–21 Tagen zu Glomerulonephritis führen.

5.7 Therapie

Topisches Mupirocin 3-mal täglich während 7–10 Tagen eignet sich für einfache Fälle. Alternativ kann systemisch Clarithromycin (2-mal 7,5 mg/kgKG/Tag während 8–10 Tagen) verabreicht werden. Resistenz gegenüber Clarithromycin kommt in 10–20% von Staph. aureus und sporadisch bei S. pyogenes vor. Die Indikation für eine systemische Therapie stellen schwere Fälle, ausgedehnte Ausbreitung, periorale Läsionen, vorherige Zellulitis, Furunkulose, Abszessbildung oder eitrige Lymphadenitis. Alternativen zu Clarithromycin sind Azithromycin, Clindamycin, Flucloxacillin, Amoxicillin-Clavulansäure oder Cephalosporine der 1. Generation.

Patienten mit rezidivierender Impetigo sollten auf Trägertum von Staph. aureus in der Nase untersucht werden (Eradikation mit Mupirocinnasensalbe für 5 Tage).

5.8 Paronychie

5.8 Pathogenese

In der Regel geht eine Verletzung des Nagelfalzes voraus. Deshalb ist die Läsion besonders häufig bei Kindern, welche an ihren Fingern saugen oder ihren Nägeln oder Cuticula beißen oder bei schlechter Hygiene.

5.8 Klinik, Diagnose

Der laterale Nagelfalz zeigt die klassischen Entzündungszeichen Überwärmung, Rötung, Schwellung und Schmerzen. Die charakteristische Klinik erlaubt die Diagnose und die Kultur bei Inzision die Ermittlung des Erregers.

5.8 Differenzialdiagnose

Ein durch Herpes-simplex-Virus verursachter Umlauf kann bei Fehlen von Bläschen sehr ähnlich aussehen.

5.8 Therapie

In leichten Fällen genügen warme Umschläge. Tiefere Läsionen erfordern Inzision, Drainage und eine Therapie mit Amoxicillin-Clavulansäure oder Clindamycin.

5.9 Perianaldermatitis

5.9 Epidemiologie

Die Inzidenz beträgt 1:2.000–1:200 ambulant konsultierter Kinder. Jungen (70%) im Alter von 6 Monaten bis 10 Jahren sind vorwiegend betroffen. Familiäre Häufung wird bei Benützung des gleichen Badewassers beobachtet.

5.9 Klinik, Diagnose

Perianales Erythem (90%) und Pruritus (80%) sind typisch. Etwa 50% der Patienten gibt rektale Schmerzen (Brennen im Anus bei Defäkation) an, 1/3 zeigt Blutauflagerungen im Stuhl. Der oberflächliche Ausschlag ist gerötet, gut umschrieben, nicht induriert und konfluiert vom Anus gegen außen. Schmerzhafte Fissuren, schleimige Sekretion und psoriasiforme Plaques mit gelben peripheren Krusten entstehen. Die Rötung blasst ab. Bei Mädchen bestehen oft Vulvovaginitis, gerötete Vulva und vaginaler Ausfluss. Der Nachweis von S. pyogenes im Perianalabstrich (~90%) bestätigt die Diagnose.

5.9 Differenzialdiagnose

Sie umfasst Psoriasis, seborrhoische Dermatitis, Candidose, Oxyureninfestation, sexueller Missbrauch und entzündliche Darmerkrankung.

5.9 Therapie

Eine Behandlung mit Penicillin oder bei Allergie mit einem Makrolid oder Clindamycin für 10 Tage genügt in den meisten Fällen. Rezidive treten in bis 50% der Fälle auf. Sie erfordern hygienische Beratung.

5.10 Schweißdrüsenabszesse (Hidradenitis suppurativa)

Schweißdrüsenabszesse treten meist in der Pubertät oder beim jungen Erwachsen auf.

5.10 Ätiologie, Pathogenese

Wichtigste Erreger sind Staph. aureus, Streptococcus milleri, E. coli und anaerobe Streptokokken. Man nimmt an, dass die chronische eitrige Entzündung der apokrinen Drüsen durch Verstopfung des Ausführungsgangs mit keratinösem Debris eingeleitet wird. Entzündung und Gewebszerstörung der Drüsen folgen.

5.10 Klinik

Sie manifestieren sich als einzelne oder multiple schmerzhafte, weiche, fluktuierende, gerötete Knoten, die auf die Areale mit apokrinen Drüsen (axillär, anogenital, kranial und seltener retroaurikulär, mammillär, periumbilikal) begrenzt sind. Oberflächlich bildet sich eine Kruste.

5.10 Therapie

Die empirische systemische Therapie beim Kind >8 Jahre beginnt mit Tetrazyklinen und beim jüngeren Kind mit Clindamycin oder Cephalosporinen. Danach sollte sich die antimikrobielle Therapie nach dem Resultat der Kultur und des Antibiogramms richten. Früh im Verlauf kann die intraläsionale Applikation von Triamcinolon acetonid (5–10 mg/ml) hilfreich sein. Oft sind eine Langzeitbehandlung und chirurgische Maßnahmen nötig.

5.10 Komplikationen

Sie beinhalten Phlegmone, Ulzeration, Abszessbildung mit Gefahr der Fistelentstehung.

5.11 Zellulitis

5.11 Ätiopathogenese

Häufigste Erreger sind Staph. aureus und S. pyogenes. Bei immungeschwächten Kindern können auch andere Bakterien nachgewiesen werden. Verletzung der Haut durch Trauma oder Dermatose prädestiniert zur Zellulitis. Jene durch H. influenzae b, S. pneumoniae oder Salmonellen können auch ohne Verletzung entstehen. Die tieferen Lagen der Haut (Dermis und subkutanes Gewebe) werden in den infektiösen Prozess miteinbezogen.

5.11 Klinik

Typisch sind ein unscharf begrenztes Areal mit Ödem, Überwärmung, Rötung und Schmerz (Abb. 15.16). Regionäre Lymphknotenschwellung und Allgemeinsymptome wie Fieber, Schüttelfrost und Unwohlsein sind häufig.

Abb. 15.19
figure 19figure 19

Zellulitis des Unterschenkels: die Rötung ist weniger scharf begrenzt als bei Erysipel

5.11 Komplikationen

Die Infektion mit S. pyogenes kann eine Lymphangitis, Arthritis, Osteomyelitis, Thrombophlebitis, Bakteriämie und Fasziitis verursachen.

5.11 Diagnose, Therapie

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Der Erreger kann in 25% der Fälle durch Aspiration, Hautbiopsie oder Blutkulturen ermittelt werden. Die empirische Therapie richtet sich gegen Staph. aureus und S. pyogenes und erfolgt ambulant mit Flucloxacillin oder einem Cephalosporin der 1. Generation. Eine parenterale Therapie drängt sich bei Fieber und Komplikationen auf. Eine Therapie über 10 Tage reicht meist aus.

Zellulitis bei Immunschwäche, Verbrennung, Trauma oder Insektenstich muss mit Antibiotika breiteren Wirkungspektrums behandelt werden.

5.12 Bakterielle Myositis

5.12 Grundlagen

Skelettmuskeln sind relativ resistent gegenüber Infektionen durch Bakterien. Die Einteilung in transiente akute Myositis, Pyomyositis und chronisch entzündliche Myositis erleichtert Management und Diagnose.

5.12 Epidemiologie, Ätiologie

Bakterielle Myositiden sind beim Kind recht selten. Die eitrige Myositis ist in den Tropen („tropische Pyomyositis“) häufiger als bei uns. Erreger sind hierzulande meist Staph. aureus gefolgt von Streptokokken und seltener anderen Bakterien (Tab. 15.29).

Tab. 15.29  Bakterielle Infektionen der Skelettmuskeln

5.12 Pathogenese

Bei der transienten akuten Myositis scheinen autoimmune Phänome eine Rolle zu spielen. Pyomyositiden stellen sehr wahrscheinlich eine Komplikation einer transienten Bakteriämie dar. Nur in 25% der Fälle geht ein als Eintrittspforte dienendes Trauma voraus. Die Häufung in den Tropen scheint mit Malnutrition oder Parasitosen zusammenzuhängen. Bilden beteiligte S. pyogenes pyrogene Exotoxine, kann sich ein toxisches Schocksyndrom entwickeln. Die Gasgangrän durch Clostridium perfringens entsteht durch die zytolytische Wirkung der zwei durch dieses Bakterium produzierten Toxine. Bei der chronisch-entzündlichen Myositis regen in den Muskel eingedrungene Borrelia burgdorferi die Einwanderung mononukleärer Entzündungszellen an.

5.12 Klinik

Die wichtigsten Charakteristika sind in Tab. 15.29 aufgeführt. Bei der Pyomyositis ist der Quadrizepsmuskel am häufigsten befallen. Einzelne Abszesse überwiegen. Muskelschmerzen gehen dem Fieber und der Schwellung um mehrere Tage bis Wochen voraus. Der Muskel fühlt sich hart wie Holz an. Später folgt Fluktuation. Wegen der in der Regel tiefen Lage des Prozesses werden klassische Entzündungszeichen selten beobachtet.

5.12 Komplikationen

Ohne Therapie können septische Metastasen entstehen.

5.12 Diagnose

Laborbefunde

Leukozytenzahl, Blutsenkungsreaktion und C-reaktives Protein sind erhöht. Blutkulturen zeigen nur in 5% Wachstum. Trotz der Muskelnekrose ist die Kreatinkinase außer beim toxischen Schock durch Streptokokken normal.

Bildgebung

Ultraschall und Computertomographie zeigen Abszesse auf, schließen andere Ursachen aus und dienen der gesteuerten Nadelaspiration für Grampräparat und Kulturen.

5.12 Differenzialdiagnose

Im Vordergrund stehen Hämatome, Thrombophlebitis und Weichteilsarkome.

5.12 Therapie

Transiente akute Myositis: Behandlung der Mykoplasmeninfektion mit Makroliden oder Tetrazyklinen (Kinder >8 Jahre).

Pyomyositis: Drainage des Abszesses und systemische Therapie mit einem penicillinasefesten Penicillin. Antibiotikatherapie reicht für nicht fluktuierende Läsionen meist aus.

Beim toxischem Schocksyndrom bringen zusätzliches Clindamycin und die Gabe von i.v.-Immunglobulinen sehr wahrscheinlich Vorteile. Promptes und radikales Débridement der beteiligten Muskulatur bilden bei der Gasgangrän neben systemischem Penicillin G und Clindamycin die Eckpfeiler der Therapie. Hyperbarer Sauerstoff kann das Wachstum von C. perfringens und damit die Bildung von Toxin verzögern. Die Therapie der chronisch-entzündlichen Myositis durch B. burgdorferi entspricht jener der Lyme-Borreliose im Stadium der Generalisierung.

6 Knochen und Gelenke

6.1 Osteomyelitis

6.1 Grundlagen

Eine Osteomyelitis ist eine meist unifokale Infektion des Knochens. Sie verläuft akut (Anamnese 2 Wochen), subakut (3–4 Wochen) oder chronisch (1–6 Monate).

6.1 Epidemiologie

Eins von 5.000 Kindern erfährt bis zum Alter von 13 Jahren eine akute Osteomyelitis. Die Hälfte der Fälle tritt in den ersten 5 Lebensjahren auf. Jungen sind 2-mal häufiger betroffen als Mädchen. Die viel seltenere chronische multifokale Osteomyelitis wird häufiger bei Mädchen beobachtet.

6.1 Ätiologie

Staph. aureus bedingt >95% der Osteomyelitiden. Seltener werden Gruppe-A-Streptokokken, S. pneumoniae, Kingella kingae oder Bartonella henselae nachgewiesen. Koagulasenegative Staphylokokken findet man fast nur als Komplikation medizinischer Eingriffe, Pseudomonaden nach penetrierender Verletzung der Fußknochen und Hib bei nicht gegen diesen Erreger geimpften Kindern unter 3 Jahren. Befall des Knochens durch Mycobacterium tuberculosis erfolgt in <1% der Infekte.

6.1 Pathogenese

Bakterien finden auf 3 Arten den Weg zum Knochen:

  • hämatogen bei Bakteriämie (deren Ursprung oft unbekannt bleibt),

  • durch penetrierende Verletzung oder chirurgischen Eingriff,

  • per continuitatem aus einem angrenzenden Infektionsfokus.

Der hämatogene Eintritt der Bakterien geschieht am häufigsten. Er erfolgt über die A. nutritia zu den metaphysären Kapillarschlingen und den venösen Sinusoiden (Abb. 15.20). Der hier verlangsamte Blutfluss prädisponiert zu traumatisch bedingten Mikrothromben und Infarkten. Sie bieten anlagernden Bakterien einen geeigneten Nidus. Diese proliferieren, vor der Wirtsabwehr weitgehend geschützt, breiten sich entlang der Gefäßkanäle aus und leiten eine entzündliche Reaktion ein. Angesammeltes Exsudat erhöht den lokalen Druck. Gefäße verschließen sich, Knochen nekrotisiert und Exsudat wird entlang dem Havers-System, den Volkmann-Kanälen und in die Kortikalis gepresst.

Abb. 15.20
figure 20figure 20

 Pathophysiologie der Osteomyelitis

Altersbedingte Unterschiede in Anatomie und Blutversorgung bestimmen die Klinik.

Bei Kindern <18 Monaten besteht zwischen Meta- und Epiphyse noch eine Gefäßverbindung (Abb. 15.21; Kap. 26). Die Infektion greift leicht auf Epiphyse und Gelenk über. Ischämie schädigt die Wachstumsfuge. Vor der Pubertät ist das Periost nicht fest auf dem darunter liegenden Knochen verankert. Der Infekt kann sich subperiostal einen Weg zur Diaphyse bahnen. Umfasst die Gelenkkapsel die Metaphyse, besteht die Gefahr eines Durchbruchs der Infektion ins Gelenk.

Abb. 15.21
figure 21figure 21

 Altersabhängige Gefäßversorgung und Ausbreitung der Osteomyelitis

Subakute und chronische Osteomyelitis weisen eine ähnliche Pathogenese auf. Die Abwehr des Wirtes scheint den Erreger länger weitgehend zu kontrollieren.

6.1 Klinik

Lange Röhrenknochen sind häufiger befallen als platte Knochen (Abb. 15.22). Ein gleichzeitiger Befall mehrerer Knochen kommt in rund 5% der Fälle vor. Für die akute Osteomyelitis charakteristisch sind plötzlich einsetzendes (hohes) Fieber, Reduktion des Allgemeinzustands, lokale Entzündungszeichen (Schmerzen, Schwellung, Überwärmung, Rötung) und Schonung der betroffenen Extremität oder Pseudoparalyse (beim Säugling).

Abb. 15.22
figure 22figure 22

 Lokalisation der akuten Osteomyelitis

Pseudoparalyse entspricht einem Frühzeichen bei kleineren Kindern. Bei älteren Kindern fehlen zuweilen systemische Zeichen. Schmerzen und Fieber lassen sich anamnestisch nicht selten bis zu 2 Wochen zurückverfolgen.

Subakute und chronische Osteomyelitis erzeugen selten systemische Zeichen und bedingen lokal weniger ausgeprägte Entzündungszeichen.

6.1 Komplikationen

Späte Diagnose und unkorrekte Behandlung fördern die Sequester- und Fistelbildung. Gefürchtet ist die Zerstörung der Wachstumsfuge und nachfolgend beeinträchtigtes Längenwachstum des betroffenen Knochens. Rezidivierende Osteomyelitis oder außergewöhnliche Erreger rufen nach einer immunologischen Abklärung, insbesondere der Phagozytenfunktion.

6.1 Diagnose

Sie gestaltet sich beim älteren Kind einfacher als beim Säugling und Kleinkind. Anamnese und Klinik führen rasch zur Verdachtsdiagnose.

Labor

Die Laborparameter verhalten sich wie folgt:

  • Leukozytose und Linksverschiebung (1/3 der Fälle),

  • erhöhtes C-reaktives Protein (98%),

  • erhöhte Blutsenkungsreaktion (90%),

  • positive Kultur (Blut, Knochen- und Gelenkpunktat kombiniert 50–80%).

Die Punktion betroffener Knochen und Gelenke muss für die Isolierung und Identifizierung des Erregers, die Erstellung eines Antibiogramms und die Wahl der adäquaten Therapie unbedingt angestrebt werden!

Bildgebende Verfahren

Radiologische Veränderungen des Knochens treten meist 10–14 Tage nach Beginn der Infektion auf. Sie reflektieren Entzündung, Destruktion und Bildung neuen Knochens. Dennoch helfen Leeraufnahmen auch in der Frühphase. Schon in den ersten 3 Tagen nach Beginn der Symptome zeigen sich Veränderungen der tiefen, am Knochen anliegenden Weichteile wie die Verwischung normaler Fettstrukturen. Osteopenie oder Osteolyse ergeben sich bei Demineralisierung von >50%. Abhebung des Periosts stellt ein untrügliches Zeichen dar.

Die Magnetresonanztomographie verfügt über eine Sensitivität von 92–100%. Infiziertes Knochenmark ergibt geringere Signalintensität in T1- und höhere in T2-gewichteten Aufnahmen. Diese Zeichen sind nicht spezifisch. Sie entstehen auch bei Tumor, Infarkt und Fraktur. Osteomyelitis und Zellulitis lassen sich jedoch eindeutig voneinander unterschieden.

Cave

Die 99Technetium-Knochenszintigraphie ist nicht absolut spezifisch für Osteomyelitis. Ähnliche Befunde manifestieren sich auch bei pyogener Arthritis, Infarzierung, Trauma, Fraktur und Tumor.

6.1 Differenzialdiagnose

Bei Fieber und Schmerzen an Extremitäten umfasst sie Infektionen (Sepsis, pyogene Arthritis und Zellulitis), entzündliche Geschehen (rheumatisches Fieber und Thrombophlebitis), Neoplasien (Ewing-Sarkom, Neuroblastom, Leukämie), Knocheninfarkte bei Sichelzellanämie und toxische Synovitis. Bei subakuter/chronischer Osteomyelitis stehen differenzialdiagnostisch Neoplasien im Vordergrund.

6.1 Therapie

Antibiotikatherapie

Optimale Behandlungsschemata liegen nicht vor. Die Wahl des geeigneten Antibiotikums ist kritisch und muss Alter des Kindes, Grunderkrankung, wahrscheinlichstes oder nachgewiesenes Pathogen und dessen Resistenz berücksichtigen. Die meisten Betalaktamantibiotika und Clindamycin erzielen therapeutische Konzentrationen im Knochen. Zu empfehlende initiale parenterale Behandlungen sind in Tab. 15.30 zusammengefasst. Die initiale Antibiotikatherapie sollte immer parenteral erfolgen. Die Gründe sind Verhütung von bakterieller Aussaat und Unabhängigkeit von der enteralen Resorption zur Sicherung genügend hoher Medikamentenspiegel im Gewebe. Bei Kindern unter 5 Jahren an Kingella kingae denken. Sie sprechen auf Amoxicillin-Clavulansäure an.

Tab. 15.30  Antibiotische Therapie der Osteomyelitis

Die minimale Dauer der Antibiotikatherapie beträgt bei Staphylokokken 3 und bei anderen Bakterien 2 Wochen. Bessern sich Klinik und Laborwerte (C-reaktives Protein) nicht rasch, verlängert sich die Therapiedauer. Eine chirurgische Intervention ist zu erwägen. Subakute und chronische Osteomyelitis erfordern eine Therapie von mindestens 6 Wochen.

Symptomatische Therapie

Über die Notwendigkeit einer Immobilisierung oder Gipsschienung der Extremität muss von Fall zu Fall entschieden werden. Die Indikation für einen chirurgischen Eingriff ergibt sich bei Versagen der konservativen Therapie, bei Abszess, Sequester oder Pseudomonasinfektion.

Eine adäquate und frühzeitige Therapie sichert eine gute Prognose.

6.2 Pyogene Arthritis

6.2 Grundlagen

Die Entzündung eines Gelenks gleicht einem Alarmzeichen für eine lokale oder systemische Erkrankung. Die akute pyogene Arthritis ist ein orthopädischer Notfall und eine gründliche Abklärung ist angesagt, da der Knorpel auf dem Spiel steht.

6.2 Epidemiologie

Der Häufigkeitsgipfel der pyogenen Arthritis liegt in den ersten 3 Lebensjahren. Sie tritt doppelt so häufig als die Osteomyelitis auf. Immundefekt, Hämoglobinopathie, Diabetes oder rheumatoide Arthritis erhöhen das Risiko.

6.2 Ätiologie, Pathogenese

Ähnlich wie bei der Osteomyelitis bestimmen Alter und Grundleiden des Patienten die Prädilektion für gewisse Bakterien (Tab. 15.31). Wie die Osteomyelitis entsteht auch die pyogene Arthritis meist hämatogen. Bakterien gelangen direkt oder indirekt über die infizierte Metaphyse des angrenzenden Knochens in den subsynovialen Kapillarplexus ein, wo sie sich vermehren und von wo sie in die Gelenkhöhle eindringen. Die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren wird ausgelöst. Diese regen Chondrozyten und Synovialzellen zur Produktion von Proteinasen an. Sie fördern die Einwanderung von Granulozyten, die proteolytische Enzyme sezernieren. Diese bauen den Knorpel ab. Erhöhter Druck im Gelenk und damit versiegende Blutversorgung schränkt die Ernährung des Knorpels ein.

Tab. 15.31  Häufigste Ätiologie der bakteriellen Arthritis und Prädilektionen

6.2 Klinik

Klassischerweise manifestiert sich die Arthritis mit systemischen Symptomen (Fieber, Unwohlsein, Appetitverlust, Reizbarkeit), lokalen Symptomen am Gelenk (Schmerzen, Schwellung, Rötung) sowie Hinken, Gehverweigerung an den unteren und Pseudoparalyse an den oberen Extremitäten, Schmerzen bei Untersuchung des Gelenks und eingeschränkter Bewegung.

Die Erkennung der Koxarthritis kann sich wegen kaum sichtbarer Schwellung sowie der beim Säugling und Kleinkind unspezifischen Zeichen recht schwierig gestalten. Die Hüfte wird flektiert, nach außen rotiert und abduziert gehalten.

6.2 Komplikationen

Späte Diagnose und falsche Therapie bergen die Gefahr für eine ischämische Nekrose, für den vorzeitigen Verschluss der Wachstumsfuge, für eine Dysplasie, Dislokation, Subluxation und Pseudarthrose.

6.2 Diagnose

Die Klinik weist die Richtung. Folgendes Vorgehen drängt sich auf: Blutkultur, -bild, -senkungsreaktion, C-reaktives Protein, Röntgen, Ultraschall, Gelenkpunktion für Gramfärbung, Zytologie, Kultur; evtl. Drainage, Antigentest im Urin und evtl. eine Szintigraphie.

Labor

Leukozytose und Linksverschiebung finden sich in höchstens 2/3, eine erhöhte Blutsenkungsreaktion in >90% der Fälle. Blutkulturen weisen in 40% Kulturen von, Gelenkpunktate in 40–60% Wachstum auf.

Bildgebende Verfahren

Das Röntgenbild zeigt eine Verbreiterung des Gelenkspalts, Schwellung der Weichteile, Verwischung der Fettstrukturen und evtl. Osteomyelitis. Die Indikation zur Sonographie zum Nachweis eines Ergusses ergibt sich bei tief liegenden Gelenken wie Hüfte und Schulter. Situationen ohne eindeutig ausschließbare Osteomyelitis erfordern eine Szintigraphie.

Gelenkpunktion

Nur die Punktion des Gelenks kann eine pyogene Arthritis ausschließen. Die Punktion sollte wegen möglicher Induktion von Anreicherung nach einer geplanten Szintigraphie erfolgen. Bei der pyogenen Arthritis beträgt die Zahl der Leukozyten 25.000–250.000/µl Punktat. Davon sind 90% polynukleär.

Die Blutserologie erhärtet die Vermutung einer Infektion mit Borrelia burgdorferi. Bewiesen wird sie durch Erregernachweis in der Synoviabiopsie mittels molekularbiologischer Methoden. Bei Verdacht auf Tuberkulose sollten entsprechende Kulturen angeordnet werden.

6.2 Differenzialdiagnose

Sie hängt auch vom Gelenk und Alter des Kindes ab: Trauma (beim Säugling und Kleinkind schwieriger abzugrenzen), Gelenkschnupfen (insbesondere bei der Hüfte), aseptische Knochennekrose, Epiphysiolyse, reaktive, rheumatoide oder juvenile chronische Arthritis, Purpura Schoenlein-Henoch, Hämarthrose bei Hämophilie, Sichelzellkrise und Leukämie.

6.2 Therapie, Prognose

Die klassische Behandlung beinhaltet die Entleerung des Eiters und Spülung des Gelenks sowie die parenterale Verabreichung adäquater Antibiotika (Tab. 15.32). Die Ruhigstellung des Gelenks ist erforderlich. Bei adäquater und rechtzeitiger Therapie sind keine Folgeschäden zu erwarten.

Tab. 15.32  Empirische Therapie der pyogenen Arthritis

6.3 Spondylitis, Diszitis

6.3 Grundlagen

Unter Spondylitis versteht man die Entzündung eines Wirbels, unter Diszitis jene von Zwischenwirbelscheiben und/oder von Wirbelendplatten und unter Spondylodiszitis die Kombination beider Entitäten. Sie können rein entzündlich oder bakteriell bedingt sein und mit bleibender Deformität oder Invalidität enden.

6.3 Epidemiologie

Spondylitis macht 1–3% aller Fälle von akuter Osteomyelitis aus. Die Inzidenz der Diszitis ist gering und wird auf 1–2 Fälle pro 30.000 Klinikkonsultationen geschätzt. Es handelt sich vorwiegend um Kinder <6 Jahren. Betroffen ist meistens nur eine thorakale oder lumbale Bandscheibe.

6.3 Ätiologie

Spektrum und Häufigkeit der Erreger der Spondylitis entsprechen jenen der Osteomyelitis (Abschn. 15.6.1). Bei Diszitis werden selten Erreger isoliert, v. a. Staph. aureus und weit seltener koagulasenegative Staphylokokken, Kingella kingae, gramnegative Enterobakterien und S. pneumoniae.

6.3 Pathogenese

Die Infektion erfolgt vorwiegend hämatogen, seltener per continuitatem oder nach chirurgischer Inokulation. Begünstigend wirkt die beim jüngeren Kind im Vergleich zum älteren Kind und zum Erwachsenen unterschiedliche Gefäßversorgung von Wirbelkörper und Bandscheibe. Bis zum Alter von 8 Jahren bestehen noch zahlreiche Anastomosen zwischen den intraossären Arterien mit vermehrter Blutzufuhr zu den Endplatten (Abb. 15.23). Septische Embolien infarzieren kleine Areale der Endplatten. Der Wirbelkörper kann davon verschont bleiben. Histologische Veränderungen sind nicht obligat.

Abb. 15.23
figure 23figure 23

 Blutzufuhr der Endplatten

6.3 Klinik

Die Beschwerden sind sehr variabel und unspezifisch: Rücken- oder Bauchschmerzen, paravertebrale Muskelspasmen, schiefe Haltung von Wirbelsäule oder Becken und Ileus oder Harnverhalten. Fieber sowie milde systemische Zeichen treten nur bei jedem 6. Patienten auf.

6.3 Komplikationen

Knochendestruktion vermag Instabilität der Wirbelsäule und Subluxation der Wirbel nach sich zu ziehen. Ausbreitung auf die umliegenden Weichteile kann Abszesse ergeben. Besonders gefürchtet sind deren Einbrechen in den Spinalkanal sowie dessen Verschmälerung durch abgleitende Wirbel. Invalidisierende Paraparese oder Hemiplegie können resultieren.

6.3 Diagnose

Sie ist wegen der unspezifischen Symptomatik oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Nur selten besteht die klassische Trias:

  • symptomatische Verengung des Zwischenwirbelraums,

  • Fieber,

  • erhöhte Entzündungsparameter und/oder Leukozytose.

Bildgebende Verfahren

Röntgenaufnahmen decken bei bis zu 80% der Patienten eine Osteolyse oder Verschmälerung von Wirbeln oder ihrer Zwischenräume auf. Die Szintigraphie stellt in 70–90% den entzündlichen Prozess dar. Seine Ausdehnung vermitteln Computer- oder Magnetresonanztomographie am besten.

Labor

Die Kultur von Punktaten des Knochens, der Bandscheibe und des umliegenden Gewebes ergibt in 30–60% und Blutkulturen noch seltener bakterielles Wachstum.

6.3 Differenzialdiagnose

Sie fächert sich außerordentlich breit: Trauma, Störungen des Gastro- und Urogenitaltrakts, rheumatische Erkrankungen, Neoplasie.

6.3 Therapie

Die antibiotische Therapie folgt den gleichen Kriterien und Prinzipien wie für die akute Osteomyelitis (Abschn. 15.6.1). Traditionelle Maßnahmen bestehen in Bettruhe, Gipskorsett und mechanischem Zug.

6.3 Prognose

Die Prognose wird von der Prozessausdehnung bei Therapiebeginn bestimmt. Destruktion mehrerer Wirbel kann bleibende Deformationen nach sich ziehen.

7 Nervensystem

7.1 Akute bakterielle Meningitis

Die bakterielle Infektion der Meningen ist ein medizinischer und oft sogar ein intensivmedizinischer Notfall. In der vorantibiotischen Ära war die Prognose infaust. Sie besserte sich mit der Verfügbarkeit liquorgängiger Antibiotika zwar markant, die Rate an neurologischen Schäden bleibt aber sehr hoch.

7.1 Epidemiologie

Die akute bakterielle Meningitis manifestiert sich sporadisch oder epidemisch, kommt in der kalten Jahreszeit gehäuft vor und weist bei Kindern im Alter <5 Jahren die höchste Inzidenz auf.

7.1 Ätiologie

Sie hängt vom Alter und Grundleiden des Patienten ab. Nach der Einführung der Impfung gegen Hibsind heute die bei uns wichtigsten 2 Organismen beim sonst gesunden Kind Neisseria meningitidis Typ B oder C und S. pneumoniae (Tab. 15.33).

Tab. 15.33  Häufigste Erreger der eitrigen Meningitis nach Alter oder Kondition des Patienten

7.1 Pathogenese

Nur selten dringen Bakterien aus einem Infektfokus per continuitatem in das Zentralnervensystem (ZNS) ein. Weitaus häufiger geschieht dies auf hämatogenem Weg. Dem geht die Kolonisation des Nasopharynx mit Bakterien voraus. Deren Zutritt in die Blutbahn begünstigen Kapselbestandteile des Erregers durch Verhinderung der Opsonisation durch Komplement (klassischer Weg) und somit der Phagozytose sowie die Alteration der schützenden Schleimhautbarriere (z. B. bei Virusinfektion).

Bakterien aus dem Blut dringen via Plexus choreoideus in den Liquorraum ein. Bestandteile der Bakterienzellwand lösen im Subarachnoidalraum lokal eine Entzündungsreaktion mit Sekretion von Mediatoren (Chemokine wie IL-8) aus.

Platelet-activating-Faktor (PAF) führt zur Aggregation von Thrombozyten und Thrombose, lockt chemotaktisch Granulozyten an, erhöht die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke und verursacht dadurch ein Hirnödem. NO erweitert die Gefäße, wirkt toxisch auf Endothelzellen, ändert so den zerebralen Blutfluss und erhöht ebenfalls die Permeabilität der Blut-Hirn-Schranke. Zytokine, freie Sauerstoffradikale, Zellwandbestandteile der Bakterien, Proteasen und mehrfach ungesättigte Fettsäuren aus Leukozyten schädigen das Kapillarendothel. Im Liquor zeigen sich Pleozytose und erhöhte Proteinkonzentration. Ischämie und toxische Mediatoren (z. B. TNF-α) schädigen angrenzendes Hirngewebe.

7.1 Klinik

Zur charakteristischen initialen Präsentation gehören Fieber (94%), Erbrechen (82%) und Meningismus (77%).

Meningismus (Nackensteifigkeit) wird reflektorisch ausgeübt, um bei der Dehnung der entzündeten Hirnhäute entstehende Schmerzen zu vermeiden.

Weitere Symptome sind Kopf- und Rückenschmerzen, Lethargie, Reizbarkeit, Lichtscheu und Anorexie.

Verlaufsformen

Zwei verschiedene Verlaufsformen werden beobachtet

  • Akuter, zuweilen fulminanter Verlauf: innerhalb von Stunden entwickeln sich Zeichen von Sepsis (kardiovaskuläre Symptome, erythematöses, makulopapulöses Exanthem oder Petechien) und Meningitis.

  • Subakuter Verlauf: Fieber und unspezifische Symptome treten wie bei einem viralen Infekt graduell über mehrere Tage auf. Der eigentliche Beginn der Meningitis lässt sich nur schwierig ausmachen.

Zerebrale Krampfanfälle, vorgewölbte Fontanelle und/oder Trübung des Bewusstseins bis zum Koma treten seltener und eher im weiteren Verlauf auf. Je nach Ort der initialen Entzündung manifestieren sich früh fokale Zeichen wie Paresen der Hirnnerven (v. a. N. III und N. VI), motorische oder sensible Störungen.

7.1 Komplikationen

Sie sind vielfältig und unterschiedlich gravierend: Hirnödem (vasogen und zytotoxisch), erhöhter Hirndruck, Herniation von Gehirn oder Kleinhirn, Bewusstseinsstörung (Somnolenz, Sopor, Koma), zerebrale Krampfanfälle, fokale motorische und sensible Störungen, Paresen der Hirnnerven, Sinusvenenthrombose, Subduraleffusion oder -empyem, Hirnabszess und inadäquate ADH-Sekretion.

7.1 Diagnose

Klinische Untersuchung

Die klinische Untersuchung beachtet vorerst Allgemeinzustand, Kreislauf, Atmung und Haut (Petechien, Exanthem). Darauf folgt die Prüfung von Brudzinski-, Kernig-, Lasègue-, Dreifußzeichen und Kniekuss-Phänomen.

Cave

Je jünger das Kind, desto häufiger fehlt der Meningismus. Neugeborene und Säuglinge zeigen oft nicht die typischen Symptome.

Anamnese

Die Anamnese des Impfstatus (H. influenzae b) oder erfolgter Kontakte mit an Meningokokkeninfektionen oder an Meningitis erkrankten Individuen liefert wichtige Hinweise auf den möglichen Erreger.

Lumbalpunktion

Eine Lumbalpunktion drängt sich bei jedem Verdacht auf Meningitis auf. Sie sollte nicht durchgeführt werden bei:

  • erhöhtem intrakraniellem Druck,

  • fokal neurologischen Zeichen (Indikation zu CT oder MRT!),

  • Herz-Kreislauf-Insuffizienz,

  • Koagulopathie,

  • Infektion an der Punktionsstelle.

Labor

Die Laboruntersuchung umfasst:

  • Liquor: Die Untersuchung des Liquors sichert die Diagnose: Grampräparat und Kultur, Zellzahl und Zelltyp, Antigentest, Glukose- und Eiweißkonzentration, evtl. Laktat (Tab. 15.34),

  • Blut: Kultur, Differenzialblutbild, C-reaktives Protein, Blutgasanalyse, Glukose, Elektrolyte, Gerinnung.

Tab. 15.34  Liquorbefunde bei bakterieller Meningitisa

Cave

Bei Neutropenie fehlt im Liquor trotz Meningitis die Pleozytose!

7.1 Differenzialdiagnose

Verschiedene intrakranielle Prozesse wie Subarachnoidalblutung, Hirnnervenparesen, Abszess, Neoplasie und extrakranielle Prozesse wie zervikale Lymphadenitis, Tonsillopharyngitis, Tortikollis, Retropharyngealabszess, ganz selten Pneumonie, Pyelonephritis, Typhus müssen bedacht werden.

Cave

Meningismus beruht nicht immer auf entzündeten Meningen.

Die Indikation zur Durchführung eines Elektroenzephalogramms und zur Ableitung evozierter Potenziale stellt sich bei zerebralen Krampfanfällen.

7.1 Therapie

Notfallmaßnahmen

Sicherung der Vitalfunktionen durch Stabilisierung von Atmung und Kreislauf und Beginn einer empirischen Antibiotikatherapie (Tab. 15.35 und Tab. 15.36) sofort nach Abnahme diagnostischen Untersuchungsmaterials bilden die Eckpfeiler der initialen Behandlung.

Tab. 15.35  Empirische Antibiotikatherapie bei akuter eitriger Meningitis
Tab. 15.36  Dauer der antibiotischen Therapie in Abhängigkeit des Erregers

Symptomatische Therapie

Vorteile der antiinflammatorischen Therapie mit Dexamethason (0,4 mg/kgKG i.v. alle 12 h während 2 Tagen, erste Dosis 10–15 min vor Gabe des Antibiotikums) sind bisher nur bei der Meningitis durch H. influenzae gut belegt. Krampfanfälle erfordern eine antikonvulsive Therapie mit Phenobarbital (300 mg/m2/Dosis i.v.; Erhaltung 150 mg/m2/Tag). Intensivüberwachung und -therapie haben zum Ziel, sekundäre Schädigungen des Gehirns durch Hypoxie, Hypoperfusion, erhöhten Hirndruck und zerebrale Krampfanfälle zu verhindern. Neben Sicherung von Atmung und Kreislauf spielen adäquate Flüssigkeitszufuhr und -bilanzierung (zur Verhinderung von Hypovolämie mit verminderter zerebraler Durchblutung) eine essenzielle Rolle.

7.1 Prognose

Sie wird von Erreger und Alter des Patienten bestimmt. Spätfolgen treten vermehrt bei Kindern <6 Monaten, hoher Konzentration von Bakterien im Liquor und Patienten mit Krampfanfällen >4 Tage nach Therapiebeginn auf. Häufigste neurologische Folgen sind Hörschädigung durch Labyrinthitis und Entzündung der Kochlea oder des Hörnervs. Die Rate hängt vom Erreger der Meningitis ab (S. pneumoniae 30%, H. influenzae 5–20%, N. meningitidis 10%).

Schwere entwicklungsneurologische Defizite zeigen sich bei 10–20%, leichte neurologische oder Verhaltensstörungen bei 50% der Fälle. Krämpfe können sich bis 8 Jahre nach der Meningitis manifestieren. Die Letalität beträgt 1–8%. Sie ist bei Meningitis durch S. pneumoniae am höchsten.

7.2 Tuberkulöse Meningitis

7.2 Grundlagen

Die Meningitis ist die schwerste Komplikation der Tuberkulose beim Kind.

7.2 Epidemiologie

Die tuberkulöse Meningitis wird als Komplikation bei rund 0,5% der unbehandelten primären Tuberkulose im Kindesalter beobachtet, tritt meist 2–6 Monate nach der initialen Infektion auf, ist selten beim Säugling <4 Monaten und zeigt den Häufigkeitsgipfel im Alter zwischen 6 und 48 Monaten.

7.2 Pathogenese

Früh nach der primären pulmonalen Infektion mit Mycobacterium tuberculosis siedeln sich diese Bazillen nach lymphohämatogener Disseminierung u. a. im zerebralen Kortex an. Lokal bildet sich eine verkäsende Läsion. Sie nimmt an Größe zu und gibt Bazillen in kleinen Mengen in den Subarachnoidalraum ab. Entstehendes Exsudat infiltriert kortikale oder meningeale Blutgefäße. Es folgen Entzündung und Obstruktion mit anschließender Infarzierung der Hirnrinde. Hirnbasis und damit die Hirnnerven III, VI und VII sind oft betroffen. Interferiert das Exsudat mit der Zirkulation von Liquor in den basalen Zisternen, entsteht ein kommunizierender Hydrozephalus. Vaskulitis, Infarkte, zerebrales Ödem und Hydrozephalus bestimmen die Schwere des sich graduell oder schnell ergebenden Schadens. Inadäquat sezerniertes ADH trägt durch Hyponaträmie und Volumenexpansion wesentlich zur Pathophysiologie bei.

7.2 Klinik

Die Symptomatik kann rasch oder graduell auftreten.

Der rasche Verlauf tritt meist bei Säuglingen und Kleinkindern auf; Krämpfe und Hirnödem können mehrere Tage vor dem Hydrozephalus auftreten.

Der graduelle Verlauf ist häufiger; Symptome und pathologische Befunde entwickeln sich über Wochen und können in 3 Stadien eingeteilt werden:

  • StadiumI: Dauer 1–2 Wochen, unspezifische Symptome (Fieber, Schwindel, Kopfschmerzen, Reizbarkeit). Fokale neurologische Zeichen fehlen. Säuglinge können Meilensteine der Entwicklung verlieren.

  • StadiumII: Beginn meist abrupter: Lethargie, Nackensteife, auslösbare Kernig- und Brudzinski-Zeichen, Krämpfe, Hypertonie, Erbrechen, Hirnnervenstörungen und andere fokale Zeichen, manchmal Zeichen von Enzephalitis wie Desorientierung, abnorme Motorik und Sprachstörung.

  • StadiumIII: Gekennzeichnet durch Koma, Hemi- oder Paraplegie, Hypertension, Dezerebrations- oder Dekortikationshaltung, progressive Abnormitäten der vitalen Zeichen und schließlich Exitus letalis.

7.2 Komplikationen

  • Tuberkulom: Es kann paradoxerweise unter effektiver antituberkulöser Therapie auftreten und sich mit unter der Behandlung neu auftretenden fokalen neurologischen Symptomen und Zeichen manifestieren. Ein neu auftretendes Tuberkulom kann einer Immun- oder Entzündungsreaktion entsprechen und muss nicht unbedingt ein Misserfolg der Therapie bedeuten. Kortikosteroide führen zur (oft langsamen) Regression.

  • Zerebrale oder spinale Infarkte bewirken Paresen, fokale neurologische Störungen oder Hirnschlag mit schweren Folgeschäden.

  • Hydrozephalus: Fast immer kommunizierend und mit erweiterten Seitenventrikeln. Die Einlage eines Shunts mag notwendig sein.

  • Tuberkulöse Hirnabszesse: Zerebritis mit wenig Granulombildung, aber mit polymorphnukleären Infiltraten (eher bei immundefizienten Erwachsenen).

7.2 Diagnose

Die rasche Bestätigung kann sich extrem schwierig gestalten:

Liquor

Ziehl-Neelsen- oder Auraminpräparat, Mycobacterium-tuberculosis-Direct (MTD)-Test (molekularbiologischer Nachweis) und Kultur, Zellzahl und Zelltyp, Glukose- und Eiweißkonzentration, evtl. Laktat. Im Liquor finden sich total 10–500 Zellen/µl, anfangs überwiegend polynukleäre, später mononukleäre Zellen. Die Konzentration von Glukose beträgt in der Regel 2,5–4,2 mmol/l (auch <1,8 mmol/l sinkend), die von Eiweiß ist erhöht (>0,4 g/l).

Bildgebende Verfahren

Folgende radiologische Verfahren kommen in Frage: Kraniales CT oder MRT müssen bei Verdacht auf Hirndruck der Lumbalpunktion vorgezogen und immer sowohl nativ wie nach Gabe von Kontrastmittel zur Suche nach Tuberkulomen, basaler Anreicherung mit kommunizierendem Hydrozephalus, Zeichen von Hirnödem und fokaler Ischämie durchgeführt werden. Zur Suche nach Primärkomplex oder Miliaris ist ein Thoraxröntgenbild indiziert.

Tuberkulinhauttest (Mantoux-Test)

Die Hypersensitivitätsreaktion wird ≥48–72 h nach streng intrakutaner Injektion von 2 Tuberkulineinheiten „purified protein derivative“ (PPD) in den volaren Unterarm anhand des Durchmessers der Induration und der Höhe der Infiltration bestimmt. Beim immunkompetenten Kind gilt eine Induration ≥10 mm als positiv.

Erregernachweis

Die notwendigen Untersuchungen sind Ziehl-Neelsen-Färbung und Mikroskopie, MTD-Test und Kultur auf M. tuberculosis. Unter den erwachsenen Kontaktpersonen muss nach der Infektionsquelle gesucht werden.

Cave

Mikroskopisch lassen sich Tuberkelbazillen im Liquor in höchstens 30%, kulturell nur in rund 70% der Fälle nachweisen.

Der Tuberkulinhauttest ist in bis zu 40% der Fälle negativ, das Thoraxröntgenbild in bis zu 50% normal.

7.2 Differenzialdiagnose

Siehe akute bakterielle Meningitis (Abschn. 15.7.1).

7.2 Therapie

Zu den Erstmaßnahmen (Notfallmaßnahmen) gehört die empirische Einleitung einer antituberkulösen Therapie (Tab. 15.37) bei jedem Kind mit basaler Meningitis und Hydrozephalus oder Befall von Hirnnerven ohne andere erkennbare Ätiologie.

Tab. 15.37  Therapie der tuberkulösen Meningitis (bei Resistenzen unbedingt Absprache mit dem Spezialisten)

Kortikosteroide können durch Reduktion von Vaskulitis, Entzündung und intrakraniellem Druck die Letalität und Häufigkeit schwerer Folgeschäden mindern. Prednison wird in 1–2 mg/kgKG/Tag für 4–6 Wochen verabreicht und danach während 2–3 Wochen ausgeschlichen. Pyridoxin wird zur Prophylaxe von Vitamin-B6-Mangel bei Gabe von Isoniazid (Tagesdosis <12 Jahre: 1–3 mg/kgKG; >12 Jahre 25–100 mg) verabreicht. Die symptomatische Behandlung entspricht der der akuten bakteriellen Meningitis (Abschn. 15.7.1).

7.2 Prognose

Die Prognose hängt vom Stadium bei Beginn der Therapie ab (Tab. 15.38).

Tab. 15.38  Prognose der tuberkulösen Meningitis in Abhängigkeit des Stadiums bei Beginn der antituberkulösen Therapie

7.3 Fokale eitrige ZNS-Infektionen

7.3 Grundlagen

Fokale eitrige Infektionen des ZNS sind beim Kind selten. Deren Prognose hängt vom Zeitpunkt der Diagnose und dem Beginn einer adäquaten Therapie ab. Großzügiger Einsatz moderner Bildgebung wie Computertomographie und Magnetresonanz erlauben Früherkennung und Überwachung der Behandlung.

7.3 Epidemiologie

Hirnabszesse kommen in entwickelten Ländern seltener als in Entwicklungsländern vor. Unterschiede im sozioökonomischen Status und in prädisponierenden Faktoren scheinen dafür verantwortlich. In Europa gehen 1/3, in China fast 2/3 der Fälle auf eine Otitis media zurück. Fast ¼ aller Fälle entwickeln sich vor dem 16. Lebensjahr mit Häufung im Alter zwischen 4 und 7 Jahren. Neugeborene erkranken selten an einem Hirnabszess, ausgenommen bei Meningitis durch gramnegative Erreger. Hauptrisikofaktor für subdurales Empysem ist die Meningitis durch H. influenzae b. Mit der Impfung gegen diesen Erreger erfuhren Hirnabszess und Empyem einen markanten Rückgang.

7.3 Ätiologie

Die Frequenzen der am häufigsten isolierten Bakterien sind in Tab. 15.39 aufgelistet.

Tab. 15.39  Prozentuale Häufigkeit einzelner Erreger fokaler eitriger Infektionen im ZNS

7.3 Pathogenese

Vordergründig beim Hirnabszess steht die hämatogene bakterielle Invasion und seltener jene per continuitatem oder direkte Inokulation (Trauma oder chirurgischer Eingriff). Prädisponierend für den hämatogenen Eintritt sind zyanotische angeborene Herzvitien, Ohrinfektionen, Meningitis, Sinusitis, zystische Fibrose, Bronchiektasen und andere Infektionen (dental, orbital, ossär etc.).

Subdurale Empyeme entstehen gewöhnlich durch direkte Ausbreitung der Infektion von den Meningen zur anfänglich sterilen subduralen Effusion (bei jungen Kindern) oder durch Einbruch von Bakterien aus extrakraniellen Prozessen durch die V. emissariae (ältere Kinder). Kranielle Abszesse gehen meist nach Eintritt von Bakterien aus benachbarten Infektionen, spinale Abszesse demgegenüber eher nach hämatogener bakterieller Besiedlung hervor.

7.3 Klinik

Charakteristisch ist der schleichende Beginn der Trias Kopfschmerzen (oft lateralisert), Erbrechen und Fieber. Bald folgen reduziertes Allgemeinbefinden und, je nach Lokalisation des Prozesses, unterschiedliche fokale neurologische Ausfälle. Zerebrale Krampfanfälle und Störung des Bewusstseins manifestieren sich recht häufig.

Cave

Nur 2/3 der Patienten zeigen meningitische Zeichen.

Beim subduralen Empyem als Komplikation einer Meningitis persistieren das Fieber sowie bei Säuglingen die Vorwölbung der Fontanelle. Neue fokale neurologische Symptome sowie erneute Hirndruckzeichen treten trotz adäquater Antibiotikatherapie auf. Kraniale Epiduralabszesse manifestieren sich ähnlich, spinale Epiduralabszesse hingegen meist mit fokalen neurologischen Defiziten.

7.3 Komplikationen

An vorderster Stelle der Komplikationen stehen prolongierte zerebrale Krämpfe, ausgedehnte Blutungen, Durchbruch ins Ventrikelsystem und Schädigung von Hirnparenchym bei chirurgischer Ausräumung.

7.3 Diagnose

Anamnese und gründliche klinische Untersuchung lassen den Verdacht aufkommen. Die Bilddiagnostik mittels Computer- oder Magnetresonanztomographie stellt den Eckpfeiler dar. Die Indikation für weitere Untersuchungen wie Elektroenzephalogramm oder Szintigraphie wird je nach Klinik und Befunden individuell gestellt. Blutbild, Blutsenkungsreaktion und C-reaktives Protein können auf die infektiöse Genese hinweisen.

Cave

Die Liquorpunktion ist wegen möglicher Hernierung des Hirnstamms bei erhöhtem intrakraniellem Druck potenziell gefährlich, selten diagnostisch hilfreich und dadurch in den allermeisten Fällen kontraindiziert.

Den Erregernachweis erbringt die allfällige neurochirurgische Eiterpunktion.

7.3 Differenzialdiagnose

Folgende Krankheitsbilder kommen differenzialdiagnostisch in Betracht: Hirntumor, Enzephalitis, Blutung und Infarkt.

7.3 Therapie

Empirische Antibiotikatherapie (Tab. 15.36) und neurochirurgische Ausräumung des Eiters (evtl. durch mehrmalige Punktionen) müssen sofort erfolgen. Die Antibiotikatherapie wird nach Isolation des Erregers diesem angepasst. Einzig bei Prozessen von <3 cm im Durchmesser kann eine rein konservative Therapie erfolgreich sein. Die minimale Dauer der Antibiotikatherapie beträgt 5–6 Wochen. Der Wert von Steroiden zur Reduktion des Hirnödems bleibt umstritten.

7.3 Prognose

Zerebrale Krampfanfälle, neurologische Ausfälle und Störungen des Verhaltens werden in 30–40%, letale Verläufe in <10% der Fälle beobachtet. Schwere Grundkrankheit, ausgeprägter Hirndruck, Koma und ausgedehnte Zerstörung von Hirngewebe stellen prognostisch ungünstige Faktoren dar.

7.4 Liquorshuntinfektionen

Ventrikuloperitoneale oder ventrikuloatriale Shunts bieten für Bakterien eine geeignete Haftfläche. Sie entstammen meist der Haut und gelangen bei dessen Einlage zum Shunt. Das Risiko für eine bakterielle Kontamination wird durch kombinierte systemische und intrathekale perioperative Prophylaxe gemindert.

7.4 Epidemiologie, Ätiologie

Rund 10–15% der Liquorshunts sind betroffen. Staph. aureus und koagulasenegative Staphylokokken sind häufiger als gramnegative oder anaerobe Bakterien verantwortlich.

7.4 Pathogenese

Der Keim dringt meist bei der operativen Einlage des Shunts ein, haftet an diesem und vermehrt sich in Wochen bis Monaten zu entzündliche Reaktion und zuweilen Dysfunktion des Shunts erzeugenden Quantitäten.

7.4 Klinik

Der Beginn erfolgt häufig schleichend mit subfebrilen Temperaturen, Zeichen des Hirndrucks, Reizbarkeit und Lethargie. Bei gestörter Funktion des Shunts entwickeln sich die Symptome sehr rasch. In seltenen Fällen dominieren Zeichen der Sepsis oder Peritonitis die Klinik.

7.4 Komplikationen

Rezidive kommen vor. Selten entwickeln sich intrazerebrale entzündliche Läsionen, intraabdominale Passagestörungen oder Perforation des Darms oder immunkomplexbedingte Glomerulonephritis.

7.4 Diagnose

Zytologische, biochemische und mikrobielle Untersuchung von Liquor aus dem perkutan punktierten Shunt stellt die diagnostische Methode der Wahl dar. Zusätzliche Blutkulturen und Bestimmung der Entzündungsparameter erweisen sich oft als hilfreich. Die Differenzialdiagnose entspricht jener der akuten bakteriellen Meningitis (Abschn. 15.7.1).

7.4 Therapie

Wenn möglich soll vorerst die In-vivo-Dekontamination mit systemischer und lokaler (Shuntreservoir oder externe Liquorableitung) Antibiotikagabe versucht werden. Führt dies nicht zum Erfolg, muss der Shunt entfernt werden.

7.4 Prognose

Die Letalität bei Shuntinfektion liegt bei <5%.