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Computerspielen als Handeln

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Ethik des Computerspielens

Part of the book series: Techno:Phil – Aktuelle Herausforderungen der Technikphilosophie ((TPAHT,volume 4))

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Zusammenfassung

Bevor man das Handeln in oder mit einem Computerspiel einer handlungstheoretischen Analyse unterzieht, muss deutlich werden, inwieweit dieses Unterfangen überhaupt notwendig ist. Weshalb verdienen Computerspielhandlungen eine eigenständige Untersuchung in ihrer Spezifik? Gleichen sie nicht gewöhnlichen Handlungen? Lässt sich dieser mühsame Schritt auf dem Weg zu einer Ethik des Computerspielens nicht überspringen? Während es im vorigen Kapitel um die Differenz zwischen Computerspielen als Gegenständen und Computerspielen als Tätigkeiten ging, gilt es nun, letztere von gewöhnlichen Handlungen abzugrenzen.

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Notes

  1. 1.

    Vgl. Anscombe 1963, §1/1; Davidson 2002b, 44–47; Henning 2016a, 45–49.

  2. 2.

    Börchers 2018, 120.

  3. 3.

    Ebd., 97.

  4. 4.

    Ebd.

  5. 5.

    Ich verwende den Begriff ‚wirklich‘ oder ‚Wirklichkeit‘, um mich auf die aktuale, sinnlich erfassbare Erfahrungswelt zu beziehen. Spreche ich hingegen von ‚realistisch‘ oder ‚Realismus‘, so meine ich Darstellungsweisen von Fiktionen, die sich (so weit möglich) an der Wirklichkeit orientieren (vgl. Durst 2008, 29–51).

  6. 6.

    Kurioserweise begegnet man der moralischen Gleichsetzung von Spiel-Handlungen und ihren wirklichen Konterparts in alltäglichen, öffentlichen und selbst wissenschaftlichen Diskursen nicht selten. Häufig werden Gefahren wie Potentiale des Computerspielens auf diese Weise zu fundieren versucht. So baut etwa ein Horn des von Morgan Luck konstruierten Gamer’s Dilemma auf der Annahme auf, dass sich die Moralität von Spielhandlungen aus der Moralität ihrer wirklichen Konterparts speise, weswegen wir virtuelle Tötungen ebenso moralisch verurteilen sollten wie virtuelle Pädophilie (das zweite Horn vertritt die entgegengesetzte Position, virtuelle Handlungsweisen seien per se moralisch irrelevant, vgl. Luck 2009, 31f.). Auch wenn diese Behauptung nur ein Horn des Dilemmas bildet, so stellt sie doch ein zentrales Fundament von Lucks Argumentation dar und wird auch in der weitergehenden Beschäftigung mit dem Dilemma als Option sehr ernst genommen (vgl. Bartel 2012; Luck/Ellerby 2013). Die These „In diesem Computerspiel tötet man Menschen!“ ist jedoch in einem essentiellen Sinne ebenso grundfalsch wie „In diesem Computerspiel lernt man, Fußball zu spielen!“. Was auch immer Computerspielhandlungen für Handlungen sein mögen – sie gleichen (in den allermeisten Fällen) weder motorisch noch kontextuell ihren Konterparts in der Wirklichkeit. Jede Ethik des Computerspielens muss dieser elementaren Differenz Rechnung tragen, die auch Daniel Feige anschaulich betont: „[D]er First-Person-Shooter ist selbst dann nicht per se eine andere Weise des Schießens mit Schusswaffen, wenn er im Rahmen von ganz speziellen didaktischen Computerspielen wie America’s Army zum Trainieren des Waffengangs gedacht ist. […] Eine Verwechslung beider Praktiken kommt dadurch zustande, dass man eben nicht auf die Praxis schaut und das, was für sie wesentlich ist, sondern sich vielmehr auf eine Praxis als feststehende und umfassende festgelegt hat, die in Wahrheit außerordentlich exotisch ist“ (Feige 2015, 128). Ein weiteres plastisches (wenn auch leicht überzogenes) Beispiel gibt Jochen Venus: „So wenig wie man die eigenen Fortbewegungskompetenzen trainiert, indem man eine Spielfigur durch dauerndes Drücken der W-Taste auf der Tastatur in der virtuellen Welt nach vorne laufen lässt, so wenig werden in den Szenarien der virtuellen Spiele Konfliktlösungsmodelle trainiert“ (Venus 2018, 336). Kurz: Eigenart und Moralität von Computerspielhandlungen sind nur in Ausnahmefällen auf direktem Wege aus analogen wirklichen Handlungen ableitbar (etwa bei Lernspielen zum Schulfach Mathematik, bei denen man de facto nichts weiter tut als zu rechnen).

  7. 7.

    Absichtlichkeit und Rückführbarkeit auf (einen weiten Begriff von) Körperbewegungen weist Davidson als zentrale intensionale Merkmale von Handlungen aus (vgl. Davidson 2002b). Zu meiner Berufung auf die nicht unumstrittene Handlungstheorie Davidsons hier und im folgenden Verlauf der Untersuchung seien zwei Dinge angemerkt: Erstens gehe ich verstärkt auch auf differierende Auffassungen in der Handlungstheorie ein und werde Davidsons Ansatz letztlich stark modifizieren. Zweitens wird die für Davidson elementare (und am meisten umstrittene) kausale Rolle von Gründen im Folgenden eine eher untergeordnete Rolle spielen, da es mir primär um das Verständnis von Computerspielhandlungen auf normativer Ebene geht. In diesem Kontext sind Davidsons Ausführungen weit weniger strittig – insbesondere dann, wenn man Davidsons spätere Aufsätze zu diesem Thema berücksichtigt, in denen er einige seiner früheren, radikaleren Ansichten revidiert (etwa, dass kausale Erklärungen hinreichend für Handlungserklärungen seien, vgl. Davidson 2002c, oder dass Absichten auf gewöhnliche Wünsche und Überzeugungen reduziert werden können, vgl. Davidson 2002e).

  8. 8.

    Vgl. Davidson 2002a.

  9. 9.

    Dass die ‚Warum-Frage‘ elementar zum Handlungsverstehen ist, ist seit Anscombe in der neueren Handlungstheorie breit etabliert (vgl. Anscombe 1963, §5/9–11; Henning 2016a, 46f.; Börchers 2018, 101f.).

  10. 10.

    Vgl. NE VI 12, 1143a–1143b/210f.; NE VII 5, 1147a/224.

  11. 11.

    NE VI 13, 1144a/214. In der neueren Forschung finden sich zahlreiche unterschiedliche Interpretationen des Obersatzes von Aristoteles’ praktischem Syllogismus. Während dieser für Andreas Luckner aus einer „Präskription besteht (das können subjektive Grundsätze/Maximen, Gebote, allgemeine Normen usw. sein)“ (Luckner 2005, 91), insistiert John McDowell auf einer ‚Nichtkodifizierbarkeit‘ der entsprechenden Prämisse: „[T]he envisaged major premise, in a virtue syllogism, cannot be definitively written down […]: generalizations will be approximate at best“ (McDowell 2002, 67). Anscombe bestimmt den Obersatz praktischen Schließens als ‚intention in action‘: Das Gewünschte als anzustrebendes Gut der Handlung (vgl. Anscombe 1963, §23/45–47; Henning 2016a, 47–49). Davidson verweist ergänzend auf die Form dieses Gewünschten, den Wunsch als Proeinstellung (vgl. Davidson 2002e, 85–89).

  12. 12.

    Vgl. NE VII 5, 1147a/224.

  13. 13.

    NE VI 12, 1143b/211.

  14. 14.

    Ebd.

  15. 15.

    Ebd.

  16. 16.

    NE VI 5, 1140b/200. Beim nicht-tugendhaften Menschen übernimmt diese Rolle die Geschicklichkeit (deinotēs) als Wahl bester Mittel zum Erreichen des gesetzten Zwecks, der – anders als bei der Klugheit – auch verwerflich sein kann (vgl. NE VI 13, 1144a/214).

  17. 17.

    Auch an dieser Stelle differieren die Interpretationen neuerer Zeit. Die gängige Auffassung lautet aber, dass die Konklusion praktischen Schließens im Handeln (und nicht in einem Urteil) besteht (vgl. Luckner 2005, 91; McDowell 2002, 65f.; Henning 2016a, 47f.), was sich auch mit Aristoteles zu decken scheint (vgl. Buddensiek 2016, 12f.).

  18. 18.

    Während Davidson dieser These zustimmen würde (vgl. Davidson 2002a, 11–19) – er verweise lediglich ergänzend darauf, dass neben einer teleologischen Erklärung der Handlung dieselbe auch kausal erläutert werden müsse (vgl. Henning 2016a, 49f.) – bezweifeln andere Autoren die Vereinbarkeit beider Erklärungsansätze (vgl. Börchers 2018, 100–110).

  19. 19.

    Ich werde zum Beispiel nicht auf Davidsons Überlegungen bezüglich Prima-Facie-Urteilen und seine Konzipierung des Willens (vgl. Davidson 2002d) oder auf reine Absichten (vgl. Davidson 2002e) eingehen.

  20. 20.

    Davidson 2002e, 85.

  21. 21.

    Ebd., 85f.

  22. 22.

    Ebd., 87.

  23. 23.

    Ebd.

  24. 24.

    Vgl. Davidson 2002d, 36–39; Davidson 2002e, 98f.

  25. 25.

    Davidson 2002e, 99.

  26. 26.

    Ebd., 96.

  27. 27.

    Ebd., 99.

  28. 28.

    Börchers 2018, 110. Für Anscombe zu diesem Punkt vgl. Anscombe 1963, §51/90f.

  29. 29.

    Obwohl Davidson darauf besteht, dass eine vollständige Handlungserklärung erst durch die Angabe des primären Grundes als Angabe von Proeinstellung und Überzeugung gegeben ist, lässt er auch differierende Varianten gelten – etwa die bloße Nennung eines Wunsches. Diese impliziere nämlich, so Davidson, stets die Existenz eines primären Grundes (vgl. Davidson 2002a, 6–8).

  30. 30.

    Ebd., 4.

  31. 31.

    Vgl. Henning 2016a, 51–54.

  32. 32.

    Vgl. Davidson 2002a, 12–19.

  33. 33.

    Vgl. Davidson 2002f; Davidson 2002g.

  34. 34.

    Davidson 2002a, 3.

  35. 35.

    Mit Anscombe kann man hier von der intention in action oder intention with which sprechen, die als abschließende Antwort der ‚Warum-Frage‘ das erstpersonale Gut der Handlung bestimmt (vgl. Anscombe 1963, §23–§26/37–47; Henning 2016a, 45–49; Börchers 2018, 100–110).

  36. 36.

    Frankfurt 1971, 8.

  37. 37.

    Nicht nur inhaltlich steht dies letztlich in Einklang mit Davidsons Überlegungen, sondern auch terminologisch deutet er eine ähnliche, entscheidende Funktion des Willens an (vgl. Davidson 2002d, 35). Die zentrale explanatorische und normative Relevanz der ersten Prämisse eines praktischen Syllogismus betont schon Anscombe (vgl. Anscombe 1963, §23–§26/37–47; Henning 2016a, 47f.).

  38. 38.

    Davidson 2002a, 3.

  39. 39.

    Halbig 2016, 137.

  40. 40.

    Entsprechend versteht auch Anscombe die zweite Prämisse eines praktischen Syllogismus als Benennung der „Mittel […], die der Handelnde unmittelbar ergreifen kann“ (Henning 2016a, 47).

  41. 41.

    Es handelt sich hierbei um die Abwandlung eines Beispiels von Joel Feinberg (vgl. Feinberg 1965, 146), das auch Davidson diskutiert (vgl. Davidson 2002b, 55). Beide Autoren bezeichnen das Phänomen, ein und dieselbe Handlung mehr oder weniger ausgeschmückt beschreiben zu können, als ‚Akkordeoneffekt‘.

  42. 42.

    Man wird vielleicht einwenden, dass „Klaus kontraktiert seine Muskeln“ die Handlung in einem minimaleren Sinne beschreibe als „Klaus bewegt seine Hand“. Dies trifft in einem basalen Sinne natürlich zu. Aber im Rahmen des praktischen Syllogismus, also im Rahmen der Handlungsbegründung, geht es um diejenige Minimalbeschreibung, unter der die Handlung absichtlich ausgeführt wurde. Und im Gegensatz zu Klaus’ Handlung als Muskelkontraktion, die nur in absoluten Ausnahmefällen (wenn überhaupt) eine erstpersonal angemessene Handlungsbeschreibung darstellt, wird die Handbewegung in jedem denkbaren Szenario absichtlich von Klaus ausgeführt. Die Beschreibung von Handlungen als Körperbewegung bildet also vielleicht nicht die prinzipiell minimalste Beschreibung derselben, wohl aber die minimalste Formulierung, die sie als absichtlich auszeichnen kann (vgl. Davidson 2002d, 50–52). Falls Muskelkontraktion in irgendeinem exotischen Szenario diese Rolle einnehmen sollte, dann spricht nichts dagegen, sie in diesem Fall als Minimalbeschreibung und ipso facto als Körperbewegung aufzufassen. Wie Davidson verstehe auch ich Körperbewegungen in einem weiten Sinne, sodass etwa auch geistige Handlungen (wie das Berechnen von Gleichungen oder diverse Fälle von Unterlassungen) als solche gezählt werden (vgl. Davidson 2002b, 49).

  43. 43.

    Davidson 2002b, 49.

  44. 44.

    Ebd.

  45. 45.

    Vgl. Anscombe 1963, §26/45–47; Henning 2016a, 46f.; Börchers 2018, 102–104. Um ein letztes Mal über die kausale Rolle von Gründen zu sprechen: Auf eine ‚Warum‘-Frage bezüglich des Grundes einer Handlung wird naturgemäß mit einer ‚Weil‘-Antwort reagiert. Dieses Verhältnis zwischen Grund und Handlung impliziert eine kausale Relation, was an Davidsons Überlegungen hinsichtlich der Doppelfunktion praktischer Syllogismen deutlich wurde: „Central to the relation between a reason and an action it explains is the idea that the agent performed the action because he had the reason“ (Davidson 2002a, 9) – der beste Kandidat zur Erläuterung dieses ‚because‘ ist Kausalität; eine logische Konklusion aus Prämissen kann keine Relation von Ereignissen, sondern nur von Aussagen erläutern. Die Explikation dieses Kausalverhältnisses mit physikalischem Vokabular ist aber für das Handlungsverstehen als Rationalisierung wie gesagt auch für Davidson nicht entscheidend (vgl. ebd., 15–17).

  46. 46.

    Vgl. Börchers 2018, 102–104.

  47. 47.

    In diesem Zusammenhang betont auch Börchers, „dass alle Überlegungen, die darauf hinaus gehen, das Problem des ungeklärten Wirklichkeitscharakters von Computerspielen reduktiv zu klären, indem behauptet wird, dass man, wenn man Computer spielt, in einem eigentlichen Sinn oder ‚in Wirklichkeit‘ nicht mehr tut, als mit dem Programm-Code zu interagieren oder Nullen und Einsen zu verschieben oder physikalische Zustände im Prozessor und den Speicherchips des Computers zu verändern, von vornherein hoffnungslos sind“ (Börchers 2018, 111).

  48. 48.

    Ebd., 114.

  49. 49.

    Ebd.

  50. 50.

    Freilich existieren einige Computerspiele, die nicht auf Knopfdruck reagieren, sondern auf Gestik, Bewegung oder Sprache. Das ändert allerdings nichts an meiner handlungstheoretischen Analyse im Ganzen. ‚Knöpfedrücken‘ sei in diesen Fällen schlicht durch eine alternative spielsteuernde Körperbewegung ersetzt. Die Bestimmung von ‚Knöpfedrücken‘ als Minimalbeschreibung typischer Computerspielhandlungen unterstreicht ein interessantes Spezifikum derselben: Jedem Spieler ist die Minimalbeschreibung seiner Handlung als Knöpfedrücken sofort ersichtlich. Es verkörpert das wesentliche Mittel von Spielern, ihre (Spiel-)Zwecke zu erreichen. Eine minimalere Beschreibung – als Finger- oder Handbewegung etwa – scheint uns beim Spielen ‚zu nah‘ zu sein, um als zweite Prämisse im praktischen Syllogismus fungieren zu können (vgl. ebd., 111). Was bei Klaus’ Lüften die Beschreibung als Muskelkontraktion ist, ist bei den allermeisten Computerspielhandlungen die Beschreibung als Fingerbewegung.

  51. 51.

    Ebd., 114.

  52. 52.

    Prominent betonen schon Juul und Tavinor die elementare Rolle der Fiktion mit Blick auf Computerspiele. Juul bezeichnet Computerspiele als ‚half-real‘ und verweist damit auf deren Doppelnatur zwischen ‚wirklichen Regeln‘ und fiktiven, imaginierten Ereignissen: „Video games are a combination of rules and fiction. Rules are definite descriptions of what can and cannot be done in a game, and they provide challenges that the player must gradually learn to overcome. Fiction is ambiguous – the game can project more or less coherent fictional worlds that the player then may imagine“ (Juul 2005, 197). Auch Tavinor betont diesen Zusammenhang, allerdings nimmt hier physische Interaktion den Platz der ‚wirklichen Regeln‘ von Juul ein: „Videogames, because of their robust and contingent digital media, are interactive fictions in two senses: their props engage players in an ongoing physical interaction, and they allow the player to fictionally step into an imaginary world“ (Tavinor 2009, 33). Obwohl beide Autoren zurecht auf die Bedeutsamkeit der Fiktion und ihre wichtige Beziehung zur Imagination des Spielers verweisen, sind sie zu unpräzise, wenn es um die Rolle der Wirklichkeit und deren konstitutiven Zusammenhang zur Fiktion geht. Ich würde erstens bezweifeln, dass die ‚wirkliche‘ Seite von Computerspielen hinreichend durch ‚wirkliche Regeln‘ oder ‚physische Interaktion‘ erläutert werden kann. Zweitens sollten Computerspiele und Computerspielhandlungen grundsätzlich nicht als diffuse ‚Mischwesen‘ aus Fiktion und Wirklichkeit verstanden werden. Dagegen muss vielmehr deutlich werden, inwiefern Computerspiele und Computerspielhandlungen mit einer Terminologie des Fiktionalen bzw. des Physikalischen angemessen beschrieben werden können und welche Erträge die jeweiligen Erklärungsmuster für das in Frage stehende Phänomen bringen (siehe die Abschnitte 2.2.2, 2.2.3 und 3.2.1).

  53. 53.

    Eine Handelnde muss in irgendeiner Form wissen, was sie tut. Und dieses Wissen bestimmt die Handlung. Das hebt insbesondere Anscombe unter Rekurs auf praktisches Wissen hervor (vgl. Anscombe 1963, §45/82f.; Henning 2016a, 54; Börchers 2018, 104–106), aber auch Davidson greift diesen Aspekt im Rahmen seiner Besprechung von Überzeugungen auf (vgl. Davidson 2002e, 91–96). In den diskutierten Fällen weiß Maria zwar jeweils, dass sie gewinnt, das Wissen darum, wie sie den Sieg erringt, ist allerdings je nach Situation ganz verschieden und wirkt sich auf ihre Rationalisierung aus. In diesem Zusammenhang ließe sich einwenden, dass die Fälle nicht identisch seien, weil sich die Bedeutung von ‚Gewinnen‘ in den Beispielen unterscheide und Maria je nach Fall etwas ganz Anderes erreichen wolle. So ist erste Bedeutung von ‚Gewinnen‘ genuin spielintern und allein auf einen spielerischen Sieg bezogen. Dieses Gewinnen kann somit nur beim Spielen gewollt werden. In der zweiten Bedeutung kann das Gewinnen auch außerhalb eines Spiels gewollt werden, weil es hier primär um den Wunsch nach Überlegenheit gegenüber einem Kontrahenten geht. Um die diskutierten Beispiele analog zu halten, sei also angenommen, dass für Maria in jedem Fall die zweite Lesart von ‚Gewinnen‘ im Zentrum steht, die innerhalb wie außerhalb des Spielens gewollt werden kann. Somit unterscheidet nach wie vor allein der Bezug zur Fiktion – und nicht der Wille Marias – die Fälle. Ich danke Sebastian Ostritsch für den Hinweis auf die unterschiedlichen Lesarten.

  54. 54.

    Meine oftmals synonyme Verwendungsweise von ‚Spiel(en)‘ und ‚Computerspiel(en)‘ in dieser Untersuchung deutet an, dass die zentralen Erkenntnisse meiner Analyse nicht nur für Computerspiele, sondern für Aktivitäten des Spielens allgemein geltend gemacht werden können. Ich kann auf diese Vermutung nicht tiefer eingehen, glaube aber, dass sie wahr ist. Für kritische Leser sei meine Verwendung von ‚Spiel(en)‘ stets als ‚Computerspiel(en)‘ verstanden.

  55. 55.

    Ich setze den Begriff ‚abstrakt‘ in Anführungszeichen, wenn ich mich damit auf die Darstellungsform eines ästhetischen Gegenstandes beziehe; in diesem Sinne können etwa auch Gemälde oder Filme ‚abstrakt‘ (oder kitschig oder realistisch usw.) sein. Ohne Anführungszeichen verwende ich den Begriff, wenn ich mich auf den ontologischen Status von Entitäten beziehe; in diesem Sinne sind beispielsweise Zahlen abstrakt. Bei der Diskussion in der Spieleforschung, ob Tetris fiktional oder bloß ‚abstrakt‘ sei, wird sich vorrangig auf die erste Lesart bezogen. Warum sollte aber das Attribut ‚abstrakt‘ das Attribut ‚fiktional‘ ausschließen? Diesbezüglich vertrete ich – entgegen der gängigen Auffassung, Tetris und ähnlich ‚abstrakte‘ Computerspiele bildeten keine Fiktionen (vgl. Juul 2005, 130–133; Tavinor 2009, 24) – einen breiten Fiktionsbegriff, der Spiele jeglicher Art als fiktionale Werke versteht, denn jedes Spiel konstituiert qua Spiel eine Realitätsebene, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt und auf die man sich einlassen muss, um wahrhaft spielen zu können: eine fiktionale Ebene, bestimmt durch Spielregeln statt durch Naturgesetze (auf meinen Fiktionsbegriff werde ich in Abschnitt 3.2.1 vertiefend eingehen).

  56. 56.

    KdU, B 28/132.

  57. 57.

    Ebd.

  58. 58.

    Ebd., B 29/132.

  59. 59.

    Schiller 2013, 15. Brief/60.

  60. 60.

    Huizinga 2015, 17.

  61. 61.

    Ebd., 48.

  62. 62.

    Hierauf verweist überzeugend auch Börchers (vgl. Börchers 2018, 117f.).

  63. 63.

    Das semantisch potentiell streitbare Postulat eines ‚Spielens in Reinform‘ ist unter anderem wegen des weiten Bedeutungsspektrums des deutschen Begriffs ‚Spiel‘ kaum zu vermeiden. Im Englischen lässt sich zumindest zwischen ‚game‘ und ‚play‘ unterscheiden, was in der weitergehenden Forschung auch getan wird: „Danach steht play für die Intensität und Expressivität des Spiels, sein Vermögen, toll zu machen, während games demgegenüber eine institutionalisierte Struktur bezeichnen, in der sich play entfalten kann, aber nicht muss, […] denn im Gegensatz zu play können games ohne Bezug auf die Spielenden, ihre Wahrnehmungen, Erfahrungen, Leidenschaften, verhandelt werden“ (Adamowsky 2018, 34). Diese Unterscheidung ist zwar nicht völlig deckungsgleich mit meinen Ausführungen zu virtuellen Handlungen und reinen Spielhandlungen; schon deshalb nicht, weil es mir dezidiert um Handlungen geht und die Unterscheidung zwischen game und play zwischen der Bedeutung von Spiel als Gegenstand und Spiel als Handlung oszilliert. Nichtsdestotrotz könnte die Differenzierung für meine Unterscheidung zwischen der Reinform des Spielens (letztlich: fiktionalen Handlungen) und virtuellen Handlungen fruchtbar gemacht werden. Virtuelle Handlungen wären dann eher mit game und reine Spielhandlungen eher mit play zu identifizieren: ‚Gamende‘ Spieler agieren auf beobachtbare und nachvollziehbare Weise in der Wirklichkeit, ihre Handlungszwecke sind auch ohne Bezug auf die Fiktion oder spezifische Spiel-Erfahrungen verständlich. Sie wollen gewinnen, sie wollen Spaß haben, sie wollen Herausforderungen bewältigen. Ihre Handlungen sind ohne größere Schwierigkeiten analysierbar, denn sie können ohne Bezug auf das Spielgeschehen beschrieben werden. ‚Playende‘ Spieler hingegen bewegen sich außerhalb des gewöhnlichen Geschehens und handeln in einer spezifischen Weise innerhalb der Spielwelt, die es noch zu ergründen gilt.

  64. 64.

    Der Fall ist etwas konstruiert, denn typischerweise fungiert der Wunsch, ein Computerspiel zu spielen, stets als eine Art übergeordnete Proeinstellung, die erst zur Tätigkeit des Spielens veranlasst, was dann wiederum im Verlauf des Spielens differenziertere spielinterne Weisen der Beschreibung zulässt.

  65. 65.

    Schon Tavinor verweist auf den wichtigen Unterschied zwischen Virtualität und Fiktion, baut diese Unterscheidung aber (insbesondere mit Bezug auf ethische Überlegungen) nicht weiter aus (vgl. Tavinor 2009, 44–52). Beispiele für Virtualität ohne Fiktion (ergo: außerhalb des Spielhandelns, also keine virtuellen Handlungen im hier definierten Sinn) sind digitale Simulationen zur Ausbildung von Piloten oder Marias Knöpfedrücken auf Anweisung ihrer Schwester.

  66. 66.

    Walton führt ausführlich und überzeugend aus, in welchem Sinne wir Emotionen gegenüber fiktiven Figuren empfinden können (vgl. Walton 1978a), worauf ich später in diesem Kapitel noch eingehen werde. Mit Blick auf Computerspiele liefern Bernd Bösel und Sebastian Möring einen guten Überblick über die Rolle von Affekten (vgl. Bösel/Möring 2018).

  67. 67.

    Walton 1978a, 5f.

  68. 68.

    Das darf nicht zu stark gelesen werden. Natürlich finden sowohl in Charles’ als auch in Marias Fall physische Interaktionen statt: Charles sieht den Schleim, weil Lichtwellen auf sein Auge treffen, wodurch in seinem Hirn bestimmte Neuronen aktiviert werden, die das auslösen, was wir ‚Angst‘ nennen. Und Marias Handlung wurde hinsichtlich der Codeebene bereits besprochen. Physische Interaktionen finden also mit (der physischen Grundlage von) Fiktionen statt. Aber: Diese physikalische Beschreibung des Geschehens bringt keinen Ertrag zum Verständnis der mentalen oder fiktionalen Situation – wir verstehen noch weniger, warum Charles vor Lichtwellen Angst haben sollte, als vor der Darstellung eines Monsters. Und Marias Torschuss wird als solcher durch den Verweis auf die Tätigkeit des Knöpfedrückens oder wechselnde Binärcodes nicht verständlich. Eine physikalische Terminologie ist schlicht ungeeignet, um mentale (vgl. Davidson 2002f; Davidson 2002g) oder fiktionale Phänomene in ihrer Spezifik zu erläutern (siehe Abschnitt 3.2.1).

  69. 69.

    Walton 1978a, 6.

  70. 70.

    Vgl. ebd.

  71. 71.

    Um Missverständnissen vorzubeugen sei an dieser Stelle betont, dass Walton mit der Bezeichnung ‚Quasi-Emotionen‘ nicht auf eine extensional eigenständige Klasse von Emotionen referiert. Ebenso wenig verstehe ich Quasi-Handlungen bzw. fiktionale Handlungen als extensional eigenständige Klasse von Handlungen. Worum es Walton und mir geht, ist eine terminologische Präzisierung auf intensionaler Ebene, um die Phänomene angemessen beschreiben und normativ bestimmen zu können. Es geht nicht um ein ‚Entdecken‘ physikalisch neuartiger Ereignisse, sondern um eine begriffliche Differenzierung bereits bekannter.

  72. 72.

    Ebd., 10. Ich verwende in Anschluss an Walton ‚fiktive Welt‘ als einen sehr weiten Begriff, der weder hinreichend durch den Verweis auf kontrafaktische Welten erläuterbar ist (diese Position vertritt etwa David Lewis, vgl. Lewis 1978) noch zu eng als eine narrativ strukturierte, ‚erzählte Welt‘ verstanden werden sollte (unter anderem vertritt Tavinor diese Position, vgl. Tavinor 2009, aber auch in der Literaturwissenschaft ist diese Auffassung verbreitet, vgl. Martinez/Scheffel 2012, 22–28). Meines Erachtens kann jedes Computerspiel (als fiktionales Werk) eine fiktive Welt konstituieren: ein von der Wirklichkeit getrenntes Realitätssystem, mit dem Spieler auf dem Bildschirm konfrontiert werden und das eigenen Regeln folgt sowie elementar durch Lückenhaftigkeit gekennzeichnet ist (worauf ich in Abschnitt 3.2.1 vertiefend eingehen werde). Diese Auffassung begegnet dem Vorwurf, den Begriff der Fiktion über zu strapazieren, etwa bezüglich des simplen Computerspiels Tetris: „Tetris does not seem to be a fiction, because it is no part of that game that we imagine a corresponding fictional world; arguably, the game is just comprised of the real manipulation of virtual representations or symbols on a screen“ (Tavinor 2009, 24). In dieselbe Kerbe schlägt auch Börchers, indem er Tetris als ‚semantisch flach‘ bestimmt, da man hier beim Spielen „schlicht das tut, was man eben tut: Das Spiel bietet keine andere Beschreibungsweise an“ (Börchers 2018, 112). Ich stimme zu, dass Tetris als Spiel nahelegt, man würde beim Spielen bloß „herunterfallende Klötze drehen und möglichst in Lücken schon gestapelter Klötze versenken“ (ebd.). Aber erstens kann diese Beschreibung durchaus als fiktional verstanden werden; physikalisch ist sie jedenfalls nicht, schließlich stapelt man beim Spielen von Tetris nicht wirklich Klötze. Zweitens muss diese Handlungsbeschreibung gar nicht die dominante beim Spielen von Tetris sein. Das Spielen von Tetris lässt qua Handlung durchaus unterschiedliche Beschreibungsweisen neben der offensichtlichen zu. Es könnte etwa von einem phantasievollen Kind als effizientes Packen eines Koffers verstanden werden. Grundsätzlich scheint nichts gegen eine solche Handlungsbeschreibung zu sprechen, die das entsprechende Kind erstpersonal als vernünftig auszeichnen würde. Ob und inwiefern diese Beschreibung Tetris als Gegenstand angemessen wäre, ist eine andere Frage – mir geht es primär um die Handlungen der Spieler und deren Beschreibungen, die sich im Falle fiktionaler Handlungen auf fiktive Welten beziehen, die essentiell von Spielerinnen (mit-)konstruiert werden.

  73. 73.

    Vgl. Walton 1978a, 10–12.

  74. 74.

    Ebd., 22. Analog ist Marias Quasi-Torschuss keine spezielle Art wirklicher Torschüsse (und ein Quasi-Mord kein wirklicher Mord), sondern sie macht sich glauben, ihre Handlung sei ein Torschuss.

  75. 75.

    Ebd., 21.

  76. 76.

    Ebd., 23. Dem ist freilich nicht so, wenn wir völlig vergessen, dass wir mit einer Fiktion konfrontiert sind. Erstpersonal befinden wir uns dann nämlich nicht länger in einer fiktionalen Handlungssituation; es findet kein make-believe statt. Dieser Fall dürfte allerdings extrem selten, wenn nicht undenkbar sein – für ein solches, ‚Hirn-Im-Tank‘-artiges Eintauchen in die Fiktion müssten die medialen und technischen Voraussetzungen vollkommen unsichtbar sein.

  77. 77.

    Die Eigenarten unterschiedlicher Beschreibungsvarianten von Handlungen mittels physikalischer und mentaler Terminologien ist inspiriert von Davidsons entsprechenden Überlegungen zum anomalen Monismus (vgl. Davidson 2002f; Davidson 2002g). Es ist allerdings nicht notwendig, Davidsons Ausführungen in diesem Kontext voll zuzustimmen, um meinen Überlegungen zur fiktionalen Terminologie zu folgen. Wichtig ist an dieser Stelle lediglich, dass physikalische Beschreibungen auf physische und mentale Beschreibungen auf geistige Entitäten referieren – und entsprechend fiktionale Beschreibungen auf fiktive Entitäten. Auf die spezifischen Eigenarten des Fiktiven wird in Abschnitt 3.2.1 vertiefend eingegangen.

  78. 78.

    Die ebenso möglichen physikalischen Beschreibungsvarianten als Fingerbewegungen, Muskelkontraktionen oder Codeverschiebungen wurden aus bereits hinreichend erläuterten Gründen ausgelassen (als erhebliche Reduktionen liefern sie noch weniger Erklärungsleistung als die Beschreibung als Knöpfedrücken).

  79. 79.

    Alternative Beschreibungsvarianten wären vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen: „Maria imaginiert, ein Tor zu schießen“ oder „Maria tut so, als ob sie ein Tor schießt“ oder „Maria macht sich glauben, dass sie ein Tor schießt“. Um ein Missverständnis zu vermeiden: ‚Mental‘ meint hier nicht, dass diese Beschreibungsvariante diejenige ist, die ‚im Geiste‘ der Akteurin präsent ist. In diesem Sinne ‚mental‘ (oder schlicht: geistig) sind alle drei Beschreibungsvarianten, da sie je als Wille einer Handlung fungieren können. ‚Mental‘ betont in diesem Kontext vielmehr die Differenz zu einer physikalisch-nomologischen Beschreibungsvariante auf der einen und einer fiktional-ästhetischen Beschreibungsvariante auf der anderen Seite (auf den Zusammenhang zwischen Fiktion und Ästhetik werde ich in Abschnitt 3.2.1 eingehen). Dieser Sinn von ‚mental‘ ist übernommen von Davidsons Ausführungen (Davidson 2002f; Davidson 2002g). Alle drei Beschreibungsvarianten bezeichnen ontologisch im Grunde denselben type – Ereignisse – betonen aber je andere Aspekte derselben: kausale, normative oder imaginative.

  80. 80.

    Es gilt an dieser Stelle die Begründungsrichtung zu beachten: Nicht die Handlungsbeschreibung bestimmt den Inhalt der Absicht, sondern umgekehrt. Der Quasi-Operator zeigt zwar an, dass die beschriebene Handlung eine fiktionale Handlung ist, dass also Maria nicht wirklich ein Tor schießt, sondern dies bloß imaginiert. Er ist aber nicht der Grund dafür, dass wir es hier mit einer fiktionalen Handlung zu tun haben. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, dass jede fiktionale Handlungsbeschreibung einen Quasi-Operator enthält und sich deshalb nicht auf die Wirklichkeit bezieht. Sondern darum, dass sich kein fiktionales Handeln auf die Wirklichkeit bezieht und deshalb adäquat mit einem Quasi-Operator formalisiert werden muss. Ich danke Tim Henning für ein Nachhaken an dieser Stelle.

  81. 81.

    Walton 1978b, 21.

  82. 82.

    Huizinga 2015, 31.

  83. 83.

    Ebd., 33.

  84. 84.

    Die kategorische Trennung von fiktional und fiktiv geht auf die Literaturwissenschaft zurück, hat sich im philosophischen Diskurs allerdings noch nicht durchgesetzt: „[Z]wischen dem Fiktiven als einer Eigenschaft des Dargestellten und dem Fiktionalen als einer Eigenschaft der Darstellung [ist, S.U.] zu unterscheiden“ (Kablitz 2008, 15).

  85. 85.

    Vgl. Kripke 2014, 108. Dieses Merkmal fiktiver Entitäten wird in Abschnitt 3.2.1 nochmal aufgegriffen.

  86. 86.

    Ich verwende in dieser Untersuchung einen weiten Begriff von ‚Imagination‘. Es fällt darunter nicht nur freies bildhaftes Vorstellen ohne Grundlage im Sinne des Fantasierens, sondern auch vergleichsweise geringe kognitive Leistungen, wie das Pixelgeschehen auf dem Bildschirm als stattfindende Ereignisse und Handlungen wahrzunehmen. Jedes Medium erfordert diese Minimalleistung der Einbildungskraft, um das Dargestellte (das ‚Was‘) über die physische Grundlage der Darstellung (das ‚Wie‘) hinaus begreifen zu können; das Bezeichnete in den Zeichen zu sehen. Hierauf und auf verschiedene Ausprägungen von Imagination bezüglich Fiktionen wird in Abschnitt 3.2.1 vertiefend eingegangen.

  87. 87.

    Luckner/Ostritsch 2018, 45.

  88. 88.

    Ebd. Wenn ich in diesem Buch den Begriff ‚ontologisch‘ verwende, beziehe ich mich standardmäßig auf das ‚Was- und Wie-Sein‘ einer Entität. Differierende Verwendungsweisen im Sinne des ‚Dass-Seins‘ werden markiert. Zu dieser Unterscheidung führen Luckner und Ostritsch aus: „[W]ir haben zwar hinsichtlich des Was-(und auch des Wie-)Seins eine Pluralität der Differenzen und Differenzierungsmöglichkeiten vor uns, dagegen wird ‚Existenz‘, ‚Dass-Sein‘, in allen möglichen Fällen gleichbedeutend ausgesagt – oder […]: univok. Unabhängig von den Unterschieden hinsichtlich dessen, was oder wie etwas ist, ist in Bezug auf die Existenz alles Seiende gleich“ (ebd., 7).

  89. 89.

    Börchers sieht das anders. Um den ‚Bruch‘ zwischen Fiktion und Wirklichkeit im Spielhandeln zu klären, führt er die Spielfigur als eigenständig handelnde Entität ein: „Wenn […] Beschreibungen im Sinne des Spielgeschehens ihrem Gehalt nach über die Beschreibung einer Aktivität auf dem Computer hinausgehen, wird zur Beschreibung der Handlung eine Differenzierung zwischen Spieler und der Spielerfigur nötig, wobei Letzterer eigene Fähigkeiten und eigenes praktisches und theoretisches Wissen zugeschrieben werden müssen“ (Börchers 2018, 121). Ich finde diesen Ansatz aus zwei Gründen problematisch. Erstens spricht mit Ockhams Rasiermesser Einiges dagegen, eine weitere Entität zur Klärung des vorliegenden Phänomens einzuführen, deren Integrierung nicht notwendig ist: Es ist möglich, jegliche Computerspielhandlung von Maria ohne Verweis auf willentlich agierende Spielfiguren zu erklären. Zwar betont Börchers, dass die Spielfigur lediglich eine intensionale und keine extensionale Neueinführung sei, allerdings wird dadurch nicht verständlicher, wieso wir der Spielfigur ‚eigene Fähigkeiten‘ und ‚praktisches Wissen‘ zuschreiben sollten – als elementare Eigenschaften von Personen. Dadurch verschärft Börchers zweitens das Problem, statt es zu lösen: Nun müssen wir nicht mehr nur die Handlung einer Akteurin, der Spielerin, erklären, sondern auch noch die Handlung der Spielfigur und die Relation zwischen Spielfigur und Spielerin. Plötzlich haben wir zwei Handelnde, nicht nur eine, und es ist nicht ohne Weiteres klar, wie nach wie vor Maria als die eigentliche Akteurin verstanden werden kann. Mein Ansatz sieht das Phänomen einerseits differenzierter, indem zwischen virtuellen, fiktionalen und fiktiven Handlungen unterschieden wird. Andererseits löse ich das Problem effektiver, indem ich fiktive Handlungen seitens Spielfiguren von wirklichen Spielhandlungen seitens Personen absondere.

  90. 90.

    Huizinga 2015, 22.

  91. 91.

    Ebd., 30. Dieses Verhältnis von Spiel und Spieler kann psychologisch mit dem englischen Begriff ‚Involvement‘ erfasst werden und unterschiedlich stark ausgeprägt sein (vgl. Neitzel 2018). Das Phänomen der vollkommenen Identifikation mit dem fiktiven Spielgeschehen wird in den Game Studies mit dem Begriff der ‚Immersion‘ umschrieben, der Rezeptionsprozesse bezeichnet, „bei denen Rezipienten in medial vermittelte fiktive Welten ‚eintauchen‘“ (Fahlenbach/Schröter 2015, 168), was nichts anderes heißt, als dass „die Differenz zwischen medial vermitteltem Inhalt und unmittelbar erlebter Außenwelt für sie nicht vorhanden ist“ (Günzel 2012, 73). Wobei sich einer gänzlich lückenlosen Immersion, die den Spieler die Wirklichkeit (als übergeordnete Rahmenbedingung seines Handelns) vollständig vergessen ließe, de facto wohl nur angenähert werden kann.

  92. 92.

    Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass Red Dead Redemption 2 im Gegensatz zu Mario Kart 8 und Tetris narrativ strukturiert ist und die dadurch konstituierte erzählte (und nicht bloß fiktive) Welt „narratives, temporales, emotionales und soziales Involvement“ (Neitzel 2018, 228) ermöglicht. Aber auch der grafische Realismus scheint für das Präsenzerleben eine Rolle zu spielen (vgl. Fahlenbach/Schröter 2015, 169; McMahan 2003, 75f.).

  93. 93.

    So beschreibt etwa Jeremy Bailenson, neben zahlreichen anderen Beispielen, die Begegnung mit einem grafisch dürftigen, fiktiven Spiegelbild in der Virtual Reality wie folgt: „In 1999, the mirror was farily low-tech – a user’s reflection was a clunky, robotic avatar, and only rotated its head and moved back and forth without having any hand or leg movements. But it still created a powerful effect. With enough time in VR, that clunky body began to feel like your body“ (Bailenson 2018, 85). Der Grund für diesen starken Identifikationseffekt in der Virtual Reality liegt unter anderem in der elementaren Bedeutung des ‚Tracking‘ (Synchronisation von Körperbewegung und digitaler Bewegung) für das Präsenzerleben: „What are the five most important aspects of VR technology? The punch line: Tracking, Tracking, Tracking, Tracking, and Tracking“ (ebd., 22).

  94. 94.

    Freilich ist eine Spielfigur vorstellbar, die fiktiv quasi-handelt, doch stellt dies selbstverständlich keine Form wirklichen Quasi-Handelns dar. Jegliche (Quasi-)Handlung im eigentlichen Sinne ist (wirklichen) Personen vorbehalten.

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Ulbricht, S. (2020). Computerspielen als Handeln. In: Ethik des Computerspielens. Techno:Phil – Aktuelle Herausforderungen der Technikphilosophie , vol 4. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-62397-8_2

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