Umweltgift

Kriminell durch hohe Bleibelastung
Mittwoch, 09.09.2015 | 11:34
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dpa Der Zusammenhang zwischen hoher Bleibelastung und Kriminalität ist bewiesen

Wenn Babys hohen Mengen von Blei ausgesetzt sind, erhöht das ihr Risiko, als Erwachsene gewalttätig zu werden. Denn das Schwermetall hemmt die Hirnentwicklung.

Die gefährlichen Auswirkungen des Nervengifts auf Hirnstruktur, Intelligenzentwicklung und Verhalten sind schon länger bekannt, wurden jedoch nun erstmals in Langzeitstudien untersucht. Zwei US-Wissenschaftlerteams der Cincinnati University im US-Bundesstaat Ohio präsentieren ihre Forschungsergebnisse im Online-Journal „PLoS Medicine“.

Kim Dietrich und seine Kollegen verglichen die Bleibelastung Ungeborener und von Babys in armen Gegenden Cincinnatis mit der lokalen Verbrechensentwicklung. Zwischen 1979 und 1984 untersuchten sie die Blutwerte von 376 Schwangeren aus besonders bleibelasteten Stadtvierteln, wo die Häuser mit alten Bleiwasserrohren ausgestattet waren und die Wände oft mit bleihaltiger Farbe gestrichen waren. Anschließend kontrollierten sie regelmäßig das Blut von deren Neugeborenen, bis die Kinder sechseinhalb Jahre alt waren.

Bis zur Endphase nahmen 250 der Kinder an der Studie teil. Anhand der lokalen Kriminalstatistik untersuchten die Forscher, ob die Probanden zwischen ihrem 18. Lebensjahr und dem Oktober 2005 straffällig wurden. Das Ergebnis: Tatsächlich bestand ein Zusammenhang zwischen den Bleiwerten und den höheren Kriminalitätsraten sowie häufigeren Gefängnisaufenthalten. Das Risiko der Kinder, deren Bleiwerte im Alter von sechs Jahren je 5 Millionstel Gramm (ug) Blei pro Deziliter Blut betrug, später im Gefängnis zu landen, stieg um rund 50 Prozent.

Dauerhaft gehemmte Hirnentwicklung

Dazu passen die Ergebnisse, die das Neurologenteam um Kim Cecil ebenfalls von der Cincinnati-Universität ermittelte: Sie untersuchten mit bildgebenden Verfahren die Hirnstrukturen von 157 jungen Leuten zwischen 15 und 17, die in stark bleibelasteten Haushalten aufgewachsen waren. Es zeigte sich, dass den Gehirnen der Jugendlichen an bestimmten Stellen Volumen fehlte – und zwar umso mehr, je stärker die Bleibelastung als Baby gewesen war. Betroffen waren vor allem Regionen, die für die Handlungsorganisation, das Treffen von Entscheidungen, die Steuerung des Verhaltens und die Feinmotorik verantwortlich sind. Generell waren Jungen von diesem Volumenverlust stärker betroffen als Mädchen.

David Bellinger von der Harvard Medical School in Boston nennt dies in einem Kommentar ein „deutliches Warnsignal“. Frühzeitige Bleibelastung, so der Wissenschaftler, hemme die Hirnentwicklung dauerhaft. „Selbst wenn der Beitrag von Blei zum späteren Gefängnisrisiko ein geringer sein sollte, ist er im Gegensatz zu den meisten anderen Kriminalitätsrisiken einer, von dem wir wissen, wie wir ihn leicht abstellen können“, fügt er hinzu.

Bleileitungen auch in Deutschland

Blei und Bleiverbindungen sind giftig. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie über den Mund, die Atemwege oder die Haut in den Körper gelangen. Wer das Schwermetall über längere Zeit aufnimmt, wird blass, schwach, müde und leidet an Appetitlosigkeit. Koliken und Erbrechen deuten auf eine akute Bleivergiftung hin, die im schlimmsten Fall auch zum Tod führen kann. Weitaus häufiger gibt es schleichende Schäden. Insbesondere bei Kindern kann die geistige Entwicklung zurückbleiben. Einige Bleiverbindungen erregen auch Krebs.

Vor allem in Nord- und Ostdeutschland wurden nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) Bleileitungen noch bis Anfang der 1970er-Jahre eingebaut. Dort lasse sich der aktuelle Trinkwassergrenzwert für Blei in Höhe von 25 µg/L (Millionstel Gramm pro Liter) nicht überall einhalten. Von 1. Dezember 2013 an werde der Grenzwert auf 10 µg/L gesenkt. „Es gibt deutliche Hinweise, dass knapp drei Prozent der Haushalte mit Drei- bis 14-jährigen Kindern diesen künftigen Grenzwert nicht einhalten“, schreibt das UBA und rät, alte Bleileitungen zu ersetzen.

cb/PLoS Medicine/dpa
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