Hyperbolische Türme

Statikfan
2 min readDec 20, 2022

Liebe Leserinnen und Leser,

heute werden wir historisch und möchten mit dem Russen Wladimir Grigorjewitsch Schuchow einen herausragenden Pionier der Leichtbaukunst würdigen, der im ausgehenden 19. Jahrhundert die Hyperboloid-Konstruktionsweise entwickelte. Nach seinen Entwürfen wurden in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts etwa 200 Gittertürme und Antennenmasten und fast genauso viel Brückenkonstruktionen verwirklicht. Die Konstruktionsweise zeichnet sich dadurch aus, dass auf einer Kreislinie zwei Gruppen parallel angeordneter Stäbe gegeneinander verdreht werden, so dass die Türme ihre hyperbolische Form bekommen. Ihre Taille erinnert an heutige Kühltürme.

Hyperbolische Türme

Ihre Tragfähigkeit ist auch heute noch unerreicht. Viele von Schuchows Stahlfachwerktürmen sind heute vom Verfall bedroht, wobei ihr mitgenommener Zustand gleichzeitig ein Zeugnis ihrer Robustheit und Widerstandskraft ist. So wurde ein Hochspannungsmast entdeckt, der sich mit 24 von ursprünglich 40 Füßen noch aufrecht hielt, d.h. er stand noch, obwohl 40% seiner Verankerung fehlten. Den ersten hyperbolischen Gitterturm präsentierte Schuchow 1889 auf der Allrussischen Ausstellung in Nischni Nowgorod. Der Eiffelturm hatte ein paar Jahre zuvor einen Turmbau-Boom ausgelöst. Ein weiterer bekannter Turm ist der Leuchtturm in der Dnjepr-Mündung, der 1911 errichtet wurde. Das bekannteste Werk ist aber wahrscheinlich der 160 m hohe Schuchow-Radioturm in Moskau. Er war ursprünglich mit einer Höhe von 350 m und einer Stahlmenge von 2200 Tonnen geplant. Er sollte also gut 15% höher als der Eiffelturm werden bei nur einem knappen Viertel des Stahlverbrauchs. Aus Kosten- und Ressourcengründen wurde er 1922 letztlich deutlich kleiner gebaut. Anfang der 2010er Jahre war der Turm vom Abriss bedroht, was durch einen Protestbrief internationaler Denkmalpfleger verhindert werden konnte. 2015 wurde der Antennenmast entfernt, was den Turm 10 m kleiner machte. Seit 2017 läuft eine Projektplanung zur Sanierung des Turms. Die von Schuchow entwickelte Bauweise wurde Vorbild für viele auch künstlerisch anspruchsvolle Bauwerke, so die Dachkonstruktion des Münchener Olympiastadions oder des 600 m hohen CantonTowers im chinesischen Guangzhou

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