Kuriose Verhandlung wegen Tempoverstoß

„Sie vertreten Nazi-Gesetze“

Ein seltenes Bild im Hersbrucker Amtsgericht: Bewaffnete Polizisten sicherten vorsichtshalber die mehr als ungewöhnliche Verhandlung. Foto: Strauss2014/07/5_2_1_2_20140707_JUSTIZ.jpg

HERSBRUCK – Eigentlich ist Horst P. (Name geändert) „nur“ zu schnell gefahren. Doch so etwas hat Richter Dr. Edmund Sandermann selten erlebt: Ein Angeklagter, der weder ihn noch die deutsche Justiz und schon gar nicht die Bundesrepublik Deutschland anerkennt. „Sie vertreten Nazi-Gesetze“, ruft Horst P. quer durch den Gerichtssaal. Es ist ein mühsamer Prozess am Hersbrucker Amtsgericht.

Mit 170 statt der erlaubten 100 Stundenkilometer rast Horst P. am 3. Mai 2013 über die A9. Weil es dem Geschäftsmann aus Baden-Württemberg nicht schnell genug geht, überholt er einige Autos auch noch von rechts. Bei Lauf werden zwei Zivilbeamten der Verkehrspolizei Feucht auf ihn aufmerksam. Sie verfolgen den 62-Jährigen und halten ihn am Autobahnrastplatz Brunn an.

Doch statt eines Personalausweises zeigt Horst P. den verdutzten Polizisten ein Fantasiedokument des „Amts für Menschenrechte“. Der 62-Jährige gehört der Weltanschauungsgemeinschaft „Zentralrat Europäischer Bürger“ an. Sie vertritt die Auffassung, dass die Judikative der Bundesrepublik sich nicht an die Menschenrechte hält. Für die Mitglieder gelten noch die Grenzen des Deutschen Reiches von 1937, die BRD sei kein Staat, sondern ein Wirtschaftsunternehmen. Häufig werden die Angehörigen dieser Gruppe im Volksmund als „Reichsbürger“ bezeichnet.

Eklat vor Gericht

1300 Euro Bußgeld soll Horst P. schließlich für seine Raserei blechen. Da er die deutschen Gesetze aber nicht anerkennt, zahlt er nicht. Es kommt im Januar zum Prozess vor dem Hersbrucker Amtsgericht – und damit zum Eklat: Horst P. hat seinen Unterstützerkreis mitgebracht, möchte ihn als Rechtsbeistand einsetzen. Richter Dr. Edmund Sandermann lehnt ab und vertagt die Sitzung.

Beim Nachholtermin rechnet das Hersbrucker Amtsgericht wieder mit einem Aufmarsch des Unterstützerkreises und hat deshalb vorsichtshalber zwei Justizbeamten in den Gerichtssaal beordert. Vor der Tür warten fünf weitere Beamte der Hersbrucker Polizei. Eine Sicherheitsmaßnahme, die am kleinen Hersbrucker Gericht sonst nur selten notwendig ist. Sogar einige Mitarbeiter sitzen mit im Zuhörerraum, sie wollen sich den spektakulären Fall nicht entgehen lassen.

Schon vor der Tür schnauzt Horst P. seinen Pflichtverteidiger an, den er wegen der „Nazi-Gesetze“, die dieser vertrete, ablehnt: „Wenn wir da jetzt reingehen, dann sagen Sie kein Wort!“ Der Anwalt bleibt gelassen. Auch, als sich Horst P. demonstrativ nicht neben ihn setzt, sondern während der ganzen Verhandlung lieber stehen bleibt.

Als Richter Dr. Sandermann die Personalien überprüft, leugnet der 62-Jährige seinen bürgerlichen Namen, er sei außerdem Staatsangehöriger des Volksstaates Württemberg. „Ich bin nur ein Mensch“, sagt Horst P. gebetsmühlenartig immer wieder und deutet auf den leeren Stuhl neben seinem Pflichtverteidiger, „da sitzt die juristische Person Horst P.“ Es ist schwer einzuordnen, ob der Angeklagte das, was er da sagt, ernst meint, ob er an einer psychischen Erkrankung leidet oder das Gericht einfach nur veräppeln will. Auch der zu Rate gezogene Gutachter tut sich mit einem Urteil schwer, weil Horst P. schlicht nicht mit ihm kooperieren will.

Dieser fordert lieber hartnäckig ein Dokument über die Gründung der BRD und eines, das beweist, dass Richter Dr. Sandermann überhaupt über ihn urteilen darf. Es kursiert auch der Steckbrief einer Gerichtsmitarbeiterin im Internet. Darin wirft der ebenfalls dubiose „Gerichtshof der Menschen“ der Frau unter anderem Amtsanmaßung, Nötigung und Hochverrat vor. Wegen ähnlicher „Vergehen“ fordert Horst P. vom Amtsgericht Hersbruck mittlerweile auch mehrere Millionen Euro. Er bekomme natürlich keinen Cent, sagt Dr. Sandermann kopfschüttelnd.

Polizisten unter Eid

Als die beiden Polizisten, die ihn im Mai 2013 angehalten haben, im Saal 105 aussagen, will Horst P. ihre Dienstausweise sehen und sie schließlich sogar unter Eid schwören lassen, dass sie Beamte sind. Der Richter bleibt ruhig, genehmigt den Antrag der Form halber, lässt die beiden Polizisten schließlich aber unvereidigt. „Weil das zur Wahrheitsfindung nicht erforderlich ist.“

Da reicht es einem der Kumpanen im Zuhörerraum: Was sich der Richter erlaube, will er wissen. Er wird des Saales verwiesen. Als zwei Beamten seine Personalien aufnehmen wollen, stellt sich heraus, dass er nur einen abgelaufenen Ausweis hat.

Drinnen im Saal 105 versucht der Gutachter, etwas über den Angeklagten herauszufinden: „Warum haben Sie früher ihre Bußgeldbescheide anstandslos bezahlt und jetzt nicht mehr? – „Jetzt kenne ich meine Rechte“, sagt Horst P., ohne den Gutachter anzusehen. – „Wie kam es dazu?“, will der wissen. – „Aufwachen“, sagt der Angeklagte knapp. Der Experte tut sich schwer, ein Urteil zu fällen, aber er hält Horst P. für schuldfähig. Weil er nach Auffassung des Gerichts nicht vorsätzlich, sondern nur fahrlässig zu schnell gefahren ist, lautet das Urteil: 650 Euro Geldbuße und drei Monate Fahrverbot. Trotzdem will der Richter den Fall nicht herunterspielen: „Wer sich nicht an unsere Gesetze und damit auch nicht an die Verkehrsregeln hält, ist eine Gefahr für andere.“ Ob Horst P. tatsächlich zahlt und sich an das Fahrverbot hält, ist mehr als fraglich. Er bleibt stur: „Sie können nicht über mich urteilen.“

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