Wo Gustav Schickedanz Madeleine ausführte

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HERSBRUCK – Am kommenden Donnerstag, 11. November, 19.30 Uhr, stellt der Autor Professor Dr. Wolfgang Lottes in der Hersbrucker Buchhandlung Lösch sein Werk „Im Hause Schickedanz“ vor. Die Biografie über seine Mutter Emilie widmet sich in weiten Teile der Familiengeschichte von Gustav und Grete Schickedanz. Denn Emilie Lottes war zeitweilig die Hauslehrerin der älteren Tochter Louise, die Freundschaft mit der Unternehmerfamilie blieb bis in die 90er Jahre erhalten.

Der emeritierte Professor für englische Literatur und Kultur, der in London und Süddeutschland lehrte, hat das wechselreiche Leben seiner Mutter aufgeschrieben, so wie sie es ihm vor einigen Jahren erzählt hat. Darüber hinaus verfügt er über zahlreiche Bilddokumente, weil sein Vater schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein begeisterter Fotograf war. Für die freundschaftliche Verbindung seiner Mutter Emilie Lottes zur Familie Schickedanz finden sich in den Fotoalben viele Belege: Stolz flaniert Gustav Schickedanz im Juli 1939 mit Hauslehrerin Lottes durch Karlsbad. Scheinbar unbeobachtet führt dieser Herr gut zehn Jahre später sein Töchterlein Madeleine durchs Hersbrucker Sommerfest. Beide Male ist der Unternehmer mit Anzug, Hut und Einstecktüchlein unterwegs. Ein anderes Foto zeigt Madeleine Schickedanz als Schulmädchen mit der typischen Scheitelfrisur der 50er Jahre.

Dass Emilie Lottes, als Tochter eines Schneiders 1913 in Nürnberg geboren, später eine enge Freundin der Unternehmerfamilie würde, ist in der Zeit des 1. Weltkriegs nicht vorauszusehen. Denn reich sind die Eltern nicht. Aber weil Emilie gut lernt, darf sie aufs Mädchenlyzeum und — dank eines Stipendiums der Stadt Nürnberg — sogar studieren.

Zu ihren Jugendfreundinnen gehört Irene Benario, eine Enkelin von Ignaz Bing. Der jüdische Blechspielfabrikant und Entdecker der Streitberger Tropfsteinhöhle bekommt die Anfeindungen der Nationalsozialisten früh zu spüren. Zum einschneidenden Erlebnis für die junge Emilie wird der Tag, als ihre Freundin Irene sie bittet, sie nicht mehr zu besuchen: „Dein Umgang mit uns könnte für dich gefährlich werden; wir sind hier nicht mehr erwünscht.“ Erst in den 70er Jahren finden die zwei Frauen wieder zueinander.

1938, ein Jahr vor Kriegsbeginn, beendet Emilie ihr Lehramtsstudium. Sie wird — ohne in die NSDAP einzutreten — Lehrerin in Fürth und traut sich auch der Tochter des NS-Kreisleiters mal eine Fünf (damals schlechteste Note) zu erteilen, wenn die es verdient hat.

Neben ihrem Job in der Schule wird Emilie ab 1937 zugleich Hauslehrerin für Louise Schickedanz, Tochter aus erster Ehe von Gustav Schickedanz. Louise muss infolge eines Autounfalls, bei der ihre Mutter umkam, mit verkrümmter Wirbelsäule lange zu Hause bleiben.

Richtiger Ton

„Noch wichtiger als die schulische Betreuung erschien allerdings die psychologische“, schreibt Lottes. „Louise war durch ihre Krankheit und den frühen Verlust der Mutter ein in sich gekehrtes, verletzliches Mädchen… Meine Mutter traf offenbar genau den richtigen Ton, mit dem sie Zugang zu dem ,schwierigen Kind , dessen Vertrauen und lebenslange Sympathie gewann.“

Einen engen Kontakt entwickelt die Privatlehrerin im Hause Schickedanz auch zu Grete Lachner, die als Lehrmädchen in die Firma kommt und dann bei Quelle zur zweiten Frau Schickedanz aufsteigt. „Mit der Natürlichkeit und dem Charme ihres Wesens bezauberte sie ihre Umgebung von Anfang an. Grete kam aus sehr einfachen Verhältnissen“, so Lottes: „Da sie um die Härte des Existenzkampfs und die Nöte kleiner Leute wusste, war sie ihr Leben lang eine Kämpferin für Gerechtigkeit, eine Anwältin der Schwachen. Für die Sorgen der Betriebsangehörigen hatte sie auch als Chefin stets ein offenes Ohr.“

Die Haltung von Gustav Schickedanz zum Nationalsozialismus behielt Emilie Lottes, die heute in einem Heim in Neumarkt lebt, als pragmatisch, aber distanziert in Erinnerung. Schickedanz wird im Interesse seiner Firma Parteimitglied, auch Gauleiter Julius Streicher ist mal in der Dambacher Villa zu Besuch: „Edle Weine und Champagner standen bereit; erst spät brachte man in Erfahrung, dass des Gauleiters Lieblingsgetränk Himbeersaft war, und der musste dann in aller Eile beschafft werden.“

Im vertrauten Familienkreis aber empört sich Schickedanz über die Behandlung der Kirchen durch die Nazis. „Einige Male beauftragte er meine Mutter, zu den französischen Arbeitern zu sprechen, die mehrere Jahre lang bei der Quelle beschäftigt waren; er wollte ihnen das Gefühl geben, dass sie sich mit ihren Anliegen jederzeit an ihn wenden konnten, ohne nationale Ressentiments zu befürchten.“

In der Kriegszeit dann wird auch bei den Schickedanz heimlich der Feindsender BBC gehört. „Bei einem Spaziergang im Garten des Hersbrucker Ausweichdomizils im Jahr 1943 vertraute Grete meiner Mutter an, dass sie in den Saum ihres besten schwarzen Kleides ein paar Goldstücke eingenäht hatte für eine eventuelle plötzliche Flucht.“

Madeleines Kinderwagen

Mit Madeleine Schickedanz, 1943 geboren, hat Buchautor Lottes eine originelle Verbindung: Er „erbt“ als Baby 1944 den prachtvollen Korbkinderwagen Madeleines, samt Babyausstattung und Spielsachen. Den Wunsch von Gustav Schickedanz, Mutter Lottes solle auch die Erziehung von Madeleine übernehmen, muss Emilie Lottes jedoch abschlagen. Sie will sich um ihren eigenen Sohn kümmern und wird nach dem Krieg Lehrerin in Neumarkt — wo eine Freundschaft der Familie Lottes mit dem Kollegen-Ehepaar Max und Rosa Fischer entsteht, den Eltern des berühmten Bildhauers Lothar Fischer, dem Neumarkt ein Museum gewidmet hat. Louise Schickedanz sah in ihrer einstigen Hauslehrerin lebenslang eine enge Vertraute, mit der sie auch private und familiäre Sorgen besprach. Als Emilie Lottes überlegt, ihren Sohn Wolfgang nach dem Abi bei Quelle unterzubringen, rät ihr Liesl Kießling, Schwester von Gustav Schickedanz, klar davon ab: „Warum wollen Sie Ihrem Sohn das antun? So ein Betrieb frisst einen doch auf.“

Auch mit Grete Schickedanz, der Mutter von Madeleine, bleibt Emilie in Verbindung und ist immer wieder Gast der Familie in Dambach. Wolfgang Lottes abschließend zum Kapitel Schickedanz: „Selten habe ich meine Mutter so bedrückt erlebt wie 1994, als im Abstand von zwei Monaten Louise und Grete Schickedanz starben.“

Lesung am Donnerstag, 19.30 Uhr, bei Lösch, Kartenreservierung unter Tel. 09151 / 1666.

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