Teil 1

 

1. Grundlagen technischer Art

1.1. Allgemeines:

1.1.1 Organisatorisches:
1.1.2 Seminarüberblick:

1.2. Was ist Neurolinguistik?

Die Neurolinguistik ist kein Teilbereich der Linguistik, der sich in das obige Schema einordnen ließe. Vielmehr ist sie eine biologisch-medizinisch orientierte Form, Sprachwissenschaft zu betreiben; d.h. sie bedient sich nicht nur der Kenntnisse der Sprachwissenschaft, sondern verbindet diese mit einem Wissen über medizinisch-biologische Zusammenhänge, um Defizite in der Sprachverarbeitung zu erklären und klinisch zu behandeln. Sie ist somit eine sehr stark praxisorientierte Art, Linguistik zu betreiben.
Die Neurolinguistik versucht, sprachliche Phänomene mit Hilfe von neuronalen Netzen zu erklären. Diese neuronalen Netze bestehen aus Nervenzellen, die alle nach dem gleichen Prinzip funktionieren und miteinander vernetzt sind. Dieses Modell des neuronalen Netzes entstammt der Biologie bzw. der Biophysik und baut auf der Entdeckung auf, dass bestimmte (sprachliche) Funktionsschwierigkeiten sich durch Läsionen und Abbauphänomene des Gehirns erklären lassen.
Eine Modellierung solcher Dysfunktionen, oder überhaupt des Funktionieren des Gehirns, ist schwierig; auf jeden Fall wissen wir, daß das Gehirn nicht wie ein Computer funktioniert. Während der Computer eindeutig zwischen "Hardware" und "Software" trennen kann (und somit eine weitgehende Unabhängigkeit zwischen diesen beiden Komponenten besteht), verändert sich im menschlichen Gehirn im Rahmen JEDER Form von Aktivierung (z.B. durch Lernprozesse) auch die "Hardware". Dies gilt natürlich auch umgekehrt: Durch eine Veränderung der Grundstrukturen im Gehirn wird auch das nun ausgeführte "Programm" verändert.
Beruflich bietet sich mit der Zusatzqualifikation "Neurolinguist" die Möglichkeit, als Sprachtherapeut zu arbeiten. Besonders wichtig für die spätere berufliche Laufbahn sind ein oder mehre Praktika als parallele Form der Qualifikation, die in einer Klinik, einer Praxis oder einer Arbeitsgruppe im Neurolab absolviert werden können. Zur Qualifikation als Neurolinguist sind mindestens ein dreimonatiges Praktikum oder drei einmonatige Praktika Vorraussetzung.


2. Die Semiotik (Zeichenlehre)

2.1. Grundlagen

Die allgemeine Zeichenlehre wird als Semiotik bezeichnet. Die Sprachwissenschaft ist ein Teil der allgemeinen Zeichenlehre; sie befasst sich ganz konkret mit den sprachlichen Zeichen.
Die älteste Definition des Zeichenbegriffes geht zurück auf Aristoteles: "Aliquid stat pro aliquod" ("Etwas steht für etwas anderes"). Ein Zeichen ist danach also ein Wirklichkeitsausschnitt (eine Lautkette, ein graphisches Gebilde,...), der für einen anderen Wirklichkeitsausschnitt (einen Gegenstand, ein Gefühl, ein Abstraktum,...) steht. Dieser Zusammenhang zwischen Zeichen und dem Bezeichneten entsteht nur durch die Interpretation eines semiotischen Subjektes, d.h. eines Menschen der z.B. einem bestimmten Ausschnitt der Realität ein Zeichen zuordnet. Außerdem ist die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Wirklichkeitsausschnitt, auf den es verweist, einseitig oder "gerichtet". Dies bedeutet ganz konkret, dass zum Beispiel die Bewegung von Blättern für den Wind stehen kann, nicht aber umgekehrt der Wind für eine Bewegung der Blätter (denn das ist höchstens eine Teilfolge des Windes). Was das sprachliche Zeichen angeht, so kann die Laut- bzw. Buchstabenkette STUHL einen realen Stuhl repräsentieren, aber das reale Gebilde aus Holz, Metall usw. mit vier Beinen, einer Sitzfläche und einer Lehne kann natürlich nicht für die Laut-/Schriftform stehen. Der reale Stuhl ist das Bezeichnete, die Laut-/Buchstabenfolge "S-t-u-h-l" das Bezeichnende, das Zeichen.

2.2. Index-Ikon-Symbol

Der amerikanische Philosoph und Semiotiker Charles Sanders Peirce ist einer der Begründer der Semiotik als eigener wissenschaftlicher Disziplin. Eine seiner Erkenntnisse war, dass nicht alle Zeichen in gleicher Beziehung zum Bezeichneten stehen. Er unterscheidet deshalb drei verschieden Typen von Zeichen:

2.2.1. Indexikalische Zeichen (Pl. Indices)

Ein indexikalisches Zeichen ist eine kausale Folge dessen, was es bezeichnet. In diesem Sinne könnte man auch sagen: Es ist ein Teil des Bezeichneten. Beispiele hierfür sind z. B. Rauch als Zeichen für Feuer (das Feuer ist die Ursache des Rauches), die heiße Stirn als Zeichen für Fieber / Krankheit (auch hier besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Fieber und der heißen Stirn), gelbes Laub als Zeichen des Herbstes – etc.

2.2.2. Ikon

Ein ikonographisches Zeichen / Ikon ist ein (stilisiertes) Abbild dessen, wofür es steht; es hat Abbildfunktion. Ein solches Abbild enthält gegebenenfalls nur noch einen stark reduzierten Teil der Informationen des Bezeichneten; da es aber auf einer strukturellen Ähnlichkeit zu diesem Bezeichneten basiert, ist es dennoch erkennbar. Das gilt z. B. für viele Verkehrsschilder: Auf dem "Achtung, unbeschrankter Bahnübergang ! " - Schild ist ein altmodischer Zug auf Gleisen abgebildet; auf dem Schild, das Rad- oder Fußwege als solche ausweist, sind Fahrrad und Fußgänger abgebildet. Auf einem Restaurantschild ist normalerweise ein Messer wiedergegeben, das mit einer Gabel gekreuzt ist.
Wir werden weiter unten sehen, daß es in der Schriftsprache Schriftzeichen gibt, wie sie z.B. in der chinesischen Bilderschrift verwendet werden, die nichts mit unserem Alphabet und dessen Buchstaben zu tun haben; solche Bildschriftzeichen sind ebenfalls ikonographische Zeichen.

Wie sehen solche Bildschriftzeichen aus? Im folgenden sind drei Beispielezu sehen, die wir nach Vorlagen imitiert haben:

Dabei sollen Bilder wie das oberste die Sonne wiedergeben, stehen aber auch für "Tag" und "Licht" (je nach Kontext) und auch etwa für "Wahrheit". Ein Zeichen wie das zweite soll einen Baum abbilden, und zwei Bäume stehen dann für "Wald".

Hier ein historisches Beispiel für solche Schriftzeichen, - die untenstehende Graphik bildet die Bronzeschrift aus dem chinesischen Mittelalter ab. Jedes Zeichen ist eine stilisierte Abbildung dessen, was es darstellt, wobei sich im Rahmen der Entstehungsgeschichte die Zeichen von einem direkten Abbild teilweise recht weit weg entwickelt haben:

wpeB.jpg (43959 Byte)

2.2.3. Symbol

Das Symbol lässt sich nur negativ beschreiben und kann somit als eine "Papierkorbkategorie" bezeichnet werden. Es hat weder eine Abbildfunktion, noch besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Bezeichneten und dem Zeichen. Ein Symbol ist ein rein willkürliches (arbiträres) Zeichen, das in der Regel mit dem Wirklichkeitsausschnitt, den es abbildet, nichts gemeinsam hat. Beispiele hierfür sind das "Vorfahrtstraße"-Schild oder das "Allgemeine Gefahrenstelle"-Schild: Es gibt keine irgendwie in der realen Erscheinungsform des bezeichneten Sachverhalts liegende Ursache, warum gerade dieses Zeichen und nicht irgendein anderes für die bezeichnete Sache steht; und es gibt in der Regel auch keinerlei Abbildbeziehung (Ausnahmen bei sprachlichen Zeichen später).
Bei Symbolen ist die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem konventionell festgelegt. - Die Symbole bilden die größte und wichtigste Gruppe von Zeichen. Zu ihnen gehören alle sprachlichen Zeichen (auch die gleich unten als Ausnahmen definierten Fälle).
Eine gewisse Ausnahme wären etwa abbildende Bildschriftzeichen, wie sie z.B. die ägyptischen Hiroglyphen ganz am Anfang oder die chinesischen Bildschriftzeichen waren bzw. sind. Einige Sprachwissenschaftler verweisen auch auf die sog. Onomatopoetika, das sind lautmalende Wörter ("Kikerikie", "Ding-Dong", "Wau Wau" etc.). Diese Ausdrücke haben (in Resten) noch abbildende Aspekte. Daß dennoch auch sie ein gutes Stück weit willkürlich sind (und die Abbildqualität nur noch in Resten vorhanden ist), fällt spätestens dann auf, wenn man bedenkt, daß es zwar in den verschiedensten Nationalsprachen lautmalende Ausdrücke für die oben genannten Beispiele gibt, diese aber von Sprache zu Sprache verschieden sind ("Kikerikie" "heißt" auf Englisch z. B. "Cocadodledoo" etc.). Ein weiteres Beispiel für sprachliche Ausdrücke mit einem Rest von ikonoscher Qualität ist der deutsche Plural. In Wörtern wie Haus/Häuser ist die Form des Plurals länger als die des Präsens, und drückt somit indirekt aus, dass es sich hier um "mehr" handelt. Das ist in anderen Pluralformen wie Bruder/Brüder jedoch nicht der Fall. - In Kreolsprachen findet oft eine Doppelung des Wortes im Singular statt, um den Plural auszudrücken.
Es gibt in der modernen Linguistik eine Richtung, die Natürlichkeitstheorie, die solche ‚motivierten‘ Aspekte sprachlicher Zeichen (Abbildqualitäten) zum Gegenstand macht. Solche (im angedeuteten Sinne ‚motivierten‘) sprachlichen Zeichen sind zumindest rezeptiv leichter zu verarbeiten; sie sind – so die Natürlichkeitstheorie – ‚natürlicher‘ als nicht-motivierte bzw. –motivierbare sprachliche Zeichen.

Exkurs: Kausalität ist nicht an Motivationen, Zielvorstellungen usw., kurz an die Intentionen eines handelnden Subjekts gebunden. Ein Schlüssel, den wir von einer höheren Position als Bodenniveau loslassen, wird zwangsläufig auf den Boden fallen. Aufgrund der Schwerkraft kann er nicht anders. - Nur die Ursache von Sachverhalten kann mit einer "Warum"-Frage erfragt werden. Bsp. Der Schlüssel ist auf den Boden gefallen. WARUM? Weil ich ihn losgelassen habe, weil er der Schwerkraft unterworfen ist. Sobald ein handelndes Subjekt involviert ist und eigene Entscheidungen fällt, kann eine Erklärung nur die Antwort auf eine "Wozu"-Frage sein. Bsp. Ein Mann rennt in Richtung Haltestelle. WOZU? Um die Straßenbahn noch zu erreichen. Er hätte genauso die Wahl gehabt, früher loszugehen - oder aber langsam zu schlendern und auf die nächste Verbindung zu warten. – Zeichen (auch ein Index) bekommen ihre Zeichenqualität immer nur von einem semiotischen (nämlich Zeichen-verstehenden) Subjekt; trotz der Kausalität (Index) oder Abbildqualität (Ikon) braucht es zusätzlich das interpretierende, verstehende Subjekt. Bei Symbolen (im Sinne der Semiotik) – und so auch bei einem symbolisch verwendeten Index oder Ikon - gilt zusätzlich, daß hier ein Zeichen als Zeichen intendiert ist. Entsprechend kann ich Symbole bzw. den Gebrauch von Symbolen nicht kausal, sondern nur intentional erklären.

Exkurs 2: Bei den Indianern wurden Rauchzeichen zum Weiterleiten von Nachrichten verwendet. In diesem Falle war der Rauch nicht nur einfach ein Index für Feuer, sondern zugleich wurde er symbolisch – und damit intentional orientiert – eingesetzt.

2.3. Sprachliche Zeichen als Symbole / Zur Konventionalität sprachlicher Zeichen

Sprachliche Zeichen sind unbeschadet gewisser ikonischer Qualitäten generell zunächst einmal Symbole (siehe dazu schon oben).
Wie wir gesehen haben sind Symbole (und symbolisch gebrauchte Indizes und Ikone) konventionell (siehe auch dazu schon weiter oben). Wie aber entstehen solche Konventionen, die z. B. festlegen, daß in einer bestimmten Sprache eine bestimmte Sache durch eine bestimmte Lautkette gekennzeichnet ist? Natürlich nicht durch irgendwelche förmlichen Absprachen, bei denen sich die Sprachbenutzer am runden Tisch auf einen Ausdruck einigen. Lewis hat sich ausführlich mit dieser Frage beschäftigt. Er geht davon aus, daß Konventionen durch sich wechselseitig bestätigende Erwartungen und darauf aufbauende Handlungen entstehen.
In einer Kommunikationssituation verwendet beispielsweise einer der Partner ein dem Anderen unbekanntes Wort. Aus dem Satzzusammenhang kann sich der Andere die Bedeutung jedoch erschließen. Tritt die Verbindung zwischen diesem Zeichen und seiner Bedeutung nun mehrfach auf, so wird der Hörer oder Leser erwarten, daß das immer der Fall ist und über kurz oder lang diesen Begriff ebenfalls verwenden, um jenen Sachverhalt auszudrücken.

2.4. Das sprachliche Zeichen und seine Funktionen (Bühler)

>Sprachliche Zeichen haben nun nicht nur – wie das die vorangegangenen Ausführungen nahelegen könnten, die eine Funktion, Welt und Wirklichkeitsausschnitte zu bezeichnen. Sondern wir müssen mit mehreren unterschiedlichen Funktionen rechnen, die in verschiedener Gewichtung grundsätzlich gesehen zugleich relevant sind. Dabei ist die Leistung und Funktion eines sprachlichen Zeichens abhängig von der Gesprächsituation, in der es geäußert wird, sowie dem sozialen Rollenspiel, welches dieser Situation zugrunde liegt.
Ein zentrales Modell, dass sich mit den Funktionen von Sprache befaßt, ist das Organon-Modell (Organon griech. = Werkzeug) von Karl Bühler. Sprache ist danach ein Hilfsmittel, mit dem wir etwas erreichen wollen. Zu einer Kommunikationssituation gehören nach Bühler drei bzw. vier Hauptelemente: ein Sprecher (Sender), ein Hörer (Empfänger) und schließlich die Außenwelt (Referent), auf die sich der Sprecher bezieht.



Nehmen wir als Beispiel die Aussage: "Es wird Winter." Abhängig von der Aussageabsicht des Sprechers kann er sich auf sich selbst beziehen und das Gefühl eines inneren Unbehagens ausdrücken. Das Zeichen ist – so gesehen - emotiv oder expressiv. Möchte der Sprecher dem Zuhörer etwas über einen Gegenstand oder Zustand mitteilen, so verwendet er das sprachliche Zeichen referentiell. Das würde in diesem Beispiel bedeuten, dass er sich ausschließlich auf den alljährlichen Wechsel der Jahreszeiten bezieht. Eine letzte Möglichkeit wäre es, diese Aussage als Apell an den Empfänger zu interpretieren, nun endlich die Heizung einzuschalten.
Andere Sprachwissenschaftler haben dem sprachlichen Zeichen weitere Funktionen zugeordnet. So wird später noch von Roman Jakobson die Rede sein.
Zu beachten ist bei diesem Modell auch, dass die Zeichenfunktion und die Lautform nicht deckungsgleich sind. Der Bereich in dem der Kreis über das Dreieck hinaus ragt, stellt die sogenannte "abstraktive Relevanz" dar. Im Alltag produzieren wir viel redundante und unnötige Informationen, die herausgefiltert werden kann, so dass nur diejenigen Aspekte des Zeichens übrig bleiben, die für die Informationsvermittlung wesentlich sind.
Der Bereich in dem das Dreieck über den Kreis hinausragt, steht für die "aperzeptive Ergänzung", auf die wir in so gut wie jeder Kommunikationssituation angewiesen sind. Relativ mühelos ergänzen wir automatisch (und in aller Regel unbewusst) all das, was an der wirklich gehörten Äußerung nicht vollständig war. Dies funktioniert aber gewöhnlich nur in der Muttersprache; das Fehlen dieser Fähigkeit macht das Sprachverständnis im Ausland oft recht mühsam.

2.5. Erweiterung des Bühler-Modells durch Jakobson

2.5.1.  Metasprachliche, phatische und ästhetische Funktion

Roman Jakobson war ein russischer Sprachwissenschaftler, der unter Anderem auch das Bühler´sche Organon-Modell ergänzte. Er erkannte, dass in der Kommunikationssituation noch drei weitere Funktionen von Sprache zum tragen kommen. So enthält sein Kommunikationsmodell 6 Funktionen: Die ersten drei Funktionen (apellative, emotive, referentielle) wurden von Bühler übernommen; drei weitere, die metasprachliche, die phatische und die ästhetische Funktion hat er ergänzt.
Eine metasprachliche Äußerung bezieht sich auf die Sprache selbst, den Code. Typische Beispiele für solche metasprachlichen Äußerungen wären: "Was hast du denn mit ... gemeint?"; "Das ist doch kein Stuhl! Das ist ein Hocker!" Wenn man so will, so wird hier nicht z.B. auf die geographisch-physikalische Wirklichkeit, sondern auf Zeichen, auf Ausdrücke einer Sprache 'referiert'.
Steht bei der Kommunikation die Kontaktaufnahme mit dem Gegenüber im Vordergrund, so spricht man von einer phatischen Äußerung. Das wohl eindrücklichste Beispiel für phatische Äußerungen sind Situationen, in denen Mütter mit ihrem Säugling sprechen. Das Kind versteht nicht, was die Mutter sagt, fühlt sich jedoch durch die Zuwendung der Mutter bestätigt.Und die Mutter will dem Kind auch nicht unbedingt etwas erklären. -   Ein ähnliches Phänomen findet auch auf Parties statt, wenn pure Floskeln ausgetauscht werden, um einen Kontakt mit dem Gegenüber herzustellen. - Sehr bekannt ist auch das "mhm" oder auch "ja", das wir am Telephon üblicherweise ziemlich regelmäßig äußern, um dem Gegenüber zu signalisieren, daß wir noch zuhören; das beinhaltet aber nicht unbedingt Zustimmung, - ich kann sehr wohl nach etlichen "ja" selber die Sprecherrolle übernehmen und meine Argumentation mit einer Äußerung wie "Also, da bin ich aber ganz und gar nicht einverstanden!" beginnen.

Wird vor allem auf die Form der Sprache Wert gelegt, wird die Aufmerksamkeit des Rezipienten zurück auf die Gestaltung der Botschaft selber gelenkt, so tritt ihre ästhetischer Funktion in den Vordergrund. Dabei hat nicht nur die schöne Literatur das Privileg gepachtet, sich der Sprache künstlerisch zu bemächtigen. Auch in der Werbung finden wir eine bewußte Instrumentalisierung von Sprache. In Werbeslogans werden gegebenenfalls bewußt Erwartungen des Rezipienten enttäuscht und alltägliche Konventionen gebrochen. So werden die gelieferten Informationen aus dem automatischen Verarbeitungsprozess herausgerissen und bewußt verarbeitet; manches Mal wird erst auf diese Weise deutlich, was jemand wirklich gesagt oder geschrieben hat.

Ein bekanntes Beispiel für einen solchen Gebrauch von Sprache ist der Slogan "Katzen würden Wiskas kaufen". Zum einen bedient man sich hier der Einprägsamkeit von Alliterationen, zum anderen werden wir aber auch mit der Idee vertraut gemacht, dass Katzen, wenn sie es denn könnten, ein bestimmtes Katzenfutter kaufen würden. Das ist eine ganz andere Herangehensweise als zu sagen: "Herrchen/Frauchen,   kauft euren Katzen Wiskas"- was ja eigentlich gemeint ist.

Ein sehr passendes Beispiel aus der Literatur sind die Dinggedichte Rilkes (die in eine Periode seines Schaffens gehören, in der er bei Rodin in Paris arbeitete und tendenziell Gestaltungsprinzipien der Bildhauerei auf die Literatur übertrug. So schildert sein Gedicht über den Schwan nicht nur die auf dem Land sehr unbeholfene Art seiner Fortbewegung - und wie so ganz anders der Schwan, wenn er dann im Wasser ist, königlich vondannen zieht, sondern er imitiert eben das auch in der Art und Weise der sprachlichen Gestaltung. - Vergleichbar "die Fensterrose", in der Rilke die visuellen Effekte der Fensterrosen der großen gotischen Kathedralen beschreibt - und zugleich in der Art der verbalen Gestaltung imitiert; wir möchten das an einem Ausschnitt deutlich machen:

DIE FENSTERROSE

(1) Da drin: das träge Treten ihrer Tatzen
(2) macht eine Stille, die dich fast verwirrt;
(3) und wie dann plötzlich eine von den Katzen
(4) den Blick an Ihr, der hin und wieder irrt,

(5) gewaltsam in ihr großes Auge nimmt, -
(6) den Blick, der, wie von eines Wirbels Kreis
(7) ergriffen, eine kleine Weile schwimmt
(8) und dann versinkt und nichts mehr von sich weiß,

(9) wenn dieses Auge, welches scheinbar ruht,
(10) sich auftut und zusammenschlägt mit Tosen
(11) und ihn hineinreißt bis ins rote Blut.

(12) So griffen einstmals aus dem Dunkelsein
(13) der Kathedralen große Fensterrosen
(14) ein Herz und rissen es in Gott hinein.

Einer der besondere Lichteffekte einer gotischen Fensterrose besteht darin (etwa wenn man aus dem Innern einer Kathedrale durch die Fensterrose hinaus in das Tageslicht schaut), daß man das Gefühl hat, in eine weit in die Tiefe eines Raums hineinreichende Röhre zu schauen. Und man hat dann durchaus auch das Gefühl, da hineingezogen zu werden - 'ein Wirbel, der einen ergreift' und "hineinreißt" ins Licht. Dieser 'Wirbel' wird hier in der Abfolge der Zeilen des Gedichts (ein Sonett) wiederholt.
Am Beispiel eines Holzstücks, das auf dem Wasser schwimmt und von einem Wasserwirbel ergriffen wird: hier nimmt die Geschwindigkeit, mit der das Holzstück um die Mitte des Wirbels kreist, kontinuierlich zu, bis es mehr oder weniger die Mitte erreicht hat und in die Tiefe gerissen wird.
Ebenso 'verbraucht' Rilke für die erste Beschreibung einer bestimmten Szene ('Begegnung mit Katzen') die zwei Quartette des Sonetts, also 8 Zeilen. Im folgenden ersten Terzett wird dasselbe mit anderen Worten nochmals beschrieben; hier braucht er dazu nur noch drei Zeilen. Und in der Zeile 12 wird das gesamte Geschehen nochmals vergegenwärtigt durch "So"; hier braucht Rilke also nicht einmal eine ganze Zeile, um dem Rezipienten das Geschehen erneut vor Augen zu führen.

Die folgende Graphik soll die Verhältnisse verdeutlichen, wobei es zunächst nur um die linke Hälfte der Graphik geht:

Die einzelnen Kästchen sollen die Zeilen des Sonetts wiedergeben; die Ziffern geben die Zeilennummern wieder. Die Graphik macht den Effekt der Beschleunigung deutlich, - Rilke 'verbraucht' immer weniger Zeilen, um (mehr oder weniger) dasselbe auszusagen.
Spiegelt man die linke Seite, so ergibt sich die Gesamtgraphik, die gewissermaßen einen Wirbel im Querschnitt zeigt.

2.5.2. Die sechs Funktionen Jakobsons im Überblick

Das Jakobson´sche Kommunikationsmodell. (Pelz, 1996, S. 33)

Grundsätzlich läßt sich bei beiden Funktionsmodellen von Sprache (Bühler/ Jakobson) die Erkenntnis hervorheben, dass sprachliche Äußerungen in den wenigsten Fällen nur eine Funktion erfüllen. Vielmehr sind prinzipiell alle Funktionen in einer sprachlichen Äußerung vorhanden - jedoch mit unterschiedlichster Gewichtung.
Alfred Lorenzer, ein Psychoanalytiker, hat betontt, dass es sich selbst bei einer wissenschaftlichen Aussage nie nur um reine Darstellung (referentielle Funktion) handelt, sondern immer auch die Emotionalität des Sprechers und ein Appell an den Hörer miteinbezogen werden muss - ein abweichendes Verhalten ist krankhaft!

2.6. Von Peirce zu de Saussure: Das zweiseitige Modell sprachlicher Zeichen

2.6.1. de Saussure als (erster) Kognitivist

Ferdinand De Saussure ist einer der zentralen Figuren in der heute betriebenen Sprachwissenschaft. Dabei hat er seinen bekannten "Cours de linguistique générale" nicht selber verfaßt und veröffentlicht. -  De Saussure lehrte zu Beginn des letzten Jahrhunderts an der Universität in Genf und sein  "Cours de linguistique générale" entstand durch Mitschriften seiner Studenten, die diese zusammenfaßten und posthum veröffentlichten. - De Saussure ist der Begründer der synchronen und der kognitiven Sprachwissenschaft.
Vor De Saussure war vor allem die historische Entwicklung von Sprache erforscht worden (diachronische Sprachwissenschaft). De Saussure hingegen widmet sich der Erforschung von Sprache als einem 'hier und jetzt funktionierendem' System. Er plädierte dafür, sich auf die Erforschung von Sprache zu einem bestimmten Zeitpunkt zu konzentrieren, um ihr immanentes System zu erkennen (synchrone Sprachwissenschaft).
De Saussure ist insofern der erste 'Kognitivist', als er unter 'Zeichen' nicht mehr einen materiale, physikalisch beschreibbare Realität verstand, wie wir das noch für Peirce unterstellen können, sondern er bezog das 'Zeichensubjekt' mit ein und begriff 'Zeichen' als im Kopf eines 'Zeichensubjekts' stattfindenden Vermittlungsprozeß z.B. zwischen einem Gegenstand (etwa ein Stuhl) einerseits und z.B. einer Buchstabenkette wie "S-t-u-h-l" andererseits.

2.6.2. Das zweiseitige Zeichen: Image und concept

Dieses nach De Saussure nur im Kopf existierende Zeichen ist zweiseitig (diadisch): Es setzt sich aus dem image und dem concept zusammen und umfaßt den mittleren Ausschnitt aus einem insgesamt vierteiligen Zusammenhang (siehe dazu gleich unten).
Beim image handelt es sich um eine Art abstraktes, mentales Muster oder Schema das es uns erlaubt, unendlich viele verschiedene Ausformungen der sensorischen Realität: eines Schriftzuges, einer Lautform usw., als identische Wortform zu erkennen. Wir sind in der Lage, die verschiedensten Schriftzüge als gleichwertig einzustufen: Stuhl,
stuhl, STUHL, Stuhl ; ja sogar einen teilweise verwischten Schriftzug können wir noch entziffern. Jedoch nicht nur das: Wir können auch mit Sicherheit sagen, daß die Schriftzüge Stoll, Strahl, Pool, *Y~:~~\:. ... nicht das gleiche Ding bezeichnen können wie die äußerlich so verschiedenen Varianten der Wortform Stuhl . Dieses im Kopf befindliche Muster zur Identifizierung eines passenden Schriftzuges nennt de Saussure das image, mit Blick auf geschriebene Sprache image graphique. Ähnliches gilt für die akustische Wahrnehmung: Wenn verschiedene Personen das Wort "Stuhl" aussprechen, ja sogar jedesmal wenn ein und dieselbe Person es ausspricht, klingt das etwas anders. Trotzdem können wir die Lautsequenz jedesmal einwandfrei identifizieren - selbst dann noch, wenn der andere undeutlich spricht oder durch Lärm im Hintergrund teilweise übertönt wird. Auch hier liegt also offenbar im Kopf ein Muster vor, mit Hilfe dessen die konkrete, physikalisch-materielle Lautkette analysiert und identifiziert und gegebenenfalls vervollständigt wird: das image acoustique oder image phonique. Dieses image ist also die eine Seite des de Saussure´schen Zeichens. Es ist auf die sprachliche Realität (das Bezeichnende) ausgerichtet.
Auf der anderen Seite besitzen wir aber auch eine abstrakte mentale Merkmalsmatrix, das concept, welches es uns erlaubt, Gegenstände/die Welt (das Bezeichnete) zu klassifizieren: Wir sind in der Lage, jeden x-beliebigen Stuhl als genau dieses Möbelstück zu erkennen - egal, ob er aus Holz, Metall oder einem anderen Material ist, ob seine Lehne abgerundet oder eckig ist, ob er braun, weiß, rot oder bunt ist, ob er vier Beine hat oder auf fünf Rollen fährt, usw.. All diese verschiedenen Stühle sind mindestens so verschieden wie die oben beschriebenen Schriftzüge. Trotzdem können wir sie eindeutig identifizieren und von einem Tisch, Bett, Schlüsselbund, usw. mühelos unterscheiden.

2.6.3. Reziproke Evokation

Image oder concept alleine sind jedoch an sich noch kein sprachliches Zeichen. Erst durch ihre Verschaltung gewinnen sie Bedeutung und werden so zum sprachlichen Zeichen. Diese Verschaltung wird als reziproke Evokation bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein automatisches sich–gegenseitig-Hervorufen. Ich kann nicht den Schriftzug ,,Stuhl" lesen, ohne sofort außer dem image graphique auch das concept des Stuhls parat zu haben, und vice versa. Die Verschaltung von concept und image ist nur intersubjektiv erklärbar: unbewußt spielen sich die Sprecher einer Gemeinschaft auf eine gemeinsame sprachliche Strukturierung der Realität ein (Konvention).



(1)
die schriftsprachliche / lautsprachliche Realität,
z.B. ein konkreter Schriftzug wie


TISCH



(4)
Die Objektrealität,
z.B. der durch das folgende Bild wiedergegebene Tisch:





Es gibt nur ein 'concept'-System, aber (mindestens) zwei 'image'-Systeme bei einem schriftkundigen Menschen. - Wenn man zwischen Produktion (etwa von Schrift) und Rezeption noch unterscheidet, dann müssen wir sogar mit vier image pro concept (bzw. mit vier sprachlichen 'Modalitäten') rechnen.
Nach der Unitarismus-Vorstellung sind diese images mit denselben Konzepten verbunden, die wir auch jenseits von Sprache z.B. im Rahmen einer Identifikation unserer Umwelt verwenden.

 

3. Neurolinguistische (und neurobiologische) Sicht

Wie funktioniert das aber konkret, d.h. ,,biologisch" (wobei wir uns im folgenden ausschließlich auf die akustisch-auditive Wahrnehmung via Gehör konzentrieren)? - Doch zunächst einige neurowissenschaftlichen Grundlagen:

3.1. Zum Aufbau des menschlichen Gehirns

Das menschliche Großhirn (der Kortex) besteht gewissermaßen aus zwei dicken 'Teppichstücken', die sich - damit sie in den Kopf passen: arg 'geknautscht' - über tieferliegende Hirnstrukturen legen (hier sprechen wir von subkortikalen Bereichen). - Im folgenden geht es schwergewichtig um die zwei kortikalen Teile des Gehirns, auch Hemisphären genannt.

Die zwei kortikalen 'Teppichstücke' sind durch das "Corpus Callosum" (eine Art Breitband-Kabel) miteinander verbunden (darüberhinaus sind sie allerdings auch über subkortikale Verbindungen miteinander verbunden). -  Während sich manche Aufgaben primär unilateral (mit einer kortikalen Hirnhälfte bzw. mit einer Hemisphäre) bewältigen lassen (wie zum Beispiel die Sprache, die in der Regel primär mit der linken Hirnhälfte 'gemacht' wird, vgl. aber dagegen die visuell-räumliche Erkennung von Objekten, die primär in der rechten Hemisphäre stattfindet), ist z.B. für das Lesen ein Zusammenwirken beider Hemisphären von Nöten. Koodinationsstörungen können die Ursache für Lese- und Rechtschreibestörungen sein.

Die folgende Abbildung zeigt das Gehirn, wie man es sehen könnte, wenn der Schädel aus Glas wäre. Man erkennt sehr schön von außen den Kortex, und zwar von vorne. Er besteht - wie erläutert - aus  zwei Teilen (links und rechts), zwischen denen ein tiefer Einschnitt von vorne nach hinten zu sehen ist. - Auf die tiefen Einschnitte in Höhe der Ohren - vor allem denjenigen der (in Blickrichtung) linken Hemesphäre (im Bild rechts) - kommen wir noch zurück:

 

Wenn wir von der Seite auf die linke Hemesphäre schauen, dann sieht das so aus (in der folgenden Wiedergabe ist der linke Rand vorne (Bereich der Stirn):

Im Unterschied zum Modell ist hier am Original der tiefe Einschnitt in Höhe der Ohren (die sog. Sylvische Furche) nicht so genau zu sehen.

Die folgende Abbildung zeigt (wieder im Modell), wie unter den beiden Kortex-Teilen subkortikale Hirnstrukturen angeordnet sind; diesmal schauen wir auf die rechte Kortex-Hälfte bzw. Hemisphäre:

 

Schneidet man das Gehirn etwa in Höhe der Ohren bzw. dicht unter den Augen horizontal auf, dann ergeben sich das folgende Schnittbild (eine Computertomogramm- bzw. CT-Aufnahme), das nochmals die beiden Kortex-Teile, aber auch jenes schon angesprochene 'Breitbandkabel' - den corpus callosum - zeigt:

 

Schneidet man das Gehirn im Bereich der Ohren senkrecht auf, dann ergeben sich die folgenden Schnittbilder; auch hier erkennt man beide Male sehr schön oben unter dem Scheitel einen tiefen Einschnitt, der die beiden Hemisphären voneinander trennt; weiter unten im Schädel ist dann wieder jenes 'Breitbandkabel', der corpus callosum, zu erkennten:

Die beiden Präparate wurden mit einem Farbstoff behandelt, der die Myelinhüllen der Nervenfasern schwärzt. Die aus Nervenfasern bestehende weiße Substanz erscheint deshalb schwarz. Die vorwiegend aus Zellkörpern gebildete graue Substanz der Gehirnrinde bleiben ungefärbt. – Die ‚leeren‘ Gebiete im Innern zeigen die Lage der flüssigkeitsgefüllten Gehirnkammern.

3.2. Zur funktionalen Architektur des Großhirns (Kortex)

Die sensorische und motorische Peripherie (also das Hören, Sehen usw. einerseits und die Bewegung etwa von Armen und Beinen andererseits) ist mit dem Gehirn kreuzverschaltet; d.h. die rechte Hemisphäre ist primär z.B. für die Bewegung des linken Fußes verantwortlich. - Bei den meisten Menschen ist die linke Hemisphäre sprachdominant. Hier befinden sich die – mehr oder weniger klar umgrenzte– sensorische (vereinfacht: "für das Sprachverstehen zuständigen") und motorische (vereinfacht: "für die Sprachproduktion zuständigen") Sprachregion.

Sicherlich nicht zufällig befindet sich die Region, die für die Sprechmotorik zuständig ist, in derselben Hemisphäre wie die Region, welche für die Feinmotorik der Hände und Füße zuständig ist - ist doch die artikulatorische Motorik die bei weitem komplizierteste motorische Leistung, die Menschen vollbringen.

Außer dem "Corpus Callosum" oder "Balken", der linke und rechte Hirnhälfte miteinander verbindet, besteht auch noch eine Verbindung zwischen der sensorischen Sprachregion - nach ihrem Entdecker auch Wernicke-Region genannt -, die etwa für die Verarbeitung beim Hören und Lesen zuständig ist, und der motorischen Sprachregionen - nach ihrem Entdecker, dem Franzosen Paul Broca, auch Broca-Region genannt, die u.a. für die motorisch-artikulatorische Steuerung beim Sprechen und auch darüberhinaus ganz generell für die Sprachproduktion zuständig ist. Die Verbindung, von der hier die Rede ist, der "fasciculus arcuatus", befähigt uns, direkt nachzusprechen und dabei auch sinnlose Lautketten, die man gar nicht 'verstehen' kann, nachzusprechen.

Die für die Sprache relevanten Bereiche des Gehirns und deren Funktionen lassen sich den folgenden zwei Graphiken entnehmen, die die linke Hälfte des Großhirns zeigen (links ist vorne). Die erste Graphik (aus Kandel 1996) führt in die heute gängigen Benennungen der einzelnen Teilstrukturen des Kortex ein; die zweite Graphik weist darüberhinausgehend die für Sprache (bevorzugt linke Hemisphäre) relevanten Regionen aus:

 

 

3.3. Hören  und (nach)sprechen

Übertragungsformen des Schalles (vgl. Silbernagl 1991, S.319)

1. Die Luftdruckschwankungen ("Schallwellen") gelangen durch den Gehörgang an das Trommelfell.

2. Die Bewegung des Trommelfells (mechanische Schwingungen) setzt im Mittelohr die Gehörknöchelchen (Hammer, Amboß, Steigbügel) in Bewegung (mechanische Übertragung). Da diese Knöchelchen wie eine Hebelkonstruktion funktionieren, wird der Druck hier noch verstärkt.

3. Die Bewegung der Gehörknöchelchen versetzt eine weitere Membran, das ovale Fenster, welche das Innenohr abschließt, in Schwingung. Diese Schwingung überträgt sich auf die Innenohrflüssigkeit.

4. Das Innenohr besteht aus drei spiralförmig ineinander gerollten Schläuchen (ebenfalls Membranen) und wird deswegen auch als Gehörschnecke (Cochlea) bezeichnet. Durch die Schwingung des ovalen Fensters wird die Innenohrflüssigkeit komprimiert und dekomprimiert. Es läuft eine sogenannte "Wanderwelle" durch die Cochlea. Im mittleren Schlauch, der Scala Media, sitzen feine Sinneshärchen, die nach dem "Seegrasprinzip" durch die Bewegung der Flüssigkeit ebenfalls bewegt werden (mechanische Auslenkung). - Die Schläuche enthalten inonenhaltige Flüssigkeit; das Abknicken der Sinneshärchen führt zur Öffnung von Ionen-Kanälen; biochemische Prozesse laufen nun ab; es entstehen elektrische Impulse.

5. Am unteren Ende der Sinneshärchen sind Nervenfasern "angeschlossen". Die elektrischen Impulse laufen über die Nervenfasern - über die verschiedenen Schaltstationen der Hörbahn und den Hirnstamm - zum Gehirn, hier zum ...

6. ... primären Hörzentrum. Hier werden die eingehenden akustischen Muster weiterverarbeitet. Und zwar ...

7. Unter Rückgriff auf die sekundären auditiven Gebieten (auditive Assoziationsgebiete) erfolgt ein Abgleich mit Mustern, wird der akustisch-auditive Input identifiziert.

8. Beim Nachsprechen werden die auditiven Informationen an die sekundäre motorische Hirnrinde weitergeleitet. Für die Produktion von Sprache betrifft das die Broca-Region.

9. Von der Broca-Region werden nun Impulse an die primär motorischen Gebiete gesendet. - In der Broca-Region sind nicht nur einzelne Teilbewegungen der Artikulatorik, sondern ganzheitlich komplexe Bewegungsfolgen gewissermaßen gespeichert.

10. Von den primären motorischen Hirnregionen gehen Impulse - auch das wieder über verschiedenste Umschaltstationen - an die Muskeln der Artikulatorik.

11. Es kommt zu artikulatorischen Bewegungen (Bewegungen der Bestandteile des artikulatorischen 'Apparates'), und ...

12.) ... es entstehen regelmäßige und unregelmäßige Luftdruckschwankungen.


Exkurs: Ganz so leicht läuft dieser Prozeß in einer Fremdsprache jedoch nicht ab. Wir müssen erst einmal lernen, die distinktiven (bedeutungsunterscheidenden) Laute der Fremdsprache zu hören bzw. als solche zu erkennen. Langsam müssen wir ein neues image aufbauen und musterhaft abspeichern. Gleichzeitig müssen wir lernen, unsere Muskulatur in einer ungewohnten Reihenfolge zu bewegen, um die neue Sprache auch zu sprechen.

 

4. Lautlehre

4.1. Hintergründe

4.1.1. Zur Erinnerung

Frage: "Wie kommt es zum Schallereignis? Was verursacht das Erklingen eines Lautes?" Antwort: Geordnete Bewegungsabläufe des artikulatorischen Apparates:


sekundär motorischer Cortex
hier sind die hochkomplexen Impulsmuster für die Artikulation der einzelnen Laute gespeichert

¯

primär motorischer Cortex
... über Nervenfasern werden elektrische Signale an die Muskeln geschickt

¯

Bewegungsverläufe des artikulatorischen Apparates d. h. Bewegungen der Muskeln, die kontrahieren (die elektrischen Signale der Nerven verursachen die Ausschüttung chemischer Botenstoffe an die Muskelfasern, die sich daraufhin zusammenziehen)

¯

Schallereignisse
(= Luftdruckschwankungen)

4.1.2. Lautspracherwerb

Das kleine Kind brabbelt fortwährend Laute vor sich hin, zunächst völlig willkürlich und buchstäblich alles, was der Artikulationsapparat hergibt! D. h. konkret: Alle Laute, die der menschliche Lautapparat hervorzubringen vermag, werden vom Kleinkind zu Beginn des Spracherwerbs irgendwann auch tatsächlich "ausprobiert", auch Laute, die in der Muttersprache gar nicht vorkommen. Diese willkürlichen Bewegungen (Motorik) werden zwangsläufig durch verschiedene Sensorzellen (Sensorik) wahrgenommen.

Die motorischen Aktivitäten werden also auf verschiedenen Wegen an das sensorische Zentrum rückgemeldet. Das wiederholte Wahrnehmen des gleichen Lautes hinterlässt hier jedesmal Spuren, die allmählich Muster bilden. Das Kind entwickelt so nach und nach spezifische sensorische Muster, die von allem Anfang an gekoppelt sind an motorische Aktivitäten (eben diejenigen, die die verschiedenen Sinneseindrücke taktiler und auditiver Art auslösen, - wir sprechen auch von senso-motorischen Mustern). Erst wenn eine gewisse Differenziertheit der senso-motorischen Muster erreicht ist, beginnt das Kind, von anderen Lauteindrücken als den selbst produzierten – also der von den Eltern produzierten Sprache – zu profitieren: Es erkennt diese anderen Sprachlaute nun mittels der senso-motorischen Muster, die es ausgebildet hat (und das heißt immer auch, daß das Kind in der Lage ist, solche Laute motorisch-produktiv nachzumachen) Durch die elterlliche (oder sonstige) Umgebungssprache werden spezifische senso-motorische Muster verstärkt. Das Kind produziert ab jetzt auch selbst zunehmend nur noch die Laute der Muttersprache oder Umgebungssprache. Jetzt erst beginnt der eigentliche Lautspacherwerb; und er vollzieht sich rasend schnell bzw. ist binnen weniger Monate abgeschlossen. Das ist nur möglich, weil es sich ja letztlich nicht um einen Lernprozeß sondern um einen Selektions- und   "Verlernprozeß" handelt: Das Kind verlernt ab jetzt all die Laute (senso-motorische Muster), die es für "seine" Sprache nicht braucht. Mit ca. sieben bis acht Jahren sind die nicht benötigten Muster gelöscht; bis dahin ist ein Kind z. B. relativ problemlos in der Lage, eine zweite oder auch dritte Sprache parallel (zusätzlich) zu erlernen.

Das Kind erlernt von den Lauten der Muttersprache zunächst diejenigen, die am deutlichsten zueinander in Opposition stehen, d. h. den deutlichsten Gegensatz im äußerlichen Erscheinungsbild darstellen: "Mund auf" vs. "Mund zu" – "a" vs. "m" oder "p" (siehe dazu weiter unten auch noch die Ausführungen zu Roman Jakobson). Dies gilt überall auf der Welt. (Das weitverbreitete "Mama!" entspringt also nicht der übergroßen Liebe des Kindes zu seiner Mutter, sondern den Notwendigkeiten des Spracherwerbs.) - Hier gilt im übrigen zusätzlich, daß ja "a" und "m" oder "p" zusätzlich auch visuell gut wahrgenommen werden können, im Unterschied zu Lauten, die wie hinten im Mund artikulieren.
Noam Chomsky vermutet hinter dem gesamten Spracherwerb ausschließlich Reifungsprozesse (nativistische Theorie): Die Sprache ist im Prinzip komplett angelegt und reift allmählich. Für den Erwerb der Sprachlaute mag das weitgehend zutreffen, Chomsky weitet diese Theorie jedoch auf die gesamte Sprache, also z. B. auch auf die Grammatik aus.

4.2. Phonetik

4.2.1. Unterteilungen

Die Phonetik ist die Lehre von den Sprechlauten. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Phonetik:

4.2.2. Die Konsonanten der deutschen Sprache

Bei der Beschreibung der artikulatorischen Bewegungen unterscheiden wir einerseits zwischen dem spezifischen Ort im Mund-Rachen-Bereich, an dem eine bestimmte Lautbildung erfolgt, und andererseits der Art und Weise der Lautbildung (das meint die beteiligten artikulatorischen Teilbewegungen und ihr Zusammenspiel bei der Artikulation eines Lautes. Was den Artikulationsort angeht, so unterscheiden wir für das Standarddeutsche

bilabial: 'mit beiden Lippen'; Lippenlaut (im Deutschen nur durch Lippenschluß, als Plosiv oder Nasal (das meint die Art der Artikulation - vgl. dazu gleich folgend; einen Lippen-Reibelaut (Frikativ) gibt es nicht!)

labiodental: der Laut wird mit der (Unter-)lippe und den (oberen) Schneidezähnen gebildet (im Standarddeutschen nur Engelaute bzw. Frikative)

alveolar: Verschluß bzw. Enge/Frikativ wird mit der Zungenspitze (= apex, deshalb eigentlich ein apiko-alveolarer Laut) an den Zahnfleischtaschen (an den 'Alveolen') oben gebildet. - In Sprachen wie dem Englischen werden die entsprechenden Laute standardmäßig wohl an der Rückseite der oberen Schneidezähne (Zähne = dentes) gebildet, - wir sprechen dann auch von apiko-dentalen Lauten.

präpalatal: der Laut wird (mit dem Zungenrücken) am vorderen Teil d. harten Gaumens (= palatum) gebildet

mediopalatal: Lautbildung mit dem Zungenrücken am mittleren Teil des harten Gaumen.

velar:  der Laut wird am weichen Gaumen gebildet (velum = das [Gaumen-]Segel)

glottal: der Laut (z.B. das [ h ] in "Uhu" oder der sog. Stimmlippen-Verschluß) wird mit Hilfe der Stimmlippen im Kehlkopf gebildet (Stimmlippen - Stimmritze - Glottis); dazu unten noch einige erweiternde Hinweise.

Der folgende Querschnitt durch den Artikulationsapparat verdeutlicht nochmals die Lage der einzelnen Artikulationsorte. Zunächst ein allgemeiner Überblick über die Sprechwerkzeuge (Lunge/Zwerchfell, Luftröhre mit den Stimmlippen [unten ist der betreffende Bereich hellgrün wiedergegeben], Mundhöhle/Gaumen/Zunge, Nasenhöhle):


Die obige Graphik wie die drei unten noch folgenden Graphiken sind dem Phonetik-Kapitel der "interaktiven Einführung in die Linguistik" im Hueber-Verlag entnommen (die wir über die Phonetik hinaus allerdings nicht empfehlen können).

Die folgende Graphiken zeigt einen Querschnitt durch den Mund-Rachen-Bereich; der hintere Teil des dunkelgrün wiedergegebenen Gaumens ist der sog. weiche Gaumen bzw. das Gaumensegel, das hier den Weg der Atemluft nicht nur durch den Mund - also oral - sondern auch durch den Nasenraum - also nasal - freigibt:


In der nun folgenden (prinzipiell gleich aufgebauten) Graphik ist das Gaumensegel, das Velum, rot wiedergegeben und versperrt den Weg der Atemluft durch den Nasenraum; das ist z.B. die Stellung des Gaumensegels bei sämtlichen Verschlußlauten:


Die letzte Graphik dieser Reihe enthält die für das Deutsche wichtigen Artikulationsorte, wobei leider nicht unterschieden wird zwischen präpalatal und mediopalatal; umgekehrt spielt der post-alveolare Bereich, der uvulare Bereich (der letzte Rest des Gaumensegels, das sog. Zäpfchen) und der pharyngale Bereich für die deutsche Standardsprache keine Rolle:


Artikulationsart:

Verschlußlaut auch: Plosiv, Explosiv. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (Lippen, Zungenspitze-Alveolen, Zungenrücken-Gaumen...) einen Verschluß bilden, d. h. sie stoppen den Luftstrom komplett und hindern ihn am Austreten (im übrigen muß dazu auch das sog. Gaumensegel bzw. das Velum gehoben und so der Durchgang durch die Nase geschlossen werden - ich komme darauf zurück). Bei kontinuierlich herausgepreßter Luft steigt der Luftdruck hinter dem Verschluß, steigt immer weiter an; kurz bevor der Verschluß durch den zu hohen Luftdruck "gesprengt" würde, wird er willentlich geöffnet, und die angestaute Luft strömt "explosionsartig" aus.

Reibelaut auch: Engelaut, Frikativ. Der Laut entsteht, indem bestimmte Sprechwerkzeuge (wieder etwa Zunge-Alveolen oder Zungenrücken-Gaumen) einen engen Spalt bilden, der den Luftstrom beim Austreten behindert: In der Verengung wird (durch die Verengung bei gleichbleibendem Quantum ausströmender Luft) die Strömungsgeschwindigkeit der austretenden Luft erhöht und es kommt zu mehr oder weniger starken Verwirbelungen der Luft, die entsprechend mehr oder weniger deutlich als sog. "Geräusche" zu hören sind ("Geräusche" für unregelmäßige Luftdruckschwankungen oder Schallwellen im Unterschied zu Tönen als regelmäßigen Luftdruckschwankungen oder Schallwellen).

Affrikate sozusagen "zerstörte Verschlußlaute". Der Laut entsteht, indem wie bei den Plosiven ein Verschluß gebildet wird, der dann durch den steigenden Luftstrom gesprengt wird, so daß zunächst ein ganzer Schwall, dann ein kontinuierlicher Strom von Luft ausströmt. Vermutlich sind die Affrikaten tatsächlich aus zunächst nicht willentlich geöffneten Plosiven entstanden, wurden dann aber in das Lautinventar der deutschen Sprache übernommen (müßte ein gutes Beispiel für die Entstehung von Konventionen sein...)

Nasal Der Laut entsteht, indem oral ein Verschluß gebildet wird; doch wird nasal kein Verschluß gebildet; das Gaumensegel bleibt gesenkt; die Luft kann (ausschließlich) durch den Nasenraum entweichen. - Man vergleiche hierzu auch nochmals die Verschlußlauten. - Wie das gemacht wird, Heben oder Senken des Gaumensegels? Nun, das kann man durchaus willentlich als einzelne artikulatorische Teilbewegung durchführen; wenn man während des Sprechens durchgängig das Gaumensegel gehoben hat und so den Durchgang  durch den Nasenraum durchgängig geschlossen hält, dann ergibt das den sog. "Schnupfenton".

fortis die Luft strömt mit großem Druck aus

lenis die Luft strömt mit geringem Druck aus

stimmhaft Stimmlippen liegen eng aneinander an, so daß sie durch die ausströmende Atemluft in Schwingung versetzt werden. Dieses Vibrieren erzeugt den Ton.

stimmlos Stimmlippen geöffnet, die Atemluft strömt ungehindert durch den Kehlkopf (wobei allerdings grundsätzlich gewisse Verwirbelungen und damit "Geräusche" entstehen)

Noch ein Wort zu den sog. Stimmlippen: Es handelt sich um zwei im Kehlkopf gelegene bzw. aufgespannte Hautlappen, die willentlich geöffnet oder geschlossen werden können und so die Laute stimmlos bzw. stimmhaft werden lassen. - Es soll zunächst der Aufbau des Kehlkopfs und der darin aufgespannten oder aufspannbaren Hautlappen bzw. Stimmlippen/Stimmbänder skizziert werden (auch die folgenden vier Graphiken sind dem Phonetik-Kapitel der "interaktiven Einführung in die Linguistik" im Hueber-Verlag entnommen):


Die Darstellung bietet einen Blick von hinten auf die Luftröhre und dann den Kehlkopf; hier geht es um die beiden Stimmbänder oder Stimmlippen (die beiden Ausdrücke meinen dasselbe), die vorne (im Bild hinten) gewissermaßen in der Mitte an einem Knorpel (Ringknorpel) festgemacht sind und hinten (im Bild vorne) auseinandergehalten oder zusammengeführt werden können.


Diese Darstellung, die den Kehlkopf von vorne zeigt, zeigt gut die Lage des Ringknorpels. - Die hinteren Enden der Stimmlippen oder Stimmbänder sind an den sog. Stellknorpeln festgemacht, die ich mithilfe seitlich verlaufender Muskeln auseinanderziehen oder aber zusammenziehen kann (dann schließe ich die Stimmlippen, und gegebenenfalls bedeutet das, daß kein Luft mehr durch die Luftröhre nach oben entweichen kann.


Die Darstellung unten zeigt skizzenartig den Zustand, der eintritt, wenn ich die beiden Stimmlippen oder Stimmbänder mithilfe der Stellknorpel zusammenziehe und damit gewissermaßen die Luftröhre verschlließe:


Stimmhaftigkeit bzw. das Flattern der Stimmbänder entsteht nun dadurch, daß sich hinter den geschlossenen Stimmlippen der Luftdruck der ausströmenden Atemluft solange erhöht, bis dadurch die Stimmbänder auseinandergedrückt werden - um aufgrund ihrer Eigenspannung danach wieder zusammen zu kommen. - Wiederholt sich das, dann entsteht so etwas wie ein Flattern der Stimmbänder, - hinter bzw. oberhalb der Stimmbänder kommt es zu einem regelmäßigen Wechsel des Luftdrucks (= Schallwellen).

Der folgende Überblick faßt die verschiedenen Möglichkeiten zusammen, die Stimmlippen einzustellen und damit die Lautbildung mithilfe der Stimmlippen zu beeinflussen:

(a) Die Stimmlippen sind weit geöffnet bzw. entspannt (Ruhestellung). Die Atemluft kann ungehindert passieren. Dennoch entstehen leichte Verwirbelungen der ausströmenden Atemluft, die bei hinreichend viel ausströmender Atemluft hörbar sind und den konsonantischen Laut [ h ] wie in "Uhu" ergeben.

(b) Hier ist der Durchgang zwischen den beiden Stimmlippen verkleinert. Bei gleichbleibendem Quantum an ausströmender Atemluft wird auf diese Weise die Strömungsgeschwindigkeit erhöht, - die Verwirbelungen werden deutlich stärker und sind besser hörbar. - Spreche ich mit so eingestellten Stimmlippen, dann ist das auch als "Bühnenflüstern" bekannt: Ich flüstere, bin aber auch in einem großen Schauspielhaus immer noch auch in der letzten Reihe zu hören.

(c) Hier liegen nun die Stimmlippen leicht aneinander und werden so gehalten (also nicht bewegt). Da der Durchgang jetzt verschlossen ist, entsteht vor den geschlossenen Stimmlippen (darunter) Überdruck, der schließlich die Stimmlippen auseinanderdrückt und entweicht. Die Stimmlippen schließen sich danach auf Grund der Eigenspannung des Gewebes wieder, und das gleiche Schaupsiel wiederholt sich, - wir sprechen davon, daß die Stimmlippen flattern (= Stimmhaftigkeit) und bezeichnen diese Einstellung als "Stimmton(einstellung)".

(d) Hier werden nun die Stimmlippen mit Kraft gegeneinandergehalten. Auch hier entsteht daraufhin unterhalb der Stimmlippen Überdruck, und zwar recht hoher Überdruck, gut vergleichbar der Situation, wenn ich beide Lippen zusammenpresse und einen bilabialen Verschluß bilde. Und genau wie bei einem solchen bilabialen Verschluß öffne ich auch hier die beiden Stimmlippen, kurz bevor mir der Überdruck der sich anstauenden Atemluft den Stimmlippen-Verschluß zerstört. - Wir sprechen vom Stimmlippen-Verschluß, wie er vorliegt z.B. in "den Bau erkennen" (in Opposition zu "den Bauer kennen").

Im folgenden sollen die Möglichkeiten der Lautbildung, die bisher erörtert wurden, also die Möglichkeiten der Ausbildung eines Konsonanten, nochmals im Überblick zusammengefaßt werden (wobei wir uns auf die zentralen Lautgruppen - vor allem auf Verschlußlaute und Frikative - begrenzen). Dabei werden zugleich die verschiedenen Lautbildungen mithlfe eines Spezialalphabets, des API (Association Phonétique Internationale), wiedergegeben. - Daß es sich bei den entsprechenden Alphabetzeichen nicht um das normale Alphabet handelt, sieht man schon allein daran, daß die entsprechenden API-Zeichen in der Regel in eckigen Klammern wiedergegeben werden:


in den eckigen Klammern [] : Lautschriftzeichen API (Association Phonétique Internationale)

Einige abschließende Anmerkungen zum obigen Überblick:

Ein verwirrendes Phänomen ist der Buchstabe "h", welcher in Wörtern wie „Haus“ ausgesprochen  und somit in der Lautschrift mit [ h ] dargestellt wird. Es kann sich aber auch um ein sogenanntes „Dehnungs-h“ handeln, welches anzeigt, dass ein Vokal lang ausgesprochen werden soll, so zum Beispiel in "lehren". Einen h-Laut hört man hier nicht; vielmehr besagt das "h" lediglich, daß das vorangehende "e" gesprochen-sprachlich ein Langvokal ist.

Hier einige Beispiele für die Wiedergabe gesprochen-sprachlicher Wörter mithilfe des Zeichensatzes des API (zu den API-Zeichen für Vokale siehe weiter unten):

"Papa"  >>>                        

"Garage" >>>                     

"Rachengold" >>>              

"die wärmsten Socken" >>>

"Junge" >>>                      

 

4.2.3. Die Vokale des Deutschen

Wie oben schon erwähnt, wird bei Konsonanten der Luftstrom als Folge einer Hindernisbildung abgebremst. Die entstehenden Konsonanten können stimmhaft (die Stimmlippen schwingen mit) oder stimmlos sein (die Luft passiert die geöffneten Stimmlippen unbeeinträchtigt). Konsonanten - auch die stimmhaften Konsonanten - sind Geräusche, das heißt, akustisch handelt es sich um unregelmäßige Luftdruckschwankungen bzw. Schallwellen (die im Falle stimmhafter Konsonanten mit regelmäßigen Luftdruckschwankungen gemischt auftreten)..
Bei der Bildung von Vokalen gibt es diese Unterscheidung zwischen stimmlos und stimmhaft nicht; Vokale sind immer stimmhaft.
Und: Bei Vokalen werden keine Hindernisse in die ausströmende Atemluft gebaut; es kommt nicht zu irgendwelchen Verwirbelungen bzw. Geräuschbildungen. - Im Einzelnen heißt das: Ganz gleich, welchen Vokal wir produzieren, die Stimmlippen werden stets in Schwingungen versetzt; und der Mund-Rachen-Raum wird jetzt nur dazu genutzt, einen je spezifischen Resonanzraum für die durch die Stimmlippen verursachten regelmäßigen Luftdruckschwankungen zu bilden. Das Verfahren ist prinzipiell vergleichbar etwa einer Gitarre oder einer Geige oder Mandoline; stets sind es die Schwingungen der aufgesprannten Seiten, die nun allerdings durch den jeweiligen Resonanzraum des Instruments spezifisch "gefärbt" oder "verfärbt" werden. - Nochmals: Die durch den Resosanzraum hindurch strömende Atemluft erfährt - anders als bei den Konsonanten - keinerlei Abbremsung durch ein Hindernis.
Die Vokale der deutschen Sprache werden nach drei Parametern definiert, nach dem Ort, an dem die für die Ausformung des Vokals bedeutende Veränderung des Resonanzraumes (mit Hilfe der Zunge) vonstatten geht (medio-palatal = vorne vs. velar = hinten), nach dem Öffnungsgrad des Mundes (Stellung des Unterkiefers in Bezug auf den Oberkiefer: offen vs. geschlossen) und nach der Lippenstellung (mit vs. ohne Lippenrundung).
Der folgende Überblick soll einen Eindruck von den Möglichkeiten vermitteln, wobei wir uns auch hier auf einen zentralen Bereich beschränken; der Einfachheit halber verzichten wir hier darauf, für die entsprechenden API-Zeichen eckige Klammern zu verwenden:


Der Ausdruck "gespreizt" meint im Standarddeutschen eine entspannte Lippenstellung, die Ruhestellung der Lippen; dagegen steht das "Ansatzrohr", daß ich mit den Lippen etwa bei den 'o-Lauten' oder den 'u-Lauten' bilde (= "gerundet"). - In der obigen Wiedergabe sind alle "gerundeten" Laute auf der hinteren Ebene plaziert, - gleichsam als ob ich sie - wie meine Lippen - von mir wegschieben würde.

In der folgenden Darstellung werden die verschiedenen Möglichkeiten der Vokalbildung an einzelnen Beispielen dokumentiert:


Zu erwähnen wären in diesem Zusammenhang noch die sog. Diphthonge, die allerdings nicht - wie der Name nahelegt - Doppelvokale sind, sondern Gleitvokale. Ein Gleitvokal kommt zustande, indem ich bei einer ersten Vokalposition - z.B. dem [ a ] - starte und in eine bestimmte Richtung - z.B. in Richtung auf das [ i ] (bzw. das [ i: ] ) oder das [ e ] (bzw. das [ e: ] ) - gleite, und das genau so weit, wie mir mein Sprechtempo Zeit gibt. Mit anderen Worten werde ich bei schnellem Sprechtempo nur z.B. bis [ e ] kommen, sodaß der folgende unbestimmte Artikel nun lautet [ ae n ], nicht aber [ ai n ]. - Der Luftstrom setzt während der Gleitbewegung nicht aus.
Im Französischen gibt es außerdem noch sogenannte Halbvokale. Auch das sind Gleitlaute; die Gleitbewegung beginnt hier aber bei einer konsonantischen Position, nämlich entweder beim [ p ] oder beim [ k ], und setzt sich dann fort beim [ p ] über das [ i ] in Richtung [ e ], beim [ k ] über das [ u ] in Richtung [ a ].

4.3.  Sprechgeschwindigkeit, Akzent, Verschleifungen/Assimilationen

Überhaupt spielt das Sprechtempo eine zentrale Rolle. Im Deutschen kommt hier die für das Deutsche typische Unterscheidung von dauerhaft betonten und dauerhaft unbetonten Silben hinzu: In den dauerhaft unbetonten Silben - so die Endsilben - kommt es zu Verschleifungen und einem Abbau der lautlichen Präzision - insbesondere der vokalischen 'Substanz'; Endpunkt sind (das gibt es nur in den unbetonten Silben) gewissermaßen Vokalreste, "Schwa-Laute", von denen das Deutsche zwei kennt, einen eher ' a-artigen', einen zweiten eher ' e-artigen'. Die folgende Darstellung situiert diese reduzierten zwei Laute bzw. Schwa's, wobei wir hier der Einfachheit halber den 'Vokalraum' auf eine einzige Ebene verkürzt haben:



Vielfach ist es im übrigen nicht bei einer Reduktion der Vokale der unbetonten Silben auf einen Schwa-Laut geblieben, sondern der Vokal - und damit die ganze Silbe - ist insgesamt ausgefallen. Dieser Prozeß läßt sich gerade bei schneller Sprechweise auch heute noch beobachten (dazu gleich mehr).
In den romanischen Sprachen hängt es vom lautlichen Kontext ab, in dem eine bestimmte Silbe auftritt, ob diese Silbe betont wird. Mit anderen Worten kann sie mal betont, mal unbetont sein. Das war bis zur frühalthochdeutschen Zeit auch die Regel im Deutschen, das sich dann jedoch im wesentlichen für die ersten Silben der Wörter als dauerhaft, d.h. immer betonten Silben entschloß. Man kann daraus so manches Mal sogar ableiten, wann ein Kompositum wohl entstanden ist. So gibt es zu dem Verb 'laubjan' die Kompositumbildung (heute:) "erlauben": Ersichtlich ist diese Bildung erst nach Festlegung der Betonung entstanden, denn sonst müßte dieses Präfixverb auf der ersten Silbe betont werden. Umgekehrt ist der aus 'laubjan' abgeleitete "Urlaub" schon vor der Festlegung der Betonung auf die erste Silbe entstanden, denn sonst müßte dieses Wort auf der zweiten Silbe betont sein.

Das Verschleifen unbetonter Silben insbesondere bei hohem Sprechtempo und der daraus gegebenenfalls resultierende Ausfall des Vokals und der Silbe insgesamt führt zu teilweise kuriosen Aussprache-Phänomenen; man vergleiche den folgenden Überblick, bei dem von oben nach unten die Sprechgeschwindigkeit zunimmt, sodaß - beginnend mit "Leben (und leben lassen)" - schließlich "Lehm (und Lehm lassen/werfen)" herauskommt:


In Zeile 2 bedeutet der Kringel unter dem [ n ], daß bei Ausfall des Restvokals bzw. Schwa-Lautes der Endsilbe der Nasal eine Spur stärker stimmhaft gesprochen wird.

Und der Pfeil in Zeile 3 soll deutlich machen, daß hier nicht einmal mehr die Lippen auseinander genommen werden, - das [ n ] hat sich unter dem Einfluß des vorausgehenden [ b ] an dieses [ b ] artikulatorisch angenähert und ist zu einem [ m ] geworden (wir spechen hier auch von Assimilation, genauer von progressiver Assimilation, weil es ja das vorausgegangene [ b ] war, das den nachfolgenden Nasal beeinflußt hat.

Und dann schließlich in Zeile 4: Hier heben wir nicht einmal mehr das Gaumensegel, sodaß es gar nicht mehr zu einem vollen Verschluß kommt (die Luft strömt weiterhin durch die Nase aus), sondern sogleich zu unserem bilabialen Nasal, dem [ m ] .

4.4. Roman Jakobson und der kindliche Lautspracherwerb

Der bereits weiter oben angesprochene Roman Jakobson war ein russischer Sprach- und Literaturwissenschaftler, der zunächst in Moskau tätig war. In den 20er Jahren zog er - auf der Flucht vor der russischen Revolution - nach Prag (Prager Schule/Prager Strukturalismus). Als die Nazis die Tschechoslowakei annektierten, floh er nach Paris und schließlich - noch immer auf der Flucht vor den Deutschen - nach Amerika. In den 50er Jahren kehrte er nach Paris zurück.
In seinem Werk „Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze“ (1969) widmet sich Roman Jakobson primär dem kindlichen Lautspracherwerb mit dem Ziel,  allgemeine Bauprinzipien der Kindersprache aufzudecken, die sich vielleicht auch auf die Entwicklung der Volkssprachen anwenden ließen.
Wenn wir den kindlichen Spracherwerb beobachten, so treffen wir in der Frühphase ein erstaunliches Phänomen an: In den ersten Monaten, während der sogenannten „Lallphase“, produzieren Kinder sämtliche existierenden Laute, d.h. sämtliche Laute, die überhaupt mit ihren Sprechwerkzeugen produziert werden können. Plötzlich, beim Übergang zur ersten Sprachstufe, scheinen sie dann beinahe ihr ganzes Lautvermögen zu verlieren. Auf monatelange Probiererei scheint kurzfristig erstaunliche Stille zu folgen. Diese Tatsache läßt sich insofern erklären, als dass die Laute nun nicht mehr einfach produziert werden, sondern die Laute und Lautfolgen werden jetzt (zunehmend) systematisch verwendet, sie werden jetzt auch auf bestimmte Bedeutungen bezogen.
Jakobson interessierte sich primär für diese Phase, in der Kinder beginnen, ein Lautsystem aufzubauen, und ging davon aus, dass es allgemeine Prinzipien gibt, nach denen sich das Lautsystem aller Kinder, egal welcher Sprachgemeinschaft sie angehören, organisiert.
Er ging davon aus, dass die relative Chronologie (Reihenfolge) der nun stattfindenden systematischen Lautunterscheidungen in allen Sprachen gleich ist, auch wenn die absolute Chronologie (Zeitdauer) der einzelnen Schritte individuellen Schwankungen unterworfen ist. Dieser relative Chronologie begründet sich aus mehreren Überlegungen heraus.
Es geht in dieser Phase nicht mehr um Einzellaute, sondern nach Jakobson um Lautoppositionen (zu theoretischen Hintergründen vgl. die folgenden Abschnitte über Phonologie). In Opposition gestellt werden dabei zunächst diejenigen Laute, die sich am besten unterscheiden lassen. Kinder orientieren sich also an maximalen Differenzen, und zwar an solchen, die sie sehen, hören und gegebenenfalls auch fühlen können.
So lernen Kinder generell zunächst einmal einen breiten Vokal [ a ] (der Mund ist offen), den sie mit den ersten bilabialen Konsonanten [ m ] und [ p ] (der Mund ist geschlossen) kontrastierend verbinden ("Mama" oder  "Papa"). Von nun an beginnt der kontinuierliche Ausbau des Vokalismus/Konsonantismus.
Was den Konsonantismus angeht, so ist der erste Gegensatz, den Kinder machen, derjenige  zwischen einem oralen und einem nasalen (= [m ] ) Konsonanten. Schon bald wird der Konsonantismus durch eine weitere Unterscheidung ergänzt: Die beiden Labial-Laute ( [ p ] , [ m ] )  werden nun in Gegensatz zu den  Dental-Lauten [ t ]  und [ n ]  gesetzt. Diese vier Lautpositionen (Phoneme - siehe dazu dann weiter unten) bilden den minimalen Konsonantismus.
Der erste innervokalische Gegensatz entsteht durch die Gegenüberstellung von [ a ] (breiter Vokal) und [ i ] (enger Vokal) in Äußerungen des Kleinkindes wie „Pipi“ oder „Papa“. In der weiteren Entwicklung wird das Kind eine neue Unterscheidung treffen, und zwar entweder, indem es den velaren Vokal [ u ] (vgl. Gesetz der maximalen Differenzen!) in sein System mit einbezieht oder sich des Vokales [ e ] bemächtigt, der genau in der Mitte zwischen den bekannten Lauten [ a ] und [ i ] liegt - das Kind versucht, die Lautverteilungen auf gleichen Abstand zu bringen, was letztendlich auch zu einem maximalen Unterschied der Laute innerhalb dieses Systems führt. - Dieses System aus drei vokalischen Grundlauten bezeichnet man als minimalen Vokalismus.

Diese Entwicklung ist allen Sprachen der Welt gemeinsam. Aber auch im weiteren lautlichen Aufbau, also den Erwerbungen, die das Minimum überschreiten, gehorcht die zeitliche Reihenfolge der neuen Erwerbungen allgemeinen Gesetzen, ganz unabhängig davon, um welche Sprache es sich dabei handelt. Zu Beginn stehen maximale Oppositionen, die sich progressiv ausdifferenzieren. Diese Tatsache ist vor allem final zu erklären. Durch eine größtmögliche Opposition zwischen allen Lauten wird nämlich eine maximale Verständlichkeit erreicht. Auch bei Erwachsenen werden somit neu erlernte Laute (zum Beispiel aus einer Fremdsprache) equidistant zwischen ihnen bekannten Phonemen angeordnet.

Wenn das Kind sein Lautsystem konstruiert, erlernt es relevante Lautunterscheidungen; d.h. es erlernt diejenigen Lautunterscheidungen oder Lautoppositionen, die mit einer Bedeutungsunterscheidung korrelieren.

5.  'Die doppelte Gegliedertheit natürlicher Sprachen'

Siehe Teil II