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STUTTGART/ Ballett: „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ – Bereichernd neue Interpretationen

08.06.2022 | Ballett/Performance

Stuttgarter Ballett: „DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG“ 5.+7.6.2022 – Bereichernd neue Interpretationen

Der Quell an Frischzufuhr für John Crankos Ballette ist unversiegbar, hat doch das Stuttgarter Ballett für die letzten beiden Aufführungen der Shakespeare-Komödie (bevor es im Frühjahr 2023 weiter geht) nochmals eine gute Handvoll Rollen-Debutanten auf dem Präsentierteller.

zÄhmung kacerova,paixa 3.pas de deux 5.6.22
Miriam Kacerova (Katharina) und Marti Fernandez Paixa (Petrucchio). Copyright: Stuttgarter Ballett

Am Pfingstsonntag stellte sich Miriam Kacerova erstmals der Katharina. Wer hinter der vom Naturell her eher zurück haltenden und durch schlichte Souveränität überzeugenden Slowakin eine entsprechend sanftere Interpretation vermutet hatte, erlebte eine erfreuliche Überraschung. Als ob sie sehnlichst darauf gewartet hätte, eine komödiantische Seite aufzuschlagen, warf sie sich nach einer kurzen tänzerischen Aufwärmphase ohne Hemmungen, gespeist aus ihrer reichhaltigen Erfahrung mit geschickt dosierter Verve in die auf Abwehr geschaltete, von ihrem gesellschaftlichen Umfeld angeödete ältere Tochter des Baptista. In klug entwickelter Nuancierung zwischen Verzweiflung und nach und nach brechendem Widerstand macht sie das langsame Auftauen gegenüber Petrucchio im zweiten Pas de deux sowie das zuletzt errungene geerdete Eheglück sichtbar. Für den auf Anhieb hakenfreien Fluss in den Pas de deux hatte sie mit dem ebenfalls seinen Rolleneinstand  feiernden Marti Fernandez Paixa die besten Karten.. Dessen ausgezeichnetes Partnern mit geschmeidig leichten Hebungen sowie seine schon mehrfach bewiesene schnelle Erfassung eines Charakters sind schon mal beste Voraussetzungen für den mutigen und listreichen Edelmann. Dazu erzielte der katalanische Erste Solist eine noch weiter vervollkommnete Steigerung seiner Drehgeschwindigkeit (Trunkenheits-Solo), setzte zu ungeahnt überrumpelnd hohen Sprüngen an und erinnerte in seiner mit Herz und Charme erfüllten spielerischen Gelöstheit an den unvergessenen Filip Barankiewicz. Einige so noch nie gesehene spontane Pointen ergänzten diesen unwiderstehlich herzhaft gescheiten Einsatz.

zÄhmung fröhlich, aleman 5.6.22
Rocio Aleman (Bianca) und Clemens Fröhlich (Lucentio). Copyright: Stuttgarter Ballett

Clemens Fröhlich rechtfertigt seine Beförderung zum Solisten ab Herbst mit einem in Summe abgerundeten Einstand als Lucentio. Den rein choreographisch etwas konservativen und gern im Schatten der (erfolglosen) Mitbewerber um Biancas Gunst stehenden Tanzlehrer stattet er mit natürlicher Anmut und Kavaliersattributen aus, gepaart mit einer noch nicht immer ganz sauberen Linie. Trotz einigerNachlässigkeiten und noch vorhandener kleiner Kanten im romantisch angelegten Pas de deux ist dieser von wesentlicher Harmonie getragen, was auch auf das Konto der bereits mit Bianca vertrauten, ein bezauberndes Gesamtkunstwerk bietenden Rocio Aleman geht.

Christopher Kunzelmann  kommt mit dem schnell ins Lächerliche kippenden Gecken Gremio und dessen zu gefährlichen Verstrickungen führen könnendem Aufputz aus Langhaarperücke,  riesigem Hut und Wollschal sofort problemlos zurecht und lässt durch die starke Maske immer wieder jugendlichen Schalk durchblitzen. Sein Corps de ballet-Kollege Martino Semenzato debutierte als sehr exakt den Vorgaben folgender und köstlich eitler Hortensio.

Elisa Ghisalberti und Daiana Ruiz (Freudenmädchen), Rolando D’Alesio (Baptista), Matteo Crockard-Villa (Wirt + Priester) sowie das schmissig gut aufgelegte Corps de ballet rundeten die Vorstellungen ab.

zÄhmung zuccarini,mansilla 3.pas de deux 7.6.22
Angelina Zuccarini (Katharina) und Ciro Ernesto Mansilla (Petrucchio). Copyright: Stuttgarter Ballett

Zwei Tage später kam dann endlich ein Hauptpaar zu Zuge, dessen Debuts vor zwei Jahren aufgrund des Lockdowns ausgefallen waren. Zwei Solisten, die beide sowohl Temperament als auch eine entsprechende Attacke im Einsatz auszeichnen. Angelina Zuccarini hat sich die Katharina nach so vielen Jahren in der Compagnie redlich verdient und die Möglichkeit entsprechend genutzt. Nach kurzem Anlauf feuert sie die rebellischen Sprünge und Drehungen sowie wilde Gesten der Abwehr regelrecht ab, setzt auch im Umgang mit dem sie herausfordernden Petrucchio mimische Zeichen, die auch unter die Oberfläche purer Widerspenstigkeit blicken lassen. Wie bei der Kollegin zwei Tage davor kommt die phasenweise Verzweiflung bis zum Durchbruch der Erkenntnis ohne abrupte Signale zum Vorschein. Was die bei ihr technisch gewohnt zuverlässig sichere Seite anbelangt, hätte sie für die Pas de deux einen diesbezüglich ebenbürtigen Partner benötigt. Einige Unkorrektheiten und Nachlässigkeiten von Ciro Ernesto Mansilla verhinderten vorerst einen durchgängig fließenderen Durchlauf. Auch sonst nimmt es der Argentinier bei seinem ersten Auftritt nach einigen Monaten nicht immer so genau und bleibt auch in manch virtuosen Passagen vielleicht deshalb (noch) unter seinen Möglichkeiten. Dazwischen geht er aber auch in die Vollen und nutzt all die Freiräume mit seinem großzügigen darstellerischen Talent und rollenadäquaten Zügen des Machos für neue spontan komische Varianten.

Leider vergeht bis zu einer möglichen Entwicklung und Optimierung in den nächsten Vorstellungen im Frühjahr 2023 viel zu viel Zeit!

zÄhmung lopes,silingardi, miccini, stiens 1.akt 7.6.22
Fernanda Lopes (Bianca) und ihre 3 Freier Daniele Silingardi (Lucentio), Matteo Miccini (Hortensio) und Louis Stiens (Gremio). Copyright: Stuttgarter Ballett

Fernanda Lopes (Bianca) und Daniele Silingardi (Lucentio) haben seit ihrem Debut vor zwei Wochen sowohl jeder solistisch als gemeinschaftlich betrachtet an Kontur und Übereinstimmung gewonnen. Louis Stiens wiederholte seinen reichlich komödiantisch gezuckerten Gremio, Matteo Miccini seinen perfekt getanzten und ausstolzierten Hortensio.

Paula Rezende und Giulia Frosi stellten sich erstmals als zuerst Petrucchio und dann den beiden Freiern genüsslich übel mitspielende Freudenmädchen vor.

Ein neuer Mann am Dirigentenpult sorgte für Aufmerksamkeit. Johannes Witt hat mit diesen beiden Aufführungen eine überzeugende Visitenkarte seines Könnens abgegeben. Das Staatsorchester Stuttgart führte er hörbar animiert und mit teils beherzt frischem Zugriff an markanten Momenten durch die stimmungsmalerische Partitur von Kurt Heinz Stolze nach Sonaten von Domenico Scarlatti. Der große fesche Dirigent wäre auch als Erscheinung eine gute Wahl für den offenen Posten des Ballett-Musikdirektors.

Bei beiden Vorstellungen löste sich die angestaute Heiterkeit in begeisterte Ovationen auf.

Udo Klebes

 

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