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Crystal Meth

Zerstörerische Designerdroge

13.03.2017  13:45 Uhr

Von Barbara Erbe / Kristallines Methamphetamin hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland verbreitet: Vor allem in den Bundesländern nahe der tschechischen Grenze wird die illegale Droge konsumiert. Heute ist die Substanz unter den illegalen Drogen nach Cannabinoiden und Opioiden der dritthäufigste Behandlungsgrund in der stationären Suchthilfe. Die Schäden, die Crystal Meth verursacht, sind verheerend.

Crystal Meth – kurz für die englische Bezeichnung »Crystal Methamphetamine«, die kristalline Form von Methamphetamin – wirkt auf das zentrale Nervensystem, erhöht die Herz­tätigkeit und den Blutdruck und erzeugt Gefühle von Euphorie und verstärkter Wachheit. Die Droge ist besonders gefährlich, weil sie extrem schnell die Blut-Hirn-Schranke überwindet. Crystal Meth habe ein besonderes Wirk­profil, es flute innerhalb von Sekunden im Gehirn an und stimuliere unmittelbar das Belohnungszentrum, erläutert Sascha Milin von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und Mitautor der neuen S3-Behandlungsleitlinie zu Metamphetamin-bezogenen Störungen. Anders als das klassische Amphetamin (Speed) kann Crystal Meth nicht nur geschnupft, sondern auch inhaliert, geraucht, geschluckt oder per Injektion zugeführt werden.

Hoch konzentriert

Die Botenstoffe Dopamin, Noradrenalin und Serotonin werden sofort und in großen Mengen ausgeschüttet – das prägt sich im Belohnungsgedächtnis ein. Gleichzeitig vermindert Crystal Meth die Wiederaufnahme dieser Botenstoffe, sodass deren Konzentration im synaptischen Spalt über einen langen Zeitraum enorm hoch bleibt. In dieser Zeit stellt der Körper Grundbedürfnisse wie Hunger- und Durstgefühle zurück. Schmerzempfinden und Müdigkeit werden unterdrückt, dosisabhängig erzeugt die Substanz einen Zustand geschärfter Aufmerksamkeit bis hin zu einer extremen Euphorie. Anfangs fühlen sich die Konsumenten glücklich, im Übermaß selbstsicher, kommunikativ und risikobereit. Im Verlauf eines solchen Rausches folgt ein exzessives Weiter-Konsumieren, selbst wenn bereits alle verfügbaren Botenstoffe ausgeschüttet sind. Extrem lange Wachphasen, psychotisches Erleben sowie toxische Wirkstoffkonzentrationen sind die Folgen.

Müde und erschöpft

Während der Rauschphase plündert der Körper seine Reserven, sodass seine Speicher nach dem Runterkommen völlig leer sind: Die Botenstoffe bauen sich nur langsam wieder auf, gleichzeitig kommt es durch den durchlebten unnatürlich hohen Energieverbrauch zu starker Müdigkeit, Erschöpfungs- und Katerstimmung bis hin zu schweren Depressionen mit Suizidalität, Ängstlichkeit oder Lethargie. Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächt­nis- und Schlafstörungen halten häufig einige Tage bis mehrere Wochen an. Das Fatale: Die negativen Gefühle, die mit diesem Zustand einhergehen, fördern den Wunsch nach einem neuen Kick und ebnen damit den Weg in einen Teufelskreis. Auch dass der Körper gegen­über Methamphetamin sehr schnell Toleranz aufbaut, führt zu noch häufigerem Konsum.

Auch wenn Methamphetamin häufig als neue Droge dargestellt wird, ist die Wirkung der Substanz bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt, betont Peter Raiser von der Deutschen Hauptstelle Sucht (DHS). »So wurde es unter dem Handelsnamen Pervitin während des Zweiten Weltkrieges als sogenannte Panzerschokolade eingesetzt, um das Angst- und Schmerzempfinden der Soldaten zu senken und sie so länger durchhalten zu lassen.« Als rezeptpflichtiges Arzneimittel war Pervitin bis 1988 in Deutschland erhältlich. Danach kam Methamphetamin als illegal hergestelltes Drogenprodukt in Umlauf, berichtet der DHS-Referent. »Seine massive Verbreitung wird in Deutschland allerdings erst seit wenigen Jahren festgestellt.« Das synthetische Stimulans wird vor allem in illegalen Labors in Osteuropa hergestellt. Mögliche Ausgangsstoffe sind Chlor­ephedrin, Ephedrin oder Pseudoephe­drin. Die Stoffe sind etwa in Kombinationsmitteln gegen Erkältung enthalten.

Verheerende Folgen

Gesundheitlich ist der regelmäßige Konsum von Methamphetamin und besonders von Crystal Meth verheerend. In der kristallinen Form ist Methamphet­amin besonders rein und damit hoch konzentriert. So schniefen Konsumierende manchmal bereits beim ersten Mal 80 bis 100 mg. Abhängige benötigten Dosen zwischen 15 mg und 1 g täglich, berichtet Milin. Bei chronischem Konsum durch die Nase sind Nasen­neben­höhlen­entzündungen, Schleim­hautblutungen, Riechverlust (Anosmie) oder eine perforierte Nasenscheidewand keine Seltenheit. Wer Crystal Meth raucht, riskiert Lungenschäden; intravenöser Konsum führt häufig zu Infektionen, Entzündung der Herzinnenhaut (Endokarditis) und zu Abszessen. Bei längerfristigem Spritzen mit Nadeltausch oder geteilten Utensilien steigt überdies das Risiko für eine Hepatitis B/C- oder HIV-Infektion. Unabhängig von der Art der Aufnahme tragen alle Konsumenten ein erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten, da unter Methamphetamin-Einfluss häufig riskante sexuelle Praktiken zum Einsatz kommen. Die für Crystal-Konsumenten typischen Zahn- und Zahnfleischschäden wie Karies und Mundsoor (»Meth-Mouth«) beruhen unter anderem auf vermindertem Speichelfluss und einem rauschbedingten Zähneknirschen.

Weniger Rezeptoren

Über diese recht offensichtlichen Folgen hinaus weist Milin auf mittel- bis langfristig eintretende neurokognitive sowie kardiovaskuläre Schäden hin, die durch Methamphetamin-Konsum auftreten können. Hierzu gehören Schlaganfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Psychosen. Vor allem das typische und eindrucksvolle Nachlassen des Kurzzeitgedächtnisses und der Konzen­trationsfähigkeit lässt sich auf eine Verminderung der Rezeptoren für die körpereigenen Botenstoffe zurückführen. »Man vermutet, dass der Körper auf diese Art versucht, dem ständigen Überangebot von Botenstoffen im synaptischen Spalt entgegenzuwirken«, so Milin. Zwar könnten sich die dezimierten Rezeptoren für die Neurotransmitter Noradrenalin, Serotonin und Dopamin nach einem Entzug auch wieder aufbauen. »Aber das dauert Monate, in denen Betroffene kaum mehr in der Lage sind, positive Gefühle zu empfinden.«

Nicht nur Rezeptoren werden durch den regelmäßigen Konsum zerstört, sondern auch ganze Nervenzellen. »Wahrscheinlich überhitzen sie infolge der Dauerbelastung oder aufgrund des oxidativen Stresses innerhalb der Zelle«, so Milin. Anders als die Rezeptorproteine, können sich Nervenzellen nicht direkt regenerieren. Allerdings können zerstörte Neuronen mit der Zeit durch andere Strukturen kompensiert werden.

Der langfristige Konsum von Methamphetamin führt zu körperlichen und psychischen Schäden – egal in welcher Dosierung. Eine Unterscheidung zwischen psychischer und körperlicher Sucht hält Milin wegen der Verflechtung der Symptome für unangebracht: »Schließlich sind psychische Entzugssymptome wie Depressionen und Suizidneigung durchaus auch körperlich bedingt, da Menschen im Entzug lange kein körpereigenes Dopamin, Noradrenalin oder Serotonin produzieren können.« Nach einem Entzug seien ehemalige Konsumenten nicht im klassischen Sinne geheilt, sondern ähnlich trockenen Alkoholikern lebenslang suchtkrank. »Sie müssen jedes Mal, wenn sie in schlechter Stimmung sind, gegen den Drang ankämpfen, sich mithilfe der Droge innerhalb kürzester Zeit in Hochstimmung zu versetzen«, sagt Milin.

Anhand der wenigen Befragungsstudien, die es zu Methamphetamin und speziell zu Crystal Meth gibt, schätzt der Wissenschaftler, dass etwa 1 Prozent der deutschen Bevölkerung die Droge konsumiert. Er betont, dass einige Quellen darauf hindeuten, dass die Droge regional sowie in bestimmten Bevölkerungsgruppen besonders verbreitet ist. »Erfahrungen von Polizei und Jugendgerichtshilfe in betroffenen Bundesländern zeigen etwa eine starke Verbreitung unter straffälligen Jugendlichen.«

Mehr Leistung

Während Drogenkonsumenten früher eher zu beruhigenden Substanzen griffen, um dem Alltag zu entfliehen, lasse sich in den vergangenen Jahren ein Trend zu aufputschenden Substanzen feststellen, berichtet DHS-Referent Raiser. Die Konsumenten versuchten damit unter anderem, den gesteigerten Anforderungen der Leistungsgesellschaft nachzukommen. Das Wirkspektrum von Crystal Meth passt dazu: Mehr leisten, schneller arbeiten, (subjektiv) kreativ sein und immer gut drauf. Gerade Konsumenten mit defizitärem Selbstbild scheinen daher anfällig für die Droge zu sein. »Soll sich am Konsumverhalten der Menschen etwas ändern«, betont Raiser, »dann muss sich die gesellschaftliche Bewertung und Darstellung von Erfolg und Misserfolg, von Arbeit und Freizeit, von Leistung und Leistungsgerechtigkeit wandeln.« /