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Film und Musik – Göttinen und Dämonen

Göttinen und Dämonen

| Helene Sorgner |

Das Wiener Konzerthaus lädt diese Saison im Rahmen des Zyklus „Film + Musik live“ zu vier cineastischen Soireen im Großen Saal: Stummfilmklassiker und Raritäten, neu vertont und begleitet von exzellenten Live-Musikern.

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Den Anfang macht am 30. Oktober ein Klassiker des Zwischenkriegskinos: Die freudlose Gasse von G.W. Pabst. Greta Garbo und Asta Nielsen spielen die Bewohnerinnen jener Gasse, die als Sinnbild für das inflationär verwahrloste Wien der frühen 1920er Jahre geprägt ist von einer bitteren Mischung aus Elend und Luxus, Hunger und Prostitution. Der Film, basierend auf dem sozialkritischen Roman von Hugo Bettauer, verhalf Pabst 1925 zum Durchbruch als Regisseur, fiel aber später zahlreichen Zensureingriffen zum Opfer; das Konzerthaus zeigt ihn in einer vom Filmarchiv Austria neu restaurierten Fassung. Neu ist aber auch die szenische Musik, die im Auftrag der Konzerthausgesellschaft von Burkhard Stangl komponiert wurde. Für eine angemessene Interpretation dieser Premiere garantieren mit dem Koehne Quartett vier Spezialistinnen für zeitgenössische Musik, unterstützt von zwei Pianos (Katharina Klement, Manon-Liu Winter) und Percussion (Berndt Thurner).

Aus einem völlig anderen Genre stammen sowohl Filme als auch Musik des zweiten Abends (9. November). Bill Frisell, einer der innovativsten Jazz- und Crossover-Gitarristen weltweit und Grammy-Preisträger 2005, ist mittlerweile auch für einige Filmsoundtracks (Finding Forrester, Million Dollar Hotel u.a.) verantwortlich und widmet sich seit mehreren Jahren der Stummfilmmusik. Daraus entstand das Album Go West, eine Sammlung von 19 Instrumentalstücken, mit denen er bereits 2006 für ein Viennale-Special in Begleitung seines 858 Quartet im Gartenbaukino zu Gast war. Ergänzend zu den auch damals gezeigten frühen Slapstick-Klassikern High Sign und One Week mit Buster Keaton und The Mesmerist, einer von Regisseur Bill Morrison bearbeiteten und verfremdeten Version des Horrorfilms The Bells von 1926, in dem Boris Karloff einen unheimlichen Heilmagnetiseur spielt, werden bei dieser Vorführung Animationsfilme des amerikanischen Zeichners Jim Woodring zu sehen sein. Woodring gilt als der Surrealist unter den Cartoonisten; man darf also gespannt sein, zu welchen musikalischen Assoziationen seine Werke Bill Frisell angeregt haben.

Ein lang verloren geglaubtes Juwel des österreichischen Stummfilms wird am 27. Jänner gezeigt. Der Mandarin, eine aufwändige Produktion aus dem letzten Kriegsjahr 1918 unter der Regie von Fritz Freisler, wurde einst für Trickeffekte, psychologische Tiefe und Besetzung, bestehend aus damaligen Burg- und Volkstheaterstars, darunter Karl Götz und Harry Walden, von der Kritik gefeiert. Seit 1945 galt der Film jedoch als verschollen und tauchte erst vor einigen Jahren in Form einer gut erhaltenen, farbigen Kopie im Nachlass eines Filmsammlers wieder auf – als Il Mandarino, offenbar aus dem italienischen Verleih stammend. Diese Version ist etwas kürzer als die ursprüngliche, da jedoch Spannungsbogen und Handlungsverlauf vollständig erhalten sind, wurde sie vom Österreichischen Filmmuseum in Zusammenarbeit mit dem George Eastman House in Rochester, New York, dem der Nachlass übertragen wurde, vollständig restauriert und mit einem neuen Negativ sowie einer Farbkopie für Österreich gesichert. Der titelgebende Mandarin ist ein dämonischer Talisman, den der Lebemann Freiherr von Stroom bei einem Trödler kauft. Damit erschleicht er sich zwar die Hörigkeit der Damen, der Dämon treibt den Unglücklichen aber schließlich in den Wahnsinn. In der dramatisch-realistisch inszenierten Nervenklinik Steinhof lernt er einen Schriftsteller kennen, der Stoff für seinen neuen psychologischen Roman sucht und in der Lebensgeschichte des Freiherrn mehr als genug davon findet. Musikalisch in Szene gesetzt wird dieses frühexpressionistische Drama der Licht- und Trickeffekte vom holländischen Max Tak Orchester; die Musik stammt von Martin de Ruiter.

Zum Abschluss des Zyklus wird am 5. Mai noch einmal die „Göttliche“ Greta Garbo in einer Paraderolle zu sehen sein. Als sie drei Jahre nach Die freudlose Gasse die tragische Liebesgeschichte Eine schamlose Frau (Original: A Woman of Affairs) mit Regisseur Clarence Brown drehte, war die Garbo bereits ein Hollywoodstar. Bei der Suche nach Material für ein neues Filmprojekt für sie und ihren Leinwandpartner John Gilbert kam man auf den Skandalroman The Green Hat von Michael Arlen, dem für die Leinwand allerdings alles Skandalöse genommen wurde; im Mittelpunkt stehen zwei Liebende, die von den Umständen an ihrem Glück gehindert werden. 1984 vertonte Carl Davis das Drama neu, im Konzerthaus wird unter der Leitung von Frank Strobel das ensembleKONTRASTE zu hören sein, das durch regelmäßige Beteiligung an den Deutschen Stummfilmmusiktagen und ein großes einschlägiges Repertoire sicher zu den versiertesten europäischen Interpreten der (Stumm-)Filmmusik gehört.