Es gibt wenige Momente im Berufsleben, die emotional belastender sind als die Kündigung bei einem Unternehmen. Wahrscheinlich weiss Dein Vorgesetzter noch nicht, dass Du Kontakt zu anderen Stellen hast. Jetzt streichst Du die Segel. Deine Handflächen sind schweissnass, Du hast geübt, was Du sagen willst. Du bist dich Deiner Entscheidung, das Unternehmen zu verlassen, sicher. Als Du die Hälfte Deines Satzes hinter dich hast, unterbricht Dein Vorgesetzter dich.

Was als nächstes passiert, überrascht viele meiner Klienten. Der Arbeitgeber verspricht Fördermassnahmen. Unter anderem beispielsweise eine Gehaltserhöhung, ein Angebot für mehr Möglichkeiten zur Entwicklung im Team oder mehr Flexibilität – möglicherweise alles zusammen. Keiner konnte ahnen, dass Du unglücklich bist. Er ist bereit, gemeinsam mit Dir und diesen Massnahmen an der Verbesserung der Situation zu arbeiten.

In diesem Moment ist das vermutlich Musik in Deinen Ohren. Und mit diesem neuen Gegenangebot auf dem Tisch ziehst Du in Erwägung, das neue Jobangebot, für das Du gerade kündigen wolltest, abzulehnen. Wenn ich Menschen, die sich in dieser Situation befinden, einen Ratschlag geben soll, dann diesen: Lehne das Gegenangebot freundlich, aber bestimmt ab.

Akzeptiere keine kurzfristige Lösung für ein langfristiges Problem

Wenn Du den Bewerbungsprozess mit der Suche, Anschreiben, Vorstellungsgespräch und so weiter auf sich genommen hast, dann hat das einen guten Grund. Oder sogar sehr viele gute Gründe. Du bist überarbeitet, unterbezahlt, unterschätzt, unterdurchschnittlich entwickelt – was immer Deine Beweggründe sein mögen, sie waren konkret genug. Sodass Du Deine Augen nach neuen Aufgaben offengehalten hast. Und obwohl der Rahmen des Gegenangebots nett klingt, wird es wahrscheinlich nicht den Kern der Probleme und Themen treffen.

In der Tat hat eine kürzlich durchgeführte Studie ergeben, dass 80 % der Mitarbeiter, die ein Gegenangebot annehmen, innerhalb von sechs Monaten trotzdem einen Neustart suchen und die Stelle wechseln. Als Recruiter weiss ich das aus erster Hand. Ich habe mit vielen Leuten zusammengearbeitet, die schon versucht haben, ihre Stelle zu kündigen. Sie haben vor sechs Monaten ein Gegenangebot angenommen, aber sie stossen nach wie vor auf die gleichen Probleme. Letztendlich wird sich an der unpassenden Unternehmenskultur in absehbarer Zeit nichts ändern. Darum meine Tipp: Kein Gegenangebot annehmen und die Stelle kündigen.

Du hast Dein Blatt bereits aufgedeckt

Wenn Du dich entscheidest, das Gegenangebot anzunehmen, wirst Du unter Umständen als weniger loyal angesehen und erhälst weniger Unterstützung. Denn vorher wusste Dein Chef noch nicht, dass Du gehen willst. Dieser Vertrauensverlust ist für Dich und Deinen Chef womöglich schwer zu überwinden. Wenn Du das nächste Mal einen Zahnarzttermin wahrnimmst, könnte Dein Chef misstrauisch werden. Bist Du auf dem Weg private Sachen zu erledigen? Oder hast Du ein Vorstellungsgespräch?

Ob es einem gefällt oder nicht: Das dauerhafte Innehaben einer Funktion und die Loyalität dieser Person gegenüber dem Unternehmen können Gründe sein, dass jemand die Karriereleiter hinaufsteigt. Auf der anderen Seite dieser Medaille könnte jemand, der bereits gezeigt hat, im Falle von Entlassungen oder Umstrukturierungen vielleicht eher entlassen werden.

Der Vorgesetzte reagiert wahrscheinlich nicht aus den richtigen Gründen

In einem Markt wie diesem, in dem gute Mitarbeiter schwer zu finden sind, bemüht sich ein Unternehmen mit einem Gegenangebot mehr um sich selbst als um eine verbesserte Zusammenarbeit mit Dir. Das Unternehmen möchte schliesslich, dass die Arbeit nicht liegen bleibt, während man nach Deinem Nachfolger sucht. Wenn man Dich für Geld behalten kann, ist es sicher einen Versuch wert.

Für das Unternehmen hat es den Vorteil, dass die Arbeit weiterhin erledigt wird. Du hast die Entscheidung, ob Du langfristig die richtige Person bist, abgegeben. Und es gibt nichts, was das Unternehmen daran hindert, Deinen Nachfolger zu suchen, während Du wie früher brav Deiner Arbeit nachgehst.

Wenn Du also denkst, dass das Gras woanders grüner sein könnte, und Du dir bereits die Mühe gemacht hast, diese neue Chance zu finden, dann ist mein Rat immer, diese Chance auch zu ergreifen. Du hast damit weitaus mehr zu gewinnen. Als wenn Du versuchst, in dem Unternehmen, das Du bereits verlassen wollten, bestehende Probleme zu beheben.

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