Chachapoyas.

Kurz nach halb sieben am Morgen beginnt unser Tag mit einem Frühstück in Zumba. Um rechtzeitig dran zu sein, lassen wir uns mit einem Taxi (1 Dollar) um halb acht zum Busterminal bringen – um acht Uhr startet die Fahrt mit dem Ranchero bis zur Grenze. Das ist ein Lastwagen mit einer für den Passagiertransport umgebauten Ladefläche. Acht Sitzreihen hintereinander bieten Platz für fast 50 Fahrgäste, die Außenwände sind ähnlich wie bei den Kinderzügen, die auf Festen durch die Städte fahren, offen. Das ist aber kein Problem; schneller als 30 km/h kann das Fahrzeug auf der Rüttelpiste, die südwärts durch eine einsame, nur noch von wenigen kleinen Siedlungen unterbrochene Berglandschaft führt, sowieso nicht fahren.

Bereit für den "Ritt" auf dem Ranchero!
Bereit für den „Ritt“ auf dem Ranchero!

Zuerst sieht es so aus, als ob wir die einzigen Ausländer im Ranchero sind. Doch einige Minuten vor der Abfahrt steigen noch zwei Fremde ein, die mit dem Nachtbus gekommen sind: ein junger, in England lebender Ire namens Michael und – es ist nicht zu fassen! – „The little Clown“, der durchgeknallte, esoterische Kanadier, den wir schon aus dem „Izhcayluma“ kennen. Es wird ein Reiseerlebnis der ganz besonderen Art… aber dazu später.

Kühe weiden am Wegesrand
Kühe weiden am Wegesrand

Nach eineinhalb Stunden für 2,25 Dollar pro Person, die meisten Einheimischen sind unterwegs in den kleinen Siedlungen ausgestiegen, erreichen wir das tief unten am Río Canchis liegende La Balsa – vielleicht fünf, sechs Häuser, darunter das Zollamt und die Station der Grenzpolizei. Ein Vorposten der Staatsmacht irgendwo im Nirgendwo, einer der entlegensten und am wenigsten genutzten Grenzübergänge in ganz Südamerika!

Mit dem Ranchero fahren wir durch die einsame Bergwelt
Mit dem Ranchero fahren wir durch die einsame Bergwelt

Die Beamten dort freuen sich wahrscheinlich, dass mit uns ein bisschen Abwechslung in ihren langweiligen Alltag kommt. Absolut korrekt und freundlich werden die Formalitäten erledigt; wir bekommen den Ausreisestempel in den Pass und dürfen anschließend zu Fuß die Grenzbrücke überqueren.

Am Schlagbaum! Zusammen mit Michael überqueren wir die ecuadorianisch-peruanische Grenze
Am Schlagbaum! Zusammen mit Michael überqueren wir die ecuadorianisch-peruanische Grenze
Im Niemandsland über dem Río Canchis - drüben wartet Peru
Im Niemandsland über dem Río Canchis – drüben wartet Peru

Drüben, auf peruanischer Seite, winkt schon ein Offizieller: Wir sollen da vorne in das weiße Haus kommen. Unsere Namen werden in den Computer eingetippt, wir müssen das übliche Einreiseformular ausfüllen, dann fragt uns der Grenzbeamte, wie lange wir bleiben wollen und nach Angela Merkel, und wir erhalten den Einreisestempel. Wir sind jetzt offiziell in Peru! Unsere erste Frage gilt einer Möglichkeit zum Geldwechseln. Wir haben gerade so viele Dollar übrig, wie wir für den ersten Tag in Peru brauchen, bis wir an einen Geldautomaten kommen, müssen die aber jetzt in peruanische Soles umtauschen. Das geht ebenfalls problemlos vonstatten.

Auf peruanischer Seite - das weiße Haus ganz rechts ist die Grenzstation
Auf peruanischer Seite – das weiße Haus ganz rechts ist die Grenzstation

Doch wie geht es jetzt weiter? Die Hostería Izhcayluma lässt uns auch hier nicht im Stich. Dort gab es eine Kopie zum Mitnehmen, auf der die Weiterreise bis in den ersten interessanten Ort in Peru, Chachapoyas, detailliert beschrieben wird. Und die hilft uns jetzt enorm…

Wertvoller Wegbegleiter nach Chachapoyas - das Info-Blatt aus dem Izhcayluma
Wertvoller Wegbegleiter nach Chachapoyas – das Info-Blatt aus dem Izhcayluma

Michael, der junge Ire, ist schon gestern Mittag in Cuenca losgefahren, ziemlich übermüdet und weiß nicht genau, was und wohin; und „The little Clown“ hat zwar die gleiche Kopie wie wir in der Hand, aber der läuft eh ferngesteuert durch die Gegend. Also sprechen wir kurz mit den beiden: Von hier fahren nur Sammeltaxis weiter, es ist das Beste, wenn wir zu Viert eine Zweckgemeinschaft bilden und die nächsten Etappen miteinander bewältigen. Ein „Colectivo“ ist schnell gefunden; das Gepäck wird eingeladen, und für 15 Soles pro Person (geteilt durch 3,80, ergibt das etwa 4 Euro) fahren wir in etwa einer Stunde nach San Ignacio. Und zwar auf einer modernen, bestens geteerten Straße durch eine vom Kaffeeanbau geprägte Bergregion! Zugegeben, ein bisschen anders als bei uns sind die Straßenverhältnisse dann doch: Einmal hat sich auf der linken Straßenseite der Untergrund offenbar selbständig gemacht, und die halbe Straße ist weggebrochen. Immerhin ist die Gefahrenstelle mit rot-weißen Bändern abgesperrt… Außerdem liegen immer wieder große Steine auf der Fahrbahn. Unser Fahrer kennt die Gefahrenstellen scheinbar genau; er fährt dann einfach auf der linken Fahrbahn weiter. Kein Problem; hier ist sowieso fast kein Verkehr.

In San Ignacio, einer Kleinstadt von gut 5.000 Einwohnern, geht es ratzfatz weiter. Am Terminal bringt uns der Fahrer gleich zum nächsten „Colectivo“: Mit dem kommen wir schneller voran als mit den Minibussen. Kurze Preisabsprache (unser Gepäck ist sowieso schon im nächsten Auto): Unser Viererteam wird für 20 Soles pro Person weitertransportiert nach Jaén. Dieser Abschnitt ist im Infoblatt von „Izhcayluma“, allerdings per Minibus, mit drei Stunden veranschlagt. Das Sammeltaxi rast die Strecke, die gesäumt ist von ausgedehnten Reisfeldern, in eineinhalb Stunden herunter. Geschwindigkeitsbegrenzungen? Da steht vor einer langgezogenen Kurve schon mal ein Schild „45 km/h“, aber wegen so was geht unser Motorsportler doch nicht vom Gas. Warum auch: Sein Tacho funktioniert eh nicht…

Die Fahrt endet am Taxi-Terminal von Jaén. Wir wollen weiter Richtung Bagua Grande, dem nächsten Zwischenstopp. Okay, kein Problem – dreirädrige Tuktuks, hierzulande „Motokar“ genannt, übernehmen den Transfer zum Busterminal oder zu einem privaten Fahrdienst. Wohin wir wollen… Mit dem Auto geht es wesentlich schneller; alles klar, dann also zum Fahrdienst! Das Tuktuk kostet 5 Soles und bringt uns quer durch die heiße, staubige 100.000-Einwohner-Stadt zu einer kleinen Garage; für das Privatauto, das von hier startet, zahlen wir anschließend pro Mann 8 Soles. Eine Stunde sind wir nun mit dem nächsten Formel I-Aspiranten unterwegs; dann haben wir kurz nach halb drei das ebenfalls staubige, heiße und unattraktive Provinzkaff Bagua Grande, immerhin gut 40.000 Einwohner groß, erreicht.

Die Rucksäcke sind auf dem Minibus, gleich geht's weiter: Szene in Bagua Grande
Die Rucksäcke sind auf dem Minibus, gleich geht’s weiter: Szene in Bagua Grande

Irgendwo am Stadtrand werden wir in der nächsten Garage ausgeladen; die ist aber wesentlich größer, es stehen zwei Minibusse herum und es gibt eine Art Schalter, an dem man zahlen kann – noch einmal 10 Soles pro Kopf für das letzte ausstehende Teilstück nach Chachapoyas. Die Rucksäcke werden aufs Dach geladen, kurz nach drei Uhr startet der mit 14 Fahrgästen besetzte Kleinbus und windet sich aus dem auf nur 450 Meter Meereshöhe an den Abhängen des Amazonas-Tieflandes gelegenen Bagua Grande immer höher die Berge hinauf. Durch tolle Felsschluchten führt die Route ins über 2.300 Meter liegende und wesentlich kühlere Chachapoyas, an dessen Busterminal wir um halb sechs ankommen – dank unserer flotten Fahrer glatt eineinhalb Stunden früher als auf dem Routenplan von Izhcayluma angegeben! Mit dem achten und letzten Fortbewegungsmittel des heutigen Tages, einem Taxi, erreichen wir für 3 Soles schließlich und endlich unser Hostal „Revash“ – ein langer und beschwerlicher, abenteuerlicher Reisetag ist glücklich hinter uns gebracht!

Schöner Innenhof in kolonialem Ambiente im Hostal Revash
Schöner Innenhof in kolonialem Ambiente im Hostal Revash
Beim Schreiben meines Berichts vor unserem Zimmer...
Beim Schreiben meines Berichts vor unserem Zimmer…

Und damit sind wir fürs Erste auch den „Little Clown“ wieder los. Er hat sich am Terminal in Chachapoyas einfach verkrümelt; und wir sind heilfroh darüber… Der Tag mit ihm war nämlich echt peinlich, vor allem hinter der Grenze, als wir zusammen mit Michael als Vierer-Team unterwegs waren. Klar, dass die Taxifahrer denken mussten, wir gehören zusammen. Da war wirklich Fremdschämen angesagt… Der Kanadier, den wir auf Anfang 40 schätzen, saß vorne auf dem Beifahrersitz, führte halblaute Selbstgespräche (dichtete er?) und ahmte mit seinen Händen dabei verschiedene Bewegungen nach. Zum Beispiel lenkte er das Auto mit, nähte, erhob die Faust, vollführte Kreisbewegungen und zählte immer wieder seine Finger ab. Die Taxifahrer schauten ihn entgeistert an und bekreuzigten sich! Damit nicht genug: Weil ihn die Musik vom Autoradio offensichtlich spirituell störte, schaltete er sie während der Fahrt einfach mal ab. Und bei kurzen Zwischenstopps stellte er den Motor aus – sogar im Minibus auf der letzten Fahrt, als er eine Reihe hinter dem Fahrer saß. Ihn würde der Abgasgeruch stören… Was er dagegen nicht auf die Reihe brachte, waren seine Finanzen. An der Grenze tauschte er so wenig Dollars in Soles um, dass ihm schon in San Ignacio das peruanische Geld ausging. Also schnorrte er zuerst von uns und später auch noch von dem jungen Iren 10 Soles; und dem Autofahrer von Jaén nach Bagua Grande drückte er, nachdem er von uns nichts mehr bekam (wir hatten unseren Bedarf genau kalkuliert und wollten außerdem seine Planlosigkeit nicht weiter unterstützen), Dollars in die Hand.

Im Hostal „Revash“, mitten in der Altstadt an der Plaza de Armas gelegen, werden wir ausgesprochen freundlich empfangen. Der Chef erkundigt sich, von wo wir anreisen: „Oh, vom Izhcayluma! Dieter und Peter kenne ich gut, das sind Freunde von mir! Wir waren schon zusammen beim Bergwandern!“ Hier werden wir gleich auch mit einem guten Restaurant-Tipp versorgt. Und erleben an unserem ersten peruanischen Abend gleich einiges Neue: Das frittierte Schweinefleisch wird, in handliche Stücke geschnitten, mit Klammern wie an einer Wäscheleine aufgehängt, serviert, und nach dem Essen probieren wir zum ersten Mal den peruanischen National-Cocktail „Pisco Sour“ –  der schmeckt nach mehr!

Erstes Abendessen in Peru - mit frittiertem Schweinefleisch an der Wäscheklammer!
Erstes Abendessen in Peru – mit frittiertem Schweinefleisch an der Wäscheklammer!
Unsere ersten Pisco Sour
Unsere ersten Pisco Sour