Culture | Salto Afternoon

Nachgewachsene Cappelli

Bozen hat eine neue Buchhandlung, die sich letzte Woche ausgiebig feiern ließ. Zu dieser Gelegenheit stellten donnerstags Marco Malvaldi und Flavio Pintarelli Bücher vor.
Nuova libreria Cappelli
Foto: Privat
Die „Nuova Libreria Cappelli“, unweit des alten Standorts in der Freiheitsstraße 2 angesiedelt, macht keinen Hehl aus dem, was sie sein soll: Ein Teil des Mobiliars wurde von der „alten“ Cappelli übernommen und auch, wenn hier nicht vor rund 75 Jahren der Literaturpreisträger Ernest Hemingway Bücher gekauft hat, so will man doch in die Fußstapfen der Traditionsbuchhandlung treten. Ob man am Weg in die Zukunft eigene Spuren hinterlässt, wird sich zeigen, auch da die Buchhandlung neben Begegnungen in Buchform auch zwischenmenschlicher Begegnungsort sein will. Begegnen kann man aber auch einigen Seiten aus Benno Simmas Skizzenbuch, etwa mit N.C. Kaser Zitat zu seiner Cassandra, die blind vor Geschichten ist. Tatsächlich könnte man hier vor Geschichten blind werden, wären die zahllosen Bücher (darunter auch überraschend viel zu Japan) nicht übersichtlich aufgeräumt.
 
Nuova libreria Cappelli
Nuova libreria Cappelli: Der Menschenauflauf war nicht nur vor der Buchhandlung groß, auch zwischen den Regalen war ein Durchkommen nur im Schlenderschritt möglich. | Foto: Privat
 
Dabei war auch Marcello Landi, der mit dem Projekt den mutigen Schritt vom vergleichsweise sicheren Franchise-Nehmer in der Altstadt hin zum unabhängigen Buchhandel gemacht hat. Die Vorschusslorbeeren „eroe“, welche in der Presse zu lesen waren, werden ihm dabei vielleicht zu viel des Guten sein, auch da er abwinkte, als er vor beiden Lesungen um Grußworte gebeten wurde.
Er überließ die Bühne lieber den beiden Autoren. Marco Malvaldi, mit welchem Katia Tenti in Dialog trat, hatte „Oscura e Celeste“ (Giunti, 2023) im Gepäck, das Buch wurde allerdings (wenn man die an die Autorenbegegnung angeschlossene Signierstunde ausnimmt), nur ein einziges Mal aufgeschlagen. Zu groß war Tentis Neugier und Freude am Gespräch, als dass aus dem Buch ausgiebig hätte gelesen werden können. Das Buch, im weitesten Sinne ein Krimi, ist 1631, zu Zeiten der Pest in Florenz angesiedelt.
 
Nuova libreria Cappelli
Nuova libreria Cappelli: Das Interesse an Malvaldis Lesung war so groß, dass am Ende weder für Stühle, noch für Menschen Platz gefunden werden konnte. Auch aus dem Erdgeschoss wurde dem Dialog gefolgt.  Foto: Privat
 
Stattdessen gab es Einblicke in den Schaffensprozess des promovierten Chemikers und Berufsschriftstellers, der in seinem neuen Buch eine Krimihandlung mit historischer Recherche und seiner eigenen Marke Humor verwebt. Er hatte schon lange vor ein Buch über Galileo Galilei zu schreiben, „nicht nur weil er Pisaner war“. Initialzündung für „Oscura e Celeste“ war dabei die Lektüre der Briefe, welche seine Tochter Virginia, oder Schwester Maria Celeste, ihm schrieb. Die väterlichen Briefe sind nicht erhalten, da sie im Zuge des Prozesses um Galileis Opposition des geozentrischen Weltbilds vorsichtshalber zerstört wurden. Dieser Umstand - und auch, dass es eine Lücke in der Korrespondenz gibt, welche aus der unmittelbaren Nachbarschaft Galileis zum Florentiner Kloster der Maria Celeste resultierte - boten den für Fiktion notwendigen Handlungsspielraum. Als Beispiel für kreativen Umgang mit historischen Quellen berichtete Malvaldi auch von einem Philosophiehandbuch für Geistliche, in welchem die Rede davon war, dass Giordano Bruno in einem Feuer gestorben sei, was faktisch nicht falsch, aber auf eine eigene Weise humoristisch wirkt.
 
Nuova libreria Cappelli
Nuova libreria Cappelli: Nicht wenige wollten den Heimweg mit einer persönlichen Widmung als Souvenir antreten. | Foto: Privat
 
Dazu, was für den Chemiker die richtige Mischung für Humor ausmacht, wurde schließlich noch gesprochen: Er betrachte das Phänomen Lachen aus neurowissenschaftlicher Sicht als eine Widersprüchlichkeit oder unvorhergesehenes Ereignis, welches für uns aber in keinster Weise bedrohlich ist. Ein Schlag von hinten in den Nacken sei schließlich auch unerwartet, lustig sei er deshalb aber nicht, so Malvaldi. Er nannte auch ein Fallbeispiel, von seinem persönlichen größten Lacherlebnis. Als er als Kantor im Dom von Pisa tätig war, ereignete es sich, dass der Diozösanbischof beim Einmarsch ins Gotteshaus zur Ostermesse wegen Regennässe ausrutschte. Mit einem Mikrophon verkabelt entschlüpfte dem Bischof dabei ein „Cazzo“, welches in der vollbesetzten Kirche zu hören war. Wäre der Kontext ein anderer gewesen, so wäre wohl auch Malvaldis Gelächter weniger herzhaft gewesen.
 

„Un passato che non passa“

 
Flavio Pintarellis „Il velo“ wurde wenig später gemeinsam mit Gabriele di Luca vorgestellt. Dieser wagte den Einstieg über eine Leserinnenkritik in der ff von der wohlwollenden Buchvorstellung, welche dort zuvor von di Luca gezeichnet erschienen war. Man bewegte sich anfänglich damit recht tangentiel zum Buch, kam aber schließlich doch zum Punkt. Di Luca war der Zugang über die Leserreaktion wichtig, da in seinen Augen das Buch irritierte, was, so erklärte Pintarelli, auch Teil seiner Absicht gewesen sei. Für uns ist in besagtem ff-Beitrag mehr eine Kritik an den von di Luca gewählten Ausdrucksformen zu lesen.
Zu Zwecken der Transparenz legte Di Luca auch offen, dass er, gemeinsam mit Maurizio Ferrandi zwei Texte Pintarellis für eine Anthologie ausgewählt hatte „Pensare l'Alto Adige. Frammenti del dibattito italiano su una terra di frontiera. Un'antologia. Vol. 2: 1973-2018“ (wie der Roman im alpha beta Verlag erschienen). Für Pintarellis Erstlingswerk waren diese beiden Essays ein Ausgangspunkt seiner weiteren Arbeit, die autobiographische Züge aufweist, aber, so betont der Autor, keineswegs eine mit ihm gleichzusetzende Hauptfigur hat. „Zuallererst weil Alex statisch ist, er steht so, wie er auf den Seiten steht, fest. Ich entwickle mich weiter.“
 
Nuova libreria Cappelli
Nuova libreria Cappelli: Das Interesse an einem jungen Erstlingsautor aus Südtirol war, wenig verwunderlich, geringer, so dass man auch in den vorderen Reihen noch Platz fand. | Foto: Privat
 
Themen des Romans sind das „Unwohlsein“ zwischen den Sprachgruppen, wie auch das Gespenst der Vergangenheit, welches Pintarelli mit Genre-Einflüssen zum tatsächlichen Geist werden lässt. Dabei geht es ihm, hinter die heile Welt Fassade blickend, „Fluchtlinien“ in Richtung einer möglichen Zukunft zu ziehen. Dass die Lese-Erfahrung und die Lesungserfahrung dabei zwei gänzlich verschiedene sein werden, hat auch mit der starken Arbeit an Tonalität zu tun, die Pintarelli bei der Buchvorstellung vornimmt: Nuancen, die bei einer Privatlektüre freilich fehlen. Klar ist aber auch, dass ohnehin im schmalen Buch genug Provokation bleibt, auch wenn das Titelmotiv mit Julie Andrews in „The Sound of Music“ eine Idylle zu versprechen scheint. Wer Musical oder Film kennt, weiß, dass diese Scheinidylle ist oder - warum nicht ein Velo - der nicht dicker ist als ein Buchdeckel.
Von der Lektüre in nächster Nähe zum Ende eines Buches ist dem Autor bei künftigen Buchvorstellungen aber abzuraten. Muss man sich beim Hollywood Kino mittlerweile schon vor Trailern in Acht nehmen, welche der gesamten Filmhandlung vorweggreifen, so will man dies nicht auch bei Buchvorstellungen fürchten müssen. Ein letztes bleibt - und dies ist kein Spoiler - so oder so wird eine Buchhandlung wie jene von Marcello Landi noch viele Blicke auf sich ziehen.