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Gesundheit

Zuchtbedingte Krankheiten und gesundheitliche Probleme – Entstehung und Prävention von Erbkrankheiten

Inhalt

Die Domestikation des Pferdes ist untrennbar verbunden mit dem Einfluss des Menschen auf die Fortpflanzung der Pferde. Vermehren konnten sich vorwiegend Individuen, die den jeweiligen Ansprüchen der Menschen am nächsten kamen. So entstanden im Laufe der Zeit unterschiedliche Pferdetypen und schließlich auch Pferderassen, wie wir sie heute kennen.

Durch die starke Veränderung der Zuchtmethoden wurde es allerdings möglich, dass sich auch Individuen vermehren, die den ursprünglichen Kriterien eines gesunden, über lange Zeit leistungsfähigen Pferdes nicht mehr genügen. Damit zusammenhängend entstanden schließlich auch vermehrt zuchtbedingte Krankheiten und andere gesundheitliche Probleme. Diese werden auch als Gendefekte oder Erbkrankheiten bezeichnet.

Um ihre Entstehung besser verstehen zu können, sehen wir uns zuerst die Grundlagen der Genetik an.

Grundlagen der Genetik

Die erste wichtige Unterscheidung ist jene zwischen Genotyp und Phänotyp. Der Genotyp beschreibt die Gesamtheit aller Gene des Pferdes. Darunter befinden sich auch viele, die keinen „Ausdruck“ finden und nicht sichtbar sind. Daher unterscheidet sich der Phänotyp (=Erscheinungsbild des Pferdes, also quasi die „Ausdrucksweise“ seiner Erbanlagen) vom Genotyp.

Unter anderem ist dies möglich aufgrund der Tatsache, dass nicht alle Gene gleich „stark“ sind. Man unterscheidet hier rezessive von dominanten Genen. Möchte man bestimmte Gene beschreiben, verwendet man dafür bei dominanten Genen Großbuchstaben und bei rezessiven Kleinbuchstaben. Gene treten immer in Kombinationen auf. Sind beide Gene „gleich“, zum Beispiel GG, spricht man von homozygot. Sind sie hingegen verschieden (z.B. Gg) von heterozygot.

Die Genetik ist ein höchst komplexes Feld, wir gehen hier daher nur auf die einfachste Form der Vererbung ein und sehen uns dafür ein Beispiel aus der Farbvererbung genauer an. Konkret wird in der nachfolgenden Abbildung dargestellt, wie sich ein dominantes Schimmelgen (reinerbig) in der Anpaarung mit einem Nicht-Schimmel (ebenfalls reinerbig) verhält (wobei „Schimmel“ streng genommen keine Farbe, sondern eine vorzeitige Aufhellung ist – aber das gäbe genug Stoff für einen eigenen Artikel).

Beispiel: Mögliche Kombinationen bei der Anpaarung zweier reinerbiger Elterntiere

Hier ist zu sehen, dass es hier in jeder der vier Möglichkeiten zur Kombination Gg kommt. Das dominante Schimmelgen kommt also durch, die Nachkommen sind allerdings alle mischerbig und können somit auch den nicht-Schimmel-Faktor (g) vererben.

Im nächsten Beispiel sehen wir, wie es sich verhält, wenn sich zwei mischerbige Schimmel miteinander paaren.

Beispiel: Mögliche Kombinationen bei der Anpaarung zweier mischerbiger Elterntiere

Drei dieser vier Möglichkeiten resultieren in Nachkommen, die Schimmel werden (GG, Gg und gG, also 1x reinerbig und 2x mischerbig). Eine der Möglichkeiten ist allerdings, dass die Kombination gg entsteht und ein Nachkomme von zwei Schimmeln in diesem Fall kein Schimmel wird, obwohl das Schimmelgen dominant ist.

Entstehung

Ähnlich wie bei den mischerbigen Schimmeln aus dem zweiten Beispiel verhält es sich mit rezessiven Genen, die für bestimmte Krankheiten verantwortlich sind – nur, dass diese Gene in der Regel sehr selten sind und daher auch nur sehr selten zwei dieser rezessiven Gene aufeinandertreffen und die Krankheit zum Vorschein kommt.

Hier ist ein weiterer wichtiger Unterschied anzumerken: Ein Pferd kann ein Gen einer bestimmten Krankheit in sich tragen, selbst aber keine Symptome zeigen. Erst bei der Anpaarung dieses Pferdes mit einem weiteren Pferd mit diesem Gen kann es zu einer entsprechenden Kombination kommen, die die Krankheit auftreten lässt (siehe zweites Beispiel „gg“). Prinzipiell können Krankheiten natürlich auch über dominante Gene vererbt werden – in diesem Fall ist es aber deutlich einfacher, die betroffenen Tiere aus der Zuchtpopulation zu entfernen.

In größeren Populationen wird es also sehr selten sein, dass eine solche Kombination entsteht. Die meisten der Nachkommen werden daher gesund sein.

Das Problem entsteht dann, wenn der Mensch durch bestimmte Arten der Zucht zu stark eingreift bzw. bei zu kleinen Zuchtpopulationen die Elterntiere nicht testen lässt. Konkret greifen hier vor allem die Probleme der Inzucht, der geschlossenen Zuchtbücher und des zu intensiven Einsatzes von zu wenigen Hengsten.

Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die – unverantwortliche – Praxis, Tiere für die weitere Zucht zuzulassen, die als Träger gewisser Krankheiten bekannt sind.

Zuchtmethode „Inzucht“

Inzucht ist in der Pferdezucht eine sehr verbreitete Methode – vor allem bei Rassen, bei denen sich alle zugehörigen Tiere stark ähneln, wie zum Beispiel Friesen. Inzucht bezeichnet konkret die Anpaarung von nah verwandten Tieren wie Eltern, Enkeln, Nichten, Neffen, Cousinen und Cousins. Durch die Inzucht selbst entstehen die Probleme allerdings nicht, sondern dadurch, dass sich (rezessive) Gene immer öfter „begegnen“ und der Genpool (Gesamtheit der Gene in einer Population) mit der Zeit immer kleiner wird (was ebenfalls die Chance auf das Aufeinandertreffen unerwünschter Gene erhöht).

Reduktion der genetischen Vielfalt

Nicht nur durch bewusste Inzucht, sondern auch durch Reduktion der genetischen Vielfalt einer Population erhöht sich die Wahrscheinlichkeit auf zuchtbedingte Krankheiten.

Dies kann einerseits dadurch passieren, dass das Zuchtbuch einer Rasse geschlossen ist und die Zuchtpopulation zu klein ist bzw. mit der Zeit zu klein wird, als auch andererseits dadurch, dass einzelne Individuen sich übermäßig stark vermehren.

Letzteres passiert vor allem durch den starken Einsatz einzelner Hengste – daher sind „Modehengste“ auch durchaus kritisch zu betrachten. Diese Hengste geben ihr Erbgut mitunter an einen beträchtlichen Teil der Zuchtpopulation weiter. Trägt nun ein solcher Hengst ein unerwünschtes Gen, wird er es an sehr viele seiner Nachkommen weitergeben. Wird nun einer dieser Nachkommen mit einem weiteren Tier, das dieses Gen in sich trägt, verpaart, steigen die Chancen auf zuchtbedingte Krankheiten enorm. Was abstrakt klingt, passiert in der Praxis relativ leicht: Man muss sich nur Verkaufsanzeigen ansehen in denen damit geworben wird, wie oft das Pferd einen bestimmten Hengst im Stammbaum hat.

Beispiele für zuchtbedingte Krankheiten

Einige bekannte Erbkrankheiten beim Pferd sind:

  • Hyperkalemic Periodic Paralysis (HYPP, dominant)
  • Polysaccharide Storage Myopathy (PSSM, dominant)
  • Malignant Hyperthermia (MH, dominant)
  • Grey Horse Melanoma (Schimmelmelanom, dominant)
  • Recurrent Exertional Rhabdomylosis (RER, dominant)
  • Hereditary Equine Regional Dermal Asthenia (HERDA, rezessiv)
  • Lavender Foal Disease (rezessiv)
  • Severe Combined Immunodeficiency (SCID, rezessiv)
  • Cerebellar Abiotrophy (CA, rezessiv)
  • Glycogen Branching Enzyme Deficiency (GBED, rezessiv)
  • Junctional Epidermolysis Bullosa (JEB, rezessiv)
  • Recurrent Airway Obstruction (RAO, komplex)
  • Equine Metabolic Syndrome (EMS, komplex)
  • Overo Lethal White Syndrome (OLWS, rezessiv, Zusammenhang mit Farbvererbung)
  • Multiple Congenital Ocular Anomaly Syndrome (MCOAS, Zusammenhang mit Farbvererbung)

Weitere zuchtbedingte gesundheitliche Probleme

Abseits von krankheitsauslösenden Genen können auch andere gesundheitlich problematische Anlagen weitergegeben werden.

Konkret können dies zum Beispiel gewisse anatomische Besonderheiten und Mängel sein, die das Pferd für bestimmte Arten von Verletzungen und Schäden anfällig machen. Dabei muss es sich nicht unbedingt um offensichtliche Gebäudemängel handeln, auch vermeintlich kleine Abweichungen können mit der Zeit große Auswirkungen haben. Beispiele hierfür wären schwache Sehnen, ungünstige Hufformen, übermäßig lange Rücken etc..

Auch hier gilt: Betroffene Pferde sollten unbedingt aus der Zucht genommen werden! Ein „Vorteil“ gegenüber den eigentlichen Erbkrankheiten ist allerdings, dass man bei anderen zuchtbedingten Problemen – wenn sie denn bekannt sind – teilweise mit entsprechend angepasstem Training, Haltung und Fütterung gegensteuern kann.

Zuchtbedingte Krankheiten: Prävention

Aus den Ausführungen oben ergibt sich im Grunde bereits die Lösung für dieses Problem – und zwar eine verantwortungsbewusste, professionelle Zucht.

Konkret bedeutet dies

  • Zuchttiere bei Bedarf auf bestimmte Gene testen zu lassen
  • die genetische Vielfalt einer Zuchtpopulation so gut es geht zu erhalten
  • die Elterntiere sehr genau auszuwählen
  • den Einsatz von Modehengsten zu überdenken.

Auch wenn ein Pferd noch so toll ist – es gibt gewisse Dinge, die es aus der Zucht ausschließen sollten. Das ist vielleicht hart für den Besitzer und eventuell auch finanziell ungünstig, aber es ist der einzige Weg um langfristig gesunde und belastbare Pferde zu erzeugen, die bei hoher Lebensqualität bis ins Alter fit bleiben.

Zuchtbedingte Krankheiten und gesundheitliche Probleme – Fazit

Zuchtbedingte Krankheiten, auch Erbkrankheiten oder Gendefekte genannt, kommen bei einer Vielzahl an Rassen und in den unterschiedlichsten Ausprägungen vor. Vermeiden lassen sie sich vor allem durch eine überlegte Auswahl der Zuchttiere, die man bei entsprechender Disposition der Rasse auf unerwünschte Erbanlagen testen lassen sollte. Hinsichtlich der Erhaltung der genetischen Vielfalt – und damit der Gesundheit – unserer Zuchtpopulationen ist der Einsatz von Modehengsten durchaus kritisch zu sehen.

Quellen:

Margaret Mary Brosnahan, Samantha A. Brooks*, and Douglas F. (2010). Equine Clinical Genomics: A Clinician’s Primer. Baker Institute for Animal Health, College of Veterinary Medicine, Cornell University, Ithaca New York 14853 USA.

DVM, PhD, DACT Griffin, Pat (2014). GENETIC CONDITIONS AND TESTING. Irongate Equine Clinic.

Deutsche Reiterliche Vereinigng (2016). Grundwissen zur Haltung, Fütterung, Gesundheit und Zucht. FN Verlag.

Schmidt-Basler, Ursula (2002). Pferde aus Licht und Schatten. Geschichte-Rassen-Farbvererbung der gefleckten und gescheckten Pferde. Müller Rüschlikon.