Gab’s 1928 schon mit Knautschzone! Stoewer S8

Muss die Geschichte der passiven Sicherheit beim Automobil neu erzählt werden? Wird nicht Mercedes die Einführung der Knautschzone zugeschrieben?

Übrigens eine lebensrettende Erfindung wie zahlreiche andere – splitterfreies Glas, Vierradbremsen, Sicherheitsgurt, ABS usw. – die sich kein Bürokrat am Schreibtisch ausgedacht hat, sondern Entwickler im Wettbewerb stehender Privatunternehmen.

Der Erfindung der Knautschzone bin ich persönlich dankbar, denn sie hat mir zu Studentenzeiten meinen VW Käfer gerettet. Besagte Knautschzone gehörte einem VW Golf, der mir von rechts kommend in Hanau-Steinheim bei voller Fahrt die Vorfahrt nahm.

Die Aufprallenergie schluckte in erster Linie die vordere linke Ecke des Kontrahenten. Bei meinem Käfer waren nur die Stoßstange und deren Halter verbogen, so schien es. Während der Golf auf dem Abschleppwagen und möglicherweise auf dem Schrott endete, setzte ich einfach meine abendliche Fahrt nach Wiesbaden fort, wo ich damals wohnte.

Später stellte meine Werkstatt zwar eine Verformung des Vorderwagens fest, die sich aber in Grenzen hielt und auf Versicherungskosten behoben wurde. So blieb mir der VW bis Kilometerstand 220.000 treu (mit dem ersten Motor).

So zufrieden ich mit dem Ausgang der Episode war, wusste ich natürlich, dass die Sache anders ausgegangen wäre, wenn hier nicht einer „nachgegeben“ hätte – nämlich der „Golf“ mit seiner Knautschzone an der Front.

Bei Vorkriegswagen – das war der „Käfer“ konstruktionsseitig ja auch – endeten solche Kollisionen meist unschön. Es gibt haufenweise Fotos, die davon Zeugnis geben, aber selbst wenn ungewöhnliche Fahrzeuge darauf zu sehen, meide ich es, solche Unfallbilder zu zeigen.

Man ahnt oft, dass dabei Menschen schwere Verletzungen davongetragen haben müssen oder gar zu Tode gekommen sind – so etwas zur Unterhaltung zu zeigen, gehört sich einfach nicht.

Ausnahmen mache ich dann, wenn offensichtlich ist, dass die Insassen mit dem Schrecken oder vielleicht einer Beule oder einem Rippenbruch davongekommen sind.

Ein Beispiel dafür zeige ich heute. Die Sache beginnt harmlos, aber eindrucksvoll:

Stoewer S8; Originalfoto aus Familienbesitz (Andreas Berndt, Dresden)

Diese exzellente Aufnahme zeigt einen Stoewer des nur 1928 gebauten Typs S8 – der den vielleicht kleinsten Achtzylindermotor besaß, der je ein Serienauto angetrieben hat. Das 45 PS leistende Aggregat hatte bloß einen Hubraum von knapp 2 Liter.

Damit hatte sich der Nischenhersteller Stoewer aus Stettin erstmals an die anspruchsvolle Konstruktion eines Achtzylindermodells gewagt – eine beachtliche Leistung, die vom Rang dieser langlebigen Marke zeugt.

Darauf aufbauend entwickelte man in rascher Folge wesentlich größere und stärkere Achtzylinder bis zum Typ S15 15/80 PS „Gigant“.

Der Stoewer S8 auf obigem Foto gehörte übrigens dem Großvater von Andreas Berndt aus Dresden, der mir die Aufnahme in digitaler Kopie zur Verfügung gestellt hat.

Nicht lange scheint der Stoewer seinem Besitzer Freude gemacht zu haben; bald ereilte ihn das Schicksal in Form eines Frontalzusammenstoßes. Und dann sah der eben noch so beeindruckende Wagen einigermaßen zerknautscht aus:

Stoewer S8; Originalfoto aus Familienbesitz (Andreas Berndt, Dresden)

Erstaunlicherweise zeigt sich hier genau das Bild wie bei einem modernen Wagen mit Knautschzone nach solch einem Unfall:

Während die Passagierzelle vollkommen unversehrt erscheint, und die Insassen wohl problemlos aussteigen konnten, ist die Aufprallenenergie fast ganz vom Vorderwagen absorbiert worden.

Dass hier erhebliche Kräfte am Wirken waren, erkennt man an dem nach oben verschobenen Kühler und dem zerstörten Vorderkotflügel. Vermutlich ist der zweite an der Kollision beteiligte Wagen vorn links eingeschlagen – wie einst mein Käfer im „gegnerischen“ VW Golf.

Inwieweit der massive Leiterrahmen verbogen wurde, ist schwer zu beurteilen, die linke Vorderradaufhängung scheint aber in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein.

Ob das noch reparabel ist?“, das werden sich die beiden Herren gefragt haben, die hier einigermaßen ratlos vor dem vorn angehobenen Wagen stehen.

„Mit einer dieser neuartigen Stoßstangen, die kürzlich vorgestellt wurden, wäre der Schaden wohl weit geringer ausgefallen, aber das hilft jetzt auch nicht weiter.“

Natürlich waren die Stoßstangen des Stower S8 gestalterisch ganz auf der Höhe der Zeit. Es gab aber im Zubehörhandel Konstruktionen, mit denen man sich zusätzlich eine Art Knautschzone zwischen Stoßstange und Rahmen erkaufen konnte.

So etwas sieht man auf einer dritten Aufnahme, welche ebenfalls einen Stoewer S8 (evtl. auch den stärkeren G14) in einer ganz anderen Situation zeigt:

Stoewer S8; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt, Dresden

Aus dieser wunderbaren Aufnahme, die ich einem weiteren Dresdener verdanke – Matthias Schmidt – ist schon einmal eines ersichtlich: Wenn man das nötige Kleingeld hatte, lebte es sich nicht so schlecht in den späten 1920er Jahren.

Man fuhr mit der Achtzylinder-Limousine komfortabel an die See und stellte den Wagen dort einfach vor den Dünen ab. Das Trittbrett bot dann ausreichende Sitzgelegenheit, wenn man sich man nach dem Bad im Meer von der Sonne trocknen und die bleiche Großstadthaut ein wenig bräunen lassen wollte.

Man könnte es beim Genuss dieser schönen Szene bewenden lassen, die mehr über die Rolle des Automobils verrät als manches nüchterne Kapitel in der Fachliteratur – welche im Fall von Stoewer leider sehr schmal ausfällt (Hans Mai, Stoewer-Automobile 1896-1945).

Aber auf eines muss ich bei der Gelegenheit doch noch hinweisenn, um meine nicht ganz ernstgemeinte „Knautschzonen“-Hypothese zu unterfüttern. Schauen Sie genau hin:

Die Stoewer-Freunde werden wohl zunächst die typische Kühlerfigur – den pommerschen Greif wohlwollend bemerken. Menschlich reizvoll ist daneben der Hintergrund.

Für etwas Irritation mag im ersten Moment die Partie ganz links auf Höhe des Scheinwerfers sorgen: Hier sieh man das Heck eines hinter dem Stoewer abgestellten Motorrads mit gefedertem Soziussattel und beiderseits des Schutzblechs angebrachten Werkzeugtaschen.

Blendet man das aus und wandert mit dem Auge nach unten, sieht man sie – die Knautschzone!

Tatsächlich ist hier die eigentliche Stoßstange viel weiter vorn als werksseitig üblich angebracht, sie ist zudem nicht zweiteilig, sondern besteht aus einem zigarrenförmigen Rohr, hinter dem senkrechte Stangen angebracht sind. Ein scherenförmiger Mechanismus schließlich verbindet diese Konstruktion mit den vorderen Rahmenenden.

Das Ganze war wohl auf Zusammenstöße bei innerstädtischem Tempo ausgelegt – wobei die vertikalen Stangen sicherstellen sollte, dass man auch höher oder niedriger angebrachte gegnerische Stoßstangen auffangen konnte.

Die Aufprallenergie wurde dann zumindest teilweise von dem Scherenmechanismus absorbiert, der vielleicht Reibscheiben wie die damals üblichen Stoßdämpfer enthielt oder einfach darauf ausgelegt war, stark verbogen zu werden.

Sicher gibt es zeitgenössische Werbung zu dieser Frühform der Knautschzone, die beizusteuern ich meinen Leser überlassen möchte. Meine Schuldigkeit habe ich für heute mit dieser Zusammenstellung getan, meine ich.

Denken Sie daran: Sie lesen hier in einem Online-Tagebuch eines Amateurs mit, dem es einfach Vergnügen bereitet, solche Sachen und seine oft spontanen Gedanken festzuhalten. Historische Genauigkeit strebe ich zwar an, sie ist aber nicht das eigentliche Ziel.

Daher entschuldigen die wirklichen Experten bitte meine Behauptung einer „Knautschzone anno 1928“, manchmal ist mir ein treffendes Bild wichtiger als die reinen Fakten.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

3 Gedanken zu „Gab’s 1928 schon mit Knautschzone! Stoewer S8

  1. Mit der „zustoßenden“ Lenksäule und Lenkradnabe hat Hr. Weigold eine ganz wesentliche Ursache für oftmals tödliche Unfallverläufe genannt, wogegen erst die Entwicklung der Sicherheitslenksäule mit Gitterhülse, Ausklinkkupplung oder (doppeltem) Kugelgelenk half. Federführend von Béla Barényi für Mercedes entwickelt, wurden auch im Porsche 911, beim VW 1600 und – man möge mir die Erwähnung verzeihen – 1967 auch bei Opel Sicherheitslenkungen eingeführt :

    https://presskit.porsche.de/specials/de/porsche-1mio-911/topic/the-innovations-of-the-911.html

    https://www.autosieger.de/Mercedes-Benz-50-Jahre-Sicherheitslenkung-mit-Pralltopf-article36284.html

    http://graf-vlad.de/inhalt/alte_kisten/typenspezifisches/rekord-c/inlandsproduktion/_inhalt-01.html

    https://www.volkswagen-classic.de/de/Serial-Models/Volkswagen-Type3-1500-1600.html#

    Das Unfallbild vom Stoewer S8 erscheint mir so, als hätte ein Casco-Puffer hier doch schadensmindernd wirken können, denn auch der Kühlergrill erscheint unten stärker eingedrückt wie auch die linke Motorhaubenhälfte bis zur A-Säule hin erkennbar deformiert. Ein Aufprall mit max. 40 km/h und damit im oder nur knapp über dem Schutzbereich der Spezialstoßstangen, der vielleicht dennoch den Kotflügel tangiert und die Vorderachse beschädigt, aber den Motorraum komplett geschont hätte. Unfälle mit Tempo 100 und mehr … da gab es mal einen schaurigen Schwarzweiß-Bildband namens „Car Crashes & other sad stories“ von Mel Kilpatrick, deutsche Ausgabe im Taschen-Verlag :

    https://www.goodreads.com/book/show/91676.Car_Crashes_Other_Sad_Stories

  2. Diesmal habe ich wiedermal Anlass zu einem Kommentar zum Thema Knautschzone :
    Insachen Sicherheitsstoßstange war mir Herr Schmidt zuvorgekommen mit seinem Hinweis auf die bei v. Fersen abgebildete Anzeige für den CASCO- Puffer – denn um 3.30h
    schlafe ich den Schlaf des Gerechten.
    In den diversen Foto-Alben unserer Familie gibt es ein Bild
    des Fabrikanten Heinz Appel, „Feinkost- Appel“ mit meinem
    Großvater (seinerzeit Museumsdirektor am niedersächsischen Provinzial- Museum in Hannover) vor Appels großmächtiger „Nürburg“- Limousine. Direktor
    Appel reichte mit besitzanzeigend hochgestelltem rechten Bein kaum über die Gürtellinie seines Direktions- Wagens.
    Dieser trägt gut sichtbar die CASCO- Puffer- Stoßstange, identisch mit der in der Anzeige.
    Die dem Stoever vorgehängte Vorrichtung unterscheidet sich davon deutlich, wird hier die „Gummi- Wurst“ doch von den gut sichtbaren massiven halbrunden Gabeln getragen.
    Vergegenwärtigen wir uns das Funktionssystem:
    Bei hartem Aufprall links- oder rechtseitig aussen weicht das ganze System nach der beaufschlagten aus und wirkt somit stark dämpfend.
    Aufprall innerhalb der Spannweite der Gabeln bewirkte eine entspechend energieverzehrende Verformung der Gummiwurst. Der Aufprall im Bereich zwischen den Anlenk- Punkten der Gabeln wirkte am stärksten dämpfend indem das gesamte System nachgibt.
    Die Befestigung der Gabeln an den Rahmenköpfen mittels gewaltiger Sechskantschrauben (soweit die Unschärfe der Aufnahme erkennen lässt) legt die Nutzung des entsprechenden großen Lösemomentes zur Vergrößerung des Gesamt- Widerstands gegen die Aufprall- Energie eines festen oder beweglichen Gegenstandes nahe!
    Die Frage, ob es sich um eine verbesserte Ausführung der „CASCO- Puffer“ handelte oder um ein Konkurrenz- Fabrikat ist damit nicht beantwortet.
    Die Art der ( Aufprall-) Energie- verzehrung durch die in den Sechzigern entwickelte Idee der „Knautschzone“ unterscheidet sich allerdings fundamental von der in früheren Jahren üblichen Art der Energieverzehrung durch Verbiegen oder Verschieben der dem Unfallgeschehen ausgesetzten Fahrzeugpartien.
    Hierbei war für die Insassen, insbesondere den Fahrer, das Glück entscheidend. Nämlich, ob sich die beaufschlagten Fahrzeugteile von den Passagieren weg- oder auf sie zubewegten. Wie bekannt ging der „Kampf“ mit der lanzenartig auf die Fahrer- Brust zustoßenden Lenksäule fast immer zu Ungunsten der vergleichsweise fragilen menschlichen Physis aus !

  3. Die zeitgenössische Werbung liefere ich gerne :
    „CASCO-PUFFER Lebensretter“ der Gummipuffer Casco AG, Berlin W35 sowie den „Federstahlpuffer CONTRA“ der Deutschen Stoßdämpfer AG, Berlin SW61.
    Gefunden in meiner Literatur „Chronologie des Automobils“, Zyklam Belletechnik 1986 und von Fersen „Autos in Deutschland 1920-1939“
    Sehr beeindruckend ist die schöne Frontansicht, wobei das Kennzeichen II-45366 auf der Stoßstange besser platziert wäre; dann hätte man den Anblick dieses imposanten 8-Cyl. Kühlergrills gänzlichen genießen können ! Und daß ich mich fast täglich hier über Ihre Klassiker-Vorstellung freuen kann … mit Tempo 140 per doppeltem Überschlag von der Autobahn in den Acker zu geraten und dann nur mit ein paar Prellungen aus einem leider völlig zerstörten Ford Scorpio Turnier mit Holzlenkrad ohne Airbag zu klettern, zeugt von dessen Fahrgastzellenschutzkonstruktion. Viel lieber hätte ich dieses Auto nun nach 22 gemeinsamen Jahren mit einem H-Kennzeichen versehen, aber so waren es nur 22 Wochen mit diesem Scorpio.

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