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Der Völkerbund – Politisches Scheitern und Installierung eines Netzwerkknotenpunkts einer globalen Wissensgesellschaft

Gastbeitrag von Herrn PD Dr. Jonathan Voges, Leibniz Universität Hannover

  • Weimarer Republik (1918-1933)

Hintergrundinformationen

„A living thing is born” – der Enthusiasmus des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson hielt nicht lange vor; kurz nachdem er dem Völkerbund bescheinigt hatte, integraler Bestandteil der Friedensordnung nach dem „war to end all wars“ zu sein, machte ihm der amerikanische Senat einen Strich durch die Rechnung: Die USA traten, obwohl Wilson während der Friedensverhandlungen in Paris noch als spiritus rector der neuen internationalen Organisation auftrat und er dessen Gründung im 14. seiner berühmten 14 Punkte ausdrücklich gefordert hatte, nicht bei. Eine schwere Hypothek für die im Entstehen begriffene Vereinigung.

Lange Zeit nahm die Völkerbundforschung an dieser Stelle ihren Anfang und erzählte vom Nichtbeitritt der USA her das vermeintlich unvermeidliche Scheitern des Völkerbundes nach. Nach einigen kleineren Erfolgen bei der Eindämmung regionaler Konflikte in den 1920er Jahre, so das Narrativ, zeigte sich die eigentliche Schwäche des Völkerbundes dann in den 1930er Jahren, als er weder beim japanischen Einmarsch in die Mandschurei noch beim Angriff Italiens auf Äthiopien eine gute Figur machte. Gleichzeitig spielte der Völkerbund auch in den außenpolitischen Konzepten seiner vormaligen Unterstützer – hier insbesondere Großbritannien und Frankreich – eine immer geringere Rolle; anstatt sich weiter der Idee der kollektiven Sicherheit zu verpflichten, suchte nunmehr jeder nach Garantien allein für die eigene Stellung. Von Wilsons „new diplomacy“ war zum Zeitpunkt, als der Zweite Weltkrieg ausbrach, nicht mehr viel übrig.

Insbesondere die Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und dem Völkerbund war konfliktreich: Zunächst als Gegner der Alliierten nicht im Völkerbund willkommen, den man so einen „Bund der Sieger“ allein zur Überwachung der Friedensbedingungen von Versailles zieh, trat man zwar 1926 bei. Bis dieser Schritt möglich wurde, hatte es nicht nur der Annäherungen im Zuge der Locarno-Verträge bedurft , sondern auch viel diplomatischen Fingerspitzengefühls im Völkerbund selbst – der feste Ratssitz, eine Grundbedingung des deutschen Beitritts, traf anderswo (so bei Polen, Spanien und Brasilien) auf eigene Forderungen, die bis zur letzten Minute hin ausgehandelt werden mussten.

Die deutsche Mitgliedschaft währte allerdings nur wenige Jahre. Während man zwischen 1926 bis 1933 seine Delegierten nach Genf entsandte, die in ihrer Buntheit (Frauen, Sozialdemokraten und andere Personengruppen, die gerade im diplomatischen Dienst noch immer Außenseiter waren, wurden zu Delegierten ernannt) alljährlich in den Sitzungswochen das Genfer Milieu bereicherten, und man sich vor allem – aus nationalem Interesse – mit der Minderheitenfrage befasste , erfolgte mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten der Bruch. Nachdem Deutschland schon 1932 die vom Völkerbund veranstaltete Abrüstungskonferenz verlassen hatte, weil man ihm die eingeforderte „Gleichberechtigung“ versagte, trat es nun mit ganz ähnlichen Argumenten aus der Organisation aus; die NSDAP-Regierung ließ sich diesen Schritt auch noch per Volksbefragung absegnen. Deutschland blieb für die in der Völkerbundsatzung geforderte Übergangszeit von zwei Jahren noch Mitglied, bevor es dann 1935 endgültig den Völkerbund verließ. 1934 war für das austretende Deutsche Reich die Sowjetunion nachgerückt.

All das liest sich wie die Geschichte einer gescheiterten Organisation, deren (schlechtes) Beispiel vor allem dazu dienen konnte, der Nachfolgeorganisation – also der UNO – zu zeigen, wie man es nicht machen sollte. Erst in jüngerer Zeit geht eine neue Generation von HistorikerInnen „Back to the League of Nations“ (Susan Pedersen) und begnügt sich nicht mehr mit diesem einfachen Narrativ einer von Beginn an zum Scheitern verurteilten ungeliebten Geburt des Ersten Weltkriegs. Der Blick auf den Völkerbund wird differenzierter; neben seinen politischen Aktivitäten geraten nun zusehends auch die technischen und sozialen Aufgaben in den Blick, für die der Völkerbund zahlreiche Kommissionen, Unterkommissionen, Expertenzirkel und Konferenzen um sich scharte – und die im Grunde allesamt nach 1945 in der UNO wieder auftauchten.

Seien es nun Gesundheitsfragen, der internationale Waffenhandel, Prostitution, globale Wirtschaftsprobleme und Finanzströme – all diese Themen verhandelten Völkerbundorganisationen, und diese sind nur eine kleine Auswahl. An diesen Aufgaben beteiligten sich auch Vertreter all jener Staaten, die nicht (mehr) Mitglied des Völkerbundes waren, so zum Beispiel das Deutsche Reich vor 1926. Albert Einstein war – auch wenn es Anlaufschwierigkeiten gab – Mitglied der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit des Völkerbundes; die USA ermöglichte es ihren Staatsbürgern, kontinuierlich an den Völkerbundaktivitäten teilzunehmen, sofern sie als unpolitisch zu deklarieren waren (um wiederum auf die genannte Kommission zurückzukommen: In dieser saßen nacheinander George E. Hale, Robert A. Millikan und schlussendlich James T. Shotwell).

Der Völkerbund wurde so zu einem zentralen Informations- und Wissensknotenpunkt in den intellektuellen und akademischen Netzwerken der Zwischenkriegszeit. Gerade diese Bereiche seiner Aktivität werden derzeit wiederentdeckt. Ihm wird damit auch ein Stück weit historische Gerechtigkeit zugestanden: Anstatt von der Perspektive eines unvermeidbaren Scheiterns auszugehen, wird nun vielmehr gefragt, was der Völkerbund eigentlich tat, während es ihn gab, wer sich an seinen Aktivitäten mit welchen Intentionen beteiligte und vor allem auch, wie es dem Völkerbund gelang, zu einer zentralen Serviceagentur einer globalen Wissensgesellschaft zu werden.