Die chaotische Welt der Zeilenumbrüche

Wer kennt das nicht? Man kopiert einen längeren Text von A nach B – und plötzlich sind alle Absätze weg oder klaffen meilenweit auseinander. Das Problem beginnt oft schon beim Eintippen der Zeilenumbrüche.

Finger über einer Return-Taste auf einer Tastatur, umgeben von im Raum schwebenden ¶- und ↵-Zeichen.
Dein Leben ist eine Lüge! Nicht alles, was nach einem Zeilenumbruch aussieht, ist auch einer.

Es ist erstaunlich, was heutige Computertechnik in Bereichen wie etwa künstlicher Intelligenz und virtueller Realität leistet. Noch erstaunlicher ist, dass es trotzdem oft an den simpelsten Dingen scheitert. Manchmal werden nicht einmal reine Texte korrekt angezeigt.

Ein prominentes Beispiel sind Zeilenumbrüche. Scheinbar ganz nach Laune sind die mal da, mal weg, mal sind die Abstände doppelt und mal halb so groß. Schuld sind oft ganz unterschiedliche Definitionen von Zeilenumbrüchen – und Altlasten aus der Computersteinzeit.

Die Schreibmaschine ist schuld.

Eine Ursache vieler Debakel mit Computern sind ihre mechanischen Vorläufer namens Schreibmaschinen. Allem voran sind diese an unseren ineffizienten Tastaturen schuld. Die übliche Anordnung der Tasten – Q, W, E, R, T, Z und so weiter – hat nämlich keine ergonomischen Gründe, sondern geht darauf zurück, dass die mechanischen Typenhebel nicht verhaken sollen. Für den Nutzer bedeutet das, dass häufig benötigte Tasten weit voneinander entfernt sind.

Ebenso geht die heutige Darstellung von Zeilenumbrüchen auf mechanische Schreibmaschinen zurück. Eine einfache Taste, um an den Beginn der nächsten Zeile zu kommen, gibt es dort nicht – schließlich brächte man damit nicht die nötige Kraft auf, um die eingespannte Papierseite von einem Ende zum anderen zu schieben.

Stattdessen muss man den Teil, in dem die Seite eingespannt ist – den sogenannten Schlitten oder Wagen –, manuell zurückschieben. Das nennt man einen Wagenrücklauf. Gleichzeitig betätigt man einen Hebel, um die Seite ein Stück nach oben zu ziehen und so in die nächste Zeile zu kommen. Das nennt man einen Zeilenvorschub. Und so mittelalterlich das heute auch klingen mag: In manchen Computersystemen findet sich das immer noch in dieser Form.

Eine Hand mit schwarzem Fleck am Zeigefinger schiebt am Hebel einer mechanischen Schreibmaschine den Wagen zurück.
Handhabung einer mechanischen Schreibmaschine. Screenshot aus einem Erklär-Video von Bryan Sherwood. Wer Schreibmaschinen nur aus Erzählungen seiner Urahnen kennt, sollte sich dieses Video zum besseren Verständnis ansehen. Der Tintenfleck am Zeigefinger ist zur Benutzung nicht zwingend erforderlich.

Wagenrücklauf und/oder Zeilenvorschub?

Als das Schreiben langsam digital wurde, war es durchaus sinnvoll, Wagenrücklauf und Zeilenvorschub vorerst noch getrennt zu lassen. Verfügbare Zeichen und Formatierungsmöglichkeiten waren anfangs noch beschränkt und man musste sich gelegentlich damit behelfen, an einer Stelle mehrere Zeichen zu überlagern. Um etwa ein Wort zu unterstreichen, musste man den Wagen an den Wortanfang zurückbewegen und dann für jeden Buchstaben noch einmal zusätzlich einen Unterstrich eintippen. Und ja: Der Unterstrich auf modernen Tastaturen hat genau daher seinen Namen und ist ebenso ein Relikt aus Schreibmaschinentagen.

Microsoft hat den zweiteiligen Zeilenwechsel bis heute beibehalten. Ein Zeilenumbruch in Windows besteht üblicherweise aus zwei sogenannten Steuerzeichen, also Zeichen, die für den Benutzer in der Regel nicht als eigene Zeichen sichtbar sind. Das erste Zeichen ist der Wagenrücklauf (üblicherweise kodiert als \r für »return«), das zweite Zeichen ist der Zeilenvorschub (üblicherweise kodiert als \n für »new line«).

Für einen einfachen Zeilenumbruch gleich zwei Steuerzeichen zu verwenden, ist allerdings ineffizient. Andere Systeme benutzen daher andere Kodierungen, die mit einem einzelnen Zeichen auskommen. Praktisch überall außer bei Microsoft hat sich mittlerweile durchgesetzt, den Wagenrücklauf in der Schreibmaschinen-Ära zu belassen und den Zeilenumbruch allein mit dem Zeilenvorschub (\n) zu kodieren.

Das häufigste Problem: Wenn man eine so kodierte Datei mit einer Anwendung öffnet, die sich Microsoft-Umbrüche erwartet, werden keine Zeilenumbrüche dargestellt. Schließlich fehlen die erwarteten Wagenrückläufe und der Zeilenvorschub allein wird als unsichtbares Steuerzeichen in der Regel nicht ausgegeben.

Die selbe Textdatei mit einem Gedicht in zwei Programmfenstern. Im oberen Fenster folgt nach jeder kurzen Verszeile ein Zeilenumbruch. Im unteren schließen die Verse ohne Abstand direkt aneinander an. Der Text: Ich bin eine Zeile. / Komm, greif zum Beil! / Zerhack’ mich in Teile! / Ich finde das geil.
Ein Gedicht, das unter Linux mit gedit (mit Standardeinstellungen) abgespeichert wird (oben), wird in Notepad unter Windows 7 (unten) zu einer Textwurst.

Heutzutage ist es mehr eine Frage der genutzten Anwendungsprogramme als des Betriebssystems. Aber das macht es für die Nutzer nicht leichter – schließlich kann man sich damit nicht einmal innerhalb eines Betriebssystems darauf verlassen, dass Zeilenumbrüche überall gleich dargestellt werden.

Immerhin hat Microsoft 2018 nach dreißig Jahren seinem Texteditor Notepad beigebracht, auch Zeilenvorschübe ohne Wagenrücklauf als Zeilenumbrüche zu interpretieren. Ja, andere hatten im selben Jahr ein Elektroauto in eine Sonnenumlaufbahn geschossen, aber man muss auch die kleinen Erfolge feiern. Vielleicht etabliert sich das ja doch langsam als einzig wahrer Standard.

Zeilenumbruch oder Absatzwechsel?

Während die bisherige Inkompatibilität langsam auszusterben scheint, haben moderne Anwendungen eine neue mit sich gebracht. Was wäre Innovation denn auch ohne innovative Probleme? Zu Schreibmaschinenzeiten gab es nur Zeilenumbrüche, aber heute muss man oft ganz genau zwischen Zeilenumbruch und Absatzwechsel unterscheiden.

Einfache Texteditoren wie Notepad oder auch das Kommentarfeld unter diesem Artikel folgen da der Tradition der Schreibmaschinen: Will man Textabschnitte voneinander trennen, gibt es einen Zeilenumbruch und sonst nichts. Wer einen Absatz darstellen will, muss mit zwei Zeilenumbrüchen hintereinander eine Leerzeile erzeugen.

Anders ist das bei Textverarbeitungsprogrammen wie Microsoft Word oder LibreOffice Writer: Hier wird unterschieden, ob ein Wechsel das Ende einer Zeile oder das Ende eines Absatzes markiert. Und genau da wird es innovativ problematisch.

Mehrere Zeilen Text in Microsoft Word. Erste Zeile: »Eine Zeile in Microsoft Word.« Darunter mit etwas Abstand: »Hier ist eine neue Zeile. Oder ist es ein Absatz?« Darunter mit noch größerem Abstand: »Und wie ist es mit dieser Zeile?« Darunter mit nur wenig Abstand: »Und mit dieser?«
Zeilenumbruch oder Absatzwechsel? Das ist hier die Frage.

Dieser Unterschied ist nämlich nicht zwingend sichtbar. Ein Absatzwechsel kann wie ein Zeilenumbruch aussehen – und ein Zeilenumbruch wie ein Absatzwechsel. Schließlich können in solchen Programmen Formatierungen wie Zeilenhöhen und Abstände flexibel geändert werden.

Solange man nur in einer neuen Datei vor sich hin schreibt, fällt das vielleicht gar nicht auf, aber sobald man beginnt, aus verschiedenen Quellen Texte zu kopieren, können die unterschiedlichen Formatierungen ganz abenteuerliche Ergebnisse mit sich bringen.

Auch wenn man versucht, einen Absatz zu formatieren, kann es durch diese unsichtbaren Unterschiede zu sichtbaren Überraschungen kommen. Will man etwa nur einen einzelnen Absatz am rechten Rand ausrichten und stattdessen steht plötzlich der Text im gesamten Dokument rechts, dann hat man in seiner Datei wahrscheinlich gar keine Absätze, sondern nur Zeilenumbrüche.

Hat man sich lange genug damit herumgequält und will endlich wissen, ob an einer Stelle nun ein Absatzwechsel oder nur ein Zeilenumbruch ist, kann man sich in Textverarbeitungsprogrammen Formatierungszeichen einblenden lassen. Üblicherweise gibt es dafür einen Button mit dem Zeichen ¶. Das gleiche Zeichen markiert anschließend im Text ein Absatzende, während ein Zeilenumbruch mit dem Zeichen ↵ dargestellt wird.

Gedicht mit eingeblendeten Formatierungszeichen in LibreOffice Writer. Text: Ich bin ein Absatz,¶ / Doch nicht am Fuß, ↵ / Auch nicht am Marktplatz,¶ / Dem Leser zum Gruß.¶
Eingeblendete Formatierungszeichen: Was wie ein Zeilenumbruch aussieht, wie ein Zeilenumbruch eingetippt wurde und sich wie ein Zeilenumbruch löschen lässt, ist möglicherweise ein Absatzwechsel.

Wie man einen Zeilenumbruch eingibt.

Wie unterscheidet man nun beim Eintippen, ob man einen Zeilenumbruch oder einen Absatzwechsel macht? Da es in einfachen Texteditoren nur Zeilenwechsel gibt, wäre es ja naheliegend, auch in komplexeren Anwendungen erst einmal alles als Zeilenumbruch zu interpretieren. Aber das wäre ja zu einfach! Stattdessen ist es genau umgekehrt:

  • Einen Absatzwechsel gibt man ein, indem man die Return- oder Enter-Taste drückt.
  • Einen Zeilenumbruch gibt man ein, indem man zusätzlich die Shift-Taste gedrückt hält.
Zwei Tastaturskizzen mit markierten Tasten. In der oberen ist eine Taste für einen Absatzwechsel, Return, markiert. In der unteren ist zusätzlich die Shift-Taste für einen Zeilenumbruch markiert.
Ein Zeilenumbruch ist eine kompliziertere Angelegenheit als ein Absatzwechsel. (Ursprüngliche Bildquelle für das Tastatur-Layout: Screenshot aus Wikipedia-Artikel zum Thema Tastaturbelegung.)

Ich weiß nicht, ob es dahinter einen logischen oder historischen Grund gibt. Falls nicht, sollten demjenigen, der sich das einfallen hat lassen, auch ein paar Zeilen umgebrochen werden.

Der Name der Return-Taste leitet sich von »Carriage Return« ab, also vom Wagenrücklauf einer Schreibmaschine. Das Symbol auf dieser Taste symbolisiert Wagenrücklauf und Zeilenwechsel: ein abgeknickter Pfeil, der ein Stück nach unten und weit nach links zeigt. Das ist nichts Anderes als ein Zeilenumbruch. Und dieses Symbol ist auch identisch mit dem Formatierungssymbol für einen Zeilenumbruch. Aber wenn man die Taste drückt, erscheint wie zum Hohn ein Absatzwechsel.

Warum die Unterscheidung ein Martyrium ist.

Zwischen Absatz- und Zeilenende zu unterscheiden wird so schnell nicht zum Standard werden, denn einfache Textformate ohne Verständnis von Absätzen sind praktisch allgegenwärtig. Unzählige Dateitypen basieren auf solchen Daten. Sämtliche Computersprachen kennen nur Zeilenumbrüche – von Java und C bis zum Textsatzsystem TeX. Standard-Textfelder im Web kennen auch nur Zeilenumbrüche.

Bei E-Mail-Programmen kann es sogar sein, dass sich von Nachricht zu Nachricht ändert, was bei einem Druck der Return-Taste passiert. E-Mails gibt es nämlich in zwei Formaten:

  • Als reinen Text ohne Formatierungsmöglichkeiten wie Farben oder Fettschrift. Hier gibt es wie in einfachen Texteditoren nur Zeilenumbrüche.
  • Im sogenannten HTML-Format. Hier gibt es wie in Microsoft Word Textformatierungen und Absatzwechsel.
Nach welchem Schema man gerade schreibt, kann unter anderem vom Format der Nachricht abhängen, auf die man gerade antwortet. Reagiert man auf eine E-Mail in Reintext, schreibt man in der Regel auch selbst unformatierten Text, der nur Zeilenumbrüche kennt, aber keine Absätze.

Menü in einem E-Mail-Programm. Unter dem Punkt Optionen/E-Mail-Format ist die Variante »Autom. bestimmen« vorausgewählt. Weitere Auswahlmöglichkeiten sind »Nur Reintext«, »Nur HTML«, »Reintext und HTML«.
In Mozilla Thunderbird ist vorausgewählt, dass die Software selbst entscheidet, ob man gerade reinen Text oder HTML schreibt. Zeilenumbrüche und Absätze können sich damit von E-Mail zu E-Mail anders verhalten.

Aus meiner zwölfjährigen Erfahrung in einem Büro mit Nichtinformatikern kann ich sagen: Den Unterschied zwischen Zeilenumbruch und Absatzwechsel kennt kaum jemand und er sorgt ständig für Probleme.

Wie es besser ginge.

Wenn die Entwickler einer Textverarbeitung unbedingt eine Unterscheidung zwischen Zeilen- und Absatzende haben wollen, dann sollten sie zumindest das machen, womit sie sich sonst auch nicht zurückhalten: Sie sollten die Software mitdenken und automatisch am Eingetippten herumpfuschen lassen. Was einen Benutzer in manchen Varianten zur Weißglut bringt, kann bei einigen althergebrachten Tippgewohnheiten ganz subtil Wunder wirken.

Die meisten Nutzer merken es wahrscheinlich gar nicht, aber etwa in Microsoft Word werden viele Zeichen beim Tippen automatisch in eine typografisch korrektere Variante umgewandelt. So wird zum Beispiel ein Minus »-« zwischen Leerzeichen mitten im Fließtext automatisch zu einem Gedankenstrich »–« und drei separate Punkte »...« werden zu einem einzelnen Auslassungszeichen »…«.

Genauso könnte man die althergebrachte Leerzeile, die jeder kennt und nutzt, automatisch durch einen Absatzwechsel ersetzen. Einmal Return drücken: Zeilenumbruch. Zweimal Return drücken: Absatz. So einfach könnte es sein.

Kommentare

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Bisherige Kommentare

  • Gummiauge

    Ich bin es auch leid, dass meine email wegen der Umbrüche nicht so ankommt wie sie bei mir geschrieben ausssieht (Andere Schriftart, andere Umbrüche). Deshalb schicke ich die mail erstmal an mich selbst und schaue dann nach wie sie beim anderen ankommen würde.
    Um das Umbruchproblem zu lösen, mache ich eine .odt Vorlage mit 50x25 cm und Dejavou Sans Mono 9 und Ränder alle 0. Dann kann ich den Text mit 265x64 Zeichen unterbringen. Wenn die .odt Datei fertig ist, erstelle ich aus open office ein pdf.
    Meine selbstgewählten Umbrüche werden hart beibehalten. Anschließend versende ich die email ohne Text aber mit der pdf-Datei im Anhang. Auch beim Ausdrucken der pdf-Datei bleiben die Umbrüche erhalten.
    Leider hat das Kommentarfeld hier meine Umbrüche verändert, weil es keine 265 Zeichen breite Zeilen unterbringen kann. Horizontales und vertikales Scrolling wäre angebracht und Zoom auf Vollbild.

  • Ramaka

    Wenn wenigstens das Zeichen auf der Tastatur ein Absatzwechsel-Zeichen wäre, dann wäre schon viel gewonnen. Oder besser, es wäre wirklich NUR ein Zeilenwechsel.

  • Tony T

    Wer kennt sie nicht, diese Zeilenumbruch-Geschichten ... Es gibt nichts Ärgerlicheres, als in einer Text-Wurst die Absätze wiederherzustellen oder dem Thunderbird zu erklären, dass man Zeilenumbrüche will statt Absätze ... Dein Lösungsansatz ist genial, aber leider zu einfach für diese Welt.

    • muvimaker

      Antwort an Tony T:

      ... vor allem kommt er 30 Jahre zu spät. Leider.