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Gut gebrüllt, Löwe

Es ist der PR-Coup des Jahres: WM-Maskottchen Goleo soll helfen, die Euro 2024 nach Deutschland zu holen. Doch der Löwe ist in die Jahre gekommen. Hat er noch Kraft für einen Neuanfang? Wir haben ihn getroffen.

Foto: IMAGO

Wohin die Reise geht? Wir fragen nicht nach, als wir am Hamburger Hauptbahnhof von zwei kräftigen Herren in den Fond einer schwarzen Limousine gebeten werden. Eine Begegnung mit einer streitbaren Persönlichkeit ist uns versprochen worden. Diskretion Ehrensache! Das ist der Deal. Und so sind wir auf jede Überraschung vorbereitet: Sylvies Piloten. Jens Riewa. Manfred Ertel. Wir haben den Gurt noch nicht angelegt, da tritt der Fahrer bereits kräftig aufs Gaspedal. Rasend schnell geht es nun durch die feinen Viertel der Hansestadt. Pöseldorf fliegt vorbei. Um uns zu verwirren, dreht der Wagen zwei Runden im Kreisverkehr. Ein beliebter Trick, vom Mossad entwickelt. „Muss ich nach Blankenese links ab?“, fragt der Fahrer. Unsere Begleiter brummen zustimmend. Noch eine falsche Fährte, das wissen wir. In Blankenese angekommen, werden wir in eine Fabrikhalle geführt. Dort, im Schein einer fahlen Deckenlampe, sitzt er an einem Tisch und reicht nach kurzem Zögern seine Fellpfote. „Schön, dass Sie sich Zeit genommen haben!“
Goleo! Ist also doch wahr, was seit Wochen in Fußballkreisen getuschelt wurde? Das WM-Maskottchen 2006 ist zurück in Deutschland. Mehrfach war der großgewachsene Löwe bereits gesichtet worden. Im Spa-Bereich des Berliner Soho House. Und vor dem Pennymarkt in Herne. Spontane erste Frage: Gibt es neue Pläne? Goleo zieht noch einmal an seiner Zigarette, erklärt: „Die EM-Bewerbung 2024. Ich werde wieder Maskottchen!“ Rumms! Das ist nun eine Überraschung. Goleos erste Amtszeit galt schließlich, milde formuliert, als unglücklich. Die missratene Präsentation bei „Wetten dass ..?“. Später der Spott über die vergessene Hose. Dann der Dauerzoff mit Partner Pille.

„Pille ist gestorben“

Apropos Pille. Diese Kugel dort auf dem Tisch, weiß und rund. „Das ist nicht Pille“, unterbricht Goleo unwirsch, „sondern ein stinknormaler Aschenbecher.“ Aber was ist denn nun passiert, mit dem Partner von einst. „Pille ist gestorben“, sagt Goleo düster. Wir schweigen bestürzt. „Jedenfalls für mich!“, ergänzt er und erzählt zum ersten Mal von der WM und der schwierigen Zeit danach. Das Turnier, ein einziger Rausch. So viel Euphorie, so viele Eindrücke. Goleo flüchtete sich in eine Parallelwelt aus schnellem Sex und harten Drogen. „Bei meiner WM war Kolumbien dabei“, sagt er heute mit einem Augenzwinkern.
Am Tag nach dem WM-Finale wurde ihm jedoch vom OK gekündigt. Natürlich zu Unrecht, betont Goleo, und präsentiert uns sein Arbeitszeugnis. Wir lesen aufmerksam. Hat sich stets bemüht, unseren Erwartungen zu entsprechen. Gesellig. War in der Regel pünktlich. Goleo nicht ohne Stolz: „Wenn das kein Prädikatsexamen ist, weiß ich auch nicht weiter!“ Pille hatte sich anschließend auszahlen lassen und ein Laufhaus in Husum übernommen.

Goleo suchte hingegen lange nach einer neuen Anstellung. Erst verdingte er sich als Tanzbär auf norddeutschen Rummelplätzen. „Und das als Löwe, wie demütigend!“ Später arbeitete er im Safaripark Stukenbrock. Als weißer Löwe, für die der Park weit über die Grenzen bekannt ist? „Leider nur als Kartenabreißer am Gnu-Gehege“, winkt er ab. Dann, im Jahre 2011, noch einmal der Versuch, als Maskottchen der Frauen-WM wieder ins Geschäft zu kommen. „Mit Hose hätten sie mich genommen!“, resümiert er. Wir mustern unseren Gesprächspartner. In die Jahre ist er gekommen, das einstmals glänzende Fell wirkt grau und stumpf. Der frühere Asket ist inzwischen offenbar starker Raucher, eine filterlose Gitanes glimmt im Aschenbecher, die immer noch mächtige Pranke ist gelb vom Nikotin.
Als vor wenigen Wochen der Anruf aus der Otto-Fleck-Schneise kam, glaubte Goleo an einen üblen Scherz. Sie hatten ihn schon einmal mit einem Angebot vom Europa-Park Rust hochgenommen, alte Freunde aus der Stukenbrocker Zeit. „Falsche Freunde!“, wie er heute sagt. Dann aber das Angebot, zu stark leistungsbezogenen Konditionen, gefördert vom Arbeitsamt.

„Ich greif noch mal an“

„Wir müssen da alle ins Risiko gehen“, haben die Leute vom DFB erklärt. Aber hat er wirklich noch einmal die Kraft für den großen Wurf? Kann er der deutschen EM-Bewerbung wirklich helfen? Auf ihn wartet die Ochsentour durch die UEFA-Staaten, in die Ukraine und sogar nach Österreich. Hände schütteln, Fototermine, Kinder auf den Arm nehmen und abends im Hotel noch die diskrete Tour zu den Zimmern der Funktionäre, damit am nächsten Morgen nicht nur die Zeitung unter der Tür durchgeschoben worden ist. Goleo schmunzelt: „Kenn ich doch schon alles von der WM 2006. Die Umschläge waren so dick, dass sie kaum unten durchgepasst haben. Und das lag nicht an der Wattierung!“, lacht er. Da ist er noch immer Profi.
Ein kurzer Blick hinunter. Goleo trägt noch immer keine Hose. Auch dafür gibt es natürlich eine Erklärung: „Ein Prostataleiden. Da muss unbedingt frische Luft dran.“ Er muss jetzt liefern, das weiß er. Viele wollen seinen Posten. Tip und Tap, die beiden Rotzlöffel von 1974, heute Inhaber eines Kostümverleihs in Charlottenburg, haben schon nachgefragt. Auch Berni, der Hase von ’88, wäre bereit, einzuspringen. „Aber nur, wenn die Kohle stimmt!“, lässt er aus seinem Domizil auf der Ferieninsel Menorca ausrichten. Goleo spürt die Zweifel. „Ich greif noch mal an“, sagt er entschlossen, hebt die Fäuste, boxt gegen einen imaginären Gegner. Durch die ruckartigen Bewegungen verrutscht seine Lesebrille. „Gleitsicht“, erklärt Goleo. „Wird leider nicht von der Kasse übernommen.“ Er setzt die Lesehilfe ab. Die Asche fällt von der Zigarettenspitze. Er muss jetzt ins Risiko gehen.

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