Darum prostituieren sich Frauen trotz Sex-Verbot immer noch

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SexgewerbeDarum prostituieren sich Frauen trotz Sex-Verbot immer noch

Trotz des Lockdown bieten Sexarbeiterinnen illegal ihre Dienste an. Ein Grund dafür ist laut Fachstellen der Druck von der Familie in der Heimat.

Darum gehts

  • Prostitution ist gemäss Corona-Verordnung noch immer verboten.
  • Statt in Bordellen zu arbeiten, schaffen stattdessen viele Frauen illegal privat an.
  • 20 Minuten hat einige Frauen auf einschlägigen Plattformen angeschrieben, drei sagten sofort Ja zu einem Sex-Treffen.
  • Laut einer Fachstelle ist die Not unter Sexarbeiterinnen, aber auch der finanzielle Druck von Familien in der Heimat gross.

Das Sexgewerbe verlangt ein baldiges Ende des Lockdown. Ein Argument: Prostitution lasse sich nicht per Verordnung unterbinden, entsprechend würden die Frauen in die Illegalität gedrängt. «Die Bemühungen der letzten Jahre, Prostitution in ein geregeltes Umfeld zu verlagern, werden um Jahre zurückgeworfen, wenn Etablissements aufgrund der Schliessung in Konkurs gehen», sagt etwa S. K.*, die zwei BDSM-Studios besitzt.

Auch ein Bordellbetreiber beobachtet, dass sich Frauen nicht an das Gesetz halten: «Auf Onlineplattformen bieten Frauen ihre Dienste trotzdem an, oft als medizinische Massagen. Aber haben Sie das Gefühl, es bleibt dabei? Wenn die Männer in den Wohnungen sind, dann hängen die Frauen gleich am Kabel. Das ärgert mich gewaltig.»

Freier kommen mit wenigen Klicks zum Ziel

Tatsächlich sind Sexinserate auf einschlägigen Plattformen nach wie vor aufgeschaltet. Offiziell bieten sie allerdings nur noch virtuelle Dienstleistungen und Massagen an. 20 Minuten hat mehrere zufällig ausgewählte Frauen kontaktiert. Drei von ihnen sagten auf Anhieb Ja zu einem Sex-Treffen. Eine Frau schrieb etwa: «Besuch bei mir okay. Halbe Stunde 150 Franken.»

Damit konfrontiert, dass das eigentlich illegal wäre, antwortet die erste Frau: «Nein, nur Gäste bei mir zu Hause, Autodates und outdoor sind verboten.» Die zweite sagt: «Ich machs allgemein nicht mit jedem. Verboten ist es schon. Aber das Ding ist halt, ich bin nicht der Knecht der Gesellschaft. Ich habe einen gesunden Menschenverstand.» Eine Frau schreibt: «Ich habe zwei Kinder. Ich bekomme langsam Geldprobleme.» Auch schicke sie Geld an die Familie nach Brasilien.

Kapo ahndet Verstösse

Die Kantonspolizei Zürich, aus deren Einzugsgebiet ein Teil der Sexarbeiterinnen stammen, sagt auf Anfrage von 20 Minuten, dass sie bei Verstössen durchgreife: «Wenn wir diesbezüglich eine Meldung aus der Bevölkerung erhalten oder selber einen Verstoss feststellen, ahnden wir das», so Mediensprecher Marc Besson. Sowohl Freier als auch Prostituierte werden dann laut der Kapo bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Fallzahlen gebe es dazu nicht.

Die Kantonspolizei Zürich liess bereits im März Sexseiten vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) sperren. «Die Betreiber haben auf den Plattformen gegen die Verordnung des Bundesrats zur Bekämpfung des Coronavirus verstossen», sagte Sprecher Werner Schaub damals. Gemäss geltendem Recht könne die Kapo allerdings nur Schweizer Domains direkt abschalten.

Laut Lelia Hunziker, Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), leiden die Sexarbeiterinnen stark unter der Corona-Krise: «Sexarbeitende sind in Not und unter Druck. Viele wollen sich an die Massnahmen halten. Ihre Gesundheit und die ihrer Kunden ist ihnen wichtig. Der finanzielle Druck auch von den Familien in der Heimat ist gross. Deshalb kann es sein, dass Service angeboten wird.»

Öffnung mit Schutzkonzepten?

Der Verein versuche deshalb, Alternativen zu bieten. Je nach Fall könne Sozial- oder Nothilfe beantragt werden, so Hunziker. Doch das geht nicht immer: «Die Beratungen sind komplex. Die Stigmatisierung gross, viele wollen deshalb, gerade in kleinen Gemeinden, nicht zur Sozialhilfe. Auch wegen der ausländerrechtlichen Konsequenzen.»

Das FIZ beschäftige sich aktuell damit, wer wann wieder arbeiten kann und welche Schutzkonzepte es braucht. Zu einer Öffnung von Erotikbetrieben will sich Hunziker nicht äussern: «Über Öffnungen sollen Fachleute fachlich und sachlich entscheiden. Wichtig ist, dass die Entscheide objektiv sind und nicht lobbygesteuert.»

*Name der Redaktion bekannt

«Prostituierte haben keine Lobby»

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Valentin Landmann, Zürcher «Milieuanwalt» und SVP-Kantonsrat verlangt, dass das Erotikgewerbe im Juni wieder arbeiten darf.

Herr Landmann, Sie kritisieren die bundesrätlichen Corona-Massnahmen für das Rotlicht. Warum?

Der Bundesrat will mit der Zulassung von Erotikbetrieben bis Anfang September zuwarten, gleich lang wie bei Veranstaltungen mit über tausend Personen. Das ist grotesk und hat mit Verhältnismässigkeit nichts mehr zu tun.

Aber in der Erotikbranche sind Schutzmassnahmen schwierig.

Ja natürlich, aber ein Erotikstudio mit zwei oder drei Frauen mit einem Grossanlass gleichzusetzen, ist völlig übertrieben. Im Kanton Zürich sind weit über tausend Frauen im Erotikbereich davon betroffen.

Was schlagen Sie dann vor?

Kein Gewerbe darf über die absolute Notwendigkeit hinaus eingeschränkt werden, auch das Rotlichtmilieu nicht. Deshalb verlange ich eine Wiedereröffnung auf Juni. Auch andere Gewerbe mit Körperkontakt haben wieder geöffnet, beispielsweise Coiffeure oder medizinische Massagen mit entsprechenden Auflagen. Dies sollte im Erotikbereich auch möglich sein.

Sie setzten sich für das Rotlichtmilieu ein, warum?

Prostituiere haben keine Lobby. Politiker haben Hemmungen, sich für sie einzusetzen. Erotik ist ein völlig legales Gewerbe, auch für Prostituierte gilt die Handels- und Gewerbefreiheit. Staatliche Einschränkungen müssen eine Rechtsgrundlage haben, müssen verhältnismässig sein und der Staat muss für den Schaden aufkommen. Das ist hier nicht der Fall.

Wie meinen Sie das?

Prostituierte zahlen auch Steuern und Sozialabgaben wie andere Gewerbetreibende. Aber im Gegensatz zu diesen erhalten sie jetzt keine staatliche Hilfe. Sie kriegen keine Arbeitslosengelder, können nicht Kurzarbeit anmelden und müssen selbstständig die Mieten zahlen. Die unverhältnismässigen Einschränkungen treiben viele Frauen in den Ruin und in die Illegalität.

Warum in die Illegalität?

Wenn sie trotzdem anschaffen gehen, können sie in die Hände der Unterwelt geraten, das wäre eine verheerende Entwicklung. Mit der Legalisierung der Prostitution 1992, seitdem Kuppelei und passive Zuhälterei nicht mehr strafbar sind, können wir eine starke Abnahme von Milieudelikten verzeichnen, die Rotlichtkriminalität konnte stark zurückgedrängt werden.

Sie sind auch Politiker, planen Sie einen Vorstoss?

Als Kantonsrat kann ich wenig auswirken, entschieden wird in Bern. Aber ich werde an der nächsten Kantonsratssitzung nach meiner gestrigen Schulteroperation eine persönliche Erklärung vorlesen. Ich habe schon etliche Ratskollegen darauf angesprochen und positive Feedbacks erhalten. (hoh)

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