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Branchen-CheckWas sind Influencer ohne Likes noch wert?

Kanye West will, dass Social Media auch ohne öffentliche Likes und Followerzahlen genutzt werden können. Eine Massnahme, die Influencer die Job-Grundlage kosten würde.

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Kanye West will die Welt verändern. Am Wochenende hat er den Chefs der wichtigsten Social-Media-Marken vorgeschlagen, dass sie ihre Plattformen umbauen und die Möglichkeit anbieten sollen, sie ohne Anzeige von Likes und Followerzahlen nutzen zu können. West sieht im konstanten Streben nach möglichst vielen Likes einen ungesunden Druck: «Menschen begehen Selbstmord, weil sie nicht genug Likes erhalten.»

Ob Kanyes Vision bei Instagram, Snapchat, Facebook und Twitter tatsächlich ernst genommen und angegangen wird, ist fraglich. Interessant ist das Gedankenexperiment allemal. Auch für all die Influencer, die in den letzten Jahren aus Likes und Follower-Masse ein sehr lukratives Geschäft gemacht haben und zu Stars mit immensen Reichweiten und Einfluss geworden sind.

Zeidler würde sofort mitmachen

Wie finden sie Kanyes Vorschlag? Anja Zeidler (25) ist die Schweizer Proto-Influencerin und schon früh auf den Zug aufgesprungen. Mittlerweile hat sie 321'000 Follower auf ihrem Haupt-Account. Sie gibt Kanye recht. «Das ist eine geniale Aussage von ihm. Ich würde die Option sofort nutzen und fände es gesund, wenn so viele wie möglich mitziehen.»

Zeidler findet, das der Zwang, Likes zu sammeln, krankhafte Züge angenommen hat. «Nicht nur bei Influencern, ich beobachte es auch bei meinen echten Freunden und das ist echt tragisch.» Sie poste deshalb auch immer wieder mal Bilder von ihrer Katze oder einem Inspo-Quote. «Die geben zwar weniger Likes. Aber sie sind im Moment entstanden und echt.»

Nicht die Zahlen, sondern die Inhalte machen Druck

Michèle Krüsi (27) aka The Fashion Fraction erreicht mit ihren Posts 362'000 Follower. Auch sie mag Kanyes Idee. Denkt aber, dass der Druck, den Social Media auf die Nutzer ausüben, nicht von den Zahlen allein kommt – sondern vor allem vom gezeigten Inhalt.

«All die Fotos, die einem als Betrachter vermitteln können, diese Person hätte den besseren Körper, die bessere Beziehung, die abenteuerlicheren Ferien. Man darf nie vergessen, dass Social Media nur Ausschnitte aus dem Leben zeigen.»

Das Ausblenden der Likes und Follower würde gemäss Krüsi wohl nur bedingt einen Einfluss auf das Befinden der Nutzer haben. «Die Möglichkeit zu geben, dass jeder Nutzer selbst entscheiden kann, ob er die Zahlen angezeigt haben möchte oder eben nicht, ist aus meiner Sicht auf jeden Fall sinnvoll», so Krüsi.

Agenturen brauchen Zahlen

Agenturen sorgen im Hintergrund dafür, dass Influencer wie Zeidler und Krüsi aus ihren Posts Geld machen können. Daniel Koss (21) ist Geschäftsführer von Yxterix und kümmert sich um die Social-Media-Vermarktung der Fussballstars Xherdan Shaqiri und Breel Embolo oder der Comedians Noelia und Gabirano. Er findet Kanyes Vorstoss spannend, doch nicht zu Ende gedacht. «Wir als Agentur brauchen Likes überhaupt nicht. Wir verkaufen Aufmerksamkeit im Internet – die ist genau gleich hoch mit oder ohne Likes.»

Jedoch würden Likes helfen, Reichweite und Einfluss greifbar und damit auch klarer vermarktbar zu machen. «Wir brauchen messbare Zahlen, die als Richtlinie für die Preise verwendet werden können.» Die Kennzahlen, die Kanye kritisiert, helfen den Influencern und ihren Managern, was sie den Kunden überhaupt verkaufen können. Fürs Geschäft sind sie eine Erleichterung.

Koss zieht einen Vergleich zum Lohn: «Zu Beginn ist er tief und wird erst im Verlauf der Karriere langsam höher – aber würden diejenigen, die sich über den zu tiefen Lohn beklagen, deswegen alle Löhne abschaffen wollen?»

Die harte Social-Media-Währung

Fabian Plüss (35), Gründer von Kingfluencers, will ebenfalls nicht auf Likes verzichten. «Für uns wäre es suboptimal, wenn wir nicht mehr mit Indikatoren wie Follower, Views, Likes, Shares und Comments arbeiten könnten.» Sie seien die «harte Social-Media-Währung», die es erlaubt, über Relevanz eines Influencers zu urteilen.

Für Plüss wäre es zwar denkbar, mit nicht-öffentlichen Messwerten zu arbeiten. «Ich glaube jedoch, dass die Social-Media-Plattformen für die User stark an Attraktivität verlieren würden.» Der Mensch brauche einen gewissen Wettbewerb, der ihn antreibt und Höchstleistungen erst ermöglicht. Wests Forderung findet Plüss übertrieben: «Ich könnte mir vorstellen, dass er selbst stark unter diesem Druck leidet und daher diese Forderung stellt.»

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