Logo az

AachenAktuelles Sachbuch

Eine „Wahnidee“ und ihre Folgen

Der Mensch herrscht über die Natur: Der Historiker Philipp Blom zeigt in seinem neuen Buch, wie sich diese Idee in den Köpfen festgesetzt hat und welchen Folgen das hat.

Dürre, Hitze, Naturkatastrophen: Die Folgen des Klimawandels sind auf der ganzen Welt spürbar.
Dürre, Hitze, Naturkatastrophen: Die Folgen des Klimawandels sind auf der ganzen Welt spürbar. Foto: Emilio Morenatti

Aachen Bücher des Historikers Philipp Blom sind immer intellektuelle Abenteuerreisen, ob er nun aus der Kleinen Eiszeit, die die Welt vor allem im 17. Jahrhundert brutal heimsuchte, die Ursprünge des Frühkapitalismus herleitet oder den „bösen Philosophen“ zu Beginn der Aufklärung im Pariser Salon des Barons d’Holbach lauscht. Bücher voll stupender Bildung und Belesenheit, die Blom zuweilen auch allzu gerne zur Schau stellt.

In seinem neuen Buch „Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“ (Hanser Verlag, 368 Seiten, 28 Euro) ist der in Wien lebende Publizist dem Hochmut der Menschheit auf der Spur und geht der Frage nach, warum sie es sich zur Aufgabe gemacht hat, Herrschaft über die Natur zu erlangen – mit den bekannten Folgen, die uns nun vor allergrößte Herausforderungen stellen.

Blom spricht von einer „Wahnidee“, deren Genese er ausführlich darstellt. Mitunter strapaziert er die Geduld seiner Leserinnen und Leser, wenn er in das Gilgamesch-Epos abtaucht oder die Geschichte Chinas einordnet. Das ist immer luzid, ein paar Straffungen hier und da hätten dem Buch aber gutgetan.

Und doch führen diese Exkurse zum Kern seiner Grundidee. Blom zeigt, dass die Aufforderung Gottes im Alten Testament, sich die Erde untertan zu machen, auf Mythen zurückgreift, die schon in Mesopotamien kursierten. Die erste schriftlich überlieferte Erzählung, eben jenes Gilgamesch-Epos, belegt, was gemeint ist: Der Held und sein Freund Enkidu töten in ihrer Hybris Humbaba, den Hüter des Zedernwaldes.

Blom nennt den Wandel von der frühzeitlichen und polytheistischen Vorstellung, dass die Natur von Göttern belebt ist und der Mensch mit ihr verbunden und in ihr verwoben lebt, hin zum seit der Spätantike im Christentum verankerten monotheistischen Weltbild, dass die Natur nur Materie ist, die es zu beackern und zu schröpfen gilt, eine „mythologische Atombombe“. Warum sich dieser Gedanke durchsetzen konnte, warum darauf basierend Europa die Dominanz über die ganz Welt erlangen konnte, erläutert Blom sehr detailliert. Womit wir mit ihm in der Neuzeit angekommen sind. Doch kein Ausweg aus dem Dilemma, nirgends. Die Aufklärung? Mit Sicherheit eine intellektuelle Revolution, die den Unterwerfungsgedanken jedoch letztlich nicht hinterfragt, sondern mit den Waffen der reinen Vernunft begründet. Kapitalismus und Kommunismus? Wollen die Natur gleichermaßen kommandieren und nutzbar machen, wenn auch mit anderen Zielen.

Philipp Blom, „Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“, 368 Seiten, 28 Euro, Hanser Verlag.
Philipp Blom, „Die Unterwerfung. Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur“, 368 Seiten, 28 Euro, Hanser Verlag. Foto: Hanser Verlag

Und nun, da sich die massiven Eingriffe in die Systeme der Erde rächen, da das Klima immer extremer wird und Gletscher schmelzen, die Meeresspiegel steigen, Naturkatastrophen wüten? Blom liefert keine fertigen Antworten, und so klar er auch seine Ablehnung des Unterwerfungsgedankens formuliert, so wenig ist sein Buch eine Kampfschrift. Er tastet sich vor, nimmt Anleihen bei Montaigne, Telesio, Latour, Lovelock oder dem Biologen Sheldrake. Klar wird allerdings: Nicht der Planet Erde, nicht die Natur drohen unterzugehen, sondern der Mensch, der sich eitel anmaßt, über ihnen zu stehen.