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Genf

UN-Experten werfen Myanmar Völkermord vor

Die beispiellosen Gräueltaten gegen muslimische Rohingya in Myanmar tragen nach Überzeugung von UN-Menschenrechtsexperten alle Anzeichen eines Völkermordes.

Protest in Kanada: Demonstranten mit dem Konterfei von Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi und der Forderung, ihr die ehrenhalber verliehene kanadische Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen.
Protest in Kanada: Demonstranten mit dem Konterfei von Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi und der Forderung, ihr die ehrenhalber verliehene kanadische Staatsbürgerschaft wieder abzuerkennen. Foto: Justin Tang/The Canadian Press

Die Ermittler verlangten in Genf, dass dem Oberbefehlshaber und fünf weiteren namentlich genannten Kommandeuren des Militärs der Prozess gemacht wird. Sie legten ihnen auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Last. „Die Opfer haben ein Recht auf die Wahrheit”, sagte der Chef der Untersuchungskommission, der Indonesier Marzuki Darusman.

Rohingya-Flüchtlinge bei einer Protestkundgebung in Bangladesch zum Gedenken an den ersten Jahrestag nach Vertreiben der muslimischen Rohingya-Minderheit durch die myanmarische Armee.
Rohingya-Flüchtlinge bei einer Protestkundgebung in Bangladesch zum Gedenken an den ersten Jahrestag nach Vertreiben der muslimischen Rohingya-Minderheit durch die myanmarische Armee. Foto: Altaf Qadri/AP

Die Experten kritisierten auch Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Sie habe ihre moralische Autorität nicht genutzt, um solche Verbrechen zu verhindern.

Flüchtlingslager der Rohingya in Bangladesch.
Flüchtlingslager der Rohingya in Bangladesch. Foto: Zakir Hossain Chowdhury/ZUMA Wire

Die Experten machen die Militärs für Morde, Massenvergewaltigungen, Folter, Versklavung, Gewalt gegen Kinder und das Niederbrennen ganzer Dörfer verantwortlich. „Die grausamen Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen, die in den Gliedstaaten Kachin, Rakhine und Shan begangen wurden, schockieren wegen ihrer grauenerregenden Art und Allgegenwärtigkeit”, schreiben sie. In Rakhine deuteten die Militäraktionen bei der gewaltsamen Vertreibung von hunderttausenden Rohingyas im August 2017 auf einen geplanten Völkermord hin.

KIndheit im Flüchtlingslager: Ein Rohingya-Junge steht zwischen den provisorischen Unterkünften in Bangladesch.
KIndheit im Flüchtlingslager: Ein Rohingya-Junge steht zwischen den provisorischen Unterkünften in Bangladesch. Foto: Zakir Hossain Chowdhury/ZUMA Wire

Die Regierung der einstigen Militärdiktatur in Südostasien reagierte zunächst nicht. Das Militär hatte zwar nach Wahlen 2011 die Macht abgegeben, sich aber weitreichenden Einfluss gesichert. Es kontrolliert Schlüsselministerien, und das Militär unterliegt nicht der zivilen Kontrolle. Suu Kyi führt seit 2016 die Regierung.

In einem Rohingya-Flüchtlingslager werden Säcke mit Brennstäben aus komprimierten Reishülsen zum Kochen entladen.
In einem Rohingya-Flüchtlingslager werden Säcke mit Brennstäben aus komprimierten Reishülsen zum Kochen entladen. Foto: Nick Kaiser

Facebook blockierte in einer ersten Reaktion das Konto von Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing sowie 17 weitere Konten, 52 Facebook-Seiten und ein Instagram-Konto mit zusammen fast zwölf Millionen Followern. Die UN-Experten hatten die Weiterverbreitung von Hass-Kommentaren in sozialen Medien, die den Nährboden für die Verfolgung der Rohingya bereiten, scharf kritisiert. „Wir haben zu spät reagiert”, räumt Facebook ein.

Die Experten kritisierten auch Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi dafür, ihre moralische Autorität nicht genutzt zu haben.
Die Experten kritisierten auch Regierungschefin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi dafür, ihre moralische Autorität nicht genutzt zu haben. Foto: Aung Shine Oo/AP

Die muslimischen Rohingya werden im buddhistischen Myanmar seit Jahrzehnten verfolgt. Militär, Behörden und Bevölkerung bezeichnen sie als „Bengalen”. Sie wollen damit nahelegen, dass sie aus dem Nachbarland Bangladesch stammen, obwohl viele Rohingya teils mit den britischen Kolonialherren im 19. Jahrhundert ins Land kamen und seit Generationen im Bundesstaat Rhakine leben.

Rohingya-Flüchtlinge bei einer Protestkundgebung in Bangladesch zum Gedenken an den ersten Jahrestag der Vertreibung durch die myanmarische Armee.
Rohingya-Flüchtlinge bei einer Protestkundgebung in Bangladesch zum Gedenken an den ersten Jahrestag der Vertreibung durch die myanmarische Armee. Foto: Altaf Qadri/AP

Nach einem Angriff von Rohingya-Rebellen startete das Militär im August 2017 eine beispiellose Gewaltaktion. Überlebende berichteten, Verwandte von ihnen seien erschossen, Frauen vergewaltigt, Kinder ermordet, Häuser niedergebrannt und Felder zerstört worden. Mehr als 700.000 Rohingya flüchteten nach Bangladesch.

„Die UN-Kommission hat getan, was niemand in Myanmar, einschließlich Suu Kyi und die zivile Regierung, gewagt haben: Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing und seinen Top-Generälen die schlimmsten Menschenrechtsverbrechen vorzuwerfen”, sagte Phil Robertson von Human Rights Watch. „Die Zeiten, in denen sich das Militär hinter einem System der Straflosigkeit verstecken konnte, sind nun vorbei.”

„Wir sind kein Gericht”, betonte der australische Menschenrechtsanwalt Christopher Sidoti, einer der drei Leiter der Untersuchungskommission. „Wir hebeln die Unschuldsvermutung nicht aus. Aber wir haben aber genügend Beweise für Elemente eines Völkermordes gefunden, dass wir Ermittlungen und Anklagen vor einem internationalen Tribunal empfehlen.” Er zitiert unter anderem Min Aung Hlaing, der die Rohingya öffentlich als „Bengali-Problem” bezeichnete. Die Regierung setze alles daran, „das Problem” zu lösen. Das Militär habe Zivilisten seit Jahrzehnten mit extremer Brutalität drangsaliert und sei nie zur Rechenschaft gezogen worden.

Myanmar verweigerte den Experten die Einreise, aber sie sprachen mit 875 Augenzeugen und Opfern und untersuchten Dokumente, Satellitenaufnahmen und Fotos. Myanmar hat die Gewalt als nötigen Kampf gegen Terror von Rohingya-Rebellen dargestellt.

dpa